Nach den Fähren - Thea Mengeler - E-Book
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Nach den Fähren E-Book

Thea Mengeler

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Beschreibung

"Vielleicht morgen, sagt der Hafenwärter. Vielleicht kommen die Fähren morgen wieder." Auf einer vormals beliebten Urlaubsinsel bleiben mit einem Male die Fähren aus und mit ihnen die Urlauber. Das Leben kommt zum Stillstand, die meisten Bewohner verlassen die Insel, nur ein paar wenige harren aus. Hoffend auf eine Rückkehr der Fähren und isoliert voneinander gehen sie den immergleichen Tätigkeiten nach. Das Leben dieser Übriggebliebenen ändert sich erst, als ein Mädchen namens Ada auf unerklärliche Weise im Sommerpalast erscheint und die Nähe zu dem ehemaligen Hausmeister sucht. Ihre Fragen nach seiner Vergangenheit und nach der der Insel führen zu einem Umbruch, der auch dann nicht mehr aufzuhalten ist, als Ada so plötzlich verschwindet, wie sie aufgetaucht ist. Mehr und mehr verweben sich die Geschichten der Figuren, die beginnen, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen - und mit der Frage, ob eine Rückkehr der Fähren überhaupt wünschenswert ist. Thea Mengelers Roman erzählt von privaten und gesellschaftlichen Machtverhältnissen, vom (Über-)Tourismus und von den Prozessen der Rückeroberung des eigenen Lebens, des eigenen Lebensraumes. In ihrer knappen, aber feinfühligen und präzisen Sprache schildert sie die Geschehnisse auf der Insel und das Innenleben ihrer Figuren, deren Lebensentscheidungen auf dem Prüfstand stehen.

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Thea Mengeler

Nach den Fähren

Roman

Inhalt

Umschlag

Titel

Nach den Fähren

Impressum

Einige Verluste

Der Hafen hat lange keine Fähre gesehen, seit Jahren nicht.

Die Geschäfte an der Promenade sind geschlossen.

Das mit den Schwimmreifen und dem Sandspielzeug.

Das mit den Badeanzügen.

Das mit den gemusterten Strandtüchern.

Das mit den geschnitzten Schüsseln.

Das mit den Pfauentaschen, Pfauenkleidern, Pfauentüchern.

Das mit den Postkarten.

Das mit den Olivenölseifen.

Das mit den Muschelketten und den Armbändern aus Leder.

Keine Touristen mehr in den Cafés, in den Fischrestaurants, den Bars. Keine Kellner mehr in weißen Hemden, kein Ananasverkäufer am Strand. Keine Schirme. Keine Liegen. Selbst die Möwen, die meisten von ihnen, haben sich aufgemacht zu anderen Ufern, vermüllteren Stränden.

Der Sommerpalast

Am Morgen zwei Scheiben geröstetes Brot, eine Tomate aus dem Garten, ein Glas Tee.

Auf einem Tablett nimmt der Hausmeister sein Frühstück mit nach draußen, sitzt unter dem einzigen Schirm am leeren Pool. Einige Blätter auf den blauen Fliesen, etwas Sand, eine einzelne Pfauenfeder. Er sollte den Pool reinigen, morgen vielleicht. Die Fugen schrubben, bis sie die blauen Flächen wieder sauber voneinander trennen.

Der Sommerpalast ist nicht immer ein Hotel gewesen. Eine adlige Familie hatte ihn bauen lassen, um die Sommer hier zu verbringen. Ihre Porträts hängen noch immer in der Galerie. Reihen von Gesichtern, die sich zu ähnlich sehen. Wie fehlerhafte Kopien des immer gleichen Bildes.

Die Familie wurde abgeschafft, der Adel selbst wurde abgeschafft, und aus dem Sommerpalast wurde ein Hotel für alle, die zwar keinen Titel hatten, aber ein Vermögen. Was blieb, waren die Porträts, war die Bibliothek mit den ledergebundenen Büchern, waren Pfauen im Garten. Die Gäste mochten es, dass die Vögel durch den Garten streiften und dass es Federn zu finden gab auf den Wegen.

Als später die weniger reichen Touristen kamen, als man ihnen Hotels und Apartments baute unten am Strand, stickte man grün schillernde Augen auf billige Stoffe, machte Kleider daraus und Taschen, damit auch sie etwas mitzubringen hatten von der Insel.

Die Touristen sind lange fort, doch die Pfauen verstreuen noch immer ihre Federn im Garten.

Der Hausmeister dreht sich zum Sommerpalast, ohne zu wissen, warum. Als wäre da eine Bewegung gewesen hinter den Fenstern, ein Blick durch dunkle Vorhänge. Doch nichts rührt sich, bloß eine Taube fliegt auf vom Dach.

Das gelbe Haus

Die Frau des Generals pfeift, und die Pferde kommen. Gemächlich treten sie aus dem Wald heraus, trotten herüber zu ihr, legen die Nüstern in ihre geöffneten Handflächen. Erst dann machen sie sich über das Futter her, senken die Köpfe in den steinernen Trog.

Damals hatten sie immer gehetzt ausgesehen. Als man sie täglich vor die Kutschen spannte, um Touristen über die Insel zu befördern. Steif nach oben gereckt hielten sie die Köpfe, schienen jeden Moment ausbrechen zu wollen, liefen aber im gleichbleibenden Trott dahin, auch wenn die Hüftknochen fast durch das dünne Fell stachen.

Ihre Besitzer verließen die Insel, ließen die Tiere stehen im Gespann. Als die Frau des Generals sie endlich aus dem Geschirr befreite, staksten sie auf steifen Beinen davon.

Wie jeden Morgen ruft sie das ruhigste der Pferde heran, sattelt es, gibt ihm einen Apfel zu fressen. Dann holt sie den General.

Seine Schritte sind zögerlich, als müsste er bei jedem Schritt von Neuem die Entscheidung treffen, ob er wirklich den Fuß heben sollte. Vielleicht ist es die Angst vor Landminen, die es auf anderen Inseln gab, zu anderen Zeiten. Vielleicht ist es bloß das Alter.

Nur mit Mühe hievt sie ihn auf das Pferd. Doch einmal im Sattel, richtet er sich auf und sein Gesicht nimmt die alte Ernsthaftigkeit an. Und gegen die Würde, die er dort oben ausstrahlt, kommt nicht einmal der Bademantel an, den er jetzt immer trägt. Oder die dürren, spärlich behaarten Beine, die daraus hervorschauen.

Sein Blick geht in die Ferne, größeren Dingen zu, während sie dem Pferd einen Klaps gibt. Es setzt sich in Bewegung, den Weg ins Dorf hinunter oder hinein in den Wald. Das Pferd entscheidet, denn der General hält die Zügel bloß zum Schein. Und vielleicht ist er seiner Frau so lieber als zu seinen besseren Zeiten.

Manchmal, wenn das Pferd besonders lange fortbleibt, fängt sie sogar an, ihn ein wenig zu vermissen. Dann macht sie ihm Milch warm, wenn er nach Hause kommt, wickelt die Decken fest um ihn. Vielleicht spürt auch er an diesen Abenden, dass etwas anders ist, denn manchmal drückt er später, wenn sie ins Bett kommt, seinen Fuß von unten gegen ihren. Und manchmal erwidert sie den Druck.

Der Sommerpalast

Der Hausmeister schlägt die Decke zurück. Vorsichtig, um den Staub nicht aufzuwirbeln, der dicker liegt als früher, als versuchte er die Abwesenheit der Gäste zuzudecken. Doch vielleicht ist es auch bloß der Wind, der jetzt häufig Sand mit sich trägt.

Er zieht die dünngewordenen Laken ab und frische auf. Ebenso dünn, aber weißer, ein wenig. Er wischt den Staub von Regalen und Nachttischen, kehrt den Schmutz auf dem Boden zusammen. Zuletzt öffnet er die Hähne im Bad, lässt Wasser in Waschbecken und Dusche strömen. Werden die Leitungen nicht regelmäßig durchgespült, steigt Gestank aus ihnen auf. In stinkenden Zimmern will niemand wohnen.

Zwei Zimmer schafft er am Vormittag, jeden Tag zwei.

Früher hatte es Zimmermädchen gegeben. Männer, die im Keller die Wäsche in große Maschinen luden. Kellner hatte es gegeben, Köche, Gärtnerinnen. Heute gibt es bloß ihn.

Ein letzter Blick durchs Zimmer, dann die Vorhänge wieder dicht zuziehen, damit die Sonne die Möbel nicht bleicht und den Teppich am Fußende des Betts. Zwei Zimmer am Vormittag, jeden Tag zwei.

Er schließt die Tür leise, als gäbe es noch Gäste, die er stören könnte, öffnet die Tür zum nächsten Zimmer.

Dort auf dem Bett eine Wölbung, und kurz denkt er, eine der Katzen habe es geschafft, sich hereinzuschleichen. Doch zu groß die Wölbung, zu groß der Körper unter der Decke.

Er könnte die Tür wieder schließen, gehen.

Er könnte das Zimmer durchqueren, die Vorhänge öffnen.

Doch er bleibt stehen, wartet. Wartet, bis etwas sich rührt, die Decke zurückschlägt, sich aufrichtet, bis die Silhouette eines Körpers sich abzeichnet vor dem schwachen Licht, das durch die Vorhänge dringt. Ein schmaler Körper, Kinderkörper.

Ist es schon Mittag, fragt eine Stimme, weiblich, jung.

Nein, sagt er. Nicht ganz.

Er meint, ein Nicken zu sehen, und sie steht auf aus dem Bett, geht die wenigen Schritte zum Fenster, öffnet die Vorhänge.

Der Hausmeister blinzelt, und die Gestalt scheint sich aufzulösen im plötzlichen Licht. Unter tanzenden Lichtpunkten sieht er glattes dunkles Haar, dichte Brauen über kleinen Augen, sieht ein rundes, sehr rundes Gesicht. Kein Kindergesicht. Nicht ganz.

Wo kommst du her, will er fragen, sind die Fähren zurück?

Wie heißt du, fragt er stattdessen.

Ada, sagt sie.

Hast du Hunger?

Ein wenig.

Der Hausmeister verlässt das Zimmer, geht in die Küche, röstet Brot, viertelt Tomaten, schneidet Gurken in feine Streifen. Während das Teewasser kocht, wischt er die glänzenden Metallflächen der Küche, trocknet das Waschbecken mit einem alten Geschirrtuch.

Als er das Tablett nach draußen trägt, sitzt Ada bereits am leeren Pool. Die Beine im Becken, als wäre Wasser darin, das ihre Füße kühlt.

Einige Verluste

Der Kaffee geht als Erstes zur Neige. Der richtige. Er war mit den Fähren gekommen in großen Säcken, und es dauert eine Weile, bis sie das Getreide so zu rösten lernen, dass es ein Ersatz ist.

Sie gewöhnen sich an den Geschmack mit der Zeit, doch was bleibt, ist das Bewusstsein eines Mangels.

Auch die tropischen Früchte kommen nicht mehr mit der Fähre, die Drachenfrüchte, die Mangos.

Das Schwarzbrot kommt nicht mehr und die Teebeutel.

Man bringt sie zu anderen Inseln. Dorthin, wo die Touristen nun liegen, an den Stränden mit feinerem Sand, an den Küsten mit blauerem Meer.

Den Touristen baut man neue Hotels, andernorts.

Man wartet andernorts auf sie zu Beginn des Sommers.

Der Hafen

Der Hausmeister geht in den Ort am nächsten Tag, sieht schon von Weitem, dass keine Fähre im Hafen liegt.

Doch das heißt nichts, denkt er, auch früher blieben die Fähren nie lange, spuckten ihre Passagiere an Land, nahmen neue an Bord, legten ab.

Die Straßen sind leer wie immer. Nur eines der Pferde senkt den Kopf in einen Blumenkübel, zupft Gras und Unkraut heraus.

Der Hausmeister sucht nach Spuren. Nach Licht in einem der Hotels, nach geöffneten Läden an einem der Ferienhäuser. Er findet keine. Geöffnet sind bloß die Läden am Häuschen des Hafenwärters. Der sitzt dort wie immer, das Hemd weiß, die Uniform gebügelt, in Erwartung der nächsten Fähre.

Der Hausmeister nähert sich wie zufällig, wie beiläufig, grüßt. Der Hafenwärter nickt.

Wie geht’s, fragt der Hausmeister, und: Gibt es Neues?

Neues, wiederholt der Hafenwärter als wüsste er nicht um die Bedeutung des Wortes.

Eine Fähre vielleicht, sagt der Hausmeister. Ein Fischerboot.

Nein. Nein, nicht in letzter Zeit.

Der Hausmeister nickt, wendet sich um.

Vielleicht morgen, sagt der Hafenwärter. Vielleicht kommen die Fähren morgen wieder.

Der Strand

Die Sonne steht tief, das Meer ist träge, bloß eine Schaumspitze durchbricht gelegentlich das Immerblau.

Ein Tag, an dem die Leute früher dicht an dicht am Strand gelegen hätten. Die Haut klebrig von Sonnencreme, die sie von den Wellen abwaschen ließen. Wenn das Meer besonders ruhig war, meinte man fast, eine ölige Spur auf der Wasseroberfläche schimmern zu sehen.

Nur die Doktorin ist noch hier und schert sich nicht darum, dass die Wellen heute niedrig sind, ideal zum Schwimmen. Weil sie ohnehin nie schwimmt. Egal, ob das Meer ruhig ist, egal, ob ihr der Schweiß in kleinen Perlen auf der Stirn steht. Ihre Haut ist dunkel wie gegerbtes Leder von Jahren in der Sonne.

Die Doktorin dreht sich noch einmal vom Bauch auf den Rücken, schaut dem Licht zu, das zersplittert über den Wellen liegt, sich mit dem Sinken der Sonne zusammenzieht, einen Pfad legt über das Wasser hin zu ihr, sich gelb färbt, rot färbt, dann verblasst.

Als die Sonne mit einem letzten Aufblitzen verschwindet, rollt die Doktorin ihr Handtuch zusammen, geht mit sinkenden Schritten hinauf zur Bar.

Das gelbe Haus

Der General presst die Lippen fest zusammen beim Anblick der Brote. Aber schließlich muss er doch nachgeben, wenn er nicht hungrig zu Bett gehen will. Früher hätte er den Teller gegen die Wand geworfen, und sie hätte die Scherben aufgekehrt, fortgeräumt. Heute schiebt sie das Brot in kleinen Stückchen zwischen seine Lippen, räumt danach ihn fort.

Wie jeden Abend vor dem Schlafen setzt sie den General in die Wanne, wäscht ihm den Schweiß vom Tag ab, den Geruch nach Salz und Pferd. Was sich nicht abwaschen lässt, ist der süßliche Geruch alter Leute. Sie legt sich Lavendel unters Kopfkissen, um ihn nicht zu riechen in der Nacht.

Als er festgesteckt unter den Decken liegt, lässt sie sich in eine Wanne voll kalten Wassers gleiten, den Blick hinaus durch die großen Fenster.

Es gab Leute, die sie gewarnt hatten, dass man durch diese Fenster ins Haus würde hineinsehen können, wenn die Hotels höher den Berg hinaufwandern würden. Und tatsächlich begann man mit dem Bau neuer Hotels, tatsächlich rückten sie näher heran an das gelbe Haus. Aber dann waren die Fähren fortgeblieben, und die Hotels hatte nie jemand fertig gebaut. Über die Bauruinen hinweg schaut sie aufs Meer.

Manchmal meint sie, Punkte zu sehen, die sich auf die Insel zubewegen. Dann stellt sie sich vor, es wären Fähren, die zurückkämen. Eines Tages lägen sie einfach wieder im Hafen, und alles ginge weiter, als wäre es nie anders gewesen. Sie würde endlich an Bord einer Fähre gehen. Und das Letzte, was sie sehen würde, wenn sie sich vom Ufer entfernte, wären diese weit geöffneten Fenster.

Der Sommerpalast

Der Hausmeister hat nie gewusst, wie man Gespräche anfängt, und er weiß es auch jetzt nicht. Er weiß nicht, wie er fragen soll nach Adas Herkunft, ihrem Herkommen, nach ihr. Also fragt er nicht. Fragt bloß, ob sie Hunger hat, Durst. Ob sie Kleidung braucht. Ob er ihr den Pool mit Wasser füllen soll.

Er ist froh, diese Dinge für sie tun zu können. Ist froh, irgendetwas tun zu können.

Er sucht Kleidung für sie in der Kiste mit zurückgelassenen Dingen. Er findet ein Kleid, ein Paar Schuhe, einen Badeanzug. Er kocht Tomatensuppe und Milchreis.

Den Pool füllt er randvoll und schaut Ada zu, wie sie auf dem Rücken im Wasser treibt.

Ada bewegt sich durch den Sommerpalast, als gehörte er ihr, streift durch die Zimmer und schläft jede Nacht in einem anderen Bett. Oft findet der Hausmeister sie in der Bibliothek auf dem Boden, Bücher um sie herum.

Er kommt, um zu fragen, woher sie kommt, wie es möglich ist, dass sie hier ist. Doch jedes Mal fragt er bloß, ob sie hungrig ist, ob sie Tee mit ihm trinken möchte im Garten. Jedes Mal nickt sie, jedes Mal folgt sie ihm, jedes Mal sitzen sie sprachlos zusammen, bis er aufsteht, um das Gemüse zu wässern, den Boden des Foyers zu wischen, den Hund zu füttern. Und sie verschwindet wieder hinein ins Hotel, geht ihm in den Zimmern verloren.

Einige Verluste

Was verloren geht, ist die Enge.

Das dicht an dicht am Strand Liegen.

Das beieinander Stehen im flachen Wasser.

Das Sitzen auf vollbesetzten Terrassen.

Das Wohnen in ausgebuchten Hotels.

Das Spazieren in vollen Gassen.

Das Anstehen am Eisladen.

Das Anstehen für Kutschfahrten.

Das Anstehen für ein Foto mit dem Pfau am Markt.

Was verloren geht, ist die Nähe.

Der Sommerpalast

Der Hausmeister schreckt hoch beim Reinigen des ersten Zimmers am Morgen. Ein Schrei? Nein. Ein Lachen. Ada lacht.

Der Hausmeister versteht sein Erschrecken nicht, bis ihm klar wird, dass er lange kein Lachen gehört hat. Hier nicht. Vielleicht überhaupt nicht.

Er späht aus dem Fenster, sieht sie mit einem Buch in der Hand am Pool. Sie lacht noch einmal laut über etwas Gelesenes. Sie klappt das Buch zu und springt ins Wasser, taucht prustend wieder auf.

Immer wieder beobachtet er Ada von fern, als könnte der Abstand, der räumliche Abstand eine Klarheit bringen, doch je mehr er sie beobachtet, desto unklarer wird sie ihm. Manchmal scheint sie ihm beinahe erwachsen. Wenn sie Kräuter für Tee aus den Beeten zupft. Wenn sie isst, langsam, mit kleinen Bissen. Wenn sie Krümel mit dem Finger aufklaubt und auf den Teller streicht. Wenn sie das Haar zu einem strengen Zopf zurückbindet, bevor sie ein Buch aufschlägt. Doch dann lässt sie im Pool das Wasser hochspritzen. Dann schlittert sie über den Marmorboden des Foyers oder legt sich zum Hund, um ihm den Bauch zu kraulen. Dann betrachtet sie mit großen Augen die kleinen Tiere, die der Hausmeister ihr aus Papier faltet. Dann wird ihr Gesicht weicher, jünger. Dann weiß er, dass er ein Kind vor sich hat.

Der Hausmeister beobachtet die Pfauen, die um Ada herumschwärmen, ihre Fächer aufblättern. Sie lassen sich nieder in ihrer Nähe, sitzen am Rand des Pools, während sie schwimmt. Der Hausmeister hat die Pfauen nie so erlebt. Selbst wenn er kommt, um Ada etwas zu trinken zu bringen, um sie zum Essen zu rufen, schrecken die Vögel nicht auf. Und wenn Ada zum Haus zurückgeht, rascheln sie noch ein paar Schritte hinter ihr her, bevor sie ausschwärmen in den Garten, zurück in die Büsche.

Der Hausmeister beobachtet sich selbst, wie er Ada beobachtet. Er fühlt sich unwohl mit sich. Er geht, er versucht, seine Arbeit fortzusetzen wie immer. Aber er schafft bloß noch ein Zimmer am Vormittag, jeden Tag eins.

Apartment 3B

Die Doktorin sitzt auf der schmalen Terrasse vor dem Apartment. Gerade genug Platz für einen Tisch ist hier, zwei Stühle aus Plastik. Das Weiß von Tisch und Stühlen ist lange schon grau geworden, doch im Licht der Glühbirne sieht es beinahe aus wie damals.

Um die Lampe hängt eine Wolke von Mücken wie ein flimmernder Schatten, und im schwachen Licht sitzt die Doktorin mit einem Buch. Liest wie an jedem Abend, sieht nicht auf von den Seiten, sieht nicht den durch Hotels abgeschirmten Nachthimmel. Erst das knallende Erlöschen der Lampe unterbricht ihr Lesen.

Sie bleibt sitzen eine Weile, im Dunkeln. Bis ihre Augen sich gewöhnt haben an den schwachen Schimmer des unvollständigen Monds.

Sie setzt die Füße vorsichtig die drei Stufen hinunter von ihrer Terrasse, die drei Stufen zu einer anderen Terrasse hinauf. Sie dreht die Glühbirne aus der Fassung. Es gibt noch für Jahre genug davon.

Sie geht zurück auf ihre Terrasse, dreht das noch heiße Glas mit einem Stück Stoff heraus, dreht die neue, kühle Birne in die Fassung. Der Kontakt ist da, das Licht brennt ihr in den Augen. Es scheint der Doktorin sauberer, unverbrauchter. Doch der Eindruck hält nicht an. Schon als sie später am Abend das Licht löscht, denkt sie nicht mehr daran.

An den Wänden des Apartments stapeln die Bücher sich wie eine papierne Isolierung. Es beruhigt sie die Anwesenheit der Bücher. Es beruhigt sie, bloß die Hand ausstrecken zu müssen, um Papier zu berühren, raue Leineneinbände, manchmal Leder.

Zum Einschlafen liest sie im Wechsel die immer gleichen drei Bücher.

Der Sommerpalast

Unter dem Feigenbaum ist das Licht wie grün getränkt und der Hausmeister sitzt gegen den Stamm gelehnt, die Augen schwer von der Mittagshitze.

Damals, als es noch Gäste gab, war er oft frühmorgens hergekommen, hatte hier gesessen, fünf Minuten oder zehn, bevor er Feigen pflückte für das Frühstücksbuffet.

Im ersten Jahr, in dem die Fähren fortblieben, trug der Feigenbaum so schwer, als wollte er eine Leere füllen. Der Hausmeister wusste nicht, wohin mit all den Früchten, hielt sich fern vom Baum, unter dem die Wespen in die überreifen Feigen tauchten. Wochenlang lag der faulig süße Geruch über dem Garten. Seither kocht er die Früchte zu Marmelade ein, mit der er seinen Tee süßt.

Aber noch ist nicht die Zeit dafür, noch sind die Früchte klein und fest und grün, wie geschwollene Blätter.

Der Hausmeister ertastet etwas Hartes im sandigen Boden. Mit den Fingernägeln legt er eine Murmel frei, groß wie die Kuppe seines Daumens. In den Glaskörper eingeschlossen sind Schlieren aus unterschiedlichen Grüntönen, und als das vom Wind bewegte Licht sich im Glas fängt, meint er fast, das Grün wogen zu sehen, wie die Blätter über ihm. Und für einen kurzen Moment erblickt er sich in dem Grün, sieht sich unter nur kurz den Blick freigebenden Blättern, sieht sich eine Murmel halten, sieht sich selbst sich selbst sich selbst halten unter sich unendlich fortsetzendem Grün. Er richtet den Blick nach oben und ist wider jede Vernunft erleichtert, nicht sein eigenes Gesicht zu sehen hinter dem Blätterdach, sondern bloß das immer gleiche Blassblau des Himmels.