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Sieben verfluchte Elfenprinzen
Sieben verlorene Königreiche
Eine Wahrheit, die alles verändert
Eine Liebe, die ihr Schicksal besiegelt
»In diesen Neuerzählungen der Grimms Märchen steckt so viel Herzblut, und Scarlett schafft es auf unglaubliche Weise, einen in eine Welt zu entführen, aus der man nie wieder auftauchen möchte.« READ_LIKETHERESNOMIDNIGHT
Zwei Novellas von Bestseller-Autorin Scarlett St. Clair
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Seitenzahl: 603
Veröffentlichungsjahr: 2025
Titel
Zu diesen Büchern
Glossar
Die Sieben Brüder & ihre Sieben Königreiche
Leser:innenhinweis
Mountains Made of Glass
Kapitel Eins
Kapitel zwei
Kapitel Drei
Kapitel Vier
Kapitel Fünf
Kapitel Sechs
Kapitel Sieben
Kapitel Acht
Kapitel Neun
Kapitel Zehn
Kapitel Elf
Kapitel Zwölf
Kapitel Dreizehn
Kapitel Vierzehn
Kapitel Fünfzehn
Kapitel Sechzehn
Kapitel Siebzehn
Kapitel Achtzehn
Kapitel Neunzehn
Kapitel Zwanzig
Kapitel Einundzwanzig
Kapitel Zweiundzwanzig
Anmerkung der Autorin
Apples Dipped in Gold
Kapitel Eins
Kapitel Zwei
Kapitel Drei
Kapitel Vier
Kapitel Fünf
Kapitel Sechs
Kapitel Sieben
Kapitel Acht
Kapitel Neun
Kapitel Zehn
Kapitel Elf
Kapitel Zwölf
Kapitel Dreizehn
Anmerkungen der Autorin
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von Scarlett St. Clair bei LYX
Triggerwarnung
Impressum
Scarlett St. Clair
Mountains Made of Glass
Apples Dipped in Gold
Roman
Ins Deutsche übertragen von Silvia Gleißner
Geselas Heimatdorf ist seit Generationen verflucht, und nun liegt es an ihr, den Frosch zu töten, der die Quelle von Elk verzaubert hat. Doch dieser ist in Wahrheit ein Elfenprinz – und mit seinem Tod zieht Gesela den Zorn seiner Brüder auf sich! Zur Strafe wird sie an den Hof von Casamir, dem siebten Bruder, verbannt. Anstatt eines Monsters erwartet Gesela ein gut aussehender Fae, der ihr einen verlockenden Deal anbietet: Wenn sie seinen wahren Namen herausfindet, ist sie frei. Aber nichts ist so, wie es scheint – und die Leben der beiden werden sich für immer verändern …
Als ein attraktiver Prinz um Samaras Hand anhält, ist dies ihre Chance auf ein Leben weit weg von ihren gewalttätigen Brüdern. Aber auf dem Weg in ihre neue Heimat wird sie von Lore, dem bösen Prinzen von Nightshade, entführt. Doch Rache an den Menschen ist nur ein kleiner Teil seines Plans. Tatsächlich sehnt sich der Elfenprinz seit sieben langen Jahren nach Samara. Sie ist alles, woran er denken kann – ein Gift in seinem Blut. Kann er ein Heilmittel finden, oder wird er ihrer Liebe erliegen?
Dieses Glossar soll Einblick in den Ursprung der Kreaturen und Wesen in Mountains Made of Glass bieten.
Weibel/Hexe: In Märchen ist ein Weibel oder eine Hexe häufig eine alte Frau. Sie kann böse Absichten haben, aber ich finde, sie kann auch eine mehrdeutigere Rolle annehmen. Manchmal verflucht sie die Heldenfigur oder trägt ihr Aufgaben auf, und diese muss dann das Hindernis überwinden, indem sie ihre Tugendhaftigkeit beweist. Für gewöhnlich ist sie der Auslöser für die Veränderung der Heldenfigur, was sie in Geschichten zu einem sehr mächtigen Geschöpf macht.
Red Caps: Eine Art Goblin. In Mountains Made of Glass werden diese Goblins Rotmützen genannt, weil sie ihre Mützen in das Blut ihrer Opfer tauchen. Doch in anderen Märchen nennt man sie nur deshalb Redcaps, weil ihre Mützen rot sind. Je nach Ursprung des Märchens gibt es verschiedene Arten von Redcaps, und nicht alle von ihnen sind bösartig.
Naturgeist: Ein Feenwesen. Naturgeister sind sehr winzig und werden für gewöhnlich von Wasser angezogen. Sie sind temperamentvoll und können eine Person in den Wahnsinn treiben.
Pixie: Ein Feenwesen. Pixies können auch Hausfeen sein und werden manchmal als boshaft beschrieben. Sie spielen gern Streiche.
Brownie: Brownies werden als Geister beschrieben, häufig als Geist eines verstorbenen Verwandten. Manchmal werden sie als Feen oder Hobgoblins klassifiziert, weshalb ich sie in dieser Nacherzählung verwendet habe. Für gewöhnlich sind sie männlich, doch es gibt auch einige weibliche, die angeblich im Haushalt helfen.
Magischer Spiegel: Eine Anspielung auf die Geschichte von Schneewittchen. Genau genommen basiert das Märchen wohl auf einer echten Person: Maria Sophia Margaretha Katharina von Erthal, die in einer Glasmacherregion lebte. Man munkelte, die Spiegel, die dort hergestellt wurden, seien von so »außerordentlicher Qualität und das Glas so rein«, dass die Spiegel immer die Wahrheit sagten.
Elfen: Feenwesen. In dieser Geschichte arbeite ich mit zwei Arten von Elfen: Im Prinzip »menschenähnlichen« und »feenähnlichen« Elfen, die klein sind. Beide scheinen je nach Ursprung in der Folklore zu existieren. Ich habe die Geschöpfe im Kleiderschrank als Elfen identifiziert, als Bezug auf »Die Elfen«, ein Märchen über einen Schuhmacher, der sehr arm ist und Hilfe von kleinen Elfen bekommt, die Schuhe herstellen.
Selkie: Selkies stammen aus irischen Mythen und Legenden. Ihre wahre Gestalt ist die einer Robbe, doch an Land können sie ihr Fell abstreifen und menschlich werden. Ohne ihr Robbenfell können sie nicht ins Meer zurückkehren.
Faun: Ein Geschöpf, halb Mensch, halb Ziege. Sie sind mehr eine Art Naturgeister, vor allem in Bezug auf die griechische Mythologie. In dieser Nacherzählung habe ich sie als eine Gattung von Feenwesen betrachtet.
Feenland: Bezug auf irische Märchen von W. B. Yeats, in denen er das Land der Feen als Feenland bezeichnet. In Mountains Made of Glass gilt alles Land, das von Feenwesen bewohnt wird, als Feenland.
Die Gläsernen Berge: Die Gläsernen Berge nehmen in Märchen auf der ganzen Welt verschiedene Rollen ein. Auf ihnen wachsen Bäume mit goldenen Äpfeln, sie bieten Zuflucht oder dienen als Hindernis für den Helden, der sie überwinden muss, um – für gewöhnlich – eine Prinzessin zu erreichen. In Grimms Märchen tauchen sie in Der Eisenofen, Die sieben Raben, Die Rabe, Der Trommler und Oll Rinkrank auf.
Der Verzauberte Wald: In Märchen ist der Verzauberte Wald ein Symbol für Veränderung und Verwandlung.
Casamir: Das Königreich Thorn
Lore: Das Königreich Nightshade
Silas: Das Königreich Havelock
Eero: Das Königreich Foxglove
Talon: Das Königreich Hellebore
Cardic: Das Königreich Larkspur
Sephtis: Das Königreich Willowin
Liebe Leser:innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.
Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!
Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer LYX-Verlag
Nur so zum Spaß.
DIE KRÖTE IM BRUNNEN
Die Gans hing an den Füßen von einem tiefen Ast herab und blutete in einen Eimer aus. Bei jedem Blutstropfen, der platschend in der dunklen Flüssigkeit landete, zuckte ich zusammen. Das Geräusch war nicht zu überhören, selbst während ich Holz hackte, um mein Herdfeuer für den aufziehenden Sturm in Gang zu halten. In den wenigen Minuten, die ich nun draußen war, hatte es sich deutlich abgekühlt, dennoch war ich schweißgebadet.
Hitze loderte in mir, das Blut tropfte unaufhörlich, und der Schlag meiner Axt klang wie ein Blitzschlag in der Talsenke, in der ich lebte, am Fuße der Bäume des Verzauberten Waldes. Ich konnte ihren Blick fühlen, düster und feindselig, doch er war vertraut. Ich war unter ihren Augen aufgewachsen. Die Bäume hatten meine Geburt mitangesehen, den Tod von Mutter und Vater und die Ermordung meiner Schwester.
Vater hatte immer behauptet, der Wald sei verhext, aber ich glaubte etwas anderes. Meiner Meinung nach war er ganz und gar nicht verzaubert. Er war bloß lebendig und ebenso real und empfindsam wie die Feenwesen, die darin hausten. Von dunkler Magie waren eben diese Feen, und sie waren uns genauso feindlich gesinnt wie der Wald.
Meine Muskeln wurden steifer, mein Kiefer angespannter, und meine Gedanken verloren sich in aufsteigenden Erinnerungen, die vom gleichen Rot durchtränkt waren wie das tropfende Blut.
Tropf.
Weiße Haut, blutüberströmt.
Tropf.
Haare wie gesponnenes Gold, in Rot getaucht.
Tropf.
Ein Pfeil in der Brust einer Frau.
Nicht irgendeiner Frau – sondern meiner Schwester.
Winter.
Mein Herz schmerzte, voller Leere von jedem Verlust.
Meine Mutter starb als Erste, kurz nach meiner Geburt. Meine Schwester war die Nächste, und mein Vater, krank vor Trauer, folgte ihr bald darauf. Ich war nicht genug gewesen, um ihn zu retten, um ihn hier auf der Erde zu halten, und obwohl der Wald sie mir nicht alle eigenhändig entrissen hatte, gab ich ihm trotzdem die Schuld.
Ich gab ihm die Schuld an meinem Schmerz.
Ein tiefes Ächzen erschütterte den Boden, und ich hielt inne, senkte meine Axt und versuchte, trotz Dämmerung im Dickicht die Quelle des Geräuschs auszumachen. Der Wald schien näher und näher zu kriechen, und der Hain, in dem mein Haus eingebettet lag, wurde mit jedem Tag kleiner. Bald schon würde sein Unheil uns alle verzehren.
Ich schnappte mir den Eimer unter der Gans und schleuderte seinen Inhalt in Richtung der Bäume, sodass nun eine blutrote Linie die von Laub bedeckte Erde verdunkelte.
»Hattest du noch nicht genug Blut?«, rief ich wutschäumend und bebte vor Zorn. Doch der Wald nahm meine Opfergabe stumm hin, und ich blieb mit einem Gefühl der Erschöpfung zurück.
»Gesela?«
Ich erstarrte, als ich Elsies leise Stimme vernahm, und wartete, bis der Druck hinter meinen Augen nachließ und es mir gelang, den fetten Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte, hinunterzuschlucken. Erst dann drehte ich mich zu ihr um. Früher, bevor der Wald meine Schwester geholt hatte, hätte ich Elsie eine Freundin genannt. Doch nachdem sie fort war, wandten sich alle von mir ab. Ein Teil von mir konnte es Elsie nicht verdenken. Ich wusste, dass man ihr befohlen hatte, sich von mir fernzuhalten, zunächst ihre Eltern, dann jene Dorfbewohner, die sich jeden Monat versammelten. Sie fürchteten, ich sei mit einem Fluch belegt, der mir alle nahm, die ich liebte – und auch ich zog diese Möglichkeit in Betracht.
Elsie war blass, bis auf ihre rosig roten Wangen. Ihre bleiche Hautfarbe ließ ihre Augen dunkler wirken, beinahe indigofarben. Ihr Haar hatte sich teilweise aus ihrem Dutt gelöst und formte nun einen zart schimmernden Glorienschein um ihren Kopf.
»Was ist los, Elsie?«
Ihre Augen waren weit aufgerissen, ganz ähnlich wie es die meiner Schwester im Tode gewesen waren. Etwas hatte sie in Angst und Schrecken versetzt. Vielleicht ja ich.
»Der Brunnen ist ausgetrocknet«, brachte sie heiser hervor und leckte sich über die gesprungenen Lippen.
»Und was soll ich da tun?«, wollte ich wissen. Doch ihre Worte hinterließen ein Gefühl des Grauens in meiner Magengegend.
Einen Moment lang zögerte sie, bevor sie wisperte: »Du bist an der Reihe, Gesela.«
Ich hörte, was sie sagte, ignorierte es jedoch geflissentlich und bückte mich, um meine Axt aufzuheben. Auch ohne weitere Erklärung wusste ich, was sie damit meinte. Ich war an der Reihe, die Konsequenzen für den Fluch über unser Dorf Elk zu tragen.
Schon seit meiner Kindheit war Elk mit einem Fluch belegt, immer wieder unter Flüchen zu leiden. Niemand war sich einig darüber, wie oder warum der Fluch seinen Anfang genommen hatte. Manche beschuldigten einen Händler, der ein Versprechen gebrochen hatte, das er einer Hexe gegeben hatte. Andere behaupteten, es sei ein Schneider gewesen. Wieder andere dichteten es einer Jungfer an, und einige wenige gaben den Feen und einem fehlgeschlagenen Handel die Schuld.
Was auch immer der Grund war, jedes Mal wurde ein Bewohner von Elk auserwählt, um den jeweiligen Fluch zu beenden. Diese konnten mitunter so simpel wie ein Befall von schmerzhaften Beulen sein, manchmal wiederum so verheerend wie von Heuschrecken vernichtete Ernten. Es hieß, die Auswahl sei zufällig, doch alle wussten es besser. Der Bürgermeister von Elk nutzte die Flüche, um seine Stadt von jenen zu befreien, die er nicht für würdig erachtete. Denn letztendlich konnte kein Dorfbewohner einen Fluch ohne schwerwiegende Folgen bezwingen.
Wie meine Schwester.
Ich ließ die Axt herabsausen und teilte das Holz mit so viel Kraft, dass die Klinge noch den Baumstamm darunter spaltete.
»Ich nutze den Brunnen nicht«, sagte ich. »Ich habe meinen eigenen.«
»Es lässt sich nicht ändern, Gesela«, entgegnete Elsie.
»Aber es ist nicht fair«, widersprach ich und schaute sie an.
Ihr Blick huschte nach rechts. Ich erstarrte, wandte mich um und sah, dass die Dorfbewohner von Elk sich hinter mir aufgestellt hatten wie eine Reihe bleicher Geister. Bis auf Sheriff Roland, der an der Spitze stand. Er trug eine vornehme Uniform, deren Blauton dem eines Frühlingshimmels glich, und sein Haar, so golden wie die Sonne, ringelte sich wie wilde Weinreben.
Die Frauen von Elk nannten ihn gut aussehend. Ihnen gefiel sein Lächeln mit den Grübchen und dass er Zähne hatte.
»Gesela«, rief er und trat näher. »Der Brunnen ist versiegt.«
»Ich nutze den Brunnen nicht«, wiederholte ich.
Seine Miene war ausdruckslos, als er antwortete: »Es lässt sich nicht ändern.«
Meine Kehle war wie zugeschnürt. Mir war sehr wohl bewusst, wie Elsie und Roland sich um mich herum positioniert hatten: Elsie in meinem Rücken und Roland schräg vor mir. Es gab kein Entkommen. Selbst wenn ich gewollt hätte – der einzige Ausweg war der Wald hinter mir, und unter seinem Blätterdach Zuflucht zu suchen, wäre dasselbe, als wenn man den Tod mit offenen Armen willkommen heißen würde.
Ich sollte sterben wollen, dachte ich. Es war ja nicht so, als wäre mir etwas geblieben. Trotzdem wollte ich den Bäumen nicht meine Knochen zum Fraß vorwerfen.
Ich trocknete meine feuchten Handflächen an der Schürze ab, während Roland beiseitetrat, ohne den Blick von mir abzuwenden. Elsie legte mir eine Hand in den Rücken, ich schauderte unter ihrer Berührung und wich einen Schritt zurück, um ihr zu entgehen. Als ich an Roland vorbei war, folgten er und Elsie mir auf dem Fuße und trieben mich auf die Dorfbewohner zu, die so still dastanden wie eine Zaunreihe.
Ich kannte sie alle samt ihrer Geheimnisse, doch das hatte ich ihnen nie offenbart, weil sie sich auch meiner gewiss waren.
Niemand gab einen Ton von sich, aber als ich näher kam, rührten sich die Leute von Elk – einige gingen vor mir her, einige neben mir und einige hinter mir, sodass ich eingeschlossen war wie in einem Käfig.
Roland und Elsie blieben in meiner Nähe. Mein Herz fühlte sich an, als würde es in meinem ganzen Körper pochen. Ich dachte an die anderen Flüche, die gebrochen worden waren. Alle ganz verschieden. Ein Dorfbewohner war durch den Verzauberten Wald gewandert und hatte im Garten einer Hexe eine Blume gepflückt. Sie hatte ihn verflucht, ein Bär zu werden. Verzweifelt war er nach Elk zurückgekehrt und mit einem Pfeil ins Auge erschossen worden. Erst nach seinem Tod erfuhren wir, wer er war. Am nächsten Morgen griff dann ein Schwarm Sperlinge den Jäger an, der den Bären getötet hatte, und pickte ihm die Augen aus.
Es gab auch einen Baum, an dem einst goldene Äpfel gewachsen waren, doch mit der Zeit hörte er auf, die begehrten Früchte hervorzubringen. Eines Tages wanderte ein junger Mann durchs Dorf und bemerkte, wie eine Maus an den Wurzeln des Baumes nagte. Er behauptete, wenn wir die Maus töteten, würden die Früchte wieder gedeihen, also brachte unser früherer Bürgermeister die Maus um, und die Früchte kamen zurück. Der Bürgermeister pflückte einen Apfel, aß ihn und wurde von solchem Hunger verzehrt, dass er sich zu Tode fraß.
Und niemand sonst rührte weder die Früchte des Baumes an noch den Bürgermeister, der unter seinen Zweigen starb.
Es gab nie ein glückliches Ende, so viel wusste ich. Was immer mich nach dem hier erwartete, würde ganz sicher zu meinem Tod führen.
Die Dorfbewohner strömten wie Phantome in die Stadtmitte. Sie hielten mich innerhalb ihres geisterhaften Kreises, umringten den Brunnen, der nur aus einem kalten Steinkreis bestand, der offen unter dem Himmel lag und tief in die Erde reichte. Ich trat an ihn heran und blickte hinab: Der Boden war knochentrocken.
Roland blieb neben mir stehen – zu nahe, zu warm.
»Wen wirst du opfern, wenn alle, die du hasst, tot sind?«, fragte ich und sah ihn an.
»Ich hasse dich nicht«, widersprach Roland, und seine Augen glitten tiefer und glitzerten schamlos, als er meine Brüste anstarrte. »Ganz im Gegenteil.«
Ekel drehte mir den Magen um.
Ich kannte Roland schon mein ganzes Leben, ebenso wie ich alle in Elk kannte. Er war der Sohn eines reichen Kaufmanns. Das Geld hatte ihm Ansehen unter den Dorfbewohnern erkauft und ihn an die Seite des Bürgermeisters gebracht, was ihm Macht über jede Frau verlieh, auf die er je ein Auge warf, und garantierte, dass er sich nie einem Fluch stellen musste.
Mein eigenes Unglück hatte Roland nie abgeschreckt. Er hatte oft angeboten, mir zu helfen, wenn ich dafür mit ihm schlafen würde.
»Du bist widerlich.«
»Oh, Gesela, tu nicht so, als würdest du meine Aufmerksamkeit verabscheuen.«
»Doch, das tue ich«, spuckte ich ihm vor die Füße. »Das sage ich dir ja gerade.«
Rolands Miene verhärtete sich, aber er kam noch näher, und es verlangte mir all meine Willenskraft ab, ihn nicht wegzustoßen. Ich hasste seinen Geruch nach nassem Heu und Leder.
»Ich könnte das alles verhindern. Nur ein Wort von dir.«
»Was für ein Wort?«, fragte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
»Sag, dass du mich heiratest.«
Ich schubste ihn weg.
Es war ja auch nicht so, dass er das ernst meinen würde. Er hatte schon vielen Frauen vorgeschlagen, sie zu heiraten, unter dem Vorwand, er würde sie retten, nur um sie später bloßzustellen, weil sie geglaubt hatten, dass er es ernst meine.
Wenn hier irgendwer ein Fluch auf diesem Land war, dann war es Sheriff Roland.
»Das ist mehr als ein Wort«, konterte ich wutschäumend. »Aber hier hast du ein Wort: niemals!«
Roland knirschte mit den Zähnen und stieß mich dann zum Brunnen hin.
»Dann wirst du dich diesem Fluch stellen.«
Ich stolperte und fing mich an der Seite des Brunnens ab. Meine Hände stützten sich auf den glitschigen Stein, als ich mich der endlosen Dunkelheit dort unten gegenübersah.
»Die Alte im Wald behauptet, dass im Brunnen eine Kröte sei. Töte sie, und wir werden wieder Wasser haben.«
»Und hat die Alte auch verraten, was dann aus mir wird?«
»Ich habe dir einen Ausweg geboten, und du hast ihn ausgeschlagen.«
»Das war kein Ausweg«, entgegnete ich scharf. »Sondern bloß ein weiterer Fluch.«
»Du denkst, eine Heirat mit mir gleicht dem, was der Wald dir antun wird?«
»Ja«, zischte ich. »Ich würde es ja vielleicht in Erwägung ziehen, wenn ich dich auch nur im Geringsten ansehnlich finden würde. Leider würde ich mich wohl in der Sekunde übergeben müssen, in der dein Schwanz in meinen Körper eindringt.«
Roland verlor die Beherrschung. Ich wusste, dass er zu Gewalt fähig war. Es war eine Wahrheit, die in seinen Augen lag.
Er schubste mich, und als meine Kniekehlen auf den Brunnenrand trafen, kippte ich über den Rand und stürzte in die Tiefe. Ich spürte den kalten Luftzug in meinem Nacken und schlug mit einem dumpfen Knall hart auf dem Boden auf. Ich lag da, still und benommen, und blinzelte zum Licht hoch, das von der runden Öffnung über mir hereinfiel. Es schien so weit weg zu sein, obwohl mein Sturz nicht lange gedauert hatte.
Elsie war die Erste, die herablinste, und als sie mich entdeckte, drückte sie sich die Hand auf den Mund und war im nächsten Moment verschwunden. Danach tauchte Rolands Gesicht auf, voller Verachtung spuckte er in den Brunnen.
»Elfenschlampe«, schimpfte er.
Ich zuckte zusammen, das Wort war ebenso schmerzhaft wie mein Sturz.
Dann waren sie fort.
Stöhnend versuchte ich, mich aufzusetzen, doch mein Kreuz tat höllisch weh, und jeder Atemzug fuhr mir durch Mark und Bein. Ein schrilles Trillern schreckte mich jedoch urplötzlich auf, und mehrfache schmerzhafte Schauer hintereinander jagten meinen Rücken hinab. Ich sah mich einer großen, bauchigen Kröte gegenüber. Aus runden Glubschaugen, die wie Laternen im Dunkel leuchteten, glotzte sich mich an.
Ich betrauerte den Umstand, dass ich die Kröte bei meinem Aufprall nicht unter mir zermalmt hatte. Dann wäre es wenigstens ein Unfall gewesen.
»Das ist alles deine Schuld«, zeterte ich.
Die Kröte antwortete mit einem Kreischen und machte einen Satz.
Ich schrie auf, da ich annahm, sie würde mich anspringen wollen, aber dann bemerkte ich, dass sie auf einem Steinbrocken gelandet war, der an der Seite des Brunnens herausragte.
Ich setzte mich langsam auf und sog harsch die Luft ein, als der Schmerz im Rücken mir die Lungen zuschnürte. Die Kröte kreischte wieder und blähte ihre Kehle auf. Ich fasste den Entschluss, sie zu töten, und guckte mich nach einem Stein um, mit dem ich sie erschlagen könnte, obwohl der Gedanke eine Welle der Übelkeit in mir auslöste. Ich mochte ja Gänse schlachten können, um sie zu essen, aber eine Kröte war etwas völlig anderes. Diese Kröte war etwas völlig anderes. Sie war Opfer dieses Fluchs, so wie ich.
Ein weiteres Kreischen hallte laut in dem beengten Loch wider, und ich zuckte zusammen.
Ich ließ den Blick zur Kröte wandern, sie war weiter die Wand hinaufgehüpft, saß nun auf einem anderen Stein und wartete.
»Versuchst du, vor mir zu fliehen?«, fragte ich.
Sie antwortete, indem sie sich umwandte. Ihre Füße mit den Schwimmhäuten schmatzten auf der steinigen Oberfläche, als sie auf einen weiteren Steinvorsprung hopste. Nachdem sie diesen sicher erreicht hatte, drehte sie sich wieder zu mir um und kreischte erneut schrill. Bei dem Geräusch verkrampfte ich mich auf der Stelle, und meine Muskeln spannten sich an.
Mit einem Mal fragte ich mich, ob diese Kröte mir womöglich aus dem Brunnen hinaushelfen wollte.
Ich stand auf, stellte meinen Fuß auf einen der Steine und packte zwei andere über meinem Kopf. Mit rasendem Herzen suchte ich nach Halt und griff fieberhaft nach glitschigen Felsvorsprüngen. Ich musste mich so sehr strecken, dass mir die Seiten wehtaten und ich kaum atmen konnte, aber ich schaffte es, mich hochzuhieven. Währenddessen hüpfte die Kröte weiter und fand einen nächsten Stein, der aus der Wand herausragte. Ich folgte ihr vorsichtig. Meine Finger wurden immer kälter, und meine Beine zitterten, während mir der Schmerz den Rücken hinuntersauste.
Je höher ich kletterte, umso fester klammerte ich mich an die Steine, aus Angst, erneut zu fallen. Das Wetter war schlechter geworden, seit ich im Brunnen war, und Schneeregen prasselte mir ins Gesicht.
Die Kröte erreichte vor mir die Öffnung, wandte sich zu mir um und starrte mich aus ihren großen, gelben Augen an. Dann war sie plötzlich aus meinem Sichtfeld verschwunden. Ich beeilte mich, sie einzuholen, umfasste kurz darauf mit tauben Fingern den Brunnenrand und spähte darüber. Die Dorfmitte lag verlassen vor mir, kein Mensch war zu sehen – vermutlich weil der Sturm eingesetzt hatte.
Ich war erleichtert, denn hätte Roland mich dabei erwischt, wie ich aus dem Brunnen hinauskletterte, hätte er mich sofort wieder hineingestoßen.
Einen Moment verweilte ich bäuchlings auf dem Steinrand, bevor ich auf den eisigen Boden glitt. Dort lag ich, reglos und still, mein Körper von Schmerz gepeinigt. Ob ich mir bei dem Sturz viele Knochen gebrochen hatte? Zumindest hatte ich üble Prellungen erlitten.
Die Kröte wartete geduldig in der Nähe, und als ich den Blick hinauf zum blassgrauen Himmel hob, fragte ich mich unwillkürlich, wer mich wohl aus der Wärme seines Heims heraus beobachtete. Würde jemand Roland informieren? War er davon ausgegangen, dass ich tot sei?
Ein inzwischen vertrautes Quaken zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich ließ meine Augen in Richtung des Geräuschs wandern und sah, wie die Kröte auf den Rand des Brunnens hopste.
»Nein!«
Hastig rappelte ich mich auf, kam stolpernd auf die Füße, stürzte zum Brunnen hin und schnappte mir eins ihrer Beinchen, bevor sie in dem finsteren Loch abtauchen konnte, das wir soeben erst verlassen hatten.
Ich schleuderte sie über mich hinweg, und sie segelte im hohen Bogen auf den schlammigen Platz hinter uns, wo sie auf dem Rücken landete. Anscheinend unversehrt sprang sie den Bruchteil einer Sekunde später auf die Füße und war schon wieder auf dem Weg zum Brunnen.
»Ich versuche nur, dich zu retten, du Bastard«, empörte ich mich und griff erneut nach der Kröte. Ihr Körper war glitschig, weswegen es sich höchst schwierig gestaltete, sie festzuhalten, während sie in meiner Hand zappelte. »Ich sperre dich in einen Käfig, wenn es sein muss!«
Alles besser, als sie zu töten.
Die Kröte gab einen klagenden Schrei von sich, und im selben Moment trat ich auf ein Stück gefrorene Erde. Ich rutschte aus und schlug mit meinem ohnehin schon geschundenen Rücken hart auf dem Boden auf. Mir blieb kaum Zeit, um den stechenden Schmerz wahrzunehmen, denn nun war die Kröte frei und hopste bereits in Windeseile auf den Brunnen zu.
Frust packte mich und trieb mich hoch auf die Knie. Hektisch kroch ich ihr hinterher, doch sie war mir stets einen Hüpfer voraus. Mit aller Macht versuchte ich, mich aufzurichten, aber der Boden war zu glatt, und ich rutschte zurück auf alle viere.
Ich verzog keine Miene und biss die Zähne zusammen, während ich vorwärtsrobbte, und als ich mir die Hand an einem spitzen Stein aufschürfte, war mir sogar dieser Schmerz egal. Meine Hand schloss sich um den Stein. Er war schwerer, als ich gedacht hatte, und auch größer, und gerade als die Kröte den Brunnen wieder erreicht hatte, packte ich sie, riss sie zu Boden und schlug ihr den Stein auf den Kopf.
Die Totenstille, die darauf folgte, dröhnte in meinen Ohren und erfüllte mich mit einem seltsamen Gefühl von Schock, während ich auf die leblose Kröte starrte, deren Beine noch zuckten. Ich entfernte den Stein nicht, denn ich wollte mir nicht ansehen, was ich angerichtet hatte.
Sie ließ sich nicht aufhalten. Warum hatte sie nicht Einhalt geboten?
Aber ich kannte die Antwort.
Sie war verflucht. Wir alle waren verflucht.
Ich übergab mich, der verdorbene Geruch drehte mir noch weiter den Magen um. Nachdem ich meine Schürze abgenommen und die Kröte und den Stein darin eingewickelt hatte, stand ich auf und stolperte nach Hause. Die Gans, die ich zuvor geschlachtet hatte, war längst fort, wahrscheinlich hatten Wölfe sie gewittert.
Nichts interessierte mich gerade weniger.
Ich packte meine Axt, die noch immer dort im Baumstumpf steckte, wo ich sie zurückgelassen hatte, und ging zum Rand des Verzauberten Waldes. Ich hackte in den harten Boden und kratzte Erdbrocken zur Seite, bis ich eine Grube ausgehoben hatte, die tief genug war, dass die Kröte hineinpasste. Nachdem ich ihren Kadaver in die harte Erde gebettet hatte, blieb ich noch auf Knien dort sitzen und ließ zu, dass der Schneeregen mir wie kleine spitze Nadeln in die Haut stach. Es erinnerte mich daran, dass ich fähig war, zu fühlen.
Nach einer Weile stand ich auf und marschierte trotz der Kälte zu der Regentonne vor meinem Haus, durchbrach die Eisschicht, die sich darauf gebildet hatte, und nutzte die Schüssel, die ich darin aufbewahrte, um mich mit Wasser zu übergießen und mir Gesicht und Arme zu waschen.
Dann brachte ich die Axt hinein und legte sie auf meinen Nachttisch, bevor ich mich um das Feuer kümmerte. Ich zog meine durchnässten Sachen aus, schlüpfte in mein Nachthemd und kroch ins Bett.
Mein Kopf pochte, und mir tat alles weh, als ich mich am ganzen Körper zitternd unter meiner Decke zu einer kleinen Kugel zusammenrollte, bis mir allmählich warm wurde.
Ich fragte mich, ob ich wohl im Schlaf sterben würde.
Ich hoffte es.
Denn ich wusste, dass Schlimmeres auf mich zukam.
FÜNF ELFENPRINZEN
Bibbernd wachte ich auf.
Mühsam öffnete ich die trägen Lider und sah, dass die Fensterläden offen waren und Eis sich auf dem Sims gesammelt hatte. Trotz des heulenden Windes hing mein Vorhang steif und gefroren da.
Verwirrt runzelte ich die Stirn. Ich hatte das Fenster ganz sicher verriegelt.
Mir stellten sich die Nackenhaare auf, ich bekam eine Gänsehaut, und ein tiefes Gefühl von Angst ließ mein Blut in den Adern gefrieren.
Ich war nicht allein.
Fieberhaft tastete ich unter dem Kissen nach meinem Messer, das ich dort zu meiner eigenen Sicherheit versteckt hielt, doch als meine Fingerspitzen über den Griff streiften, verschwand es plötzlich.
»Fuck!«
»Ts, ts, ts«, vernahm ich da. »Welch Wortwahl.«
Ich rollte mich auf den Rücken, um nach meiner Axt zu greifen, die nach wir vor auf dem Nachttisch war, wo ich sie hingelegt hatte. Da fiel mein Blick auf eine Gestalt, die an der Wand lehnte. Er war groß, dünn und nicht von dieser Welt. Spitzohren lugten unter seinem langen, schwarzen Haar hervor, das ihm über die Schultern fiel und schimmerte wie Mondlicht auf dunklem Wasser.
Er trug einen schwarzen, mit Gold besetzten Wollmantel, Strumpfhosen und schwere schwarze Stiefel, ein Bein stützte er angewinkelt an die Wand.
Er war ein Elf, und nach der Pracht seiner Kleidung zu urteilen, ein Lord.
»Fuck«, sagte ich noch einmal.
Das war nicht gut.
Wie alle Arten von Feenwesen stammte auch er aus dem Verzauberten Wald. Ich zweifelte nicht daran, dass er aus Vergeltung für die Kröte hier war, die ich getötet hatte.
Eine Hand packte mich grob am Kinn und etwas Scharfes schnitt mir über die Wange, ich spürte Blut hervorquellen.
»Schmutziger Mensch«, raunte eine Stimme, und eine nasse Zunge fuhr über die Wunde. »Schmutziges Mundwerk.«
Ich konnte mich nicht rühren, obwohl ich es versuchte, und schaffte es lediglich, die Fingernägel in den Arm meines Angreifers zu bohren und ihn nach unten zu ziehen.
Seine Haut gab unter meinen Fingernägeln nach, der Angreifer zischte, und sein Griff um mein Kinn wurde fester, während er meinen Kopf nach hinten drückte.
Jetzt konnte ich sein Gesicht sehen. Es war dem des anderen Elfenlords an der Wand ähnlich, nur bösartiger, und sein Haar war nicht dunkel, sondern hellblond. Seine Finger gruben sich so fest in meinen Kiefer, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn er ihn mir gleich abreißen würde.
»Lass sie los, Sephtis«, befahl eine dritte Stimme.
Aber der Griff lockerte sich nicht. Wenn überhaupt, wurde er noch fester. Er beugte sich über mich und durchbohrte mich mit seinem Blick. Die Iriden seiner Augen waren rot und weckten Unbehagen in mir.
»Warum sollte ich?«, fragte er, so leise, als würde er die Frage an mich richten.
Da schnellte wie aus dem Nichts eine Hand hervor, grabschte nach der von Sephtis und befreite mich aus seinen Fängen. Ein weiterer Elf erschien in meinem Sichtfeld. Dieser sah genauso aus wie der erste – dunkelhaarig und schön. Nur seine Augen waren anders: Sie hatten eine seltsam moosige Farbe, nicht ganz grün und nicht ganz braun.
»Du solltest doch ein Auge auf ihn haben, Lore«, tadelte der neu aufgetauchte Elfenlord, und ich nahm an, dass er damit den ersten Elf meinte, den, der vermutlich mein Messer entwendet hatte.
Sephtis blickte finster drein.
»Bist du etwa nur hier, um uns den Spaß zu verderben, Silas?«, maulte er.
Sephtis’ Vorstellung von Spaß bereitete mir Übelkeit.
Der Blonde wich zurück und begab sich zwischen Lore und Silas. Inzwischen waren noch zwei weitere hinzugekommen: einer mit bernsteinfarbenen Augen und einer mit einer tiefen Narbe links im Gesicht.
Insgesamt waren es fünf. Fünf Elfenlords, von denen vier zwar dunkles Haar hatten, doch alle glichen einander wie ein Ei dem anderen, sogar der Blonde. Der einzige Unterschied lag in ihren Mienen, die von ganz streng bis am wenigsten streng reichten. Sie standen vor meinem Bett und umzingelten mich.
»Erwarten wir sonst noch jemanden?«, fragte ich ungehalten, mein Tonfall war so eisig wie die Temperatur in meinem Haus.
»Mehr von uns würdest du nicht überleben, du böses Ding«, grollte Lore. »Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst.«
»Ich habe mir nichts gewünscht«, widersprach ich nachdrücklich. Ich wusste, welche Folgen es hatte, wenn man unbedacht einen Wunsch aussprach, denn ich hatte es mit eigenen Augen gesehen.
Ich wünschte, du wärst tot!, hatte ich meine Schwester angebrüllt – und dann war sie es.
»Sie ist so winzig«, stellte Silas fest.
»Böse, das ist sie«, berichtigte Sephtis.
»Sie hat unseren Bruder getötet«, gab der mit der Narbe von sich.
»Euren Bruder?«, entfuhr es mir, und ich spürte, wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich.
»Sieh nur, Talon! Ihr Gesicht ist so weiß wie Schnee!«, meinte Sephtis. Er schien der Wütendste zu sein – und der Furchteinflößendste.
»Du weißt, wovon wir sprechen, Menschlein«, warf der mit den Bernsteinaugen ein. Seine Stimme war leise und ruhig.
»Ich habe keinen Elf getötet«, stritt ich ab.
»Aber du hast eine Kröte getötet«, erwiderte Lore.
»Hat ihm einen Stein auf den Kopf geschlagen«, fuhr Sephtis fort.
»Du hast ihn am Rand des Verzauberten Waldes begraben«, bestätigte Talon.
Ich schluckte einen dicken Kloß hinunter, der in meine Kehle gestiegen war.
»Ich hatte keine Wahl«, verteidigte ich mein Handeln. Meine Worte waren ein wütendes Flüstern, doch mir war klar, dass sie vergeblich waren. Niemanden in Elk oder in der Welt jenseits davon interessierte, warum ich getan hatte, was ich getan hatte, nur dass es Konsequenzen hatte. »Es gab einen Fluch.«
»Es gibt immer einen Fluch und trotzdem immer eine Wahl«, entgegnete Silas.
»Du hättest beschließen können, nicht den Fluch deiner Stadt zu brechen, sondern vielmehr den unseres Bruders«, bekräftigte Lore. »Und aus Dankbarkeit für deine Rettung hätte er dich zu seiner Königin gemacht.«
»Aber leider hast du ihm stattdessen den Kopf eingeschlagen, und nun müssen wir dich bestrafen«, erklärte Sephtis, ein hungriges Glitzern lag in seinen blutroten Augen.
»Woher hätte ich denn wissen sollen, dass er etwas anderes als eine Kröte war?«, fragte ich verzweifelt.
»Das ist die Torheit deines menschlichen Blutes, alles so zu nehmen, wie es erscheint, anstatt so, wie es ist«, meinte Silas bloß.
»Und ist es die Torheit der Elfen, alles so zu nehmen, wie es ist, und nicht so, wie es erscheint?«
»Törichtes Menschlein«, schrie Lore mich an. »Wir haben keine Fehler.«
»Und wie ist euer Bruder dann als Kröte in einem Brunnen geendet?«
»Er ist keine Kröte in einem Brunnen mehr«, erinnerte Talon mich. »Er liegt tot in einem Loch.«
Alle Elfen sprachen mit kalter Höflichkeit, ausgenommen der mit den Bernsteinaugen, der seit seiner Ankunft nur ein einziges Mal das Wort ergriffen hatte. Sie waren nicht hier, weil sie ihren Bruder geliebt hatten. Hier ging es um Ehre. Es war die Gerechtigkeit, die der Wald verlangte.
Einen Herzschlag lang herrschte Stille, während die fünf Elfenlords Blicke wechselten.
»Du sollst sechs Jahre als Gefangene unseres siebten Bruders verbringen«, verkündete Silas.
»Ich zähle nur fünf von euch«, sagte ich.
»Unser siebter ist ein Biest«, klärte Sephtis mich auf, aber ich konnte mir nichts Furchterregenderes als ihn selbst vorstellen, der mir so gnadenlos in die Haut geritzt und mein Blut gekostet hatte.
»Viel schlimmer als ihr kann er nicht sein«, fauchte ich, doch Grauen überkam mich, schon während ich die Worte aussprach. Irgendwas tief in mir drin flüsterte mir ein, dass er wohl doch noch schlimmer war.
»Das wirst du wohl noch früh genug herausfinden«, antwortete Silas trocken.
Darauf folgte erneut ein Moment des Schweigens, währenddessen ich die fünf anstarrte, völlig im Unklaren, was als Nächstes geschah. Würden sie mit mir durch den Wald marschieren, vor die Türschwelle des Königreichs ihres siebten Bruders?
»Wo steckt denn euer siebter Bruder?«, verlangte ich zu wissen und wog gleichzeitig ab, wie schnell ich wohl nach meiner Axt greifen konnte, die noch immer auf dem Tisch neben meinem Bett lag. Ich war mir ihrer Nähe dermaßen bewusst, dass ich mich kaum davon abhalten konnte, sie endlich in die Hand zu nehmen. »Warum ist er nicht mit euch hier?«
»Über zehn Jahre ist es nun her, dass den Dornenprinz jemand zu Gesicht bekommen hat«, gab Lore zurück.
»Wie könnt ihr dann sicher sein, dass er ein Biest ist?«
»Weil wir alle Biester sind«, antwortete Sephtis, ein spöttisches Grinsen im Gesicht.
Ich streckte die Hand nach meiner Axt aus.
Die Bewegung versetzte mir einen stechenden Schmerz in der Seite, der meine Lungen zusammenpresste, mir den Atem raubte und mich benommen machte. Trotzdem sprang ich auf, rang um Gleichgewicht auf dem wackeligen Bett, hob die Axt über meinen Kopf und zielte nach dem Elfen, der mir am nächsten stand, als eine gewaltige Woge aus Magie mich direkt in die Brust traf.
Ich fiel, doch meine Knie prallten nicht auf den harten Fußboden meines Hauses, sondern auf dicken Teppich. Trotz der weicheren Landung kreischte jede verletzte Körperstelle in mir auf, und ein Schrei drang tief aus meiner Kehle.
Es war zu spät, um ihn zu unterdrücken, aber dennoch klappte ich hastig den Mund zu und knirschte mit den Zähnen dagegen an, obwohl es nichts im Vergleich zu dem plötzlichen Gefühl von Grauen war, das meinen Körper betäubte, als eine kalte, sinnliche Stimme über meine Haut glitt.
»Na, was haben wir denn da?«
Langsam wanderte mein Blick aufwärts, über glänzend schwarze Stiefel und muskulöse Beine in schwarzen Beinlingen, die so eng waren, dass sie nichts der Fantasie überließen. Meine Augen weiteten sich, als ich die unzüchtigen Umrisse seines Geschlechts sah – etwas, das normalerweise von einer langen Tunika bedeckt worden wäre. Doch er trug kein Hemd, sodass die harten Umrisse seiner Bauchmuskeln und der mächtigen Schultern zur Schau gestellt waren, geziert lediglich von einem Ring und einem weißen Zahn, welche an zwei Silberketten hinunterbaumelten.
Ich ließ sein Antlitz auf mich wirken – alles von ihm –, bevor ich seinem Blick begegnete.
Schwarze Augen starrten zurück, und obwohl es höchst unpassend war, so zu empfinden, wollte ich mich in sie hineinfallen lassen wie in die tiefe Finsternis des Brunnens. Plötzlich packte mich die nackte Angst und die unumstößliche Gewissheit, mich in diesen Augen verlieren zu können, wenn ich ihnen zu nahe käme.
Dies war der siebte Bruder – das Biest.
Er sah genauso aus wie seine dunkelhaarigen Brüder, nur eine Sache an ihm war anders, härter und düsterer. Er besaß eine hohe Stirn und ebenso hohe Wangenknochen, und seine Lippen waren voll und farblos.
Er war wunderschön. Und kalt. So wie der Winter in Elk.
Meine Finger schlossen sich fester um den Schaft meiner Axt, und ich stand auf.
»Bleib zurück!«
Seine Lippen verzogen sich zu einem boshaften Grinsen.
»Oh, bösartiges Geschöpf«, spottete er. »Bist du etwa hier, um mich zu töten?«
»Wenn du mir einen Grund dazu gibst«, antwortete ich und schwang meine Axt hoch.
»Ich könnte dir gleich drei Gründe geben.«
»Ich brauche keine drei«, entgegnete ich. »Einer genügt.«
Er lachte leise, ohne dieses boshafte Glitzern in den Augen zu verlieren.
»Dann einen«, sagte er, und sein Lächeln schwand langsam. »Töte mich … bevor ich dich töte.«
Seine Worte trafen mich härter als mein Sturz in den Brunnen, und noch bevor ich meine Axt anhob, war er schon hinter mir, die Hand an meiner Kehle. Ich konnte spüren, wie seine langen Fingernägel sich in meine Haut gruben. Er bog meinen Kopf so weit nach hinten, dass ich fürchtete, mir würde gleich das Genick brechen.
Plötzlich stachen mir mehrere spitze Nadeln in die Handfläche, und ich zischte vor Schmerz und ließ meine Axt fallen. An dem Griff waren Dornen gewachsen. Mit den nun freien Händen packte ich die Hände des Biests an meiner Kehle, aber er rührte sich selbst dann nicht, als meine Nägel sich tief in seine Haut bohrten.
»Böses Ding«, sagte er, und ich konnte seine Lippen an meiner Wange fühlen. »Böse Fee.«
»Nenn mich nicht so«, befahl ich mit zusammengebissenen Zähnen.
Wieder lachte er leise, und seine Finger pressten sich noch tiefer in meine Haut.
»Wie genau nicht? Böse oder Fee?«
Eine Fee zu sein, egal wie wenig, hatte mir nie gute Dienste geleistet. Die Dorfbewohner tuschelten, dass mein Blut meine Mutter getötet habe, und meine Schwester hatte es auch nicht vor dem Wald bewahrt.
Aber es hatte dafür gesorgt, dass ich immer allein sein würde. Ich hatte keine Familie, keine Freunde, keine Liebsten.
Die Stimme des Prinzen vibrierte an meiner Haut, und ich spürte sie in meinem Brustkorb. Er sprach langsam, während seine Lippen über mein Kinn wanderten, und ich hasste das Gefühl, das es in mir weckte, das allzu deutliche Pochen zwischen meinen Beinen, die Hitze, die in meinem Bauch loderte, entfacht durch seinen Schwanz, der sich an meinem Hintern rieb.
Ich hasste das Gefühl, und doch drückte ich mich noch enger an ihn. Fast wünschte ich, er würde mir wehtun, damit ich diese scheußlichen Gefühle aufhalten konnte, die durch meine Adern jagten.
»Du weißt, was ich meine«, schäumte ich. Meine Stimme war wütend, aber leise. Ich konnte nicht lauter sprechen. Ich konnte ja kaum atmen.
»Aber du bist eine Fee«, widersprach er.
»Nicht der Rede wert«, antwortete ich.
Ich war mir nicht einmal sicher, wann mein Blut sich mit dem von Feen vermischt hatte. Ich wusste nur, dass es viele Urgroßväter her war. Doch wie viele Jahre auch vergingen, die Menschen von Elk vergaßen es nie, und die Feen – die erst recht nicht.
»Genug für mich, um davon zu kosten.«
Seine freie Hand spreizte sich über meine Hüfte, und meine Fingernägel bohrten sich in seine Haut, damit er sie nicht tiefer schob, hin zu der Hitze zwischen meinen Beinen.
»Sag mir, die, die keine Fee sein will, was führt dich zu mir?«
»Nichts … Nichts aus eigenem Antrieb«, keuchte ich.
»Willst du wissen, was ich denke?«
Ich schluckte schwer, und seine Hand umfasste meine Kehle.
»Es wäre mir lieber, wenn du mich loslässt.«
»Du solltest einen Elfenprinzen nicht belügen«, schalt er mich, während seine andere Hand mein Nachthemd hochraffte. Meine Muskeln spannten sich noch mehr an und protestierten lautstark, als ich an ihn gepresst innehielt.
»Was lässt dich denken, dass ich lüge?«
»Soll ich dir drei Gründe nennen?«, fragte er.
»Einer genügt«, sagte ich erneut, obwohl ich kaum einen klaren Gedanken fassen konnte, so benebelt war mein Verstand von dem lustvollen Wunsch, ihn in mir zu spüren.
Wunsch.
Unachtsame Wünsche, selbst unausgesprochene, hatten gewichtige Folgen. Man wusste nie, wer gerade lauschte, selbst den Gedanken.
»Du hast keineswegs zu fliehen versucht«, bemerkte er.
Zum ersten Mal zappelte ich in seinen Armen.
»Ah, ah, ah, böses Ding«, sagte er, und plötzlich war er vor mir, ohne die Hand von meiner Kehle zu nehmen, als er mich rückwärts schob und an eine Wand drückte. Sein ganzer Körper ruhte an meinem, hart und erregt, und ich war seine willige Gefangene, während ich zu etwas Weichem und Schmiegsamem dahinschmolz.
Ich erkannte mich gar nicht wieder.
»Beantworte meine Frage. Beuge dich meinem Willen. Was führt dich zu mir, süßes Ding?«
Während er sprach, berührten seine Lippen meine Wange.
»Ich sagte dir schon …«
Er wich zurück, und ich begegnete seinen unergründlich dunklen Augen.
»Nicht aus eigenem Antrieb, sondern dem von jemand anderem. Wem?«
»Wenn du es nicht erraten kannst, dann hast du vielleicht gar kein Recht, es zu erfahren.«
»Kein Recht?«, fragte er und neigte den Kopf. »Kühne Worte, böses Ding, während du dich in meinem Königreich aufhältst, unter meinem Dach, in meinen Armen.«
Ich funkelte ihn an und zog ruckartig an seinem Arm, dessen Hand noch immer um meine Kehle lag.
»Das hier würde ich kaum in deinen Armen nennen.«
Er grinste und beugte sich vor. Sein heißer Atem streifte mein Ohr. »Und doch gefällt es dir.«
Dann trafen seine Lippen auf meine Haut. Ich hielt die Luft an und presste den Kopf so fest ich konnte an die Wand.
»Hmm, wie süß du schmeckst«, raunte er und fuhr mit seiner Zunge über meinen Hals. »Ich könnte dich im Ganzen verschlingen.«
Seine freie Hand war erneut an den Saum meines Nachthemdes geglitten. Seine Finger schoben sich zwischen meine Beine, berührten jedoch nicht die Stelle, wo ich es am meisten ersehnte. Scham stieg in mir auf, weil er die Hitze spüren musste, die in mir pulsierte. Ich jedenfalls fühlte sie überall.
»Bist du meinetwegen so feucht, böses Weibsbild?«
Ich hielt die Augen geschlossen und grub die Finger in seine Haut. Ich wollte um seine Berührung flehen, und das ebenso sehr, wie ich ihm eine Axt in die Brust schlagen wollte.
Das Biest hob mein Bein, legte es über seine Hüfte und drängte sich dicht an mich. Sein harter Schwanz stieß gegen meine Mitte und entlockte meiner Kehle einen rauen Laut. Unsere Lippen öffneten sich füreinander, und seine Zunge fand ihren Weg in meinen Mund, wo er einen kurzen Moment lang meine liebkoste, und dann lachte er leise. Sein Lachen verursachte mir einen kalten Schauer und nährte meinen Zorn gleichermaßen wie meine Scham.
Ich nutzte den Augenblick für einen Überraschungsangriff und stieß ihn so heftig von mir, dass er weit genug rückwärts stolperte, dass ich losstürmen konnte. Ich schnappte mir meine Axt vom Boden und floh aus dem Raum. Doch kaum war ich zur Tür hinaus, fand ich mich in einem Korridor wieder, der aussah wie eine bewaldete Gasse. Hier rannten meine Füße über kalten Boden, vorbei an mehreren kahlen Bäumen, die sich über mich zu neigen schienen. Wo mir zuvor im Gemach des Elfenlords noch unendlich warm gewesen war, peitschte mir nun der Wind entgegen, und jeder eisige Windstoß ließ mich erzittern.
Ein Teil von mir überlegte fieberhaft, wie es eben noch den Anschein machen konnte, mich innerhalb der Mauern eines Schlosses zu befinden, und nun plötzlich durch einen Wald zu laufen, doch ich war mir auch gewiss, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, die Magie des Königreiches des Dornenprinzen zu hinterfragen.
Ich musste so weit wie möglich fliehen, um ihm zu entkommen.
Der Pfad wurde schmaler, der Wald verschlang ihn regelrecht. Schon bald gab es gar keinen richtigen Pfad mehr, nur laubbedeckten Erdboden zwischen lauter Bäumen. Sie ächzten über mir, und ihre langen Äste sausten auf mich nieder wie Klauenfinger. Sie zerkratzten meine Haut, und ich schlug mit der Axt nach ihnen, doch einige verfingen sich dennoch in meinem Nachthemd und zerrissen den dünnen Stoff. Mein Ärmel hing mir von der Schulter, der Ausschnitt klaffte auf, und der Saum hing in Fetzen. Trotzdem konnte ich mich befreien und entfloh dem abscheulichen Wald, als er in eine Lichtung hinausführte, die mehr einem endlosen Ozean glich. Die Nacht war jedoch zu dunkel, um klar erkennen zu können, was sich unter meinen Füßen auftat, aber ich konnte es fühlen.
Die Erde war weich und nass, und ich sank in kalten Schlamm ein. Dabei verlor ich das Gleichgewicht, rutschte aus und verdrehte mir den Knöchel. Der Schmerz ließ mich zu Boden gehen, und ich fiel auf Hände und Knie, als etwas Scharfes sich um meine Beine wand und zudrückte. Ich schrie auf und rollte mich auf den Rücken, als Dornenranken an meinen Beinen hochkrochen und sich tief in meine Haut bohrten. Sie wanderten meinen Körper hinauf, bis sie sich um meine Handgelenke schlangen, sie über meinem Kopf verschränkten – und im nächsten Moment fand ich mich von Angesicht zu Angesicht mit dem Biest wieder.
Der Prinz schwebte über mir, nur wenige Zentimeter trennten uns voneinander, und die Anhänger seiner Halsketten strichen über meinen Oberkörper. Anstelle von Dornen krallten sich nun seine Finger um meine Handgelenke, und seine Knöchel lagen an meinen.
»Meine Brüder haben dich geschickt«, grollte er, und ich spürte seinen Körper an meinem ruhen. »Bist du eine Spionin?«
»Sehe ich wie eine Spionin aus?«, schimpfte ich.
Sein Blick fiel auf meine entblößten Brüste. Meine Brustwarzen waren zu harten Knospen geworden, hart von der Kälte, hart von seinem Blick, der aufloderte, als er meinen erwiderte.
»Du siehst aus wie eine verlockende Versuchung, die mich irreführen soll.«
»Dann wäre es vielleicht besser, mich gehen zu lassen«, schlug ich vor.
»Ich kann dich nicht gehen lassen«, entgegnete er. »Du musst dir dein Recht, frei zu sein, selbst verdienen.«
»Mein Recht?«, fragte ich wütend. Ich hob den Kopf, war ihm jetzt so nah, dass unsere Lippen sich beinahe berührten. »Ich wurde gegen meinen Willen hierhergebracht.«
»Du wurdest als meine Gefangene hierhergebracht«, korrigierte er mich. »Was soll es sein, böses Ding? Sechs Jahre mit mir oder eine Chance auf Freiheit?«
Ich sah ihn finster und schwer atmend an.
»Wenn du das wusstest, wieso hast du mich dann nicht gleich eingesperrt?«
Er grinste spöttisch. »Wer sagt denn, dass ich meine Gefangenen einsperre?«
»Wo hältst du sie denn dann?«
»Solltest du nicht eher fragen, wo ich dich halten werde?«
Ich antwortete nicht, und je länger er mich anstarrte, umso mehr wünschte ich mir, mich in Luft aufzulösen. Möglicherweise würde sich somit die Erde öffnen und mich verschlucken, sodass ich mich nicht den Gefühlen stellen musste, die unter seinem Blick in mir aufstiegen.
Einige Sekunden später sprach er weiter.
»Errate meinen wahren Namen«, forderte er mich auf.
Ich blinzelte. »Was?«
»Du hast sieben Tage, um meinen wahren Namen zu erraten, dann lasse ich dich frei.«
Ich atmete tief durch, während ich seinen Vorschlag sacken ließ. Ich war nicht so begierig darauf, frei zu sein, dass ich mich blindlings auf das erste Angeboteinlassen würde. Jeglicher Handel mit Feenwesen – vor allem mit Elfen – war eine Falle.
»Wie viele Versuche habe ich?«
»So viele du wünschst«, meinte er.
»Ich spreche nicht in Wünschen«, sagte ich.
Er zog eine Augenbraue hoch. »Ach nein?«
Ich knirschte mit den Zähnen. »Sag es anders.«
Er kicherte. »So viele, wie du möchtest.«
»Zählst du mit?«
Er grinste wieder spöttisch.
»Kluges Geschöpf«, lobte er. »Natürlich.«
»Dachte ich mir.«
Ich würde vorsichtig mit meinen Antworten sein und sie auf ein Minimum beschränken müssen.
»Und wenn ich scheitere?«
»Dann scheiterst du«, antwortete er. »Und du wirst sechs Jahre lang meine Gefangene sein, plus ein Jahr für jede falsche Antwort, die du gibst.«
»Und welche Folgen hat es, wenn ich richtig rate?«
Sein Lächeln wurde sündig, seine Miene schelmisch, und ich erhaschte einen Blick darauf, was unter seiner Haut lauerte – vielleicht das wahre Biest.
»Sprich meinen Namen aus, und finde es heraus.«
Ich musterte ihn argwöhnisch und wog meine Optionen ab, allesamt folgenschwer.
Selbst wenn ich den Namen des Biests erraten würde – was für ein Übel würde ich dann entfesseln?
Und spielte es wirklich eine Rolle, ob ich frei war?
»Ich werde deinen Namen erraten«, sagte ich.
Seine Antwort war lediglich ein Grinsen.
DAS BIEST
Das Biest ließ meine Handgelenke los, und ich stemmte die Hände gegen seine Brust, doch mit einem Mal war er verschwunden.
Ich setzte mich auf.
Wo war er hin?
Ich versuchte, aufzustehen, aber mein Knöchel war geschwollen und blaurot angelaufen. Ich stemmte mich auf Hände und Knie und kämpfte mich auf die Beine. Dann stellte ich fest, dass ich mich nun vor dem Eingang eines Schlosses befand. Ich kniff die Augen zusammen und entdeckte eine Tür.
Hastig stolperte ich darauf zu, allerdings etwas zu forsch für meinen verletzten Knöchel – ich stürzte und fiel der Länge nach hin.
»Wie wäre es, wenn du gleich dort unten bleibst?«, vernahm ich die Stimme des Biests. Ich sah zu ihm auf, und der Blick seiner dunklen Augen hielt mich gefangen. Er stand Wache an der Tür und wirkte größer als zuvor. »Deinen Knien scheint es zu gefallen.«
»Fick dich.«
»Das wirst du schon noch«, meinte er bloß. »Weit früher als du denkst, falls du mein Schloss verlässt.«
Ich spürte, wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich, und das schien Freude in den Augen des Biests zu entfachen. Bis es den Blick senkte. Ich war voller Schlamm, und nun, da ich im Warmen war, trocknete er auf meiner Haut.
»Nimm ein Bad«, befahl er. »Du siehst aus wie ein Schwein und stinkst auch so.«
Zornig funkelte ich ihn an, während ich mich erhob, und verschränkte dann die Arme vor der Brust. Es erschien albern, mich jetzt zu bedecken, aber seine so plötzlich unterkühlte Haltung mir gegenüber ließ mich erkennen, wie töricht ich mich diesen Abend aufgeführt hatte. Ich hätte versuchen sollen, ihn zu töten, in dem Augenblick, als ich ihm begegnet war. Stattdessen hatte ich mich von ihm berühren lassen, und das hatte ihm nur Macht über mich verliehen.
Mein Mund verzog sich zu einem verächtlichen Lächeln.
»Widere ich dich an?«, fragte ich und genoss den Gedanken.
Er zog eine Augenbraue hoch.
»Offensichtlich nicht.«
Ich hielt seinen Blick fest. Ich wollte meine Augen nicht wandern lassen, denn ich wusste sehr genau, wovon er sprach. Ich konnte die Härte seiner Erektion an meiner Mitte noch immer fühlen.
Vielleicht war er ja nicht der Einzige hier, der Macht über jemanden hatte.
Ich schaute mich um. Es war dunkel, trotz mehrerer entzündeter Kerzen, die in Nischen vor sich hin flackerten. Blühende Weinranken kletterten die Wände hinauf und hingen von der Decke hinab. Hinter mir befand sich eine mit Moos bedeckte Treppe, deren Geländer ebenso von hängenden Ranken umwunden war. Ein Weg in ein Obergeschoss, das aussah wie das finstere Dickicht des Verzauberten Waldes.
Es wunderte mich jetzt nicht mehr, dass ich mich draußen zwischen Bäumen wiedergefunden hatte, als ich aus dem Gemach des Biests geflohen war. Anscheinend glich sein gesamtes Schloss einem Wald.
»Was schlägst du vor, wo ich baden soll?«, fragte ich.
»Vor meinen Augen«, antwortete er, und erneut veränderte sich meine Umgebung. Plötzlich befand ich mich in einem großen, höhlenartigen Raum. Wasser tropfte von den Felswänden einer Grotte in einen Teich, in den ein kleiner Strom hineinfloss, der in der Düsternis verschwand.
Wütend drehte ich mich zu dem Biest um.
»Ich werde nicht vor deinen Augen baden«, erwiderte ich.
»Wenn du nicht vor meinen Augen baden willst, dann wirst du vor ihren Augen baden«, erklärte er und neigte den Kopf in die Richtung, wo die Grotte in Finsternis versank und mehrere rote Augenpaare aufblitzten. Hässliches raues Gelächter folgte, und die Kreaturen traten aus dem Schatten ins Licht.
Die Augen gehörten zu kleinen Goblins mit großen, spitzen Zähnen und Klauenfingern. Ihr langes Haar war zottelig und hatte Ähnlichkeit mit den Wurzeln eines alten Baumes. Auf ihren Köpfen saßen Zipfelmützen, rot von Blut, das in ihr verfilztes Haar und in ihre Gesichter getropft war.
Ich unterdrückte einen Aufschrei und guckte ihn böse an.
»Lieber würde ich sterben«, sagte ich.
»Wie du willst«, meinte das Biest und zuckte träge mit einer Schulter. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und ließ mich allein mit den blutbesudelten Kreaturen. Ihre Gesichter blickten finster drein, und ihre roten Augen funkelten wütend, als sie erneut mit der Dunkelheit verschmolzen. Einen kurzen Moment lang dachte ich, sie würden mich vielleicht in Ruhe lassen – bis einer mir einen Stein an den Kopf warf.
Ich konnte ihn abfangen – nur um von einem anderen direkt ins Gesicht getroffen zu werden.
Blut schoss aus meiner Nase, und ich verbarg schützend das Gesicht hinter den Händen, als noch mehr Steine auf meinen Körper einprasselten.
»Na gut! Na gut, du elender Mistkerl!«, schrie ich. »Ich bade vor deinen Augen!«
Der Angriff stoppte sofort, und als ich den Kopf wieder hob, sah ich, dass der Elfenlord zurückgekehrt war. Er stand dicht neben mir, mit einem selbstzufriedenen Lächeln auf seinem hübschen Gesicht.
»Vermutlich hätte ich erwähnen sollen, dass die Rotmützen Steine werfen«, meinte er.
Wutschnaubend baute ich mich vor ihm auf und spuckte ihm Blut ins Gesicht.
»Ich hasse dich.«
Er wischte sich das Blut nicht weg und machte keine Anstalten, mich zu bestrafen. Stattdessen lächelte er, boshaft und grausam.
»Oh, du böses Ding, du weißt gar nicht, was Hass ist. Gib mir nur Zeit.«
Noch nie hatte ich solche Mordlust empfunden, und ich fragte mich, welche Folgen es wohl haben würde, wenn man gleich zwei Elfenlords tötete. Doch meine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als ein weiterer Stein aus der Dunkelheit auf mich zuflog. Aber diesmal fing das Biest ihn mit seiner klauenartigen Hand und warf ihn zurück. Ein lautes Knacken war zu vernehmen, und einer der Rotmützen fiel mit dem Gesicht nach unten zu Boden, eine Blutlache bildete sich um seinen Kopf. Nur Sekunden später zogen ihn Krallenhände zurück in den Schatten, während die Geschöpfe zornerfüllte Schimpfwörter murmelten.
Danach flogen keine Steine mehr.
Das Biest sah mich an.
»Bade. Sie werden dich nicht belästigen, solange ich hier bin.«
»Werden sie zusehen?«
»Wahrscheinlich«, gab er zu. »Aber keine Sorge. Sie werden nur nach deinem Blut gieren, nicht nach deinem Körper.«
Ich presste die Lippen zusammen und begutachtete dann den Teich. Er lag leicht erhöht und war nur durch eine Reihe schmaler Stufen erreichbar. Ich überlegte, ob ich das Bad gänzlich ablehnen solle, doch ein Blick an mir herab genügte, um meine Meinung zu ändern. Durch den Schlamm war schwer zu sagen, wie verletzt ich wirklich war – nicht nur mein Knöchel, sondern mein ganzer Körper. Gar nicht zu reden davon, dass das Blut aus meiner Nase langsam auf meinem Gesicht und meinem Oberkörper trocknete.
Ich ging zum Teich und beäugte das Wasser. Würde ein Naturgeist aus seinen Tiefen emporschießen und mich ertränken? Kümmerte mich das überhaupt? Bis jetzt war mir nie der Gedanke gekommen, dass ich nur um wenig zu kämpfen hatte außer mir selbst. Welche Freiheit lag jenseits dieser Mauern, abgesehen von Einsamkeit?
Ich streifte die Überreste meines Nachthemdes ab, stieg langsam die Stufen hinauf, und obwohl ich hauptsächlich den unverletzten Knöchel belastete, war es beinahe unerträglich, das Gewicht auf den anderen zu verlagern. Ich ging auf die Knie, um irgendwie über den Rand des Teiches zu kriechen, da bot mir das Biest seine Hand, an der lange Fingernägel prangten, gewetzt wie scharfe Klingen. Weil ich zu erschöpft war und nicht den Wunsch hatte, mir noch weitere Verletzungen zuzuziehen, nahm ich sie. Er hielt meine Finger, und ich glitt in den Teich.
Das Wasser war nicht so tief, wie ich gehofft hatte, sondern reichte nur bis etwa zur Mitte der Oberschenkel. Ich watete bis zur Mitte hinein, drehte mich dann um und ließ mich in den Teich sinken, ohne das Biest aus den Augen zu lassen. Das Wasser war überraschend warm, und trotz seiner lindernden Wirkung lenkte es auch meine Aufmerksamkeit auf meine Schmerzen.
Ich holte tief Luft und atmete seufzend wieder aus.
»Haben meine Brüder dich verwundet?«, erkundigte er sich.
Er hatte den Blick nicht von mir gewandt, und in seinem Gesicht stand eine gewisse Strenge. Wenn ich hätte raten müssen, fragte er wohl wegen der Blutergüsse, mit denen mein Körper übersät war.
»Nein. Deine Brüder waren nicht das einzige Unglück, das mir heute widerfahren ist … oder vielleicht war das auch gestern.«
Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Mehr sagte ich nicht, verschwieg den Fluch des Brunnens und vor allem die Sache mit der Kröte, denn nichts davon war wichtig. Nichts davon würde meine Gegenwart oder Zukunft ändern.
Und das Biest hakte nicht weiter nach.
»Bedeutet das, deine Gefangene zu sein?«, fragte ich. »Keinen Augenblick für sich allein zu sein?«
»Wünschst du, zu Tode gesteinigt zu werden?«
»Lauern denn Rotmützen in jeder Ecke deines Schlosses?«
Er grinste, antwortete jedoch nicht.
»Ich werde dir einen Moment Frieden lassen, sobald du sicher in deinem Zimmer bist.«
»Meinem Zimmer?«
»Deiner Zelle, deinem Gefängnis«, berichtigte er sich. »Nenne es, wie du willst, aber ich nehme an, du verstehst die Notwendigkeit, bis Tagesanbruch drinnen zu bleiben?«
Mein Blick verdüsterte sich.
Die Nacht selbst war schon gefährlich genug, doch die Nacht im Verzauberten Wald war Selbstmord. Als ich noch jünger war, forderten sich immer wieder törichte Jungen gegenseitig heraus, die Nacht im Wald zu verbringen. Doch egal, wie nahe sie der Grenze blieben, man hörte nie wieder etwas von ihnen.
Manchmal wurden die Leichen im Tageslicht gefunden, geschlagen und gebrochen oder bis auf die Knochen zerfetzt. Andere blieben für immer verschwunden, und ich fragte mich oft, ob sie wohl fortgebracht worden waren, in ein anderes Königreich, um dort Sklaven oder Konkubinen irgendeines großen Feenherrschers zu werden.
»Und nach Tagesanbruch?«
»Darfst du gehen, wohin du dich wagen willst, doch nur dann, wenn ich keine Verwendung für dich habe.«
Ich knirschte mit den Zähnen. »Was für eine Verwendung?«
»Was immer ich wünsche«, sagte er. »Du bist meine Gefangene.«
»Und wenn ich mich weigere?«
»Du wirst immer eine Wahl haben«, meinte er.
Mir war klar, was er mit Wahl meinte. Entweder ich gestattete ihm, mir beim Baden zuzusehen, oder ich wurde zu Tode gesteinigt.
Ich musterte ihn einen Moment lang und ließ mich dann rücklings ins Wasser sinken. Ich säuberte Gesicht und Haar, und als ich damit fertig war, blieb ich unter Wasser und ließ die Luft aus meinem Mund entweichen, bis meine Lungen brannten und das Wasser sich schwer anfühlte, wie die Wände eines Eisensarges.
Da packten mich Hände bei den Armen, ich riss die Augen auf und holte tief und keuchend Luft, als ich aus dem Wasser auftauchte. Das Biest schaute mich böse an, heftige Wut loderte in seinen Augen.
»Du darfst diese Welt nicht aus eigenem Willen verlassen«, grollte er, und sein Blick fiel auf meine Lippen. »Und falls du es doch schaffst, werde ich dir in den Tod folgen und dich für alle Ewigkeit heimsuchen.«
Seine wütende Reaktion irritierte mich, aber mir blieb keine Zeit, weiter über seinen Zorn nachzusinnen, da er mich abrupt wieder losließ. Ich versuchte, ihn zu fassen zu kriegen, als ich fiel, doch da war nichts, woran ich mich festhalten konnte. Er war bereits fort. Ich landete auf etwas Weichem – einem Bett, wurde mir klar, während ich mich aufsetzte, noch immer nass und nackt.
Ich sah mich in dem Zimmer um. Es war schmal, weit schmaler als lang. Links gab es ein unverhülltes Fenster, rechts einen Kamin, in dem ein Feuer knisterte und den Raum beinahe unerträglich aufheizte. Ich rutschte vom Bett und spürte einen weichen Teppich unter meinen Füßen. Kurz zögerte ich und bückte mich dann, um mit den Händen darüberzustreichen. Ich hatte noch nie etwas Derartiges berührt. Bisher hatte ich immer nur das Gefühl von verdichtetem Erdboden oder vielleicht mal eines handgewebten Teppichs gekannt.
Wenn das hier meine Zelle sein sollte, war sie höchst luxuriös.