Mythor 11: Die Peitschenbrüder - Horst Hoffmann - E-Book

Mythor 11: Die Peitschenbrüder E-Book

Horst Hoffmann

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Beschreibung

Die Mächte der Finsternis, die einst die Welt beherrschten, bis sie vom Lichtboten zurückgedrängt wurden, sind wieder auf dem Vormarsch. Nachdem der Lichtbote die Welt sich selbst überlassen hatte, begannen die Kräfte des Bösen, die sich nach ihrer entscheidenden Niederlage in die Dunkelzone geflüchtet hatten, wieder zu erstarken. Inzwischen greifen sie aus der Dunkelzone, einem Ring kosmischer Trümmer, der die Welt umgibt und in eine Nord- und eine Südhälfte teilt, an und beeinflussen bereits weite Teile der nördlichen Länder und deren Bewohner. Das gilt besonders für die Caer, ein Kriegsvolk, das im Auftrag der dunklen Mächte einen Eroberungsfeldzug beginnt und seine Nachbarn mit Feuer und Schwert heimsucht. Im Verhältnis zu den Horden der Caer ist die Zahl derer, die auf Seiten der Lichtwelt gegen die Mächte des Dunkels kämpfen, erschreckend gering. Eigentlich ist es nur ein Häuflein Tapferer und Unverzagter, das angeführt wird von Mythor, dem Sohn des Kometen. Mythor, der Alton, das legendäre Gläserne Schwert, meisterhaft zu führen weiß, versteht es jedoch, sich auch einer Übermacht erfolgreich zu erwehren. Dies erfahren nun zu ihrem Leidwesen DIE PEITSCHENBRÜDER ...

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Nr. 11

Die Peitschenbrüder

von Horst Hoffmann

Die Mächte der Finsternis, die einst die Welt beherrschten, bis sie vom Lichtboten zurückgedrängt wurden, sind wieder auf dem Vormarsch.

Nachdem der Lichtbote die Welt sich selbst überlassen hatte, begannen die Kräfte des Bösen, die sich nach ihrer entscheidenden Niederlage in die Dunkelzone geflüchtet hatten, wieder zu erstarken. Inzwischen greifen sie aus der Dunkelzone, einem Ring kosmischer Trümmer, der die Welt umgibt und in eine Nord- und eine Südhälfte teilt, an und beeinflussen bereits weite Teile der nördlichen Länder und deren Bewohner.

Das gilt besonders für die Caer, ein Kriegsvolk, das im Auftrag der dunklen Mächte einen Eroberungsfeldzug beginnt und seine Nachbarn mit Feuer und Schwert heimsucht.

Im Verhältnis zu den Horden der Caer ist die Zahl derer, die auf Seiten der Lichtwelt gegen die Mächte des Dunkels kämpfen, erschreckend gering. Eigentlich ist es nur ein Häuflein Tapferer und Unverzagter, das angeführt wird von Mythor, dem Sohn des Kometen.

Mythor, der Alton, das legendäre Gläserne Schwert, meisterhaft zu führen weiß, versteht es jedoch, sich auch einer Übermacht erfolgreich zu erwehren. Dies erfahren nun zu ihrem Leidwesen DIE PEITSCHENBRÜDER ...

Die Hauptpersonen des Romans

Mythor – Der Held der Lichtwelt in der Geisterstadt.

Sadagar, Nottr und Kalathee – Mythors Gefährten.

Goltan – Anführer der Peitschenbrüder.

Sar, Jesserk und Storkh – Mitglieder der Bande der Peitschenbrüder.

1.

Die Fahrt war diesmal ruhig verlaufen. Kein Sturm hatte die Kurnis erfasst und im aufgepeitschten Meer von ihrem Kurs abgebracht. Kein magischer Zauber war über das Boot und seine Besatzung gekommen, um Mythor und seine drei Gefährten erneut in die Irre zu führen. Die Insel Zuuk existierte nicht mehr. Für alle Zeiten war sie vom Meer der Spinnen verschlungen worden.

Diesmal konnte es keinen Zweifel geben, als sich im Licht der ersten Sonnenstrahlen Land vor dem Bug der Kurnis abzeichnete. Dies war die Küste von Yortomen.

Eine seltsame Erregung hatte Mythor erfasst, als er nun im Boot stand und versuchte, erste Einzelheiten zu erkennen. Noch lag der Nebel vor der Küste, doch wo er aufriss, waren Häuser zu sehen, dann ein Teil eines Hafens mit Schiffen und Booten.

Lockwergen, die Stadt an der Ostküste Yortomens, lang ersehntes Ziel und doch nur Zwischenstation auf Mythors Weg nach Althars Wolkenhort, wo der Helm der Gerechten darauf wartete, erobert zu werden.

Mythor verscheuchte die Gedanken daran und an die anderen fünf Fixpunkte, die er zu finden hatte, um sich zu vervollkommnen und für den Kampf gegen die dunklen Mächte zu wappnen. Vor ihm lag Lockwergen, und nur Lockwergen durfte seine ganze Aufmerksamkeit nun gehören. Der Himmel war klar an diesem kühlen Herbstmorgen, und doch hatte Mythor das Gefühl, als würden sich dunkle Wolken über der Stadt zusammenbrauen. Der dunkelhaarige Jüngling machte sich keine Illusionen. Er hatte lernen müssen, dem ersten Eindruck nicht zu trauen. Und die düsteren Vorahnungen, die ihn seit dem Untergang der Insel Zuuk beschlichen, verhießen nichts Gutes.

Die Kurnis trieb in den Nebel vor der Küste hinein. Mythor drehte sich zu Kalathee, Nottr und Sadagar um. Sie machten sich schon bereit, an Land zu gehen. Kalathee fing Mythors Blick auf und versuchte zu lächeln. Es war, als wollte sie zeigen, dass sie keine Furcht vor dem hatte, was das unbekannte Land für sie bereithalten mochte.

Sadagar schien es besonders eilig zu haben, die Kurnis zu verlassen. Er hatte genug vom Meer und den in ihm lauernden Gefahren. Er schien zu hoffen, auf der Insel endlich Sicherheit zu finden.

Mythor konnte diese Zuversicht nicht teilen. Er wurde immer unruhiger, je näher sie der Küste kamen, und als das Boot aus dem Nebel heraustrieb, wusste er, dass ihn seine Ahnung nicht getäuscht hatte.

Vor ihnen lag der Hafen, ausgebaut und mit einer schier unübersehbaren Zahl von Schiffen und Fischerbooten. Und eines hatten die Schiffe und Boote mit dem gesamten Hafenkomplex und den Häusern an der Küstenstraße gemeinsam:

Sie waren verlassen. Keine Menschenseele war zu sehen, keine streunenden Hunde, keine ...

Mythor wusste mit einemmal, was ihn die ganzen letzten Stunden über gestört hatte. Es gab keine Vögel, deren Schreie einem jeden Seefahrer die Nähe des Landes ankündigten, die in Schwärmen über die einlaufenden Schiffe herfielen, um ein Stück Nahrung zu ergattern.

Es gab kein Leben im Hafen.

»Wie ausgestorben«, knurrte Nottr, der jetzt direkt hinter Mythor stand, mit heiserer Stimme. »Die ganze Stadt.«

Lockwergen war vergleichsweise riesig. Die ganze Stadt war von See aus also kaum zu überblicken. Dennoch nickte Mythor. Wieder versuchte er vergeblich, entlang der Küstenstraße, soweit sie von der Kurnis aus einzusehen war, eine Spur von Leben zu entdecken. Alles machte einen außerordentlich sauberen und gepflegten Eindruck, geradeso, als ob die Bewohner von Lockwergen ihre Stadt für ein besonderes Ereignis herausgeputzt hätten.

Mythor fröstelte. Kalathee drängte sich zwischen ihn und Nottr, in dessen Augen es kurz aufblitzte, als das schöne, zierliche Mädchen ihre Hände um Mythors Arm schlang und sich wie schutzsuchend an ihn schmiegte. Steinmann Sadagar sah sich ängstlich nach allen Seiten um.

Jetzt spürten sie es alle.

Lockwergen, wo sie sich sichere Unterkunft, eine kräftige Mahlzeit und neue Ausrüstung erhofft hatten, war verlassen.

Eine Geisterstadt.

»Vielleicht haben sie sich ins Zentrum zurückgezogen«, kam es von Sadagar. »Vielleicht feiern sie etwas.«

Mythor schüttelte stumm den Kopf. Sadagar versuchte, sich etwas einzureden. Irgendein Laut, das Gebell von Hunden oder das Kreischen von Möwen hätte zu hören sein müssen. Und niemand ließ sein Schiff ganz ohne Bewachung zurück.

Nottr legte die Hände an den Mund und brüllte:

»Heda! Ist da jemand? Kommt heraus aus euren Löchern!«

Keine Antwort. Kalathee umklammerte Mythors Arm noch fester. Ihre Augen suchten seinen Blick. Ihre Hände waren eiskalt.

»Wir können an einer anderen Stelle der Küste anlegen«, flüsterte sie. »Lass uns umkehren und einen anderen Landeplatz suchen, Mythor.«

Und das, was sich hier ereignet hatte, ignorieren? Die Bedrohung, die Mythor nun so deutlich spürte, als brauchte er nur die Hand auszustrecken, um sie zu greifen?

Sein Gesicht verfinsterte sich. Er blickte Nottr von der Seite her an und sah grimmige Entschlossenheit im Blick des Lorvaners. Mythors Hand umklammerte den Griff des Gläsernen Schwertes.

»Wir werden an Land gehen, Kalathee«, sagte er. »Hier. Ich will wissen, was aus den Bewohnern der Stadt geworden ist – und ich will keinen Gegner im Rücken haben, den ich nicht kenne.«

Das Mädchen schwieg. Mythor löste sich behutsam von ihr, verließ den Bug und griff in das Ruder.

An verlassenen Schiffen und Booten vorbei glitt die Kurnis in den Hafen.

Und jeder der Gefährten schien zu spüren, dass das, was über Lockwergen und seine Bewohner gekommen war, schrecklicher war als alle Werke der Magie aus der Dunkelzone, denen sie auf ihrem Weg hierher begegnet waren.

Der klare Himmel lag wie ein schillerndes Leichentuch über der Stadt, als die Kurnis anlegte.

*

Nur zögernd verließen die vier die Kurnis. Die Beklommenheit, die sich ihrer bemächtigt hatte, schien ihre Schritte zu lähmen. Irgendetwas in Mythor schien zu sagen: »Nicht weitergehen! Kehrt um, bevor es zu spät ist!«

Das Gläserne Schwert Alton glitzerte in Mythors Hand. Kalathee und Sadagar waren dicht hinter ihm. Nottr bildete den Abschluss. Sie gingen den Pier entlang, blickten immer wieder hinüber zu den verlassenen Schiffen, die aus allen Teilen der Welt stammen mussten. Die meisten waren Handelsschiffe, wahrscheinlich noch mit wertvoller Fracht an Bord. Niemand war da, um sie zu löschen oder Tauschgüter zu bringen. Immer stärker wurde der Eindruck, als hätte sich eine unsichtbare Glocke entsetzlicher Stille über Lockwergen gestülpt und jede Regung des Lebens unter sich erstickt. Aber die vielen tausend Bewohner der Stadt, die hier einst arbeiteten und lebten, konnten doch nicht einfach von einem Augenblick zum anderen verschwunden sein – und doch sah es genauso aus, und dieser Eindruck verstärkte sich nun, als Mythor durch die Gassen des Hafenviertels schritt, durch offene Fenster und Türen in leere Räume spähte und verschlossene Türen mit Alton aufbrach.

Alles wirkte so, als wäre alles Lebendige gerade in diesem Augenblick verschwunden und hätte alles so zurückgelassen, wie es war. Es gab keine Anzeichen von Flucht, Panik oder einer Katastrophe. Alles – bis auf das Fehlen von Leben und die unheimliche Stille – wirkte völlig normal.

Kalathee beherrschte sich tapfer. Sie ging an Mythors Seite, und sie würde mit ihm durch alle Höllen gehen, nur um bei dem Mann zu sein, in den sie unsterblich verliebt war. Sadagar redete leise vor sich hin – wohl um wenigstens den Klang seiner eigenen Stimme neben den Schritten der Gefährten hören zu können.

Was war über Lockwergen gekommen?

Das wenige, was Mythor bis jetzt von der Stadt gesehen hatte, reichte aus, um sich eine Vorstellung zu machen, dass sie einst Sitz und Ausgangspunkt von Handel, Wandel und Zufriedenheit gewesen war. Die Menschen, die hier gelebt und gelacht, gefeiert und getrunken hatten, mussten glücklich und ohne Sorgen gewesen sein. Eine solche Stadt entwickelte sich in Zeiten des Friedens. Es gab keine Berge von Unrat, keine beschmutzten Hauswände. Jedes einzelne Haus musste der Stolz seines Besitzers gewesen sein. Eine solche Stadt verließ man nicht freiwillig.

Die Gefährten erreichten einen großen Park hinter dem Hafenviertel. Blühende Bäume und Blumen, wie die vier sie noch niemals gesehen hatten. Bänke um einen Springbrunnen gruppiert. Auf der anderen Seite gab es Geschäfts- und Wirtshäuser. Im Westen ragten die Türme eines Palastes in den klaren Himmel.

Mythor deutete mit dem Schwert auf eines der Wirtshäuser.

»Wir werden jeden Winkel der Stadt durchsuchen, bis wir etwas gefunden haben, und wir beginnen dort.«

Nottr nickte grimmig. Sadagar, der offensichtlich gehofft hatte, dass Mythor seinen Entschluss doch noch ändern und die Rückkehr zum Hafen befehlen würde, wollte protestieren, doch sah er ein, dass er damit nichts erreichen würde. Kalathee würde bei Mythor bleiben und Nottr ebenfalls – aus dem gleichen Grund wie sie. Sadagar hatte wohl die Blicke bemerkt, die er dem zierlichen Mädchen verstohlen zuwarf, wenn Mythor nicht in der Nähe war, und glaubte sie richtig zu deuten.

Die Gefährten hatten den Springbrunnen im Zentrum des Parks noch nicht erreicht, als sie das Geräusch hörten. Mythor erstarrte mitten in der Bewegung.

»Was war das?«, fragte Kalathee flüsternd. »Es ...«

»Still!«

Mythor sah sie nicht an. Sein Blick war starr in die Richtung gerichtet, aus der der Laut gekommen war.

Ein Spuk? Aber die anderen hatten es auch gehört. Lebte doch noch etwas in dieser Geisterstadt?

Da war es wieder. Ein leises, ersticktes Weinen in der absoluten Stille. Es kam von einer Häusergruppe zur Rechten.

»Aber das ist ... ein Kind!«, entfuhr es Sadagar.

Und Kinder waren es bestimmt nicht gewesen, die Lockwergen entvölkert hatten. Der Verdacht, der sich Mythor aufgedrängt hatte, schien also unbegründet gewesen zu sein.

»Kommt!«, rief er den anderen zu. Nottr war bereits auf dem Weg zu den Häusern. Das Weinen verstummte. Erst als die Gefährten auf einer breiten Straße zwischen dem Park und den Gebäuden standen, hörten sie es wieder, diesmal ganz nah.

Es kam aus einem rot angestrichenen Backsteinhaus, dessen Tür offenstand.

Mythor drang ohne Zögern in das Haus ein und durchsuchte die Räume des Erdgeschosses. Wieder war das Weinen verstummt. Nottr fand eine Tür, die in einen Hinterhof führte. Nach einer Minute kam er zurück und schüttelte den Kopf.

»Nichts. Wir müssen nach oben.«

Eine Holztreppe mit verziertem, metallenem Geländer führte zu den oberen Stockwerken hinauf. An den Wänden hingen gerahmte Bilder, die Landschaften und Menschen bei der Arbeit zeigten, in erster Linie Fischer.

Menschen, die lachten.

Gemeinsam durchsuchten die Reisenden Raum für Raum, und immer wieder fanden sie sich schulterzuckend auf den Fluren zusammen, bis nur noch ein Stockwerk übrigblieb.

Kalathee fand das Kind in einer Ecke eines kleinen Zimmers kauernd. Sie rief nach den anderen. Als Mythor erschien, zitterte Kalathee am ganzen Körper.

»Die Augen«, brachte sie kaum hörbar hervor. »Sieh dir ihre Augen an, Mythor. Sie ... sind nicht von dieser Welt ...«

Das Mädchen war schätzungsweise sieben Jahre alt und unglaublich mager. In ihren schmutzigen Kleidern hatte sie gar keine Ähnlichkeit mit den Bewohnern von Lockwergen, wie sie auf den Bildern dargestellt waren – kräftige Männer und wunderschöne Frauen in kostbaren Gewändern.

Doch das interessierte Mythor im Moment nicht. Hier hatten sie jemanden gefunden, der die Katastrophe – oder was immer die Bewohner von Lockwergen hatte verschwinden lassen – überstanden hatte. Jemand, der Antwort auf die vielen quälenden Fragen geben konnte.

Mythor kniete vor dem Kind nieder und legte ihm behutsam die Hände auf die Schultern. Er brachte ein Lächeln zustande.

Das Mädchen nahm ihn nicht einmal wahr. Sein Blick war ins Leere gerichtet, und es schien Dinge zu sehen, die Mythor und seinen Begleitern verborgen blieben. Wieder weinte das Mädchen. Dann schien es so, als wollte es nach jemandem rufen. Die Lippen wollten Worte formen, doch heraus kam nur unverständliches Gestammel.

Es war nicht an Mythor gerichtet. Mythor beobachtete das Gesicht des Kindes schweigend, und es überlief ihn eiskalt, wenn er in die großen Kinderaugen sah, die ein Ziel jenseits des Greifbaren erfasst zu haben schienen. Es war, als wollte das Mädchen zu jemandem reden, der in diesem Raum war und der nicht Mythor, Kalathee, Sadagar oder Nottr hieß.

Alle Versuche Mythors, das Mädchen durch Rütteln an den Schultern oder durch eindringliche Worte in die Realität zurückzuholen, scheiterten. Sie sah ihn nicht, hörte und spürte ihn nicht.

Allmählich erstarb das Schluchzen ganz. Das Kind kauerte sich noch fester in seine Ecke, die Augen unverändert in die Ferne gerichtet.

Nicht von dieser Welt ...

Erschüttert richtete Mythor sich auf.

»Wir suchen weiter!«, entschied er.

Steinmann Sadagar schüttelte heftig den Kopf.

»Lass uns umkehren, bevor es zu spät dazu ist, Mythor. Was immer Lockwergen heimgesucht hat, ist schlimmer als der Tod! Und es wird auch uns ereilen, falls wir ...«

»Möchtest du es im Rücken haben?«, unterbrach Mythor den Steinmann barsch. »Möchtest du, dass es jederzeit wieder geschehen kann, ganz egal, wo wir uns gerade befinden?«

»Glaubst du denn, die verschwundenen Menschen zurückbringen zu können, indem wir hier unser Leben aufs Spiel setzen? Glaubst du, du kannst sie retten?«

Mythor sah finster aus dem einzigen Fenster des Zimmers, hinab auf den Park, auf leere Straßen und Häuser. Im Westen war von hier aus ein Teil des Palastes zu erkennen, dessen Türme er schon gesehen hatte.

»Sie nicht, Steinmann. Aber vielleicht andere. Vielleicht uns.«

Mythor dachte an die Caer und ihre Priester. Im Hafen hatten keine Caer-Schiffe gelegen, es sei denn, ihre Besatzungen hätten sie gut versteckt. Doch auf dieser Insel lag das Machtzentrum der Caer.

Alles, was Mythor bisher von Lockwergen gesehen hatte, sprach dagegen, dass die Stadt in der Vergangenheit Kontakt mit den finsteren Mächten aus der Dunkelzone gehabt hatte.

2.

Während Mythor, Kalathee, Nottr und Sadagar sich daranmachten, jedes Gebäude Lockwergens zu durchsuchen, näherte sich der Stadt von Süden her auf dem Landweg eine wilde, zusammengewürfelte Horde, eine Spur aus Tod und Verwüstung nach sich ziehend. Von wo sie kam, brannten ganze Dörfer und lagen einsame Gehöfte in Trümmern. Sie bestand aus Männern und Frauen übelster Sorte, Banditen und Plünderern, Räubern und Mördern, die vielen verschiedenen Völkern entstammten. An ihren Waffen klebte das Blut jener, die nicht frühzeitig genug davor gewarnt worden waren, dass der Einäugige Goltan mit seinen Peitschenbrüdern wieder auf Raubzug war.

An der Spitze der Horde marschierte ein Gigant, dessen Körper allein aus Muskelpaketen und Fettmassen zu bestehen schien. Er hatte nur ein Auge. Wo das andere sitzen sollte, klaffte eine hässliche leere Höhle. Er war bekleidet mit dem Fell eines grauen Bären, das seine Brust zur Hälfte bedeckte und bis zu den Knien reichte. Es wurde von einem zehn Zentimeter breiten Ledergürtel gehalten. Der Kopf des Giganten war kahlgeschoren. Schweiß glänzte im Licht der Sonne.

Dieser Mann war Goltan – Goltan, der Einäugige, Goltan mit der Peitsche.

Jedes der fünfzig Mitglieder seiner Bande trug eine Peitsche, doch sie alle waren nur erbärmliche Nachbildungen der Waffe in Goltans Hand. Es ging das Gerücht, dass Goltans Peitsche einstmals ein magisches Werkzeug des Lichtes gewesen sei, das in den Händen des Riesen unter dessen schrecklichem Einfluss pervertiert war. Hatten ihr einmal positive magische Kräfte innegewohnt, so hatten sich diese in ihr Gegenteil verkehrt.