Musik als Träger kultureller Identität - Marco Hübner - E-Book

Musik als Träger kultureller Identität E-Book

Marco Hübner

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Beschreibung

Musik als Träger kultureller Identität. Nationale Diskurse in der Republik Italien anhand der Gruppe Frei.Wild in der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol. Eine Masterarbeit von Marco Hübner, erschienen in der Wissenschaftlichen Reihe des Hirnkost Verlags. In dieser Reihe erscheinen herausragende wissenschaftliche Arbeiten zu jugendkulturellen Zusammenhängen. Die Arbeiten werden von fachkundigen GutachterInnen gelesen und für die Veröffentlichung professionell lektoriert und gestaltet.

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Wissenschaftliche E-Book-Reihe, Band 16

Originalausgabe© 2016 Hirnkost KG (vormals Archiv der Jugendkulturen Verlag KG), Berlin und bei den AutorInnenAlle Rechte vorbehalten

Hirnkost KGFidicinstraße 3, D – 10965 BerlinE-Mail: [email protected]; www.jugendkulturen-verlag.de Ansprechpartner für die Wissenschaftliche Reihe: Klaus Farin

Vertrieb: www.shop.jugendkulturen.de und alle einschlägigen Anbieter

eISBN: 978-3-945398-37-1

Lektorat: Gabriele Vogel

Die Wissenschaftliche Reihe

Alljährlich entstehen an Universitäten und Fachhochschulen Hunderte von wissenschaftlichen Arbeiten, die zumeist nur von zwei GutachterInnen gelesen werden und dann in den Asservatenkammern der Hochschulen verschwinden. Dabei enthalten viele dieser Arbeiten durchaus neues Wissen, interessante Denkmodelle, genaue Feldstudien. Das Archiv der Jugendkulturen, Fachbibliothek und Forschungsinstitut zugleich zu allen Fragen rund um Jugendkulturen, hat deshalb damit begonnen, wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Jugend zu sammeln. Mehr als 800 solcher Arbeiten enthält die Präsenzbibliothek des Archivs inzwischen – für jedermann kostenlos und frei zugänglich.

In der Wissenschaftlichen Reihe publiziert der 2003 aus dem Archiv der Jugendkulturen heraus entstandene Verlag (seit Oktober 2015 in Hirnkost KG umbenannt) zudem qualitativ herausragende wissenschaftliche Arbeiten zu jugendkulturellen Zusammenhängen. Die Arbeiten werden von fachkundigen GutachterInnen gelesen und für die Veröffentlichung professionell lektoriert und gestaltet. Da pro Jahr von ca. 50 eingereichten Arbeiten nur maximal zwei veröffentlicht werden, kann bereits die Aufnahme in den Verlagskatalog als Auszeichnung verstanden werden. Doch für die AutorInnen lohnt sich die Veröffentlichung auch materiell. Wir verlangen grundsätzlich keinerlei Kostenbeteiligungen! Im Gegenteil: Unsere AutorInnen erhalten bereits für die Erstauflage ein Garantiehonorar von 1.000 Euro!

Seit 2011 wird diese Reihe durch eine elektronische Schwester ergänzt. Denn immer wieder mussten wir hervorragende Manuskripte ablehnen, da ein kleiner Verlag wie der unsrige sich nicht mehr als zwei wissenschaftliche Titel mit den gesetzten Qualitätsstandards und dem bewusst niedrig angesetzten Ladenpreis (um möglichst viele Menschen zu erreichen) leisten kann. Die E-Book-Reihe soll dieses Manko ausgleichen. Was für die Printreihe gilt, gilt auch für unsere E-Books: Sie werden ebenfalls sorgfältig ausgewählt und lektoriert, die AutorInnen erhalten ein kleines Garantiehonorar und werden am Umsatz beteiligt.

AutorInnen einer unveröffentlichten wissenschaftlichen Arbeit zum Fokus Jugendkulturen können sich um den Respekt!-Preis zur Förderung wissenschaftlicher Arbeiten über Jugendkulturen bewerben: www.respekt-stiftung.de.

PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT

INSTITUT fÜR ROMANISTIK

Lehrstuhl für Kulturen romanischer Länder

Gutachterin 1: Prof. Dr. Eva KimminichGutachter 2: Dr. Jens Häseler

MASTERARBEIT

zur Erlangung des akademischen Grades „Master of Education“ über das Thema:

Musik als Träger kultureller Identität Nationale Diskurse in der Republik Italien anhand der Gruppe Frei.Wild in der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol

vorgelegt von:

Marco Hübner, B.Ed.

Potsdam, der 18. Juni 2015

INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

1.1 UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND

1.2 FORSCHUNGSLAGE UND EINGRENZUNG

1.3 FRAGESTELLUNG UND HYPOTHESEN

1.4 BEGRIFFSKLÄRUNGEN

1.4.1 Kulturelle Identität

1.4.2 Heimat

2. THEORETISCHER RAHMEN

2.1 MUSIKTHEORETISCHE GRUNDLAGEN

2.1.1 Musik und Staat im 21. Jahrhundert

2.1.2 Musik und kulturelle Identität

2.2 MUSIKKULTUR IM KLANGSPEKTRUM SÜDTIROLS

2.2.1 Gestern und Heute

2.2.2 Frei.Wild als Beispiel der Südtiroler Deutschrockszene

2.3 DIE FRAGE NACH DER IDENTITÄT: ERINNERUNGSKULTUREN UND VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG IN DER AUTONOMEN PROVINZ BOZEN-SÜDTIROL

2.3.1 Vergangenheitsbewältigung: Schwerpunkt Deutsch-Südtiroler Bevölkerung (1919-1945)

2.3.2 Wege der Erinnerung: Entwicklungslinien 1945 bis heute

2.4 SÜDTIROL IM SPANNUNGSFELD DES NATIONALEN (ITALIENISCHEN) KONSTRUKTES

2.4.1 Südtirol aus hybridologischer Sicht – Zwischen Pluralismus und Abgrenzung

2.4.2 Südtirol im Vergleich mit anderen sprachlichen Minderheiten Europas – (K)ein Sonderfall?

3. FORSCHUNGSDESIGN UND METHODE

3.1 FALLAUSWAHL UND ERLÄUTERUNG

3.2 FELDZUGANG UND ERHEBUNG

3.3 AUSWERTUNGSMETHODE

4. FORSCHUNGSANALYSE

4.1 TEXT MACHT MUSIK – DIE WIEDERKEHR BESTIMMTER WORTFELDER IN DEN SONGTEXTEN

4.2 KEINE POLITIK? – SICHTWEISEN AUFFREI.WILDS DEFINITION DES UNPOLITISCHEN IN IHRER MUSIK

4.3 SELBSTBILD UND BILDNER IHRER SELBST – ZUR EIGENDARSTELLUNG VONFREI.WILD

5. SCHLUSSFOLGERUNGEN

LITERATURVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

ANHANG

1. Einleitung

1.1 Untersuchungsgegenstand

La Città di Bolzano, libera e democratica, condanna le divisioni e le discriminazioni de passato e ogni forma di nazionalismo, e si impegna con spirito europeo a promuovere la cultura della pace e della fratellanza.1

Getragen von dem demokratischen Grundsatz der Einheit und Brüderlichkeit steht dieser Auszug der Gedenktafel für eine Vielzahl von Aufarbeitungsprozessen in der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol – jene Region, die seit 1919 dem italienischen Staat angehört und durch ihre Sprach- und Kulturvielfalt geprägt ist. Die Republik Italien setzt sich seit vielen Jahren mit regionalen Autonomiebewegungen auseinander. Durch die Unterdrückung in der Zeit des italienischen Faschismus geformt, leben in der Provinz Bozen-Südtirol politische Strömungen mit dem deklarierten Ziel der Selbstbestimmung auf, oftmals mit einem nationalistisch-konservativen Unterton. Der Regionalismus erreicht im 21. Jahrhundert durch die europäische Finanz- und Wirtschaftskrise (nachfolgend als „die Krise“ bezeichnet) einen neuen Stellenwert in Europa, wofür Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien, Flandern oder Schottland jüngste Zeugen sind. Forciert durch die Krise verstärkt sich vielerorts der Wunsch in der Bevölkerung nach Verbindlichkeit und Gemeinschaftszugehörigkeit. Kollektive Werte von Pflicht und Akzeptanz, weg von Pluralisierung und Individualisierung, erleben eine Renaissance.2 In Südtirol blühen die Begeisterung für rechtspopulistische Parteien und, so die Südtiroler Zeithistorikerin Eva Pfanzelter, „vergessen geglaubte[.] Deutschtumslogans“3 seit Jahren wieder auf, und die Distanz von einem Miteinander der Kulturen in der Provinz ist im Begriff, sich erneut festzusetzen.

Diese Suggestion des Denkens kann über unterschiedliche Kanäle erfolgen und die kulturelle Identität von Individuen und Gruppen beeinflussen. Die Musik ist dabei ein entscheidender Faktor und bildet dadurch den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. Wenn Zeilen wie „Kurz gesagt, ich dulde keine Kritik, an diesem heiligen Land, das unsre [sic] Heimat ist“4, „Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat / Ohne sie gehen wir unter, stirbt unser kleines Volk“5 zusammentreffen, wird ein Thema deutlich, das einer Debatte zu entnehmen ist, welche seit Jahren andauert und bis dato keinen Abschluss gefunden hat. Die Rede ist von der Südtiroler Rockband Frei. Wild, die besonders in Deutschland aufgrund ihrer Songtexte und Interviews kritisch wahrgenommen und der eine Nähe zu rechtspopulistischen Ideologien nachgesagt wird. Durch den zunehmenden ökonomischen Erfolg der mehrmals mit Gold und Platin ausgezeichneten Band6 ist Frei. Wild ein zentraler Repräsentant für gegenwärtig existierenden Rock in deutscher Sprache. Die wenigen wissenschaftlichen Arbeiten und fundierten Diskurse behandeln maßgeblich den Gegenstand Frei. Wild als Kontroverse darüber, in welchem Rahmen die Gruppe als Band des rechten politischen Spektrums eingestuft werden kann. Vorwiegend übt die bundesdeutsche Musikszene Kritik an der textuellen Ausrichtung. Der Höhepunkt der Diskussion zeigt sich im Ausschluss der Band von der Nominierungsliste des größten deutschen Musikpreises ECHO im Jahr 2012.7 Die Debatten werden durch die Texte mit patriotischen und Heimat bejahenden Passagen ausgelöst, wobei Band und Kritiker_innen für ihren jeweiligen Standpunkt beharrlich einstehen. Jedoch wird der zentrale Aspekt der Fokussierung auf die Provinz Bozen-Südtirol größtenteils ausgespart. Mit der Rechtfertigung seitens der Musikgruppe, dass Texte über starkes Heimatbewusstsein in Südtirol anders wahrgenommen würden, setzt die Lücke in der wissenschaftlichen Literatur ein. Die 2001 gegründete Band Frei.Wild bekräftigt konsequent, keine politische musikalische Gruppierung zu sein, da ein Gesang über die Heimat nicht als politischer Auftritt zu werten sei.8 Des Weiteren ist es auffällig, dass die Mehrheit der Debatten im bundesdeutschen Raum auf Grundlage seiner Geschichte geführt wird. Trotz der Tatsache, dass Frei. Wild den stärksten kommerziellen Erfolg in Deutschland verzeichnet, geht es den Musikern vordergründig um ihre Herkunft Südtirol. Eine Vielzahl von Betrachtungen spart diese Seite der Analyse meist völlig aus und man nimmt Aussagen der Band an, dass Heimat und Patriotismus in Südtirol anders definiert bzw. gelebt würden. Eine wissenschaftliche Fokussierung auf das Thema Frei.Wild im Spannungsfeld Südtiroler und damit italienischer Alltagswelten erfolgte bislang rudimentär. Eine gerechte, objektive Darstellung und Auswertung der musikalischen Arbeit der Gruppe kann nur dann erfolgen, wenn der eigentliche Kern, die italienisch-südtirolerische Perspektive, eingenommen und evaluiert wird.

Das Ziel der Untersuchung soll eine Auseinandersetzung mit den Songtexten und der musikalischen Umsetzung der Gruppe Frei.Wild sein. Dabei wird der Umgang mit der Heimatregion Südtirol kritisch betrachtet und diskutiert. Die Untersuchung stellt prinzipiell keine Anleitung für richtiges Denken dar. Sie soll Zugänge öffnen, hinter dem Gesungenen Bedeutungen erkennbar machen und ein sachkundiges Reden darüber ermöglichen.

1.2 Forschungslage und Eingrenzung

Das diskutierte Thema bedient sich dreier Forschungsfelder, deren Stand in der wissenschaftlichen Literatur überprüft werden muss: primär die Wirkung von Musik als Träger kultureller Identität, in einem nächsten Schritt die derzeitigen Prozesse nationaler Diskurse in der Republik Italien mit dem Schwerpunkt Südtirol und schlussendlich die Verortung der Gruppe Frei. Wild in der aktuellen Forschungslandschaft.

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Analyse populärer Musik ist aus Sicht deutschsprachiger Untersuchungen erst in den letzten Jahrzehnten gewachsen, dennoch bleibt die Literaturlage mangelhaft.9 Nennenswerte Wegbereiter sind die Beiträge zur Popularmusikforschung, welche seit 1986 durch den Arbeitskreis Studium Populärer Musik e. V. (ASPM) herausgegeben werden.10 Seit den 1980er Jahren rückte der Aspekt der kulturellen Identität in den Fokus der Musikforschung. Bedingt durch die Dynamik der Globalisierung wuchs, so der Musikforscher Detlef Altenburg, „die Frage nach der Bedeutung der Musik für das komplexe System Kultur und für das Individuum“.11 Mit einem Blick auf die Erforschung nationaler Diskurse in der Republik Italien ist zunächst zu erwähnen, dass sich die Ergründung der Forschungslage auf die Autonome Provinz Bozen-Südtirol beschränkt, weil das Bezugspaar Italien-Südtirol Hauptgegenstand der hiesigen Untersuchung ist. Die Aufarbeitung der Geschichte der seit knapp 100 Jahren zur italienischen Republik gehörenden Provinz Bozen-Südtirol beschränkt sich stark auf die deutschsprachigen Historiker der Region.12 Aus italienischsprachiger Sicht handelt es sich bei den meisten Fällen lediglich um die Übersetzung der Südtiroler Arbeiten deutscher Sprache. Insbesondere in den letzten 15 Jahren erschienen Zeitzeugenberichte und wissenschaftliche Analysen über die Geschichte Südtirols nach dem Ersten Weltkrieg. Waren es zuvor maßgeblich Darstellungen, welche die Geschichte der Region aus einer Opferperspektive schilderten, ist es aktuell ein reflektierter Umgang mit der Vergangenheit. In der Forschung ist erkennbar, dass sich eine gesamtsüdtiroler Debatte etabliert, die Grenzen des Nebeneinanders verschwimmen lässt und auf alle gesellschaftlichen wie sprachlichen Gruppen eingeht. Neben den angemerkten Historikern sind es die Forschungsakademie EURAC (The European Academy of Bozen/Bolzano), das Zentrum für Regionalgeschichte der Freien Universität Bozen und das Jüdische Museum Meran, die den Weg der gemeinsamen Geschichtserzählung wählen. Dies sind zentrale Institutionen der Wissenschaft für die Region Südtirol. Ihre Forschungsweise ist das Beispiel für die Veränderungen der Gesellschaft in der Provinz seit dem letzten Jahrzehnt. Der Ausspruch Klaus Bergmanns, „so viel Geschichte war noch nie“13, als Anspielung auf die zunehmende Zahl von Publikationen über Geschichte, gilt auch für den Forschungsraum Südtirol, wovon diese Arbeit profitieren kann. Im Spannungsfeld von Musik und Südtiroler kultureller Identität ist für die Gruppe Frei. Wild als drittes Forschungsfeld ein ernüchterndes Bild der aktuellen Forschung zu zeichnen. Trotz des kommerziellen Erfolgs und zahlreicher Thematisierungen in den Medien wurde eine wissenschaftliche Betrachtung selten vorgenommen. Erste Verweise lassen sich bei Hans Heiss finden, der die Band 2006 als „patriotisch getunt“ einschätzte und in den Internetforen auf der Seite der Band politisch rechtsgerichtete Inhalte dokumentierte.14 In jüngerer Zeit erschienen mit dem Aufsatz von Thorsten Hindrichs und der Studie von Klaus Farin15 zwei ausführliche Untersuchungen über die Band Frei.Wild, wobei Hindrichs als Musikwissenschaftler der Gruppe eine „Sarrazinisierung des Popdiskurses“16 attestiert und Farin als Schriftsteller, obgleich Verfasser einer einmaligen Fanstudie, den Musikern einen breiten Raum der Selbstdarstellung gewährt.

Für die nachfolgende Analyse stehen wissenschaftlich veröffentlichte Ressourcen unterschiedlicher Qualität zur Verfügung. Aus diesem Grunde ist es notwendig, eine Eingrenzung des zu untersuchenden Rahmens vorzunehmen. Der prinzipielle Anspruch dieser Arbeit liegt in der kulturwissenschaftlichen Betrachtung und ist weniger musikwissenschaftlicher Natur. Daher wird bewusst die klangliche Ebene der Musikstücke ausgespart und die Textgestaltung der Frei.Wild-Lieder hinsichtlich der Diskurse Volk und Heimat überprüft. Da es sich hierbei um eine Untersuchung im Bereich der Romanistik handelt, wird auf eine bundesrepublikanische Perspektive verzichtet und der politische Raum Südtirol/Italien zum Schwerpunkt gemacht. Nicht zuletzt legitimiert sich dieses Vorgehen dadurch, dass die Gruppe Frei.Wild aus der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol stammt und im Zuge der genannten Diskurse immer wieder auf ihre Herkunft verweist.

1.3 Fragestellung und Hypothesen

In Anbetracht der kontinuierlichen textuellen Verarbeitung der Themen Heimat, Traditionsbewusstsein und der Kritik über die Band selbst ist zu hinterfragen, inwieweit Frei.Wild die Kultur der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols repräsentiert, sodass sich Entwicklungen zuungunsten des kulturellen Miteinanders in der Provinz verzeichnen ließen. Die wiederkehrend beschriebenen „Feinde“17 der Region wurden zum beliebten Motiv in den Texten mit Bezug zur Provinz Bozen-Südtirol. Doch ist diese Provinz konkret von Feinden bedroht? Befinden sich die deutschsprachigen Südtiroler_innen seit der letzten Erweiterung des Autonomiestatus 1992 und einer Ergänzung im Jahr 2000 in einem täglichen Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit? Darauf aufbauend wird die folgende Untersuchung der Frage nachgehen, ob sich in den Texten, Musikvideos und Interviews Widersprüche finden lassen, die das Bild der kulturellen Realität Südtirols verfälschen, oder ob sie das reale Bild wiedergeben. Hierzu können insgesamt folgende drei Hypothesen abgeleitet werden:

Die Südtiroler Band Frei.Wild und ihre Texte, die zum Teil immer wieder die deutschsprachige Kultur der Südtiroler_innen verteidigen, spiegeln nicht die Realität des kulturellen Miteinanders der Provinz wider.

Die Texte repräsentieren einerseits das kulturelle Verständnis einiger Südtiroler_innen, verschweigen allerdings die kulturelle Vielfalt.

Diverse Texte der Gruppe Frei. Wild bergen bei zunehmender Etablierung der Band das Potential, ein gesellschaftliches Nebeneinander zu forcieren.

1.4 Begriffsklärungen

1.4.1 Kulturelle Identität

Kulturelle Identität als Ausgangspunkt der Untersuchung ist schwer in der Bemessung, ist kein fait accompli.18 Gleichwohl haben sich zahlreiche Wissenschaftler_innen dieser Melange aus Kultur und Identität angenommen. Zur Frage der Bestimmung geben Massow/Auhagen zwei Möglichkeiten der Annäherung. Einerseits sei Identität „als das Spezifische einer Kultur bestimmbar in Abhebung von etwas Allgemeinen“, andererseits definierbar „durch die Unterscheidung vom anderem Spezifischen, also von Identitäten anderer Kulturen“19. Präzisiert bedeutet dies nach Manger die mehrfache Abgrenzung von Kollektiv-Identitäten, deren Wurzeln in Sprache, Bräuchen, Liedern und Ähnlichem liegen.20 Die Parameter zur Messung von kultureller Identität definieren sich demnach in der Auflistung von Abgrenzungsfaktoren zu anderen kulturellen Identitäten, sodass der Unterschied den Kern der Messung ausmacht.

1.4.2 Heimat

Der Begriff „Heimat“ situiert sich in einem scheinbar altmodisch, beinahe romantisch verklärten Raum. Es ist ein Wort, das beispielsweise nur schwer in andere Sprachen zu übersetzen ist. Während für das Italienische der Ausdruck la patria oder das Englische home als geeignete Übersetzungen existieren, ist der deutsche Heimatbegriff ein Phänomen, das sich nicht nur durch Territorialität definiert. Er ähnelt sehr stark dem Verständnis einer Nation, die nach Anderson als eine vorgestellte Gemeinschaft zu verstehen ist. Vorgestellt, „weil die Mitglieder […] die meisten anderen niemals kennen, ihnen begegnen oder auch nur von ihnen hören werden, aber im Kopf eines jeden die Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert“21. Es handelt sich um ein spirituelles Konzept, das für die vorliegende Arbeit eingegrenzt werden muss. Nach Neumeyer ist es in erster Linie eine komplexe Gesamtbeziehung, verbunden mit Ansprüchen und Bedürfnisse von Menschen zu ihrer Umwelt und an ihre Umwelt.22 Nach Peterlini definiert sich Heimat ferner als ein ideelles Gut, das sich durch einen permanent wachgehaltenen Verteidigungsauftrag, hervorgerufen durch die „Sorge um sich selbst“23 (Foucault), und sich in der Ablehnung alles Fremden aktualisieren kann.24

2. Theoretischer Rahmen

2.1 Musiktheoretische Grundlagen

2.1.1 Musik und Staat im 21. Jahrhundert

Die Wirkung von Musik und speziell jene der Gruppe Frei. Wild kann für Südtirol nur verstanden werden, wenn zunächst eine allgemeine Annäherung zur Wirkungskraft von Musik vorgenommen wird, um im Nachhinein ein Erklärungsmuster für einen möglichen Einfluss der Texte der Band auf die kulturelle Identität der Südtiroler_innen zu haben. Gemäß Georg Brunner braucht Musik jemanden, der sie versteht; ohne Gesellschaft kann Musik nicht lebendig werden. Brunner rückt in seiner Betrachtung zur Musik in Gesellschaft und Politik die gesellschaftliche Vielfalt in den Mittelpunkt und betont, dass es durch die Vielfalt einer oder mehrerer Gruppierungen „automatisch verschiedene Ausprägungen von Musik geben [muss]“. Musik begegne jedem Menschen, sei es digital, in Handschrift oder mittels eines Notendrucks. Daneben existiere etwas Notiertes über Musik, das von Musikwissenschaftler_innen, Musiktheoretiker_innen, ausübenden Musizierenden oder anderen generiert würde.25

Im weiteren Verlauf werden zentrale Aspekte der aktuellen musiktheoretischen Forschung in den Fokus gerückt, die bei einer Analyse von musikalischen Gruppen und deren Umgang mit kulturellen und politischen Werten elementar sind. Das heißt einerseits, wie Musik und Staat sich im 21. Jahrhundert bedingen, andererseits, wie Musik konkret auf die kulturelle Identität Einfluss nehmen kann. Das Wortpaar „Musik“ und „Staat“ ist auch im 21. Jahrhundert von aktueller Bedeutung. Es ist kein Artefakt aus der Zeit der Nationalstaatenbildung im 19. Jahrhundert, in der mit heroischen Liedern und Hymnen ein neues Nationalbewusstsein gefeiert wurde. Daran erinnert das Wortpaar mitunter, auch daran, dass Musik den Staat kritisieren kann, wie in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts im Zuge von Friedensbewegungen. Im Falle der Gruppe Frei. Wild ist zunächst herauszufinden, wodurch es mit Musik gelingt, für ein breites Publikum attraktiv zu sein.

Anknüpfend an Brunner besitzt Musik die Eigenschaft, gemeinschaftsbildend zu wirken. Dies kann sowohl am Arbeitsplatz als auch bei Konzerten, in Jugendkulturen oder im Gottesdienst geschehen. Musik besitzt demnach die Fähigkeit über „soziale Schichten und Schranken hinweg zu wirken“ und eine „Kraft der Stellungnahme, der Opposition [und] des Widerstands“ zu entwickeln.26 Den Anspruch zu haben, Musik nicht politisch wirken zu lassen, ist anfänglich nicht abzustreiten. Bereits Theodor Adorno befand, dass Musik in einer ersten Hinsicht unpolitisch sei. Durch das Vorspielen von einem „Dur- oder Moll-Dreiklang wird man weder rassistisch, noch links- oder rechtsradikal“27. Weiterhin konstatiert Brunner, dass die Wirkung von Musik nur teilweise oder bedingt nachweisbar sei, einen „Kausalzusammenhang“ von Musik und Wirkung gäbe es nicht. Die Wirkung erfolge durch den Kontext, „von den Situationen, die am musikalischen (mehrdimensionalen) Zirkulationsprozess [teilnehmen] und wie sie miteinander zusammenhängen und aufeinander bezogen sind“28