Mutterzunge - Emine Sevgi Özdamar - E-Book

Mutterzunge E-Book

Emine Sevgi Özdamar

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Beschreibung

»Wenn ich nur wüsste, wo ich meine Mutterzunge verloren habe«, fragt sich die Erzählerin in Emine Sevgi Özdamars Prosadebüt von 1990. Nach vielen Jahren in Berlin ist ihr das Türkisch, ihre erste Sprache, fremd geworden. Auf der Suche nach ihren Wurzeln verliebt sie sich in den Schriftgelehrten Ibni Abdullah, der sie in die »Großvaterzunge« Arabisch, die Sprache der »heiligen« Liebe und des Korans einführt. Und sie erzählt das Märchen vom armen türkischen Bauern, der ins ferne Deutschland gelangt und sich dort als Straßenkehrer wiederfindet – wie so viele seines Volkes, das sich in den sechziger und siebziger Jahren in die Dienstbotenkaste westdeutscher Großstädte verwandelt. Zuletzt sinkt in diesem klugen, souveränen und mit koboldhafter Ironie erzählten Buch sogar Ophelia von der Bühne ihres Heimatlandes zur Putzfrau eines deutschen Theaters hinab.

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Seitenzahl: 134

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Cover

Titel

Emine Sevgi Özdamar

Mutterzunge

Erzählungen

Suhrkamp

Impressum

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2022

Der vorliegende Text folgt der 2. Auflage des suhrkamp taschenbuchs 5346.

Neuausgabe© Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2022

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Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg

Umschlagfoto: Privatarchiv Emine Sevgi Özdamar

eISBN 978-3-518-77525-7

www.suhrkamp.de

Widmung

Für meine Mutter Fatma Hanim

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Inhalt

Mutterzunge

Großvaterzunge

Karagöz in Alamania.

Schwarzauge in Deutschland

Karriere einer Putzfrau. Erinnerungen an Deutschland

Informationen zum Buch

Mutterzunge

In meiner Sprache heißt Zunge: Sprache.

Zunge hat keine Knochen, wohin man sie dreht, dreht sie sich dorthin.

Ich saß mit meiner gedrehten Zunge in dieser Stadt Berlin. Negercafé, Araber zu Gast, die Hocker sind zu hoch, Füße wackeln. Ein altes Croissant sitzt müde im Teller, ich gebe sofort Bakshish, der Kellner soll sich nicht schämen. Wenn ich nur wüsste, wann ich meine Mutterzunge verloren habe. Ich und meine Mutter sprachen mal in unserer Mutterzunge. Meine Mutter sagte mir: »Weißt du, du sprichst so, du denkst, dass du alles erzählst, aber plötzlich springst du über nichtgesagte Wörter, dann erzählst du wieder ruhig, ich springe mit dir mit, dann atme ich ruhig.« Sie sagte dann: »Du hast die Hälfte deiner Haare in Alamania gelassen.«

Ich erinnere mich jetzt an Muttersätze, die sie in ihrer Mutterzunge gesagt hat, nur dann, wenn ich ihre Stimme mir vorstelle, die Sätze selbst kamen in meine Ohren wie eine von mir gut gelernte Fremdsprache. Ich fragte sie auch, warum Istanbul so dunkel geworden ist, sie sagte: »Istanbul hatte immer diese Lichter, deine Augen sind an Alamanien-Lichter gewöhnt.« Ich erinnere mich noch an eine türkische Mutter und ihre Wörter, die sie in unserer Mutterzunge erzählt hatte. Sie war eine Mutter von einem im Gefängnis in der Nacht nicht schlafenden Jungen, weil er wartete, dass man ihn zum Aufhängen abholen wird. Diese Mutter sagte: »Ich kam aus dem Krankenhaus vor elf Jahren. Ich hab gesehen: der Garten war voll mit Polizisten, mein Kopf ist aus seinem Platz gesprungen, ich hab Nachbarn gefragt. Wahrscheinlich sind die hier für deinen Sohn, haben sie gesagt. Ich bin in den Garten gegangen, zu dem ersten Polizisten. Warum bist du in meinen Garten reingekommen, hab ich gesagt. Dein Sohn ist geschnappt worden, hat er gesagt. Warum soll mein Sohn geschnappt worden sein, hast du überhaupt Hausdurchsuchungspapier, habe ich gesagt, ich bin Analphabet. Er sagte ja. Also gehe ins Haus, such, hab ich gesagt. Das Haus wurde so voll mit ihnen, ich habe auf meinen Beinen gesessen, bin da geblieben, als ich fragte, was ist mit meinem Sohn, haben die gesagt: Dein Sohn ist Anarchist.«

Diese Mutter wusste nicht, wie viele Male sie seit elf Jahren geweint hatte, sie fiel zwei Mal auf ihre Knie, einmal, wie sie ihren Sohn im Gefängnis zum ersten Mal sah und nicht wiedererkennen konnte. Ein zweites Mal, als er das Wort »Aufhängen« im Stehen hören musste.

»Ich bin nie zum Gericht gegangen, letztes Gericht, die Richter werden sprechen, haben sie gesagt. Sein Vater ist hingegangen, kam zurück, als er durch die Tür reinkam, sah ich es in seinem Gesicht, die Nachbarn sind alle hinter ihm her, wir haben zusammen geweint, unser Hodscha von Gassenmoschee ist auf seinen Knien wie ein halber Mensch gestanden, geweint, der Aschenbecher, der so dick wie zwei Finger war, ist an dem Tag von seiner Mitte in zwei Teile gesprungen, ich hab ein ›Schascht‹ gehört, der Aschenbecher lag gerade vor mir.«

Dieser Sätze, von der Mutter eines Aufgehängten, erinnere ich mich auch nur so, als ob sie diese Wörter in Deutsch gesagt hätte.

Die Schriften kamen auch in meine Augen wie eine von mir gut gelernte Fremdschrift. Ein Zeitungsausschnitt. »Arbeiter haben ihr eigenes Blut selbst vergossen.« Streik war verboten, Arbeiter schneiden ihre Finger, legten ihre Hemden unter Blutstropfen, in das blutige Hemd wickelten sie ihr trockenes Brot, schickten das zum türkischen Militär, an das erinnere ich mich auch, als ob diese Nachricht vor einer Trinkhalle in mehreren Zeitungen gestanden ist, man sah es beim Vorbeigehen, fotografiert, lässt es fallen.

Wenn ich nur wüsste, in welchem Moment ich meine Mutterzunge verloren habe. Ich lief einmal in Stuttgart um dieses Gefängnis da, da war eine Wiese, nur ein Vogel flog vor den Zellen, ein Gefangener im blauen Trainingsanzug hing am Fenstergitter, er hatte eine sehr weiche Stimme, er sprach in derselben Mutterzunge, sagte laut zu jemandem: »Bruder Yashar, hast du es gesehen?« Der andere, den ich nicht sehen konnte, sagte: »Ja, ich hab gesehn.«

Sehen: Görmek.

Ich stand auf der Wiese und lächelte. Wir waren so weit weg voneinander. Sie sahen mich wie eine große Nadel in der Natur, ich wusste nicht, was sie meinten mit Sehen, war ich das oder ein Vogel, von einem Gefängnis aus kann man nur sehen, fassen, fühlen, fangen. Pflücken, das gibt es nicht.

Görmek: Sehen.

Ich erinnere mich an ein anderes Wort in meiner Mutterzunge, es war im Traum. Ich war in Istanbul in einem Holzhaus, dort sah ich einen Freund, einen Kommunisten, er lacht nicht, ich erzähle ihm von jemandem, der die Geschichten mit seinem Mundwinkel erzählt, oberflächlich. Kommunist-Freund sagte: »Alle erzählen so.« Ich sagte: »Was muss man machen, Tiefe zu erzählen?« Er sagte: »Kaza gecirmek, Lebensunfälle erleben.«

Görmek und Kaza gecirmek.

Noch ein Wort in meiner Mutterzunge kam mal im Traum vorbei. Ein Zug fährt, hält, draußen Verhaftungen, Hunde bellen, drei Zugkontrolleure kommen, ich überlege mir, ob ich sagen soll: »Ich bin Italienerin.« Meinen Pass, in dem Beruf ISCI (Arbeiter) steht, will ich verstecken, ich denke, wenn ich mich als Studentin oder als Künstlerin ausweisen kann, komme ich durch die Kontrolle durch, da ist eine Fotokopiermaschine groß wie ein Zimmer, sie druckt ein sehr großes Selbstporträt von mir als ISCI raus.

Görmek, Kaza gecirmek, ISCI.

Ich saß mal im IC-Zugrestaurant an einem Tisch, an einem anderen saß ein Mann, liest sehr gerne in einem Buch, ich dachte, was liest er? Es war die Speisekarte. Vielleicht habe ich meine Mutterzunge im IC-Restaurant verloren.

Ich konnte am Anfang hier den Kölner Dom nicht angucken. Wenn der Zug in Köln ankam, ich machte immer Augen zu, einmal aber machte ich ein Auge auf, in dem Moment sah ich ihn, der Dom schaute auf mich, da kam eine Rasierklinge in meinen Körper rein und lief auch drinnen, dann war kein Schmerz mehr da, ich machte mein zweites Auge auch auf. Vielleicht habe ich dort meine Mutterzunge verloren.

Stehe auf, geh zum anderen Berlin, Brecht war der erste Mensch, warum ich hierhergekommen bin, vielleicht dort kann ich mich daran erinnern, wann ich meine Mutterzunge verloren habe. Auf dem Korridor zwischen zwei Berlin eine Fotomaschine.

Ich bin am Berliner Ensemble, Kantine.

Meine Stiefel knirschen wie von einem Werbefilmcowboy. Die Kantinenarbeiter rauchen, reden über Töpfe und Teller, draußen warten Bierfässer, Gasflaschen, jeder redet über Arbeit.

Steh auf. Geh auf Fingerspitzen in die Türkei, in einem Diwan sitzen, Großmutter neben mir. In Istanbul im Türkischen Bad sitzen. Die Zigeunerbadearbeiterinnen werden mich waschen. Ein Nuttenbad war es, mich wusch mal eine Zigeunerin, sie fragte mich: »In welchem Haus arbeitest du, meine Schöne?«

Ich arbeitete in einer sehr politischen Kommune, ein Tag kam die Polizei, ich war das einzige Mädchen, der Kommissar fragte mich: »Diese Kerle hier, laufen die alle über dich?« Ich sagte: »Ja, sie alle laufen über mich, aber laufen vorsichtig.« Kommissar sagte: »Hast du kein Herz für deinen Vater, ich hab auch eine Tochter in deinem Alter, Allah soll euch alle verfluchen Inschallah.«

In den Polizeikorridor haben die auch den Bruder von Mahir gebracht, Mahir, der in den Zeitungen als Stadtbandit bekannt gemacht war. In den Tagen hatten sie Mahir mit Kugeln getötet. Mahirs Bruder saß da, als ob er in seinem Mund was Bitteres hatte und es nicht rausspucken konnte, er hatte ein sehr dünnes Hemd, ich hatte einen schwarzen Pulli mit Hochkragen.

»Bruder, zieh es an.« Mahirs Bruder sah mich an, als ob ich eine fremde Sprache spreche. Warum steh ich im halben Berlin? Geh diesen Jungen suchen? Es ist siebzehn Jahre her, man hat ihnen die Milch, die sie aus ihren Müttern getrunken haben, aus ihrer Nase rausgeholt.

Ich werde zum anderen Berlin zurückgehen. Ich werde Arabisch lernen, das war mal unsere Schrift, nach unserem Befreiungskrieg, 1927, verbietet Atatürk die arabische Schrift und die lateinischen Buchstaben kamen, mein Großvater konnte nur arabische Schrift, ich konnte nur lateinisches Alphabet, das heißt, wenn mein Großvater und ich stumm wären und uns nur mit Schrift was erzählen könnten, könnten wir uns keine Geschichten erzählen. Vielleicht erst zu Großvater zurück, dann kann ich den Weg zu meiner Mutter und Mutterzunge finden. Inschallah.

In Westberlin gebe es einen großen Meister der arabischen Schrift.

Ibni Abdullah.

Großvaterzunge

In Wilmersdorf machte Ibni Abdullah die Tür auf, seine Hand roch nach Rosen. Ich lief hinter diesem Duft, ich trat in eine kleine Moschee, er hat ein 200-DM-Zimmer und seine Wände und Boden und Decke mit Teppichen und seidenen Stoffen angezogen, die Kissen sitzen auf der Erde artig, schläfrig, nur das Fenster zum Hof war unheilig unbarmherzig wach. Großmutter sagte mal, Paradies und Hölle sind zwei Nachbarn, ihre Türen stehen gegenüber. Ibni Abdullah sprach: »Selamünaleyküm.« »Aleykümselam.«

Es ist eine Gemeinheit, mit einer Orientalin in Deutsch zu reden, aber momentan haben wir ja nur diese Sprache.

»Wenn mein Vater mich in Ihre Hände als Lehrling gebracht hätte, hätte er mich in Ihre Hände gegeben und gesagt, ›Ja, Meister, ihr Fleisch gehört Ihnen, ihre Knochen mir, lehre sie, wenn sie ihre Augen und Gehör und ihr Herz nicht aufmacht zu dem, was Sie sagen, schlagen Sie, die Hand der schlagenden Meister stammt aus dem Paradies, wo Sie schlagen, werden dort die Rosen blühen.‹«

Ibni Abdullah sagte: »Ich denke, ich war im Schriftlehren vor neun Jahren besser, als ich zum ersten Mal nach Deutschland kam. Meine sieben Brüder sind im Krieg gestorben. Als ich auch verletzt war, sprach ich etwas laut gegen die Regierung, sie beschuldigten mich, ich sei von den fanatischen Islambrüdern.«

Ich sagte: »So viele tote Freunde habe ich hinter mir in meinem Land gelassen. Siebzehnjährige haben sie aufgehängt, ich bin für meine Regierung Kommunistin.« Ibni Abdullah sagte: »Hier in Deutschland aber kann ich in den Park gehen und meine Meinung laut sagen, hier gibt es Demokratie.«

Ich sagte: »Und wie viele Mal sind Sie in diesen neun Jahren in den Park gegangen und haben Ihre Meinung laut gesagt, das Geld hat keine Angst hier, es hat Zähne.« Ibni Abdullah sagte: »Wenn alle Araber ihre Gewehre auf die Erde herablassen und nur barfuß zusammen nach Jerusalem laufen würden. Israelis und Araber müssten unter der Sonne paar Tage Gesicht in Gesicht gucken, ohne Generale. Sieben Brüder, sieben Jahre hat meine Mutter sie in ihrem Körper getragen, Generale haben sie an einem Tag ausgegeben.«

Eine Weile die toten sieben Brüder saßen zwischen uns in diesem halbschlafenden Moscheeschriftzimmer. Wir schauten beide auf den Teppich, ob dort ein Tier rückwärtsgefallen war und sich nicht retten konnte. Ich sagte: »Die Welt ist Welt von Toten, wenn man die Zahl von Toten und Lebenden vergleicht.«

Ibni Abdullah sagte: »Der Tod ist ein schwarzes Kamel, es setzt sich vor jeder Tür nieder.«

Ich sagte: »Ist der Tod an einem weiten Ort, der Tod ist zwischen Augen und Augenbrauen.«

Ibni Abdullah sagte: »In der Welt, wenn der Tod näher kommt, es kommen vier Engel, vier Engel zusammen ziehen die Seele aus seinen Fingerspitzen, der Atem der Sterbenden fließt wie ein Wasser aus dem Krug eines Wasserverkäufers zur Erde.«

Ich sagte: »Die Seele wird gezogen wie ein Dorn, der in einem nassen Fell feststeckt, der Sterbende wird denken, seine Seele ging durch ein Nadelloch durch. Der Himmel kam und legte sich über die Erde, und die Seele bleibt dazwischen, der Engel wird die Seele in seine Hände nehmen, die Seele wird zittern wie Quecksilber.«

Ibni Abdullah sagte: »Wenn die Seele sich vom Herzen trennt, der Sterbende sieht nicht mehr, aber er wird sein Gehör zuletzt verlieren.«

»Jetzt lesen Sie bitte die ersten Buchstaben.«

Elif be dal zal re.

Ich ging aus dem Schriftzimmer mit fünf ersten arabischen Buchstaben raus zum anderen Berlin. Ich setzte mich vor dem Berliner Ensemble in den Park, dort will ich lernen. Da stand eine Statue von Brecht, er sah wie ein pensionierter Alter aus, saß da mit geschlossenen Augen, wenn die Kinder laut sind, wird er sie wegjagen, ich wollte, dass diese Statue verschwindet und Brecht mit Mütze und Flöte dasteht.

Ich trat ins Schriftzimmer ein. Das Schriftzimmer war heute noch schläfriger, es roch nach Menschen. Ibni Abdullah sagte: »Viele Deutsche sind meine Schüler, Orientalisten, Orientalistinnen, ich glaube, man kann mit Schrift den Frieden zwischen Allahs Untertanen bringen, viele meiner Schüler wählen Grün. Wissen Sie, was Grün ist?«

»Grün ist, was nicht rot ist.«

Der Diwan, auf dem ich saß, machte mich artig. Ich sah dort auf mich wartende Buchstaben.

»Lies«, sagte der Ibni Abdullah.

»Ich kann nicht.«

»Lies, Gott hat es uns geschickt.«

Es kamen aus meinem Mund die Buchstaben raus. Manche sahen aus wie ein Vogel, manche wie ein Herz, auf dem ein Pfeil steckt, manche wie eine Karawane, manche wie schlafende Kamele, manche wie ein Fluss, manche wie im Wind auseinanderfliegende Bäume, manche wie laufende Schlangen, manche wie unter Regen und Wind frierende Granatapfelbäume, manche wie böse geschreckte Augenbrauen, manche wie auf dem Fluss fahrendes Holz, manche wie in einem Türkischen Bad auf einem heißen Stein sitzender dicker Frauenarsch, manche wie nicht schlafen könnende Augen.

Ich ging mit Kamelen und weinenden Frauenaugen wieder zum anderen Berlin. Im Berliner-Ensemble-Park saßen zwei alte Frauen. Jede biss an einem Apfel.

Ich ging zur Grenze, eine dicke blinde junge Ostfrau lief die Treppen von der Grenze und gab ihren Pass zu dem Polizisten, dann ging sie Richtung Westen, andere Ältere kamen Richtung Osten, in ihren Taschen Erdnüsse. Als ich im Westen war, ich schaute auf die Erde, sagte: »Ah, hier hat es auch geregnet.«

Ich trat ins Schriftzimmer ein. Über den Tüchern warten die Buchstaben auf mich. Heute manche haben würdevolle Gesichter, sie hören das Rauschen ihres Herzens, manche ihrer Augen sind ganz, manche halb geschlossen. Manche sind dünne Waisen mit bleichen Gesichtern, manche Allahs Vogel, sie wandern Hand in Hand.

Ibni Abdullah hat meine Hand aufgemacht und einen neugeborenen Paradiesvogel da reingetan.

»Sie sind heute unkonzentriert, das nimmt mir meine Konzentration auch weg, Sie müssen, wenn Sie so sind, an den Tagen keinen Unterricht kriegen«, sagte Ibni Abdullah, schickte mich weg.

Als ich wieder zum Schriftunterricht nach Wilmersdorf kam, war die Tür schon offen, Ibni Abdullah saß mit viel Baklavas auf dem Boden, er sagte: »Allahs Gast, wir müssen süß essen, süß reden.«

»Heute wirst du, was du gesät hast, ernten«, sprach Ibni Abdullah, »schreibe.«

Im Namen Allahs

das Erbarmen des Barmherzigen,

wenn der Himmel sich spaltet

und wenn sich die Sterne zerstreuen

und wenn sich die Wasser vermischen

und wenn die Gräber umgekehrt werden,

dann weiß die Seele, was sie getan und unterlassen hat.

O Mensch, was hat dich von deinem hochsinnigen Herrn abwendig gemacht.

Als ich zum Schreiben mein Hemdärmel hochzog, sah ich, dass Herr Ibni Abdullah auf meine Handgelenke schaute, als ich die Schrift zu Ende geschrieben hatte, sah ich ihn noch immer auf meine Handgelenke gucken, Ibni Abdullahs Gesicht sah wie ein zorniger Buchstabe aus, der seine eine Augenbraue hochgezogen hatte.

»Ich will Ihnen einen arabischen Kaffee machen.«