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Gute Sexualität – Ein Buch über Nähe, Lust und das Menschsein Was bedeutet es, eine erfüllte Sexualität zu leben – heute, in einer Welt voller Widersprüche, Leistungsdruck und glitzernder Ideale? Warum fällt es oft leichter, über Rückenschmerzen zu sprechen als über die eigene Lust? Und wie können wir wieder in Kontakt kommen mit dem, was wir wirklich wollen – und brauchen? Dieses Buch nimmt dich mit auf eine Reise durch intime Lebensgeschichten, gesellschaftliche Abgründe, zarte Utopien und überraschende Aha-Momente. Es ist kein klassischer Ratgeber mit Patentlösungen, sondern ein erzählendes Sachbuch – klug, nahbar, manchmal schmerzhaft ehrlich, oft augenzwinkernd und immer menschenfreundlich. Im Zentrum stehen Geschichten: von Lena, die jahrelang Sex hatte, aber sich selbst dabei verlor. Von Tom, dessen Pornokonsum zur Ersatzbeziehung wurde. Von Mara, die mit 54 ihre Lust neu entdeckt. Von Clara, Jan & Lukas, Martin, Hannelore und vielen anderen. Sie alle geben Einblick in ihre Kämpfe, Sehnsüchte, Irrtümer – und in das, was heilt. Ergänzt werden diese Geschichten durch Reflexionen über die Wurzeln unserer Sexualkultur: Von den Göttinnen der Vorzeit über kirchliche Moralvorstellungen bis zur Pornoindustrie der Gegenwart. Wie prägt uns das alles – oft unbewusst – bis ins Bett hinein? Und wie können wir uns davon emanzipieren, ohne ins andere Extrem zu kippen? Dabei bleibt das Buch nicht in der Kritik stecken. Es lädt ein zum Experimentieren, Spüren, Verstehen. Es fragt: Wie kann Heilung geschehen, wenn Scham sich wandeln darf? Was bedeutet gute Sexualität jenseits der Norm – für Menschen mit Behinderung, im Alter, in queeren Beziehungen oder jenseits starrer Rollenbilder? Ein Buch für alle, die neugierig sind – auf sich selbst, auf andere, auf das, was Lust wirklich sein kann: lebendig, widersprüchlich, beziehungsstiftend. Vielleicht auch politisch. Und ganz sicher: menschlich.
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Seitenzahl: 171
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Merlyn Falk
Na, war ich gut?
Über den Autor
Merlyn Falk, Anfang 60, Vater von drei Kindern, Motorradfahrer mit Hang zur Nordsee und bekennender Fantasy-Fan, stellt sich einer der größten Herausforderungen unserer Zeit: über guten Sex zu sprechen – ehrlich, respektvoll und mit einem Augenzwinkern.
Aufgewachsen in einem konservativen, religiös geprägten Elternhaus in Oberbayern, kennt er die Sprachlosigkeit rund um Lust und Scham aus erster Hand. Heute schreibt er über das, worüber früher geschwiegen wurde – aus Erfahrung, Neugier und dem tiefen Wunsch nach einer menschlicheren, heilsameren Sexualkultur.
Dieses Buch ist keine Anleitung. Es ist eine Einladung – zum Denken, Fühlen, Lachen und vielleicht auch zum Umdenken.
Merlyn Falk
Na, war ich gut?
Ein Buch über gute Sexualität – und wie wir dahin kommen
Ratgeber
Texte: © 2025 Copyright by Merlyn Falk
Umschlaggestaltung: © 2025 Copyright by Merlyn Falk
Verlag:
Merlyn Falk
Herstellung: epubli – ein Service der neopubli GmbH,
Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung:
Dieses Buch wäre ohne meine Lebensgefährtin, Beraterin und Freundin nicht denkbar: Anea.
Nicht nur, weil sie mich über Jahre hinweg mit der Geduld eines buddhistischen Mönchs (mit gelegentlichen Feuerzungen) begleitet hat, sondern weil sie mir etwas zutiefst Wertvolles geschenkt hat: die Herausforderung, über meine Grenzen hinauszudenken.
Sie hat mir den Mut gegeben, mich mit Dingen auseinanderzusetzen, die ich früher gerne weggeschoben habe – Psychologie, Beziehungsdynamiken, spirituelle Fragen, die feinen Zwischentöne von Intimität und Freiheit, das Matriarchat (!), und eine andere Sicht auf Religion und Menschsein.
Es war nicht immer einfach. Ich war oft stur, rechthaberisch, und manchmal so verkopft, dass ich mein Herz nicht mehr hörte. Anea hat viel davon mitgetragen – manchmal zu viel. Und doch: Sie blieb. Offen, herausfordernd, inspirierend.
Heute weiß ich, wie sehr ich ihr verdanke, dass ich mich überhaupt auf diese Reise eingelassen habe. Ohne sie hätte ich vielleicht ein Buch über Netzwerktechnik geschrieben.
Danke, Anea. Für dein Wesen, deine Klarheit, deine Wärme – und deine unermüdliche Bereitschaft, mich nicht aufzugeben.
Ich widme dir nicht nur diese Seiten, sondern auch die vielen Gedanken dazwischen, die nie aufgeschrieben wurden.
Mit tiefer Dankbarkeit
Merlyn
„Sie hat mich nicht verändert. Sie hat mich erschüttert – bis ich mich selbst bewegt habe.“
[ungekannt – vielleicht von mir]
„Und manchmal ist es ein Mensch, der dein ganzes Weltbild umkrempelt – und du denkst: Danke, dass du nicht aufgegeben hast.“
[ungekannt)
Ich rede über Sex. Laut. Und schriftlich. Und ja – das ist noch immer eine kleine Provokation. Allein das zu sagen, löst erstaunlich viel aus. Die einen nicken neugierig. Andere werden rot, schauen schnell weg, sagen "schon wieder eins" oder flüstern verschwörerisch: „Mutig.“
Ich habe dieses Buch nicht geschrieben, weil ich „die Wahrheit“ kenne. Auch nicht, weil ich ein besonders gutes Sexleben vorweisen möchte (was auch immer das heißen soll). Ich schreibe, weil ich neugierig bin. Und weil mich ein Gespräch mit einer guten Bekannten nicht mehr losgelassen hat.
Wir saßen in ihrer Küche, zwei Tassen Kaffee zwischen uns, draußen regnete es in Strömen. "Weißt du," sagte sie und schaute mich ernst an, "ich hatte in meinem Leben Sex mit mehr als einem Dutzend Männern – und trotzdem habe ich mich fast nie wirklich gespürt dabei." Ich war kurz still. Dann sagte ich: "Das kenne ich." – "Warum reden wir da eigentlich nie drüber?" fragte sie. Und dann kam dieser Satz, der sich in mein Hirn eingebrannt hat: "Vielleicht, weil wir nicht gelernt haben, dass Sex auch etwas mit uns zu tun hat."
Dieser Moment hat etwas in mir in Bewegung gesetzt. Ich wollte mehr wissen. Mehr verstehen. Und irgendwann: mehr schreiben. Über Menschen, über Geschichten, über das, was zwischen Haut und Herz geschieht – und über das, was oft eben nicht geschieht, obwohl wir es uns so sehr wünschen.
Ich selbst habe lange gebraucht, um zu merken, wie viel antrainierte Rollen, Erwartungen und unausgesprochene Ängste meine eigene Sexualität geprägt haben. In meinen Zwanzigern wollte ich es „richtig machen“ – was auch immer das bedeutete. Ich war oft mehr damit beschäftigt, gut zu sein, als wirklich da zu sein. Mehr damit beschäftigt, zu funktionieren, als zu fühlen. Erst Jahre später, nach einer gescheiterten Beziehung, die äußerlich gut lief, aber innerlich still war, fing ich an, genauer hinzuschauen.
Erst im reiferen Alter – nennen wir es charmant: in der zweiten Lebenshälfte – wurde mir klar, dass Sex etwas völlig anderes ist, als ich dachte. Kein Beweis, keine Technik, keine Pflichtveranstaltung. Sondern etwas, das mit Präsenz zu tun hat. Mit Mut, sich selbst zuzumuten. Und mit der Fähigkeit, still zu werden – auch innerlich.
Ich erinnere mich noch gut an ein Gespräch mit einem Freund bei einem Glas Rotwein. Er sagte: „Ich glaube, wir alle haben Sex gelernt wie ein Schulfach – Theorie top, Gefühl eher Nebensache.“ Dieser Satz hat mich lange begleitet. Und wie viele Menschen habe ich dabei manchmal schlichtweg vergessen, dass Lust auch etwas Spielerisches, Zartes, Unperfektes sein darf.
Es gab keine Erleuchtung, keine große Wende. Aber es gab Momente – manchmal peinlich, manchmal traurig, manchmal überraschend komisch – die mir gezeigt haben: Ich bin nicht allein. Und ich muss nicht alles richtig machen, um es richtig zu spüren.
Vielleicht hast du ja auch manchmal das Gefühl: Irgendwas stimmt nicht. Oder nicht mehr. Oder nie wirklich. Vielleicht hast du großartige Nächte erlebt – und trotzdem bleibt da ein leiser Zweifel: War das wirklich alles? Vielleicht kennst du den Druck zu performen, zu gefallen, zu funktionieren. Oder du hast dich an etwas angepasst, das sich eigentlich nie gut angefühlt hat. Willkommen im Club.
Ich glaube nicht an Patentrezepte. Aber ich glaube an Geschichten. An ehrliche, schiefe, berührende Geschichten, die etwas in uns zum Klingen bringen. In diesem Buch findest du sie: Die 29-jährige Lena, die Sex hatte, aber nie sich selbst. Tom, der mit seinem Porno mehr Intimität teilt als mit seiner Frau. Clara, die zwischen Lust und Anstand schwankt und ihre Identität neu verhandelt. Jan und Lukas, die streiten, um sich näherzukommen. Mara, die in den Wechseljahren endlich aufblüht, weil der Druck, begehrenswert sein zu müssen, endlich nachlässt. Und Martin, der spürt: Funktionieren reicht nicht mehr – er will fühlen.
Ich glaube auch daran, dass wir unsere Sexualität nicht „optimieren“, sondern entdecken sollten – wie einen unaufgeräumten Dachboden voller Überraschungen. Manches ist verstaubt, anderes macht Angst. Aber wer bereit ist, hinzuschauen, findet manchmal echte Schätze. Oder wenigstens ein paar Dinge, die man endlich getrost aussortieren kann.
Vielleicht ist gerade jetzt der richtige Moment, über gute Sexualität zu sprechen. Weil wir in einer Welt leben, in der alles verfügbar scheint – außer echter Nähe. Weil wir Körper zeigen, aber kaum noch bewohnen. Und weil das, was wir als normal gelernt haben, oft wenig mit uns zu tun hat.
Und ja, es gibt auch dunkle Ecken. Toxische Dynamiken, emotionale Manipulation, schambehaftete Stille. Auch das gehört dazu. Und gerade deshalb verdient das Thema mehr als eine Lifestyle-Checkliste oder gut gemeinte Ratschläge aus irgendeiner Frauenzeitschrift.
Ich schreibe dieses Buch für alle, die sich wieder spüren wollen. Die aufhören möchten, Sex als Pflicht, als Beweis, als Tauschgeschäft zu begreifen. Für alle, die sich fragen, ob es da nicht noch etwas anderes gibt: mehr Tiefe, mehr Echtheit, mehr Nähe – zu sich selbst und zum anderen. Für die Freundin, die sich fragt, warum sie nie Lust hat. Für den Freund, der sich nicht traut, über seine Sehnsüchte zu sprechen. Für dich – falls du beim Lesen dieser Zeilen ein leises „Ja“ spürst. Und ich schreibe es auch für uns – weil ich glaube, dass wir als Gesellschaft eine neue Sprache brauchen, wenn wir von Lust, Intimität und Würde reden wollen.
Und ich schreibe auch für mich. Weil ich, je tiefer ich in dieses Thema eintauche, merke: Das ist keine Nebensache. Es ist unsere Lebendigkeit. Und ich will nicht länger auf Sparflamme leben.
Also: Lass uns reden. Ehrlich, unaufgeregt, mit Humor. Und vielleicht auch mit einem leichten Kribbeln. Lass uns hinschauen, wo es weh tut – und lachen, wo es peinlich wird. Lass uns forschen statt vorspielen. Du kannst dieses Buch jederzeit weglegen – aber wenn du bleibst, verspreche ich dir: Es wird nicht langweilig.
Denn eines kann ich dir schon verraten: Es wird spannend. Und vielleicht, ganz vielleicht, wird es auch richtig gut.
Mit Neugier, Respekt und einem Hauch Unverschämtheit,
Merlyn Falk
Wie wir wurden, wer wir sind – Ein kleiner Exkurs
Fun-Fact: Die älteste bekannte Statue einer nackten Frau mit betonten Rundungen ist über 30.000 Jahre alt – und wurde von Archäologen liebevoll 'Venus' genannt. Vielleicht hatten unsere Vorfahrinnen schon ein besseres Körperbild als wir heute?
Willkommen im Land der Hüftschwünge und Fruchtbarkeits-Schnitzereien
Bevor Tinder, Tantra-Retreats und Paartherapie unseren Sex erklärten (oder verkomplizierten), tanzten Menschen um Feuerstellen, bemalten ihre Genitalien mit roter Erde – und beteten zur großen Mutter. Nein, nicht zur Schwiegermutter. Zur Urmutter. Der Göttin mit den breiten Hüften und dem freundlichen Bauchansatz.
Wir reden hier von einer Zeit, in der Cellulite vermutlich als Zeichen göttlicher Fülle galt. Und der weibliche Körper nicht „optimiert“, sondern verehrt wurde. Willkommen im prähistorischen Matriarchat – der Ära, in der Lust und Leben noch zusammengehörten wie Datteln und Ziegenmilch.
Die Venus von Willendorf – Göttin der Kurven und der stillen Rebellion
Sie ist gerade mal 11 Zentimeter groß, aber sie hat es in sich: Die Venus von Willendorf, eine kleine Figurine aus Kalkstein, ist vermutlich älter als alle biblischen Geschichten zusammen. Und obwohl sie kein Gesicht hat, strahlt sie eine Selbstverständlichkeit aus, die heute fast provokant wirkt.
Ihre Brüste sind nicht „wohlgeformt“, sondern überbordend. Ihre Hüften schreien nicht „Size Zero“, sondern „Ich habe den Winter überlebt – und meine Nachkommen auch“. Eine Königin der Fülle. Oder, wie Almut – Archäologin in Rentnerinnenblüte – einmal beim Museumstag in Wittenberg sagte: „Das war noch 'ne Frau, keine Influencerin!“
Randnotiz: Archäologen des 19. Jahrhunderts hielten die Figur für einen Fruchtbarkeitskult. Moderne Forschende meinen: Vielleicht war’s einfach ein Selbstporträt – aus Sicht nach unten. Kunst mit Bauchgefühl.
Szenische Miniatur
Ein Kind sitzt vor dem steinzeitlichen Herdfeuer. Die Großmutter drückt ihm eine kleine, schwere Figur in die Hand. „Wenn du sie ansiehst“, sagt sie, „wirst du dich erinnern, wie das Leben funktioniert.“
Und das Kind sieht – weiche Rundungen, keine Ecken, keine Angst.
Was wäre, wenn …? Ein kurzer Zeitsprung mit Paul
Stellen wir uns vor, Paul (34), IT-Spezialist und gelegentlich verunsicherter Single, wacht eines Morgens auf – in der Altsteinzeit.
Er öffnet die Augen und sieht eine Frau, bemalt mit Spiralen, die ihm einen Becher aus Horn reicht und murmelt: „Der Mond steht günstig. Heute ist das Fest der flutenden Lust.“ Paul, der noch an sein letztes Date mit PowerPoint-Präsentation denkt, stammelt: „Also… ich hab da so ein Meeting...“ Doch die Frau lacht nur, tanzt davon – und Paul fragt sich, ob „Sexualtherapie“ in dieser Welt wohl überflüssig ist.
Ein kurzer Zwischenruf aus dem Jenseits
Interview mit Inanna, Göttin der Liebe, Lust und Macht
Frage: Frau Inanna, wie sehen Sie die heutige Sexualkultur?
Inanna (kaut auf einer Dattel): „Ihr habt den Sex in Tabellen gepresst. Stellungen, Bewertungen, To-do-Listen. Bei uns war das... nun ja: Ekstase, Ernte, Ekologie. Und keine Apps.“
("Ekologie" ist eine absichtliche, humorvolle Schreibweise von "Ökologie" – sie spielt mit der Alliteration und verweist darauf, dass Sexualität in alten Kulturen Teil eines natürlichen, ökologischen Ganzen war)
Die Göttin war keine Jungfrau – und das war auch gut so
In matriarchalen Kulturen war Sexualität kein Problem. Sie war auch keine Währung, kein Druckmittel, kein Beweisstück. Sie war ein Teil des Lebens – so wie Ernte, Regen oder Schnupfen. In Die Göttin und ihr Heros beschreibt Heide Göttner-Abendroth, wie die Liebesakte in Ritualen zelebriert wurden – öffentlich, bewusst, rituell.
Ein Beispiel: Das „Heilige Hochzeit“-Ritual in Sumer. Der König vereinigt sich mit der Priesterin der Inanna – nicht aus Geilheit, sondern aus kosmischem Pflichtgefühl. Der Akt stellt die Fruchtbarkeit der Felder sicher. (Und ja, vermutlich hat man sich auch dabei amüsiert.)
Lust weltweit – ein kleiner Blick über den Tellerrand
Auch außerhalb Europas gab (und gibt) es Kulturen, in denen Lust als spirituelle Praxis gelebt wird: Die tantrische Verehrung von Yoni und Lingam in Indien, die erotische Symbolik indigener Andenvölker oder die polynesischen Lieder über das Liebesspiel. Vielleicht ist Lust ja universeller, als uns unsere Lehrpläne glauben machen wollen?
Tanzende Priesterinnen und männliche Fruchtbarkeit – ja, auch das!
Übrigens: Männer kamen nicht zu kurz. Im Gegenteil. Ihre Fruchtbarkeit war genauso wichtig – und wurde mit vergleichbarem Enthusiasmus gefeiert. Nur halt ohne toxisches Muskelposieren. Sondern eher mit Flötenmusik und rhythmischem Beckenkreisen.
Stell dir Olaf (51), Fußballtrainer mit leichten Rückenschmerzen, im Gewand eines neolithischen Dorfoberhaupts vor. Statt Bierbauch-Witze gibt’s für ihn ein „Fest des Heros“, bei dem seine Erektion nicht als Peinlichkeit, sondern als Zeichen göttlicher Gunst gilt. Plötzlich wird alles ein bisschen... entspannter.
Der Untergang der Lustkultur – oder: Adam hat's vermasselt
Doch irgendwann kippte die Sache. Der Mensch wurde sesshaft. Besitz wurde wichtig. Und dann – oh je – kam die Idee auf, dass man doch bitte wissen wolle, wessen Kinder da so rumliefen. Patriarchat ahoi.
Statt Liebesfesten gab’s jetzt Keuschheitsgürtel. Statt Göttinnenpriesterinnen männliche Götter mit Blitzen. Und irgendwann kam auch noch ein Apfel ins Spiel.
Thomas Laqueur beschreibt in Auf den Leib geschrieben, wie ab der Antike die Körper immer mehr zu Projektionsflächen für Moral, Kontrolle und Scham wurden. Vorbei die Zeiten, in denen der Schoß heilig war. Jetzt war er „gefährlich“. Und Lust? Ein Fall für die Beichte.
Ein feministischer Witz zwischendurch
Wie nennt man eine Gesellschaft, in der Sex nur im Dunkeln, ohne Geräusche und nur zur Fortpflanzung stattfinden darf?
Richtig: die westliche Vormoderne. (Oder: Der Traum konservativer Moraltheologen.)
Von der Wüste zur Wiese: Alaya und ihr Quellfest
Kommen wir zurück zu Alaya. Mitte 40, Yogalehrerin, ehemalige Unternehmensberaterin. Sie lebt inzwischen in einem Ökodorf mit Namen „Lichtquellhain“ (kein Witz). Einmal im Jahr organisiert sie das Quellfest: eine Mischung aus Sommersonnenwendritual, Nacktbaden und bewusstem Kuscheln.
„Ich will nicht zurück in die Steinzeit“, sagt sie lachend, „aber ich will auch nicht weiter in dieser Erregungsökonomie leben, in der jeder Orgasmus optimiert werden muss.“
Beim Quellfest geht es nicht um Sex im herkömmlichen Sinn. Es geht um Nähe, um Körper, um Spiel. Um das, was wir verlernt haben, aber eigentlich mal wussten.
Was wäre, wenn wir wieder feiern, statt funktionieren?
Vielleicht ist das das Geheimnis der alten Kulturen: Sie funktionierten nicht über Leistung, sondern über Verbindung. Sexualität war kein Tool, kein Mittel zum Zweck – sondern ein Teil des Rhythmus des Lebens. Wie Atmen. Wie Schlafen. Wie Singen.
David Schnarch betont in Die Psychologie sexueller Leidenschaft, wie wichtig emotionale Verbundenheit für tiefe sexuelle Erfahrung ist – nicht die Technik, nicht die Stellung, nicht die Quantität. Und vielleicht wussten das unsere Vorfahren intuitiv.
Ein Brief an die Venus
Liebe Venus,
Du schaust mich nicht an. Aber ich spüre, du hast mich gesehen.
Du kanntest meinen Körper, bevor ich lernen musste ihn zu verstecken. Deine Falten, dein Bauch, deine üppige Brust – all das war nie Problem, sondern Antwort.
Ich danke dir, dass du einfach da bist. Klein. Rund. Und unbeirrbar.
Fazit: Ein bisschen Venus für alle
Wir werden das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Und das müssen wir auch nicht. Aber wir können erinnern, anerkennen – und uns neu ausrichten.
Vielleicht braucht es keine neue Revolution, sondern ein liebevolles Revival. Mehr Quellfeste, weniger Pornodialoge. Mehr Lust im Alltag, weniger Leistungsdruck im Schlafzimmer.
Und vor allem: mehr Humor. Denn nichts entwaffnet Scham schneller als ein ehrliches, gemeinsames Lachen. (Am besten nackt. Am Lagerfeuer. Mit Venus im Gepäck.)
Literaturtipp zum Weitergraben (und vielleicht auch zum Träumen)
Für alle, die tiefer in die Denk- und Erfahrungswelten matriarchaler Kulturen eintauchen möchten, sei besonders Heide Göttner-Abendroth empfohlen – eine Pionierin der modernen Matriarchatsforschung. In Das Matriarchat – Geschichte seiner Erforschung dekonstruiert sie nicht nur das Klischee von „herrschenden Frauen“, sondern eröffnet einen faszinierenden Blick auf Gesellschaften, in denen Fürsorge, Verbundenheit und sexuelle Selbstbestimmung im Zentrum standen.
Und wer sich lieber erzählend, poetisch und mit naturphilosophischer Tiefe dem Thema nähern will, dem sei Andreas Webers Lebendigkeit – Eine erotische Ökologie ans Herz gelegt. Ein Buch, das sinnlich wie ein Barfußspaziergang im Morgentau ist – und dabei genauso politisch wie persönlich.
Denkanstoß zum Weiterwandern
Was, wenn du heute – ganz ohne Tempel, Trommel oder Tontafel – deinem Körper einmal so begegnen würdest, wie unsere Ahnen ihn vielleicht sahen? Nicht als Baustelle, nicht als Projekt, sondern als Landschaft. Mit Hügeln, Senken, Quellen und Wegen, die nicht effizient sein müssen, sondern lebendig.
Ausblick:
Im nächsten Kapitel begegnen wir zwei alten Bekannten: Adam, Eva und dem Schlamassel, den Moral, Religion und Apfelscham in unser Liebesleben getragen haben. Eine kleine Geschichte von Schuld, Lustverbot und der langen Reise zur Selbstermächtigung.
„Früher beteten wir zur Göttin, wenn wir guten Sex wollten. Heute fragen wir Google, ob wir normal sind.“
[anonymer Tempelgraffiti-Fund
in einem modernen Badezimmer]
Was wäre, wenn alles, was wir über den Anfang der Menschheit gelernt haben, ein bisschen... überdramatisiert wurde?
Vielleicht war es gar keine große Sünde – sondern nur der erste dokumentierte Fall von Neugier mit Nebenwirkungen.
Ein Garten, zwei Körper, viele Geschichten
Stellen wir uns vor, Eva erzählt. Nicht in frommer Haltung, sondern mit einem skeptischen Grinsen in der Stimme:
„Ich war nackt. Er auch. Und alles war gut – bis diese Sache mit dem Apfel kam. Danach hieß es plötzlich: ‚Schäm dich!‘ Und ich dachte: Wofür eigentlich?“
So beginnt unsere Reise. In einen Mythos, der oft als Geburtsstunde von Schuld, Scham und Lustverdrängung inszeniert wird. Die Geschichte von Adam und Eva – vielen bekannt aus Kindergottesdienst und Kulturgeschichte – ist mehr als ein religiöses Märchen. Sie ist ein kultureller Gründungsmythos, der bis heute nachwirkt wie ein ungebetener Beziehungsratgeber.
Der Apfel war nur der Anfang – Moral als Machtinstrument
Die Erzählung aus dem Alten Testament ist ein Paradebeispiel dafür, wie Sexualität mit Schuld verknüpft wurde – und wie aus einem neugierigen Akt (die Frucht der Erkenntnis!) ein moralisches Vergehen gemacht wurde. Interessanterweise ist es Eva, die in dieser Geschichte zur Sündenverursacherin stilisiert wird. Und Adam? Der sagt wenig, macht aber mit – und wird trotzdem seltener zur Rechenschaft gezogen. Klassische Rollenverteilung: Sie verführt, er erliegt.
Diese Erzählung wurde in der Folgezeit nicht nur religiös ausgeschlachtet, sondern auch politisch und gesellschaftlich instrumentalisiert. Wer Kontrolle über Sexualität hat, hat Kontrolle über Körper, Rollen, Familien – und damit über ganze Gesellschaften.
Kirchenväter, Keuschheitsgürtel und Körperfeindlichkeit
Spulen wir ein paar Jahrhunderte weiter: Der Kirchenvater Augustinus erklärte Sexualität zur Erbsünde, Begehren zum Problem und Keuschheit zur Tugend. Der Körper wurde zum Schlachtfeld zwischen heilig und sündig, Lust zum Verdacht. Frauen galten als verführerisch, Männer als zu schwach, um zu widerstehen. Das Ergebnis: ein ganzer Kanon an Regeln, Normen und Strafkatalogen.
Besonders perfide: Die Gleichsetzung von weiblicher Lust mit Gefahr. Hexenverfolgung, Keuschheitsgürtel, Klosterhaft – all das war kein kurioser Irrsinn des Mittelalters, sondern Ausdruck tief verwurzelter Angst vor weiblicher Selbstbestimmung. Der weibliche Körper sollte beherrscht, nicht befreit werden.
Sexuelle Moral als Kontrollinstanz – auch heute noch?
Natürlich leben wir heute nicht mehr im Mittelalter (auch wenn mancher Schulbuchverlag das zwischendurch vergessen haben mag). Und doch wirken viele dieser Denkweisen weiter – in unseren Gesetzen, Erziehungsidealen, religiösen Dogmen, aber auch in subtilen kulturellen Codes. Warum sonst wird weibliche Lust oft noch als „schlampig“, männliche hingegen als „normal“ bezeichnet? Warum kämpfen queere Menschen bis heute um Anerkennung? Und warum um Himmels willen ist Selbstbefriedigung immer noch ein Tabuthema in vielen Familien?
Zwischen Bibel und Biologie – ein anderer Blick
Es wäre zu einfach, Religion allein verantwortlich zu machen. Das „Schlamassel“ beginnt nicht nur im Alten Testament, sondern zieht sich durch die ganze Menschheitsgeschichte – mit jeweils neuen Gewändern. Auch Wissenschaft und Medizin waren nicht immer die Freunde der freien Sexualität. Hysterie galt bis ins 20. Jahrhundert als weibliches Krankheitsbild. Und Masturbation wurde noch im 19. Jahrhundert als Ursache für Rückgratverkrümmung oder Geisteskrankheit diagnostiziert – ja, wirklich!
Was uns das sagt? Dass die Bewertung von Lust und Sexualität weniger mit Biologie als mit Weltbild zu tun hat.
Fiktive Begegnung: Joseph (64), ehemaliger Religionslehrer
„Ich habe jahrzehntelang Enthaltsamkeit gepredigt. Nicht, weil ich überzeugt war – sondern weil ich Angst hatte. Vor mir selbst. Vor meiner Lust. Ich dachte, Gott will das so. Erst in der Rente hab ich gemerkt: Vielleicht wollte er, dass ich ehrlich bin.“
Josephs Geschichte ist nicht einzigartig. Sie steht exemplarisch für eine Generation – oder besser: mehrere –, die mit einem tiefen Misstrauen gegenüber der eigenen Körperlichkeit aufgewachsen ist. Und oft mit der Frage zurückblieb: Was hätte ich gelebt, wenn ich nicht so viel unterdrückt hätte?
Jenseits von Eden: Ein Blick in andere Paradiese