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Winterzauber, Weihnachtstraditionen und verbotenes Herzklopfen …
Catalina Martinez‘ Rolle bei der Winterhochzeit ihrer Schwester ist klar: Als Trauzeugin wird sie lächeln und alles dafür tun, den wichtigsten Tag im Leben der Braut perfekt zu machen. Obwohl der Bräutigam Catalinas Ex-Freund ist. Doch als sie auf den Trauzeugen trifft, fällt es ihr schwer, die Sunshine-Fassade aufrechtzuerhalten. Luke Darling ist der eine Mann, dem Catalina unbedingt aus dem Weg gehen sollte. Er ist zu charmant, zu stur und zu allem Übel auch noch ein extrem attraktiver und erfolgreicher Arzt. Während Luke entschlossen ist, das Eis zwischen ihnen zu brechen, geht Catalina bewusst auf Abstand. Ohne großen Erfolg, denn Luke versüßt ihr zunehmend die Weihnachtszeit. Doch der beste Freund des Ex ist absolut tabu. Zumal Catalina nach der Hochzeit wegziehen wird …
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Seitenzahl: 266
Veröffentlichungsjahr: 2025
Catalina Martinez’ Rolle bei der Winterhochzeit ihrer Schwester ist klar: Als Trauzeugin wird sie lächeln und alles dafür tun, den wichtigsten Tag im Leben der Braut perfekt zu machen. Obwohl der Bräutigam Catalinas Ex-Freund ist. Doch als sie auf den Trauzeugen trifft, fällt es ihr schwer, die Sunshine-Fassade aufrechtzuerhalten. Luke Darling ist der eine Mann, dem Catalina unbedingt aus dem Weg gehen sollte. Er ist zu charmant, zu stur und zu allem Übel auch noch ein extrem attraktiver und erfolgreicher Arzt. Während Luke entschlossen ist, das Eis zwischen ihnen zu brechen, geht Catalina bewusst auf Abstand. Ohne großen Erfolg, denn Luke versüßt ihr zunehmend die Weihnachtszeit. Doch der beste Freund des Ex ist absolut tabu. Zumal Catalina nach der Hochzeit wegziehen wird …
Lauren Asher hat eine überbordende Fantasie und verbringt ihre Freizeit mit Lesen und Schreiben. Ihr Traum ist es, an all die Orte zu reisen, über die sie schreibt. Sie genießt es, Figuren mit Ecken und Kanten zu erschaffen, die man einfach lieben muss. Wenn sie nicht gerade schreibt, durchforstet Lauren YouTube, schaut alte Episoden von »Parks & Recreation« und sucht nach neuen Restaurants auf Yelp. Sie arbeitet am liebsten direkt nach ihrem Morgenkaffee und würde nie ein Nickerchen verweigern.
LAUREN ASHER
ROMAN
Aus dem Amerikanischen von Melike Karamustafa
WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN
Die Originalausgabe MYDECEMBERDARLING erschien erstmals 2024 in den USA.
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Deutsche Erstausgabe 09/2025
Copyright © 2024. MYDECEMBERDARLING by Lauren Asher
The moral rights of the author have been asserted.
Copyright © 2025 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich
Pflichtinformationen nach GPSR)
Redaktion: Kerstin Kubitz
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München, unter Verwendung von Stocksy/Ruth Black, iStockphoto/Maryna Seniuk, FinePic®, München
Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-33742-1V001
www.heyne.de
Für alle, die zwischen Dr. McSteamy und Dr. McDreamy hin- und hergerissen waren …
Macht euch bereit, euch in Dr. Darling zu verlieben.
My December Darling
catch flights, not feelings
Welcome to the Night Shift
Coquito & Chill
The Happily Ever After Playlist
Catalina
Schau mal, da ist Aiden!« Meine Schwester Gabriela gestikuliert in Richtung Eingang.
Erstaunlich, wie sie es schafft, mir mit gerade mal fünf Worten die Laune zu verderben, woran auch die Weihnachtsmusik, die aus den Lautsprechern in jeder Ecke des Restaurants schallt, nichts ändern kann – ganz egal, wie laut sie aufgedreht wird.
»Er ist heute Abend dabei?« Ich umklammere die Rückenlehne des Stuhls, auf den ich mich eigentlich gerade setzen wollte.
Gabriela zieht die Brauen zusammen. »Ja. Das habe ich dir doch gestern geschrieben.«
Mist. Ich hatte mein Handy auf Lautlos, weil Mom nicht aufgehört hat, mich mit Fragen zu meiner Rede als Trauzeugin zu nerven. Während ich noch keine einzige Zeile zu Papier gebracht habe, hat Aidens Trauzeuge Luke Darling seine bereits an meine Mom geschickt, damit sie ihren Segen geben kann.
»Hast du ein Problem damit, wenn Aiden heute Abend dabei ist?«, fragt meine Schwester angespannt.
Moms Blick fliegt zwischen uns hin und her, bevor er anklagend wie eh und je an mir haften bleibt. Ihre Miene fordert mich stumm auf, gefälligst keine Szene zu machen und damit meiner Schwester den Tag zu verderben.
»Nein.« Ich bemühe mich, statt des Stirnrunzelns ein Lächeln aufzusetzen. »Überhaupt nicht.«
Was eine Lüge ist – auf die hin dankenswerterweise aber keine der beiden mehr nachhakt. Die Behauptung, dass das Verhältnis zwischen meiner Schwester und mir, seit sie angefangen hat, meinen Ex zu daten, etwas heikel ist, wäre eine Untertreibung. Andererseits sollte ich wohl hinzufügen, dass ich nicht gerade dazu beigetragen habe, die Lage zu entspannen.
Was der Grund dafür ist, dass du heute hier bist, anstatt bis zum Probedinner für Gabrielas Hochzeit allen aus dem Weg zu gehen.
Mein Gesichtsausdruck scheint überzeugend genug, um Gabriela zu beruhigen, denn sie wendet sich ab und sieht wieder in Richtung Eingang.
Ihr Lächeln kehrt zurück. »Oh, wie schön. Luke hat sich ja doch entschieden mitzukommen.«
Ich war so in meine Gedanken vertieft, dass mir Luke, der hinter Aiden das Restaurant betreten hat, bisher gar nicht aufgefallen ist.
Verdammt.
Mein Herz setzt einen Schlag lang aus. »Er ist auch dabei?«
Gabriela wirft mir erneut einen Blick zu. »Er und Aiden waren schon länger für heute Abend verabredet. Deswegen habe ich ihn einfach auch eingeladen.«
»Warum?«, rutscht es mir heraus.
Luke und ich haben uns bisher höchstens bei vier Gelegenheiten kurz unterhalten, aber das reicht mir voll und ganz. Typen wie ihn habe ich in der Vergangenheit oft genug gedated, und es ist nie gut für mich ausgegangen; was der Grund dafür ist, dass ich mich lieber von Luke und seiner chronischen Fröhlichkeit fernhalte. Nun ja, das und die Tatsache, dass er Aidens attraktiver, intelligenter, netter bester Freund aus dem Medizinstudium ist. Kennengelernt habe ich ihn erst, nachdem Aiden mit mir Schluss gemacht hatte, weil Dr. Darling bis zu dem Zeitpunkt als freiwilliger Helfer beim Roten Kreuz war. Der Kerl könnte nach außen hin kaum perfekter sein – und ist außerdem genau der Typ Mann, den sich meine Mutter für mich wünschen würde. Wenn ich bereit wäre, mit jemandem aus Lake Wisteria auszugehen.
Genau genommen kommt Luke nicht aus unserer kleinen Stadt, aber er wohnt seit einem Jahr hier – wegen Aiden und eines Jobangebots im hiesigen Krankenhaus –, weswegen ich ihn mit allen anderen Männern hier in einen Topf werfe.
»Cata«, zischt Mom meinen Spitznamen, als handle es sich um einen Fluch.
»Was?«, zische ich zurück.
Sie rümpft deutlich verärgert die Nase. »Kriegst du es hin, ausnahmsweise mal eine Stunde lang keine Szene zu machen?«
Ich ignoriere den Stich, den mir ihre Worte versetzen, und mache eine gelangweilte Miene. »Keine Ahnung … Ist eine ziemliche Herausforderung für mich …«
Gabriela seufzt entnervt auf, Mom schnaubt empört.
»Ich kann nicht verstehen, warum du Luke nicht magst. Außerdem gehört er praktisch zu Aidens Familie. Würde es dich umbringen, ausnahmsweise mal nett zu sein?«
Der Pfeil trifft sein Ziel, doch ich achte darauf, es mir nicht anmerken zu lassen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Mom ahnt, wie sehr mich solche Aussagen verletzen, aber ich habe sie ja auch nie darauf angesprochen.
»Prinzessin«, begrüßt Aiden Gabriela, als er an unseren Tisch tritt. Sein blondes Haar wirkt frisch geschnitten, und er trägt sein übliches Ensemble aus Polohemd und gebügelter Stoffhose, in dem er aussieht, als käme er geradewegs aus dem Country Club. Aidens Kleidungsstil hätte der erste Hinweis für mich sein sollen, dass wir nicht zusammenpassen, aber ich dachte immer, dass sein Stil genau das ist, was meiner Mutter gefallen würde.
Es dauerte nicht lange, bis mir klar wurde, dass ich aus den völlig falschen Gründen mit Aiden zusammen war – allen voran die Hoffnung, meiner Mutter einen Gefallen zu tun –, und ihm schien es ähnlich zu gehen mit unserer Beziehung. Nur, dass er den Mut hatte, sie zu beenden.
Mein zukünftiger Schwager zieht Gaby in seine Arme und gibt ihr einen Kuss aufs Haar, was meiner Mutter einen zustimmenden Laut entlockt und mir immerhin ein kleines Lächeln. Ich würde jederzeit zustimmen, dass die beiden ein verdammt süßes Paar sind, auch wenn ich mich bei dem Spitznamen, den Aiden meiner Schwester gegeben hat, zusammenreißen muss, nicht die Augen zu verdrehen.
Ich bin so abgelenkt von dem Anblick der beiden Turteltauben, dass ich erst, als Luke meinen Arm streift, mitbekomme, dass er um den Tisch herum zu mir getreten ist. Durch die kurze Berührung baut sich eine luftig-leichte Empfindung in meiner Brust auf – die ich hastig unter dem Gewicht unserer Realität zerdrücke.
Vielleicht mag ich es, wenn Luke mich berührt. Vielleicht mag ich sogar den Duft nach Sandelholz und Leder, den seine Jacke verströmt, die er über einem schlichten Henley und einer Jeans trägt. Doch was ich nicht mag, ist Luke als Person. Er ist auf nervige Weise freundlich, frustrierend aufmerksam und die Art von Mann, der dank seiner Muskeln und seines Helfersyndroms als Vorbild für einen Comic-Superhelden dienen könnte.
»Catalina«, begrüßt mich Luke mit einem Lächeln. Was mich nicht weiter überrascht, weil er das bei jedem macht. Doch irgendetwas an der Art, wie ich mich bei seinem Lächeln fühle, löst in meinem Kopf einen Alarm aus, und ich gehe rasch etwas auf Abstand.
»Lucas.«
Sein Grinsen wird breiter. »Luke.«
»Ah. Und ich dachte aus irgendeinem Grund, wir würden uns mit unseren vollen Namen anreden.«
Sein leises Lachen löst ein Flattern in meinem Bauch aus. »Nur, dass ich gar nicht Lucas heiße.«
»Schade. Gefällt mir besser als Luke.«
Seine braunen Augen funkeln, wie sie es immer tun, wenn ihn etwas amüsiert. Und – verdammt! – sie sind wirklich sehr hübsch mit den dichten dunklen Wimpern, gegen die meine nach gar nichts aussehen.
Ich muss sofort den Blickkontakt abbrechen, allein schon, weil ich nicht mit seiner Aufmerksamkeit umgehen kann. Luke Darling mag seinem Nachnamen jedem anderen Menschen gegenüber gerecht werden, aber ich bin nicht ganz überzeugt. Ich meine, im Ernst, irgendwas kann doch nicht mit ihm stimmen. Niemand kann ständig so gut drauf sein oder dermaßen hilfsbereit, selbst wenn er einen Eid abgelegt hat, Leben zu retten.
Aber ungeachtet meiner Bedenken muss ich mich in absehbarer Zukunft mit Lukes Gegenwart abfinden, da die beiden Menschen, die wir lieben, heiraten werden. Ob ich ihn nun mag oder nicht.
Luke
Trotz des Pep Talks, den ich mir auf dem Weg zum Restaurant darüber gehalten habe, mich von meiner besten Seite zu zeigen und mich wie ein erwachsener Mann Anfang dreißig zu verhalten, werfe ich bei Catalinas Anblick sämtliche Vorsätze über Bord.
Seit Aiden und Gaby zusammen sind, sind wir uns keine fünfmal begegnet, und nach jeder dieser Begegnungen habe ich mir die Frage gestellt, warum ich überhaupt versuche, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Hätte Aiden nicht darauf bestanden, dass ich mit ihnen zu Mittag esse, hätte ich dankend abgelehnt.
Obwohl wir zusammenwohnen, verbringen wir kaum Zeit miteinander, da wir beide als Ärzte in der Notaufnahme des neuen und hochmodernen Lake Aurora Hospital arbeiten. In der Regel sehen wir uns nur im Vorbeigehen, da wir an verschiedenen Tagen Nachtdienst haben, aber heute haben wir beide frei. Ich habe gehofft, das heutige Essen ohne unangenehme Zwischenfälle hinter mich bringen zu können, aber offensichtlich habe ich bereits einen Fehler begangen, indem ich Catalina mit ihrem vollen Namen angesprochen habe. Vermutlich glaubt sie, das hätte ich einzig und allein getan, um sie zu nerven, dabei finde ich ihren Namen einfach sehr schön.
Als die Kellnerin an den Tisch kommt, um unsere Bestellung aufzunehmen, verstummen die Gespräche. Alle außer mir – der Typ, der zu beschäftigt damit war, die schöne, verärgerte, brünette Frau ihm gegenüber anzustarren – wissen, was sie essen möchten, also wähle ich das erstbeste Gericht, das mir ins Auge springt.
Als Catalina schnaubt, klingt das sehr viel süßer, als es sollte.
Süß? Wohl eher unhöflich.
Genau, so unhöflich, dass ich mir ein Lächeln verkneifen und mir auf die Zunge beißen muss, um sie nicht zu bitten, den Laut noch mal zu machen. In der Stadt hat Catalina den Ruf als Eiskönigin weg, aber jeder Mensch hat einen weichen Kern. Ich habe ihren nur noch nicht gefunden.
»Möchtest du uns etwas mitteilen?« Ich stütze die Ellbogen auf den Tisch und beuge mich ein wenig vor.
»Nope«, sagt sie, wobei sie mit den Lippen einen kleinen Plop-Laut macht. Den weichen, rosafarbenen Lippen, um die in meiner Gegenwart grundsätzlich ein missbilligender Zug liegt.
»Bist du dir sicher?«
»Jepp.«
»Ist jede Unterhaltung mit dir so fesselnd?«
»Gut möglich.«
»Zwei ganze Worte am Stück?« Ich lege zwei Finger auf mein Handgelenk, als würde ich mir den Puls fühlen. »Bitte warn mich das nächste Mal vor.«
Sie hebt die Speisekarte hoch und gibt vor, darin zu lesen, obwohl wir bereits bestellt haben. Dann zieht Aiden mich in ein Gespräch mit Gabriela und ihrer Mutter hinein, dem Catalina mit Interesse lauscht, ohne selbst etwas beizutragen. Innerhalb einer Gruppe redet sie nie besonders viel, was mich umso neugieriger darauf macht, was sie wohl denkt.
Höchstwahrscheinlich verurteilt sie dich stillschweigend.
Zutrauen würde ich es ihr, trotz Aidens Behauptung, sie sei wirklich nett, wenn man sie erst einmal kennengelernt habe.
Als unser Essen kommt, wird mir klar, warum Catalina bei meiner Bestellung geschnaubt hat. Hätte ich gewusst, dass ich bei der Dragon’s Breath Roll tatsächlich beinahe Feuer speien würde, wäre meine Wahl auf etwas gefallen, das ein wenig milder ist. Alles wäre besser als dieses Gericht, das mir gerade jede einzelne Geschmacksknospe niederbrennt. Wenn das so weitergeht, bin ich am Ende des Essens derjenige, der einen Arzt braucht. Auf keinen Fall übersteht mein Magen einen ganzen Teller von diesem Höllenzeug.
Ich würde behaupten, dass es das schlimmste Sushi-Erlebnis meines Lebens ist, aber beim Anblick von Catalinas unterdrücktem Kichern, während ich literweise Wasser in mich reinkippe, wäre das gelogen. Ihre funkelnden Augen ziehen mich dermaßen in ihren Bann, dass ich verdutzt zurückzucke, als sie sich ein Stück Sushi von meinem Teller nimmt. Bevor ich sie warnen kann, steckt sie es sich mit einem Grinsen in den Mund und beginnt zu kauen.
Ohne das Gesicht zu verziehen. Ohne tränende Augen. Ohne hastig nach ihrem Wasserglas zu greifen.
»Angeberin«, murmle ich.
Sie keucht übertrieben auf. »Hast du gerade ernsthaft finster geguckt?«
Ich schaue noch düsterer.
»Uiuiui, bitte warn mich das nächste Mal vor.«
Ich zeige ihr mit meinem Essstäbchen den Stinkefinger, was ihr ein amüsiertes Schnauben entlockt und Aiden, der neben mir sitzt, laut auflachen lässt.
Gaby und Mrs. Martinez sind nach wie vor in ihr Gespräch versunken, in das ich mich einzuklinken versuche; doch ich werde wieder abgelenkt, als Catalina ein weiteres Mal über den Tisch greift, um ein zweites Stück Sushi von meinem Teller zu stibitzen.
»Du bist so ein Weichei. Das ist doch noch gar nichts«, sagt sie.
»Wenn du mit ›gar nichts‹ ›furchtbar‹ meinst, dann sind wir uns endlich mal in einer Sache einig.«
Sie beugt sich vor, um sich ein drittes Stück zu nehmen, doch ich ziehe den Teller zu mir, sodass sie nicht drankommt.
»Hör auf, mir mein Essen zu klauen.«
Sie verdreht die Augen. »Gilt es dann auch als Klauen, dass du was von meinem genommen hast, als du dachtest, ich sehe es nicht?«
Mist, das hat sie gemerkt?
Ich hebe beide Hände. »Zu meiner Verteidigung: Ich bin am Verhungern.«
Sie seufzt ergeben. »Dann lass uns tauschen.« Ohne mein Einverständnis abzuwarten, schiebt sie ihren Teller über den Tisch und zieht meinen zu sich ran. Es entgeht mir nicht, dass die anderen uns beobachten, aber niemand gibt einen Kommentar dazu ab.
Nun ja, niemand außer mir.
»Warum machst du das?«
Catalina wirkt verwirrt. »Was meinst du mit ›warum‹? Dir schmeckt dein Essen doch nicht.«
»Schon, aber du bist nicht gerade als die freundliche von euch beiden Schwestern bekannt, deswegen macht mich die Aktion ein wenig misstrauisch.«
Es sollte ein Scherz sein, aber als ich merke, wie Catalina auf ihrem Stuhl zusammensinkt und den Blick senkt, fühle ich mich wie ein kompletter Vollidiot. Da führen wir einmal ein nettes Gespräch, und ich mache es mit meinen blöden Sprüchen kaputt.
Ihr halbherziges Schulterzucken versetzt mir einen Stich. »Du hast recht.«
Und warum habe ich mich dann wie nie zuvor so sehr im Unrecht gefühlt?
»Das sollte ein Scherz sein«, wiegle ich ab, wütend auf mich selbst.
»Schon okay«, erwidert sie knapp, was mir verrät, dass genau das Gegenteil der Fall ist.
»Warum schaust du mich dann nicht an?«
Es dauert ein paar Sekunden, doch schließlich schafft sie es, von ihrem Teller aufzusehen. Ihr Blick zuckt über mein Gesicht, aber ihm fehlt die Wärme, die eben noch darin gelegen hat. Und ich sehne mich nach … Um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht genau, nach was eigentlich.
»Willst du wirklich meine Antwort darauf hören?«, fragt sie.
»Sonst würde ich nicht fragen.«
Sofort ist ihr Stirnrunzeln zurück. »Ich finde dich …«
»Ja?« Ich beuge mich gespannt vor.
»Abstoßend«, sagt sie und kraust dabei leicht die Nase, als würde ihr allein die Tatsache, dass wir die gleiche Luft atmen, Übelkeit verursachen.
»Abstoßend?«, wiederhole ich ungläubig. Noch nie in meinem Leben hat mich jemand auf dermaßen beleidigende Weise beschrieben. Schon gar nicht, nachdem mich die Person zwanzig Minuten lang heimlich beobachtet hat, während sie dachte, ich würde es nicht merken. Von wegen abstoßend. Ich habe mitbekommen, wie sie mich anstarrt, und abstoßend ist das letzte Wort, das Catalina mit mir in Verbindung bringt. Dessen bin ich mir sicher.
»Ja. Du bist so ein Captain-America-Wannabe – und das meine ich nicht als Kompliment.«
Mir fällt die Kinnlade runter. »Wie bitte?«
Sie stößt ein dramatisches Seufzen aus. »Ist mit deinem Retterkomplex nur schwer zu ertragen, sich so was anhören zu müssen, schon klar.«
Aiden, der uns offensichtlich belauscht hat, anstatt seiner zukünftigen Schwiegermutter zuzuhören, die von ihrem letzten Zahnarztbesuch berichtet, lacht leise.
»Halt die Klappe!« Ich ramme ihm meinen Ellbogen in die Seite.
Er reibt sich die Rippen. »Du unterschätzt deine Superheldenkraft, Captain America.«
Als sich die kleine Teufelin mir gegenüber mit einem zufriedenen Grinsen auf ihrem Stuhl zurücklehnt, setzt mein Herz für einen Schlag aus. Ich bin mir nicht sicher, was sie da gerade mit mir macht, aber ihre Anwesenheit bringt mich ganz durcheinander.
Wir haben bisher kaum Zeit miteinander verbracht. Catalina war in der Regel nur zweimal im Jahr zu Besuch in Lake Wisteria, was es leicht gemacht hat, sich aus dem Weg zu gehen. Daher habe ich mir nie die Frage gestellt, was passieren würde, wenn ich auf einmal gerne in ihrer Nähe wäre.
Und noch schlimmer: Wie würde ich mich fühlen, wenn ich mehr davon wollte?
Catalina
Unsere gesamte Kleinstadt ist in Weihnachtsstimmung, als meine Mutter, meine Schwester und ich uns, nachdem wir uns von Aiden und Luke verabschiedet haben, auf den Weg zur Änderungsschneiderei Thimble & Thread machen. Während unseres einstündigen Mittagessens ist die Hauptstraße im Verkehrschaos versunken. Dutzende Ehrenamtliche helfen dabei, die Weihnachtsdekoration für die Lake Wisteria Christmas Extravaganza anzubringen. Aus den Lautsprechern, die entlang der Straße an den Hausfassaden aufgehängt wurden, ertönt leise, stimmungsvolle Musik, während ein weiteres Team Freiwilliger die Helfer gegen die Michiganer Kälte mit heißer Schokolade versorgt. Eine Horde Kinder läuft kreuz und quer über die Bürgersteige, um Pappbecher mit den warmen Getränken unter den Ehrenamtlichen zu verteilen. Vermutlich auch ein kleines bisschen in der Hoffnung, sich damit einen Platz auf der Brave-Kinder-Liste des Weihnachtsmanns zu sichern.
Normalerweise ist es die von der Küste inspirierte Architektur der Gebäude, die Besucher nach Lake Wisteria lockt, doch zu dieser Jahreszeit verschwinden die Fassaden der Häuser im belebtesten Viertel der Stadt hinter Tausenden Lichterketten, Lametta, Ornamenten und aufblasbaren Weihnachtsfiguren.
Bei so viel Festtagsstimmung werde ich immer von einer regelrecht kindlichen Aufregung ergriffen – die augenblicklich verpufft, wenn ich sehe, wie viele Leute in unsere Richtung schauen. Im Gegensatz zu meiner Mutter und meiner Schwester bin ich keine People Pleaserin, deshalb halte ich mich zurück, während die beiden sich auf einen mühsamen Small Talk einlassen. Die meisten Leute erkundigen sich, wann meine Mutter wieder mit dem Verkauf von Coquito beginnt, und sie versorgt sie mit den Infos, bevor sie scherzhaft mahnt, uns nicht beim Sheriff zu melden, weil wir ohne Genehmigung Alkohol ausschenken.
Das puerto-ricanische Kokosnussgetränk hat sich in Lake Wisteria schnell zum Lieblingsdrink in der Weihnachtszeit gemausert und bereits drei Jahre in Folge die lokalen Eierlikörverkäufe überholt. Es überrascht mich nach wie vor, dass Mom die Tradition ihrer Schwiegermutter aufrechterhält, denn die Herstellung von Coquito ist eine Martinez-Familiensache. Und es macht mich zu gleichen Teilen glücklich und traurig, dass die Erinnerung an meine Grandma auf diese Weise in unserer kleinen Stadt weiterlebt.
Als wir endlich die Änderungsschneiderei erreichen, bin ich mehr als bereit, diesen Tag hinter mir zu lassen – nur um mich kurz darauf, kostenlosen Champagner schlürfend, von meiner Mom in das nächste Gespräch verwickeln zu lassen, während meine Schwester ihr Hochzeitskleid anprobiert.
Mit einer Mischung aus Entsetzen und Faszination beobachte ich, wie Gabriela im Angesicht ihres Spiegelbildes in Tränen ausbricht. Es ist die vorletzte Anprobe vor ihrem großen Tag am 30. Dezember.
»Es ist wunderschön.« Eine Träne läuft ihr über die Wange und hinterlässt eine Spur in ihrem Make-up.
Ich seufze erleichtert auf. Einen Moment lang hatte ich befürchtet, dass Gabriela die glitzernde Tüll-Monstrosität von einem Kleid noch einmal überdenken würde; dabei hätte mir vollkommen klar sein müssen, dass es der absolute Traum meiner Schwester ist, wie die Prinzessin aus einem Dreamland-Film auszusehen.
Mom, eine ehemalige Schönheitskönigin, deren dunkles Haar stets perfekt frisiert ist, eilt zur Rettung, um Gabys Wange mit einem Taschentuch abzutupfen. »Du ruinierst dein Make-up, mi amor.«
Obwohl meine Schwester inzwischen sechsundzwanzig ist, behandelt meine Mutter sie eher wie eine Porzellanpuppe als wie eine mündige Person mit eigener Meinung, Schwächen und – Gott bewahre – Gefühlen. Früher hat es mich gestört, aber mittlerweile tut mir Gaby eher leid, als dass ich sie darum beneide. Es mag mich ein Jahr Therapie gekostet haben, aber ich habe gelernt, dass ich sehr viel lieber von meiner Mutter kritisiert werde, als permanent ihre ungeteilte Aufmerksamkeit ertragen zu müssen. In gewisser Hinsicht tut mir Mom sogar leid, weil sie sich an diesen hohen Standard hält, der einem sämtliche Lebensfreude raubt. Ich glaube mich zu erinnern, dass sie früher nicht ganz so schlimm war. Aber erwachsen zu werden bedeutet, unsere Eltern aus einer anderen Perspektive zu betrachten und zu erkennen, dass auch sie nur Menschen sind. Menschen, die uns auf die Palme bringen können, aber auch Fehler machen und Schwächen haben. Und verdammt, meine Mutter hat durchaus die ein oder andere Schwäche.
Gabriela gibt sich Mühe, nicht zu weinen, scheitert jedoch, als sie erneut in den Spiegel schaut.
Ich muss mich regelrecht zwingen, nicht über ihre Reaktion zu lachen, indem ich mir so fest auf die Innenseite der Wange beiße, dass mir selbst die Tränen kommen. Ich liebe meine Schwester, aber das bedeutet nicht, dass ich eine Gelegenheit auslassen würde, sie aufzuziehen. Das wird praktisch von mir erwartet. Nicht nur, weil ich ihre große Schwester bin, sondern auch als jemand, der die schwierige Aufgabe übernommen hat, ihr klarzumachen, dass es in Ordnung ist, Fehler zu machen, hier und da auch mal ein Risiko einzugehen und ein Leben zu führen, das sie glücklich macht. Rückblickend betrachtet, war ich angesichts der Tatsache, dass sie sich in meinen Ex verliebt hat, vielleicht ein wenig zu überzeugend. Zum Glück hat Aiden mit mir Schluss gemacht, bevor wir miteinander geschlafen haben; ich bezweifle, dass Gaby andernfalls ihre Zeit an ihn verschwenden würde.
Das, was Aiden und ich hatten, als »Beziehung« zu bezeichnen, erscheint ohnehin weit hergeholt, wenn man bedenkt, dass wir lediglich ein paarmal miteinander ausgegangen sind. Wir hatten uns bei der Arbeit in einem anderen Krankenhaus kennengelernt. Zu Beginn des Jahres war er dann zufällig für einen Job nach Lake Wisteria gezogen, und ich war gleichzeitig in der Stadt, um meine Familie zu unterstützen, während sich mein Vater von einer schweren Operation erholte. Ich war mir nicht sicher, ob sich etwas daraus entwickeln würde, aber tief im Inneren habe ich es gehofft. Mein egoistisches Bedürfnis danach, die Leere in meiner Brust zu füllen, die Sehnsucht nach einem Lebenspartner zu stillen, hat dazu geführt, dass ich die Person verletzt habe, die ich auf dieser Welt am meisten liebe; und ich hasse mich noch immer dafür, dass ich Gabys Schwärmerei für Aiden nicht früher bemerkt habe.
Sie mochte Aiden eindeutig schon lange, bevor ich ihn mehr oder weniger beiläufig zu daten begann, aber sie hatte nie den Mut oder das Selbstvertrauen, es mir zu sagen, geschweige denn ihm. Aus Angst, dass er sie zurückweisen würde, da sie gut befreundet waren. Stattdessen sah sie von der Seitenlinie zu, wie er mit mir flirtete. Aiden musste erst mit mir Schluss machen, damit ich merkte, was für negative Auswirkungen unsere Beziehung auf Gabriela hatte, und dafür mache ich mir nach wie vor die größten Vorwürfe.
»Lass uns mal schauen, wie der zu dem Kleid passt.« Die Absätze von Moms hochhackigen Stiefeln klackern auf dem Boden, als sie zu meiner Schwester geht und ihr den schmalen Kunstpelz um die Schultern legt. Gaby war sich nicht sicher, ob er zu dem Kleid passen würde, aber ich kann mir kein perfekteres Outfit für eine magische Winterhochzeit vorstellen.
Zuerst war ich skeptisch, ob eine Hochzeit zur geschäftigsten Zeit des Jahres eine gute Idee ist, aber Gaby wollte unbedingt an Aidens und ihrem Jahrestag heiraten. Unsere Familie, die in Puerto Rico lebt, ist angereist und bleibt über die ganzen Feiertage, es scheint sich also alles wunderbar zu fügen.
Gaby dreht sich zu mir um. »Was meinst du?«
Unseren unterschiedlichen Geschmack in Sachen Mode mal beiseitegelassen, sieht sie umwerfend aus, auch wenn ihr Make-up etwas auffälliger ist als sonst. Aber das ist nicht der Grund, warum ich mich beklommen fühle. Als älteres Geschwisterkind bin ich im Geheimen immer davon ausgegangen, ich würde als Erste heiraten, doch nun kommt mir Gaby zuvor. Ich freue mich, dass sie die Liebe fürs Leben gefunden hat, aber dass die in meinem eigenen Leben fehlt, macht mich … traurig? Einsam? Leicht hoffnungslos, weil ich weiß, dass ich selbst die Ursache dafür bin, dass es bisher nicht geklappt hat. Denn um ganz offen zu sein, ist Aiden nicht der erste Mann, der einen Grund gefunden hat, mich zu verlassen. Aber er war der Erste, vor dem ich nicht flüchten konnte, indem ich in eine neue Stadt zog, um einen weiteren befristeten Job als Krankenpflegerin anzunehmen.
»Cata?« Meine Schwester mustert mich mit gerunzelter Stirn.
»Du siehst aus wie eine wunderschöne Prinzessin«, antworte ich gepresst, weil ich meine Gefühle nicht preisgeben will.
»Wirklich?« Gabriela versucht so krampfhaft, ihre Tränen wegzublinzeln, dass die falschen Wimpern beinahe ihre Brauen berühren.
»Wenn dich ein einziges Kompliment dermaßen aus der Fassung bringt, frage ich mich, wie du dann erst auf meine Rede auf der Hochzeit reagierst«, erwidere ich scherzhaft, um etwas von dem Gewicht, das auf meiner Brust lastet, abzustreifen.
»Dafür musst du sie erst mal geschrieben haben«, schießt Gabriela lachend zurück.
Ich stehe auf und drehe sie an der Taille im Kreis, so wie wir es als Kinder getan haben. »Aiden wird sich gar nicht mehr einkriegen, wenn er dich in diesem Kleid sieht.«
»Glaubst du wirklich?«
»Das weiß ich sogar. Außerdem habe ich eine Wette mit den anderen Brautjungfern laufen, dass er bei deinem Anblick in Tränen ausbricht. Ich zähle also drauf, dass er einen Totalzusammenbruch erleidet. Im positivsten Sinne. Und wenn er ein Taschentuch rausholt, gibt das Bonuspunkte.«
Gabriela verzieht das Gesicht. »Ihr habt nicht im Ernst eine Wette abgeschlossen.«
»Doch, klar. Als würde ich jemals eine Gelegenheit auslassen, ein bisschen Geld zu machen.« Ich wackle mit den Augenbrauen.
Sie macht ein ernstes Gesicht. »Wenn ich gewusst hätte, dass du knapp bei Kasse bist, hätte ich dir jederzeit was geliehen.«
Ich verpasse ihr einen spielerischen Schubs, und wir müssen beide lachen.
In diesem Moment keucht unsere Mutter hinter uns entsetzt auf. »Meine Güte! Wir haben die Tiara vergessen.« Damit stöckelt sie eiligen Schrittes davon, wodurch Gabriela und ich heute zum ersten Mal miteinander allein sind.
»Gott bewahre, dass wir vergessen, die Tiara anzuprobieren«, wispere ich, was Gabriela ein unterdrücktes Kichern entlockt. »Mal im Ernst, wie hast du es geschafft, sie bei der Planung dieser Hochzeit nicht umzubringen?«
»Insgesamt war es gar nicht sooo schlimm.«
»Abgesehen von der Tatsache, dass ihr in der Kirche heiratet, obwohl Aiden Atheist ist.«
»Pssst!«, zischt Gabriela. »Das weiß Mami doch nicht.«
»Willst du mir sagen, dass sie das trotz der ganzen Gottesdienste, bei denen ihr zusammen gewesen seid, noch nicht rausgefunden hat?«
»Nope. Aiden sitzt einfach die ganze Zeit mit gesenktem Kopf da und tut so, als würde er beten. Hat bisher an jedem Sonntag funktioniert.«
»In Wahrheit schläft er, oder?« Als jemand, die ebenfalls nachts arbeitet, verstehe ich das sehr gut.
»Klar. Wegen der Kosten für die Hochzeit und das neue Haus und um genug freie Tage für eine anständige Hochzeitsreise zusammenzubekommen, übernimmt er so viele Nachtdienste wie möglich.«
Ich streiche ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. »Er ist ein anständiger Kerl.«
»Du musst es wissen, immerhin warst du mit ihm zusammen.«
Gabriela ist der einzige Mensch, der mich dermaßen zum Lachen bringen kann, dass ich feuchte Augen bekomme.
Sie zieht mich in eine Umarmung. »Ich bin so froh, dass du den ganzen Monat hier bist.«
»Wirklich?«, frage ich überrascht. Seit Gabrielas Verlobung erscheint mir unser Verhältnis ein wenig angespannt; deswegen wäre ich eher davon ausgegangen, dass sie zurückhaltend darauf reagiert, dass ich so lange in der Stadt bleibe.
»Natürlich.« Ihre Wangen röten sich. »Und wer weiß, vielleicht gefällt es dir so gut, dass du dich entscheidest, noch länger zu bleiben.«
»Die Agentur hat mich schon gefragt, wie meine Pläne für das kommende Jahr aussehen.«
Ich habe mich aus einem bestimmten Grund dafür entschieden, als Kinderkrankenpflegerin ohne Festanstellung zu arbeiten, und das hat nichts damit zu tun, dass es in dem Fachgebiet vielleicht ein ausgeprägtes Konkurrenzdenken gäbe. Außerdem lerne ich auf diese Weise die unterschiedlichsten Ecken des Landes kennen. Was sollte einem daran bitte nicht gefallen?
Die Einsamkeit, um nur einen Punkt zu nennen.
Ich schiebe den Gedanken rasch beiseite.
»Reist du gleich nach der Hochzeit wieder ab?« Beim Anblick von Gabys traurigem Gesicht spüre ich einen Kloß im Hals, also reagiere auf die einzige Art, die mir möglich ist.
»Du kennst mich doch. Ich kann nie lange an einem Ort bleiben, bevor mich wieder die Reiselust packt.«
Neue Orte durch mein Kameraobjektiv zu erkunden, ist zu meiner Lieblingsfreizeitbeschäftigung geworden und hat mir dabei geholfen, meine Komfortzone zu verlassen. Ich habe neue Leute kennengelernt, gelernt, mich anderen zu öffnen, und dabei etwas von meiner Schüchternheit abgelegt. Ich kann mir nicht vorstellen, wieder in Lake Wisteria sesshaft zu werden. Zumindest noch nicht.
Bevor ich hergekommen bin, dachte ich, ich hätte mein Leben im Griff. Ich habe gehofft, bald endlich jemand Besonderen kennenzulernen. Doch nun hege ich ernsthafte Zweifel, dass das in unserer Kleinstadt überhaupt möglich ist. Mal ganz davon abgesehen, dass ich nach der Geschichte mit Aiden und meiner Schwester ohnehin sämtlichen Männern aus Lake Wisteria abgeschworen habe. Es erscheint mir sehr viel einfacher und weniger riskant, mich woanders nach einem Partner umzuschauen.
Und wie läuft es mit der Suche bisher so?
Ich kann mich gerade so beherrschen, bei dem Gedanken nicht das Gesicht zu verziehen. Da ich aufgrund meines Jobs ständig unterwegs bin, ist es mir so gut wie unmöglich, langfristige Bindungen aufzubauen. Was wiederum heißt, dass ich ganz allein für meinen erbärmlichen Beziehungsstatus verantwortlich bin.
»Umso schöner ist es, dich gerade zu Hause zu haben«, holt mich meine Schwester ins Hier und Jetzt zurück.
»Das finde ich auch.« Meine Besuche – in der Regel komme ich zweimal im Jahr nach Lake Wisteria – erscheinen mir in dem Moment immer lang, aber sobald ich abreise, nie lang genug.
»Weißt du was? Ich werde dafür sorgen, dass du so viel Spaß hast, dass du nie wieder wegwillst.«
»Viel Erfolg dabei«, erwidere ich mit belegter Stimme.
Ich traue Gabriela zu, dass sie sämtliche Register zieht; dennoch wird mich nichts auf der Welt dazu bewegen, im Anschluss an die Hochzeit hierzubleiben.
Egal, wie sehr sie es sich wünscht.
Luke
Ich klappe gerade eine Patientenakte zu, als mein Handy in der Hosentasche vibriert. Bevor ich den Anruf entgegennehme, gehe ich rasch zum Zimmer des Pflegepersonals, das momentan mit rot-weiß gestreiftem Geschenkpapier dekoriert ist. Als ich den ausgeliehenen Stift zurücklegen möchte, stolpere ich über eine Mini-Kiefer im Topf, die jemand im Supermarkt gekauft haben muss. Glücklicherweise geht keiner der Weihnachtsanhänger zu Bruch.
»Hey, Mann«, begrüßt mich Aiden, als ich endlich drangehe.
»Was gibt’s?«
»Du musst mir einen Gefallen tun.«
Eine Person, die sehr nach Gabriela klingt, regt sich im Hintergrund lautstark über Familienmitglieder, die nur Ärger machen, und eine Torte auf.
»Alles okay?«
»Nein, eigentlich nicht, aber ich hoffe, das lässt sich ändern. Kannst du morgen meinen Dienst übernehmen? Bitte.«