Fetzenimperium - Ernst Luger - E-Book

Fetzenimperium E-Book

Ernst Luger

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Beschreibung

Das Leben treibt manchmal tiefe Furchen in unseren Alltag, die später nicht immer spurlos verschwinden. Die Zeit heilt Wunden, sagt man, dennoch bleiben oft schlimme Narben zurück, die mitunter schicksalhafte Reaktionen auslösen. Hinter dem Großindustriellen Josef Wegelin, Förderer und Mäzen der Gesellschaft, verbirgt sich ein tyrannischer Gewaltherrscher, um dessen Nachlass sich viele Intrigen und Geheimnisse entwickeln. Sein Testament, in dem er als Vater versucht, seine von ihm abgewandten Nachkommen wieder zu vereinen, entpuppt sich als Dornenkrone, welche die Wahrheit bezüglich seines Erbes offenbart. Während die Geschwister sich über ihr Erbteil streiten, müssen sie schmerzlich zur Kenntnis nehmen, dass ohne Zusammenhalt in der Familie und Hilfe von Freunden nichts weitergeht und der endgültige Bruch droht. Ein Familienroman über Reichtum, Disziplin, Herrschaft, Erbschaftsstreit und dem harten Weg, die Fesseln einer herzlosen Vergangenheit zu lösen.

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Seitenzahl: 273

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Impressum:

© Verlag Kern GmbH, Ilmenau

© Inhaltliche Rechte beim Autor

1. Auflage, September 2023

Autor: Ernst Luger

Layout/Satz: Brigitte Winkler, Elisabeth Bock

Lektorat: Elisabeth Bock

Sprache: deutsch

ISBN: 978-3-95716-381-3

ISBN E-Book: 978-3-95716-402-5

www.verlag-kern.de

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, Übersetzung, Entnahme von Abbildungen, Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, Speicherung in DV-Systemen oder auf elektronischen Datenträgern sowie die Bereitstellung der Inhalte im Internet oder anderen Kommunikationsträgern ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlags auch bei nur auszugsweiser Verwendung strafbar.

Ernst Luger

Fetzenimperium

Familienromaneiner geschwisterlichen Hassliebe

Die hier erzählte Geschichte ist fiktiv. Sowohl die historischen und wirtschaftlichen Umstände als auch alle beteiligten Protagonisten sind frei erfunden. Falls Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen bestehen, sind diese zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Begriffserklärungen

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1

Im Städtle Hohenems (Österreich) schlägt gerade der Kirchendiener Albert Sattler im Aushängekasten der Stadtpfarrkirche die neueste Todesanzeige an. Marktbesucher, die gerade am Wochenmarkt ihre Einkäufe tätigen und da und dort zu Klatsch und Tratsch beieinanderstehen, schauen wundrig über den Platz. Noch weiß keiner, wessen Name dort gleich prangen wird, schon wird zwischen den Anwesenden hinter vorgehaltener Hand getuschelt und gemunkelt. Gestern hat am Vormittag das Totenglöcklein geläutet, galt das vielleicht dem alten Doktor? Der soll schon lange daliegen und sich nicht mehr regen, sagt man. Es könnt auch für den Vater vom Büchsenmacher gewesen sein, der ist schon lange im Seniorenheim und kriegt so gar nichts mehr mit, hat sein Sohn seinem Nachbar erzählt. Kaum hängt der Partezettel, schreitet Karl Stropps über den Platz, um seine Neugier zu befriedigen. Kurz zuckt er hoch und schnellen Schrittes kehrt er zu der sich zwischenzeitlich angesammelten Menge zurück. „He Leute, wisst ihr wer gestorben ist? Der ‚Textiler‘“.

Der Textiler: Kommerzialrat Josef Wegelin, Inhaber eines riesigen Textilwerks mit Stammsitz in Hohenems, dessen Grundstein bereits mehrere Generationen vor ihm gelegt haben. Ursprünglich wohnten seine Vorfahren mit ihren Familien in einem Haus in der Marktstraße, schräg visasvis vom heutigen jüdischen Museum, und betrieben im Hinterhof eine kleine, einfache Textilmanufaktur. Das Interesse war groß, bald schon wurden die Räumlichkeiten zu klein und der Betrieb konnte durch Zukauf des Nebengebäudes erweitert werden. Gleichzeitig eröffneten damals seine Vorfahren im neuerworbenen Gebäude das erste Textilgeschäft, worin sie ihre selbsterzeugten Waren feilhielten. Das Geschäft florierte und bald platzte der Standort erneut aus allen Nähten. Auch waren die Arbeitsbedingungen im Hinterhof und in den Kellern der Gebäude nicht mehr zeitgemäß. Der Großvater des heutigen Eigentümers, ein vorausblickender und couragierter Fabrikant, ließ am heutigen Stadtrand, damals noch Marktgemeinde, den zu jener Zeit modernsten Textilbetrieb bauen. So entstand seinerzeit aus dem improvisierten Kleinbetrieb eines der fortschrittlichsten Textilwerke landesweit. Dieser imposante Aufstieg blieb dem Volk nicht unbemerkt und kurzerhand bekam das neue Werk den liebevollen Übernamen „Fetzenimperium“.

Schon als kleiner Schuljunge durfte Josef an den freien Schulnachmittagen und in seinen Ferien, während die anderen Kinder draußen spielten, in der Färberei und später in der Weberei zusammen mit den Arbeitern sich abschinden. So lernte er schon recht früh die wichtigen Bereiche der Textilherstellung, -veredelung und -verarbeitung kennen, was ihm seinen Spitznamen „Textiler“ einbrachte. Den Kriegswirren entronnen und nach der endgültigen Übernahme des elterlichen Erbes schaffte er es mit viel Geschick und stetigem Fleiß, zu den größten Textilherstellern Mitteleuropas aufzusteigen. Seine Waren, die ausschließlich im eigenen Land produziert werden, bietet der Unternehmer auf dem weltweiten Textilmarkt an. In seinen drei Vorarlberger Werken und den Produktionsstätten in der Steiermark, in der Nähe von Wien und in Oberösterreich beschäftigt er heute weit über zweitausend Arbeiter. Seine stattliche Figur, seine Rolle auf dem Weltmarkt und seine wohltätige Ader verschafften ihm Achtung und Respekt bei der Bevölkerung. Sein Erfolg wurde schon vor mehreren Jahren vom österreichischen Staat mit der Verleihung des Titels Kommerzialrat ausgezeichnet. Damals wurde ihm, im Zuge der Eröffnung der Bregenzer Festspiele, die Würdigung persönlich vom österreichischen Bundespräsidenten überreicht.

In den 50er Jahren ließ Josef für seine Familie eine Villa ganz in der Nähe seines Textilwerkes bauen. Ein nobles Anwesen auf einem 2,5 Hektar großen Areal mit 10 Zimmern und einem eigenen Saal über der Tiefgarage für private wie auch geschäftliche Empfänge. An die 150 Quadratmeter große Hauptterrasse grenzt ein 20 Meter langer und 10 Meter breiter Swimmingpool. Im Keller dieses feudalen Luxusdomizils befindet sich ein Partysaal, der mindestens 50 Personen Platz bietet, mit einer eigenen Hausbar, in der sogar Livemusiker auftreten können. Am unteren Ende des Areals, etwas abseits der privaten Parkanlage, ließ Josef ein Zinshaus errichten, in dem er die Bediensteten der Villa wie auch einige Ingenieure seiner Fabrik unterbrachte. In der Tiefgarage stehen immer noch zwei Luxuskarossen, die einst seinem Sohn Johann gehörten. Der Textiler selbst besitzt nur einen angemessenen Dienstwagen mit Chauffeur, der seinen Stammplatz im Hauptgebäude seines Werkes hat. Auf dem Grundstück befindet sich ebenfalls ein privater Tennisplatz, der seit dem Auszug seiner Tochter Johanna unbespielt blieb. Am unteren Teil des Areals steht ein kleiner Wald, hinter dem sich ein natürlicher Weiher befindet. Hierher zog sich Josef gerne zurück, um sich beim Fischen im eigenen Gewässer vom Alltag zu erholen.

Josef ist gestorben, ganz allein war er, seine Frau ist ihm ja schon vor vielen Jahren vorausgegangen. Anne war eine geborene Kutzer, stammte aus einfachen Verhältnissen. Geboren wurde sie in Böhmen und als sie gerade zwei Monate alt war, übersiedelte ihre Familie nach Hohenems, wo ihr Vater eine Stellung als Ingenieur im Wegelinschen Textilunternehmen angenommen hatte. Anne war eine gute Schülerin und konnte nach der Grundschule das Gymnasium besuchen. Gleich nach dem Studium bekam sie im Wegelinschen Textilwerk ihren ersten Job als Sekretärin des neuen, jungen Firmenchefs und schon nach zwei Jahren hielt dieser um ihre Hand an. Die junge Frau Wegelin gebar ihrem Gatten zwei Kinder, Johann und Johanna. Bald schon wurde Anne ein drittes Mal schwanger, jedoch bei der Geburt verstarben Mutter und Kind. Für Josef brach eine Welt zusammen und in seinem Schmerz vertiefte er sich noch mehr in seine Arbeit. Für die Obhut seiner Kinder stellte er damals Philomena Kasper als Kindermädchen ein, die Hausarbeit erledigte Emma und in der Küche herrschte Leopold, ein Koch aus Wien.

Josef hat nicht noch einmal geheiratet, und als die Jungen das Haus verließen, lebte der Textiler mit seinem Personal alleine in der riesigen Villa. Doch sein Umgang mit seinen Bediensteten wurde immer abnormer und extremer. Als eines Abends der Koch die Suppe leicht versalzen hatte, hob der Kommerzialrat die Suppenterrine hoch und schüttete dem Koch die heiße Suppe ins Gesicht. Fazit: Der Koch kündigte seine Stellung und zeigte seinen Arbeitgeber bei der Polizei an. Nach großer Aufregung zog der Anwalt der Familie die richtigen Gegenargumente aus dem Ärmel und wie alle anderen Anzeigen davor, landete auch diese unter dem Tisch und man einigte sich außergerichtlich. Zu einem späteren Zeitpunkt verweigerte sich das Hausmädchen diesem Tyrannen, kurzerhand wurde sie fristlos entlassen. Fortan versuchte Philomena alleine dem alten Herrn zu Diensten zu sein, kochte, putzte und kümmerte sich um alles, was mit der Villa und dem umliegenden Park zu tun hatte. War keine einfache und schöne Zeit für sie, doch die Hoffnung, dass vielleicht einer von den Jungen wieder ins elterliche Anwesen zurückkehrt, machte sie stark. Es kam, wie’s kommen musste: Eines Tages übertrieb’s dieser „Willkürherrscher“ so sehr, dass auch seine letzte Hausangestellte ihre Koffer packte und verschwand. Was Genaueres weiß man nicht, aber seit dieser Zeit saß Josef im Rollstuhl und wurde nur mehr ganz selten in der Öffentlichkeit gesehen. Auch die Kirche bemängelte die Abwesenheit ihres hochgeschätzten Gönners, nicht einmal mehr zu Weihnachten oder Ostern fand jener den Weg ins Gotteshaus.

Vor drei Tagen, als der Briefträger ein Einschreiben zustellen wollte, fand er das Tor zur Villa verschlossen vor. Da ihm nach mehrmaligen Läuten niemand öffnete, ergriff ihn ein komisches Gefühl und er ging ums Gebäude herum. Dort erblickte er durch die Terrassentüre den Textiler unbeweglich in seinem Rollstuhl sitzen. Sogleich verständigte jener die Polizei, die die notwendigen Schritte einleitete. Die pathologische Untersuchung ergab, dass der Kommerzialrat eingeschlafen und eines natürlichen Todes verstorben ist, vermutlich an einem Herzstillstand.

Kurz nach dem Bekanntwerden seines Ablebens leitete der Pfarrer dessen letzten Willen bezüglich seiner Beisetzung an die Kanzlei des Familienanwalts Dr. Schmachhammer weiter, mit dem Auftrag, die beiden Nachkommen des Kommerzialrats zu verständigen und ihnen zugleich dessen letzten Willen mitzuteilen, dass sein Leichnam erst dann beigesetzt werden darf, wenn sie gemeinsam an seinem offenen Grab stehen. Johannas Adresse in Stuttgart ist dem Anwaltsbüro seit ihrer Hochzeit bekannt, durfte aber nicht an ihren Vater weitergegeben werden. Hierzu konnte die Kanzlei die Tochter direkt per Brief kontaktieren. Bei Johann schaute der Sachverhalt schon etwas schwieriger aus, von ihm waren weder eine Adresse noch ein möglicher Aufenthaltsort oder irgendwelche nahestehenden Kontaktpersonen bekannt, darum leitete der Anwalt über Interpol eine internationale Suche in die Wege.

Der Leichnam des Kommerzialrats Josef Wegelin wurde im Nebenschiff der Pfarrkirche von Hohenems aufgebahrt. Viele seiner Wegbegleiter aus Nah und Fern sind gekommen, um von demjenigen Abschied zu nehmen der ihnen Arbeit gab, der ihre Stadt weitaus bekannt machte, der der Steuerkasse jährlich einen großen Geldbetrag einbrachte, der sich stets mit großzügigen Spenden vermeintliche Vertraute kaufte. Doch wirkliche Freunde oder gar Familienangehörige, außer dem Familienanwalt und dem amtierenden Direktor der Firma, wurden keine gesichtet.

Zum Gedenken an den hochgeschätzten Bürger der Stadt, Kommerzialrat Josef Wegelin, lud der Pfarrer zu einem Gedenkgottesdienst ein. Das Kirchenschiff ist bis auf den letzten Platz besetzt. Alle sind sie gekommen, die Neugierigen, die Wissbegierigen, die Besserwissenden und die immer und überall Dabeiseienden. Nur in der ersten Bankreihe, die für die Trauerfamilie reserviert ist, sitzt als Einzige die damalige Erzieherin der Kinder, Philomena Kasper. Der Pfarrer leitet den Gottesdienst mit einer kurzen Biografie des Verstorbenen ein:

„Wir befinden uns hier im Land der Lebenden, aber auch die Toten sind ein Teil von uns. Die Brücke dazwischen ist unsere Liebe.

Unser Bruder Kommerzialrat Josef Wegelin hat die Seite gewechselt. Zurück bleiben viele gemeinsame Erlebnisse und schöne Erinnerungen. Aber auch traurige Begebenheiten und schwere Stunden pflasterten den Weg unseres Bruders. Erst wurde seine Frau Anne aus ihrem jungen Leben gerissen, ihr Verlust hat ihn sehr getroffen. Als alleinerziehender Vater kümmerte er sich fortan mit der Unterstützung der Erzieherin Philomena um die gemeinsamen Kinder. Als die Jungen später das elterliche Haus verließen, traf dies Josef schwer und er vereinsamte innerlich. Nicht genug, vor ein paar Jahren fesselten ihn die Folgen eines Unfalls an den Rollstuhl. Dieses Handicap erschwerte seine Bewegungsfreiheit exorbitant und war auch der Grund, warum sich der Textiler immer mehr von seiner beruflichen Kariere zurückzog und die Geschicke der Firma in die Hände von Direktor Gustav Hämmerle legte.

Die letzten Jahre seines irdischen Daseins verbrachte Josef allein in seinem Haus. Da weder Familie noch Freunde anwesend waren, halfen ihm zeitweilig freiwillige Frauen aus der Fabrik, den Haushalt zu erledigen. Trotz seines Handicaps und seiner altersbedingten Gebrechen war er stets sehr daran interessiert, was in seinen Werken lief.

Letzte Woche noch ließ er nach mir rufen. In einem außerordentlich langen und offenen Gespräch vertraute er mir an, dass er fühle, seinem Lebensende nahe zu sein, habe jedoch keine Angst vor dem Tod. Sein größter Schmerz hingegen sei, dass keiner seiner Nachkommen in seine Fußstapfen treten wollte, stattdessen jeder von ihnen einem eigenen Leben in derFremde den Vorzug gab. Diesbezüglich hege er keinen Hass, jedoch liege ihm sein Lebenswerk und das seiner Ahnen sehr am Herzen. Um in Frieden von hier und von seiner Familie gehen zu können, richtete er seine letzte Bitte stellvertretend an mich und beauftragte mich, sein Anliegen an seine Nachkommenschaft weiterzuleiten. Mit diesem letzten Wunsch hoffte er, dass vielleicht irgendwann doch noch ein Nachkomme der Wegelin hierher zurückehrt und sich um das Lebenswerk seiner Ahnen kümmert.

Liebe Familie, Freunde, Bekannte und Kollegen, ich finde wir sollten alle ein bisschen wie der Textiler sein, darum lasst uns sein wundervolles Wirken hier auf Erden immer in Ehren halten. Nehme Gott ihn in sein himmlisches Reich auf.“

Mit diesen Worten beendete der Geistliche die Biografie und setzte den Wortgottesdienst fort.

2

Der Sohn des Kommerzialrats war schon vor Jahren nach Kanada ausgewandert, hat seine Zelte in Manitoba am Lake Oxford* aufgeschlagen und residiert seit dieser Zeit im kleinen Ort Oxford House*. Am Hyers Point, direkt am See, besitzt Johann ein kleines Häuschen mit einer großen Terrasse, die in den See hineinragt, und bestreitet sein Leben mit all dem, was See und Wald hergeben.

Johann wünschte sich, sein Leben selbst zu bestimmen, hatte genug von Familie, Vorschriften und einem aufgezwungenen Lebensweg. Niemals gedachte er in die Fußstapfen seines autoritären und herrschsüchtigen Vaters zu treten. Zum Glück war da noch das Kindermädchen Philomena, die ihm in schwierigen Zeiten den Rücken stärkte. Hannes, wie er zuhause gerufen wurde, wollte nie von Hohenems weg, jedoch des Friedens willen beugte er sich dem Willen seines Vaters und besuchte nach der Grundschule das Gymnasium in einem Kloster in der angrenzenden Schweiz. Im ersten Jahr ging alles gut, die Lernerfolge gefielen dem Vater. Doch schon im zweiten Jahr ließen die Fortschritte stark nach. Ein Gespräch zwischen dem Prior und dem Familienoberhaupt brachte keine Änderung, auch nicht, als ein hoher Geldbetrag als großzügige Zuwendung für das Internat gespendet wurde. Der junge Wegelin versagte immer mehr im Unterricht, erneut erreichte er das Lernziel nicht und stand kurz vor dem Rauswurf aus dem Stiftsinternat. In einem mahnenden Gespräch zwischen dem Prior und dem Zögling Wegelin gestand dieser, dass er von seinem Internatsleiter mehrfach sexuell missbraucht wurde. Nicht genug, auch musste er dem Erzieher monatlich die Hälfte seines Taschengeldes abliefern, ansonsten würde er Hannes bei der Internatsleitung schlechtmachen. Der Prior war empört: Wie kann das kleine Früchtchen solch eine Behauptung aufstellen? Spontan schlug er dem Zögling ins Gesicht und trat ihm mit voller Wucht gegen sein Bein. Johann flog vom Stuhl und lag blutend am Boden. Mit kalter Schulter ließ der Prior Johann von einem Mitbruder fortschaffen und zitierte erneut das Familienoberhaupt herbei. Ein endgültiger Rauswurf aus dem Internat konnte gerade noch verhindert werden, indem erneut ein großzügiger Geldbetrag die Seite wechselte. Noch vier weitere Jahre musste der junge Wegelin durch die Hölle des Stiftsinternats. Den Vater kostete dies einen Haufen Geld, doch was tut man nicht alles für den Erfolg seiner Nachkommenschaft. Johann hielt eisern durch in der Hoffnung, nach der Schule seinen eignen Weg gehen zu können. Doch falsch gedacht, die Matura* grad so geschafft, schon hieß es auf nach Wien zum Studieren. Erst inskribierte er auf Wunsch seines Vaters ein Wirtschaftsstudium, doch dann liebäugelte er mit der Wissenschaft der Medizin, was seinem Vater gar nicht in die Zukunftsplanung seines Sprösslings passte. Trotzdem studierte Johann heimlich weiter, bis sich eines Tages ein Freund von ihm vor den Ohren des gestrengen Herrn Vaters verplapperte. Dieser Fauxpas hatte zur Folge, dass ihm das Familienoberhaupt den Geldhahn zudrehte. Der junge Wegelin gab nach und ließ sich erneut zur Lehre der Wirtschaft einschreiben, jedoch nur, um sein zwischenzeitlich feudales Leben weiterführen zu können. Zu lange Studienzeit und zu wenig besuchte Vorlesungen führten schlussendlich zu einem Ausschluss aus der Uni. Die Gnadenlosigkeit des Familienoberhaupts traf den jungen Wegelin voll und brachte den endgültigen Bruch zwischen Vater und Sohn. Fazit: Johann kehrte seiner Familie den Rücken und wanderte nach Kanada aus.

Damals führte ihn sein Weg direkt nach Montana. Zuerst verkroch er sich in den Wäldern rund um den Lake Oxford. Doch dann trat die schwarzhaarige, schlanke Mestizin Anuk in sein Leben. Vater vermutlich europäischer Herkunft, Mutter eine Squaw vom Stamm der Cree. Anuk arbeitet als Servierkraft in „Tims Restaurant“ und lebt schon des längeren an Hannes Seite, der für alle in Kanada der Jo ist, auch für Anuk. Die kleine Squaw, wie er sie liebevoll nennt, begleitet ihn gerne auf den See zum Fischen, oder streift mit ihm durch den Wald, um Wild, Pilze oder Pelztiere aufzustöbern. Immer wenn Jo seine Beute am örtlichen Wochenmarkt anbietet, hilft ihm Anuk dabei, denn sie spricht die Sprache der Indigenen. Mit ihrem spärlichen Einkommen aus dem Restaurant und dem Erlös aus dem Marktverkauf bestreiten die zwei ihr genügsames, friedliches und vor allem aufgeräumtes Leben.

Johann pflegt seit seiner Flucht aus der Heimat keinen Kontakt mehr zu seiner Familie in Europa. Auch verschweigt er Anuk gegenüber komplett sein Leben in der alten Heimat. Schon bei der kleinsten Erinnerung an seine Kindheit und Jugendzeit überkommt ihn das kalte Grausen. Trotzdem fragt er sich manchmal, was wohl aus seiner Schwester, dem verhassten Vater, der kleinen Marktgemeinde Hohenems und auch was aus Philomena, seinem damaligen Kindermädchen, geworden ist. Steht die feudale Villa noch, wird im Familienunternehmen noch produziert? Doch dann kommen ihm wieder die Jahre im Internat in den Sinn und sogleich ist er glücklich, dass er heute mit seiner kleinen Squaw hier so ein frohes und befriedigendes Leben führen darf.

Gerade hat er Anuk ins Restaurant zur Arbeit gefahren, als ihm sein Freund, der Sheriff von Oxford House, einen Besuch abstattet. Maulfaul wie immer erwidert Jo den Gruß des Gesetzeshüters, aber das ist für diesen nichts Neues. Jack kommt gleich zur Sache und informiert seinen Freund über die weltweite Ausschreibung seiner Person und möchte gerne Genaueres darüber erfahren. Jo ist überrascht, glaubt Jack nicht und fordert ihn auf, hier keine Possen zu reißen. Was wohl wird die Interpol von ihm wollen, nichts natürlich, stellt Jo klar. Schließlich lebt er hier schon einige Jahre und hat bis dato keinen Schritt mehr aus diesem Territorium gemacht. Der Sheriff sieht das anders und macht ihn darauf aufmerksam, dass die Interpol nicht so schnell irrt. Um mit seiner Botschaft bei seinem Freund die erforderliche Seriosität zu erreichen, schlägt er ihm vor, mit ins Sheriffbüro zu kommen, um nachzuforschen, was da dahintersteckt. Die Begeisterung bei Jo hält sich in Grenzen: „Muss das sein, schau du nach und sag’s mir dann“, versucht er den Sheriff abzuwimmeln.

Jack kann das nicht dulden, Jo hat jetzt gleich mitzukommen, sonst muss er dies bei der Interpol melden. Dieser gibt sich einsichtig, zieht sich seine Jacke über und steigt zum Sheriff ins Auto. Im Büro öffnet Jack sogleich den Interpolkanal und nach einer Identitätskontrolle können sie unter „Johann Wegelin“ den Grund für die internationale Suche nachlesen.

Josef Wegelin, Vater von Johann Wegelin, ist verstorben. Nach dem letzten Willen des Verstorbenen darf die Beisetzung erst dann stattfinden, wenn seine Nachkommen Johann und Johanna gemeinsam an seinem offenen Grab stehen. Im Weiteren steht dort noch, dass alle Erben, die nicht schon im Vorhinein auf ihr Erbanteil verzichten, aufgerufen seien, sich am folgenden Tag der Bestattung in der Kanzlei des Familienanwalts Dr. Schmachhammer in Hohenems, Kleinstadt in Österreich, zur Testamentseröffnung und -lesung einzufinden hätten.

Jo weiß im Moment nicht: Soll er seinen Emotionen freien Lauf lassen, oder soll er sich in Anwesenheit des Sheriffs zurückhalten? Voll in Gedanken versunken nickt er Jack zu und meint kleinlaut: „Kannst weiterleiten, dass ich die Nachricht gelesen und verstanden habe.“ Dann verlässt er wortlos das Büro des Sheriffs und begibt sich direkt zu Anuk ins Restaurant. Als er den Shop betritt, merkt diese sofort, dass da etwas nicht stimmt. Zum einen kommt ihr Lebensgefährte, wenn sie Dienst hat, niemals hierher, zum anderen kann sie in seinem Gesicht ablesen, dass ihn etwas bedrückt. Ihr Freund setzt sich an einen kleinen Tisch ganz hinten in der Ecke. Sogleich steht sie neben ihm und erkundigt sich was los ist. Aufs wesentliche beschränkt antwortet ihr Jo: „Mein Vater ist gestorben und ichmuss rüber über den Ozean, weil er verfügt hat, dass ich an seinem offenen Grab zu stehen habe.“

Anuk fühlt mit ihrem Freund, ist aber davon überzeugt, dass er mit dieser Nachricht sicher klarkommt und will nur kurz wissen, was sein weiterer Plan ist. „Denkst du, dass du den letzten Wunsch deines Vaters respektieren wirst?“ Jo ist sich nicht darüber im Klaren, was er jetzt tun soll oder tun will, darum verschiebt er die Diskussion über sein weiteres Vorgehen auf zuhause. Er steht auf, verabschiedet sich kurz von seiner Lebensgefährtin, verlässt das Lokal und kehrt im nächsten Liquor Store* ein. Das hat er noch nie gemacht und als Anuk später nach Hause kommt, ist ihr Partner nicht mehr ansprechbar. Erst am nächsten Morgen beim Frühstück kann sie den genaueren Sachverhalt mit ihm klären. „Sag Jo, was genau ist los, bis jetzt weiß ich nur, dass angeblich dein Vater gestorben ist und du in deine alte Heimat reisen sollst. Ich wusste gar nicht, dass dein Vater noch lebt?“

Johann bricht sein Schweigen und spricht zum ersten Mal offen über die Familie seiner Herkunft. „Ich weiß auch nicht, aber seit ich erfahren habe, dass dieser alte Tyrann das Zeitliche gesegnet hat, dreht sich in meinem Kopf erneut die Spirale. Wir haben nie darüber gesprochen, doch bevor ich mein neues Leben hier begonnen habe, gab es dort drüben in Europa, genauer in Hohenems in Österreich, ein anderes Leben für mich, ein Leben in sowas wie Familie mit unschätzbarem Reichtum. Aber auch ein Leben in Bevormundung, Gefühlskälte, Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein und Lügen. Das alles konnte ich bis jetzt gut verdrängen, aber als ich gestern diese Nachricht erhalten habe, ist die Wunde wieder aufgeplatzt.“

Anuk hat Mitleid mit ihrem Freund und versucht, das Gesprächsthema zu ändern. Doch Jo will nicht verdrängen, will sich seinen Frust von der Seele reden. „Nein, es muss jetzt raus, denn ich habe den letzten Auftrag von meinem alten Herrn erhalten und habe, ob ich will oder nicht, an seinem offenen Grab zu stehen. Er war es, der mich hängen ließ als ichim Internat missbraucht wurde. Dann hasste er mich, weil ich nicht das studierte, was er für mich bestimmt hatte. Jetzt will er, dass ich leide, weil ich nicht seiner Vorstellung als Erbe des Familienunternehmens entsprochen habe.“

Anuk weiß im Moment nicht, was sie soll und was nicht, darum greift sie einfach nach seiner Hand und hält sie ganz fest. Da ihr Freund bis zu diesem Zeitpunkt nicht ein Wort über seine Familie geredet hat, nützt sie die Gelegenheit und versucht, mehr über seine Herkunft zu erfahren. „Ich habe noch eine Schwester,“ berichtet ihr Jo weiter, „wo die ist und was die macht, weiß ich nicht. Das letzte, was ich von ihr gehört habe, war, dass sie wie ich das Internat in der Schweiz hasste. Wir hatten nie einen engen Draht zueinander, sie war immer etwas abgehoben und in jungen Jahren machte sie ständig einen auf ‚Papas Liebling‘. Später dann, als wir beide im Internat weilten, hatten wir kaum noch Kontakt zueinander. Seit ich meine Zelte in Europa abgebrochen habe, brach auch die letzte Verbindung zu ihr ab.“

Anuk will noch mehr über seine Familie erfahren und er erzählt ihr von seiner Mutter, die bei der Geburt ihres dritten Kindes gestorben ist. Auch, dass damals das Neugeborene nicht überlebt habe und er nur noch ganz schwache Erinnerungen an die beiden habe. Abschließend will Anuk noch wissen, ob er jetzt gleich nach Europa aufbrechen werde, um mit seiner dunklen Seite seines Lebens abzuschließen und um seine Familiengeschichte wieder in geregelte Bahnen zu bringen. Jo hat keinen Plan und weiß im Moment nicht, was richtig und was falsch ist. Doch eines ist ihm klar: Wenn er geht, dann wird es wohl das letzte Mal in seinem Leben sein, dass er an die Wurzeln seines Daseins zurückkehren wird. Auch habe er für sich beschlossen, nur dann zu gehen, wenn seine kleine Squaw ihn auf dieser Reise begleitet. Diese Aussage kommt sehr überraschend für Anuk, hat sie doch keinerlei Beziehung zu seiner Herkunft und schon gar nicht zu seiner Familie. Zudem besteht da noch ein anderes Handicap. „Jo das geht dochnicht, ich als Mestizin kann doch nicht einfach so aus Kanada ausreisen. Zudem kostet das eine Stange Geld und so dick haben wir es ja auch nicht“, gibt sie zu bedenken.

Johann gibt nicht auf und stellt seine Lebensgefährtin vor die Wahl: „Entweder du kommst mit oder…“ „Was, oder?“, unterbricht ihn seine Partnerin. „Du hast keine Wahl, du musst gehen, du brauchst das, um deine dunklen Gedanken aufzuarbeiten.“

Es nützt nichts, für Jo gibt’s nur eins: „Ja, ich werde gehen und du wirst mich begleiten. Ich war nicht arm, als ich hierher ausgewandert bin. Damals strebte ich auf keinen Fall an, hier mein feudales Leben fortzuführen, darum habe ich meine ganzen Ersparnisse auf die hohe Kante gelegt. Allen Versuchungen habe ich bis heute getrotzt, darum liegt das Geld heute noch dort, wo ich es damals hinterlegt habe.“

Anuk ist platt und gesteht, dass sie schon des Öfteren über seine Vergangenheit nachgedacht habe, aber dabei niemals so richtig neugierig wurde, um mit ihm darüber zu reden. Vieles hätte sie sich vorstellen können, aber dass er reich ist, das wäre ihr wohl nicht im Traum eingefallen. „Reich, was ist reich?“, antwortet Jo mit einer Rückfrage. „Ich habe auf jeden Fall genügend Geld auf der Seite, um uns beiden die Reise in meine alte Heimat zu ermöglichen. Ich bitte dich, komm mit mir mit.“ Anuk schwankt, könnte sich das schon vorstellen, aber da sie ja nicht miteinander verheiratet sind, wird das wohl ein Traum bleiben, erklärt sie weiter. Jetzt will’s Jo wissen: „Wenn du meine angetraute Frau wärst, dann würdest du einwilligen? Oder wie soll ich das verstehen?“

Bei Anuk flattern die Schmetterlinge im Bauch. Schon lange wartet sie auf einen Antrag von ihm, doch sie bewahrt Ruhe. „Denke schon, könnte es mir vorstellen und es würde mich auch sehr interessieren, wo du aufgewachsen bist. Auch deine Schwester würde ich sehr gerne kennenlernen. Aber im Moment sind wir weit davon entfernt, eine Hochzeit überhaupt ins Auge zu fassen.“

Johann steht auf, nimmt seine kleine Squaw bei der Hand und während er mit ihr das Haus verlässt, meint er nur: „So, weit davon entfernt sind wir? Dann schau ma mal.“ Er fährt mit Anuk geradewegs ins Büro des Scheriffs. Erstaunt blickt dieser von seinen Schreibtisch hoch, als die beiden in sein Büro stürmen. Jack versucht seinen Freund etwas einzubremsen, doch wenn Jo ein klares Ziel vor Augen hat, dann lässt er sich nicht so einfach abwimmeln. „Ich überstürze es nicht, ich will, dass du uns beide jetzt sofort traust. Eine Notheirat, aber aus Liebe, und nichts Illegales steckt dahinter. Ich liebe meine Anuk über alles und will, die Hintergründe kennst du ja, dass sie mit mir nach Europa kommt.“

Jack versteht seinen Freund, aber so einfach geht das nicht. „Jo, ach Jo, wenn ich dich nicht so gut kennen würde, würde ich dich jetzt aus meinem Büro rauswerfen. Doch wie stellst du dir das vor und warum gleich heiraten?“

Johann hat keine Zeit für lange Diskussionen und verweist auf einen Paragrafen in den Gesetzbüchern, der für Notfälle eingeführt wurde. Jack will immer noch nicht nachgeben, darum wird Jo deutlicher: „Denk mal nach, Anuk ist offiziell eine Squaw des Stammes der Cree. Da ihr Vater spurlos verschwunden ist und niemand seinen Namen und schon gar nicht seinen Aufenthaltsort kennt, hat sie keinen Anspruch auf eine offizielle Einbürgerung. Somit besitzt Anuk keine Berechtigung auf die Ausstellung eines Reisepasses, außer sie kann eine Heiratsurkunde vorweisen.“

Jetzt kapiert es auch Jack, lenkt ein und will wissen, wann die Trauung stattfinden soll. Jo drängelt. „Jetzt natürlich, und dann stellst du Anuk gleich ihren Reisepass aus, damit wir sofort abreisen können, bitte!“

Anuk steht neben ihrem Freund und glaubt einfach nicht, was da abgeht. Als Jack sie dann noch überfallartig fragt, ob sie Johann heiraten will, bringt sie nur ein ganz schwaches „ja doch gerne“ heraus. Ihr Freund hingegen bekräftig seinen Willen mit einem lauten, bis vor die Türe des Sheriffsbüros zu hörenden „Ja“.

Schon am nächsten Tag stehen Herr und Frau Wegelin am Flughafen von Oxford House und warten auf das Kleinflugzeug, das sie über Gillam Airport nach Toronto bringt, von wo aus sie weiter nach Zürich fliegen. Anuk ist verwundert und will wissen, warum sie in die Schweiz und nicht nach Österreich reisen. Da erklärt er seiner Frau, dass er im westlichsten Teil Österreich beheimatet war und der Flughafen von Zürich viel näher an seinem Heimatort Hohenems liege als der von Wien, das ja ganz im Osten des Landes läge.

Gerade als Anuk und ihr Mann in Zürich aus dem Flieger steigen, tobt ein gewaltiges Gewitter über dem Flughafen. Anuk fürchtet sich und fragt, ob dies hier normal sei. „Nein nein, gar nicht, sie haben nur zu unserem Empfang eine Wasserfontäne inszeniert“, blödelt er mit seiner Anuk. „Blödsinn, das ist nur ein Gewitter und die können hier in den Gebirgsregionen deftig ausfallen.“

Anuk schaut um sich und kann nirgendwo Berge sehen. Doch Jo beruhigt seine Frau und verspricht ihr einige Gebirgszüge so nahe zu erleben, dass sie das Gefühl bekommt, von ihnen erdrückt zu werden. Anuk versteht das nicht, gibt es doch in ihrer Nähe auch Berge und die liebt sie. Johann stimmt ihr zu, aber was Anuk zuhause als Berge bezeichnet, dass nennt man hier Hügel. Die richtigen Berge hier sind hoch, sehr hoch sogar, Dreitausender sind keine Seltenheit, zudem sind die meisten sehr felsig und steil abfallend.

Zwischenzeitlich hat das junge Ehepaar das Reisegepäck abgeholt und die Zollkontrolle am Flughafen Zürich Kloten erreicht. Johann geht voraus und kann ungehindert passieren. Anuk hingegen wird zurückgehalten und ein uniformierter Grenzpolizist führt die junge Frau in einen Nebenraum. Jo bemerkt dies, kehrt um und möchte seiner Frau helfen, doch ein Grenzpolizist hindert ihn daran. Johann ist entrüstet, schließlich habe er das Recht, seiner Frau beizustehen, da sie der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Der Grenzbeamte wird misstrauisch und kontrolliert den Reisepass von Johann. „Da schau her, jetzt behaupten Sie, dass diese Mestizin dort in dem Raum Ihre angetraute Gattin ist. Komischerweise steht in ihrem Pass eindeutig, dass sie ledig, also unverheiratet sind. Das macht diese Frau und jetzt auch Sie verdächtig, oder?“ Johann versucht klarzustellen und erklärt dem Zollbeamten, dass alles seine Richtigkeit habe, weil sie erst vor zwei Tagen geheiratet hätten. Da er österreichischer Staatsbürger sei, war die Zeit einfach zu kurz, um den Eintrag berichtigen zu lassen. Während er dem Beamten dies erklärt, überreicht er ihm zusätzlich die Heiratsurkunde. Der Grenzer nimmt das Dokument zur Hand, liest kurz und begibt sich zu seinem Kollegen ins Nebenzimmer. Nach einer kleinen Unterredung, einem Anruf auf der kanadischen Botschaft, einer Aufforderung zur Richtigstellung des Eintrags im Reisepass von Johann und einer glaubhaften Entschuldigung, kann schließlich das junge Paar ungehindert in Europa einreisen.

Glücklich wieder mit ihrem Mann vereint, stellt Anuk enttäuscht fest, dass sie sich ihre Ankunft in Europa schon etwas anders vorgestellt habe. Jo beruhigt seine kleine Squaw und erklärt, dass in der Schweiz die Behörden ganz speziell vorsichtig, aber weder ungerecht noch korrupt seien. Hier ginge nichts mit hinterlegten Geldscheinen im Reisepass, hier muss einfach alles stimmig sein, sonst droht die eiskalte Abschiebung.

18 Uhr Ortszeit. Das junge Paar ist müde von der langen Reise, darum checken sie in einem Hotel nahe des Flughafens ein. Die Reise war anstrengend, im Flieger hatten sie nicht geschlafen und die Zeitverschiebung macht ihnen zusätzlich zu schaffen. Nebst der Müdigkeit plagt auch der Hunger die Gemüter, denn was ihnen im Flugzeug serviert wurde, war nicht so ganz nach ihrem Geschmack. Zuhause kocht Anuk nur mit frischem Fleisch, frischem Fisch und frischem Gemüse, Dosenfutter bekommen nur die Katzen und der Hund. Angesichts dessen lädt Jo seine kleine Squaw zum Essen ein. Anuk ist gleich dabei, hat aber ein Problem. „Ok, aber du musst mir sagen, was ich essen kann und was nicht, denn so wie ich gelesen habe, essen die hier ausschließlich Käse in allen Variationen und Käse ist nicht unbedingt meine Leibspeise.“ Erst lacht Hannes seine Frau aus, dann stellt er ihre Aussage richtig. Lobt den Käse als einen der besten, aber hier gibt’s auch Gemüse, Würste, Fleisch sowie die beste Schokolade der Welt. Nach dem für Anuk doch genießbaren Abendessen und einem kurzen Abstecher in die Hotelbar zieht sich das Ehepaar zurück.

Am nächsten Morgen setzen sie ihre Reise gemütlich mit der Bahn nach Feldkirch in Vorarlberg (Österreich) fort. Diesmal überschreiten sie die Staatsgrenze ohne Probleme. Von dort gehts dann weiter mit dem Bummelzug nach Hohenems. Am Bahnhof angekommen, hat man vorerst den Zielort erreicht, doch wohin weiter? Können sie in der Familienvilla residieren, oder sollten sie sich erstmal ein Hotelzimmer nehmen? Um gewissen unerwarteten Überraschungen aus dem Weg zu gehen, entscheiden sie sich für ein Zimmer in einem zentrumnahen Hotel, nahe des Palastes*. Gesagt, getan, und wie’s so ist – beim Einchecken erkennt der Empfangschef Johann als ehemaligen Nachbarjungen, mit dem er zusammen in der Volksschule die Schulbank gedrückt hat. Der junge Wegelin ist verwundert, erkennt er doch sein Gegenüber nicht, bestätigt jedoch, dass er Hannes sei, der Sohn des Kommerzialrats Wegelin.

Der Hotelportier hilft, die kleine Gedächtnislücke zu füllen.