Nächte - Carl Hauptmann - E-Book

Nächte E-Book

Carl Hauptmann

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Beschreibung

Das Werk "Nächte" besteht aus drei Novellen: - Claus Tinnappel - Franz Popjels Jugend - Ein Später Derer van Doorn

Das E-Book Nächte wird angeboten von und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Hauptmann;Klar;Tinnappel;Popjels;van Doorn

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Seitenzahl: 198

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Carl Hauptmann

Nächte

Novellen

Impressum

Cover: Gemälde "Evening scene with full moon and persons" (1801) von Abraham Pether

Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2015

ISBN/EAN: 9783958705487

Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst.

www.nexx-verlag.de

Den Dreien

die Atem und Seele

des großen sehnsüchtigen Russenvolkes

mit singenden Händen

zu uns tragen

Vera Maurina-Preß

Michael Preß

Joseph Preß

Mittel-Schreiberhau, im Januar 1912

Claus Tinnappel

Erstes Kapitel

»Die macht Claus Tinnappel auch noch zum Flederwisch ... das ist ein Galgenvogel ... kaum zwanzig is' se ... und zwei Männer liegen schon im Erdboden eingescharrt ... die wird ihre Schlingen schon um den jungen Kerl zu werfen wissen ... die hat auch in Trauerkleidern Courage.«

Es war Nacht.

Die mürrische Erzählung machte eine quarrige Stimme, die aus einem vorgebeugten, mageren, grauen Schädel kam, dessen blinzelnde Augen in ein kleines, wieder neu sprühendes Waldfeuer sahen. Die harten Hände rissen frische Fichtenzweige umständlich und fest aus einem mächtigen Reisighaufen heraus und deckten sie gemächlich über die sausenden und krachenden Dunkelflammen. Der alte Buchwald ragte gegen die graue Dämmerluft und den Schein der jagenden Funkenschwärme, die stumm und geisterhaft über die Waldgräser hin schwebten.

Es war hoch oben im Forste.

Die Lichter fern in der Tiefe der Täler waren erloschen.

Der Waldboden war kühl und feucht. Er atmete erdigen Wohlgeruch. Die Sträucher der Rehheide flüsterten am Hange. Sie schienen unter den bleichenden, starren Sternen wie geheimnisvoll erglüht, als wären goldblinkende Gewirke weit hin am Waldsaum gebreitet.

Die Schutzhütte stand offen.

Nur der alte Totengräber ging vor der Hütte ums Feuer.

»Die macht Claus Tinnappel auch noch zum Flederwisch ... das ist ein Galgenvogel ... und die Alte ist eine Hexe oder Eule ... und was der Vater war, wie der noch lebte ... der immer mit Vieren fuhr,« begann er neu seine Rede, als wenn er dem Feuer seine lustige Geschichte erzählte, weil der, mit dem er geredet hatte, längst unversehens wieder eingeschlafen war.

Drinnen in der Hütte lag auf Bündeln zu Häupten, mit Jacke oder Laub leicht zugedeckt, Mann an Mann, alte Holzfäller, die schwerfälligen Sinne noch vollends dem leisen Rauschen der Waldnacht und dem Glanze des Feuers und der Sterne verschlossen.

Der dürre, staksige Totengräber besaß allein die Unrast der Greise. Er muddelte ewig an seinem Pfeifenkopfe herum, schob den Kaffeetopf übers Feuer und machte sich auch in den tiefsten Nachtstunden immer zu schaffen.

»Oh du großer Gott und Heiland!« seufzte er vor sich hin. »Die Alte ist richtig ein Uhu ... und was den Vater betrifft, wie der noch lebte ... und immer mit Vieren fuhr ...«

Das Gerede war plötzlich erstorben, weil der alte Totengräber jetzt verstohlen beobachtend ein Stück an der Waldlehne hin gehumpelt.

Drüben in den Rehheidestrichen, die nachtgolden glühten, sah man im ersten Morgengrau ein paar Dämmergestalten, unbestimmt und doch blendend.

»Ihr Leute! ... Ihr Leute!« ... rief jetzt Buchwald pfiffig den Schlafenden in der Hütte zu. »Ich sagte es doch gleich ... da stehen se ... da stehen se ... sie macht sich das Tüchel frisch um die Haare ... weil Tinnappel sie richtig gezaust hat ...«

Einer nach dem andern erhoben sich die alten Holzfäller von ihrem Laublager, reckten ihre erstarrten Leiber und kamen verschlafen in die Morgenluft.

»Und fort is' se ... wie ein Rehkitz« ... schrie der Totengräber verhalten. »Und liegt längst in den Federn, wenn die alte Eule zum Rechten sieht!«

Claus Tinnappel stand drüben in der Rehheide, und Salie war bereits im tieferen Bannwald dem Tale zu verschwunden.

Claus Tinnappel war straff wie ein junger Buchenbaum. Oben im Gebirge am Hochmoor stand noch das alte, kleine, wettergezauste Forsthaus aus Balken gebaut, darin er als Kind in der Wiege gelegen, und daraus er als Junge zu Tale gesprungen. Jetzt war Claus Tinnappel Forstgehilfe, angetan mit graugrünem Waldhabit, und hatte noch mehr einen Blick wie ein äugendes Waldtier. Er hatte geschworen sich unbarmherzig an den Wilderern zu rächen, die seinen Vater im tiefsten Forste zu qualvollem Tode gebracht. Sein rechtes, unteres Augenlid war gespalten. Er hatte einmal einen Streifschuss ins Gesicht erhalten, gerade als er den Wilderer scharf aufs Korn nahm. Auch die Mittelsehne seiner linken Hand war verkürzt, weil er in das Messer eines Wilderers in jachem Handgemenge hineingegriffen. Er wusste noch heute nicht, wie er damals davon kam. Claus Tinnappel konnte unbarmherzig sein. Er fürchtete sich vor niemand.

Jetzt stand er in der Rehheide im Morgengrau. Und Salie hatte ihm noch eben in den Armen gelegen.

Als der junge Forstgehilfe, die Büchse über der Schulter wie von einem Patrouillengange näher kam, krochen die alten Holzfäller noch einmal in ihre Schlummerlager zurück.

Der alte Totengräber ließ stumm den Kopf hängen und stocherte im Feuer mit einem Reisig-Ast. Alle taten, als wenn nur schlafende Stimmen grau über der Waldnacht hingen und Wunder und Sagen um die bleichen Stämme spännen.

Auch Tinnappel streckte sich wortlos ins Waldgras hin.

Nur der alte Buchwald nahm jetzt den Topf aus dem Feuer, schlürfte und ließ das Feuer einsinken.

Aber wie der Morgenschein über die Ginsterhänge floss, dass sie wie helle, goldene Fließe am Hange lagen ... wie die alten Holzfäller zwischen den gestürzten Stämmen sägten oder die Äxte schwangen ... als der junge Tinnappel am Waldrande stand, die kurze Pfeife dampfend im Munde, und der Förster herzu kam, rief auch er dem Forstgehilfen entgegen: »Die dachte wohl gar, ich erkennte sie nicht ... übrigens sieht sie verteufelt unschuldig aus in ihrer dörflerischen Maskerade ...«

Der Forstgehilfe wurde rot wie Purpur. Ganz übergossen wie ein junges Mädchen in Scham. Er konnte dem Förster nicht recht in die Augen sehen.

»Vor der warne ich Sie!« sagte der schwarzbärtige Förster, als er zu Claus Tinnappel herankam. »Zwei Männer hat sie schon unter die Erde gebracht ... das ganze Dorf kennt ihre Tollheit,« sagte er hart.

»Ach Gott ... Herr Förster!« ... sagte Tinnappel kleinlaut. »Wie wilde Hummeln nun einmal sind!« ... »Ich verstehe mich schon auf sowas« ... sagte er jugendlich drollig und doch noch immer verlegen.

»Unter uns gesagt«, sagte der schwarzbärtige Förster begütigend, »eine hitzige Zigeunerin war mir auch immer lieber wie ein Lamm auf der Weide« ... »Nun Gott befohlen ... die ganze Sippschaft ist ziemlich sonderlich ... ich wollte Ihnen nur einen guten Rat geben,« sagte er treuherzig, zündete sich auch die Pfeife an, nahm sein Forstbuch und seinen Signierhammer und maß die Stämme.

Unterdessen hallten auf der Lichtung die Axtschläge und summten rhythmisch die Sägen. Der nahe Wald wogte leise im Sonnenschein. Spechtrufe lachten. Und Claus Tinnappel sah einer einsamen Krähe nach, die in der Talrichtung ferner und ferner im Licht sich verlor.

Zweites Kapitel

Unten im Dorfe am Eingang in das enge Flusstal lag, den weißen Häuschen mit dem schwarzen Balkenwerke oder mit böhmischen Holzaltanen und bunter Wäsche zum Trotz, hinter schwarzem Eisengitter mit goldenen Spitzen und einem Vorgarten, darin mächtige Kastanien Schatten über grünen Rasen und Kieswege warfen, ein feines, weißes Herrenhaus, die Fensterscheiben seltsam gewölbt, dass sie wie geschliffenes Glas spiegelten, und Portal und Brüstungen aus hellem Granit gehauen und gerundet.

In diesem Hause oder Schlösschen wohnte jetzt die alte Frau Rotkegel seit Jahren allein. Denn Herr Rotkegel war lange tot.

Und es ist wahr, was der schwarzbärtige Förster oben im Schlage zu Claus Tinnappel gesagt, dass die ganze Rotkegelsche Sippe sehr wunderlich war. Die armen Leute im Orte waren an dem hohen Eisenzaun nie entlang gegangen, ohne sich nicht in die schielenden Fenster wie in eine verborgene Zauberwelt hinein zu träumen, auch schon als Herr Rotkegel noch lebte.

Aber Herr Rotkegel war an sich nichts Geheimnisvolles gewesen.

Herr Rotkegel, so Sonderliches man sich auch von seinen Liebhabereien und Launen erzählte, hatte mit dem Dorfarzt und dem Oberförster zusammen im Wirtshaus gesessen.

Er war mit Flinte und seinen Hunden pürschend über die Dorffelder gestrichen.

Und wenn der lustige, breite Mann mit dem Doppelkinn und mit den vollen, weißen Bürsten über seinen kleinen, flinken Augen in die Kirche trat, so war an ihm mit Ausnahme der großen, funkelnden Busennadel und den reich beringten, dicken Fingern, mit denen er dann sein Gesangbuch vor sich hin hielt, nichts Auffälliges weiter gewesen, als eben die kleine, jugendliche, ganz schüchterne und immer wie in entschuldigender Güte lächelnd hinter dem breiten Rücken des Herrn Rotkegel verschwindende Frau Rotkegel, die er erst in seinen späteren Jahren, wie er längst ein reicher Mann war, aus der Stadt mit heimgebracht hatte. Frau Rotkegel immer ein wenig verschleiert, oder gar hinter den Spiegelscheiben, wo all das Wunderwerk stand, das Herr Rotkegel aus der weiten Welt gesammelt, allzeit ungesehen umgehend, so dass sie von Anfang an, sobald sie ins Dorf eingefahren war, unter die Reichtümer und sonderlichen Kostbarkeiten des alten, breiten Herrn Rotkegel von den Dorfbewohnern gleich mit eingerechnet worden war.

Man muss auch wissen. dass es mit den Vieren, womit, wie der alte Totengräber behauptete, Herr Rotkegel immer gefahren war, eine eigene Bewandtnis hatte.

Man denkt sich dabei zwei fliegende Doppelgespanne mit flatternden Mähnen vor einander, leicht in der Hand des betressten Kutschers hineilend. Einen rollenden Wagen, der in Federn wiegt. mit allerhand vornehmer, herausquellender, seidener Frauenkleidung, wenn der Diener erst vom Bocke gesprungen ist und den Schlag einmal öffnet.

Aber das war alles ganz anders gewesen.

Der Wagen war ein haushoher, breiträderiger Planwagen gewesen, in dem feine Leinwanden gestapelt lagen, und vor dem vier mächtige Pferde aus Brabant mit Messingscheiben und anderem Geklingel und mit buntem Lederwerk reichlich aufgeputzt, alle Muskeln hatten spannen müssen, um ihn polternd und krachend und dröhnend die Landstraße fortzuziehen.

Erst war Herr Rotkegel selber im blauen Hemde, am Hute einen Strauß, die Peitsche lustig schwingend danebengegangen. Später freilich hatte er genug Kutscher und Knechte und stand nur noch als reicher Herr unter den reichsten Händlern auf der Messe.

Und die seltensten Sonderlichkeiten brachte er der feinen, scheuen Frau Rotkegel von seinen Reisen mit heim. So dass das Rotkegelsche Haus bald gar nicht wie eine menschliche Wohnung, eher wie ein Märchen anzusehen war. Zimmer an Zimmer nur voller Glasschränke, darin geschliffene Gläser und Schalen, buntes Steinzeug, Mosaiken, Miniaturbildchen, Ringe und Gemmen, winzige Uhren mit Diamant- und Perleinlagen und tausenderlei anderer kostbarer Kleinkram dem Auge verlockend blinkten. Truhen mit getriebenen Beschlägen standen da, aus denen man die schimmerndsten Wirkereien in Gold und Steinen ausschälen und hinbreiten konnte, edle Arbeiten, wie man sie in den Ländern der Wunder Königinnen über die weißen Steinterrassen breitet, oder auf die Altäre der Götterbilder selber anbetend niederlegt.

Es standen auch solche Götterbilder auf elfenbeinernen Tischchen in den Winkeln der weiten Räume.

Überall brütete eine große Feierlichkeit.

Die scheue Frau Rotkegel ging in dem Rotkegelschen Hause herum ganz ohne Laut.

Sie hatte große, nächtliche Augen.

Und auch deshalb konnte man an eine Eule denken, weil ihre Augen viel blinzelten.

In vielen Zimmern waren die Vorhänge gegen die Sonne immer niedergelassen.

Auch ein fremdartiger Geruch lag über allem Möbelkram und quoll aus den Schüben, sobald man sie öffnete.

Die erlesensten Spitzen lagen in den Kästen und Schüben geborgen. Frau Rotkegel konnte im Anstarren der kleinen Wunderwerke, die darin in weiß gebildet waren, Reigen von Sternen und Tieren und Blumen, Stunden vergessen.

Auch Goldbecher und Goldschalen gab es, schwer und gediegen. Schmuckkästchen, darin Ketten und Geschmeide lagen, die Frau Rotkegel oft wie eine umspinnende Musik lange durch die Finger gehen ließ, als wenn sie sie mit ihren feinen, weißen Händen noch lebendiger fühlte, als mit ihren fast zugedrückten, blinzelnden Augen sah.

Frau Rotkegel ging in dem Rotkegelschen Schatzhause richtig wie verzaubert um.

Freilich war da auch ein Kind aufgewachsen. Rosalie. Salie hatte sie der Vater genannt. Das gesund und frisch und unternehmend war. Das mit viel Lärm und rücksichtslos schon auf seinen kurzen Beinen durch die stillen Räume gelaufen und der Feierlichkeit und Schätze nie geachtet hatte. So dass es der kleinen, scheuen Dame, wie der Alte tot war, wohlgetan, wie die Tochter sich mit ihren sechzehn Jahren gleich einen älteren Mann, einen Gymnasialprofessor erkoren, den sie mit ihren lustigen, dunklen Augen völlig betört hatte.

Jetzt war Salie kaum zwanzig.

Sie hatte außer dem Professor schon einen zweiten Mann, einen jungen Offizier gehabt, der auch unversehens gestorben war.

Und Salie sah schlank aus, achtete der Trauerkleider nicht, hatte Blicke wie eine spanische Tänzerin und lief wie ein Mädchen herum.

Wenn sie jetzt neu im Rotkegelschen Hause herumpfiff und sang, kam die kleine, scheue Frau Rotkegel gar nicht mehr aus ihren hintersten Verstecken hervor.

In Salies Stimme, die zärtlich war, lachte und girrte es.

In ihren Hantierungen, wenn sie auch nur mit einem Blumenkelche tändelte, lagen Liebkosungen wie zum Trotze.

Manchen Alten, nicht bloß durch junge Sinne gesehen, stach ihr wissendes Wesen im Blute wie mit feinen Nadeln und machte ihn ihr nachblicken, wenn sie mit wehendem Brusttuch um die Schultern, ohne Hut in der Sonne, heute wie ein Bauernmädchen, und morgen wie eine Prinzessin durch die Dorfstraße lief. Mancher weise Blick lächelte über die Schalkheit und Inbrunst ihrer jungen, jähen Bewegungen, die ihr um Schultern und Hüften zuckten und ihren losen, dunklen Kopf zurückwarfen.

Vor dem Hause der Frau Rotkegel ragten jetzt im Schatten unter den Kastanien große Blüten von Purpurmohn hinter den Eisenstäben des Zaunes. Glut brannte in den Kelchen. Die Farbe der losen Blätter, die auch leicht abgeworfen im Kies lagen, war wie Feuer so glühend.

So waren die Stunden, die Salie hinwarf.

Im Grunde jeden losen Blütenblattes war ein Zeichen wie aus samtschwarzem Tode. Es konnte nichts Unheimlicheres geben, als im Innersten der Blütenglut die Flecken von tiefster Finsternis zu sehen.

So ragten die Purpurblumen im Schattengarten am Julitage.

So ragte in dem verwunschenen Hause drinnen die junge, verzehrende Frau.

Drittes Kapitel

Claus Tinnappel war so nüchtern, wie Salie verrückt und verschroben und nach allerhand Aberglauben und Märchentorheiten lüstern war. Sie hatte nicht umsonst unter dem Zauberballast im Rotkegelschen Hause ihre Jugend zugebracht, um nicht selber Verwunschenes genug an sich zu tragen und mit Wahrsagen und Hexensprüchen ihre Stunden und Tage zu vertändeln.

Aber eine Wahrheit lag in ihr, heiß wie Sonnenfeuer und dunkel wie Abgründe. Das junge, starke Blut Claus Tinnappels hatte draußen und hoch im Blütenmeer der goldenen Rehheide die stumme Sprache verstanden, die Salies Atem und Pulse redeten.

Und Salie dachte, dass sie sich nur nach Claus je gesehnt hätte. Sie lief jetzt oft oben an den Waldhang, wenn der Mond golden in der Nachtluft hing.

Aber sie hatte Claus nie gesagt, dass sie mehr als Heimlichkeiten wünschte.

Das kränkte Claus.

Mit der Zeit war ihm auch das Gerede der Holzfäller und des Försters zu dumm geworden.

So war er eines Tages zu Tale gelaufen und stand vor dem Rotkegelschen Hause.

Er hatte Frau Rotkegel nie von Angesicht gesehen.

Es war dem straffen Claus Tinnappel eine lächerliche Beklemmung, als er jetzt gar in dem feinen Treppenhause stand und unter den seltsamen Wohlgerüchen atmen musste, die aus einem indischen Bazar gewiss nicht üppiger aufstiegen.

Aber Claus Tinnappel war gewissermaßen aufgebracht.

Er war gekommen, die steilen Steinwege und durchs Dickicht nieder, wie Hirsche durch die Dickung brechen. Er wollte etwas in Klarheit bringen. Er dachte nicht viel mehr, als dass er einmal die ganze Lage sich mit eigenen Augen besehen und daraus erkennen würde, wie weit ihn seine törichten Sinne narrten.

Verdacht ist ein Arom. Könnten wir unser verdächtiges Blut prüfen, wir könnten vielleicht eine feine Flamme damit grün färben, oder wer weiß mit welchem nie gesehenen Zauber. Verdacht lag Claus Tinnappel im Blute. Obwohl auch er jetzt in Salies Blicke verzehrend hinein sah, wie in einen Purpurkelch.

Claus war gleich über die Teppiche im Rotkegelschen Hause empor gelaufen, obgleich Boden und Füße ein wenig unter ihm schwankten.

Aber er musste doch lachen, als er in die Tür zu Frau Rotkegel vollends eintrat.

Die Glasservanten alle in dem gewölbten Zimmer schielten und spiegelten. Sofa und Tisch und Lehnstühle darin waren mit Spitzenzeug reich behangen und schwiegen in ganz versunkenem Gehaben. Auch Frau Rotkegel war mit Spitzen behangen wie Tisch und Sofa. Sie sah sehr weiß und sehr zierlich aus.

Claus Tinnappel konnte die blinzelnde Dame ruhig betrachten, weil sie ihn zuerst nicht ansah.

Ihre Augen schienen ziemlich verzweifelt. Sie blickten auf den Erdboden oder an die Wände. Ihre Augen schienen dunkel wie Salies Augen, aber in einem sehr feinen, bleichen Gesicht. Ihre Lippen waren schmal. Unentschlossen lag der erste Gruß auf den Lippen. Sie war Claus Tinnappel wie abwehrend gleich bis an die Tür entgegengelaufen, indessen sich das dienende Bauernmädchen noch immer nicht entfernen gewollt.

Claus stand ziemlich ratlos.

Er hatte außer dem Gruße, den er aus Verlegenheit hervorstieß, sich in allen Winkeln umgesehen und die beiden, großen Bernhardshunde, die ein jeder in einer Fensternische nur den klugen Kopf hoben, ins Auge gefasst.

»Ja, was wollen Sie denn bei mir?« hatte die kleine Frau Rotkegel jetzt ausgerufen.

Da hatte Claus Tinnappel sich zwar gleich besonnen, dass er vor Salies Mutter stand, und dass er nun eigentlich einmal wissen müsste, was es mit ihrer Tochter für eine Bewandtnis hätte?

Aber diese Frau Rotkegel war allzu fein und zierlich und leise, und gar nicht so, wie Mütter sind, die über das Schicksal von Töchtern sich nüchtern und sicher verbreiten könnten.

Claus war plötzlich ganz seltsam abgestoßen.

Gar nicht unlieb.

Die kleine Frau war ja wie ein feiner Gesang. Aber einen Gesang und ein Märchen war Claus Tinnappel nicht zu hören gekommen.

Er gab seine ganze Absicht verloren.

Er suchte nach andern Ideen, die ihn aus seiner Lage wieder heraus bringen könnten, in die er durch seine Hast geraten war.

Claus war einsilbig wie Frau Rotkegel.

Er fragte nur, ob sie Holz für den Winter brauche? Sagte, dass er nur deshalb gekommen wäre.

So dass jetzt auch das Bauernmädchen sofort gleichgültig aus der Stube verschwand.

Claus sprach ziemlich jäh. Er stotterte einiges über die Holzpreise für den Winter. Er kam nicht zu Ende. Er lächelte sogar jetzt, dass die feine Spitzendame mit den grauen Scheiteln errötete. Und hielt wieder inne, um für ihre Antwort endlich eine Pause zu lassen.

Aber da tat sich zum Glück eine Seitentür auf und mit zwei roten Flatterrosen an der jungen, braunen Brust, die aus einem eng fließenden, silbergrauen Falbelgewande hervorlugte, wie eine schwebende Göttin, lachend und toll, wie wenn es hier gar keine zarte Frau Rotkegel weiter gäbe, kam Salie hereingestoßen, selbst ganz überrumpelt und jetzt auch ihrerseits überrumpelnd. Und wie sie Claus Tinnappel verlegen stehen sah, ihm an den Hals fliegend, ihn mit drollig tollen Namen benennend.

»Meine Haideschnucke,« begrüßte sie ihn.

So dass Frau Rotkegel fast einer Ohnmacht nahe war.

Aber da hätte weder Ohnmacht, noch sonst irgendeine Macht der Erde, wenn sie in Frau Rotkegel lebendig gewesen, je etwas anderes jetzt zu wecken vermocht, als dass auch Claus die junge, seidene, jähe Gestalt Salies fest an sich gepresst und gehalten hätte.

Aber er hatte sie dann doch sogleich wieder losgelassen.

»Das ist nämlich mein wahrhaft Erkorener, mein liebes, ängstliches Mutterschnäuzchen,« sagte Salie mit drolligem Tone. »Und keinen andern habe ich je geliebt ... weder vor noch zurück ... und alle können mir jetzt gestohlen sein!« sagte sie mit einem Anfluge von Hohn.

Die kleine Dame stand lange ganz nur in starrem Erstaunen. Und das starre Erstaunen hätte sicherlich kein Ende gefunden, wenn nicht Claus Tinnappel gleich in aller guten Sitte und knabenhafter Seligkeit zu Frau Rotkegel gesprochen und sie dabei flehend angesehen hätte. Claus Tinnappel sagte seine Worte jetzt ganz feierlich, ganz als wenn er wüsste, dass man den Alten in sanftem Flüstertone solche Entscheidungen des Lebens zu bekennen hätte.

»Ja ... nämlich ... wirklich ... Frau Rotkegel ... ich liebe Salie,« sagte er mit leiser Stimme. »Nehmen Sie es nur freundlich auf ... und geben Sie mir vertrauensvoll Ihre Tochter!«

Warum Frau Rotkegel bei diesen Worten weinte, hätte sie selbst in dem Augenblicke nicht zu sagen gewusst. Der Ton mochte ihr fremd sein und schien sie wohltätig zu rühren. Auch an das Wesen Salies mochte sie denken, das unstet und haltlos war, und sie mochte insgesamt Leid aus Vergangenheit und Zukunft ungeschieden in ihren Tränen tragen.

Sie stand völlig abgewandt.

»Wenn es schon wieder gleich sein muss,« sagte sie dann mit traurigem Blicke und blieb ganz von fern.

Wie Claus endlich hinaus war, hatten ihn wohl die Ringe der einstigen Ehemänner, die Salie vor den Augen der Mutter immer am Finger trug, einen Augenblick wieder ins Auge gestochen. Aber er lachte doch kindlich und froh, als er im Bergwalde aufstieg.

Und Salie hatte daheim mit der Mutter keine Geduld gehabt. Sie hatte bei deren Mahnungen beide Goldreife glatt vom Finger herunter gestrichen und sie der erschütterten Dame hohnlachend vor die Füße geworfen.

Die Ringe blieben lange im Teppich liegen.

Und die kleine sanfte Frau Rotkegel sah den Tag noch bleicher aus wie sonst.

Viertes Kapitel

Jetzt gab es einige gute Zeiten.

Claus Tinnappel war ein straffer Mann. Oder besser eine ehrliche Haut und ein fester Sinn. Und es sprang aus den Augen Clausens auch in Salies Augen hinein, dass sie wie eine Braut einher lief, die Glückliche spielte, überall wie ein vornehmes, gesittetes Mädchen auftrat, wo sie es gefällig fand, und vor den Dorfleuten und der kleinen, blassen Frau Rotkegel insgesamt etwas darstellte, was sie in dieser Zartheit noch keinem erschienen war.

Wie die großen Kastanienblätter den Vorgarten des Rotkegelschen Hauses bestreuten, und man raschelnd hindurch ging, wie die gefleckten Knollen beim Auffallen aus den Stachelfrüchten sprangen, und über dem Dorfe in den milchigen Lüften Scharen von Krähen kreischend dem Gebirge zuzogen, da war auch in Frau Rotkegel eine gelinde Beruhigung heimlich eingekehrt.

Die kleine Dame, scheu wie sie immer unter ihren Glasservanten und Truhen in dem weiten Schatzhause umging, begann sich an den Anblick Tinnapppels langsam zu gewöhnen. Hatte sie die Sommer- und Herbstmonate noch gewünscht, dass Claus nur wie zufällig ins Haus käme, so duldete sie, wie die Winterzeit heran war, dass er bei Salie in der Stube saß, und dass der beiden Liebesleute Gespräch und Gekicher manchmal noch bis in die späteren Abendstunden in das feine, einsame Treppenhaus heraus hörbar blieb.

Und was das Beste war, und einen sehr versöhnlichen Geist zwischen Mutter und Tochter säte, das war die Willfährigkeit, mit der die zarte, verschleierte Frau Rotkegel viel schöne Dinge herbeischaffte, die bald Claus Tinnappel und der Tochter in ihrem eigenen Hause zu gute kommen sollten. Wie es Frau Rotkegel noch nie so lebhaft getan hatte, sann sie mit Salie an Einrichtungen und Kleidern herum. Und wenn einer im Winter, wo ein Paar Schneiderinnen an den Fenstern von Frau Rotkegels Wohnräumen saßen und eifrig stichelten, und die Maschinenräder ewig schnurrten, in das Rotkegelsche Haus eingetreten wäre, hätte er wohl gar die kleine Mutter Salies unter Leinwanden und Spitzen und feinen Seiden wühlen und mit ihren nie gestillten, fremden Blicken ratlos darin herum suchen sehen.

Unterdessen sauste Salie, in feinem, drallem Pelzwerk, angetan wie ein Jagdpage, mit schlanken Beinen, die in Ledergamaschen straff eingefügt standen, den dunklen, spanischen Kopf mit einem samtnen, pelzverbrämten Federbarett bedeckt, im Arme Claus Tinnappels aus der einsamen Baude die Schneehänge jauchzend zu Tale nieder.

Toll war Salie noch immer.

Toll konnten ihre heißen, erhitzten Blicke noch mehr sein, sobald sie einsam in Claus Tinnappels strahlender Verliebtheit ging.

Auch wenn der Winter die alten und jungen Wetterfichten oben an den einsamen Kammhängen in tausende Urwelttiere und schlafende Adler verzaubert, und über die weiten Schneefelder verwunschene Zwergen-Hochzeiten im Dämmer huschten, auch oben unter den Reifriesen im Gebirge hing unversehens ihr heißes Begehren an Tinnappels Lippen und Leben.

In seinem Blute war dann auch die Kraft und das Jauchzen. In seinem Blute sausten und tobten auch Frühlingsstürme. Auch in ihm war dann eine Gewalt und Seligkeit ausgebrochen, die nicht leicht zu stillen war.

An einem dieser Abende waren Claus Tinnappel und Salie den Dorfweg vollends mit schwebenden Schritten niederstreifend, er ein Jägersmann mit dickem Fuchsmuff am Leibe, und sie in ihrem drallen Pagenkostüm, in die Dorfwirtschaft eingetreten.

Salie hatte schon von ferne die Musik angelockt.

Es war eine mächtige Dorfbrauerei, ein altes, breites Giebelhaus, das aus seinen hohen Saalfenstern auf die Dorfstraße und den Schnee Schein warf.

Es war sonntags.