Nachrichten an meinen Sohn - Alejandro Zambra - E-Book

Nachrichten an meinen Sohn E-Book

Alejandro Zambra

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Beschreibung

Nichts hat ihn darauf vorbereiten können, selber Vater zu sein. Die Geburt des Sohnes erschüttert so ziemlich alles, was er sich je zurechtgelegt hatte. Willkommen also, in einem wunderbaren, vor Hingabe und Ermüdungsverzweiflung flirrenden neuen Leben: Lektüre der immergleichen Kinderbücher, das Bogenschießen auf die Reispapierlampen im Wohnzimmer, die tastenden Versuche, gemeinsam zu krabbeln, einander überhaupt erst kennenzulernen, und was soll das eigentlich bedeuten, die Welt durch die Augen des Kindes zu sehen? Alejandro Zambra kartografiert das alles nach Kräften bzw. dem, was davon übrig ist: als tagebuchartige Mitschrift der eigenen Vaterschaft, in Briefen und Gedichten an den Sohn, im Spiel seiner – wohl auch per Schlafentzug bewusstseinserweiterten – Einbildungskraft, als humorvoll zärtliche teilnehmende Selbstbeobachtung.

Nachrichten an meinen Sohn ist eine nützliche und augenöffnende Handreichung für angehende, debütierende und de-facto-Eltern – und für überhaupt alle, die wissen wollen, was und wie das ist: Vater zu sein.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 262

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Cover

Titel

Alejandro Zambra

Nachrichten an meinen Sohn

Roman

Aus dem Spanischen von Susanne Lange

Suhrkamp Verlag

Impressum

Zur optimalen Darstellung dieses eBook wird empfohlen, in den Einstellungen Verlagsschrift auszuwählen.

Die Wiedergabe von Gestaltungselementen, Farbigkeit sowie von Trennungen und Seitenumbrüchen ist abhängig vom jeweiligen Lesegerät und kann vom Verlag nicht beeinflusst werden.

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Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel Literatura infantil bei Editorial Anagrama, Barcelona.Obra editada en el marco del Programa de Apoyo a la Traducción para Editoriales extranjeras de la División de las Culturas, las Artes, el Patrimonio y la Diplomacia Pública (DIRAC) de la Subsecretaría de Relaciones Exteriores de Chile.Die Arbeit wurde im Rahmen des Übersetzungsunterstützungsprogramms für ausländische Verleger der Abteilung für Kulturen, Kunst, Erbe und öffentliche Diplomatie (DIRAC) des chilenischen Außenministeriums übersetzt und gedruckt.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2025

Der vorliegende Text folgt der deutschen Erstausgabe, 2025.

© der deutschsprachigen Ausgabe Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2025© Alejandro Zambra, 2023. All rights reserved

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlaggestaltung: Kosmos Design, Münster, unter Verwendung von Midjourney

eISBN 978-3-518-78217-0

www.suhrkamp.de

Widmung

Für Silvestres Mutter und für Jazminas Sohn

Motto

Seit meiner Kindheit liebe ich es, ein Zimmer aus der Vogelperspektive zu betrachten.

Bruno Schulz

Man wird nicht als Schriftsteller geboren, sondern als Baby.

Hebe Uhart

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Motto

Inhalt

I

Kinderliteratur

Jennifer Zambra

Teonanácatl

Guten Morgen, Nacht

Französisch für Anfänger

Die Menschenmenge

Bildschirmzeit

Die Kindheit der Kindheit

II

Schimpfkanonade

Wolkenkratzer

Einführung in die Fußballschwermut

Blauäugige Straßenräuber

Später Unterricht im Fliegenfischen

Nachricht an meinen Sohn

Danksagungen

Zitatnachweise

Informationen zum Buch

I

Kinderliteratur

0

Mit dir im Arm sehe ich zum ersten Mal den Schatten, den wir gemeinsam an die Wand werfen. Da bist du zwanzig Minuten alt.

Deine Mutter schließt die Lider, will aber nicht schlafen. Sie ruht nur ein paar Sekunden die Augen aus.

»Neugeborene vergessen manchmal das Atmen«, sagt uns die Krankenschwester, eine freundliche Spielverderberin.

Ich frage mich, ob sie das Tag für Tag genau so sagt. Mit denselben Worten. Mit der gleichen traurig mahnenden Vernunftmiene.

Dein kleiner Körper atmet, ja: Selbst im Dämmerlicht des Krankenhauses ist dein Atmen sichtbar. Doch hören will ich es, will dich hören, wenn es mein eigenes Schnaufen nur zulassen würde. Und mein lärmendes Herz nicht deines übertönte.

In der Nacht halte ich alle zwei, drei Minuten die Luft an, um mich zu vergewissern, dass du atmest. Ein überaus vernünftiger Aberglaube, der vernünftigste von allen: mit dem Atmen aufhören, damit dein Kind atmet.

1

Ich wandere durch das Krankenhaus, als suchte ich Risse vom letzten Erdbeben. Furchtbare Dinge male ich mir aus, stelle mir aber auch die Schrammen vor, die du einmal stolz vorzeigen wirst, gegen Ende des Sommers.

14

Das Wort Kindheit ist ein weiter Poncho für die vierzehn Tage deines kurzen Lebens. Aber ich mag das Übertriebene daran. Vierzehn Tage alt, noch so eine Übertreibung.

25

Du weinst, und wer kommt, bin ich. Ein einziger Betrug. Vielleicht haben sich unsere Väter diese anfängliche Zurückweisung allzu sehr zu Herzen genommen.

Deine erste Wahl bin nicht ich, aber du gewöhnst dich an meine Gesellschaft. Und ich gewöhne mich daran, zu schlafen, wenn du schläfst. Dieser gestückelte Schlaf erinnert mich an aberhundert lange, verdöste Busfahrten zur Schule oder Universität, wo ich im Unterricht weiterdöste. Oder an diese herrlichen, heimlichen Mittagsschläfchen, mit denen ich mich durchs Arbeitsleben kämpfte.

Auf einmal bin ich wieder fünfzehn, es ist Mitternacht, ich lerne Chemie, Mathe, Phonologie und habe keine Zigaretten, was ein Problem ist, denn im Traum rauche ich unentwegt. Scheue Hunde wecken mich mit den ersten Takten ihres Bellkonzerts und das Hämmern eines Nachbarn, der vielleicht ein Bild von seinem Sohn aufhängt, einerlei, ob er meinen weckt.

Doch du schläfst weiter auf meiner Brust, scheinst sogar noch tiefer zu schlafen, tiefer als tief. Ich habe keine Vorstellung, wie spät es ist, aber was macht das schon? Ob elf Uhr vormittags, drei Uhr nachmittags. So vergehen die Tage, müde, aber glücklich, im Wechsel mit glücklichen, aber müden Tagen oder glücklichen, aber glücklichen.

31

Die Geburt eines Kindes eröffnet eine weite Zukunft, die wir nur zum Teil miterleben werden. Der peruanische Autor Julio Ramón Ribeyro hat es recht gut zusammengefasst: »Der Zahn, der bei ihm durchbricht, ist der, den wir verlieren; der Zentimeter, den es wächst, der, um den wir schrumpfen; die Einsichten, die es erwirbt, die, die in uns erlöschen; was es lernt, das, was wir vergessen; und das Jahr, das es zulegt, das, was uns abgezogen wird.«

Das ist ein schöner Gedanke, allerdings ein aufwühlender: Abermillionen Männer hat er aus der Bahn geworfen. Das heißt, Väter anderer Generationen, auch wenn die Annahme unsinnig ist, dass die Dinge sich geändert hätten. Ich kenne Männer, die ihre Vaterschaft mit Hellsicht, Humor und Demut ausüben, habe aber auch enge Freunde erlebt, mit dem Herz anscheinend auf dem rechten Fleck, die sich von ihren Kindern abwenden, um sich in die verzweifelte, karikatureske Rückeroberung ihrer eigenen Jugend zu stürzen. Viele wollen auch dem Todestrieb trotzen, indem sie ihre Kinder mit Missionen und Geboten erdrücken, in der offenen oder heimlichen Absicht, ihre aufgeschobenen Träume auf deren Kosten weiterzuträumen.

Jedenfalls erstaunt mich das fast völlige Fehlen einer Tradition. Da jeder Mensch – nehme ich an – einmal geboren wurde, wäre es nur natürlich, wenn wir längst Experten in Sachen Erziehung wären, doch tatsächlich wissen wir sehr wenig darüber, vor allem wir Männer, die wir manchmal kichernden Schülern gleichen, die zum Unterricht erscheinen und nicht einmal wissen, dass eine Prüfung ansteht. Während die Mütter ihren Töchtern diese erstickende Pflicht zur Mutterschaft weitergegeben haben, sind wir als verwöhnte Schussel aufgewachsen und haben sogar »Billie Jean« vor uns hin gesungen. Unsere Väter haben uns auf ihre Weise zu zeigen versucht, wie wir Männer werden, aber wie wir Väter werden, nicht. Bei ihren Vätern war es ebenso. Und so fort.

42

Während deiner ersten Lebenswochen habe ich auf dem Handy an die hundert Gedichte geschrieben. Eigentlich sind es gar keine Gedichte, aber auf dem Handy drücke ich lieber auf enter, als mich mit Satzzeichen herumzuschlagen.

Ich schreibe eng an dich geschmiegt, unter deinem Einfluss, beide im Bann des Schaukelstuhls, der wie eine zaghafte Achterbahn ist, wie ein unermüdliches, großmütiges Pferd oder wie die Fähre, die uns schließlich nach Chiloé bringen soll.

49

Heute Vormittag wollte ich die falschen Gedichte in echte verwandeln, aber ich fürchte, ich habe den Plan links liegen lassen und sie zu den zivilisierten, lesbaren Gefilden der Prosa gelenkt. Nun sind sie verhunzt, aber ich habe sie trotzdem kopiert, für alle Fälle, in einen Ordner mit dem Titel »Kinderliteratur«. Keiner dieser Entwürfe könnte als Kinderliteratur durchgehen. Auch wenn alle mit der Kindheit zu tun haben. Mit deiner angehenden und meiner fernen. Mit meiner Kindheit oder meiner Idee von Kindheit nach deiner Ankunft.

50

Das Wort Kinder kann in Komposita auch beleidigend gemeint sein, obwohl die Anzahl der Wörter, die keine Beleidigungen sind, aber als solche fungieren, unbegrenzt ist. Man muss nur ein wenig am Tonfall arbeiten.

Ich erinnere mich an ein sehr liebes Mädchen, die Tochter eines meiner besten Freunde, die einmal böse auf ihren Lieblingsteddy war und ihn fast zwei Stunden lang immer wieder grausam anschrie: »Du Stofftier! Ebendas bist du, ein Stofftier! Du hältst dich für echt, aber du bist ein Stofftier, nichts weiter!«

Mit fünfzehn ärgerte es mich, wenn man mich als jungen Mann bezeichnete. Ich weiß nicht mehr, ob ich jemals Halbwüchsiger genannt worden bin, aber das hätte ich geradezu gehasst. Auf rein sprachlicher Ebene ist Halbwüchsiger ein perfektes Wort, aber als Beleidigung kann es vernichtend sein.

61

Die Literatur hat das weite Feld der Vaterschaft gedanklich meist den Selbsthilfebüchern überlassen. Aber in ihnen finden wir gewöhnlich bloß abgedroschene, manchmal sogar demütigende Ratschläge. Vor ein paar Monaten hatte ich ein umfangreiches Handbuch gelesen, dessen Spitzenempfehlung für Männer lautete: »Be sensitive!«

62

In dieser Woche hast du um die hundert Gramm zugenommen, die ich bestimmt abgenommen habe, während ich mit dir auf dem Arm tanzte. Je runder der Sohn, desto schlanker sein Vater. Die perfekte Diät.

83

Der Ausdruck Kinderliteratur ist herablassend und beleidigend und im Grunde auch redundant, denn jede Literatur hat letztlich etwas Kindliches. Sosehr wir es zu kaschieren versuchen, wir Schreibenden wollen immer Wahrnehmungen ausgraben, die von diesen vermeintlichen Lehrjahren, für uns oft so unglücklichen, verschüttet wurden. Der Dichter Enrique Lihn hat einmal gesagt, wir ergeben uns unserem wirklichen Alter wie einem Meineid.

Kinderliteratur: Ich mag, was das Wort Kindheit auslöst, das darin anklingt. Ich denke an Jorge Teillier, an Hebe Uhart, an Bruno Schulz, an Gabriela Mistral, an Jacques Prévert. Nun ja, die Liste der »Kinderautoren« ist endlos. Baudelaire hat die Literatur als eine »willentlich wiedergefundene Kindheit« bezeichnet – gerade habe ich es überprüft und gesehen, dass er eigentlich das »Genie« so nennt, nicht die Literatur.

Trotzdem bleibe ich lieber bei meiner falschen, weniger hochtrabenden Erinnerung an Baudelaires Hypothese. Mir gefällt daran das Eindringliche, vor allem sein Vergleich zwischen Künstler, Kind und einem Genesenden. Wer schreibt, widmet sich weniger dem Erinnern oder Berichten, sondern versucht, die Dinge wie zum ersten Mal zu sehen, das heißt, wie ein Kind oder wie ein Genesender, der von einer Krankheit, ja gewissermaßen vom Tod zurückkehrt und zum Beispiel wieder das Gehen lernt.

Auch die Vaterschaft ist eine Art Genesungsprozess, der es erlaubt, alles wieder von Neuem zu lernen. Und wir hatten nicht einmal gewusst, dass wir schwer krank gewesen waren. Erst jetzt haben wir es erfahren.

96

Beim lautstarken Kampf um die Rechtmäßigkeit sind die Stiefväter erst einmal im Hintertreffen. Aber dann kommt jemand und sagt: »Mein Stiefvater war mein eigentlicher Vater.« Solche Geschichten will ich hören.

Vielleicht sind wir Väter im Grunde die Stiefväter unserer Söhne. Die Biologie sichert uns einen Platz in ihrem Leben, und doch sehnen wir uns danach, dass sie uns zum Vater erwählen. Dass sie einmal diesen so wunderbar seltsamen Satz sagen: Mein Vater war mein eigentlicher Vater.

101

Auf dem Rückweg von der Bäckerei, zu der wir jeden Morgen gemeinsam gehen:

»Hat der Junge keine Mutter?«, fragt mich ein Mann.

»Vollidiot«, antworte ich. »Vollidiot.«

Beleidigungen zu erwidern, ist eigentlich meine Stärke, aber jetzt kommt nur dieses eine Wort heraus. Dasselbe Schimpfwort, zwei Mal.

Der Mann ist ungefähr so alt wie ich, in elegantem Anzug, seine Augen sind grün und kalt. Er wirkt nicht besoffen.

Kurz kommt mir der Gedanke, ihm zu sagen, er solle warten, damit ich dich in deine Wiege legen und zurückgehen kann, um ihm die Fresse zu polieren. Es ärgert mich, dass ich so denke. Das heißt, es macht mich eher traurig. Demoralisiert mich.

Was für ein Mensch sagt so etwas. Warum, wozu?

Ich lege dich in den Arm deiner Mutter.

Dann gehe ich in die Küche, esse ein ganzes Baguette und überlege mir dabei Beleidigungen, primitive, unbarmherzige, ultimative.

120

Mein Vater ist mit vierundzwanzig Vater geworden, ich mit zweiundvierzig. Immer wieder muss ich daran denken. Kein Wunder.

Wenn du ein Kind hast, wirst du selbst wieder Kind. Doch die eigene Erfahrung, von der Zeit gebändigt und geprägt oder verzerrt durch Idealisierung, Streit oder Abwesenheit der Eltern, reicht nicht aus.

Gern würdest du dich an die Tage und Nächte erinnern, an denen sie dich umsorgt haben, so wie du jetzt deinen Sohn umsorgst. Mögen sie dich auch, wer weiß, nicht allzu sehr umsorgt haben. Vielleicht haben sie dich in den Laufstall gesetzt, dich weinen lassen, dir ein Fläschchen hineingepfropft. Den Fernseher angestellt, und fertig.

Wir vergleichen uns mit unseren Eltern, obwohl wir – das ist uns bewusst – nicht mehr so sein könnten wie sie, aber auch nicht wesentlich anders. Und da wir sie mit zwanzig schon umgebracht haben, können wir sie nicht noch einmal umbringen. So erwecken wir sie am Ende manchmal wieder zum Leben.

147

Du weinst, als dir klar wird, dass du mit den Füßen nichts greifen kannst. Aber dann erforschst du erstaunt die Muster auf dem Bettlaken. Die Unregelmäßigkeiten der Decke. Die Regentropfen am Fenster. Deine Mutter macht den Donner nach, ich die Blitze. Alles ist gut.

158

Manche Männer trifft die Vaterschaft mit allzu großer Wucht. Als hätte das Vaterwerden sie über Nacht der Fähigkeit beraubt, einen Satz von sich zu geben, der nicht auf eine Geschichte zurückgeht, in der ihre Kinder die Hauptrolle spielen – Kinder, die eher Gurus zu sein scheinen, weil für diese vernarrten Väter selbst die belanglosesten Anekdoten philosophische Tiefe besitzen. Genau das ist mein Fall.

Ich kann mir vorstellen, was für eine Katastrophe es gewesen wäre, wenn ich mit zwanzig ein Kind gehabt hätte. Ich gehöre einer Generation an, die die Vaterschaft aufgeschoben, kategorisch verworfen oder auf andere Arten ausgeübt hat, die ebenso schwierig oder noch schwieriger sind, wie etwa die Stiefvaterschaft – ein Wort, das dem Wörterbuch nach gar nicht existiert – oder die Adoption.

Jetzt, mit zweiundvierzig, ist die Vaterschaft für mich ein wahres Fest. Wir wissen, selbst auf dem besten Fest wird die Euphorie zeitweise von Unbehagen oder der leidigen Nachricht getrübt, dass wir am nächsten Morgen trotzdem früh aufstehen und das Geschirr spülen müssen. Aber wollte ich diese gut hundertfünfzig Tage in einem kurzen Satz zusammenfassen, würde mein Telegramm so lauten: Ich habe einen Riesenspaß.

203

»Und warum wolltest du ein Kind?«

In diesen wenigen Monaten haben sich an die fünfzehn Leute diese Frage erlaubt.

»Eigentlich will ich Großvater werden, das ist nur der erste Schritt«, antworte ich zum Beispiel.

Oder:

»Weil ich die Nase voll von Katzen hatte.«

»Weil es an der Zeit war.«

»Aus persönlichen Gründen.«

»Weil ich mich verliebt habe.«

»Aus Neugier.«

Vor allem die letzte Antwort gefällt mir, so subtil und banal. Vielleicht sollte man besser von intellektueller Neugier oder von Experimentierfreude sprechen. Oder sich auf die Abenteuerlust berufen, auf den glanzvollen Erlebnishunger, auf das Bedürfnis, die menschliche Natur zu verstehen. Aber mir ist die einfache Antwort lieber, à la Pandora und Schluss.

Nach den Scherzen gebe ich jedoch eine richtige Antwort oder versuche es zumindest. Zu einer rein rationalen Begründung bin ich nicht imstande, mich aber mit billigem Zynismus aus der Affäre zu ziehen, würde nur dieser Erkenntnisleere in die Hände spielen, die wir alle schon verspürt und erfahren haben und die so entmutigt und lähmt.

209

Jahrhundertelang hat die Literatur das Sentimentale gemieden wie die Pest. Mir scheint, wer schreibt, würde selbst heute noch lieber ignoriert werden, als zu riskieren, für kitschig oder rührselig zu gelten. Sobald wir über unsere Kinder schreiben, sind Glück und Zärtlichkeit jedoch eine echte Herausforderung für unsere frühere, männliche Vorstellung des Mitteilbaren. Was also tun mit der beglückenden und zwangsläufig einfältigen Genugtuung, zuzusehen, wie ein Kind sich aufrichtet oder zu sprechen anfängt. Was für eine Art Spiegel ist ein Kind?

Die Literatur ist voll von Briefen an den Vater, doch Briefe an den Sohn sind eher selten. Die Gründe kann man sich vorstellen – Chauvinismus, Egoismus, Scham, Erwachsenenzentrismus, Nachlässigkeit, Selbstzensur –, und ich neige zu der Annahme, dass es auch immanente, rein literarische Motive dafür gibt. Jedenfalls ist es einfacher, die Kinder zu verdrängen oder zu übergehen, sie als ein Hindernis für das Schreiben anzusehen, sie als Ausrede vorzuschieben: Nur ihretwegen konnten wir uns nicht auf unseren schwierigen, großartigen Roman konzentrieren.

Die Kindheit lebt in uns fort wie ein immer wieder aufblitzendes Rätsel, gewöhnlich mangelhaft belegt durch Fotoalben, Übergangsobjekte wie Kuscheltiere oder eine Handvoll Achate, gesammelt an einem Strandnachmittag. Niemand hat unsere Kindheit aufgeschrieben, und vielleicht bedauern wir diese fehlenden Spuren, sind im Grunde jedoch dankbar dafür, denn so können wir frei atmen, uns verändern, auflehnen. Sich vorzustellen, was dein Kind aus deinem Werk herauslesen wird, ist deshalb zugleich eine Freude und eine Bürde. Die Welt zu erzählen, die ein Kind vergessen wird – uns in die Berichterstatter unserer Kinder zu verwandeln –, ist eine enorme Herausforderung.

Ich selbst bin beim Schreiben versucht, lieber zu schweigen. Und doch weiß ich, selbst wenn ich mich zurückziehen und einen Roman über Magnetfelder entwerfen oder aus dem Stegreif einen Essay über das Wort Wort schreiben würde, am Ende würde ich immer über meinen Sohn sprechen.

210

»Erzähl bloß nicht von deinen Träumen, ich bitte dich, und schon gar nicht von Kindern oder Haustieren«, hatte ein preisgekrönter Schriftsteller einmal einer Freundin von mir geraten, die einen Roman über ihre Träume, ihre Tochter und ihre Katze schreiben wollte. Ich denke eher, sie sollte sich all diesen Herausforderungen stellen.

221

Ich bin stolz, dass das erste Wort, das mein Sohn vor fünf Tagen ausgesprochen hat, entgegen dem statistischen Trend das Wort Papa ist. Das sagt er jetzt ständig. Allerdings hat er noch Schwierigkeiten mit dem stimmlosen bilabialen Verschlusslaut p, und so ersetzt er ihn momentan durch den stimmhaften bilabialen Nasallaut m.

226

Jeder, der ein Kind aufgezogen hat, weiß, dass sich das Wort Glück unerklärlicherweise auf das Wort Hexenschuss reimt.

235

»Zambra, wenn ihr nach Chile kommt, will ich deinen Sohn als Erster kennenlernen, obwohl du niemals auch nur das geringste Interesse an meinen Kindern gezeigt hast.«

Das sagt mir ein enger chilenischer Freund. Ein Scherz. Zwar kenne ich tatsächlich keines seiner drei Kinder, aber das jüngste ist gerade vierzig geworden. Außerdem sprechen wir immer von ihnen. Ich weiß Bescheid über ihre Leben. Weiß zum Beispiel, dass die Älteste nicht Mutter werden wollte und die beiden jüngeren Söhne die Vaterschaft für Unsinn halten.

Auf einmal begreife ich, wie wichtig für mich die langen Unterhaltungen mit meinem Freund gewesen sind. Und ich danke ihm dafür. »Na, übertreib nicht«, antwortet er. »Ich will nicht sterben, ohne Großvater geworden zu sein«, sagt er dann. »Na, übertreib nicht«, entgegne ich.

247

Da ich nicht immun gegen Optimismus bin, möchte ich glauben, dass wir heutzutage selbst die eigenen Kinder als fremde akzeptieren, dazu bestimmt, die Welt nach Maßstäben zu verstehen, die wir nicht einmal erahnen können. »Immer warten wir auf sie, verlangen jedoch nie von ihnen, zurückzukehren«, wie Massimo Recalcati so erhellend in seinem großartigen Essay Das Geheimnis des Sohnes schreibt.

251

Von fern höre ich »Praying for Time«, dieses schöne Lied von George Michael. Ich muss an früher denken, als ich es ständig gehört und versucht hatte, den niederschmetternden Text mithilfe eines winzigen Wörterbuchs zu verstehen. Ich bin dem Nachbarn dankbar für diese unfreiwillige Reise in eine schwierige Jugend. Jetzt schläfst du ruhig und fest im Takt von »Freedom!«.

Nie beschwere ich mich über laute Musik. Ich tanze dann lieber. Oder erinnere mich. Oder bete. Eher würde ich mich über den Lärm der Motorräder beklagen, aber die sind zu schnell.

Ich kann nicht begreifen, wie jemand sich über das Weinen eines Kindes beschweren kann. Leuten, die sich über Kinderweinen beschweren, sollte man den Nachtisch streichen, das Fernsehen, die Pause.

Dieser Aphorismus sollte eigentlich genügen, aber ich möchte doch die Dame nicht unerwähnt lassen, die heute Morgen bei uns klopfte, weil du zwei Minuten lang geweint hattest. Drei dumpfe Schläge mit dem Handteller. Ein feiner Mensch.

258

Unsere Vorstellung vom sozialen Aufstieg ist eine Wohnung mit zwei Badezimmern.

262

»Du hast dich für das falsche Ufer entschieden«, hatte mir eine italienische Verlegerin einmal gesagt. Einen Moment lang hielt ich das für ein neuartiges Kompliment, auch wenn ich verstand, dass es literarisch gemeint sein musste, denn bei dieser Einladung zum Abendessen wollte sie mich davon überzeugen, Bücher für Kinder zu schreiben.

Ich war den ganzen Tag durch Rom gewandert, selig wie ein Kind, das zum ersten Mal Karusselle, Glücksräder und phantastische Rutschen sieht, die sich aus den Wolken herabschwingen. Um diese Zeit jedoch, gegen acht oder neun Uhr abends, hatte mich ein herrlicher Nebbiolo schläfrig gemacht, und vielleicht hielt es die Verlegerin deshalb für notwendig, ihr ganz und gar nicht schmeichelhaftes Argument in kräftigeren Farben auszumalen: Die Kinderliteratur passt besser zu deinem Stil. Deine Romane sind für meinen Geschmack zu kindlich. Es sind Bilderbücher ohne Bilder, das muss man ändern. Ich mag deine Romane nicht. Kinderbücher von dir wären um so vieles besser. Warum schreibst du für Erwachsene, wenn du besser für Kinder schreiben solltest?

Am nächsten Morgen rief sie mich im Hotel an, weil sie mit dem Gefühl aufgewacht war, zu viel gesagt zu haben. Ich bestritt das. »Aber ich bin mir sicher, ich habe Blödsinn geredet«, beharrte sie mit einer Stimme, die der Kater schwerfällig machte. »Jeder redet ständig Blödsinn«, entgegnete ich. »Ich finde deine Romane großartig«, sagte sie, und obwohl ich wusste, dass sie log, versicherte ich, ihre Worte gäben mir neuen Schwung. Sie fragte, ob ich also Interesse daran hätte, für Kinder zu schreiben. Ich entgegnete, auf ein Debüt in der Kinderliteratur sei ich noch nicht vorbereitet.

Es war eine merkwürdige und amüsante Situation. Jetzt, da ich über zusammengesetzte Wörter mit Kinder- nachdenke, fällt sie mir wieder ein, und ich frage mich, ob sie vielleicht recht hatte, recht hat. Während der Jahre an der Universität, als ich mit meinen Seminararbeiten einzig meine Dozenten beeindrucken wollte, war mir allmählich die Gefahr bewusst geworden, mich für immer von den Menschen, die ich wirklich liebte, zu entfernen. So entstanden die ersten Ansätze eines Stils. Ich hatte nicht etwa konkrete Leser im Sinn, sondern eine Art imaginären jüngeren Bruder vor Augen, mit dem ich unbedingt kommunizieren wollte. Ich würde nicht behaupten, dass ich einen bestimmten Stil habe, denn meine Vorstellung von Stil hat sich verändert und wird sich weiter verändern, doch wenn ich dieses Spiel mitspielen müsste, würde ich mich mit Freuden zu so etwas wie einem Kinderstil bekennen.

269

Dein leichter Körper wetteifert mit dem Wind und siegt im Stillstand der Hängematte.

270

Der Himmel ist voller Waldsänger und Rötelbekarden. Einen Riesenpapayabaum entdecken wir und einen Flamingo, der die zaghaften Kähne verflucht.

Wir feiern deine ersten Wörter wie Sportreporter, die Brust geschwellt von nationaler Begeisterung. Wir essen frittierte Kochbananen, grüne Pozole und Kokoseis.

Auf der Rückfahrt kotzt du auf meine Guayabera, das Leinenhemd, das ich in deinem Namen zum Vatertag bekommen hatte.

271

Nachts treiben an der Decke die Blattfingergeckos Unzucht, erhellt von den Leuchtfeuern in der Bucht.

Heute hast du gelernt, den fliegenden Händler nachzuahmen, der seine Brötchen ausruft.

279

Ein Kunstkurator, den ich höchstens fünfmal im Leben gesehen habe und der mich dennoch für einen engen Freund hält, hat um zwei Uhr morgens angerufen und erzählt, er spiele mit dem Gedanken, Vater zu werden. »Ich möchte, dass sich mein Leben ändert«, sprach der Mezcal in ihm.

Vielleicht ist er doch ein Freund von mir, dachte ich. Und tatsächlich mag ich ihn. Sehr sogar. Ich schickte ihn nicht zum Teufel – der erste Beweis für meine Zuneigung –, sondern reagierte besonnen. Außerdem habe ich ihm einen anderen Beruf zugewiesen – der zweite Beweis –, falls er das hier lesen sollte (er ist kein Kunstkurator, obwohl er vielleicht einer sein sollte: Er wäre gut darin).

Wie es zutiefst naiv ist, ein Kind in der Annahme zu bekommen, das Leben gehe weiter wie bisher, ist die Absicht, Vater zu werden, um eine Veränderung herbeizuführen, eine maßlose Dummheit. Ganz so deutlich sagte ich das dem Kurator nicht, eben weil ich ihn mag. Aber ich sagte es ihm. Und er verstand es. Dann bot ich mich als Feldstudie für ihn an: Ich schlug vor, er solle zum Mittagessen kommen, wir würden den ganzen Nachmittag mit meinem Sohn verbringen.

Wir Männer haben eine gewisse Vorstellung von Kameradschaft entwickelt, basierend auf denkwürdigen Sauftouren, die uns in die emotionale Sackgasse von Beichte und Verschworenheit geführt haben. Doch tiefer lernen wir uns kennen, wenn wir einen ganzen Nachmittag mit einem Freund verbringen, der Vater geworden ist, uns hocherfreut empfängt und über alles Mögliche redet, nicht unbedingt über die Vaterschaft, uns dabei aber nicht mehr in die Augen sieht, weil sein Blick fest auf dieses Kind gerichtet ist, das in jedem Moment loslaufen und hinknallen kann.

280

Wie erwartet kam der Kunstkurator nicht. Ein paar Stunden später rief er an, um sich zu entschuldigen. Er habe viel Arbeit und ich solle mir keine Gedanken machen, er habe die Krise überwunden: Jetzt sei er Single. Ich wusste nicht, was antworten. Glückwunsch, sagte ich schließlich.

292

Ich ändere Text und Melodie der besten Wiegenlieder, während ich mit einer neuen Technik Geschirr spüle.

302

»Mit Flüssigkeiten darf man nicht hinein«, sagte mir ein Herr in der Filiale der Buchhandlung Educal im Museo Nacional de Culturas Populares in Coyoacán.

»Was, glauben Sie, habe ich da in der Babyflasche?«, entgegnete ich, während du in der Trage schliefst. »Mezcal? Wermut? Pisco, Rum, Gin, Sake, Tequila, Bacanora, Schnaps, Wodka? Brennspiritus?«

Das stimmt nicht, ich erwähnte nur den Mezcal. Beim Schreiben perfektioniere ich meine Antwort. Für Babyflasche sagte ich mamila-mamadera-biberón, denn manchmal reihe ich aus Nervosität Synonyme aneinander. Vor lauter Angst, das falsche Wort zu benutzen, nehme ich alle Varianten.

»Der Inhalt spielt keine Rolle.«

»Es ist Wasser!«

»Ebendrum, Wasser ist eine Flüssigkeit.«

»Und wenn es Muttermilch wäre?«

»Soweit ich weiß, ist Muttermilch ebenfalls eine Flüssigkeit.«

Schwer, da nicht ironisch zu werden. »Soweit ich weiß, ist Muttermilch ebenfalls eine Flüssigkeit.« Am liebsten würde ich einen Film drehen, nur damit in einer völlig belanglosen Szene eine Figur in einem T-Shirt mit diesem Spruch auftaucht, hoffentlich auf Englisch.

Ich war wütend, doch die Situation hatte auch etwas Amüsantes. Und du schliefst ruhig und warm. Ich verlangte, den Chef zu sprechen, wie im Film. Und wie im Film erschien der Chef sofort. Er bestätigte mir die Regeln der Buchhandlung. Gefäße mit Flüssigkeiten dürften nicht mit hineingenommen werden, »einerlei, welcher Natur«. Ich fragte, ob er sich auf die Natur der Gefäße oder der Flüssigkeiten beziehe. Er antwortete nicht.

Ich fragte, ob folglich in dieser Buchhandlung, die dem mexikanischen Staat gehöre, der Zutritt von Kindern unter zehn Monaten untersagt sei. Er entgegnete, Kinder von zehn Monaten und jeden anderen Alters seien willkommen in dieser und allen anderen Buchhandlungen der Vereinigten Mexikanischen Staaten, ebendarum gebe es eine Abteilung für Juniorenliteratur (dieses Wort benutzte er, Junioren).

Ich fragte, ob es in dieser Buchhandlung Wasserspender oder dergleichen gebe. Er verneinte. Ich sagte, in meinem Land sei es üblich, Leitungswasser zu trinken, aber in Mexiko rieten alle davon ab. Das kommentierte er in keiner Weise.

Ich fragte, ob er Leitungswasser trinke. Fragte, ob er Kinder habe. Er entgegnete, das seien zu persönliche Fragen.

Der Angestellte sah seinen Chef an, als zöge er heitere Schlussfolgerungen.

Da überkam mich eine Inspiration, und ich behandelte den Oberboss, wie im Film mit Verehrern umgesprungen wird, die zu weit gehen: Mit einer einzigen schnellen, herrlichen Geste schraubte ich dein Fläschchen auf und schüttete die Flüssigkeit direkt auf die schimmernde Glatze des Subjekts – nein, mein Sohn, natürlich habe ich das nicht getan, wenn ich auch nicht übel Lust dazu gehabt hätte, doch mein akuter Rachedurst war mir weitaus weniger wichtig als dein Wasserdurst.

321

»Was geschah, ist Vorspiel.« Ich weiß nicht, ob ich einverstanden bin mit dieser Figur aus dem Sturm. Oder doch. Ich schreibe dieses Vorspiel noch einmal im ansteckenden Rhythmus des Schaukelstuhls.

352

Du wachst auf meiner Brust auf und versuchst, mich mit beiden Händen zu kämmen.

364

Ein Sohn und sein Vater teilen sich einen Liegestuhl und erfinden sich weniger ernste Wolken.

365

Deine Existenz begann

vor einem Jahr genau

du drängtest wild hinaus

und als du bei uns warst

war Lächeln dir noch unbekannt

mit einem Ernst, so wunderbar

verlorst du dich beinah

in deiner Mutter Augen

die Stadt war die da draußen

um fünf Uhr nachmittags.

Nicht leicht war deine Ankunft

ein etwas tolpatschiger Arzt

– er war noch nie mein Fall –

tat einen Fehler nach dem andern,

die Krankenschwester, ziemlich eitel

und zimperlich, war auch nicht besser

doch deine Großmutter Teresa

beschenkte uns so stur begeistert

mit ihrer tröstlichen Begleitung

um diese Heldentat zu meistern.

Vergessen werden wir nie mehr

wie schön da dein Gesicht aussah

als du die Vormilch saugtest

du warst ganz wie ein Schiff auf See

das gut den Ort kennt, den’s erspäht

und dem es sich zur Rückkehr naht

jetzt decken wir zu einem Mahl

bei deiner Tante fein den Tisch

und feiern ganz verschwenderisch

mit Bier und Kuchen jenen Tag.

Am Anfang war dein Weinen

kaum vier Sekunden lang

du fandst die Welt charmant

wir wiegten dich einstweilen

dein Lallen klang wie ein Gesang

und der Planet gefiel dir gut

denn deine Augen ohne Ruh

erforschten früh um sechs

besonders gern die Fenster

und über Koffer jubelst du.

Marisa singt dir Lied auf Lied

und viele Fotos macht Toumani

– ein Cousin von deiner Mami –

sie sind bei diesem Gottesdienst

die Zeugen deines Jubilierens

Samt Óscar, Paula, Margarita

mit Héctor, Adolphe und Lupita

auch John und ebenso Joanna

– auch Schwester, Mutter und mein Vater

obwohl weit weg im fernen Chile.

Gewiss erinnert man sich kaum

an die Geburtstage zu Anfang

als wär’s das Leben eines andern

als käm die Melodie von außen

und in der Nacht kein Licht da draußen

dafür die Pferde, die Piñatas

die Tamarinden, Milch aus Mandeln

durch dich sind wir nun alle besser

und das feiern wir besessen

und ohne Ende und Krawatte.

Dein Dasein wandelt sie neu um

die Stätte aller Seligkeit

mit deiner Ankunft kam zugleich

die Hoffnung, unser Glockenturm

verdreifachte uns auch den Mut:

Mein Kind, Spatz, Matz und Kumpel

hast du nur Bock und Lust

dann komm mit mir in deiner Trage

auch für den Rest all deiner Tage

mein allerliebster Wurm.

Jennifer Zambra

Wäre ich als Mädchen auf die Welt gekommen, hätte ich Jennifer Zambra geheißen. So viel stand fest. Das erzählte ich deiner Mutter fast als Erstes, als wir in einem Diner in Prospect Heights flirteten. Angefangen hatte alles mit einem Gespräch über Bäume und Migräne. Und wir hatten den Tod von Oliver Sacks betrauert, als wäre ein Angehöriger oder gemeinsamer Freund gestorben.

Wie Mannschaftskapitäne an der Mittellinie oder schüchterne Botschafter aus exotischen Ländern tauschten wir Bücher von Emmanuel Bove und Tamara Kamenszain. Während der ersten Minuten kämpften wir mit der Nervosität und widmeten uns leidenschaftlich der Lektüre der Speisekarte, als suchten wir nach Druckfehlern. Anschließend lästerten wir über wirre Liebschaften anderer, die vielleicht eigene gewesen waren.

Bis wir uns endlich ohne allzu große Vorsicht in die Augen sahen. Es war eine volle, lärmende Minute guten alten heterosexuellen Schweigens. Dann kam Fahrt in die plötzlichen Bekenntnisse, die genüssliche Aufzählung von Vorlieben und Abneigungen. In diese zweideutigen Sätze, die nach Versprechen klingen.

Ich weiß nicht, wie ich auf den Gedanken kam, deine Mutter nach der männlichen Alternative zu ihrem Namen zu fragen. Einen Grund gab es wohl, doch er ist mir entfallen. Recht überlegt, war es keine gute Idee, vielleicht die schlechteste von allen. Zum Glück fand deine Mutter die Frage gar nicht so abwegig. Ich weiß noch, dass sie sich unnötigerweise das Haar zurückstrich, als wollte sie mit der Bewegung zugleich ein Lächeln auftragen.

»Du zuerst«, sagte sie klugerweise.

Also erzählte ich auf einmal von Jennifer Zambra. Irgendwann in der Kindheit hatte ich meinen Groll geschürt, wenn ich an diesen fremdsprachigen Namen dachte, wer weiß von welcher Schauspielerin inspiriert. Meine Eltern hatten ihn für mich gewählt, aber nicht bedacht, dass er mich Spott ohne Ende ausgesetzt hätte.