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Echos und Lesefetzen, eigene und fremde Stimmen, die sich zu einem Dritten formen. Solche Sprachfunde sind für Nico Bleutge wie Kraftfelder, die seine Aufmerksamkeit bündeln. Den Kern des neuen Bandes bildet ein Zyklus aus zehn längeren Gedichten, die sprachlich und motivisch eng verzahnt sind. Der Bosporus als Sprungbrett: Öltanker und Containerschiffe, die etwas davon erzählen, wie der weltweite Handel die überkommenen Vorstellungen von Zeit, Transport und Geschwindigkeit verändert hat. Erinnerungen aus der Kindheit tauchen auf. Splitter aus Alfred Döblins "Berge Meere und Giganten". Ein Reservoir für die Sprach- und Klangwelt der Gedichte: "mischte sich jenes licht mit dem licht, erzeugte ihre verbindung / ein anderes licht, verwandtschaft von flucht und begreifen / ein zwischending aus gas und flüssigkeit / das die welt umpflügte." Mit großer rhythmischer Kraft zeigt uns Nico Bleutge die Zeitschichten und Mehrdeutigkeiten, die in der Sprache versteckt sind - aber auch die Verknüpfungen, Gemeinsamkeiten, die das Gedicht immer wieder aufspüren kann.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Nico Bleutge
nachts leuchten die schiffe
gedichte
C.H.Beck
Echos und Lesefetzen, eigene und fremde Stimmen, die sich zu einem Dritten formen. Solche Sprachfunde sind für Nico Bleutge wie Kraftfelder, die seine Aufmerksamkeit bündeln. Den Kern des neuen Bandes bildet ein Zyklus aus zehn längeren Gedichten, die sprachlich und motivisch eng verzahnt sind. Der Bosporus als Sprungbrett: Öltanker und Containerschiffe, die etwas davon erzählen, wie der weltweite Handel die überkommenen Vorstellungen von Zeit, Transport und Geschwindigkeit verändert hat. Erinnerungen aus der Kindheit tauchen auf. Splitter aus Alfred Döblins «Berge Meere und Giganten». Ein Reservoir für die Sprach- und Klangwelt der Gedichte:
«mischte sich jenes licht mit dem licht, erzeugte ihre verbindung/ein»
anderes licht, verwandtschaft von flucht und begreifen/ein zwischending
aus gas und flüssigkeit/das die welt umpflügte.»
Mit großer rhythmischer Kraft zeigt uns Nico Bleutge die Zeitschichten und Mehrdeutigkeiten, die in der Sprache versteckt sind – aber auch die Verknüpfungen, Gemeinsamkeiten, die das Gedicht immer wieder aufspüren kann.
Nico Bleutge, 1972 in München geboren, lebt in Berlin. Bei C.H.Beck erschienen die Gedichtbände «klare konturen» (2006), «fallstreifen» (2008) und «verdecktes gelände» (2013). Für sein Schreiben wurde er vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Erich-Fried-Preis 2012, dem Christian Wagner-Preis 2014, dem Eichendorff-Literaturpreis (2015), dem Alfred-Kerr-Preis (2016) Casa Baldi-Stipendium der Deutschen Akademie Rom (2015) und dem Stipendium der Kulturakademie Tarabya, Istanbul (2014/16).
nachts leuchten die schiffe
weißes knirschen
rodung
stimme tauschen
flugsand
mit lungenschlag und schwarzen flecken
grasen mit grisu
grasen mit grisu
(1)
(2)
(3)
gradierwerk
Anmerkungen
Dank
versenk dich in die bewegung des wassers
mischte sich jenes licht mit dem licht, erzeugte ihre verbindung
ein anderes licht, verwandtschaft von flucht und begreifen
ein zwischending aus gas und flüssigkeit
das die welt umpflügte. die wellen verstehen
so wie ein tanker durch die helle wasserfläche gleitet
zellhaut legt sich über zellhaut, erkundungsgeschwader für müde
strahlen, und die ströme quellen, meilenbreite bänder
wo alles sich aus masse in kraft verwandelt, glattes leuchten
das zusammenspiel von zink und rost verdecken
stumme kristalle, und die impulse vom landverkehr
sand streuen, mit einem mürben klingen
die kanalrouten waren den wellen voraus
leichte fahrzeuge bahnten ihnen den weg durch das packeis
wollten die schönheit des neuen kontinents abwarten
die erinnerungen drehen, dehnen sich langsam
als wären sie luftfäden, lebende moostierchen
die wanderbewegungen verloren gegangener
handelsgüter, die das licht des tages aufsaugen
und die frachtarbeiter an deck, ihre grellroten westen
die noch kurz in der dämmerung wachsen
die glut vertiefte sich, hob den erdstoff ein wenig
meer schien land und land schien meer zu sein
das wieder land war, rückstoß, zeit. die warme golfstromdrift
sandte ihr wasser herüber, lief an der südspitze grönlands vorbei
öffne die tür, mit ihrem mürben klingen
sieh dir den innendunst an
ein raum wie ausgemalt von ideen
der himmel nach oben geträumte tiefe, eine ferne
ahnung von grundlawinen, ständiges
wachsen und schichten von erde, denk an den
landweg, schau wie vom meer dort hinein, man baute
an einem korallenstock, von vielen stellen zugleich
stießen sie vor, schaltkreise, schleusen von licht
hatten die alten massen durch-
brochen, räume wie glas, mit ihrem kurzen
strahlen, als wäre nicht tag, als gäbe es schnee nicht
und lungen, keine strömung, stau. folge den trupps
auf dem weg nach unten, jedes ding bewegte sich
mit seinem eigenen drang, ein öffnen von schächten
buchten, gespür für veränderte routen. denk wie
der tonsand, fern in der ahnung von muschelschichten
denk wie muskeln und kalk, zelle um zelle
baute sich an, traum von geweben, häuten, wo du hinein-
gehst, siehst du nicht mehr hinaus, als wäre alles mit allem
verbunden, virus der weltpost, nicht mehr grund und keine
nacht in gedanken, ständig im kreisen, wachsender stoff
der sich trug, vom atlantischen wasser umfaßt, nach dem erdmüden
meer geschlossen, als wäre es sand, als würde das licht sich
verstärken, wege wie luft in den raum zeichnen
jetzt ist die nacht ein geräusch, in dem tiere verschwinden
mit einem herzen dazwischen, gespinsten der vorstellungskraft
die maschinen schlagen von unten an die schiffskörper
während das wasser schon seine wurzeln verliert
und die luft in nichts versinkt, staub und flocken und federn
jetzt mischen die kristalle den lauf der tanklinien neu
schleusen land an die decken der container. sauerstoff
setzt sich ab, wo die strahlen das eismeer erkunden
und die fische sich in fische auflösen, eine bewegung
die keinem traum folgt, erst sichtbar wird im verschwinden
und die schiffe werden schneller, laufen deutlicher schwankend
auf der meeresoberfläche wie auf schienen, als wollten sie
die zeit streuen, mit erhöhter umschlagsfrequenz
in die gebäude dringen, die frachthallen sprengen
und sogleich wie ein flug von mücken über dem gebüsch
die erinnerungen, aus einem sommer irgendwann
stücke von dunst auf dem grund der kindheit
von einem wasser irgendwann, ein paar kinder
schneiden einen apfel auf dem balkon, reichen mir die stücke
während ich auf den fluß blicke und die frachter höre, ihr
klopfen. schau wie die wärme sich dehnt, schau wie die frachter
auf ihren decks die strahlung mitnehmen
während ich ein paar blätter aufsammle, sie mit der hand
umschließe und ihren duft abwarte, kleine waren
die strom saugen, sich unter licht zusammenfalten
die landschaften drehen, von ihren trassen
die routen aus licht und sauerstoff in gedanken
die strandschatten drehen, schnell wie glut
über zellen hinweg, die docks und die fluchtlinien
drehen, das eis und die kontinentalen tiefen
alles auf strom, ohne gewicht in den lungen
verwandtschaft von kraft und enthaltensein
nah mit den strängen vertraut, dichter als quarz
wo die drift sich mit staub verbindet und die pflanzen
sand in die luft zeichnen, streulicht, in schichten
ohne geräusch, eine bucht, wo man landen kann
und die zaunflächen drehen, ihr leuchten
die westküsten drehen und die güterwaggons
die peaks und die algodones, falte legt sich über falte
erkundung für waches schauen, und nichts verdeckt
daß die spuren den spuren gleichen und die körper
sich in nichts auflösen, zurück in sich selbst
wie rost in glas, wie hinter schnee ein gesicht
das nicht verloren geht, ohne daß die tanks ihr klopfen
einlagern und ein echo von frost zu finden ist, schneller
flug durch rauch, an den grenzen entlang, çukurca öffnet sich
und cizre, gao öffnet sich, sikasso, tamanrasset, ghat, wo die jerboas
laufen und die tiefenmulden, der östliche landweg, vom grünen
ladogasee bis zum weißen meer, nah am uranerz, den herden
von salz und gischt, die entstehen, langsam die routen fassen
irgendwann geben die flocken nach, mit einem tropfen
dazwischen, mit einem klang. wenn du lange genug wartest
wachsen die schalen auf dem tisch weiter
und die blätter in der hand werden zu gras
in dem du selber sitzt. greif ins holz, ein paar fäden
schlaf, ein paar fäden zink, du blickst lange in richtung schleuse
und der fluß wird zu einem schacht, durch den die wärme kommt
mit ihrem drang, mit ihrem greifen, ein wunschloses
brüten von haut und insekten, dichter als harz, und du weißt nicht
ob die fische den kalkschatten folgen oder die beeren
wachs in die luft schlagen, jodstoff, in schichten, ohne geräusch
riecht wie heu, sagen die kinder, mit einem fluß dazwischen
und du weißt nicht, ob sie an wörter denken, an pflanzen
oder sich in die bewegung des wassers versenken
ein paar männer warten am ufer
streuen sand über die bänke, graben muscheln aus
mitsamt den wurzeln. wenn du lange genug hinsiehst
kommen die äpfel wieder zurück, und du wächst noch, im halb-
schlaf, irgendwann. deine mutter öffnet die balkontür
streicht über das holz, doch es ist, als würde das wasser
verschwinden und du könntest einfach hinübergehen
du folgst den schienen, siehst den alten güterbahnhof
und während der staub sich verteilt, nimmst du einen
der rostigen waggons und befüllst ihn mit kautschuk
und federn, mineralien und blüten, die fast schon schlafen
und ist die luft, könntest du fragen
ist das wasser, schon zurück in die zeit gefallen
funkzeichen geben, mit einem schwachen kabel
sich nicht zu dicht den großen frachtern nähern
nachts leuchteten die schiffe, stießen sich von der wasserfläche ab
zarte seewalzen lösten ihre materie langsam auf
schafften sich einen platz unter dem meeresboden
drehbrücken, ströme aus land, es war ein seltenes licht
in der unteren luftschicht, kein salz, kein muskelgewebe
nur güter, die blinkten, sich auf den decks zusammenzogen
abstoßen, fragen, langsam bewegt sich alles
auf schlaf, als wollten körper verschwinden, ihr murmeln
umgab sie wie flüssiges eis, als wollten lücken sich auftun
und weiter oben schließen, sich geräuschlos zurückziehen
wie rauch von starken winden. war, war da
das feuer schon. das fackelnde, abfackelnde
licht. mücken tauchen auf, verstreut im gedächtnis
wurzeln dazwischen, schächte, alte verwitterte lavaschichten
sammelten sich um das licht, der staub verfärbte sich
wurde rot, glühend, die elemente rissen an dem rumpf
flüchtige lungen, fasern, korallen verwandt
liefen dem festland entgegen, liefen, tauchten, liefen
das meer umströmte jetzt die inseln, lenkte den zufluß
wieder ab. kein feuer. alles wandert. gib mir wasser
drehe das eis
mit blütensaft und braunen samen
mit spritzern von grün und wasserfäden
können die blätter des kautschukbaums, die sich selber zurück-
ziehen, wege wie luft in den raum zeichnen
wenn du hingehst und einen schnitt setzt
tritt an der rinde milchsaft aus und die mulde vertieft sich