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Die Erzählungen und „Gedankensplitter“ in diesem Band spiegeln die vielfältigen Facetten des Lebens wider - ernste und heitere, tragische und skurrile. Sie erlauben einen Blick in fremde Welten, über Grenzen hinweg, in verschiedene Zeiträume und auf die bunten Seiten des Lebens.
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Seitenzahl: 113
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Blick in fremde Welten
Gedankensplitter
Hamburg bei Nacht
Venedig
Die Stille des Waldes
Und der Himmel ist grenzenlos
Eine Reise zum Meer
Die Bergwanderung
Ihr Freund – der Baum
Das alte Haus
Grenzerfahrungen
Eine schicksalhafte Begegnung
Das Tagebuch
Jenseits des Eisernen Vorhangs
Und Schweigen ist Gold
Das Erdbeben
Kay West Impressionen
In einem anderen Land
Geheimkommando
Anna klopft an die Himmelspforte
Der Herbst fällt ins Haus
Der Tod der kleinen Hatice
In Zeit und Raum
Vier eiserne Waschbecken
Und dann stürmen wir die Isenburg
In der Morgendämmerung
Eine afrikanische Prinzessin
Das Netz des alten Fischers
In der Dunkelheit der Nacht
Einsamkeit
Allein im Haifischbecken
Dort wo die hohen Schlote rauchten
Ein seltsam kalter Sommer
Bunte Farben des Lebens
Der Maler und sein Paradies
Wenn Katzen kratzen und Flöhe beißen
Dreizehn verhinderte Weihnachtsgänse
Wohin – an Rhein oder Ruhr?
Die Weinprobe
Im Wartesaal
Im Rosengarten
Der Krug und die Liebe
Der Froschkönig ist alt geworden
Spiel mit Wellen Farbe Licht
Das Gelächter der Mäuse
Das ewige Brautpaar
Sappho
Ein Albtraum
Kamingeflüster
Leise schlüpfen sie
durch die Finger des Verstandes,
flüchtig und kaum fassbar
wie zarte Wolkenbilder,
Traumgespinste, Phantasien,
Zerrbilder, Fratzen, Fabelwesen.
Sie formen Worte, Sätze und Kaskaden.
In der Wirrnis ihrer Worte jedoch
liegt die Wahrheit verborgen.
Sie werden zu Fiktionen der Nacht.
Noch sind sie unvollendet.
Noch wollen sie weiter durchdacht,
bearbeitet, entwickelt werden,
wollen Teil jenes Ichs sein,
das du bist,
das du werden möchtest.
Der Nachhall der Worte,
die Dunkelheit der Nacht,
sie gleichen dem warmen Licht
der aufgehenden Sonne.
Warte nicht auf leere Worte,
nicht auf den stummen Totentanz.
Der nächste Tag wird kommen,
die Welt dreht sich weiter
und du mit ihr.
Bring zu Ende,
was du begonnen hast,
vollende dein eigenes Ich.
Nachdenken über das Leben
die Stadt und das Meer
In den späten Abendstunden knistert das nächtliche Hamburg von Leben: hier das Johlen der Betrunkenen, dort das Schreien der Taxifahrer, das Lachen der Straßenmädchen.
Die feuchte Frühlingsluft weht von der Elbe herauf. Dort unten, auf dem Strom im Hafen werden Anker gelichtet, werden Segel losgemacht, Schiffsmotoren angeworfen, und dunkle Schiffe laufen mit der Tide aus, hinaus aus dem Hafen, dem abgrundtiefen Ozean entgegen, der unter dem Mond wogt und rollt.
Große, rastlose Geschöpfe gleiten durch die Wassertiefe. Bleiche, graue Seevögel kreisen kreischend im Nachtwind und segeln den jagenden Wolkenfetzen entgegen. Ist es zu glauben, dass irgendwo dort weit draußen unter den Sternen ein Märchenland – mein Märchenland – liegt, mit herrlich weißen Sandstränden, umschäumt von einer blauen See und auf mich wartet?
Ich beginne zu träumen, fühle mich wie ein Tropfen Wasser im unendlichen Meer, verschmelze mit dem All, treibe einem fernen Ozean entgegen und erhebe mich aus dem dunklen Schatten der Nacht ins Land meiner Träume.
Hier stehen sie am Gestade
ihrer Träume und warten
das Möwen Ihnen den Weg
ins Paradies weisen
Diese Stadt, sie hat mich verzaubert.
Sie - die Stadt der trauernden Lagunen,
die Unvergleichliche, die Unvergängliche,
sie nistet sich in meine Träume ein.
Ihr morbider Charme widersetzt sich
der Fäulnis des Materiellen.
Es ist, als zögen windverwehte Lieder
über sie hinweg gleich einer Tränenspur.
Beim Gang durch die Gassen,
die Kanäle entlang,
über die Brücken hinweg
werfe ich meinen Sehnsuchtsanker
in den zitternden Wasserspiegel.
Mir ist, als sähe ich die Masken der Nacht
hinter maurischen Fassaden
von vergangener Größe träumen.
Schwarze Gondeln rauschen
an morschen Mauern vorbei
und verschmelzen wie von Zauberhand
mit dem Dunkelgrün des Wassers,
doch keine Wellenlinien
verraten mehr ihre Spur.
Venedig -
diese Stadt der trauernden Lagunen –
sie hat mich verzaubert.
Hör das Wasser, hör das Gras
Hör die Bäume und den Tag
Undurchdringlich wirkt das Dach des Waldes. Flirrend tasten sich die Strahlen der Morgensonne durch das Geäst, werfen bizarre Muster auf knorrige Stämme und malen die langen Schatten der Bäume auf den sandigen Waldweg, der mich zu meiner geheimen Lichtung führt, zu meinem Refugium, der Bühne für meine Phantasien und Träume. Da liegt sie vor mir, vom Sonnenlicht durchflutet, eingerahmt von den weißen Stämmen der Birken, deren junges Grün im Morgenwind leise erschauert. Weiches Moos und zarte Gräser laden zum Ausruhen ein. Kann ich mir einen besseren Platz wünschen zum Nachdenken, Abschalten, Abstand gewinnen? Hier bin ich mit mir allein, bin ganz versunken in diese Stille, die mich umgibt.
Ach, diese Stille! Wie ich sie liebe! Sie macht mein Inneres groß und weit, so weit, dass ich darin alles aufnehmen kann, was sonst kaum Beachtung in mir findet. Ganz entspannt liege ich im Gras, lasse mich von der Sonne bescheinen und spüre, wie die Sommersprossen meine Nase kitzeln. Um mich herum das Wimmeln und Flirren der kleinen Welt zwischen den Halmen – Käfer, Mücken, Spinnen, Hummeln. Wie ein Dschungel kommt mir das Reich der Krabbeltiere vor: Da kämpfen Ameisen und Marienkäfer um Blattläuse, Schnecken umarmen einander liebevoll und Spinnen wickeln Fliegen ein. Darüber summen die Bienen, flattern die Schmetterlinge, schwirren die goldäugigen Eintagsfliegen von Blüte zu Blüte.
Und dann die Vögel, die über mich hinweg fliegen; Wolken aus Federn, die von den Bergen kommen, kleine Vögel, große Vögel, nachtblaue Vögel, Vögel zart wie Libellen, mächtig wie Adler, nah wie der Hauch des Windes auf meiner Haut. Zwei, drei, vier, nein, ein ganzer Schwarm scheint sich über meinem Kopf zu versammeln. Da, einer löst sich aus dem Pulk, kommt ganz nah an mich heran. Wird er sich neben mir niederlassen? Oder gar auf meiner Hand? Vielleicht, wenn ich ganz still liegen bleibe? Der heilige Thomas konnte mit den Tieren sprechen. Ja, warum sollte das nicht möglich sein? Warum sollten die Tiere uns nicht verstehen? Also spreche auch ich mit dem Vogel: „He, großer Vogel“, sag ich, „komm, setz dich zu mir. Sag doch mal was.“
Natürlich sagt er nichts, aber er kommt näher und setzt sich auf die höchste Spitze einer Birke am Rande der Lichtung. Ist es ein Sperber? Ein Bussard? Stahlblau glänzt sein Gefieder in der Sonne. Regungslos blickt er starr geradeaus. Hat er irgendwo in der Ferne ein Opfer erspäht, oder ruht er sich einfach aus? Vielleicht träumt er auch nur, so wie ich es tue, wenn ich hier sitze. Träumt er von fernen Ländern, über die er in ruhigem Flug dahin gleitet?
Da, er breitet seine Schwingen aus! „Halt, großer Vogel, flieg doch nicht davon, lass mich nicht wieder allein!“ Schon hat er den Wipfel des Baumes verlassen – doch sieh nur, er dreht eine Runde über meiner Lichtung, so als wolle er mich auffordern, mitzukommen. Meine Augen folgen ihm, meine Gedanken begeben sich mit ihm auf die Reise. Ich verlasse den abgrundtiefen Rand der Erde und schwinge mich federleicht auf in die klare Tiefe des Blaus. Ein Vogel bin ich geworden, ein Vogel! Oder täusche ich mich? Bin ich nur der Schatten einer Wolke, der flüchtig über die Lichtung zieht? Bin ich ein Salamander, der lautlos durch das Gras huscht? Oder bin ich der Geist der Elfenkönigin, die einst ihr Königreich auf dieser Wiese hatte?
O wie sehr genieße ich diese Minuten, diese Stunden, die ich allein auf meiner Lichtung liege, alles Schwere, alles Bedrückende vergesse und mich ganz meinen Träumen hingebe! Ich baue Meter hohe Gedankentürme aus den immer gleichen Bausteinen, reiße sie Stück für Stück wieder ein und sehe zu, wie sie von selbst in sich zusammenstürzen. Ich spinne mich ein in eine Welt, die, solange ich daran weiterspinne, so real wird, so wirklich. Ich erfinde immer neue Figuren, die sich schon bald verselbstständigen, schlüpfe in unterschiedliche Rollen, entwickle das Fragment zu einem Märchen, einem Roman, einer Tragödie, lache mit meinen selbst erschaffenen Helden oder weine mit ihnen echte Tränen wie aus eisblauen Perlen.
Ich träume von magischen Kräften, die sich plötzlich in mir entfalten: Ja, ich werde etwas Großes vollbringen - sagen wir mal, ich werde eine berühmte Schauspielerin, werde auf der Bühne stehen, und die Menschen werden mich bewundern. Oder ich werde Wissenschaftlerin und eine epochale Erfindung machen. Ich könnte auch versuchen, als Malerin berühmt zu werden und die Leute würden sagen: Sieh da, die kleine Eva! Wer hätte das gedacht. Das wäre’ doch ‘ne feine Sache, oder nicht?
Weiße Wolke schwimmt
im Blau des Himmels
Ich liebe Flugmaschinen.
In gerader Linie
stoßen sie zum Himmel hinauf.
Ich fliege mit ihnen in die Höhe
und höre,
wie sie die Mauern meines
Gefängnisses durchbrechen:
mein eigenes Leben offen legen,
das von Millionen anderer Leben
umschlossen ist,
von denen ich nichts weiß.
Die Wohnblöcke verschwinden,
ebenso wie die Straßen.
Ich überfliege alle Umzäunungen
schwerelos.
Über meinem Kopf entfaltet sich
der unendliche Raum,
unter mir erstrecken sich
weiße Wolkenlandschaften,
die mich blenden
und nicht wirklich existieren.
Ich bin anderswo,
nirgendwo, irgendwo,
bin hier und überall.
Und der Himmel,
er ist so grenzenlos,
so unermesslich grenzenlos.
Träume den Traum
deines Lebens
Tante Luise hatte mich eingeladen, meine Schulferien gemeinsam mit ihr auf der Insel Rügen zu verbringen. Ich war rein aus dem Häuschen. Einmal das Meer sehen! Konnte ich mir was Besseres vorstellen? Weil jedoch meine Tante bereits seit einer Woche auf Rügen weilte, blieb mir nur die Möglichkeit, allein hinterher zu reisen. „Kein Problem“, meinte die Mama, “schließlich bist du schon zwölf Jahre alt.“ Also setzte Mama mich kurz entschlossen in einen D-Zug, der bis Berlin durchfuhr. „Am Bahnhof Zoo in Berlin musst du umsteigen nach Rügen. Dort wird Tante Luise auf dich warten.“
Es war noch dämmerig, als Mama mich zum Bahnhof brachte. Wir durchquerten die Sperre und erreichten das Gleis, wo der Zug bereits eingetroffen war. „Achtung, Achtung!“ dröhnte es aus dem Lautsprecher, „zum Schnellzug nach Berlin bitte einsteigen und die Türen schließen.“
Kaum war ich eingestiegen, setzte die Lokomotive sich schon in Bewegung. Abschiedsschmerz, Sehnsucht und Reisefieber lagen in der Luft. Der Zug schien eine besondere Aura auszustrahlen. In vielen Windungen fuhr er durch das Ruhrgebiet, durchquerte die sanfte Landschaft des Münsterlandes, zog vorbei an den Hügeln des Wiehengebirges, um dann Kurs zu nehmen auf Berlin. Manche Fahrgäste starrten emotionslos aus dem Fenster, an ihnen schien die Welt draußen unbemerkt vorbei zu rauschen. Ich aber hielt gespannt Ausschau nach meinem Zielbahnhof. Da! Berlin Bahnhof Zoo! Die große Halle war aufgebläht vom Dröhnen, Fauchen und Kreischen der ankommenden und abfahrenden Züge und von dem tausendfältigen Lärm des Tagesbetriebes. Lautsprecher spieen Worte aus, Elektrokarren surrten, Gepäckträger schrien herum, und das bullernde Stoßen von Waggons, die aneinander gekoppelt wurden, war erschreckend.
Etwas verloren stand ich auf dem Bahnsteig, atmete tief die Berliner Luft ein. Ich ließ mich vom Strom der Reisenden treiben. Meine Augen blickten suchend umher. Eine blasse Sonne warf schmutzig gelbe Bahnen durch das Glasdach. Und wo war mein Anschlusszug? Ich musste nun selbst sehen, wie ich weiter kam. Am Ende des Bahnsteigs entdeckte ich einen Bahnbeamten. Mein Köfferchen in der einen, die Fahrkartenmappe in der anderen Hand, ging ich tapfer auf ihn zu.
„Von welchem Bahnsteig fährt der Zug nach Rügen?“
„Nach Rügen? Von Bahnsteig 11. Aber da hast du noch eine Stunde Zeit.“ Also gut, eine Stunde! Doch was fängt man damit an? Kann man sich darin ein Stück von Berlin aneignen?
Dieses Berlin! Ein überwältigender Eindruck, das kann man schon sagen! Viel zu viele Leute! In dichten Scharen zogen sie von Geschäft zu Geschäft. Ihre Stimmen schwirrten hoch über dem Straßenlärm. Ach dieses Berlin! Es war mir einfach zu verwirrend! Und natürlich war die Zeit auch viel zu kurz, um diese Stadt wirklich kennen zu lernen. Sicher, hier am Bahnhof Zoo – im Herzen der Großstadt - mündeten viele Adern ein. Doch der Strom des Lebens blieb dort nicht stehen. Man konnte ihn nicht festhalten. Er floss in alle Richtungen fort. Eilig hastete ich zum Bahnhof zurück, bevor mich das Labyrinth der Straßen verschlingen konnte.
So ein Bahnhof hat immer etwas Geheimnisvolles. Dieses Kommen und Gehen von Menschen, dieses Ankommen und Abfahren! Ich stieß die Entgegenkommenden zur Seite, hetzte atemlos zum Bahnsteig 11, wo der Zug nach Rügen gerade einlief. Ich musste warten, bis einige Passagiere ausgestiegen waren. Dann drängten die Nächsten hinein - lachend, schimpfend, ungeduldig. Die Züge schienen die Menschen zu fressen und wieder auszuspucken und dann fortzufahren, um anderen Zügen Platz zu machen. Der Reihe nach wurden die Waggontüren zugeschlagen. Ich hatte mir ein halbleeres Abteil ausgesucht und beugte mich tief aus dem Fenster. Die Lokomotive pfiff, und die Räder setzten sich langsam in Bewegung. Hände wurden auseinander gerissen, Taschentücher schwirrten in der Luft, und der Zug fuhr schneller, immer schneller.
Alleen aus Linden führten durch das Land wie mit dem Lineal gezogen. In der Ferne aber kamen die Bäume ins Torkeln – da waren Kopfweiden, die eigensinnig ins Schiefe wuchsen, mal nach außen, mal nach innen. Wie besoffen wirkten sie und brachten mich zum Lachen. Nun brauste der Zug der See entgegen, dann den Küstensaum hinauf Richtung Osten, hinein in die Abendröte. Die sinkende Sonne lackierte die Erde: Lodengrün die Wälder, Backsteinrot die Dörfer und Zuckerweiß die lang gestreckten Sandstrände. Dann begannen die Boddengewässer. Wild und frivol verschlangen sich hier Wasser und Land – eine Symbiose von Fest und Fließend.
Erschöpft von der langen Reise, lehnte ich mich in meinem Sitz zurück und döste vor mich hin. Plötzlich hielt der Zug mit einem harten Ruck. Aufgescheucht stellte ich