My Lucky Star - Jacqueline Firkins - E-Book

My Lucky Star E-Book

Jacqueline Firkins

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Beschreibung

Spicy Spring - Eine Romance mit Suchtfaktor.

Das Leben von Marlowe Banks ist aus den Fugen. Ihre Verlobung endete im Desaster, ihr Studienkredit ist fällig, und beruflich steckt sie in der Krise: Als Kostümdesignerin erhielt sie zuletzt vernichtende Kritiken. Marlowe flieht aus New York und nimmt in Los Angeles einen Job als Produktionsassistentin bei einer Fernsehserie an. Dort sortiert sie Socken und kümmert sich um den verwöhnten Hund ihrer Chefin. Bis ein unglücklicher Zufall sie zu einem Kurzauftritt als Komparsin zwingt. Dabei fängt die Kamera einen intensiven Blick zwischen ihr und Angus Gordon ein, dem Star der Serie »Heart’s Diner«. Die Fans sind begeistert! Tatsächlich war Marlowe nur wütend auf den arroganten Angus, von erotischem Knistern keine Spur. Doch nun soll ausgerechnet sie der Love Interest von Angus in der neuen Staffel werden ...

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Buch

Das Leben von Marlowe Banks steht kopf. Ihre Verlobung endete im Desaster, ihr Studienkredit ist fällig, und beruflich steckt sie in der Krise: Als Kostümdesignerin am Broadway erhielt sie zuletzt vernichtende Kritiken. Marlowe flieht aus New York und nimmt in L. A. einen Job als Produktionsassistentin bei einer Fernsehserie an. Dort sortiert sie Socken und kümmert sich um den verwöhnten Hund ihrer Chefin. Bis ein unglücklicher Zufall sie zu einem Kurzauftritt als Komparsin zwingt. Dabei fängt die Kamera einen intensiven Blick zwischen ihr und Angus Gordon ein, dem Star der Serie »Heart’s Diner«. Die Fans sind begeistert! Tatsächlich war Marlowe nur wütend auf den arroganten Bad Boy, von erotischem Knistern keine Spur. Doch nun soll ausgerechnet sie der Love Interest von Angus im Staffelfinale werden …

Weitere Informationen zu Jacqueline Firkins finden Sie am Ende des Buches.

Jacqueline Firkins

My Lucky Star

Roman

Aus dem Englischen

von Jeannette Bauroth

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel

»Marlowe Banks, Redesigned« bei St. Martin’s Publishing Group,

New York City.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Dataminings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstveröffentlichung Februar 2024

Copyright © der Originalausgabe 2022 by Jacqueline Firkins

Published by arrangement with St. Martin’s Publishing Group

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2024

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Dieses Werk wurde im Auftrag von St. Martin’s Press durch die

Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover, vermittelt.

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotive: FinePic®, München

Redaktion: Annika Bührmann

TK · Herstellung: ik

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN: 978-3-641-30412-6V001

www.goldmann-verlag.de

Für die, die sich Sorgen machen, und die, die sich Gedanken machen. Für die, die mit Imposter-Syndrom, nutzlosen Vergleichen oder ständiger Versagensangst ringen. Und für Timothy Olyphant, den ich einmal zum Jeanskaufen mitgenommen habe und der sich an diesen Tag nicht mehr erinnern wird.

1

Marlowe Banks hätte sich nie träumen lassen, dass ihr Master of Fine Arts von der Yale University ihr einmal einen Job einbringen würde, bei dem sie Kleiderbügel sortierte, verkrustete Einlegesohlen aus einem alten Paar Halbschuhe pulte und sich jeden einzelnen Fingernagel beim Versuch, ein Uhrenarmband nur mithilfe einer Sicherheitsnadel und der Kraft ihres beachtlichen Willens anzupassen, abbrach. Der Titel »Produktionsassistentin im Bereich Kostüm« hatte so glamourös geklungen. Aber unter der üblicheren Kurzbezeichnung PA war sie nur ein Rädchen im Getriebe. Mehr nicht.

»Na toll«, murmelte sie, als die Sicherheitsnadel abrutschte und sich zum dritten Mal Blut an ihrem Finger zeigte. »Eine großartige Gelegenheit. Spektakuläre Lernerfahrung. Ein Traumjob.« Die Worte kamen ihr nur mühsam über die Lippen, aber wenn Marlowe sie nur oft genug wiederholte, würde sie sie vielleicht irgendwann glauben. Immerhin mussten Rädchen ohne Ehrgeiz nicht zusehen, wie Kritiker und Branchenprofis ihre kreative Arbeit auseinandernahmen. Sie fühlten sich nicht wie Hochstaplerinnen, weil sie sich »Künstlerin« nannten. Tatsächlich nahmen die meisten Menschen sie nicht einmal wahr, was genau das war, was sich Marlowe erhofft hatte, als sie ihre beginnende Kostümbildnerinnenkarriere in New York City hinter sich gelassen und nach Los Angeles geflogen war – der Stadt der Träume, der Sandstrände, der köstlichen Tacos und der vielen wahnsinnig schönen Menschen, zwischen denen jeder gewöhnliche Mensch praktisch unsichtbar war.

Nachdem sie die Armbanduhr endlich auf die Handgelenksgröße der Schauspielerin eingestellt hatte, packte Marlowe eine große Bestellung Motivsocken aus, ein weiterer Punkt auf der langen Liste der Aufgaben, die sonst niemand erledigen wollte. Als einfache Assistentin verbrachte Marlowe viel Zeit mit solchen Sachen. Auch wenn niemand diese Formulierung für ihre Arbeit benutzte, wusste trotzdem jeder, dass es so war. Sie schnitt gerade die erste Verpackung auf, als sie vom Eingang zum Trailer her das Klappern von übermäßig vielen Armreifen hörte, gefolgt vom Klackern spitzer Absätze auf dem Linoleum und dem verräterischen Duft nach Sandelholz und sorgfältig kultivierter Verachtung.

»Wieso sind wir erst bei Folge drei?« Babs Koçak ließ sich neben Marlowe auf einen Regiestuhl fallen, drehte sich zu dem nahestehenden Spiegel um und glättete ihre perfekt geschwungenen Augenbrauen, die tiefschwarz über ihren leicht zusammengekniffenen grauen Augen lagen. Sie hatte eine zierliche Statur, aber eine große Persönlichkeit, war immer tadellos gekleidet und frisiert – es war ihre Art, anderen zu zeigen, dass sie ihr beruhigt ihren Look anvertrauen konnten. »Ich habe das Gefühl, schon seit die Tyrannosaurier von Ziegenlederhandschuhen für ihre winzigen Hände geträumt haben, Samtblazer und Seidenboxershorts herauszusuchen.«

Marlowe lächelte höflich und legte das Cuttermesser zur Seite. »Vielleicht kommt es dir so lange vor, weil es die sechste Staffel ist?«, erwiderte sie.

Babs stöhnte. »Eigentlich sollte nach der fünften Schluss sein, aber offenbar muss man nur genügend heiße junge Schauspieler auf dem Bildschirm zeigen, und die Leute schalten so lange ein, bis auch der letzte von ihnen mit allen anderen geschlafen hat.« Sie stieß einen entnervten Seufzer aus und glättete die winzigen Falten in ihrer Seidenhose. »Hast du die Quittungen durchgesehen?«

»Alles erledigt. Ich habe die Rechnung heute Morgen bei der Buchhaltung abgegeben.«

»Und Calvin Klein kontaktiert?«

»Morgen kann ich die Muster abholen.«

»Meinen Termin beim Chiropraktiker verschoben?«

»Du bist jetzt für nächsten Dienstag um elf Uhr eingetragen.«

»Konntest du einen Seetangsalat ohne Sesam auftreiben?«

»Holy Rolls macht extra einen, ich hole ihn um zwölf ab.«

»Und Edith Head?«

»Der geht es in der neuen Hundetagesstätte hervorragend. Sie hat sogar ihren Quietscheknochen geteilt.«

Babs zog eine Braue hoch und blickte sich im Trailer um, als ob sie etwas suchte, das sie kritisieren konnte, nachdem ihre Fragen in dieser Hinsicht nichts ergeben hatten. Marlowe konzentrierte sich auf ihre Aufgabe und trennte die Socken mit den Lamas und Faultieren von denen mit den Regenbogenstreifen oder witzigen Sprüchen. Die Kostümabteilung hatte knapp hundert Paar bestellt, wobei die Wahrscheinlichkeit, dass auch nur eins davon im Bild zu sehen sein würde, ungefähr genauso hoch war wie die, dass ein Tyrannosaurus Ziegenlederhandschuhe tragen würde. Die Arbeit beim Fernsehen war etwas völlig anderes als Marlowes erste Jobs beim Theater, wo das gesamte Budget für zwanzig oder dreißig historische Kostüme geringer gewesen war als die Kosten dieser einen Sockenbestellung. Sie war inzwischen seit zehn Wochen Teil des Kostümteams für Heart’s Diner, daher hatte sie die anfängliche »Alice im Wunderland«-Phase voller Staunen hinter sich gelassen, wobei sie manchmal immer noch beinahe erwartete, ein weißes Kaninchen in einer Weste den Trailer betreten zu sehen. In Hollywood war alles möglich.

»Trinkst du das wirklich?«, fragte Babs.

Marlowe hielt inne, Socken mit Bananenaufdruck in beiden Händen. »Was trinken?«

Babs deutete auf die Getränkedose auf der Arbeitsplatte neben Marlowe. »Es ist noch nicht mal zehn Uhr.«

»Das ist nur Mineralwasser.« Marlowe legte die Socken hin, nahm die Dose in die Hand und suchte nach gefährlichen Inhaltsstoffen oder Warnungen.

Babs machte ein missbilligendes Geräusch. »Die Kohlensäure kann dein Verdauungssystem schädigen. Damit bringst du die natürlichen Signale deines Körpers durcheinander, und bevor du dichs versiehst …« Sie machte eine Geste, die einen aufgeblasenen Ballon symbolisieren sollte. »Warte wenigstens bis zum Mittag- oder Abendessen damit.«

Marlowe stellte die Mineralwasserdose hinter einen Stapel zerknüllter Verpackungen und machte sich klar, dass aufmunternde Selbstgespräche ihre Situation nicht wesentlich verbessern würden. Problem Nummer eins: Das Leben in L. A. passte nicht zu ihr. Die Stadt verlangte ein Bewusstsein für Marken und einen Gesundheitskult – vielleicht nicht von jedem, aber definitiv von allen, die in der Modebranche arbeiteten, oder zumindest denen, die mit Babs Koçak zusammenarbeiteten. Trotz Babs’ häufiger »hilfreicher Vorschläge« verabscheute Marlowe Fitnessstudios und fand Superfoods ausgesprochen unsuper. Ausgenommen Blaubeeren und vielleicht Brokkoli, solange genügend Käse in der Nähe war, um seine grüne Farbe zu überdecken. Sie joggte jede Woche, war also nicht völlig untätig, aber jetzt sollte sie kein sprudelndes Wasser mehr trinken? Ernsthaft?

Babs spähte über die Socken hinweg, die Marlowe auf der Arbeitsplatte aufstapelte.

»Ich hätte die Bestellung genauer formulieren sollen.« Sie nahm ein Paar in die Hand, auf dem Katzen telefonierten. »Wir behalten die mit Streifen und allgemeinen Mustern. Den Rest dieses Quatsches schicken wir zurück. Unsere Serie spielt im Mittleren Westen der USA, nicht in Jumanji.« Sie inspizierte einige weitere Paare, während Marlowe damit begann, den Karton wieder zu befüllen. »Glaubst du, Idi könnte die zu seinem McQueen-Anzug tragen?« Sie hielt ein Paar mit blauen und schwarzen Streifen hoch.

»McQueen?«, wiederholte Marlowe verblüfft. »Arbeitet seine Figur nicht an einer Tankstelle?«

»Wir sind hier nicht bei einer deiner kleinen Tschechow-Inszenierungen, Liebes. Das hier ist Fernsehen. Die Leute wollen Glanz und Glamour.« Babs warf die Socken beiseite. »Du bist neu, aber du wirst es schon noch lernen.«

Marlowe setzte ihr übliches gelassenes Lächeln auf, während sie Problem Nummer zwei festhielt: der Job. Nicht, dass die Arbeit als Assistentin bei einer großen Fernsehserie nur schlecht wäre. Die Bezahlung war gut. Marlowe war für ihre Aufgaben gut geeignet: Sie war organisiert, effizient, detailorientiert und beschwerte sich nicht. Sie vermied erfolgreich ihre schärfsten Kritiker und die scheinheiligen Premieren-Partys, wo sie nie wusste, was sie sagen sollte, abgesehen von »Es ist so toll, mit euch zu arbeiten!«. Sie hatte sogar Klatsch und Tratsch über Promis für ihre Freundinnen in New York auf Lager. Allerdings – und das war ein großes Allerdings – hatte sie es nicht geschafft, ihr Kostümbildnerinnendenken und ihre Karriereambitionen abzuschalten. Sie hatte eine Meinung zu der Story, der Welt und den Figuren. Sie sprudelte beinahe über vor Gedanken zu symbolischen Farbpaletten oder Möglichkeiten, wie man Informationen über Allianzen und Antagonismen vermitteln konnte. Zum Beispiel indem man einfach nur eine Krawatte austauschte oder die Frisur einer Person anpasste. Aber sie war nach L. A. gekommen, um sich zu verstecken, und das erforderte, dass sie sich mit ihrer Meinung zurückhielt. Dasselbe galt für Ambitionen.

Die Trailertür schwang auf, und Cherry Cho kam herein, gekleidet in ihr übliches Outfit aus enger schwarzer Jeans, schwarzem Designerblazer und einem bedruckten T-Shirt mit ironischem Spruch. Auf dem heute stand »Binär gibt es nur bei Computerprozessoren«. Sie war schlank und auffällig, mit langen schwarzen Haaren, die sie zu einem unordentlichen Knoten gedreht trug, wie ihn Marlowe schon oft versucht hatte. Leider hatte sie das irgendwann aufgeben müssen, da sie im Gegensatz zu Cherry nicht in der Lage war, die unordentliche Frisur wie Absicht aussehen zu lassen.

»Ich habe Angus am Tisch mit den Snacks getroffen«, wandte sich Cherry an Babs. »Er will über seine Lederjacke sprechen.«

»Was ist damit?« Babs stand auf und zog am Saum ihrer Bluse, vielleicht, um sie herunterzuziehen oder um ihr Dekolleté in Szene zu setzen – eine Angewohnheit, wann immer Angus’ Name fiel. »Ist es nicht dieselbe, die er auch letzte Woche getragen hat?«

»Angeblich passt sie nicht richtig. Mal wieder.« Cherry verdrehte die Augen. »Er hat in letzter Zeit mehr Gewichte gestemmt. Jetzt ist sie an den Schultern zu eng. Ich habe ihm versichert, dass die Jacke gut aussieht, aber er bestand auf einer zweiten Meinung.«

»Wie viele Lederjacken kann ein Schauspieler während einer Staffel verschleißen?« Babs deutete mit dem Finger auf Marlowe und Cherry. »Ihr braucht das nicht zu beantworten. Ich will es nicht wissen.« Sie frischte ihr Augen-Make-up auf und glättete ihre Haare, bevor sie den Trailer verließ.

Sobald sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, ließ Cherry sich auf den Boden fallen und rollte sich dort umher wie eine Katze, die sich nicht zwischen Strecken und Einschlafen entscheiden konnte.

»Ich bin soooooo müde«, stöhnte sie.

»Hast du gestern lange gearbeitet?«, erkundigte sich Marlowe, während sie weiterhin die verbliebenen Socken sortierte.

»Meine Ex ist endlich vorbeigekommen, um ihre restlichen Sachen aus meiner Wohnung zu holen. Das hätte in maximal ein, zwei Stunden erledigt sein sollen. Dann haben wir angefangen zu reden, was eigentlich kein Problem gewesen wäre, aber es hat nicht lange gedauert, bis wir jeden Streit über meine Neigung, die Arbeit über alles zu stellen, und über ihre Eifersucht aufgewärmt haben, und wie ich glauben kann, dass eine Frau, der ich schon seit vier verfluchten Jahren assistiere, mich plötzlich für einen eigenen Kostümdesignjob empfehlen wird. Aber ich kann doch nicht aufgeben, wo ich so kurz vor einem großen Durchbruch stehe, du machst dir was vor, nein, du machst dir was vor, und plötzlich ist es sechs Uhr morgens, und wir schreien uns praktisch an.« Sie gähnte in ihre Faust, langsam und lang, und blinzelte durch ihre dichten Wimpernverlängerungen, bevor sie wieder in sich zusammensank. »Ich habe heute schon so viele Fehler gemacht. Ich funktioniere nicht ohne Schlaf. Irgendetwas wird schrecklich schiefgehen, und es wird meine Schuld sein.« Da Cherry sich nie mit unnötigen Konventionen wie dem Benutzen von Stühlen aufhielt, rollte sie sich auf die Seite und unterdrückte ein weiteres Gähnen.

Marlowe trank ihr Mineralwasser aus, solange sie das noch ohne Kritik konnte.

»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte sie.

»Besteht die Chance, dass du unsere Freundin Babs heute von mir fernhalten kannst? Sie hat mir heute Morgen beinahe den Kopf abgerissen, als ich ihre Nachricht übersehen habe, dass ich ihr zusammen mit ihrem Kaffee noch glutenfreie, zuckerfreie Scones kaufen soll. Als ob wir für so was keinen Catering-Truck hätten.«

»Sind die Scones dort denn gluten- und zuckerfrei?«

»Würde die irgendjemand hier essen, wenn sie es nicht wären?« Cherry drehte sich um, kämpfte sich in eine sitzende Position hoch und warf einen schnellen Blick zur Tür. »Ich würde wetten, dass Babs manchmal einfach Gründe erfindet, um sauer zu sein, damit der Rest von uns nicht vergisst, dass sie hier das Sagen hat. Sie war selbst einmal in unserer Position. Jetzt ist sie an der Reihe, andere leiden zu lassen. Die Filmbranche ist im Prinzip eine endlose Schikaneschleife.« Cherry streckte den Nacken und massierte sich die Halswirbelsäule.

Cherry war mit ihren achtundzwanzig Jahren nur drei Jahre älter als Marlowe, doch sie arbeitete in der Branche, seit sie achtzehn gewesen war: zwei Jahre als PA, vier als Einkäuferin und Näherin und weitere vier als Kostümdesignassistentin von Babs Koçak. Sie hatte Marlowe erklärt, dass eine Assistentinnenstelle einer der besten Wege war, um einen Job als Kostümbildnerin zu bekommen. Nicht nur, dass man Regisseure und Produzenten kennenlernte, wenn die Kostümbildnerin ein Angebot für einen Film oder eine Serie bekam, das sie nicht annehmen konnte, gab sie es vielleicht an ihre Assistentin weiter. Bisher hatten sich Cherrys Ambitionen jedoch als … lediglich ambitioniert erwiesen. Doch trotz der langen Arbeitstage und ihrer Klagen über die Branche war sie fest entschlossen, es bis an die Spitze zu schaffen. Marlowe bewunderte Cherrys Entschlossenheit. Sie fragte sich auch, wie ihre eigene im Vergleich abschnitt.

Sie beugte sich zu Cherry und senkte die Stimme. »Glaubst du, dass Babs und Angus etwas miteinander haben?«

Cherry tat so, als ob sie sich übergeben müsste. »Um Gottes willen, ich hoffe nicht. Ich meine, der Kerl schläft sich durch die Gegend, also vielleicht doch, aber sie ist doppelt so alt wie er, und er hat eindeutig bessere Angebote. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Supermodel, das ich heute Morgen aus seinem Trailer habe schleichen sehen, nicht dasselbe war wie gestern.«

Marlowe blickte stirnrunzelnd in die Richtung von Angus’ Trailer und fragte sich, hinter welcher Frau – oder genauer gesagt, hinter welchen Frauen – er wohl gerade her war. Er war einer der sechs Hauptdarsteller, Mitte bis Ende zwanzig, und hatte rote Haare, die zu hell waren, um als kastanienbraun durchzugehen, und zu dunkel, um ihn zu einem echten Rotschopf zu machen, aber sie standen ihm so oder so. Er spielte den Bad Boy der Stadt, der immer in Schwierigkeiten geriet, eine zwielichtige Vergangenheit hatte und ganz schön überheblich war.

Von allen Promis, die Marlowe während der vergangenen Monate kennengelernt hatte, war Angus derjenige, über den ihre Freundinnen in New York am dringendsten etwas erfahren wollten. Sie konnte es ihnen nicht verdenken, schließlich war sie selbst neugierig gewesen. Sein Gesicht war seit Jahren in Boulevardzeitschriften und auf Filmfanseiten zu sehen, erst als Teenie-Schwarm aus einer beliebten Disneyserie, dann an der Seite einer ganzen Reihe schöner Schauspielerinnen. Er hatte das raue, kantige Aussehen, das Frauen in seiner Gegenwart stammeln und erröten ließ und ihn zum Gegenstand unzähliger Fantasien machte. In Marlowes Jugend hatte er sogar durchgehend einen Top-Ten-Spitzenplatz auf der Liste ihrer imaginären Boyfriends gehabt, und als Heart’s Diner zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, hatte er einige heiße Gedanken bei ihr ausgelöst. Doch das war, bevor sie den Mann kennengelernt und festgestellt hatte, dass er der egozentrischste Mensch auf dem Planeten war. Jetzt ging sie ihm aus dem Weg, was einfach war, da ihre Aufgaben als PA so gut wie nie Kontakt zu den Hauptdarstellern erforderten.

Ihr Handy vibrierte in der Gesäßtasche. Sie zog es heraus und blickte aufs Display, ohne es zu entsperren.

Kelvin: Wie gefällt’s dir im La-La-Land, Lowe?

Marlowe runzelte die Stirn. Problem Nummer drei: Einsamkeit, und deren nervig häufige Begleiterscheinung, das Bedauern. Kelvins Frage war zwar harmlos, aber der Spitzname traf Marlowe immer noch ins Herz. Obwohl sie sich wirklich wünschte, es wäre nicht so. Beziehungen waren schon komisch. Man baute sich zusammen eine gemeinsame Sprache auf. Wenn die Beziehung endete, kannte niemand anders die entsprechenden Wörter und Symbole, also musste auch die Sprache sterben.

Cherry kam auf die Füße und klopfte sich den Staub ab. »Was gibt’s?«

»Anscheinend ist heute der Tag der Ex-Partner.«

»Er schreibt dir immer noch? Er weiß, dass ihr Schluss gemacht habt, oder?«

»Ja. Da gibt es keine Missverständnisse.« Marlowe schob das Handy zurück in ihre Tasche. »Wir versuchen, Freunde zu bleiben.«

Cherry beäugte sie von der Seite. »Was genau bedeutet ›Freunde bleiben‹?«

»Bisher bedeutet es, dass er mir ungefähr einmal pro Woche irgendeine wahllose Frage schickt. Ich antworte, weil mich die Götter des guten Benehmens zwingen, Fragen nicht unbeantwortet zu lassen. Dann frage ich ihn etwas. Darauf antwortet er nicht.«

Cherry beugte sich zum Spiegel und strich sich über die Augenringe.

»Ich hasse diesen Mist mit der Hinhalterei«, sagte sie. »All diese kleinen Vortaster, um zu sehen, ob jemand noch da ist, falls man sich entscheidet, dass man ihn will. Sobald du ihm nur den geringsten Hinweis gibst, dass er deine Aufmerksamkeit hat, löst er sich in Luft auf. Du solltest ihn echt einfach blockieren.«

»Vielleicht. Keine Ahnung.« Marlowe schloss eine Hand um ihren Ringfinger und drehte daran, eine nervöse Angewohnheit, die sie noch nicht losgeworden war. »Ein paar freundliche Nachrichten bringen mich nicht um. Er fehlt mir. Und ich fühle mich immer noch mies, weil ich einfach so abgehauen bin.«

»Hältst du den Kontakt, weil ihr Freunde seid oder weil du ein schlechtes Gewissen hast?«

»Beides vermutlich.« Marlowes Stimme klang kläglich. Sie hasste das.

»Sei einfach vorsichtig.« Cherry wirbelte herum und lehnte sich an die Arbeitsplatte, wobei sie mit ihren türkis lackierten Nägeln auf der Kante herumtrommelte. »Achte darauf, dass er etwas Positives zu deinem Leben beiträgt, zum Beispiel, indem er sich darum bemüht, dass du glücklich bist. Wenn er dich lediglich unglücklich macht, solltest du sofort den Menschenentsorgungsdienst anrufen.«

Cherrys Worte trafen ins Schwarze im Hinblick auf Marlowes Unfähigkeit, Dinge loszulassen und mit ihrem Leben weiterzumachen. Das Handy drückte gegen den Hintern und verlangte ihre Aufmerksamkeit, und sie verlagerte unruhig das Gewicht. Auf der Suche nach einer Ablenkung ordnete sie die Sockenstapel. Kaum hatte sie damit begonnen, packte Cherry sie an den Armen und schob sie zum Spiegel.

»Was siehst du?«, fragte sie.

Marlowe blinzelte ihr Spiegelbild an. Vor ihr stand eine unbeholfene junge Frau, groß und kantig, mit einer Figur wie ein Schilfrohr, einem zu langen Hals, einer zu spitzen Nase und glattem braunen Haar, das ihr beinahe bis zur Taille fiel, als hätte sie versucht, etwas Interessanteres damit anzufangen, aber verzweifelt aufgegeben. Sie stand leicht vornübergebeugt, etwas, das sie sich angewöhnt hatte, als sie mit dreizehn plötzlich größer als alle ihre Klassenkameraden gewesen war, obwohl sie am Ende nur knapp eins achtzig geworden war, während viele der Jungs noch weiterwuchsen. Sie hatte einige kleine Aknenarben und war noch nicht den typischen L. A.-Anwendungen wie Augenbrauenwachsen und chemischen Peelings erlegen. Außerdem war sie ganz offenkundig kein Outdoor-Typ.

»Keine Ahnung, was ich sehe«, gab sie zu. »Jemanden, der immer noch versucht, seinen Platz zu finden?«

»Okay.« Cherry trat an ihre Seite. »Aber ich wette, dass dir gerade zehn Sachen aufgefallen sind, die du an dir nicht magst, anstatt zehn, die du magst.«

Marlowe zuckte zusammen. »Möglich? Woher weißt du das?«

»Das ist sozusagen dein Markenzeichen. Außerdem ist es das, was die Welt Frauen beibringt. Sie sehen das Negative und ignorieren das Positive. Das ist Bullshit, aber niemand kann diesen Mist komplett ausblenden. Außerdem denke ich, dass Kevin …«

»Kelvin.«

»Egal. Der Hinhalte-Typ. Ich finde, dass er in der Hinsicht keine große Hilfe ist.« Cherry begann, Marlowes Haare locker zu flechten. »Ich weiß, dass du ihn geliebt hast, aber er klingt wie ein emotionaler Manipulator. Hat er dir nicht gesagt, du würdest nie jemanden finden, der so gut ist wie er?«

»Das hätte ich dir nicht erzählen sollen. Er war wütend und aufgebracht. Er hat es nicht so gemeint.«

»Bist du dir da sicher?«

Marlowe öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber es kam ihr nichts über die Lippen. Die schrecklichen Worte verfolgten sie immer noch. Du wirst nie wieder jemanden so Gutes finden wie mich. Ob Kelvin es nun so gemeint hatte oder nicht, er wusste, dass sie sich das zu Herzen nehmen würde. Er wusste es immer. Er hatte ihr zwar nie körperlich wehgetan, aber er hatte ein Händchen dafür, dass sie sich … ja, wie fühlte? Klein? Unsichtbar? Wertlos? Dankbar für jedes bisschen Aufmerksamkeit? Aber er war auch klug, witzig, talentiert, attraktiv. Er hatte ihre künstlerischen Bemühungen unterstützt. Er war großzügig mit kleinen Geschenken, die ihr sagten: »Ich denke an dich.« Sie passte perfekt in seine Armbeuge, wenn sie gemeinsam im Bett lagen. Was, wenn Marlowe tatsächlich nie jemand Besseren finden würde? Was, wenn sie die falsche Entscheidung getroffen hatte, als sie ihren Flug gebucht und Kelvin den Ring zurückgegeben hatte? Was, wenn sie nicht mehr verdiente?

Cherry zog sich ein Gummiband vom Handgelenk und entwirrte es von mehreren anderen. Sie fing Marlowes Blick im Spiegel auf, während sie das Zopfende zusammenband.

»Nach allem, was ich von dir gehört habe, hat er dir ständig das Gefühl gegeben, dass du froh sein musst, mit ihm zusammen zu sein. Möchtest du nicht mit jemandem zusammen sein, der glücklich ist, weil er mit dir zusammen ist?«

»Ja, aber …«

»Nichts aber. Ich befehle dir hiermit, nichts Geringeres zu akzeptieren.« Cherry nickte ihr kämpferisch zu, bevor sie sich zur Ecke des Trailers umdrehte. »Und jetzt hilf mir dabei, diese Schuhschachteln zu den Statisten zu bringen, bevor Babs zurückkommt und uns hier beim Herumstehen erwischt.«

Marlowe und Cherry stapelten so viele Schuhkartons auf, wie sie tragen konnten: Markensandalen und -sneaker in allen Größen, die gegen die Flipflops ausgetauscht werden würden, in denen die Nebendarsteller zur Arbeit kamen. Babs’ Interesse an »Stil und Glamour« schloss jeden Ohrstecker, jede Gürtelschnalle und jeden Schuh ein, der später herausgeschnitten werden würde.

»Du hast recht«, erklärte Marlowe, als sie den Trailer verließen.

»Ich habe immer recht.« Cherry lächelte sie an. »Womit jetzt gerade genau?«

»Ich kann jemand Besseres finden. Ich habe Kelvin als Mensch geliebt, aber mir hat nicht gefallen, welche Gefühle er als Teil eines Paares in mir ausgelöst hat. Ich war keine Partnerin für ihn. Er saß immer am Steuer und hat alle Entscheidungen getroffen. Ich war wie …« Sie suchte nach einer Entsprechung für ihre Metapher. Seine Navigatorin? Co-Pilotin? Fußmatte? »Seine Beifahrerin, und mit jeder Fahrt habe ich ein weiteres Stück von mir selbst verloren.« Sie justierte die Schuhkartons in ihren Armen und überlegte, ob sie sich vielleicht zu viele aufgeladen hatte.

»Da hast du verdammt noch mal recht«, bestätigte Cherry, deren Schachteln sauber aufgestapelt waren.

»Keine Narzissten mehr. Keine emotionalen Manipulatoren. Keine Männer mehr, die erwarten, dass sich die Welt der Frau nur um sie dreht. Ich muss lediglich durchhalten, bis ich einen Mann finde, der …« Sie stieß gegen etwas, das entweder eine Backsteinmauer oder eine breite Brust war, und unterbrach den Gedanken. Ihre Schuhkartons flogen in alle Richtungen, sodass sich glitzernde Sandalen und Füllmaterial auf dem Boden verteilten. Mit einer hastigen Entschuldigung kniete sie sich hin, um alles aufzusammeln, und fand sich auf Augenhöhe mit der abgetragenen Kniepartie einer verblichenen Jeans wieder.

»Kannst du nicht aufpassen?«, bellte eine tiefe, wütende Stimme über ihr.

»Es tut mir wirklich sehr leid, ich …« Ihr Blick wanderte nach oben.

Die tief sitzende Jeans wurde von einem abgenutzten Ledergürtel gehalten. Ein einfaches weißes T-Shirt, das mit etwas getränkt war, das nach Kaffee aussah, und den Stoff gegen eine wie von Michelangelo gemeißelte muskulöse Brust drückte. Ein kantiger Kiefer mit weichen Bartstoppeln. Volle Lippen, die mürrisch verzogen waren. Bernsteinfarbene Augen, die von hellen Wimpern umrahmt wurden und gereizt funkelten.

Als Marlowe erkannte, wen sie da vor sich hatte, suchte sie nach den richtigen Worten für eine angemessene Entschuldigung, doch stattdessen kam ihr etwas anderes über die Lippen.

»Ach du Scheiße.«

2

Marlowe rappelte sich auf, völlig beschämt. Sobald sie stand, reichte Angus Gordon seinen Kaffeebecher einem nervösen Mitglied seines Gefolges, einer schlaksigen Frau Anfang zwanzig mit einem so straffen Dutt, dass sie wirkte, als hätte sie ein Facelifting gehabt. Andererseits hatte in L. A. womöglich auch einfach ein Facelifting dazu geführt, dass sie aussah, als hätte sie sich einem Facelifting unterzogen. Neben ihr zückte ein Hipster in einer aufgekrempelten Jeans und mit Nadelstreifenweste eine Serviette. Angus betupfte damit sein nasses T-Shirt und runzelte die Stirn über seinen nicht ganz kastanienbraunen und nicht ganz roten Brauen.

»Nette Begrüßung«, stieß er hervor. »Lass mich raten – du bist neu hier?«

Marlowe rang sich ein schiefes Lächeln ab. »Wenn man zehn Wochen als neu bezeichnen kann, dann ja.«

»Nah dran. Ich hab dich noch nie gesehen.«

Natürlich, dachte Marlowe. War ja klar.

Sie deutete auf den Garderoben-Trailer. »Soll ich dir ein Handtuch holen?«

»Ich habe Handtücher in meinem Trailer. Was ich anscheinend nicht habe, ist eine Möglichkeit, dorthin zu gelangen, ohne ein Handtuch zu benötigen.« Er unterbrach seine T-Shirt-Trocknungsversuche und musterte Marlowe von oben bis unten. An diesem Blick war nichts sexuell oder lüstern. Er war direkt, beinahe klinisch, als ob er Informationen erfasste – wie sie ihre Haltung verlagerte, ihre beklommene Miene, die Tatsache, dass sie Billigmarken trug –, und er schien das alles zur Untermauerung seiner abfälligen Einschätzung von ihr zu nutzen.

Während er die durchnässte Serviette der nervösen Frau reichte, die seinen Becher trug – denn hatte nicht jeder Leute dabei, die einem den Kram trugen? –, machte Cherry einen Schritt auf ihn zu.

»Brauchst du Zeit zum Duschen?«, fragte sie. »Ich kann Ravi drüben in der Maske Bescheid sagen.«

Er blickte auf sein Handy. »Ich werde pünktlich sein. Aber mache deine Helferin lieber mit dem Konzept einer Tragetasche vertraut, bevor sie die halbe Filmcrew ausschaltet.«

Marlowe öffnete den Mund, eine Erwiderung auf den Lippen, doch Cherry legte ihr eine Hand auf den Arm.

»Schon dabei«, sagte sie. »Das mit dem Kaffee tut mir leid. Wir lassen alles für dich reinigen.«

Er wedelte abwinkend mit der Hand und schlenderte mit der nervösen Frau, dem Hipster, einem Sicherheitsmann und zwei weiteren Leuten, deren Aufgaben Marlowe nur erahnen konnte, über den Set.

»Deine Helferin?«, quiekte sie, sobald Angus außer Hörweite war.

»Egal.« Cherry stapelte Schuhkartons auf Marlowes wartende Arme. »Er ist ein Mistkerl, aber mit ihm zu streiten, wird nichts daran ändern, und du willst nicht riskieren, ihn noch weiter zu verärgern. Sobald ein Schauspieler vor die Kamera getreten ist, ist er gesetzt. Ohne ihn kann die Show nicht weitergehen. Du und ich, jedoch … unsere Jobs sind etwas weniger sicher.«

Marlowe blickte Angus hinterher, während sie die letzten Schuhkartons ausbalancierte und sicherstellte, dass sie über den obersten hinwegsehen konnte und somit ihre verbesserten Schuhtragefähigkeiten demonstrierte, falls er sich womöglich umdrehen würde, um zu sehen, ob seine Anweisungen befolgt wurden. Sie war zwar nicht verrückt nach diesem Job, aber sie war entschlossen, ihn bis zum Ende ihres Vertrags zu behalten. Und wie ihre Mutter es ihr so oft eingebläut hatte: Es hatte keinen Sinn, etwas zu tun, wenn man es nicht gut machte.

»Glaubst du, dass Menschen, die schön geboren werden, sich automatisch zu Arschlöchern entwickeln?«, fragte Marlowe, während sie und Cherry die Schuhe zum Zelt der Statisten brachten. »Besonders, wenn sie schon früh berühmt werden? Wenn man von Menschen umgeben aufwächst, die verzweifelt versuchen, dich zu beeindrucken oder dir zu gefallen, dann hat man vielleicht zwangsläufig eine überzogene Anspruchshaltung.«

»Das ist Quatsch.« Cherry wich geschickt einem Haufen Beleuchtungsausrüstung aus. Marlowe folgte ihr mit deutlich weniger Anmut, aber wenigstens kam ihr Stapel Schuhkartons nicht ins Rutschen. »Janie, Kamala und Idi sind alle heiß und berühmt und supernett. Das gilt für den Großteil der Besetzung. Freundlichkeit ist eine bewusste Entscheidung, keine Standardeinstellung oder ein exklusiver Club für die Gewöhnlichen. Außerdem ist Schönheit subjektiv. Was du schön findest, kann ganz anders sein als das, was mich anzieht.«

Marlowe dachte darüber nach, während sie die Schuhe bei einer Garderobiere ablieferten. Sie verstand Cherrys Argumente, aber warum wurden manche Schauspieler dann zu solchen Narzissten, während andere die Aufmerksamkeit gut wegsteckten?

Sie wollte mit Cherry gerade zum Garderoben-Trailer zurückkehren, als Elaine, die Kostümkoordinatorin, sie zur Seite nahm. Sie war eine kleine, stämmige Frau mit einem Schopf aschblonder Locken und einer Vorliebe für die Farbe Orange. Heute zeigte sich die Farbe nur an ihren Turnschuhen und ihren übergroßen Ohrringen, aber wo sie auftauchte, fiel sie auf.

»Bitte sagt mir, dass ihr euch um die zusätzlichen Kleider für die Kellnerin gekümmert habt«, flehte sie.

»Waren die nicht bei der Lieferung dabei?«, fragte Cherry.

»Ich dachte, ihr holt sie aus der Färberei.«

»Aus der …« Cherry wurde blass und schlug sich die Hand vor die Stirn. »O mein Gott. Die Farbabstimmung. Ich sollte mich eigentlich heute Morgen darum kümmern, oder?«

Elaine zog die Brauen hoch. »Eigentlich?«

»Lange Nacht. Es tut mir so leid. Was kann ich tun?«

Mit viel brüsker Gestik und Mimik erklärte ihnen Elaine, dass die Nebendarstellerin, die bei den heutigen Dreharbeiten die Kellnerin spielen sollte, sich krank gemeldet hatte. Die Castingabteilung hatte eine Vertretung geschickt, die angeblich dieselbe Größe trug, aber die Frau war deutlich größer als ihre Maße auf dem Papier. Was kein Problem wäre, wenn Cherry dafür gesorgt hätte, dass die anderen Kellnerinnenoutfits wie geplant am Set waren, aber durch ihren Schlafentzug hatte sie das vollkommen vergessen. Während sie herumtelefonierte und herauszufinden versuchte, wo sie sich befanden, durchsuchte Marlowe eine Kleiderstange in der Nähe, als ob sie dort wie durch Zauberhand auftauchen würden.

»Was passiert, wenn Cherry die Kleidung nicht rechtzeitig herbeischaffen kann?«, fragte sie Elaine.

»Dann müssen wir jemanden finden, der in die passt, die wir schon haben.«

»Können wir das Outfit nicht gegen ein anderes austauschen?«

»Nicht mehr, weil wir schon damit gedreht haben. Das wäre Gift für den Anschluss der Szenen.« Elaine nahm das einzige vorhandene Kellnerinnenoutfit von der Stange. Es war ein zitronengelbes Hemdblusenkleid mit einem weißen Piquékragen und -ärmelaufschlägen. Die Serie spielte zwar in der Jetztzeit, aber das Design war an die 1950er angelehnt, mit einer Farbpalette wie aus einem Comic und auffälligen Details, die es erforderlich machten, dass viele Stücke extra angefertigt werden mussten und nicht von der Stange gekauft werden konnten. Marlowe erinnerte sich von einem kürzlichen Dreh an das Kleid. Sie erinnerte sich auch an die Schauspielerin, die es getragen hatte. Sie hatte eine schmale Taille, ein kleines Dekolleté, einen langen Oberkörper und Hüften, die beinahe genauso unscheinbar waren wie ihre eigenen.

Sie blickte hinüber auf die andere Seite des Zelts zu dem knappen Dutzend Statisten, die Kaffee tranken und durch ihre Handys scrollten. Sie waren alle fit, sonnengebräunt und im herkömmlichen Sinne attraktiv, von der Mittzwanzigerin mit dem unübersehbaren Dekolleté bis zum Mittsechziger mit der beeindruckenden silberfarbenen Haartolle.

»Hier gibt es doch sicher jemanden, dem das passt«, meinte sie.

»Schön wär’s.« Elaine hängte das Kleid zurück an die Stange. »Es ist keine Sprechrolle, also könnte jede Statistin sie übernehmen, aber nur die paar dort wurden heute herbestellt, und keiner von ihnen hat die richtige Größe. Und unsere Zeit für Änderungen ist begrenzt. Das Casting kann noch jemanden anrufen, aber die Uhr tickt. Wenn sich die Dreharbeiten deswegen verzögern und alle wissen, dass es unsere Schuld ist, wird die Produktion Babs scharf kritisieren, und die wird es an Cherry weitergeben.«

Marlowe hielt inne. »Wie scharf?«

Elaine warf einen mitfühlenden Blick auf Cherry, die zusammengekrümmt auf einem Stuhl saß und eindringlich vor sich hinmurmelte, das Handy ans Ohr gepresst und die Haare um die Faust geschlungen.

»Das würde sie nicht tun«, flüsterte Marlowe Elaine zu.

»Vielleicht doch. Besonders, wenn sie einen Sündenbock braucht.«

»Cherry hat all die Jahre zu hart gearbeitet, um wegen eines albernen Kellnerinnenoutfits gefeuert zu werden. Die Situation ist nicht mal ihre Schuld, jedenfalls nicht komplett. Und es war nur ein einziger Fehler.«

»Ja, aber beim Film und im Fernsehen sind Fehler teuer. Wenn die Kameras warten, warten auch viele Leute, die nach Stunden bezahlt werden.«

Marlowe spähte zum Zelteingang, als ob Babs wie aufs Stichwort gleich hereinplatzen und mit einer Handvoll Kündigungsschreiben wedeln würde. Gott, wie Marlowe das Theater vermisste. Wenn dort etwas nicht perfekt war, wurde es repariert, sobald man dazu kam, nicht mal immer sofort. Die Theaterkompanien gaben nicht Millionen für Topschauspieler und riesige Crews aus, und ein Kragen musste nicht jedes Mal auf den Millimeter genau gleich ausgerichtet sein.

Während sie neben Elaine in sich zusammensank, sprang Cherry vom Stuhl auf.

»Sie sind noch nicht fertig!« Sie warf Marlowe einen gequälten Blick zu.

Marlowe drehte sich zu Elaine um. »Gib mir das Kleid.« Sie nahm es ihr aus den ausgestreckten Händen und hielt es sich vor die Brust. »Wenn es mir passt, kann ich dann einspringen?«

Elaine betrachtete sie skeptisch. »Kannst du denn schauspielern?«

»Ich bin zwar keine Meryl Streep, aber ich hatte an der Uni Theater im Hauptfach und habe einige Schauspielkurse belegt. Ich bin überzeugt, dass ich Kaffee ausschenken und Speisekarten überreichen kann. Oder muss ich in der Gewerkschaft sein?«

»Ausnahmen sind schon möglich, aber ich bin sicher, dass Babs dich schon mit anderen Dingen genug auslastet.«

»Heute ist es hauptsächlich Papierkram.« Marlowe öffnete die Knöpfe am Kleid. »Ich kann das vom Set aus erledigen. Alles, womit ich nicht fertig werde, nehme ich heute Abend mit nach Hause.« Sie zog sich das Kleid über ihr Shirt und ihre Hose und knöpfte es zu, strich die Vorderseite glatt und machte einige Schritte von Elaine weg. »Passt es? Wenigstens annähernd?«

Cherry kam mit dem Handy in der Hand herübermarschiert. »Was machst du da?«

»Wonach sieht es denn aus?« Marlowe drehte sich und ließ den Rock fliegen, als wäre sie Aschenputtel in ihrem Ballkleid, obwohl ihrem aktuellen Outfit der Wow-Faktor fehlte. Besonders, weil ihre Cordhose und die Turnschuhe unter dem Saum hervorragten.

»Das geht nicht«, behauptete Cherry.

Elaine lachte in sich hinein. »Ich glaube doch.«

3

Zwei Stunden nachdem sie das Kleid das erste Mal übergezogen hatte, betrat Marlowe vor lauter Vorfreude ganz aufgeregt den Garderobenwagen. Ihre Augenbrauen waren gezupft worden, sie war geschminkt, ihre Haare waren geschnitten und gestylt. Sie hatte jetzt einen geraden Pony und einen perfekten, glänzenden gelockten Pferdeschwanz, der ihr bis zum Nacken reichte. Sie trug weiße Sneakers und umgeschlagene Söckchen, außerdem einen leichten Petticoat, damit der Rockteil des Kleides ein wenig ausgestellt wurde. Cherry saß an einem Schreibtisch auf der anderen Seite des Trailers, den Blick auf den Laptop geheftet. Babs hockte an einem Schminktisch und starrte finster einen Seetangsalat an. Keine von beiden bemerkte sie.

»Und?«, fragte Marlowe. »Was denkt ihr?«

Babs blickte auf und warf Marlowe ein leichtes, aber erkennbar spöttisches Grinsen zu.

»Ich denke, dass du mir zwei Arbeitsstunden schuldest«, sagte sie.

Marlowe hielt den Rock hoch und versuchte, sich davon nicht entmutigen zu lassen. »Ich meinte zu dem Kostüm.«

Babs verzog keine Miene. »Die Quittungen bearbeiten sich nicht von allein, du kannst keine Stoffmuster sortieren, solange du am Set bist, und ich musste mir mein Mittagessen liefern lassen. Sie waren auch noch spät dran. Die erwarten trotzdem ein hohes Trinkgeld und haben die Stäbchen vergessen.«

»Tut mir leid wegen des Mittagessens.« Marlowe sackte in sich zusammen, eine Angewohnheit, die sie vergeblich abzulegen versuchte. »Ich kümmere mich noch um die Quittungen, versprochen. Die Stoffmuster nehme ich heute Abend mit nach Hause und bringe sie morgen sortiert und beschriftet zurück. Und bevor ich an den Set gehe, hole ich dir Stäbchen vom Catering.« Sie ging hinüber zu Cherrys Schreibtisch und nahm sich eine dicke Fächermappe, die den Papierkram enthielt, den sie ausfüllen musste.

Cherry blickte endlich von ihrem Bildschirm auf. Sofort machte sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht breit.

»Wow! Schau dich nur an, du freche, sexy Kellnerin!« Sie sprang auf und musterte Marlowe eingehend. »Clever, dir auf Kosten der Firma einen tollen Haarschnitt zu gönnen.«

Marlowe drehte den Kopf von einer Seite zur anderen und ließ ihren Pferdeschwanz schwingen.

»Als ich mich für die Rolle gemeldet habe, war mir nicht klar, dass mir dafür die Haare geschnitten werden müssen, aber Patrice hat gesagt, meine übliche Frisur würde nur funktionieren, wenn ich Rapunzel spiele oder ein präraffaelitisches Ertrinkensopfer.«

Babs stieß ein spöttisches Schnauben aus, und Cherry verdrehte kurz die Augen.

»Deine Brauen sehen fantastisch aus. Und du solltest dir aufschreiben, wie der Lippenstift heißt.«

»Du liebe Zeit«, nörgelte Babs von der anderen Seite des Trailers. »Niemand muss sein Ego gestreichelt bekommen, nur weil er die richtige Größe hat, um eine Kaffeekanne zu tragen.«

»Tut mir leid«, sagte Marlowe, diesmal etwas weniger nachgiebig. »Es schien die einfachste Lösung zu sein. Es ist nur für einen Tag. Morgen ist alles wieder beim Alten.«

»Egal.« Babs winkte ab und begab sich mit einem Klack-klack-klack zur Tür. »Ich hole mir meine Stäbchen selbst. Du bist offensichtlich zu sehr damit beschäftigt, dich zu bewundern.«

Marlowe trat vor, bereit, Babs mit einer weiteren Entschuldigung aufzuhalten, doch Cherry legte ihr eine Hand auf den Arm und schüttelte den Kopf, während sie mit den Lippen die Worte Lass sie gehen formte. Marlowe zuckte zusammen, weil es ihr unangenehm war, die Bitte ihrer Chefin zu ignorieren, aber sie vertraute Cherrys Einschätzung. Außerdem vermutete sie, dass Babs einen anderen Weg finden würde, ihr zu beweisen, dass sie ihre Arbeit nicht machte, selbst wenn Marlowe ihr die Stäbchen holte. Einige Stunden zuvor hatten alle notwendigen Abteilungen Marlowes Casting zügig zugestimmt, ihr Verzichtserklärungen zur Unterschrift vorgelegt und sie zum Frisieren und Schminken geschickt, aber Babs war von Anfang an gereizt gewesen.

»Ignorier sie«, empfahl ihr Cherry, als Babs längst weg war. »Sie ist neidisch, weil du Aufmerksamkeit bekommst, statt den ganzen Tag hinter einem Laptop oder im Auto zu sitzen. Sie kommt schon darüber hinweg.«

»Wollen wir es hoffen.« Marlowe nickte zu dem Laptop hin, von dem Cherry zuvor so gefesselt gewesen war. »Ist alles in Ordnung? Als ich reinkam, sahst du besorgt aus. Eine weitere Katastrophe?«

»Nur das übliche Drama. Nichts, was du dir ansehen musst.« Cherry klappte den Laptop zu und setzte sich praktisch darauf, so offenkundig versuchte sie ihn vor Marlowes Blick zu verstecken. Sie hätte genauso gut ein riesiges Schild mit der Aufschrift Egal, was du tust, schau nicht hin darauf anbringen können.

Marlowe musste lachen. »Dir ist schon klar, dass ich es mir jetzt ansehen muss?«

»Okay, gut. Aber versprich mir, es nicht zu ernst zu nehmen.« Cherry wartete auf Marlowes Nicken, bevor sie den Laptop aufklappte. Auf dem Bildschirm war Angus’ Instagram-Account zu sehen, mit einem Foto, das ihn von den Hüften aufwärts in dem durchnässten T-Shirt zeigte. Der Saum war hochgerutscht, als ob er sich mit seiner Hand rein zufällig am Stoff verfangen hätte, wodurch einige Zentimeter seiner durchtrainierten Bauchmuskeln enthüllt wurden. Seine Haltung war lässig, seine Miene nachdenklich, und das ganze Bild war sorgfältig mit einem Filter belegt, sodass es wie Werbung für ein teures Rasierwasser aussah.

»Vermutlich sollte ich kein schlechtes Gewissen haben, weil er sich meinetwegen vollgeschüttet hat, wenn er achttausend Likes dafür bekommen hat.« Marlowe zuckte mit den Schultern, weil ihr nicht klar war, warum Cherry so geheimnisvoll getan hatte. Sie überflog einige Kommentare, von denen die meisten nur aus Emojis bestanden, einige davon recht anzüglich. Dann blieb ihr Blick an der Bildunterschrift hängen: Garderobenpanne. Oberflächlich betrachtet, wirkte es harmlos, aber Cherry hatte den Post aus gutem Grund versteckt.

»Clever«, sagte Marlowe emotionslos.

»Eher eine plausibel leugbare Gemeinheit«, widersprach Cherry.

Marlowe ließ sich gegen sie sinken, weil sie sehr genau wusste, was Cherry meinte. »Garderobe« bezog sich auf ihre Abteilung, und die »Panne« war offensichtlich Marlowes Versehen gewesen. Spektakulär. Innerhalb weniger Minuten war sie von der Helferin zur Garderobenpannenfrau geworden. Wenn sie weiterhin so gute Arbeit leistete, würde sie bis zum Abend vielleicht zum vage unzuverlässigen Einfaltspinsel befördert werden oder eventuell auch zu diese ungeschickte, aber leicht zu vergessende Person mit den Haaren.

Sie las noch einmal die Bildunterschrift und versuchte sich davon zu überzeugen, dass das nichts bedeutete. Doch in Verbindung mit der Erinnerung an Angus’ spitze Bemerkungen fühlte es sich auch beim zweiten Lesen noch genauso herablassend an.

»Es war doch nur ein T-Shirt«, entgegnete sie. »Und nichts sagt deutlicher Ich nehme deine Entschuldigung großzügig an als jemanden sofort auf Social Media zu beschämen.«

Cherry griff nach dem Laptop und drehte den Bildschirm außerhalb von Marlowes Sichtfeld.

»Es geht dabei nicht wirklich um dich. Er nutzt die Gelegenheit für das Große Angus-Gordon-Body-Fest.« Sie warf einen Blick auf den Bildschirm und schnaubte. »Muskeln werden so überbewertet.«

»Bisher achttausend Menschen sehen das anders.« Um das Thema nicht weiter zu verfolgen, suchte sich Marlowe alles zusammen, was sie zum Arbeiten brauchte: die Fächermappe, den Laptop der Abteilung, einen dicken Stapel Schmierpapier, zwei Rollen Klebeband, eine Handvoll leere Aktenmappen und die riesige Einkaufstasche, die mit Babs’ unsortierten Quittungen gefüllt war. Trotzdem ließ sie der Gedanke nicht los. In Wahrheit war sie nicht davon überzeugt, dass ein durchtrainierter Männerkörper überbewertet war. Sie verstand den Strom an Herzchenaugen-Emojis unter Angus’ Foto, aber sein Post erinnerte sie zu sehr an ihre Beziehung mit Kelvin. Kleine Fehler hatten oft zu großen Beschämungen geführt. Wie machten Männer das nur? Und warum?

Cherry hielt ihr die Trailertür auf und beäugte Marlowe misstrauisch, als diese an ihr vorbeiging.

»Du hast mir versprochen, es nicht ernst zu nehmen«, sagte sie.

»Ich vergesse es, so schnell ich kann.« Marlowe verlagerte das Gewicht der Tasche und verstärkte ihren Griff um die Ordner, um einen zweiten Unfall an diesem Tag zu vermeiden. »Und was ist mit dir? Hältst du durch?«

»Ich werde den Tag überstehen.« Cherry richtete Marlowes Kragen, der sich unter dem Riemen der Tasche verdreht hatte. »Du bist meine Retterin. Hast du am Freitag schon was vor?«

»Lass mich mal in meinem prallvollen Freizeitkalender nachschauen.« Sie blickte vor sich hin. »Nanu, wer hätte das gedacht? Ich habe nichts vor.«

»Darf ich dich nach der Arbeit auf einen Drink einladen?«

»Gerne. Klingt super.« Beim Gedanken an ihren ersten Abend in Gesellschaft seit ihrem Umzug nach L. A. verbesserte sich Marlowes Laune schlagartig. Nachdem sie in New York mit drei Mitbewohnerinnen zusammengelebt und jede freie Minute mit ihrem Freund verbracht hatte, hatten ihr die endlosen Abende allein zu schaffen gemacht. Schon allein der schiere Mangel an Aktivitäten verlockte sie dazu, Kelvin eine Nachricht zu schreiben. Woraufhin sie jede Wunde wieder aufriss, um sich davon zu überzeugen, dass ihre Beziehung wirklich so schlecht gewesen war, dass sie sie beenden musste. An einigen Tagen – sogar in einigen Momenten – waren die Beweise dafür schwerer zu finden als an anderen.

Mit voll beladenen Armen machte sie sich auf den Weg zum Statistenzelt. Fast eine Stunde lang saß sie dort an einem Klapptisch und prüfte Rechnungen, doch schon bald legte sie ihre Arbeit beiseite, um zum Diner zu gehen. Dort gab ihr ein Regieassistent eine Kanne Pseudokaffee (auch als Cola light ohne Kohlensäure bekannt) und erklärte ihr die Positionen. Sie ging die Strecke ab und simulierte ihre Aufgabe. Als der Regieassistent sich sicher war, dass sie die Kamerapositionen und Haltepunkte verstanden hatte, bat er sie, sich bereitzuhalten, bis sie drehten.

Marlowe nutzte die Zeit auf dem Set aus, indem sie sich an die Theke stellte und die Crew beobachtete. Obwohl es nicht ihr erster Aufenthalt am Set war, war sie immer noch von der Größe des Ganzen überwältigt – die Kameras, das Licht, die Tontechnik, die Bildschirme, die Kabelschlangen und Kisten voller Material und all die Menschen. Es war merkwürdig, nach all den Jahren des Fernsehkonsums zu sehen, dass sich außerhalb des Sichtfeldes jede Menge Crewmitglieder befanden. In diesem Fall waren es über dreißig, obwohl sie auch schon einmal mehr als fünfzig gezählt hatte.

»Halt das Ding bloß gut fest«, sagte eine tiefe Stimme hinter ihr, die das möglicherweise neckend meinte, aber höchstwahrscheinlich nicht. »Schließlich willst du niemanden bekleckern.«

Marlowe drehte sich um und entdeckte Angus, der einen Meter entfernt in einem abgegriffenen Taschenbuch blätterte. Da sie nicht die Geduld aufbrachte, sich bei ihm anzubiedern, hielt sie die Kanne hoch.

»Ich habe nachgefragt, ob ich die in eine Tasche stecken kann, aber Lex war dagegen.« Sie nickte in Richtung des Regisseurs, eines stämmigen, bärtigen Mannes, der finster auf drei nahestehende Monitore starrte.

Angus musterte sie mit undurchdringlicher Miene. Sie ließ ihren Blick zu seinem Outfit schweifen. Jetzt, wo er seine Stichelei angebracht hatte und sie ihre, hatten sie sich nichts mehr zu sagen. Über seiner üblichen Jeans und dem T-Shirt trug er die Lederjacke, die Cherry erwähnt hatte. Sie war maßgeschneidert, aus altem braunem Leder, eine Kreuzung einer klassischen Motorradjacke und einer Fliegerjacke aus der Vorkriegszeit. An den Schultern saß sie tatsächlich eng. Und Angus stand immer noch vor ihr.

»Was?«, fragte sie, als sie seine Musterung nicht länger ertrug.

»Die Haare.« Er tat so, als würde er sich Strähnen aus der Stirn streichen. »Du hast ein Gesicht.«

»Wie sich herausgestellt hat, ist das Teil der Standardausstattung bei dieser Sache mit dem Geborenwerden. Da hab ich das große Los gezogen. Ich habe auch einen kompletten Satz Gliedmaßen und Organe. Und sogar einen Namen.«

»Ja, Marlowe. Meine Assistentin hat ihn rausgefunden. Aber ich habe nicht daran gedacht, nach Gliedmaßen und Organen zu fragen.« Immer noch ohne den Hauch eines Lächelns hakte er einen Daumen in seinen Ledergürtel, ganz im Stil von James Dean, mit lockerer, fast arroganter Haltung, das Kinn ein wenig höher gereckt als nötig und von einem sorgfältig gepflegten Dreitagebart bedeckt.

»Warum wollte deine Assistentin meinen Namen wissen?«, fragte Marlowe.

»Weil ich dachte, dass ich mich bei dir entschuldigen sollte, nachdem ich heute Morgen so unfreundlich zu dir war. All diese Menschen. Die können so … Da war … Sie wollen, dass ich … Egal. Nicht dein Problem. Wie auch immer, ich war sauer auf alle. Da habe ich vermutlich ein paar Dinge gesagt, die ich nicht hätte sagen sollen.«

Marlowe ließ sich davon erweichen, obwohl die Entschuldigung sie nach seinem Instagram-Post verwirrte. Wenn es ihm wirklich leidtat, hätte er den Vorfall dann nicht für sich behalten?

»Aber was machst du überhaupt hier?«, fragte er. »Ich dachte, du arbeitest für die Kostümabteilung.«

»Stimmt. Es gab eine Verwechslung. Ich bin die Lösung.« Sie breitete die Arme in einer Art Voilà-Bewegung aus, sodass er das gelbe Hemdblusenkleid und die kleine Schürze sehen konnte.

Er hielt ihren Blick fest, während er träge eine Braue hochzog. »Das muss ja eine ziemlich große Verwechslung gewesen sein, wenn es rechtfertigt, jemanden wie dich vor die Kamera zu holen.«

Bei diesen Worten verspannte sie sich sofort wieder und verstärkte ihren Griff um die Kaffeekanne.

»Könnte noch viel schlimmer sein«, antwortete sie mit übertriebener Freundlichkeit. »Zumindest brauchte niemand ein Handtuch. Denn das ist offenbar das Zeichen einer echten Tragödie.«

Er schnaubte. Sie schenkte ihm ein kurzes, aber unaufrichtiges Lächeln. Sie nahmen beide eine konfrontative Position ein, während um sie herum reges Treiben herrschte. Beleuchter richteten Reflektorschirme aus, während Requisiteure Eiswürfel aus Plastik in Wasserkrüge fallen ließen. Eine Visagistin tupfte einer Schauspielerin Rouge auf. Ein Regieassistent arrangierte einige Statisten in einer Nische. Der Dreh begann ganz offensichtlich bald. Und Angus ging immer noch nicht weg.

»Du bist diejenige, die mich beschimpft hat«, sagte er.

»Ich habe lediglich in deiner Nähe geschimpft. Und dafür konnte ich nichts.«

»Weil ›Tut mir leid, dass ich in dich hineingelaufen bin?‹ zu viele Silben hatte?«

»Weil du ausgesehen hast, als ob du mir den Hals umdrehen wolltest.«

»Ich habe es dir doch gesagt. Ich hatte … keinen guten Tag.«

»Hattest du keinen guten Tag oder hast du dich benommen wie ein Mistkerl?«

»Ich hatte ein Recht, sauer zu sein.«

»Sauer? Ja. Herablassend? Fragwürdig.«

»Du hast mir die Brust verbrüht.«

»Verbrüht?«

»Der Kaffee war heiß, okay?«

»Sonnenbrandheiß oder badewasserheiß?«

»Es war …« Seine Lippen zuckten, und er kniff die Augen zusammen. »Lästig.«

Marlowe zwang sich dazu, einmal langsam durchzuatmen. Die Leute beobachteten sie. Das war nicht gut. Besonders nach dem, was Cherry über Jobsicherheit in der Branche gesagt hatte.

»Im Allgemeinen«, begann sie und senkte diesmal die Stimme, »gilt eine Entschuldigung als akzeptable Entschädigung für etwas Lästiges.«

»Im Allgemeinen.« Endlich, endlich zog er die Lippen nach oben, zu etwas, das man beinahe ein Lächeln nennen konnte. Es hatte so lange gedauert, bis der Anflug von Belustigung in seine Augen trat, dass es ihren Ärger nur verstärkte. Er schien es nicht zu bemerken. Er verstärkte lediglich die arrogante Haltung, verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf über sie. »Also, für eine Assistentin bist du ganz schon vorlaut.«

»Vielleicht, aber ich glaube, für eine Helferin ist der Tonfall genau richtig.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging, selbst wenn es bedeutete, dass ein Regieassistent sie holen und wieder auf ihre Position bringen musste.

Cherry hatte recht. Mit einem Schauspieler zu streiten, war eine alberne Idee. Angus’ spöttische Bemerkungen waren nicht einmal so schlimm, und mit Verachtung kannte Marlowe sich aus. Ihre Mutter schickte ihr dauernd motivierende Artikel und hackte auf ihr herum, weil sie ihre Karriere nicht energischer vorantrieb. Ihr Vater war ein Krebsforscher, der sie beschämen konnte wie kein anderer, indem er sie daran erinnerte, dass Schuhe kaufen ein Hobby war, kein Beruf. Außerdem hatte sie von Babs schon weitaus Schlimmeres gehört. Was machte es schon, wenn Angus sie für wertlos hielt? Aber Marlowe hatte die vergangenen drei Jahre mit einem Mann verbracht, der sie ständig dazu veranlasste, ihren Wert infrage zu stellen, und das hatte sie nun endgültig satt. Sie hatte auch satt, dass so viele Männer davon ausgingen, ihnen stünden automatisch Aufmerksamkeit, Jobs, Geld, Lob, Liebe, Respekt und Bewunderung zu, während die meisten Frauen, die Marlowe kannte, kaum das Gefühl hatten, einen guten Burger zu verdienen.

Ein Regieassistent holte kurz darauf alle an den Set. Angus und drei seiner Kolleginnen saßen in einer Ecknische, während ungefähr ein Dutzend Statisten im Diner verteilt waren und so taten, als ob sie aßen. In dieser Szene erzählte Angus’ Figur, Jake Hatchet, von seinen zahlreichen gescheiterten Beziehungen, während sich seine Freundinnen darüber lustig machten, dass er zu sehr damit beschäftigt war, einer Idealvorstellung hinterherzujagen, um etwas Reales zu akzeptieren. Er hielt an seinen Prinzipien fest – ein Markenzeichen seiner Figur – und erklärte, er würde schon wissen, was er wollte, sobald er es sah. Marlowe trat ins Bild und schenkte Kaffee ein, wobei sie eine perfekte Pause für einige mit unterschwelligen Botschaften geladene Blicke zwischen Jake und den Frauen ermöglichte. Die setzten daraufhin ihr Gespräch fort, während Marlowe ging.

Sie brauchten zwölf Takes für die Aufnahme. Lex versuchte die perfekte Spannung aufzubauen, welche Frau Jake im Laufe der Staffel wohl umwerben würde, und Angus’ Blick verweilte erst zu lange auf einer der Schauspielerinnen, dann auf einer anderen. Zwölf Takes bedeutete, dass Marlowe ihm zwölfmal Kaffee einschenken musste, was wiederum bedeutete, Angus’ Blick zwölfmal auf sich zu spüren, wie er ihre Hände beobachtete, als ob er darauf wartete, dass sie unvermeidlich etwas verschüttete, oder ihr Gesicht, als ob er sich fragte, woher sie ihre »vorlaute« Art hatte. Sie zwang sich, ihn als Pappfigur zu betrachten, den Groll vom Vormittag zu vergessen und sich auf die Kaffeekanne und die vier Tassen auf dem Tisch zu konzentrieren, aber manchmal konnte sie nicht anders. Ihr Blick wanderte zu ihm. Als sie ihn dabei erwischte, wie er sie musterte und dabei ihren Wert abzuschätzen schien, stellte sie sich vor, ihm etwas anderes als zimmerwarme Cola in den Schoß zu schütten. Etwas, das vielleicht kein perfektes Foto für seine zig Follower ergeben würde. Etwas, das brennen würde, nur ein bisschen.

Nach Abschluss der Szene blieb Marlowe am Set, damit sie für zwei weitere schnelle Aufnahmen zur Verfügung stand: das Austeilen der Speisekarten, das drei Takes erforderte, und ihre Ankunft mit einem Bestellblock, wofür sie sieben brauchten. Die Anzahl der Takes für selbst so einfache Momente machte sie nachdenklich. Sie hatte es leicht – sie musste lediglich mit ihren Requisiten von A nach B laufen. Die Darsteller mussten jedes Mal die Spannung und den Humor neu aufbauen, was Marlowes Respekt vor ihnen vergrößerte. Sie waren nicht nur hübsche Gesichter und wandelnde Modepuppen, sondern geschickte Profis. Und in diese Einschätzung bezog sie sogar Angus mit ein. Auch wenn er Spitzenkandidat für das Amt des Präsidenten der Gesellschaft für Arrogante Egomanen war, er war ein guter Schauspieler, und sie konnte das anerkennen.

Zwischen den Einstellungen arbeitete sich Marlowe durch Babs’ Papierkram, oder genauer gesagt, sie versuchte es, während sie mit dem wachsenden Bewusstsein kämpfte, dass Angus sie dauernd anstarrte. Die Aufmerksamkeit zerrte an ihren Nerven. Sie verstand sie nicht. Er warf ihr nicht unauffällig flirtende Blicke zu und versuchte auch nicht, ihren Blick aufzufangen oder ihr sonst irgendwelche Hinweise darauf zu geben, dass er sich für sie interessierte. Sie nahm an, dass er sie einzuschätzen versuchte und die gewonnenen Informationen dazu nutzte, um seine Definition von »jemandem wie dich« zu konkretisieren. Gott, das war eine furchtbare Beschreibung, oberflächlich so harmlos und im richtigen Kontext sogar schmeichelhaft, aber so bissig, wenn man der möglichen Bedeutung auch nur ein bisschen nachging. Meinte er damit jemanden, der hässlich war? Unbeholfen? Talentlos? Nicht wert, als Individuum eingestuft zu werden? Oder einfach grundsätzlich … weniger wert?

Nachdem die notwendigen Einstellungen endlich zur Zufriedenheit des Regisseurs im Kasten waren, wurde Marlowe entlassen, während die Hauptdarsteller für die Nahaufnahmen blieben. Babs hielt sie auf dem Weg zum Statistenzelt an. Sie fand ein paar lobende Worte für Marlowes Professionalität am Set – eine nette Geste, da sie selten jemandem außer den Darstellern ein Kompliment machte. Dann rief sie Marlowe in Erinnerung, dass sie versprochen hatte, die Zeit für »ihre kleine schauspielerische Einlage« wieder aufzuholen, indem sie Arbeit mit nach Hause nahm. Mit einem angestrengten Lächeln versprach Marlowe ihr, bis zum Morgen alles fertig zu haben.

Sie zog ihre eigenen Sachen wieder an und ging zum Garderoben-Trailer, wo sie Cherry vorfand.

»Für mich sah es so aus, als ob es ziemlich gut lief«, stellte Cherry fest.

»Ich denke schon.« Marlowe ließ sich auf den Stuhl fallen und legte die Fächermappe auf die Arbeitsplatte neben sich. »Alle waren sehr nett. Na ja, fast alle.«

Cherry lachte leise. »Mir ist aufgefallen, dass da etwas geschwelt hat.«

»Ich kann nicht anders, er ist einfach so …« Marlowe ballte die Hände zu Fäusten. »Verstehst du?«

»Ja, ich verstehe.« Cherry trat hinter Marlowe und zog sie in eine lockere Umarmung. »Mach dir keine Sorgen. Ich bezweifle, dass du je wieder mit ihm reden musst. Ich habe mich auch um die anderen Outfits gekümmert. Sie sind morgen früh abholbereit.« Cherry richtete sich auf und fasste sich ans Revers, wobei sie eine hochmütige Miene aufsetzte. »Miss Banks, wir wissen Ihren Einsatz für schnellen Kaffeeservice zu schätzen, aber betrachten Sie dies bitte als Ihre Kündigung als Kellnerin im Heart’s Diner.«

»Gott sei Dank.«

4

Während der folgenden drei Monate hielt Marlowe sich bedeckt und machte einfach ihre Arbeit. Wie Cherry es vorhergesagt hatte, konnte sie Angus problemlos aus dem Weg gehen. Marlowe war kaum am Set. Babs hatte immer eine lange Liste mit Aufgaben für sie: das Abholen und Zurückbringen von geliehenen Outfits bei Modehäusern, als Verbindungsperson zwischen der Crew am Set und dem Personal in der Studiozentrale, die Suche nach schwer beschaffbaren Schnitten und Accessoires und eine zunehmende Anzahl an persönlichen Aufgaben, bei denen Marlowe bezweifelte, dass sie in ihrer Stellenbeschreibung standen.

Bisher sah Marlowe keinen Grund, sich zu beschweren. Es gefiel ihr, jeden Tag einen Großteil ihrer Zeit bei voll aufgedrehter Stereoanlage in ihrem Auto zu verbringen, während die allgegenwärtige Sonne von L. A. durch die Windschutzscheibe schien. Sie mochte sogar ihr Auto, eine dreißig Jahre alte Schräghecklimousine mit einem andersfarbigen Kotflügel und abblätternder Farbe auf der Motorhaube. Der Vorbesitzer hatte sich große Mühe gegeben, das Soundsystem aufzurüsten, aber keinen Gedanken an das Äußere verschwendet. Das Auto fuhr und war erschwinglich. Es war perfekt.

In der letzten Augustwoche, sobald ihre Folge gestreamt werden konnte, rief sie ihre Freundinnen in New York per FaceTime an. Chloe, Nat und Heather versammelten sich in ihrem hippen, umgebauten Lagerhaus in Williamsburg, während Marlowe sich in ihrem schäbigen Kellerapartment in Westwood ausstreckte. Die Einrichtung war ein deprimierendes Gemisch aus Beigetönen. Ein rostiger Wasserfleck an ihrer Wohnzimmerdecke und ein Chenillesofa in der Farbe schimmliger Erbsen bildeten die einzige Ausnahme von diesem Farbschema. Das jüngste Möbelstück war vermutlich um 1975 herum angeschafft worden, und alles roch vage nach Füßen. Aber die Wohnung war billig und möbliert gewesen. Sie lag außerdem gegenüber vom Los Angeles National Cemetery, sodass die meisten Nachbarn keinen Lärm machten. Da Marlowe vierzehn Stunden pro Tag arbeitete und nie Gäste hatte, weil sie außer ihren Kollegen noch niemanden kannte, reichte die Wohnung für ihre täglichen Bedürfnisse aus. Falls sie beschloss, über das Ende ihres einjährigen Mietvertrags hinaus in L. A. zu bleiben, würde sie sich etwas mit mehr Licht suchen. Sie würde außerdem einige neue Möbel kaufen. Vielleicht würde sie sogar Kunstwerke aufhängen, die nicht gruselige Eulen zeigten.

In freudiger Erwartung und mit viel Popcorn machten Marlowe und ihre Freundinnen es sich gemütlich und drückten gleichzeitig auf »Play«, um sich die Folge gemeinsam anzuschauen. Die Handlung auf dem Bildschirm folgte drei miteinander verwobenen Handlungssträngen. Ein Paar, das seit Langem zusammen war, hatte mit den Nachwirkungen einer kurzen Affäre zu kämpfen. Eine andere Figur musste mit der Erpressung durch einen Ex-Partner klarkommen. Angus’ Charakter, Jake, wollte sich an einer intriganten Frau rächen, die seinem Vater unrecht getan hatte. Es war das übliche Drama, das von ihren Freundinnen mit reichlich Kommentaren begleitet wurde.

Als endlich die Szene im Diner lief, wurden alle still. Marlowe hielt die Popcornschüssel im Schoß. Sie trug eine Schlafanzughose mit aufgedruckten Pinguinen, ein Geschenk von Kelvin, das sie nicht hatte aufgeben wollen. Auf dem Bildschirm sagte Angus alias Jake seinen Satz, dass er schon wüsste, was er wolle, sobald er es sah. Marlowe kam ins Bild und schenkte Kaffee ein. Ihre Freundinnen jubelten durchs Telefon, doch der Jubel verstummte, als eine Nahaufnahme von Angus folgte, wie er in ihre Richtung schaute und mit seinen intensiven bernsteinfarbenen Augen beinahe ein Loch in den Bildschirm brannte. Es folgte eine weitere Aufnahme, in der Marlowe seinen Blick erwiderte, lang und direkt, die Kaffeekanne wartend erhoben. Keiner der Blicke konnte als vernichtend bezeichnet werden, aber das Gefühl einer gegenseitigen Herausforderung war deutlich spürbar.

»Was war das?«, fragte Chloe entsetzt.

»Hattest du gerade …?«, begann Nat.

»Definitiv«, warf Heather ein.

»Hatte ich was?«, fragte Marlowe und bereute es sofort.

»Du hattest Augensex«, antworteten ihre Freundinnen wie aus einem Mund.

»Was?! Nein!« Marlowe drückte die Pausentaste und nahm ihr Handy vom Tisch. »Das war eher ein Du bist ein Mistkerl und ich hoffe, sie schreiben dich ins Koma, damit du die Staffel im unschmeichelhaftesten Krankenhauskittel der Welt und mit Schläuchen in der Nase beenden musst.«

»Das ist nicht das, was ich gesehen habe«, beharrte Chloe.

»Ich auch nicht«, stimmte Nat ihr zu.

»Das war heiß«, stellte Heather fest.