Narreng'schichten - Ernst Luger - E-Book

Narreng'schichten E-Book

Ernst Luger

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Beschreibung

Humulusien, eine kleine Metropole zwischen Himmel und Erde. Ihre Bezirke werden von ihren Bewohnern liebevoll „Märchen“ genannt. Heute findet in Humulusien ein großes Fest statt. Die Gäste und auch alle Festredner auf der Bühne sind Figuren und Helden aus den verschiedensten Märchen und Geschichten von Hans Christian Andersen, Astrid Lindgren, Ludwig Braunfels, Gebrüder Grimm, und anderen. Da meldet sich das tapfere Schneiderlein zu Wort, die Gänsemagd, Frau Holle, Robin Hood, Pinocchio, Sindbad der Seefahrer und viele mehr. Sie melden sich nach längerer Abwesenheit wieder zurück und erzählen den Festgästen ihre neuesten Geschichten oder bizarren Erlebnisse von und mit der Menschheit. Ernst Luger spielt gewissermaßen den „Hofnarr“. Er will mit den Erzählungen die Leserschaft amüsieren und unterhalten – und ihr natürlich nach Narrenart hintergründig einen Spiegel vorhalten.

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Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Impressum:

© Verlag Kern GmbH, Ilmenau

© Inhaltliche Rechte beim Autor

1. Auflage, Mai 2019

Autor: Ernst Luger

Umschlag/Layout/Satz: B. Winkler, www.winkler-layout.de,

Bildquelle Titel: Pixabay

Lektorat: Manfred Enderle

Sprache: deutsch

ISBN: 978-3-95716-275-5

ISBN E-Book: 978-3-95716-294-6

www.verlag-kern.de

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2019

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, Übersetzung, Entnahme von Abbildungen, Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, Speicherung in DV-Systemen oder auf elektronischen Datenträgern sowie die Bereitstellung der Inhalte im Internet oder anderen Kommunikationsträgern ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlags auch bei nur auszugsweiser Verwendung strafbar.

Ernst Luger

Narreng’schichten

Inhalt

Cover

Impressum

Titel

Vorwort

Festival in Humulusien (Erzähler)

Die Reise durch die Jahrhunderte (Derjenige, der auszog, um das Fürchten zu lernen.)

Tills Erzählung (Till Eulenspiegel)

„Andersrum“ ist auch nicht besser! (Zwerg Nase)

Der bittere Ernst (Der gescheite Hans)

Tragischer Unfall (Baron Münchhausen)

Abenteuer Straßenkreuzung (Bruder Lustig)

Der Clochard28Blehudi (Schneewittchen)

Ei, ei, ihr lieben Leut (Robin Hood)

Vom Erwachsenwerden (Struwwelpeter)

Das „Mensch-ärgere-dich-nicht“-Spiel (Frau Holle)

Home warming party (Hans im Glück)

Der arme Krösus und der reiche Schlucker (Der kleine Lord)

Ein Dorf in heller Aufregung (Gänsemagd)

Gottfried einmal anders (Das Mädchen ohne Hände)

Der Herr im feinen Zwirn und Chapeau (Das tapfere Schneiderlein)

Das Märchen von den drei Buchstaben (König Drosselbart)

Die Reise ins Zentrum des Nichts (Der Gevatter Tod)

Spiel oder Fanatismus? (Spielhansl)

Eine Hexe erzählt (Die Hexe aus dem Knusperhäuschen)

Hurra, heute ist Wahltag (Kalif Storch)

Streit um die Weltherrschaft (Der kleine Prinz)

Kinderreime für Erwachsene! (Brüderchen und Schwesterchen)

Kleine Festpause (Des Kaisers neue Kleider)

Das Lumpenpack (Der schlaue Fuchs)

Wenn genug nicht genug ist (Der kleine Muck)

Gewinner oder Verlierer? (Der wilde Jägersmann)

Vier Mäuse auf hoher See (Däumling)

Des Schieds Gericht (Pinocchio)

Küchenturnier (Der Märchenkoch)

Eine Bürohilfe für die Mühle (Der alte Müllersmann)

Die Fahrt in die Stadt (Geißenpeter)

Das alte Haus im Weinberg (Der gestiefelte Kater)

Aufregung im Zeitwerk (Sindbad der Seefahrer)

Kartusch als Vermittler (Merlin der Zauberer)

Das Ende des Internets (Der böse Friederich)

Wettkampf im Zoo (Doktor Doolittle)

Hausmenschlein (Der Eisenhans)

Das Streitgespräch (Vertreter der Wichtelmänner)

Gesellschaftsspiele (Nikolas aus dem Buch des Struwwelpeters)

Menü phänomenal! (Das Mädchen aus „Sterntaler“)

ICH (Ehrengast des Abends)

Fragen an die Nacht (Rumpelstilzchen)

Das Fest neigt sich dem Ende zu (Erzähler)

Nachwort

Figuren, die hier eine Geschichte erzählt haben

Erklärungen

Vorwort

Im Mittelalter pflegte das Volk einen viel unkomplizierteren Umgang untereinander, als wie wir das heute tun. Was aber nicht heißen soll, dass sie damals primitiver oder gar dümmer waren, aber sicher waren sie direkter und ihre Denkweise war viel geradliniger als unsere Gesellschaft heutzutage. Es wurde damals auch kein großes Theater gemacht, wer nicht entsprach, über den wurde knallhart geurteilt. Ein Beispiel dafür war der Begriff „Narr oder Krüppel“. Das gemeine Volk bezeichnete jene ihrer Spezies als Narren oder Krüppel die geisteskrank, geistig behindert oder sonst wie missgestaltet waren. Wer einmal zu dieser Gruppierung gehörte, der wurde erbarmungslos an den Rand der Gesellschaft geschoben, egal ob er Hunger leiden musste oder daran seelisch zugrunde ging. Zum Glück entspricht dieses Klischee heutzutage nicht mehr unserem guten Ton, denn dies würde jeglichen Ebenbürtigkeitsgedanken ins Eck stellen. Aber auch jene Gestalten, die gerne als Spaßmacher für Unterhaltung und Belustigung sorgten, wurden als Narr oder Tor bezeichnet. Somit unterschied das gemeine Volk schon damals zwischen zwei Arten von „Narren“, die natürlichen und die gekünstelten, ohne diese sprachlich voneinander zu trennen.

In der heutigen Zeit werden jene Menschen noch immer als „Narr“ beschimpft, die ein tollpatschiges, unreifes, dummes und/oder ignorantes Verhalten aufweisen. Meist plustern sich diese auf Basis ihrer Unwissenheit als Alleswisser auf, ohne dabei ihre eigene Beschränktheit zu erkennen. Auch gibt es heute noch jene zweite Gruppe von Menschen, die sich freiwillig als „Narren“ bezeichnet. In der mitteleuropäischen Fasnacht5 zum Beispiel sorgten diese selbsternannten Narren als Spaßmacher für Unterhaltung im großen Stil. Die „gekünstelte“ Rolle als Narr wird hier meist von Menschen gemimt, die sich gekonnt dumm oder tölpelhaft stellen und/oder dabei absichtlich Scherze (Blödeleien, Belustigungen, Albernheiten) treiben. Damit sich das Volk von ihren Vor- und Aufführungen in Bann gezogen fühlt, muss der Narr in seiner Rolle überzeugend wirken und dazu braucht es ein gewisses Maß an Intelligenz. Solche ambitionierten Spaßmacher gab es seit jeher und sie bekleideten oftmals auch ein sehr wichtiges Amt zu Hofe und trugen stolz den Titel „Hofnarr“. Ihr Auftrag lautete, ihren Herrn samt Gefolge allzeit bei Laune zu halten und nebenbei das ganze Auditorium stets daran zu erinnern, dass auch sie nicht unfehlbar sind. Diese gesonderte Stellung bzw. die lose Bindung an gesellschaftliche Normen ermöglichten dieser Gruppe von Narren damals wie heute einen besonders großen Freiraum, da alles, was sie sagten, aufgrund ihrer „Narrheit“ nicht ernst genommen, aber dessen ernster Hintergrund sehr wohl wahrgenommen wurde/wird. Diese gekünstelten Narren waren also nicht nur als Spaßmacher unterwegs, sie waren und sind heute noch Mahnmal für Unredlichkeiten in der Gesellschaft. Ihre spaßige, aber dennoch ernste Art und Weise animierte nicht selten manch einen im Volk zu ausschweifenden Fantasien. Seit jeher entstanden daraus närrisch groteske Geschichten oder Erzählungen (Märchen1), in denen fiktive Figuren einige dieser Narreteien widerspiegelten.

Zuweilen rüttelten diese interessant-amüsant-komischen Erzählungen bei einigen Individuen etwas an ihrem Moralverständnis, jedoch liegt es an unserer Natur, dass wir uns nicht gerne unseren Lebensspiegel vorhalten lassen. Menschen sehen sich lieber in ihrem eigenen Ruhmesglanz (Nimbus) als im Spiegelbild der damaligen, wie auch heutigen Gesellschaft. Trotz Nimbus sind Schilderungen und Erzählungen aller Art noch immer ein wichtiger Teil unseres täglichen Miteinanders. Waren es früher die Menschen selbst, die untereinander Interessantes von Mund zu Ohr weitertrugen, so sind es heute mehrheitlich die verschiedenen Massenmedien, (Presse, TV, Internet usw.) die aktuelle Berichte (Erzählungen, Schilderungen, Reportagen usw.) auf technisch hochentwickeltem Niveau verbreiten. Trotz hohem Intelligenzgrad und einem exzellenten Aufklärungsstand in Bezug auf Lebensstandard, beansprucht noch heute jeder Erdenbürger seine eigene Fantasiewelt. Die Kleinen lassen sich gerne von Figuren aus Märchen, Kinderbüchern oder Filmen verzaubern, die nicht nur ihre Fantasie wesentlich bereichern, sondern eine ganz wichtige Rolle beim Erwachsenwerden (Lernprozess) spielen. Nicht nur die Kleinen, auch die Erwachsenen ziehen sich gerne in ihre eigene Fantasiewelt zurück. Sie glauben weniger an die gute Fee, lassen sich viel lieber von ihren Ideologien (Ideale, Idole) eine rosa Brille aufsetzen, die bei den meisten das Bild einer „heilen Welt“ erzeugen. Aber Menschen vergleichen auch und wenn ihr Idealbild nicht mehr stimmig ist, kann das ihre „gesunde Gedankenwelt“ komplett durcheinanderbringen. Folgen solcher zerstörter Weltbilder haben ihre Auswirkung und können bis hin zu schwerwiegenden Exzessen führen.

So betrachtet sind wir alle irgendwie „Narren“, was uns aber nicht daran hindert, grundlegend ein erfolgversprechendes Miteinander anzustreben. Zum Glück wird unser gemeinsamer Alltag nicht nur von fatalen Ereignissen geprägt, mehrheitlich stolpern wir über ganz banale Geschehnisse, die eher von der ungenierten, humorvollen Seite her betrachtet werden sollten. Mein Ziel war und ist es immer noch, den einen oder anderen dazu zu animieren, seine persönliche Haltung in den Alltagsgeschehnissen ein klein wenig zu überdenken. Denn wenn heute jeder von uns einen winzig kleinen Schritt in die richtige Richtung machen würde, sähe unsere Welt morgen schon viel friedvoller und freundlicher aus. Ich bin mir sicher, dass eigentlich jeder von uns genau wüsste, wo er hier ansetzen könnte/müsste, aber eben????? (ich auch nicht).

Mit den folgenden Erzählungen möchte ich nicht über große Begebenheiten vergangener Tage berichten, auch niemanden für seine unschöne Verhaltungsweise schelten, sondern lediglich kleine Eskapaden und Stolperer aus dem Alltag gedankenanregend humorvoll widerspiegeln. Noch ein kleiner Tipp: Nehmt bitte nicht alles allzu ernst, denn auch ich bin gewissermaßen ein „Hofnarr“ und möchte mit meinen Erzählungen nur andere amüsieren und nicht deren Gewissen zusätzlich belasten. Hintergründig solltet ihr aber dabei nicht vergessen, dass Geschichte nicht nur rein illusorische, sondern auch reelle Vorkommnisse unseres gemeinsamen „Tun und Lassens“21 beinhaltet.

Nun wünsch ich euch eine unterhaltsame Audienz mit meinen kleinen „Narrengeschichten“.

Ernst Luger

Festival in Humulusien(Erzähler)

Humulusien3, eine kleine Metropole zwischen Himmel und Erde. Ein Kleinstaat, der sich in tausende kleine Bezirke aufteilt, welche von den Bewohnern liebevoll Märchen genannt werden. Die Bewohner sind die hochgeschätzten Figuren und Helden aus unzähligen Märchen und Geschichten. Gründer und Bauherren dieser Metropole waren unter anderem Hans Christian Andersen, Astrid Lindgren, Ludwig Braunfels, Gebrüder Grimm u. v. a.

Heute findet in Humulusien ein großes Fest statt, das alljährliche Treffen aller Märchenfiguren2 samt Nebendarstellern. Dieser Anlass ist der Grund dafür, dass auch heuer wieder alle Märchenfiguren aus ihren Märchenbüchern herauskriechen und die Kinder für diesen Abend alleine zurückgelassen werden. Das Empfangskomitee konnte bereits einige bekannte Helden begrüßen, wie zum Beispiel Aschenputtel, Bruder Lustig, Brüderchen und Schwesterchen, das tapfere Schneiderlein und noch viele andere, die in den verschiedensten Märchen in Haupt- sowie Nebenrollen ehrenvoll ihren Dienst verrichten.

Nun ist es wieder so weit und Rübezahl richtet seine Begrüßungsworte an das zahlreich erschienene Publikum. Seine Stimme schallt wie Donner durch den Saal und sofort verstummen alle, um seinen Worten zu lauschen: „Liebe Freunde, Figuren und Gestalten aus Humulusien, es ist mir wiederum eine hohe Ehre, euch alle so zahlreich und fröhlich vereint hier begrüßen zu dürfen. Ich heiße euch alle im Namen unserer geistigen Väter und unserer Stadtregierung herzlich willkommen. Wie jedes Jahr veranstalten wir am heutigen Märchentag das Festival aller Märchenfiguren und als Höhepunkt dieser Veranstaltung erzählen uns wieder diejenigen ihre Geschichte, die wiederum Seltsames oder Kurioses mit oder bei den Menschen erlebt haben. Ich wünsche euch allen einen recht unterhaltsamen Abend.“

Da schon während des Dinners die Bühne zur freien Verfügung steht, erobert sogleich der erste Gastredner die Plattform. Derjenige, der vor langer Zeit in die weite Welt hinauszog, um dort das Fürchten zu lernen, greift sogleich zum Mikrofon, um seine Erlebnisse an die Zuhörerschaft weiterzugeben.

Die Reise durch die Jahrhunderte(Derjenige, der auszog, um das Fürchten zu lernen.)

„Liebe Märchenfiguren, es ist mir eine große Freude, wieder mitten unter euch weilen zu dürfen, denn lange hielt ich mich in der Fremde auf, um dort das Fürchten zu lernen. Ich tat genau so, wie es mir meine geistigen Väter, die Gebrüder Grimm, damals aufgetragen hatten. Anfänglich zog es mich hinaus in die verschiedenen Zeitabschnitte der Vergangenheit. Meine Reise begann damals bei den Ägyptern, Etruskern und Babyloniern, die aus heutiger Sicht zeitlich sehr früh existierten und recht abwechslungsreich zu beobachten waren. Es war damals eine karge und harte Zeit, in der kriegerische Auseinandersetzungen auf der Tagesordnung standen. Aber all diese Völker und ihre streitsüchtigen Kontrahenten waren über Jahrhunderte hinweg nicht wirklich imstande, mir so richtig die Furcht in die Glieder zu jagen. Wahrscheinlich lag‘s daran, dass ich die Menschen von damals und ihr alltägliches Handeln nicht so richtig verstand, darum zog ich weiter ins alte Rom. Aber auch diese Römer mit ihrem aufgeblasenen Gehabe erheiterten mich eher, als dass sie mich erschrecken konnten. Kulturell wie auch historisch wurde mir in dieser Epoche sicherlich einiges Interessante geboten, aber beängstigend fand ich die ach so mächtigen Römer auch nicht. Auch später dann, als Cäsars Imperium zum Scheitern verurteilt war, war dies zwar imposant mitzuerleben, aber nicht aufregend genug, um dabei spürbar das Fürchten zu lernen.

Im frühen Mittelalter traf ich dann auf die Hexen und Magier, die mir schon etwas komischer vorkamen und mich nachdenklich stimmten. Das Leben dieser Menschen konnte ich schon eher nachvollziehen, aber von Angst war da immer noch keine Spur. Auch später, als die Kriege unter den Völkern brutaler wurden und Seuchen die restliche Bevölkerung arg in Mitleidenschaft zogen und dadurch sich der Alltag der Allgemeinheit immer mühsamer und armseliger gestaltete, stimmte mich das sehr traurig, aber richtige Angst empfand ich dabei keine.

Als ich dann ins 20. Jahrhundert wechselte, ließ mich das zeitlich Geschehende langsam erahnen, dass ich meinem Ziel sehr nahe war. Sogleich schraubte ich meinen Zeitschlüssel weit zurück, damit ich dieses Jahrhundert intensiver erleben konnte. Es tat sich viel, alles wurde hinterfragt und was veränderbar war, wurde verändert. Die Menschen suchten, forschten, entwickelten, produzierten und bauten, aber vor allem änderten sie. Bald war nichts mehr so, wie es früher einmal war. Für mich war das sehr lehrreich und unterhaltsam, aber auch dies trieb mir immer noch nicht die Furcht in die Knochen.

So wechselte ich noch an den Beginn des 21. Jahrhunderts. Oh Schreck, kann ich euch sagen, seid froh, dass ihr so wohlbehütet in dieser Stadt hier und in den Köpfen der Kinder leben könnt. Krieg, Völkervertreibung, Neid, Eifersucht, Bedrohungen, Raub, Mord, Drogen, Totschlag, Selbstzerstörung, Terror hat es in ähnlicher Art und Weise schon lange davor gegeben, aber nicht in dem gewaltigen Ausmaß und in dieser Vielfalt wie in dieser Zeit. Reichtum ist das Einzige, was diese Zeitgenossen als erstrebenswertes Ziel noch kannten und diesem Abgott wurde alles untergeordnet. Täuschungen, Verleumdungen und Lügen nährten zusätzlich die unersättliche Gier nach dem verlogenen und blutverschmierten Machtsymbol Geld.

Seit Menschengedenken hat es Geschöpfe gegeben, die durch ihr Auftreten und ihre Kraft eine Führerschaft innehatten. Waren es in früheren Zeiten vor allem Stärke, Charisma, Charakter oder Bildung, die einen an die Macht gelangen ließen, aber auch durch Erbschaft konnte man seine gesellschaftliche Position von seinen Vorfahren ergattern, was aber meist danebenging. Zur damaligen Zeit hieß es: Wer die Macht hat, der nahm sich auch das Geld. Jedoch im 21. Jahrhundert war Geld gleich Macht und wer die Macht innehatte, der bestimmte und regierte. Nach außen hin machte alles eine gute Figur, aber hinter diesem Schutzmantel stand sehr oft die Verantwortung für Armut, Elend, Ausbeutung, Vertreibung, Versklavung, Hungersnot, Kinderarbeit und Tod. Aufgeweckte Beobachter könnten fast den Eindruck gewinnen, dass sich das Gefühlsempfinden proportional zum Reichtum abbaut, stimmt doch oder?

All diese negativen Erlebnisse alleine schafften es immer noch nicht, mir so richtig das Fürchten zu lehren. Darum wollte ich weiter, weiter in die Zukunft dieser Menschen. Aber wie kommt man dahin? Da schoss mir eine Idee durch den Kopf: Ich könnte mich doch durch die Gedankenwelt der Erdenbewohner in ihre gedankliche Zukunft einklinken, so würde ich wenigsten ihre Zukunftsaussichten aus ihrer Sicht kennenlernen. Es funktionierte, jedoch kaum angekommen überfiel mich ein riesiger Schock.

Aus der Tundra entwich stinkendes Methangas, welches die Erdoberfläche erwärmte. Eisberge schmolzen dahin und ließen den Meeresspiegel ansteigen, was wiederum großflächige Überflutungen in Küstengebieten hervorrief. Die Vegetation im Landinneren hatte sich durch die Erderwärmung gravierend verändert, wo einst Wiesen und Wälder standen gab es nur noch Ödland und unfruchtbare Landstriche. Diese gravierenden Umweltveränderungen ließen die Tier- und Pflanzenwelt bis auf ein paar wenige Arten aussterben, wie auch die Atemluft stark mit Staubpartikeln und Schadstoffen kontaminiert war.

Unter der Menschheit herrschte eine Kultur auf Basis von Egoismus und Selbstverherrlichung. Uneingeschränkte Lebensfreude behinderte jegliche Ressourcenplanung, dafür stieg die schier endlose Gewinnsucht an. Die meisten Menschen verlagerten ihren Lebensmittelpunkt in Städte, weil es sich dort viel einfacher und vor allem bequemer leben ließ. Riesige Wohnghettos, in denen eigene Gesetzte herrschten, schossen wie Pilze aus dem Boden. Wer es konnte und vermochte, der genoss sein Leben in vollen Zügen, denn wer lebte, lebte sowieso auf Kosten anderer.

Der gläserne Mensch war zur traurigen Wirklichkeit geworden. Die Bevölkerung wurde überall beobachtet, ihre zwischenmenschlichen Konversationen aufgezeichnet, ihr Konsumverhalten erfasst und jeder Leumundverstoß4 protokolliert, gerichtet und geahndet. Alles was nicht ausdrücklich erlaubt war, war verboten, was aber niemanden so wirklich interessierte. Geld gab’s genügend, doch nur ein Handvoll Menschen verwaltete den größten Teil dieses so heiß begehrten Machtsymbols. Ein paar wenige demonstrierten gegen die Herrschaft von Ausbeutung, Massenkonsum und Gewinnsucht, doch wen interessierte das? Unterricht an Schulen fand schon lange keiner mehr statt, wie auch im Alltag Speis und Trank nichts mehr mit Genuss zu tun hatten, sie dienten lediglich zur Befriedigung eines Grundbedürfnisses.

Um die Rentabilität von Fabriken zu steigern, wurden Arbeiter fortlaufend durch Roboter ersetzt, was immer mehr Arbeitslose auf die Straßen trieb. Arbeitslosenunterstützung war ein Fremdwort und ohne Geld gab’s keinen Einlass in die Gesellschaft. Dadurch fristete ein Großteil der Menschheit ein Dasein am absoluten Existenzminimum. Das alles war den Mächtigen egal, was kümmerte sie der „Pöbel“. In Summe ein Teufelskreis ohne Gewinner, nur Verlierer.

All das konnte ich einfach nicht mehr mit meinen Wertvorstellungen messen und so hat mir diese Zukunftsvision der Menschheit doch noch die Angst in die Glieder getrieben. Ich konnte und wollte es einfach nicht fassen, dass die Leute wirklich so über ihre Zukunft dachten. Wie ihr, wünsche ich den Menschen da unten, dass diese schaurige Vision niemals zur Realität wird.

Seit ich aus dieser Zukunft wieder zurückgekehrt bin und der Spuk für mich vorbei ist, bin ich glücklich, wieder hier verweilen zu dürfen. Trotzdem sind mir einige negative Eindrücke erhalten geblieben, darum meine Bitte an euch alle, gebt, was ihr könnt, damit in den Köpfen der Kinder ein Umdenken stattfindet. Es soll unser gemeinsames Ziel sein, diesen kleinen Erdenbürgern wieder den Weg zu den natürlichen Dingen dieser Welt zu weisen. Die Kleinen von heute sind die Großen von morgen und somit die Erben der nächsten Jahrhunderte.

Ich bin heute zum ersten Mal bei dieser Veranstaltung dabei und ich freue mich sehr auf diesen Abend. Ganz im Sinne dieser unschuldigen Kinder wünsche ich euch und mir einen erlebnisreichen Abend und viel Vergnügen.“

Während der Ansprache dieses einst furchtlosen Jünglings war es im Saal mäuschenstill. Alle lauschten gespannt seiner Erzählung durch die verschiedenen Epochen. Als seine Lippen verstummen, spenden ihm die Zuhörer gebührenden Beifall.

Zum Glück braucht es noch einen Moment, bis der nächste Gastredner die Bühne betreten kann, so bleibt den Zuschauern etwas Zeit, um über die bewegten Worte noch etwas nachzudenken.

Um die Festgäste abzulenken, springt nun „Till Eulenspiegel“ ganz überraschend hinter dem Vorhang hervor und verbeugt sich tief vor seinem ehrwürdigen Publikum. Sogleich hebt sich sichtlich die Stimmung im Saal und Till startet sofort durch mit seiner Erzählung.

Tills Erzählung(Till Eulenspiegel)

„Seid gegrüßt, ihr Lieben und Bösen, ihr Kleinen und Großen, ihr „Schierchen“41 und Schönen, ihr Dummen und „G’scheiten“. Heute will ich euch weder aufs Glatteis führen, noch will ich euch auf den Arm nehmen. Auch müsst ihr euch nichts hinter die Ohren schreiben, denn dort könnt ihr es ja sowieso nicht nachlesen. Ich wünsche euch einen schönen Abend und erwarte, dass ihr wohl gespeist habt. Hoffentlich seid ihr dem Leitsatz „Lieber in Massen genießen, als aus kleinen Dosen“ treu geblieben? Wenn ich euch so anschaue und dann „meinereiner“ im Spiegel bewundere, dann merke ich erst, wie mickrig und hager ich in Wirklichkeit bin. Doch esset sorglos weiter, unser „Tischlein deck dich“ wird sich erst leeren, wenn sich auch der Hinterste und Letzte von euch seinen Ranzen bis obenhin gefüllt hat. Merkt euch meinen Leitsatz, viel Essen macht nicht dick, es formt nur den Körper.

Muss euch dringend was erzählen. Gestern tagte unser Familienrat, denn meines Erzeugers Tochter musste ihren Zukünftigen dem Rat vorführen. Seither hat für unseren Vater das Wörtchen „Mit-Gift“ plötzlich eine ganz andere Bedeutung. Das Problem fand dort seinen Ursprung, als der Mond sich anstandshalber hinter einer Wolke versteckte und der Hirsch seinen Brunftschrei ausstieß. Ja, so kann dich plötzlich ein Wildfremder zum Onkel machen. Ihr Auserwählter, ein wohlbeleibter Mann, gibt vor, von Beruf ein Manager zu sein. Wohlbeleibt mag wohl jedem ein Begriff sein, aber was bitte ist ein Manager? Also wenn ich mir das Wort einmal genauer durch den Kopf gehen lasse, dann sehe ich darin zwei englische Wörter herumlungern, „Man und Ager“. Versucht man diese Vokabeln in unsere Sprache zu übertragen, dann entspricht „Man“ gleich „Mann“ und „Ager“ kommt wahrscheinlich von „Age“ also Alter. Somit muss wohl ein Manager ein „alter Mann“ sein. Wo da wohl meines Erzeugers Tochter hingeschaut hat? Nicht nur dass so eine Masse von einem Mann meine dünne, zarte Schwester verführt hat, müssen da auch noch so viele Jahre zwischen den beiden stehen? Fehlt gerade noch, dass dieser Dicke erst meines Vaters Dünne dick und dann sich selber dünn macht. Damit der alte Mann sich nicht heimlich verdünnisiert, ergriff unser Familienoberhaupt selbstsicher die Situation und verdonnerte diesen fiesen „Onkelmacher“ förmlich zur Fahrt in die Hölle. Er wirkte so überzeugend, dass dieser Genannte sich vorsichtshalber lieber auf die Hochzeit gefreut hat, als heimlich abzuzwitschern. Er wird meine Schwester ganz freiwillig ehelichen und das ganz ohne „mit Gift“ (Mitgift). Ja, ja, gegen Pechsträhnen ist auch der Figaro machtlos, im schlimmsten Fall kann so einer immer noch als schlechtes Beispiel dienen, so bleibt keiner unnütz.“

Das Publikum lacht und klatscht laut. Langsam kommt wieder echte Stimmung im Saal auf. Der vorangegangene Beitrag scheint langsam verdaut zu sein und die Märchenfiguren lauschen frohgelaunt weiter der Erzählung von Till.

„Ja ihr Lieben, das Leben schreibt für jeden von uns eine andere Geschichte. Dem einen wird sein Weg endlos mit Geldscheinen gepolstert, der andere muss sein Hirn gebrauchen, weil sonst harte Arbeit seinen grauen Alltag bestimmt. Ach ja, ich habe seit einem halben Jahr einen neuen Job, bin jetzt Schwerarbeiter, echt. Ja wirklich, ich gehöre nun zur schwerarbeitenden Bevölkerung. Bei meiner Einstellung wurde auf meinen Wunsch hin vereinbart, dass mein Zeitmanagement nicht wöchentlich oder monatlich, sondern auf das ganze Jahr verteilt berechnet wird. Das heißt, im Jahr stehen mir 365 Tage zu Verfügung. Für jeden Tag sind mir 8 Stunden Schlaf bewilligt worden. Im Weiteren stehen mir täglich 7 Stunden Freizeit zu. Zudem werden alle Samstage und Sonntage abgezogen, weil da sowieso kein Schwein arbeitet. Eine tägliche Essenspause von 30 Minuten ist vorschriftsgemäß einzurechnen. Gesetzlich stehen mir nebst den 9 Feiertagen noch 14 Urlaubstage zu. Die restliche Zeit muss ich dann in voller Länge und ohne „Wenn und Aber“ dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen. Mit Wonne habe ich diesen Vertrag unterschrieben. Meinen ersten Arbeitstag feierte ich gleich im Wirtshaus ums Eck. Pünktlich zur Freizeit kehrte ich nach Hause zurück und meine 8 Stunden Schlaf gönnte ich mir auch. Nach der ersten Schwerarbeiterwoche stand doch plötzlich der Herr Personalchef vor meiner Tür und verlangt eine Erklärung bezüglich meines Fernbleibens vom Arbeitsplatz. Fernbleiben, warum? 8 Stunden Schlaf pro Tag macht 122 Schlaftage, dazu 7 Stunden Freizeit macht 107 Freizeittage, 30 Minuten Mittagspause pro Tag macht nochmals 8 freie Fresstage. 365 Tage hat ein Jahr, wenn man davon 122 Schlaftage, 107 Freizeittage, 104 Wochenendtage, 8 Fresstage, 9 Feiertage und 14 Urlaubstage abzieht, dann bleibt noch ein Tag übrig und das ist der 1. Mai, Tag der Arbeit, da haben sowieso alle frei. Also was soll die ganze Aufregung, ich habe lediglich meinen Vertrag erfüllt? Jetzt streiten sich die Rechtsverdreher und ich genieße meinen Schwerarbeiterjob immer noch beim Wirt ums Eck.“

Wiederum lachte und klatschte das Publikum fröhlich und laut, was Till zum nächsten Beitrag animiert.

„Letzte Woche, als ich gerade in meinem Stammlokal saß, musste ich mal ganz dringend das gewisse Örtchen aufsuchen. Als ich so gemütlich mein ‚Geschäft’ erledigte, hörte ich von nebenan rufen: „Hallo, wie geht’s dir?“

Ich bin sicher nicht der Typ, der Gespräche auf der Männertoilette anfängt, aber in diesem Fall musste ich einfach antworten. „Es geht gut, danke der Nachfrage“, erwiderte ich.

Wieder ertönte es von nebenan. „Was machst du gerade?“

Was ist denn das für eine törichte Frage, dachte ich mir und etwas entrüstet antwortete ich erneut: „Also ich glaube dasselbe wie du, nicht.“

Dann ging mir die Fragerei langsam auf die Nerven und ich wollte mich gerade beeilen, als von nebenan erneut eine Frage zu mir durchdrang: „Darf ich zu dir kommen?“

O. k., das ging mir jetzt zu weit. Etwas angeschnupft konterte ich dem Unbekannten. „Nein, ich bin im Moment wirklich zu beschäftigt.“

Die Rückantwort kam prompt. „Du hör mal, ich rufe dich später noch mal an, irgendein Idiot sitzt nebenan und antwortet immer auf meine Fragen.“

Nun, ich denke es kann sich jeder vorstellen, wie schnell ich die Sitzung abgebrochen und fluchtartig diese Bedürfnisanstalt verlassen habe.

Die Leute im Saal bogen sich vor Lachen, aber nicht genug, Till wusste noch mehr zu erzählen.

„Ja, manchmal spielt einem das Leben einfach einen kleinen Streich, aber deswegen muss man nicht gleich die Nerven über Bord werfen. Wenn eine dumme ‚Kuh’ beim Metzger einkauft, darf sie sich nicht wundern, wenn sie von keinem ‚Schwein’ bedient wird. Kleiner Tipp, wenn du mal kein Geld hast, dann borg’s dir von einem Pessimisten, denn dieser erwartet es eh nicht zurück. Damit der Monat nicht länger wird als die Reichweite meines Geldes, ist auch bei mir seit Längerem Sparen angesagt. Zum Beispiel heute, da war ich beim Bäcker und wollte Brot von gestern für morgen vorbestellen, da dies morgen nur die Hälfte kostet. Die Verkäuferin schaute mich ganz verdutzt an und fragte mich verwundert: „Sie wollen was?“

„Brot von gestern vorbestellen, ich komm’s dann morgen abholen.“

„Das geht nicht, das morgige ‚Brot von gestern’ ist ja heute schon da. Das kann man nicht vorbestellen.“

„Aber morgen kostet das Brot von heute, weil’s von gestern ist, doch nur noch die Hälfte.“

„Ja schon.“

„Na und das will ich eben vorbestellen.“

„Aber das geht nicht, es gibt noch kein Brot, das morgen von gestern ist.“

„Ja, aber da liegt es doch.“

„Was?“

„Na, das Brot, das morgen von gestern ist.“

„Ja, aber das ist doch das Brot von heute.“

„Eben, deshalb will ich’s vorbestellen. Morgen kostet’s ja nur die Hälfte.“

„Man kann nicht Brot von gestern vorbestellen, man kann nur Brot für morgen vorbestellen.“

„Ja, aber das will ich ja. Ich will ein Brot von heute für morgen vorbestellen, weil’s dann von gestern ist.“

„Ja, ja, aber das geht nicht. Wie stellen Sie sich das denn vor? Wenn das alle machen würden. Wo sollte ich denn das ganze Brot lagern? So viel Platz habe ich hier gar nicht.“

„Ach so der Lagerplatz ist also das Problem?“

„Ja, genau. Ich brauch doch morgen den Platz für das Brot von morgen.“

„Na ja, wenn das das ganze Problem ist, dann bestell ich eben jetzt für morgen ein Brot von gestern, aber ich nehm’s heute schon mit.“

Die Verkäuferin war fassungslos und schaute mich böse an. Dann starrte sie auf die Warteschlange, die mittlerweile bis vor die Ladentüre reichte. Mit wütenden Augen packte sie mir das Brot ein, kassierte den halben Preis und bediente den nächsten Kunden:

„Bitte mein Herr, was bekommen sie?“

Dieser grinst verschämt und sagt: „Ich würde gerne für morgen sechs Brötchen von gestern vorbestellen.“

„Bevor ich euch noch langweile, wünsche ich euch noch weiterhin einen lustigen und fröhlichen Abend.“ Mit diesem kurzen Satz verabschiedet er sich von seinen Zuhörern.

Das Publikum lacht und applaudiert minutenlang. Die Stimmung im Saal hat sich also wieder gehoben. Jedoch bevor Till die Bühne wieder verlässt, verbeugt er sich noch mehrmals vor dem immer noch lachenden Publikum. Dann entschwindet er mit einem Salto rückwärts hinter den Vorhang.

Als nächster erklimmt nun ganz kess „Zwerg Nase“ die Bretter der Bühne. Heute will er mal seine Zuhörer mit einer drolligen Geschichte verzaubern. Mit kräftiger Stimme und spitzer Zunge richtet er nun seine Worte an das neugierige Publikum.

„Andersrum“ ist auch nicht besser!(Zwerg Nase)

„Was für ein wundervoller Abend doch heute ist, draußen hat der Mond seinen Höchststand erreicht und tagsüber zieht die Halbsonne über das Firmament. Gigantisch wenn man sich so riesig fühlt und am liebsten mit dem Erdball Fußkugelspielen möchte. Das Wetter ist nicht zu kalt und auch nicht zu warm, einfach genial, um die Wände hochzulaufen. Wäre sicher auch ein idealer Zeitpunkt für einen Spaziergang über den See oder ein paar Flugrunden übers weite Land.

Wir haben’s gut, wir können diesen Abend hier genießen, aber was ist mit den Menschen da draußen, was nützt ihnen so ein Hochgefühl, wenn sie trotz eitler Wonne ans gewohnte Tagwerk gerufen werden. Schuften, buckeln für eine „Handvoll Geld“, nur damit die Reichen noch reicher werden – ist das wirklich der Menschheit letzte Weisheit? Eigentlich sollte man auf diesem Planeten einmal alles auf den Kopf stellen – Berge zu Tälern und das „Untere“ nach „Oben“ kehren. Die Idee klingt im ersten Moment recht ulkig, aber wie würde sich das in der Realität auswirken, würden sich so vielleicht alle menschlichen Probleme lösen lassen?

Betrachten wir einmal die Welt etwas „verdreht“, beobachtet aus Sicht der Menschheit. Stellt euch mal vor, die Sonne würde sich auf der Mondumlaufbahn um den Erdball drehen. Die Umwelt der Erdoberfläche würde aus Wasserbergen, Steinmeeren, Sandflüssen, Luftfeuer, Erdluft und Feuerwasser bestehen. In so einer Umwelt würde es wahrscheinlich kein Leben auf Erden geben. Eigentlich müssen wir nicht gleich so weit ausschweifen, bleiben wir etwas näher bei der Realität und stellen uns lediglich ein paar menschliche Werte etwas „verdreht“ vor.

• Fröhliche Farben ließen das „Alltagsgrau“ erblassen.

• Leichtfertigkeit stünde vor Verantwortung.

• Motivation zerstöre jeglichen Tatendrang.

• Kooperation basiere auf Ausbeute und Eigennutz.

• Spaß und Humor basiere auf Laster und Unsittlichkeit.

• Lebensfreude basiere auf Herrschsucht und Gier.

• Wertschöpfung basiere auf Korruption und Bestechung.

• Würde und Hochachtung basiere auf Reichtum und Macht.

• Handwerk und Kunst basiere auf Massenproduktion.

• Emanzipation zerstöre Partnerschaft.

• Mobilität um jeden Preis stünde vor Sicherheit.

So oder so ähnlich könnte sich vielleicht ein manipuliertes Wertgefühl der Menschheit darstellen. Durchdenkt man jedoch diese Behauptungen, dann bemerkt man bald, dass es eigentlich keinen so großen Unterschied zum Heute darstellt – außer dass Einiges hier direkter (ehrlicher, reeller) dargestellt ist. Aber wer mag schon die nackte Wahrheit hören, die Menschen bevorzugen eher eine Binsenwahrheit, damit lässt sich doch die Realität viel leichter unter den Tisch kehren.

Genug der Jammerei, lasst uns mal nachdenken wie es wäre, wenn sich nur die hierarchischen Rollen auf dieser Welt vertauschen würden – wenn zum Beispiel die Tierwelt plötzlich die Rolle der Weltherrschaft einnähme? Da könnten vielleicht irgendwelche Tierrassen den Homo sapiens (Menschen) als Arbeitsmenschen halten oder in Käfigen zur Schau stellen. Einige von ihnen würden in engen Ställen gefangen gehalten oder auf engstem Raum, ohne jegliche Bewegungsfreiheit, gemästet werden. Diejenigen, die der Gefangenschaft entfliehen können, müssten sich in Wäldern und Bergen vor den Angriffen (Jagd) der verrückten Tierwelt verstecken. Diese Vorstellung entspricht ganz sicher (k)einem tierischen Spaß, oder? Gemästete Menschen könnten eventuell Verwendung im tierischen Nahrungskreislauf finden. Um einmal intensiver darüber nachzudenken, lade ich euch zu einem Dinner in die Futterkrippe „Zum Fettsack“ ein. In dieser tierisch renommierten Fütterungsanstalt werden ganz spezielle Leckerbissen serviert. So zu lesen auf der Menükarte.

Tierische Speisekarte – Tagesmenü (5 Gänge)

Vorspeise:

Bauern- oder Hirtensuppe

Zwischengang:

Zigeunersalat oder Fiakergulasch

Hauptspeise:

Thai-Fleischbällchen oder Metzgerbraten

Dessert:

Schlosserbuben, Französische Bischofstorte

Käseteller:

Allgäuer Käse, Emmentaler Käse, Appenzeller Käse, Mönchskopf.

Dazu empfiehlt der Chefkoch einen jungen weißen Burgunderwein.

Kleine Speisen:

Desserts:

Faule-Weiber-Suppe

Linzer Torte

Hamburger

Nonnenfürzchen

Russische Eier

Kapuzinerknödel

Schweizer Wurstsalat

Mohr im Hemd

Indianereintopf

Basler Leckerli

Wiener Würstchen

Hauptspeisen:

Getränke:

Frankfurter vom Grill

Jägertee

Tiroler Gröstl

Kaiser Bowle

Wiener Saftgulasch

Kosaken-Blut (Shake)

Jägerschnitzel

Schwedenpunsch

Omas Sauerbraten

Mönchsbier

Holzfällersteak

Berliner Weißbier

Mongolen Fleischtopf

Weißer Burgunder

Na, alles so unbekannt? Alles wohlbekannte Speisen und Getränke, doch wenn sie aus dem etwas anderen Betrachtungswinkel gesehen werden, erhalten sie plötzlich einen eigenartigen Beigeschmack, nicht? Wer die Wahl hat, hat die Qual, also wählet gut, es könnte euer letztes Ma(h)l sein.

Schrecklich diese Vorstellung, dass man Menschen so köstlich verarbeitet in tierischen Speisekarten wiederfinden könnte. Doch würden sich Tiere überhaupt die Arbeit antun und Menschen „züchten und mästen“, um sie dann in Küchen zu köstlichen „Fressen“ zu verarbeiten? Würden sie das ganze Versorgungssystem nicht ganz anders aufbauen und organisieren, sind doch die meisten von ihnen „Jäger wie auch Gejagte“ und nicht wie die Menschen „Mäster, Schlächter und Vernichter“. Eigentlich sind Tiere keine Menschenfresser, sondern sie wehren sich nur gegen die menschliche Weltherrschaft und schützen sich vor den Angriffen und Ausrottungsexzessen habgieriger Homosapienser (Mensch). Tiere machen normalerweise nur das zur Beute, was sie wirklich zum (Über)Leben brauchen und jagen nicht zum Spaß und Vergnügen, wie einige Erdenbürger das zu tun pflegen. Somit kann jegliche Befürchtung bezüglich menschlichen Fleisches auf tierischer Speisekarte außer Acht gelassen werden.

Doch wie würde unsere Welt aussehen, wenn die Weltherrschaft nicht vertauscht, sondern nur die verschiedenen speziellen Begabungen und Fähigkeiten plötzlich anders verteilt wären. Wenn Vögel nicht mehr durch die Lüfte fliegen und Fische nicht im Wasser herumschwimmen, sondern alle fest am Erdboden angewachsen wären. Im Gegensatz dazu die ganze Flora (Pflanzenwelt) nicht mit ihren Wurzeln im Erdboden verankert, sondern diese als Laufwerkzeug benützen könnten. Zu guter Letzt würden dann sicher alle Homo sapiens durch die Lüfte fliegen. Wie würde sich dann wohl das Leben auf diesem Erdball abspielen? Wenn ich so darüber nachdenke, sehe ich die ganze Fauna (Tierwelt) festgewurzelt am Boden mit ihrem Schicksal hadern. Um zu überleben, locken sie mit prunkvollen Farben, herrlich Düften und wohlklingenden Lauten ihre Beute an. Sicherlich würde sich der eine oder andere unvorsichtige Florianer (Flora) oder gar ein hungriger „Homosapienser“ vom Zauber der Verlockung angezogen fühlen. Durch dieses „Festgewurzeltsein“ deckt sich der Tisch der Tierwelt nicht gerade üppig und ohne die gewohnten Freiheiten und Fähigkeiten würde sich so das Leben als Faunistiker (Fauna) als sehr mühselig und karg entpuppen.

Im Weiteren sehe ich Bilder, auf denen Bäume übermütig übers Land laufen, wie auch Büsche und Sträucher ausgelassen auf humusreichen Erdböden herumtollen. Blumen und Gräser, die sich mit ihren Wurzeln an klaren Wasserquellen laben, während Kräuter und Gemüse an sonnigen Plätzen ausgelassen herumlungern. Doch der Schein trügt, sich sonnen und tummeln klingt drollig, aber was, wenn der Hunger sich meldet? Um an den nahrhaften Humus heranzukommen, müssten sie jedes Mal von Neuem ihre Wurzeln mühsam in den harten Erdboden bohren. Klingt auch nicht gerade phänomenal, nicht?

Menschen dagegen heben sich federleicht in die Lüfte und schweben ästhetisch über das zauberhafte Land. Hoch aus den Lüften halten sie Ausschau nach reifen Früchten, die von herumwandelnden Bäumen und Sträucher als nutzlosen Ballast abgeworfen wurden. Dadurch dass ihre Hände durch Flügel ersetzt und ihre Füße mit langen Krallen belegt sind, bleibt es ihnen meist verwehrt, gelegentlich eines von den an der Erdoberfläche angewachsenen Tieren zu „pflücken“. So würde es auch für die Spezies Mensch ein hartes Erwachen aus seinem althergebrachten Traum vom Fliegen geben.

Spätestens jetzt sollte uns klar geworden sein, dass vertauschte Rollen den kleineren Spiel- und Bewegungsraum zur Nahrungs- und Partnersuche offen lassen und darum Mensch und Tier in so einer Umwelt sehr bald vom Aussterben bedroht sein würden. Die Floratypen könnten sich zwar frei bewegen, aber durch ihren großen Bewegungsfreiraum würden alle ihre Symbiosen (Zusammenleben) zerstört werden. Die fehlenden Gruppierungen von Bäumen und Gräsern würden zum Beispiel eine Naturlandschaft ohne die notwendigen Wiesen und Wälder anbieten. Eines ist sicher, vertauschte Lebensbereiche würden aus dem Erdball keine Traumwelt machen.

FAZIT: Was oder wem nützt eine einzelne Tanne, die durch die Wüste spaziert oder ein Apfelbaum, der auf den Mount Everest klettert – NIEMANDEM.

Vertauschte Fähigkeiten sind also auch nicht so ganz die perfekte Lösung für eine bessere Welt. Was aber, wenn Menschen ihre Talente so ausgleichen könnten, dass alle gleich wären? Stellt euch mal vor, plötzlich wären alle Menschen gleich. Keiner wäre benachteiligt, keiner wäre schlechter und keiner wäre besser als die anderen. Frieden wäre selbstverständlich, Hunger und Durst wären, wie Not und Elend, unbekannt. Alle würden gleich sein, keiner würde aus der Reihe tanzen. Harmonisch vergingen die Tage bis zum jeweiligen Tod, denn dieser ist weder austausch- noch ersetzbar. Wo versteckt sich in so einer Welt der Reiz am Leben?

In diesem Fallbeispiel drängt sich mir irgendwie die Frage auf, wer sich in so einer Welt um die unangenehmeren Dinge kümmern würde, die ja auch zum Leben gehören? Sicherlich macht es keinen Sinn, wenn jeder Mensch sein tägliches Brot selbst bäckt. Gesellschaftlich gesehen ist es doch viel wirtschaftlicher und auch wertschöpfender, wenn einer das Brot für viele bäckt, während die anderen sich um das kümmern, was sie besser können oder sich sonst wie in die gesamtheitliche Organisation einbringen. Offensichtlich ist, dass in so einer perfekten Welt sich niemand um so ein banales Thema wie Müll kümmern würde, alle würden sie Höheres anstreben. Demzufolge heißt Harmonie nicht, dass alle gleich sein müssen. Ausgeglichenheit kann nur dort entstehen, wo jeder seinen Beitrag, den er beherrscht und gewinnbringend für die Gemeinschaft einsetzen kann, unkompliziert und wertschöpfend für ein ausgeglichenes Miteinander einbringt.

Der Menschheit Drang nach Wohlbefinden, Bequemlichkeit, Sicherheit und Macht regt einen stetigen Veränderungsprozess an. Fortlaufend werden Erneuerungen, Anpassungen und Fortschritte proklamiert, jedoch Lösungserfolge bezüglich Hungersnöte, Kriegsgefahren, Bevölkerungswachstum, Ressourcenknappheit usw. lassen auf sich warten. Da jede Veränderung ein Kräftemessen zwischen Menschen und Umwelt (Mitmenschen, Umfeld) mit sich bringt, werden anhaftende Probleme meistens nur verlagert, ganz nach dem Motto: Was ich nicht sehe, nicht höre und nicht spüre, belastet mich nicht. Bei jedem Kräftemessen gibt es Sieger wie auch Verlierer, weil das „ANDERSSEIN“ niemals für ALLE vorteilhaft sein kann. Vielleicht sollte die Menschheit sich vermehrt diesen kleinen Vers eines unbekannten Erdenbürgers vor Augen halten.

Anders ist anders Anders ist nicht besser Anders ist nicht schlechter Anders ist einfach nur anders.

Ich habe gelernt, was es heißt, wenn plötzlich alles anders ist (Geschichte von Zwerg Nase), viele Menschen können damit weniger gut umgehen! Nun gut, lassen wir uns den wundervollen Abend nicht von solchen hypothetischen Vorstellungen versauern. Nehmen wir unser Wohlgefühl als Geschenk des Tages an und nützen dies, um hier ein wundervolles Festival miteinander zu erleben. Morgen steigen wir dann wieder von den Wänden herab, laufen ans Ufer zurück und landen wieder auf unserem gewohnten Platz im Leben.“

Der schöne Jüngling beendet nun seine Erzählung und verbeugt sich tief vor seinem Publikum, das ihm tosenden Applaus schenkt. Obwohl diese Geschichte die Figuren sichtlich erheitert hat, bin ich mir sicher, dass die meisten einiges an Nachdenkmaterial mit nach Hause nehmen werden.

„Dem einstig grässlichen Gnom“ folgte nun der gescheite Hans als Redner nach. Hans betritt die Bühne und richtet sogleich seine Worte an das Publikum.

Bemerkung des Autors: