Morgen ist es vorbei - Kathrin Weßling - E-Book

Morgen ist es vorbei E-Book

Kathrin Weßling

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Beschreibung

Liebeskummer ist ein Bumerang aus Stacheldraht

Mit ihrem literarischen Debüt »Drüberleben« hat Kathrin Weßling 2012 Furore gemacht. »Da hat sich jemand die Seele aus dem Leib geschrieben «, urteilte WDR West ART, und Arte Yourope befand: »Mit ihrem Erstlingswerk hat sie einen Nerv der Zeit getroffen. « Das Buch wurde 2013 in Freiburg unter der Regie von Daniel Wahl auch als Theaterstück uraufgeführt, und eine Hörspielfassung ist in Vorbereitung.

Kathrin Weßlings neues Buch ist eine Sammlung von Stories über die unerträgliche Fragilität der Liebe und des Liebens. »Morgen ist es vorbei«, das sind 13 Geschichten über die Liebe. Über die Sehnsucht, sich im anderen zu verlieren. Und über den Schmerz, verlassen zu werden. Kathrin Weßling erzählt mit großer psychologischer Klarsicht und zugleich mit hoher emotionaler und sprachlicher Kraft von gebrochenen Herzen und von solchen, die andere brechen, von Tränen und vom Kämpfen, vom Hoffen und vom Warten, von Erleichterung und Glück, vom Wahnsinn wilder Herzen eben. Die Protagonisten ihrer Stories wissen: Liebeskummer ist ein Bumerang aus Stacheldraht. Der kommt zurück, egal, wie sehr du schreist und rennst und bebst und kämpfst. Und manchmal ist da diese winzige Ahnung, die dich nicht schlafen lässt: Morgen ist es vielleicht vorbei. Und manchmal ist der einzige Gedanke, der dich durch die langen Nächte in der Stadt rettet: Morgen ist es besser, morgen wird ein besseres Morgen sein, morgen ist es endlich vorbei.

Kathrin Weßling versteht es wie kaum eine zweite, Gefühle zu erzählen. »Morgen ist es vorbei« ist ein Buch, das unter die Haut geht. Ein Buch für gebrochene Herzen in der Großstadt, für traurige Männer und Frauen. Und über die eine Sache, die fast jeder kennt: Liebeskummer, schlaflose Nächte, Angst und das Gefühl, dass das nie wieder vergeht.

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Seitenzahl: 237

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Zum Buch

Mit ihrem literarischen Debüt »Drüberleben« hat Kathrin Weßling 2012 Furore gemacht. »Da hat sich jemand die Seele aus dem Leib geschrieben«, urteilte WDR WestArt, und Arte Yourope befand: »Mit ihrem Erstlingswerk hat sie einen Nerv der Zeit getroffen.«

Kathrin Weßlings neues Buch ist eine Sammlung von Stories über die unerträgliche Fragilität der Liebe und des Liebens. »Morgen ist es vorbei«, das sind vierzehn Geschichten über die Liebe. Über die Sehnsucht, sich im anderen zu verlieren. Und über den Schmerz, verlassen zu werden. Kathrin Weßling erzählt mit großer psychologischer Klarsicht und zugleich mit hoher emotionaler und sprachlicher Kraft von gebrochenen Herzen und von solchen, die andere brechen, von Tränen und vom Kämpfen, vom Hoffen und vom Warten, von Erleichterung und Glück, vom Wahnsinn wilder Herzen eben. Die Protagonisten ihrer Stories wissen: Liebeskummer ist ein Bumerang aus Stacheldraht. Der kommt zurück, egal, wie sehr du schreist und rennst und bebst und kämpfst. Und manchmal ist da diese winzige Ahnung, die dich nicht schlafen lässt: Morgen ist es vielleicht vorbei. Und manchmal ist der einzige Gedanke, der dich durch die langen Nächte in der Stadt rettet: Morgen ist es besser, morgen wird ein besseres Morgen sein, morgen ist es endlich vorbei.

»Provozierend, rotzig, ironisch und sensibel. Ein Bestseller.«

emotion über »Drüberleben«, das Debüt der Autorin

»… da hat sich jemand die Seele aus dem Leib geschrieben und den richtigen Ton getroffen – offen, ohne Pathos und doch zutiefst berührend.«

WDR WestART über »Drüberleben«

Zum Autor

KATHRIN WESSLING, 1985 geboren, lebt in Hamburg und arbeitet dort als Social-Media Managerin und leitet die Redaktion eines digitalen Stadtmagazins. 2012 erschien ihr vielbeachtetes Buch »Drüberleben«, das 2013 unter der Regie von Daniel Wahl auch als Theaterstück am Theater Freiburg uraufgeführt wurde. Kathrin Weßling gibt Workshops und hält Vorträge in den Bereichen Social Media, Blogs, Online-Redaktion und Blogger- Kooperationen. Sie bloggt unter http://kathrinwessling.de. »Morgen ist es vorbei« ist ihr zweites Buch.

KATHRIN WESSLING

MORGEN IST ES VORBEI

Stories

Luchterhand

Die beiden Mottozitate stammen aus dem Song »Ten Headed Beast« (Musik und Text: Philipp Milner, Eva Milner © Edition Ten Headed Beast, mit freundlicher Genehmigung von Sony/ATV Music Publishing (Germany) GmbH) und dem Buch »Aus der nahen Ferne« von Rebecca Solnit, übersetzt von Julia Franck, Hoffmann und Campe.

1. Auflage

© 2015 Luchterhand Literaturverlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

© Umschlaggestaltung: buxdesign/München unter Verwendung eines Motivs von plainpicture /Anja Weber-Decker

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-641-12022-1www.luchterhand-literaturverlag.de

http://www.facebook.com/luchterhandverlag

http://twitter.com/luchterhandlit

Inhalt

Immer noch ja

Die Unendlichkeit des Jetzt

Häng dich auf

Wilde Wesen

Fragen, die ich dir nie gestellt habe:

Oder wieder niemals

Winter für immer

Nicht nichts

Schwimmen

Wir kämpfen, wir kentern doch

Du bist der Herbst

Und keiner weiß

Hier ist überall

Morgen ist es vorbei

Dank

»I can feel everything andYour truth, it is leading my steps for now«

Hundreds, Ten Headed Beast

»Schreiben bedeutet niemandem und allen das zu sagen, was man einem Jemand nicht sagen kann.«

Rebecca Solnit, Aus der nahen Ferne

Immer noch ja

Sie sagen, es wird irgendwann leichter. Irgendwann vergisst du, sagen sie, daran zu denken. Dann ist es vorbei. Ich schaue ein bisschen irritiert, weil ich doch gar nicht will, dass es vorbei ist. Ich will, dass es nicht aufhört, ich war doch der, der nachts bei dir geklingelt hat, um zu sagen: Bitte geh nicht. So schlicht wird man nämlich in seinen Gefühlen, so heruntergebrochen und einfach. Man sagt nichts Großes mehr, zitiert niemanden und es ist auch nichts Poetisches in all den verzweifelt gestammelten Worten, die einem aus den Fingern und dem Mund fallen, auf den Boden zwischen dem anderen und dir, weil da plötzlich so viel Raum zwischen euch ist, dass da überhaupt etwas hinpasst, wo vorher kein Zentimeter Platz war.

Und dann stehst du plötzlich da und begreifst: Ich bin jetzt alleine. Ich bin kein Teil mehr von zweien, ich bin nicht mehr jeden Samstagabend mit der Couch und einem Film und dem anderen verabredet, ich bin nicht mehr verliebt, vergeben, verlobt, verheiratet, ich bin nicht mehr längst in einem sicheren Hafen, angekommen, in Ketten und in Liebe, in Ewigkeit, Amen. Ich bin nicht mehr zugehörig und unerhört sicher, so verdammt verliebt und geliebt, Teil einer WG, die eigentlich eine Lebensgemeinschaft ist, ich bin nicht mehr Freund oder Freundin, nicht mehr Partner von irgendwem, nicht mehr bei Facebook »In einer Beziehung«, nicht mehr »Dein Interesse ehrt mich, aber ich habe eine Freundin«, nicht mehr »Mein Freund kommt gleich vorbei und wir machen uns einen gemütlichen Abend«, nicht mehr aufgehoben, beschützt und umsorgt, nicht mehr Umarmung die ganze Nacht, nicht mehr »Du kannst mich immer anrufen, ich bin da«, nicht mehr dein Bärchen und auch nicht dein Schatz. Ich bin nicht mehr als Erinnerung, ich bin jetzt alleine, alleine, alleine und ich bin »Ich kann jetzt machen, was ich will.« Bloß will ich eigentlich gar nichts außer dich.

Natürlich geht es weiter, das Leben. Das sagen sie alle, weil es die einzige Wahrheit ist, die immer stimmt. Alles geht weiter, du atmest noch, du lebst noch, du und dein gebrochenes Herz, ihr quält euch morgens aus dem Bett und nachts mit unruhigen Träumen, ihr trinkt noch den gleichen Kaffee, ihr geht noch »unter Menschen«, zum Friseur und in eine Bar, ihr kauft noch Lebensmittel und eine Fahrkarte, während ihr in Gedanken den ganzen Bahnsteig vollblutet, weil es wehtut, wehtut, wehtut.

Plötzlich ist die ganze Stadt ein Museum: Hier waren wir das erste Mal aus, hier haben wir uns das erste Mal gesehen, hier haben wir uns geküsst und dort und dort und da vorne auch. Hier habe ich dir gesagt, dass ich dich liebe, habe es in den Telefonhörer gebrüllt, damit du es auch ja verstehst, weil du es damals ja nicht verstehen wolltest, woran sich im Grunde überhaupt nichts geändert hat. Hier waren wir essen, da waren wir im Theater, im Kino, in dieser Bar, in dieser anderen Bar, in diesem Club und in der Ausstellung, die keinem von uns gefallen hat. An dieser Straßenecke war ich der traurigste Mensch der Welt und an dieser habe ich wegen dir in den Hörer geheult und mich furchtbar dafür geschämt.

Die ganze Stadt hängt voller Bilder und Momentaufnahmen, und du läufst sie Schritt für Schritt ab, in deinem ganz privaten Museum der Grausamkeiten, der Erinnerungslücken und Falltüren. Der ganz normale Wahnsinn eines Kopfes, der sich sekündlich erinnert an jedes Detail.

Du stellst fest: Nichts ist von dir übrig geblieben, das nicht durchdrungen wäre von Erinnerungen und Sehnsüchten, von dem Gefühl, dass nie wieder so etwas Großes kommt. Wie groß es wirklich war, hast du nicht begriffen, solange es noch da war, wie alle anderen verstehst du die Antworten immer erst, wenn keiner mehr danach fragt. Du bist jetzt alleine und ebenso kannst du dir jetzt selbst auch all die Fragen stellen, auf die niemand mehr reagiert außer deinem müden Kopf, der immerzu Jeopardy mit dir spielt. Die Frage ist immer die gleiche: Warum bist du nicht mehr da?

Vielleicht erzählst du jedem, was passiert ist. Vielleicht erzählst du es keinem. Vielleicht ertränkst du es in Schnaps und Lethargie; begräbst es unter Essen und Angst wie nie; betäubst es mit Sex und langen Nächten, mit Tanzen bis zum Verrecken, mit Rennen und Schweiß, mit Kontrolle und Schlaf. Vielleicht behältst du es für dich und schließt es in dir ein, sagst zu allem »nein« und wartest, bis es vorübergeht oder ob es am nächsten Morgen immer noch vor dir steht und dich anbrüllt, dass du es verloren hast, ganz egal, was du dagegen machst. Vielleicht erzählst du es deinen Freunden oder nur dem einen, deinem Pfarrer, deiner Mutter, deinem Steuerberater, vielleicht erzählst du es dem Kopfkissen, das du dir auf den Mund presst, damit dich niemand schreien hört, wenn du es nicht mehr aushältst. Vielleicht schweigst du und lässt das Monster nicht raus, vielleicht erzählst du es jedem und lachst dich dann selber dafür aus. Aber egal, wie oft du darüber sprichst: Es ändert sich nichts.

Du starrst auf dein Telefon und beginnst die Tage zu zählen. Elf, seitdem es vorbei ist. Drei, seit deiner letzten verzweifelten Nachricht. Einer, seitdem du doch wieder eine Mail geschickt hast: Lass es mich erklären, bitte. Ich entschuldige mich für alles. Auch für das, was ich nicht verstanden habe. Ich entschuldige mich für jedes Wort, für alles, was du glaubst, das ich falsch gemacht habe. Ich entschuldige mich für jeden Satz, für die letzte E-Mail, ich habe es jetzt begriffen, ich habe alles verstanden, gib mir noch eine Chance, ich mache alles anders, ich werde so anders sein, dass ich gar nicht mehr ich selber bin, gib uns doch diese letzte Chance, Baby, ich entschuldige mich, ich entschuldige mich, ich entschuldige mich für mich und alles, was ich bin.

Was du bekommst: manchmal eine Antwort auf dein Geschrei. Eine Nachricht, dass ihr ja Freunde bleiben könnt. Du bist echt ein toller Kerl, wirklich, total. Du bist echt eine beeindruckende Frau. Vergiss das nicht, Baby. Aber jetzt, jetzt solltet ihr erst einmal Abstand halten. Das sagen sie so: Lass doch erst einmal ein bisschen Zeit vergehen. Du starrst dein Telefon an oder deinen Laptop und fragst dich, ob deine Zeitrechnung plötzlich eine andere ist. Denn die Tage dauern jetzt doppelt so lange und eine Minute besteht aus tausend Gefühlen und eine Woche ist jetzt ein Kraftakt aus Warten und Hoffen, Beben und Beten, aus Verzweiflung und Angst, und das bisschen Schnaps kann nicht löschen, was immerzu in dir brennt, sondern macht aus den Gedanken Stichflammen, die sich durch deinen Bauch brennen. Deine Synapsen schreien, dein Kopf schmerzt und alles, woran du denken kannst, ist: Das ist nicht echt, das passiert alles gar nicht, morgen wache ich auf und das hier hat ein Ende, ich werde wieder glücklich sein, glücklich und jemand, dem man sagt, dass er geliebt wird, und dann lasse ich mich in die Kissen zurückfallen und alles ist gut, es war nur ein schlimmer Traum, morgen ist es vorbei.

Aber es hört nicht auf und du willst dich abwerfen, abstreifen und loswerden, du willst, dass die Men in Black kommen und dich blitzdingsen, dass du einfach vergisst und wieder so alt bist wie an dem Tag, an dem ihr euch kennengelernt habt, bloß wirst du dieses Mal nicht in diese Bar gehen, nicht den Bus nehmen, nicht auf das Lächeln antworten. Du wirst dich einfach umdrehen und dich niemals verlieben und sowieso wirst du dich nie wieder verlieben, wenn das hier der Preis ist, den du bezahlen musst, dann verzichtest du, vielen Dank, aber nein, ich bin schon bedient worden, aber so was von.

Manchmal fragt dich jemand, wie es dir so geht, und du sagst sofort: ok. Denn mehr ist gerade nicht drin, mehr kann man ja wohl nicht erwarten. Dir geht es ok, auch, wenn eigentlich gar nichts ok ist und du nur darauf wartest, endlich nach Hause zu gehen, dir die Decke über den Kopf zu ziehen und laut zu schreien: Es ist gar nichts ok, gar nichts, verdammt, aber auch wirklich nichts. Trotzdem lächelst du, muss ja keiner wissen, wie schlimm es um dich steht, darf ja keiner ahnen, dass du die meiste Zeit gar keine Luft mehr bekommst, weil du nicht mehr weißt, wie man eigentlich atmet, wie man Luft bekommt, wenn man vergessen hat, wie sich Gehen ohne tausend Kilo Gepäck aus Vermissen und Vergessenmüssen anfühlt.

Du schleichst durch die Straßen und durch die Tage, du hast den Kopf gesenkt, so tief, dass er zu nah am Herzen ist. Und das sind dann die Momente, in denen du im Bus zu heulen anfängst, weil das nicht auszuhalten ist, wenn das Herz im Kopf sitzt und keiner was dagegen machen kann außer diese ominöse »Zeit«, von der alle immer reden, die dir aber leider gerade gar keine Hilfe ist, weil sie sich einfach über Nacht auf ihr Dreifaches ausgedehnt hat und so langsam ist, wie du es neuerdings bist.

Du trinkst und du gehst aus. Weil du deine »neue Freiheit« ja jetzt genießen sollst. In der Menge suchst du nach dem Gesicht, das du inzwischen ohnehin in jedem anderen wiedererkennst. Du siehst ständig Gespenster – einen Hinterkopf, der ihrer sein könnte, eine Brille, ein Lächeln, eine Geste, ein Fahrrad, das ihm gehören könnte. Und immer bleibt für einen winzigen Moment das wilde Herz stehen, immer irrst du dich, immer hast du nicht richtig hingesehen, dann senkst du deinen Kopf und atmest ein und atmest aus und weißt nicht mehr, was schlimmer wäre: wenn sie wirklich hier auftauchen würde, wenn er wirklich dort drüben an der Theke stünde – oder wenn nicht. Denn das ist jetzt das Paradox deines Lebens, der immerwährende Schmerz: Du vermisst und du verreckst vor Sehnsucht, aber du willst ihn nicht sehen, du willst sie nicht anfassen, nicht treffen und auch nicht zufällig, wenn das bedeutet, dass sie nicht auf dich zugelaufen kommt und dich umarmt, dass er nicht seine Hand in deinen Nacken legt und leise sagt: Es ist schön, dich zu sehen. Dann verzichtest du lieber ganz darauf, dann bist du eigentlich froh, wenn du dich irrst.

Und trotzdem ist da dieses Sehnen und dieses Quälen, das Warten deiner Tage. Du glaubst noch immer, dass sie vielleicht zurückkommt oder dass er endlich anruft. Nichts davon passiert und mit den Stunden und den Tagen, den Wochen und den Monaten gibst du langsam das Hoffen auf. In den schlimmen Momenten schickst du eine Nachricht, die du am nächsten Tag bereust. In den schlimmen Momenten krümmst du dich noch manchmal zusammen und hältst es kaum aus. In den schlimmen Momenten schaust du dir noch mal die Bilder an und fragst dich, wann das nicht mehr wehtun wird. In den schlimmsten Momenten weißt du jetzt, dass es wirklich vorbei ist.

Die Zeit hat dir am Ende doch geholfen, auch wenn du weißt, dass ein Geruch, ein Moment, ein kleiner Augenblick ausreichen würde, damit die Bilder wiederkommen. Dass sie immer noch anrufen könnte, dass er immer noch vor der Tür stehen und fragen könnte: Kann ich zurückkommen? Und deine Antwort wäre noch immer: Ja.

Die Unendlichkeit des Jetzt

1

Samstag, 05:23h

Der Himmel über St. Pauli ist grau. Das ist er häufig, trotzdem kenne ich ihn bloß, wenn er schwarz ist. Schwarz und ohne Sterne, weil hier die Straßen so hell sind, dass man wenn man zum Himmel blickt, immer nur Variationen von Schwarz erkennt. Eigentlich ist das schön, weil Schwarz gar keine Farbe ist, sondern alle Farben. Natürlich ist das bloß einer dieser kitschigen Gedanken, mit denen man rettet, was regelmäßig nicht mehr zu retten ist: Himmel voller Lichtsmog; dass am Ende meistens nicht »alles« gut wird, sondern höchstens ein Drittel; diese Nacht.

Neben mir erbricht sich Micha seit einer halben Stunde, während Miriam beruhigend auf ihn einredet. Immer wieder würgt er, bis nur noch Galle auf den Asphalt tropft und er seinen Kopf zurück auf seine Knie sinken lässt. Miriam liebt Micha schon seit drei Jahren. Deshalb sitzt sie jetzt auch hier, die Kotze vor sich, ein Herz in sich, das einen Jungen will, der gar nichts will, außer endlich zu schlafen.

5:23h. St. Pauli ist noch wach und ich unendlich müde. Ich drehe mich weg von dem Gestank, lehne mich an die Hauswand, schließe die Augen und versuche auszurechnen, wie viele Tage ich schon lebe.

2

Samstag, ab 00:01h

Eine Liste der Anrufe und Nachrichten ab 00:00h (Auswahl):

Marlene:

Annnnnnnnnnaaaa! Du hast Geburtstag! Und ich wäre so gerne bei dir, Baby. Ich hoffe, du bist unfassbar betrunken und jemand knutscht dich in genau diesem Moment. Ich denke sooooo sehr an dich, Anna! Es folgen Schmatzgeräusche, die wohl in den Hörer geworfene Küsse sind. Ein Lachen.

(00:01h, Mailbox)

Mama:

27, meine Güte, so alt bist du schon. Das meine ich natürlich jetzt nicht so, wie du es bestimmt wieder verstehst. Das ist ein tolles Alter! Geh ran, Anna, ich würde so gerne persönlich mit dir sprechen. Ich versuche es morgen früh noch mal, ja? Feier schön, deine Mama denkt an dich.

(00:01h, Mailbox)

Lars:

Geil, geil, geil, Geburtstagsanna! Ich wünsche dir alles Glück dieser beschissenen Welt, auf dass es Männerherzen und Kuchen auf dich regnet, du steiles Gerät.

(00:17h, WhatsApp)

Keine Nachricht:

Johannes

3

Freitag, 19:59h

Vor dem Spiegel stehen, die Haare föhnen, Make-up, Rouge, Lidstrich, Wimperntusche, Augenbrauenstift, Lippenstift, Puder, das Kleid anziehen, die Strumpfhose, die dünne schwarze Jacke, die hohen Schuhe, die Haare zusammenbinden, mein Gesicht im Spiegel, im Hintergrund: Bücher, Zeitungen, Kleider, die achtlos auf den Boden geworfen wurden (von mir), Aschenbecher mit ausgedrückten und halbgerauchten Zigaretten (von Miriam und mir), ein nicht gemachtes Bett (von mir), ein hastig aufgerissener Brief (von Johannes), darin:

Ich habe jeden Tag an dich gedacht. Ich hoffe, es geht dir gut. J.

4

Freitag, 21:32h

Natürlich fragen sie. Fragen: Wie geht es dir? Fragen: Wie lange hast du schon nicht mehr mit ihm gesprochen? Fragen: Bist du nicht langsam darüber hinweg? Natürlich, sage ich. Natürlich geht es mir gut, schon sehr lange, ja. Dabei lächle ich, dabei reiße ich die Augen auf, zwinge mich, ihren Blicken standzuhalten. Das wird schon, so schlimm ist es nicht, das Leben geht weiter, am Ende ergibt alles immer einen Sinn, ja ja, ich weiß, ich gehe mal kurz auf die Toilette, entschuldigt mich. Ich lehne meine Stirn an die Fliesen oder an die Tür der Kabine und versuche, das wilde Meer in mir zu beruhigen. Atmen, Anna, immer atmen. Nicht schwimmen gehen, nicht am Anker festklammern oder an der Boje, nicht untergehen, nicht eintauchen in den Schwindel und in die Atemnot, nicht nachgeben, bis es vorbei ist.

Manchmal dauert es ein paar Minuten, manchmal auch zwanzig. Nie länger als eine halbe Stunde, es wird nie so laut, dass jemand mein Schluchzen hören könnte. Die Trauer beeilt sich mittlerweile, ich habe sie gezähmt und erzogen, ich habe ihr beigebracht, sich nicht langsam anzuschleichen, um dann Tage oder Wochen zu bleiben, sondern mit Gewalt zu kommen, schnell, heftig und ziemlich überwältigend, wie ein Krampf, wie eine Naturgewalt, die über mich hinwegzieht. Ich kann sie umklammern und im Zaum halten, ich kann dafür sorgen, dass sie mich nicht ganz ausfüllt, sondern bloß die Ecken und Löcher flutet, bloß jene Gebiete, in die ich mich bei Tageslicht und nüchtern nicht mehr hineintraue. Diese Gebiete liegen zwischen den Erinnerungen und sind aus Schwarz, sind aus Sprachlosigkeit und dumpfem Kopfschmerz.

Ich lehne meinen Kopf an die Scheibe der U-Bahn, die mich nach St. Pauli fährt. Dort warten sie schon auf mich, in der Bar mit dem schönen Namen, der nach Kaugummi und Himmel klingt. Sie werden alle da sein, weil sie nicht mehr meine Freunde, sondern meine Beobachter geworden sind. Doppelagenten, die sich gegenseitig über meinen Zustand informieren. Sie wissen nicht, dass ich es weiß, dass ich von ihren Gesprächen weiß, die sie wöchentlich miteinander führen, in denen sein Name und meiner einander abwechseln – meiner besorgt, seiner wütend ausgesprochen. Sie sprechen über diese eine Nacht, über mich, über ihn, am Ende über sich, weil das ja auch deprimierend ist, so eine hoffnungslose Angelegenheit, in der die eine immer heult und der andere immer schweigt. Da muss man sich sorgen, da muss man mal nachfragen, da muss man sich aber auch ablenken, denn das ist Krieg, und der findet nicht im eigenen Land statt, und ohnehin ist das Feld längst geräumt, die Truppen abgezogen und das umkämpfte Gebiet eine Stadt in Trümmern.

5

Freitag, 23:32h

Alles ist versaut von dir: Dieser Club, die Straße, in der er liegt, alle Menschen darin, die ganze Stadt, alles versaut von dir und den Erinnerungen an dich. Hier haben wir getanzt und hier haben wir uns geküsst, hier hast du deine Hand unter meinen Rock geschoben, und als ich dich ein wenig ablehnte und in die Kuhle deines Halses flüsterte, dass alle sehen können, dass dein Finger gerade dabei ist, in mich einzudringen, da hast du gelächelt und geflüstert: Ich muss jetzt in dir sein, irgendwas von mir muss in dir sein, sonst verliere ich den Halt.

6

Freitag, 23:51h

Dinge, die du mir beigebracht hast:

Wieder zu essen

Wieder schlafen zu können

Wieder zu lesen

Wieder zu weinen

Atmen und Luft anhalten gleichzeitig

So sehr zu brennen, dass danach nur Asche und Staub bleiben nur eine Stadt voller Trümmer, ein Herz wie eine Mördergrube, ein Bauch voller Angst, ein Kopf, der nicht mehr richtig funktioniert, Augen, die Gespenster sehen, eine Erschöpfung, die so maßlos wie unerträglich ist, ein Jahr im Koma, zwölf Monate, in denen dein Gesicht in jedem anderen war, deine Stimme wie ein Film, der immer läuft, aus dem Off deine Regie-Anweisungen: Vergiss mich nicht, Anna, vergiss uns nicht, vergiss nicht, wie sehr du lieben kannst, wie sehr du brennen kannst, wie schön du bist, vergiss das nicht, Anna, vergiss es nicht.

Es wird niemals alles gut, sondern höchstens ein Drittel.

Freitag, 23:52h

»Noch zehn Minuten«, sagt Micha und reicht mir ein Glas Irgendwas. Es ist mir egal, ich trinke, was man mir reicht, ich nehme, was ich kriegen kann, wir stoßen an, auf die Liebe und auf die Wahrheit und lachen dabei ein bisschen zynisch, stellen die Gläser wieder auf die Theke – und wischen uns die Münder ab, zünden Zigaretten an, vielleicht sind wir doch Freunde, vielleicht ist um mich gerade mehr Liebe als ich ertragen kann, vielleicht will ich lieber alleine sein und vielleicht auch nicht, warum reicht es einfach nicht, warum reichen alle Freunde der Welt nicht, wenn du keiner von ihnen bist, warum sitzen acht Menschen neben mir und um mich, lachen, trinken und unterhalten sich, warum bist du nicht da, warum bist du nicht da, warum bist du nicht da?

Wir zählen irgendwann Sekunden, 10, 9, 8, es ist mir egal, 7, 6, 5, mir wird übel, 4, 3, 2, ich will weg, ich muss hier fort, ich muss, 1, zu dir, zu dir, zu dir.

7

Irgendwann im Dezember

Das Messer ist so scharf, dass ich den Schnitt kaum spüre. Es dauert nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde und das Blut fließ schon aus meinem Fuß. Du sagst: Halt einen Finger darauf. Du sagst: Ich beeile mich, Moment. Du drückst deine Hand auf meinen Fuß und siehst mich ruhig an. Du sagst: Jetzt sind wir Blutsgeschwister. Du lachst und küsst mich. Du drückst mich auf dein Bett, küsst mich stürmischer, brutaler, du zerrst mit deiner blutigen Hand mein Höschen runter, flüsterst: Ich werde dich heiraten, Anna, ich werde Kinder mit dir haben, ich werde dich nicht verlassen. Ich weine in deine Worte hinein, ob aus Rührung oder aus Trauer, aus Angst oder aus Liebe ist doch egal, ich weine, und meine Tränen mischen sich mit dem Blut an deiner Hand, die mein Gesicht streichelt, und als du kommst, sagst du meinen Namen, immer wieder: Anna, Anna, Anna, Anna, Anna, Anna.

Später liegen wir auf der Matratze und halten uns an den Händen und ich betrachte meinen Fuß, an dem das Blut längst getrocknet ist, und denke: Natürlich habe ich den Fuß und du die Hand gewählt. Ich kann nicht mehr von dir fortlaufen und du kannst nicht mehr nach fremden Gesichtern und Haaren greifen, sollst dich nicht mehr sehnen nach all den Mädchen, an denen nichts besser oder schöner, nichts mehr als an mir ist, nur das Eine: Sie sind nicht ich.

8

Samstag, 01:11h

Mein Tanzen ist ein Schreien, ich tanze, bis ich keine Luft mehr bekomme, ich trinke, bis ich nicht mehr denken muss, ich drehe mich im Kreis, bis alles verschwimmt, im Kopf immer nur deinen scheiß Namen, im Kopf immer nur deine scheiß Visage, deine scheiß Hände, deine scheiß Angst, deine scheiß letzte Nachricht. Ich tanze und ich denke an nichts mehr außer an dich, ich denke daran, wie oft du hier bist, dass wir uns abwechseln: Ich weiß von den Tagen, an denen du hierherkommst und meide sie, komme bloß an diesen Ort, wenn ich mir sicher bin, dich dort nicht zu finden. Wir begegnen uns nie zufällig, wir leben in der gleichen Stadt und laufen uns doch nie über den Weg und ich fahre jeden Tag an der Kreuzung vorbei, von der aus es zu dir nur zwei Minuten sind, ich hasse diese scheiß Kreuzung, ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich so sehr.

9

Irgendwann im Januar

Sechs Packungen. Badezimmerboden, Übelkeit, Schlaf, endlich Schlaf, mir egal, alles so egal, deine Stimme immer noch da, immer da, immer wieder: Anna, Anna, Anna, wie sehr ich dich mag, ich werde nicht gehen, ich will nicht, ich kann nicht, geh, Anna, geh endlich, ich ertrage es nicht mehr, es ist vorbei, Anna, kapierst du das nicht, Mädchen?, das ist die Mailbox von Johannes, bitte hinterlassen Sie keine Nachricht.

Zwei Minuten Atemstillstand. Zwei Ärzte, drei Schwestern, ein Satz (Das ist gerade noch mal gutgegangen), ein Blick (meiner Mutter), eine Hand (Miriams), eine Nachricht (Ich glaube nicht, dass ich oder irgendjemand anders dir noch helfen kann. Johannes), ein kaltes Bett in einem kargen Raum (Psychiatrie des Krankenhauses, Erdgeschoss, geschlossene Abteilung, geschlossene Gesellschaft, warten auf …).

10

Samstag, 06:40h

Miriam streichelt sacht Michas Kopf. Ich glaube, dass er eingeschlafen ist. Ihr Blick sucht meinen und sie lächelt. Lächelt das Lächeln eines Menschen, der eben nicht anders kann. This is love, this is love. Scheiß auf Biochemie, scheiß auf alle Zweifel dieser Welt: Das ist eben Liebe. Und die ist immer genau jetzt.

Häng dich auf

Alles begann mit der Wäsche, die sie für dich aufgehängt hat. Hätte sie doch bloß niemals die Wäsche aufgehängt. Dann hättest du niemals deine Meinung über sie geändert und alles wäre so geblieben, wie es war. Und schön war es nicht. Es war nicht gut, nicht leicht – es war anstrengend und zermürbend und es war die furchtbarste Zeit deines Lebens. Abgesehen natürlich von der, die dann kam.

Die Wäsche hing ganz still auf dem Ständer, sortiert aufgereiht, deine Bettlaken und deine Unterwäsche, alles in Reih und Glied und so ordentlich, wie du sie niemals aufgehängt hättest. Du gingst direkt in dein Schlafzimmer, um zu schauen, ob sie noch da war. Natürlich wusstest du, dass sie nicht mehr dort liegen würde, so schön und nackt wie am Morgen, als du eilig die Wohnung verlassen hattest. Natürlich wusstest du das. Aber du standest in der Schlafzimmertür und sahst auf das gemachte Bett (auch das hatte sie für dich getan) und auf das geöffnete Fenster und für einen Moment spürtest du ihre Anwesenheit noch, für einen Augenblick sahst du dich dort noch liegen, dich und sie, ein Menschenknäuel, das die Augen kaum öffnen kann, weil die Nacht zu kurz war und der Morgen zu schnell da, weil die Wärme euch noch in den Armen und Beinen steckte und in den Köpfen, die ihr dicht beieinandergehalten hattet.

Du sahst euch, wie ihr am Abend zuvor nebeneinander, ineinander eingeschlafen wart, ihre Hand um deine Wangen, als hielte sie sich fest an dir, und deine Hand an ihrem Hinterkopf, versteckt in ihren Haaren. Du hast ihrem Atem zugehört, den Zuckungen ihres Körpers, ihrem Herzschlag, du hast ihr zugehört und der Ruhe ihres Schlafes, bis du schließlich selber eingeschlafen bist.

Und du weißt noch, dass du dachtest, dass das alles gar nicht wahr sein kann. Dass das alles ausgedacht ist, dass es nicht echt ist, dass ihr nicht echt seid, nicht wirklich da sein könnt, weil ihr zu plötzlich da wart, zu plötzlich beieinander, um zu begreifen. Du dachtest, dass du nicht weißt, was du fühlst. Du dachtest, dass du jetzt, jetzt in diesem Augenblick überhaupt nirgendwo lieber sein möchtest. Du dachtest, dass das alles das Verrückteste ist, das du je getan hattest. Weil du etwas fühltest. Und du fühltest doch eigentlich gar nichts mehr. Du warst doch abgeschaltet und bereit, auch so zu bleiben. Du warst doch eigentlich gar nicht mehr da. Und doch: Da lag sie neben dir und ihre Hand an deinem Gesicht und ihr Schlaf in deinem Bett.