Mystères - Peter Baumgartner - E-Book

Mystères E-Book

Peter Baumgartner

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Beschreibung

Irland und Schottland stecken voller Geheimnisse. Philippe Baumann erhält vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) den Auftrag hier Licht ins Dunkel zu bringen. Im Vordergrund steht das Rätsel um Covid-19. Der Auftrag führt Philippe nach Ballymore / County Kerry ganz im Westen Irlands. Dort stösst er auf Paul Simson, eine Koryphäe im Bereich der Computertechnologie, welcher in der Lage ist, die Datenherrschaft über die ganze Welt an sich zu ziehen. Der hierfür notwendige Codier Schlüssel befindet sich auf einem handelsüblichen SanDisk. Es handelt sich dabei um das Original; eine Kopie davon gibt es nicht. Paul möchte mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben und er händigt Philippe den Stick aus. Und ... In der Schweiz stösst Philippe auf eine Pressemitteilung, wo die Schweiz als «la République bananière» bezeichnet wird. Dem Bundesanwalt wird von der zuständigen Aufsichtsbehörde vorgeworfen, mehrfach gelogen und illoyal gehandelt zu haben. Aber nicht nur dies; auch eine andere, «alte» Geschichte ruft Philippe auf den Plan. Hier soll er abermals Licht ins Dunkel bringen. Louis Canal, der «Schurke» von Toulon, liefert ihm die hierfür entscheidenden Hinweise. Und genau diese sind es, die Philippe ins Verderben stürzen. Ein unbedachtes Vorgehen von ihm führt nämlich dazu, dass er während eines Waldspazierganges mit seinem Hund in der Nähe seines Wohnortes hinterrücks niedergemacht wird und blutüberströmt liegenbleibt. Über Wochen und Monate hinweg liegt er im Koma im Spital und erholt sich nur langsam. Die ganze Geschichte holt Philippe im Traum immer wieder ein, und dies sind wohl die Nachwehen vom Erlebten. - Fachleute nennen dies: Posttraumatische Belastungsstörung.

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Seitenzahl: 265

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Texte: © 2025 Copyright by Peter Baumgartner

Umschlag:© 2025 Copyright by Peter Baumgartner

Verantwortlich

für den Inhalt: Peter Baumgartner

[email protected]

Herstellung: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 BerlinKontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]

Eigentlich wusste Paul, dass er Mist gebaut hatte, aber er wollte es sich nicht richtig eingestehen. Erst mit dem Tod seines Freundes fiel ihm das Ganze wie Schuppen von den Augen, und auf einmal sah er viel klarer.

Paul sass auf seiner Veranda und schaute aufs Meer. Das Wetter war garstig und zeigte sich von der unfreundlichen Seite. Regen wechselte sich mit Sonnenschein ab und dies bei kühlen Temperaturen. Eigentlich war es bereits Frühling und trotzdem deutete nichts darauf hin, dass das Meer sich beruhigen würde.

Da war etwas aus dem Ruder gelaufen und zwar ganz gewaltig. Paul selber sah sich als Wohltäter und nicht als Krimineller. Aber jetzt, nach den Vorkommnissen im letzten Jahr, war sein Ego angeschlagen, und er war sich nicht mehr so sicher, ob er den richtigen Weg eingeschlagen hatte.

Er wollte nur Gerechtigkeit und er sah dies im Umverteilen von Vermögen. Warum nicht ab und zu einen Geldtransporter ausrauben und die Beute anschliessend gemeinnützigen Zwecken zukommen zu lassen? – Robin Hood hätte ihn wahrscheinlich gelobt! Aber jetzt, was war geblieben? Paul wusste es nicht.

Die technischen Fortschritte waren Paul ein Dorn im Auge, und er sah darin Gefahren für die Menschheit, die nur auf radikale Art und Weise gelöst werden konnten. Die Leute gingen – seiner Meinung nach – viel zu sorglos mit Daten um, die ihr Leben bestimmten.

Dem Ganzen musste Abhilfe geschafft werden, und er hatte sich zu diesem Zweck mit Brian Jones zusammengetan. – Selbstverständlich nicht mit dem legendären Leadgitarristen der ‘Rolling Stones’ als eines der Gründungsmitglieder von «The Rolling Stones», welcher 1969 verstarb, sondern mit einem seiner Namensvetter; gemeinsam wollten sie Grosses bewirken!

1

Philippe und Deborah waren einmal mehr zu Besuch bei ihren Freunden, Bernard und Isabelle, in Sainte-Maxime. Philippe hatte sich nach einem Schlag auf seinen Hinterkopf recht gut erholt, und nach längerer Rekonvaleszenzzeit schaute er doch wieder recht zuversichtlich in die Zukunft. Seine Frau Deborah und das befreundete Ehepaar mit Namen Picard halfen ihm dabei. Ebenso stand ihm sein Hund Enrico zur Seite und dieser seinerseits wurde tatkräftig von seinem Freund Dissan, dem treuen Begleiter der Picards, unterstützt. – Gemeinsam gaben sie Philippe Kraft, das Erlebte nicht nur physisch, sondern auch psychisch zu verarbeiten.

Sowohl Philippe als auch Bernard waren altgediente Polizisten im Ruhestand, oder sollte man besser sagen: Im Unruhestand? – Beide fühlten sich auf jeden Fall noch jung genug, um Neues auf die Beine zu stellen und einer allfälligen eintretenden tristesse ein Schnippchen zu schlagen. Sie wollten in ihrem Leben noch etwas bewegen und das sollte nicht nur Hand und Fuss haben, sondern das Umfeld gleichermassen in ihren Bann ziehen. Sie wollten mit einem ‘Music Car’ von A nach B ziehen und der Zuhörerschaft mit flotten Klängen Freude bereiten. Sie hatten sich zu diesem Zweck einen ‘Truck’ angeschafft, der schöner nicht sein könnte. Es handelte sich um einen Type H, jenen legendären Kleintransporter aus der Nachkriegszeit.

Die Farbe des Gefährts war Orange, und Bernard hatte den Wagen in der Zwischenzeit soweit aufgemöbelt, dass er die Zulassungsbewilligung vom Strassenverkehrsamt erhalten hatte. Somit stand eigentlich nichts mehr im Weg, um dem Krachen zum Durchbruch zu verhelfen. Das Einzige, was noch fehlte, war die Soundanlage und diese sollte im Fond des Wagens eingebaut werden.

Natürlich wollten Bernard und Philippe sich hier nicht lumpen lassen. So hatten sie auch schon konkrete Vorstellungen. Sie suchten «Sound in Bestform», womit nur die Marke «Teufel» in Frage kam. Mit 200 Watt Ausgangsleistung der Standlautsprecher und einer anständigen Basisstation sollte dem Vergnügen eigentlich nichts mehr entgegenstehen. Auch ein Kühlschrank im ‘Retro Look’ durfte natürlich nicht fehlen: pinkfarben und nicht grösser als 1 Meter hoch sollte er sein. Den Strom für die Anlage musste ein zusätzlicher Generator liefern, was jedoch kein grösseres Problem darstellen sollte. Alles in allem sollte der Umbau innert kurzer Zeit möglich sein, und dann konnte es losgehen.

Isabelle und Deborah sassen auf der Terrasse des Hauses und genossen die prächtige Aussicht aufs Meer. Sie unterhielten sich über ihre Kinder und sie wussten diverse Neuigkeiten zu erzählen. So habe sich Danielle, die jüngere Tochter von Isabelle, in London gut eingelebt und der neue Job bei der Firma Orange S.A. gefalle ihr ausserordentlich gut. Auch Michelle, die ältere Tochter von Isabelle und Bernard, habe zusammen mit ihrem Freund Julien die Surf Schule in Valras-Plage eröffnet, und erste Gäste seien bereits eingetroffen. Das Ganze scheine sich gut anzulassen.

Deborah erzählte von ihren Söhnen und sie wusste zu berichten, dass Rouven nach wie vor emsig bestrebt sei, seinem Studium der Betriebswissenschaften zum Durchbruch zu verhelfen. Dies sei allerdings nicht nur immer einfach und sie drücke ihm die Daumen. Auch Marvin, der jüngere Sohn von Deborah und Philippe, habe sich in der Zwischenzeit für eine Weiterbildung eingeschrieben und auch ihm wünsche sie nur das Beste.

Das Haus der Picards konnte schöner einfach nicht sein. Freie Sicht aufs Mittelmeer, mit einem Garten, der alle Wünsche erfüllte – sowohl für die Hunde wie für die Menschen.

Beide sassen noch eine Zeitlang auf der Terrasse und genossen das Hier und Jetzt. Ihre Männer hatten sich in der Zwischenzeit ihrem «Truck» zugewendet und hatten kaum noch Zeit für ihre Frauen, geschweige denn für die Hunde. Enrico und Dissan missfiel dies deutlich und so erkundigten sie sich nach ihren Herrchen. Nach kurzem Suchen fanden sie die beiden in der nahen gelegenen Garage und sie erkannten auch den ‘Truck’. Beide beschnüffelten ihn und befanden: Der sieht aber komisch aus und erst noch so runzelig! Die Farbe stich ihnen in die Nase und auch das verwendete Putzmittel war nicht ihre Sache. Sie kamen darin überein, dass sie in einem solchen Gefährt nicht mitfahren wollten.

Isabelle kam nochmals auf ihre Tochter Danielle zu sprechen und verkündete, dass sie und Bernard vorhätten, Danielle die übernächste Woche besuchen gehen zu wollen und sie betonte, wie schön es doch wäre, wenn sie, Deborah und Philippe, sie dabei begleiten würden. – Deborah wollte das sogleich mit Philippe besprechen.

Bernard und Philippe gesellten sich in der Folge zu ihren Frauen an den Tisch und gönnten sich ein kleines Bier. Kurz darauf liess Deborah die Katze aus dem Sack und sagte: «Du Schatz, was hältst du davon, wenn wir übernächste Woche Isabelle und Bernard nach London begleiten würden und dort mit Danielle zusammenkämen? Ich würde liebend gern einmal nach London reisen und diese Grossstadt kennenlernen. Ich war schliesslich noch nie dort und alle schwärmen von dieser Stadt.»

«Ja, dann kann ich dem ja kaum etwas entgegenhalten», so die sibyllinische Antwort von Philippe. «Selbstverständlich sind wir dabei, wenn es für alle stimmt.»

Philippe und Bernard wollten noch ihre ‘Bestellung’ aufgeben und informierten Deborah und Isabelle kurz – Betonung auf kurz – über ihr Vorhaben. Die beiden Frauen nickten dem Ansinnen mit einem leichten Stirnrunzeln zu … und die Herren verschwanden hinter dem Computer. Mit wenigen Griffen war das Ganze erledigt, und es galt zu hoffen, dass der überwiesene Geldbetrag seinen Weg finden würde. Die Ware sollte so in zwei/drei Wochen eintreffen, womit der Umbau noch rechtzeitig auf die Hochsaison hin stattfinden könnte.

Die Details für die Reise wollten die vier noch miteinander absprechen. Allerdings galt es nur den Flug auszuwählen; für die Unterkunft würde Danielle besorgt sein. Auch für Dissan war bereits vorgesorgt, hatte sich doch François, der ebenfalls in Pension stehende Juge d’instruction bereit erklärt, zu ihm zu schauen. – Im Gegenzug stand eine Partie Pétanque auf dem Plan. Schliesslich ging es darum, dass François seine Schmach vom letzten Mal ausbügeln konnte.

Sodann war es für Philippe und Deborah bereits wieder an der Zeit Abschied zu nehmen. Gut, dieses Mal war es nicht allzu schlimm, würden sie sich doch schon bald wieder in London treffen. Den genauen Treffpunkt würden sie wie besprochen noch ausmachen.

Auf der Heimfahrt, welche erstaunlich flüssig vonstattenging und die in der Wohlfühlgeschwindigkeit von Enrico – zumeist mit mindestens 120 km/h – zurückgelegt werden konnte, erwähnte Philippe, dass sie die Gunst der Stunde allenfalls nutzen könnten, um Sabrina, ihrer ehemaligen Kollegin aus der Schweiz, einen kurzen Besuch abzustatten.

Sabrina wohnt seit gut 30 Jahren in Irland und dort in einem kleinen Dorf (oder vielleicht eher einem Weiler) mit dem Namen Ventry. Ventry liegt im County Kerry (also im Bezirk Kerry) und als solches in der Region Ballymore West, ganz im Westen Irlands. Die Gegend gilt als rau, aber unvergleichlich schön mit seinen Eigenheiten. Die Strasse zum Haus von Sabrina führt über den «Wild Atlantic Way» und sie hat damit absolut den richtigen Namen. Das Haus selber is located 4 miles (6.4 km) from Dingle Town and 1 mile (1.6 km) from Ventry Village, wie der Homepage von Sabrina zu entnehmen ist. – Die Aussicht von der Terrasse des Hauses ist schlichtweg traumhaft.

Kennengelernt hatten Philippe und Sabrina sich während ihrer Schulzeit. Sie waren oft Bank- oder Pultnachbarn und mit dem unerlaubten Schwatzen während des Unterrichts wurden sie sich immer sympathischer. Der Kontakt hielt über lange Zeit, wurde dann aber aufgrund der örtlichen Distanz immer schwieriger.

«Das wäre toll», so die begeisterte Antwort von Deborah. Beide, Deborah und Sabrina, hatten sich ebenfalls immer gut verstanden und sie verbrachten gar einmal ihre Ferien zusammen. Und trotzdem konnte auch bei ihnen der Kontakt aufgrund der grossen örtlichen Distanz nicht aufrechterhalten werden.

«Meinst du, das wäre machbar?», so die Frage von Deborah. «Ich glaube schon, und mit EasyJet oder Ryanair sollte dies sogar bei unserem Budget möglich sein.» «Ich werde mich auf jeden Fall – sobald wir zuhause sind – schlau machen und dann können wir uns definitiv festlegen. Selbstverständlich werde ich versuchen, vorgängig mit Sabrina Kontakt aufzunehmen und sie fragen, ob es ihr recht wäre und ihr passen würde, wenn wir kurz bei ihr reinschauten. Vielleicht könnten wir sogar bei ihr übernachten, selbstverständlich gegen Entgelt. – Die Mailadresse von Sabrina habe ich. Sie lässt sich ebenfalls ihrer Homepage entnehmen.»

2

Noch im Verlauf des frühen Nachmittags trafen Philippe, Deborah und Enrico in ihrem trauten Heim ein. Alles schien beim Alten zu sein. Selbst die stürmische Phase, welche die Gegend überstehen musste, schien dem Haus und dem Garten nichts angetan zu haben. Auf jeden Fall stand sogar die alte Birke noch; um sie hatte Philippe sich Sorgen gemacht.

Enrico beschnüffelte als Erstes seinen Garten und hielt Nachschau, ob nicht eine unliebsame Katze sich in seiner Abwesenheit hier häuslich niedergelassen hatte. Gott sei Dank war dem nicht so, womit die Welt für ihn in Ordnung war.

Philippe bemühte sich zum Briefkasten, um diesen zu leeren und er dachte, wie unglaublich es doch ist, wieviel «Mist» sich in solch kurzer Zeit ansammelt, welcher schon bald im Altpapier landet. Trotzdem kam er nicht umhin, den Papierstoss kurz zu sichten, um die unliebsamen Rechnungen von anderem Unrat zu trennen. Ab und zu fand sich trotzdem noch etwas Brauchbares darunter. Und siehe da: Ein hübsch aufgemachter Briefumschlag – allerdings adressiert an Deborah – weckte sein Interesse. Leider war kein Absender vermerkt, womit ihn schon die Neugierde packte, wer Deborah denn einen solchen einladenden Brief zukommen liess.

Er beeilte sich, Deborah den Brief auszuhändigen, jedoch stand diese bereits unter der Dusche. Den Brief selber aufzumachen, hielt er sich nicht dafür, jedoch konnte er es kaum erwarten, bis Deborah dies tun würde. Sie würde ihm sicher verraten, wer der Absender oder die Absenderin war.

Nach unendlich langen Minuten erscheint Deborah doch noch in der Küche, und Philippe macht sie auf den Brief aufmerksam. Diese reagierte allerdings nicht wie von Philippe erwartet, womit sein Interesse noch mehr stieg. Wie kann man nur so lange warten, um einen Brief aufzumachen, ging ihm durch den Kopf, und er versuchte Deborah ein wenig zu drängen. Diese jedoch nahm das Ganze sehr gelassen und gönnte sich vorweg einen feinen Tee.

Ok, dachte Philippe, dann gehe ich halt ein wenig in den Garten. Er holte sich ein kleines Bier aus dem Kühlschrank und machte es sich in der Hollywoodschaukel bequem. Enrico gesellte sich zu ihm, und auf diese Weise erholten die beiden sich von der Heimfahrt.

Und siehe da! Nach nur kurzer Zeit kam Deborah nun doch und überreichte Philippe den Brief mit den Worten: «So etwas Nettes habe ich schon lange nicht mehr gelesen.» - Dem Brief war Folgendes zu entnehmen:

Liebe Deborah

Es ist mir ein grosses Anliegen, dir auf diesem Weg herzlich für alles zu danken, was du in der Zwischenzeit für mich getan hast.

Du hast mir neue Kraft fürs Leben geschenkt, und ich sehe heute vieles klarer, als noch vor kurzem.

Ich habe erkannt, was wichtig und unwichtig ist für mich und das verdanke ich dir. – Ich bin dir unendlich dankbar dafür!

Liebe Grüsse, Susann

Philippe musste Deborah absolut recht geben: einen solch schönen Brief hatte er noch selten bis nie erhalten; echt, gefühlvoll und absolut liebenswürdig.

Susann ist die Ex-Frau von Fred. Fred oder Freddy (niemand nannte in Alfred) selber ist ein guter Bekannter von Philippe und in der Zwischenzeit auch von Deborah. Fred hatte Philippe schon oft geholfen und im Gegenzug scheinen Deborah und Philippe «Amor» gespielt zu haben, sind sich Fred und Susann doch wieder sehr nahegekommen. Auch Max, ihr gemeinsamer Sohn, blickt dem Ganzen mit Interesse entgegen, und es würde ihn sehr freuen, wenn er seine Eltern andern gegenüber wieder als «seine Familie» vorstellen könnte.

Deborah wollte sich so bald wie möglich bei Susann für ihr nettes Schreiben bedanken und sich mit ihr für einen Gedankenaustausch treffen. Auch Philippe hatte das Bedürfnis, wieder einmal mit Fred zusammen zu kommen. Er wollte ihn ebenfalls so bald wie möglich kontaktieren und ihn zu einem Schwatz einladen.

In der Zwischenzeit zeigte sich aber doch die Müdigkeit bei beiden ob der langen Fahrt, und nach einem kurzen Spaziergang mit Enrico wollte Philippe sich schon bald zu Bett begeben. Und obschon Deborah die ganze Stecke gefahren war, wollte sie es sich nicht nehmen lassen, Susann anzurufen und ihr ganz herzlich für ihren Brief zu danken. Selbstverständlich dauerte das Telefonat nicht nur ein paar Minuten … sondern etwas länger. – Philippe verabschiedete sich von Deborah mit einem Handkuss durch die Luft.

Am nächsten Morgen sah die Welt schon wieder anders aus. Das Wetter war nach wie vor strahlend schön, und Philippe fühlte sich gut erholt und war voller Tatendrang. Als Erstes wollte er mit Fred Kontakt aufnehmen. «Tschau Freddy, wie geht es dir? Was gibt’s Neues? Hast du wieder irgendwelche Insiderinformationen, die mich ins Unglück stürzen?» So die amüsierte Frage von Philippe. – «Nein, alles im grünen Bereich. Wollen wir uns auf ein Bierchen im Lorenzini treffen? Wie wäre es zum Beispiel mit heute Abend so gegen 1700 Uhr?» «Super, ich werde dort sein!»

Noch während Philippe auf der Veranda sass und einen Kaffee trank, gesellte sich Deborah zu ihm und sie teilte ihm mit, dass sie sich für heute Abend mit Susann verabredet habe. Sie wollten in der Stadt Bern eine Kleinigkeit essen gehen und sich über dies und das unterhalten. «Stimmt das so für dich, mein Schatz?» - «Selbstverständlich; ich habe mich für heute Abend ebenfalls verabredet, und Fred und ich werden uns im ‘Lorenzini’ treffen.» «Ah, dann trifft sich das ja bestens.»

Den Tag hindurch wollte Philippe sich seinem Garten zuwenden. Der Rasen musste gemäht werden und dem Unkraut wollte er den Garaus machen. Sodann standen Einkäufe auf dem Programm, und schliesslich wollte er für das Kochen des Mittagessens besorgt sein. – Ein einfaches Gericht sollte heute genügen.

Mit einigem Erstaunen stellte Philippe jedoch im Supermarkt schon bald fest, wie sich die Reihen bei Produkten der Grundversorgung gelichtet hatten. Ganz offensichtlich wurden ob der aktuellen Situation «Hamsterkäufe» getätigt, welche Reis und Teigwaren richtiggehend zu Mangelwaren werden liessen. Philippe dachte über seinen eignen Notvorrat nach und er musste erkennen, dass es damit nicht zum Besten bestellt war. Also füllte er noch eine Tasche mit dem Notwenigsten und er wollte seinen Eindruck mit Deborah besprechen.

Auch Deborah war aufgrund der Tagesmeldungen verunsichert, und beide fragten sich, ob es aufgrund der Entwicklung schlau wäre, nach London zu reisen. Sie wollten sich das Ganze noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Gleiche Gedanken hatten offensichtlich auch Bernard und Isabelle und sie teilten ihre Befürchtungen Philippe und Deborah telefonisch mit. Aufgrund der getätigten Lagebeurteilung kamen alle vier darin überein, dass sie vorerst einmal zuwarten wollten, und Isabelle würde Danielle ihren Entscheid mitteilen.

Das ‘Lorenzini’ mauserte sich langsam zum Stammlokal von Philippe und Fred. Man konnte hier gemütlich ein Bier trinken und dies unter der Woche auch noch bei einem vernünftigen Lärmpegel. Das Restaurant liegt in der Altstadt von Bern und ist mit dem ÖV innert kurzer Zeit erreichbar.

«Ciao Fred, schön dich wieder zu sehen. Dürfen wir uns noch die Hand geben oder ist dies ob der aktuellen Situation nicht mehr angezeigt?» «Keine Ahnung», so die Antwort von Fred, und er setzte sich zu Philippe an den Tisch. «Ja, das Ganze kommt mir auch sehr spanisch vor, und die Geschwindigkeit, mit der sich die Krankheit ausbreitet, wirft schon Fragen auf.»

«Offensichtlich treffen sich Deborah und Susann heute auch», so die Feststellung von Fred. «Ich finde es schön, wie gut sich die beiden verstehen und den Kontakt auch über den Malkurs hinaus aufrechterhalten.» - «Ja, das finde ich auch. – Im Übrigen hat Susann Deborah einen sehr lieben Brief geschrieben über den sie sich sehr gefreut hat.» «Ja, ich weiss und ich habe sie sogar darin bekräftigt dies zu tun», so die Feststellung von Fred.

«Ja, jetzt aber nochmals zurück zur aktuellen Situation, Fred. Was hältst du von diesem Virus?» - «Keine Ahnung – alles oder nichts oder etwas dazwischen», so die lapidare Antwort von ihm. «Fest steht, dass das Ganze Probleme bereitet und zwar nicht zu knapp.»

«Ja, das sehe ich auch so und mir sind die eindringlichen Worte von Smith und Pulvermacher wieder in den Sinn gekommen. Vielleicht hatten sie irgendwie doch recht.»

Smith und Pulvermacher waren Mitarbeitende der Auslandgeheimdienste ihrer jeweiligen Länder; Smith arbeitete für die CIA, Pulvermacher für den BND. Beide waren in Ungnade gefallen und von ihren Aussendienstjobs abgezogen worden, da sie ihren Vorgesetzten zufolge über eine allzu blühende Fantasie verfügten und diese auch kundtaten. Das Ganze mochte im Ansatz zwar stimmen, war aber zu wenig durchgedacht und vor allem zu wenig abgeklärt, womit es zumeist bei Spekulationen blieb. Daneben gab es noch einen Jacques Dupont mit Codenamen «819» vom DGSE, der auch nicht nur mit Vertrauenswürdigkeit überzeugen konnte.

Alle drei waren der Unterwelt bekannt und sie konnten von dieser nicht gerühmt werden: Alles aufgeblasene Säcke, wo nichts dahintersteckt, so das Urteil von Louis (der Kanaille) aus Toulon.

Louis Canal, wie er mit richtigem Namen heisst, ist eine bekannte «Grösse» in Südfrankreich, und er hatte Philippe schon die eine oder andere hilfreiche Information zukommen lassen. Auf sein Urteil konnte man sich bislang verlassen, und er verfügte über ein erstaunliches Beziehungsnetz, welches Philippe immer wieder verblüffte. Selbst im Gefängnis konnte er sich à jour halten, was für seine Quellen und seinen Einflussbereich sprach.

Fred musste Philippe irgendwie recht geben, und es war ihm nicht wohl beim Gedanken, dass an der Sache doch etwas dran sein könnte. Er kam ins Grübeln und formulierte furchterregende Überlegungen:

Was wäre, wenn im Labor von Bern nicht Streptokokken, sondern Viren gezüchtet worden wären? Oder, was wäre, wenn dies nicht in Bern, sondern anderswo geschehen wäre? Und, was wäre, wenn diese Viren in falsche Hände gekommen wären? Oder noch schlimmer, wenn die Viren gezielt gezüchtet und sodann (ebenfalls gezielt) gestreut worden wären? Was wäre, wenn gar Staaten dies getan hätten, oder wenn man sie gar auf dem Schwarzmarkt erhältlich machen könnte? – Fragen über Fragen, welche alle Spekulationen offenliessen und einem nur erschaudern liessen.

Philippe wurde es richtiggehend mulmig in der Magengegend und er brauchte ein zweites Bier. «Ja, irgendwie ist es schon komisch.» - Die Informationen von Smith, Pulvermacher und Dupont stimmten ja schon irgendwie – zumindest im Ansatz – und Folge dessen konnten auch solche Überlegungen nicht völlig ausser Acht gelassen werden, wenngleich sie «nüchtern» betrachtet als Irrsinn bezeichnet werden mussten.

Tatsache aber war, dass sich das Virus in rasender Geschwindigkeit verbreitete, und Philippe ob den neusten Zahlen, die ihm sein Smart Phone lieferte, nur noch staunen konnte. Auch Fred fand keine passenden Worte, um dem Schrecken gerecht zu werden. Beide verstummten eine Zeitlang, und es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie ihr Gespräch wieder aufnehmen konnten. Sie kamen weiter ins Grübeln und sie hinterfragten auch die anderen Informationen, welche sie von den «Geheimdienstlern» oder anderswoher erhalten hatten. – «Cyberwar» war das Stichwort!

Die Frage war: Was wäre, wenn das Ganze mit den Viren nur ein Ablenkungsmanöver wäre, um die Weltherrschaft im Digitalbereich an sich zu reissen? Dies und weitere Gedanken beschäftigten die beiden. Ihren Informationen zufolge soll ja eine Gruppierung unter dem Decknamen «Blue Danube» am Wirken sein und diese schien, den Informationen und Erfahrungen von Philippe zufolge, vor nichts zurück zu schrecken. – Fürchterlich der Gedanke, aber doch nicht ganz aus der Luft gegriffen. Auf jeden Fall würde ein solches «Ablenkungsmanöver» der Organisation in die Hände spielen, wird die Wirtschaft durch den «Virenbefall» weltweit doch so geschwächt, dass ‘Blue Danube’ dadurch ein deutlich leichteres Spiel hätte.

Philippe und Fred mochten die Gedanken nicht weiterspinnen, schauderte es ihnen vor den Konsequenzen und der unsäglichen Tragik, die damit zusammenhängen würde. Nein, so hinterhältig und grausam konnte niemand sei, ging ihnen weiter durch den Kopf … oder etwa doch? – Beide waren verunsichert.

3

Paul Simson sass nach wie vor auf seiner Veranda. Natürlich hatte auch er von Covid-19 Kenntnis genommen und er konnte sich keinen Reim darauf machen. Das Ganze kam ihm suspekt vor, und er wollte der Sache auf den Grund gehen. Er kontaktierte in der Folge Brian Jones und er wollte von ihm wissen, was er von der ganzen Sache halte.

“Hi Brian, how’s life, where are you?” “I’m in Scotland and there near to our friend, Lord …”

Paul war ein wenig erstaunt ob der Antwort, vermutete er seinen Kollegen doch in Irland und dort in der Nähe von Cork.

Cork (irisch: Corcaigh) ist der Verwaltungssitz der gleichnamigen Grafschaft im Süden Irlands. Die Stadt ist mit rund 125’000 Einwohnern nach Dublin die zweitgrößte Stadt Irlands. Cork verfügt über einen Flughafen und ist rund 160 km oder zweieinhalb Fahrstunden von Ventry entfernt.

Paul wusste um den ‘Lord’, jedoch war er ihm selber noch nie begegnet. Der Lord musste steinreich und eher Milliardär als einfacher Millionär sein, von denen es in Grossbritannien zuhauf gab. Er schien beste Beziehungen zu allen Kreisen zu haben, zu denen Normalsterbliche keinen Kontakt haben, und was ebenfalls über ihn bekannt war, dass er über eine Highland Malt Whisky Distillery verfügte, wo keine Flasche unter 1000 Pfund erhältlich gemacht werden konnte. Und selbst dann, wurden die Flaschen nur unter der Hand weitergereicht.

Der Lord besass Ländereien in ganz Schottland, in England und Irland, aber auch in Frankreich und dort vor allem an der Côte d’Azur. Sein Adelstitel ging bis ins Mittelalter zurück, und er konnte sich in all den Jahren halten.

«Brian, du weisst, dass ich den Lord nicht persönlich kenne und dass ich das, was ich von ihm bislang gehört habe, auch nicht nur schätze. Ich würde gerne etwas mit dir besprechen. Wann bist du wieder in der Gegend?» «Morgen werde ich nach Cork zurückkehren, und wir können uns gerne treffen. Ich schlage dir unser Pub in Dingle vor.»

«The Dingle Pub» liegt an der Main Street in Dingle und damit unweit vom Wohnort von Paul. Sie hatten sich für 1700 Uhr verabredet, was für irische Verhältnisse als relativ früh bezeichnet werden musste.

Paul war der erste, der das Restaurant betrat. Am Tresen standen zwei/drei Einheimische, welche ihn begrüssten. Paul wählte einen Tisch in der Ecke. Jedes Mal, wenn es ums «Eingemachte» ging, wollte Paul dies nicht am Telefon, sondern ‘face to face’ besprechen und so war es auch dieses Mal. Brian traf schon bald ein und er setzte sich zu Paul an den Tisch. Beide bestellten sich ein ‘Pint’ – Paul ein «Smithwick’s», Brian ein «Guinness».

«Und worum geht es nun?», so die Frage von Brian. «Was hältst du von der ganzen Virengeschichte? Hat das Ganze etwas mit uns zu tun? Mit unserer Organisation? Weisst du etwas Näheres?» - Paul wählte bewusst die direkte Art mit seinen Fragen. Er wollte Brian aus der Reserve locken. Brian wurde ein wenig verlegen, verneinte dann aber doch deutlich die Anspielung von Paul. Immerhin gab er zu bedenken, dass das Ganze trotz der Dimension für ihr Unterfangen von Nutzen sein könnte. Paul schluckte tief: Wie konnte man nur so denken? So kannte er Brian gar nicht.

«Und wie war dein Besuch beim Lord? Gibt es Neuigkeiten, die für uns von Interesse sind?» - Nun versuchte Paul die Wogen wieder etwas zu glätten. Brian rühmte das Treffen und seinen Ausführungen war Bewunderung dem Lord gegenüber zu entnehmen. Gut, Brian war selber Schotte und so musste einem dies auch nicht weiter erstaunen. Brian kannte den Lord gut, und Paul konnte nicht ausschliessen, dass Brian ihn über ihre «Geschäfte» – zumindest im Ansatz – ins Bild gesetzt hatte, und dies, obschon sie sich gegenseitig geschworen hatten, niemandem, ohne ihr Einverständnis, in die Machenschaften einzubeziehen.

Hierzu gilt es Folgendes anzumerken: Irland gilt als «Hochburg» künstlicher Intelligenz. So befindet sich beispielsweise die Europazentrale von Apple in Cork. Auch Google eröffnete zu Beginn des neuen Jahrtausends seinen EMEA-Hauptsitz in Dublin und beschäftigt dort heute rund 2000 Mitarbeiter. – EMEA steht für ‘Europe, Middle East and Africa’ und ist für Amerikaner die Abkürzung für diesen Wirtschaftsraum.

Aber auch andere Technologieunternehmen wie etwa Intel, IBM oder Microsoft sind in Irland präsent. Das ‘Irish Centre for Cloud Computing and Commerce’ (kurz: IC4) hat seinen Schwerpunkt auf der Entwicklung eines international anerkannten Center-of-Excellence für Innovation und angewandte Forschung und Führung der Industrie und befindet sich ebenfalls in Dublin.

Überdies sind andere ‘Global Player wie etwa Facebook, Zalando oder Amazon eng mit Irland verbunden: Immerhin gilt Irland als weltweit zweitgrößter Software-Exporteur und ist als bevorzugter Standort für Unternehmen in diesem Segment anerkannt.

Paul und Brian waren diese Fakten natürlich bekannt und sie wählten nicht zuletzt deshalb Irland als ihre Operationsbasis. Unauffällig und abgelegen, aber mit dem nötigen technischen ‘Background’ versehen, wollten sie die «Weltherrschaft» im Digitalen Bereich von Ventry aus übernehmen. Sie brauchten für diesen Zweck natürlich Geld und dieses sollte über die «Logistik» - sprich: durch Raubüberfälle auf Geldtransporter in ganz Europa sichergestellt werden. Anfänglich lief das «Geschäft» ja ganz gut, dann aber wendete sich das Blatt plötzlich. Unbedachtes Vorgehen eines Einzelnen brachte das Ganze in Schieflage, und nun galt es, aus dem Vermeintlichen das Beste zu machen.

Paul bestellte sich ein zweites Bier und langsam stellte sich bei ihm auch der Hunger ein. Er orderte für sich eine Spezialität des Hauses ‘fresh wild salmon’. Brian tat ihm gleich, jedoch wählte er das ‘bar meal’: ‘spare ribs with baked potatoes’.

Sodann ging Paul nochmals in die Offensive und fragte Brian nun direkt, ob er dem Lord von ‘Blue Danube’ erzählt habe. – Brian konnte nicht mehr ausweichen und er bejahte die Frage. «Und, wie hat der Lord darauf reagiert? Und was hast du ihm alles erzählt?»

«Reagiert hat er nur mit einem müden Lächeln. Gut, ich habe ihm auch nicht wirklich viel erzählt. Eigentlich nur, dass man dem ganzen Datenwirrwarr von heute einen Riegel schieben sollte.»

Auf jeden Fall holte der Lord in der Folge aus und er gab Brian sein Weltverständnis zum Besten; selbstverständlich liess er das Ganze von einer Flasche «Highland Park Thorfinn Whisky» begleiten, wo die Flasche im Handel CHF 1790 kostet. – Brian durfte mithalten.

Der Whisky in der dunklen, mit Gold verzierten Flasche ist eine Hommage an eine historische Persönlichkeit aus dem 11. Jahrhundert. Sein Name lautet "Thorfinn Sigurdsson der Mächtige". Viele der Highland Park Whiskys sind nach lokalen Helden, tapferen Kriegern und berühmt-berüchtigten Wikingern benannt. Der Whisky reift im klimatisch rauen Norden Schottlands in Fässern heran, die zuvor Sherry enthielten.

Und ähnlich wie "Thorfinn Sigurdsson der Mächtige" verstand sich auch der Lord. Er konnte der aktuellen Politik mit «Brexit» und anderem mehr nichts abgewinnen, und der jetzige Premierminister des Vereinigten Königreichs mit seiner «Lachfrisur» war für ihn nur ein Abklatsch der guten alten Zeiten. Diese lagen allerdings doch schon ein ganzes Stück zurück, wo Schottland von England noch unabhängig und ein eigenständiges Königreich war. Der Lord sehnte die Zeit vor 1707 zurück, wenngleich er sie selbstverständlich selber nicht erlebt hatte; seine Vorfahren jedoch schon, und es liess sich den Analen der Familiengeschichte dazu doch so einiges entnehmen.

Bei einem zweiten Glas Thorfinn und einem tiefen Schluck daraus wurde der Lord immer redseliger und er fing an zu fabulieren, fantasieren und steigerte sich gar hin zum Träumen. Er schwebte auf Wolke «sieben» und er verstand sich als Retter der Nation, wenn nicht gar als Retter der ganzen «kultivierten» Gesellschaft, wozu er sich selber selbstverständlich zählte.

Seine Verblendung ging so weit, dass er kaum noch unterscheiden konnte zwischen arm und reich, zwischen schwarz und weiss und schon gar nicht zwischen Recht und Unrecht; er verleugnete alles, was nicht seinem Weltbild entsprach. Sein archaisches Gedankengut ging so weit, dass er nicht mehr zwischen gut und schlecht, zwischen bös und gerecht, zwischen Wahnwitz und Realität unterscheiden konnte; er wollte nur noch seine Meinung als die einzig Richtige verstanden wissen. Jeder Widerspruch wurde von ihm im Keim erstickt. – Bei einem dritten Glas Thorfinn schlief er ein.

Paul war entsetzt ob den Äusserungen von Brian, und sie machten ihm Angst. Ähnliches hatte die Welt schon zu oft erlebt, und es endete ausnahmslos im Desaster. Sollte heute Gleiches geschehen, so müsste dem Ganzen Einhalt geboten werden und zwar mit aller Deutlichkeit. Paul wollte seinen Teil dazu beitragen.

4

Philippe kehrte nach Hause zurück und er erzählte Deborah von seinem Treffen mit Fred. Mit etwas Zurückhaltung sprach er auch den Inhalt des Gesprächs an, jedoch wusste er, dass Deborah sich grosse Sorgen um die jetzige Situation machte. Wie alle, war sie verunsichert ob dem rasanten Tempo der Ausbreitung der Pandemie und sie sorgte sich auch um Philippe, gehörte er doch nach Ansicht der Fachleute zu jener Risikogruppe, welcher das Virus am meisten anhaben konnte.

Deborah selber hatte einen gemütlichen Abend mit Susann verbracht. Auch für die beiden war es wahrscheinlich für längere Zeit das letzte Mal gewesen, dass sie sich auswärts hatten verpflegen können. Das Essen war in Ordnung, wenn auch nicht überragend, aber das Ambiente stimmte und der Gedankenaustausch war inhaltlich sehr ansprechend.

Beide sassen im Wohnzimmer und sie gönnten sich noch ein Getränk, bevor sie zu Bett gehen wollten. Die Stimmung war irgendwie ein wenig bedrückt und so blieb es beim Relaxen auf dem Fauteuil. Deborah genoss einen Gute-Nacht-Tee und Philippe gönnte sich einen Schlummertrunk. Man musste ja nicht immer miteinander reden. – Sodann wünschten sie sich gegenseitig eine gute Nacht.

Am nächsten Morgen sah die Welt für sie wieder freundlicher aus. Beide nahmen ihr Frühstück ein, und Deborah wusste nun doch noch einiges vom gestrigen Abend zu erzählen. So habe Susann in der Zwischenzeit einen neuen Job gefunden und er gefalle ihr sehr gut. Sie sei nun Disponentin in einer Logistikfirma und sie bringe ihre Teilzeitbeschäftigung ganz gut mit der Betreuung von Max unter einen Hut. Fred sei im Übrigen ganz anders geworden, und sie liebe ihn nach wie vor. Auch könne sie sich wirklich vorstellen, ihn ein zweites Mal zu heiraten; die gemeinsame Wohnung, in der sie nun lebten, erfülle all ihre Wünsche. Philippe freute sich dies zu hören und er wünschte sich, die beiden bald wieder bei sich zuhause zu einem feinen Essen begrüssen zu dürfen.

Das Wetter nahm langsam wieder Temperaturen an, welche die Lust aufs Grillieren beflügelten. Die letzten Tage und Wochen zuvor waren garstig. Die Bise blies unaufhaltsam und drang durch jedes Kleidungsstück, selbst wenn man versuchte, sich im «Zwiebelschalenprinzip» warm zu halten. Auch die in die Jahre gekommenen Fenster im Haus mochten der Kälte kaum noch zu trotzen, sodass die Zimmertemperaturen nicht mehr das versprachen, was man als gemütlich bezeichnen konnte. Philippe nahm sich vor, im Verlauf des Sommers dem Ganzen entgegen wirken zu wollen und sei’s nur, indem er die Heizung überprüfen liess.