Narrenschwämme - Jochen Gartz - E-Book

Narrenschwämme E-Book

Jochen Gartz

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Beschreibung

Gordon Wasson, Albert Hofmann und Roger Heim erforschten in den 50er Jahren die psychoaktiven Psilocybe-Arten Mexikos in interdisziplinärer Zusammenarbeit. Neben der ethnobotanischen und mykologischen Erforschung konnten als wirksame Prinzipien der Pilze die Psychedelika Psilocybin und Psilocin isoliert und charakterisiert werden. In den nächsten Jahrzehnten wurden dann diese Alkaloide zunehmend in Pilzarten auch anderer Gattungen rund um die Welt nachgewiesen. Jochen Gartz erforschte selbst über mehr als 15 Jahre alle Aspekte der Pilze auf wissenschaftlicher Basis. Er entdeckte mehrere "neue" Arten, die er zusammen mit anderen Bearbeitern benannte, so die stark psychoaktiven Pilze Psilocybe azurescens (USA) und Psilocybe natalensis (Südafrika). Begünstigt auch durch seine frühere Tätigkeit in der Arzneimittelforschung und die lang-jährige Beschäftigung mit allen Bereichen, die durch solche psychoaktiven Sub-stanzen angerissen werden, legt er hier dieses interdisziplinäre Standardwerk über psycho-aktive Pilze völlig überarbeitet und aktualisiert erneut vor. Jeweils ausgehend von historischen Aspekten beschreibt dieses kompetent und doch allgemein verständlich alle Wissensgebiete, in denen die Arten myzelartig vernetzt sind. So wird die Mykologie und Chemie genauso ausführlich unter Einschluss vieler farb- uns s/w Fotos beschrieben wie die einzelnen Kulturverfahren. Rein toxikologische und medizinisch-psychotherapeutische Aspekte sind mit einer Vielzahl detaillierter Wirkungsbeschreibungen einzelner Pilzarten bei unterschiedlichen Dosierungen rund um die Welt verknüpft worden. Auf die Ver-wechslungsgefahren mit tödlich wirkenden Giftpilzen wird genauso hingewiesen wie auf den eventuellen Nutzen von Farbreaktionen zur Differenzierung einzelner Arten. Das interdisziplinäre Werk wird schliesslich durch ein umfangreiches Literaturverzeichnis mit mehreren hundert Zitierungen aus unterschiedlichsten Bereichen abgerundet.

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Jochen Gartz

Narrenschwämme

Psychoaktive Pilze rund um die Welt

Verlegt durch:

NACHTSCHATTEN VERLAG

Kronengasse 11

CH-4502 Solothurn

 

Tel.: 0041 32 621 89 49

Fax: 0041 32 621 89 47

www.nachtschatten.ch

e-mail: [email protected]

 

2. unveränderte Auflage 2013

Copyright © 1999 NACHTSCHATTEN VERLAG

für die deutsche Ausgabe

 

Umschlag und Farbteil: CAP factory, Basel

Layout und Satz: Matschu, Heinz Martin, Basel

 

E-Book: Schwabe AG, www.schwabe.ch

 

ISBN 978-3-03788-100-2

eISBN 978-3-03788-367-9

 

Alle Rechte der Verbreitung durch Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, elektronische Medien und auszugsweiser Nachdruck sind vorbehalten.

Inhalt

Vorwort  Wer war der erste Narr?von Christian Rätsch

Einleitung  von Jochen Gartz

1. Narrenschwämme oder Fleisch der Götter

Gedanken zur Geschichte und Erforschung von Zauberpilzen

2. Kenntnis der europäischen Arten

2.1. Psilocybe semilanceata

Der Klassiker unter den psychoaktiven Europäern

2.2. Psilocybe cyanescens und Psilocybe bohemica

Potente Streubewohner

2.3. Panaeolus subbalteatus

Mykologie und Mythen über Düngerlinge

2.4. Inocybe aeruginascens

Massenhaft sich ausbreitende Neulinge

2.5. Gymnopilus purpuratus

Eingeschleppte Flämmlinge aus Südamerika

2.6. Conocybe cyanopus

Seltene Winzlinge

2.7. Pluteus salicinus

Wenig bekannte Holzzersetzer

3. Verwechslungsmöglichkeiten

4. Blauung und Metoltest

Realität und Wunschvorstellung

5. Klassische und rezente Befunde zur Pilzkultur

6. Weltweites Vorkommen der psychoaktiven Arten

6.1. Blickpunkt Nordamerika und Hawaii

6.2. Mykophilie in Mittel- und Südamerika

6.3. Australiens Mykoflora erregt Aufsehen

6.4. Europäische Gewohnheiten

6.5. Japanische Versuche

6.6. Intoxikationen und der älteste bekannte Pilzkult in Afrika

6.7. Gebrauch in Asien und Ozeanien

7. Anmerkungen zur Wirkung von Pilzen der Kategorie Phantastika

8. Psychotherapie

Ausblick

Literatur

Abb. 1

Danksagung

Roger Liggenstorfer, Agnes Tschudin und dem Team vom Nachtschatten-Verlag danke ich herzlich für die Erstellung dieser Edition und dem verständnisvollen Umgang mit meinen Anregungen zur Buchgestaltung.

Im Laufe meiner 15jährigen wissenschaftlichen Erforschung psychoaktiver Pilzarten rund um die Welt bin ich folgenden Personen für die Einführung in verschiedene mykologische Bereiche, der bereitwilligen zur Verfügungstellung oft sehr seltener Pilzfunde, von Pilzfotos oder von wichtigen Informationen zu grossem Dank verpflichtet:

J.W. Allen, G. Drewitz, M. Hausner, J. Herink, A. Hofmann, U. Kinzel, G.J. Krieglsteiner, R.C. Leimgruber, H. Leuner, G.K. Müller, J. Ott, C. Rätsch, I. Richter, G. Samorini, M.Semerdzieva, A.T. Shulgin, M.W. Smith, P. Stamets und S. Widmer.

Vorwort

Wer war der erste Narr?

„Der Narr bejahte es, wusch sich die Federn vom Leib, zog sich wieder an und ging dann in den Stall, wo er allen Schafen die Augen ausstach und diese in seinem Rock versteckte. Sobald die Braut kam, ging er ihr entgegen und warf ihr die Augen, soviel er nur hatte, ins Gesicht, weil er glaubte, dass man so und nicht anders „die Augen auf jemand werfen muss“

Aus einer frühzeitlichen Narrenposse

Niemand weiss, wann der erste Narrenschwamm aus dem Schatten der Erdgeschichte in das Licht des Bewusstseins getreten ist. Niemand weiss, wann der erste Mensch den ersten Schwamm verzehrt hat. Niemand weiss, wer der erste Narr war. Denn – so erscheint es mykophoben Personen – nur Narren begehen die Torheit, eine höhere Wirklichkeit ausserhalb der Alltagsbanalität zu suchen. Und das auch noch mit Hilfe dieser merkwürdigen Dinger, die wie Gaias Unrat unheimlich aus schwülem Boden, faulem Holz und stinkendem Kuhmist hervorspriessen. Diese Schwämme oder Pilze, die seit der Antike Angst und Schrecken verbreiten, die aus dem giftigen Geifer der Schlangen entstehen, die als unreiner Auswurf böser Geister erscheinen, konnten Tod und Verderben, Blähbäuche und Narrheit erzeugen. Noch heute sagt der aalglatte Wiener von einem gesellschaftlichen Aussenseiter, „Er hat verrückte Schwammerln gegessen!“

Aber da ist auch die andere Tradition.

Die Alte Welt: Die mykenische Kultur beginnt mit einem Pilztrip. Der Ambrosia des Dionysos war mit Pilzen vermischt. Porphyrius, der lateinische Dichter aus der Zeit Kaiser Konstantins (4. Jh.), weiss von den Pilzen, dass sie die Kinder der Götter sind. Denn wahrhaft göttlich wird einem zumute, hat man die Kinder der Götter in einem quasikannibalistischen Akt verzehrt. Aber nicht alle Pilze lassen den Menschen am göttlichen Bewusstsein teilhaben. Es sind nur jene, die im christlichen Europa des späten Mittelalters und der früheren Neuzeit als giftige, vom Teufel gesandte Narrenschwämme galten.

Die Neue Welt: Die Azteken in Mexiko nannten eine Reihe kleiner unscheinbarer Pilze Teonanacatl, „Fleisch der Götter“. Diese heiligen Pilze wurden rituell gegessen, um mit den Göttern in Kontakt zu treten, um Erkenntnisse über Gott und die Welt zu erhalten. Den katholischen Spaniern waren diese Pilzrituale unheimlich. Den Pilzessern, gewöhnlich Teufelsanbeter genannt, wurde die Inquisition auf den Hals geschickt. Aber da sich alles Gute bewährt, ist der Kult der Pilzesser nicht ausgestorben. Er ist wie ein Myzel im Untergrund weitergewachsen und zum richtigen Zeitpunkt in der geschriebenen Geschichte, nämlich 1957, wieder als Fruchtkörper in das öffentliche Bewusstsein getreten. Valentina und Gordon Wasson wurden zu den Heroen der neo-mykophilen Bewegung.

Zurück in die Alte Welt: So wunderbar wie die Offenbarungen der psychedelischen Pilze, so wunderbar war die Erkenntnis, dass unsere einheimischen, gewöhnlich als ungeniessbar geltenden „Narrenschwämme“ mit den mexikanischen Zauberpilzen, dem Fleisch der aztekischen Götter, nahe verwandt sind. Die Seelen der mexikanischen und deutschen Zauberpilze sind aus demselben Stoff gemacht, dem Psilocybin.

Neue Narren braucht das Land

Es ist das ganz grosse Verdienst von Jochen Gartz, sich dieser Narrenschwämme angenommen zu haben, sie wissenschaftlich untersucht und getestet zu haben. Bei einer Forschung wie dieser, die dem vorliegenden Buch zugrunde liegt, bedarf es eines unerschrokkenen, mutigen und tapferen Bewusstseins, frei von Voreingenommenheit und Mykophobie. Ich bin überzeugt davon, dass das forscherische Bewusstsein, vom Geist des Pilzes durchtränkt, zu weitaus tieferen und wertvolleren wissenschaftlichen Erkenntnissen gelangt als der distanzierte Lehnstuhlprofessor, der sich an unseren Steuergeldern sattfrisst.

Ich habe Jochen Gartz kurz nach dem Fall der Mauer beim 3. Symposium des Europäischen Collegiums für Bewusstseinsstudien (ECBS) in Freiburg kennengelernt. Es war für mich der erste Kontakt zu einem Wissenschaftler aus der damaligen DDR. Jochens enthusiastischer Vortrag wurde eine echte Bewusstseinserweiterung und Grenzüberschreitung. Die Pilze sprachen durch ihn – frei von jeglicher Ideologie – ganz anarchisch, wie diese Wunderwesen nun mal sind. Die neuen Narren brauchen dieses Buch als Begleiter in das Wunderland der Narrenschwämme.

Christian Rätsch

Abb. 2

Anthropomorphen beim Pilztanz. Felszeichnung aus Tassili (Sahara, Algerien). Einzelnen dieser Zeichnungen wird ein Alter von weit über 12 000 Jahren zugeschrieben.

Einleitung

Mehrere Jahre nach der interdisziplinären Erforschung der kultischen Verwendung von mexikanischen Pilzarten durch R. G. Wasson, R. Heim und A. Hofmann, die im Bericht über die Isolierung, Strukturaufklärung und Synthese der Wirkstoffe Psilocybin und Psilocin aus dem Jahre 1958 gipfelte, gelang auch der Nachweis dieser Substanzklasse in einer europäischen Pilzart. Der Spitzkegelige Kahlkopf (Psilocybe semilanceata) erwies sich als erste Spezies einer Kette von Neuentdeckungen psychotroper Pilze, die zunehmend aus anderen Gattungen beschrieben wurden.

Ich hatte das Glück, im Rahmen meiner analytischen Arbeit der Bestimmung von Naturstoffen bei der Erforschung der Alkaloide diverser Arten mitzuwirken und glaube, dass es an der Zeit ist, die neuen Erkenntnisse aus Mykologie, Taxonomie und Naturstoffchemie zusammenfassend darzustellen.

Die Geschichte der Erforschung der mexikanischen Arten ist bereits durch Wasson und seine Nachfolger allseitig beleuchtet worden, so dass auf eine Wiederholung in diesem Rahmen verzichtet werden konnte. Dagegen werden Aspekte der neueren Anwendung der Pilze sowie ihre Wachstumsbedingungen näher behandelt.

Anliegen des Buches ist es, Impulse für die weitere Erforschung dieser Pilze und der daraus gewonnenen Wirkstoffe in Grundlagenforschung und Medizin zu geben.

Dem an einer weiteren Durchdringung des Stoffes interessierten Laien oder Fachwissenschaftler wird das umfangreiche Literaturverzeichnis helfen, in das sehr komplexe Wissensgebiet noch tiefer einzudringen.

Jochen Gartz

Abb. 3

Darstellung der Psilocybe semilanceata durch Sowerby (London 1803)

Abb. 4

Text zu obenstehender Abbildung

Abb. 5

Psilocybe semilanceata in Deutschland und angrenzenden Gebieten (nach Krieglsteiner)

Abb. 6 und 7

Beschreibung der Psilocybe semilanceata aus dem letzten Jahrhundert (6 oben), die dann anno 1962 als „wertlos“ klassiert wird (7 unten).

2. Kenntnis der Europäischen Arten

Abb. 8

Psilocybe cyanescens in Europa und Nordafrika (nach Krieglsteiner)

Abb. 9

Faksimile des Berichtes in einem englischen Journal über Vergiftungen mit Psilocybe semilanceata im Jahre 1799.

2.1. Psilocybe semilanceata

Der Klassiker unter den Psychoaktiven Europäern

1799 berichtete E. Brande über eindrucksvolle Intoxikationen mit Pilzen aus London, die am 3. Oktober des gleichen Jahres im St. James Green Park von einer armen Familie gesammelt, danach zubereitet und verspeist wurden (Abb. 9 S. 17).

Nach dem Essen begannen die Symptome beim Vater und seinen vier Kindern sehr schnell, wobei unbegründetes Lachen, Delirien und ausgeprägte Pupillenerweiterungen bei wellenförmig auftretendem Verlauf beschrieben wurden. Der Vater sah zusätzlich noch alle umgebenden Gegenstände in schwarzer Farbe und befürchtete seinen baldigen Tod.

Schon geringe Pilzmengen erzeugten bei zwei Personen (12 und 18 Jahre alt) die gleichen Symptome wie die grossen Portionen der andern Familienmitglieder. Nach wenigen Stunden gingen die Psychosen folgenlos vorüber, dazwischen lagen Therapieversuche mit Brech- und Stärkungsmitteln, denen dann ein Behandlungserfolg zugeschrieben wurde.

Es ist für heutige Betrachtungen ein Glücksumstand, dass neben der Beschreibung dieses typischen Psilocybinsyndroms J. Sowerby die Pilze in sein Buch „Coloured Figures of English Fungi or Mushrooms“ (London 1803) aufnahm (Abb. 3 S. 10).

Dabei fungierte nur die Pilzvarietät mit den kegeligen Hüten als Verursacher der Intoxikationen. Die Darstellung stellt sehr typisch die Psilocybe semilanceata dar, den Spitzkegeligen Kahlkopf, der in der zeitgenössischen Beschreibung als „Agaricus glutinosus Curtis“ auch völlig mit heutiger Kenntnis übereinstimmend erscheint. (Abb. 4 S. 10).

1818 erwähnte dann der berühmte schwedische Mykologe E. Fries den „Agaricus semilanceatus“ in „Observationes Mycologicae“. Der gleiche Pilz wird später auch Lanzenförmiger Düngerling, Coprinarius semilanceatus Fr. oder Panaeolus semilanceatus (Fr.) Lge. genannt bis schliesslich um 1870 die Art von Kummer bzw. von Quelet in die Gattung Psilocybe eingeordnet wurde. So findet man beide gültigen Bezeichnungen in der Literatur: Psilocybe semilanceata (Fr.) Kumm. oder (Fr.) Quel.

Um 1900 nennt M.C. Cooke dann zwei oder drei Gelegenheiten, bei denen Kinder sich in England erneut versehentlich mit der Pilzart intoxierten und wies interessanterweise darauf hin, dass es sich nur um die blauverfärbende Varietät (var. caerulescens) gehandelt hatte. Er fragte sich als erster Mykologe, ob nur diese Varietät giftig wäre bzw. ob diese Verfärbung aus externen Faktoren herrühre, welche die chemische Zusammensetzung in Richtung Gift modifizieren könnten.

Frühe Beschreibungen

In seiner Fragestellung kommt Cooke der Wahrheit schon recht nahe (siehe Kap. 4). Psilocybe semilanceata ist mit den mexikanischen psychotropen Arten sehr eng verwandt. Im Erscheinungsbild steht der Pilz Psilocybe semperviva Heim & Cailleux und Psilocybe mexicana Heim nahe und kommt wie diese bevorzugt auf Weiden vor. Diese Ähnlichkeit und die ebenfalls nur diskret auftretende Blauung der Pilze regte die Untersuchung von Fruchtkörpern schweizerischer und französischer Herkunft durch die Gruppe um A. Hofmann und R. Heim in Zusammenarbeit mit dem Pilzfreund Furrer an. 1963 wurde dann über den papierchromatographischen Nachweis von 0,25% Psilocybin in den Trockenpilzen erstmalig berichtet. Die Befunde stellten eine Sensation dar, weil bisher in europäischen Arten das Alkaloid noch nie nachgewiesen werden konnte. Bis zu dieser Zeit lagen nur positive Nachweise der Substanz in Psilocybe-Arten aus Mexiko, aus Asien und Nordamerika vor.

Abb. 10

Die vorzügliche Psilocybe semilanceata – Beschreibung von Michael/Schulz (1927).

Vor 1963 wurden die Pilze jedoch auch schon regelmässig in verschiedenen deutschsprachigen Standardwerken der Mykologie beschrieben. Dazu noch einige Beispiele: In Abb. 6/7 (S.11) stehen sich zwei Beschreibungen im Abstand von etwas mehr als sechzig Jahren gegenüber. Interessant, dass die zweite Beschreibung aus dem Jahre 1962 die Anmerkung „wertlos“ trägt – aus heutiger Sicht eher amüsant! Aber das Wissen um die englischen Intoxikationen drang dennoch nicht dauerhaft ins deutsche Schrifttum ein. Die vorzüglichen Beschreibungen von Michael/ Schulz (1927) und von A. Ricken (1915) bilden eher die Ausnahme. (S. 19). Interessanterweise ist aber in der hier vorgestellten ältesten Quelle vor 1900 das Buch von Sowerby aus dem Jahre 1803 noch als Referenz zitiert. Die Beschreibung der Pilzart im Jahre 1977 zeigt, dass bis auf zusätzlich erwähnte mikroskopische Details die Pilzart heute eher wieder flüchtiger differenziert wird. (Abb.12 auf S.21).

Abb. 11

Rickens Definition der Psilocybe-Art (1915).

Auch die farbige Zeichnung der Pilze aus dem Jahre 1927 kommt dem tatsächlichen Habitus der Fruchtkörper sehr nahe (erste Umschlagseite).

1967 und 1969 konnte das Psilocybin auch in Pilzproben aus Schottland und England nachgewiesen werden. Michaelis berichtete 1977 dann über die Detektion des Alkaloides in Extrakten aus deutschen Aufsammlungen. (Abb. 13 S. 22).

Ab 1979 wurden in verschiedenen Ländern quantitative Untersuchungen des Alkaloidgehaltes der Pilzarten unter Anwendung modernster Methoden (HPLC) durchgeführt, auf die an anderer Stelle noch eingegangen wird.

Man kann heute sagen, dass die Psilocybe semilanceata der psychoaktive Pilz Europas hinsichtlich Verbreitung, Erforschung und Anwendung ist. Guzman schätzt in seiner Monographie 1983 ein, dass die Art die weltgrösste Verbreitung unter allen psychoaktiven Psilocyben hat. Der Pilz kommt in Amerika, Europa, Australien und Asien vor. In vielen Ländern ist die Pilzflora so mangelhaft erforscht, dass über die Verbreitung solcher kleiner Arten erst recht nichts ausgesagt werden kann.

Es werden Funde aus folgenden europäischen Ländern beschrieben: Finnland, Norwegen, Schweden, Dänemark, Deutschland, Schweiz, Österreich, Niederlande, Belgien, Frankreich, Russland, Polen, Ungarn, Rumänien, Schottland, England, Wales, Italien, Spanien, Irland und die frühere Tschechoslowakei.

Hier muss ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass für solche kleinen europäischen Arten, die neben vielen ähnlichen Pilzen wachsen, keine umfassenden Verbreitungskarten existieren. Der sarkastische Satz „Die Pilze kommen häufig vor, wo auch die Mykologen häufig sind“ trifft besonders auf die Psilocybe-Arten zu. Die Gattung fristete vor der Entdeckung des Psilocybins eher ein Schattendasein in der Literatur, und heute beschäftigen sich auch nur wenige Mykologen mit ihr. Daran ändert auch nichts, dass Psilocybe semilanceata wahrscheinlich die häufigste und auffälligste Sippe unter den Arten darstellt. Pilzfreunde mit anderer Intention (Kapitel 6.4.) lassen ihr Wissen gewöhnlich nicht in Verbreitungskarten verewigen.

Jedoch existiert aus dem Jahre 1986 auch eine Verbreitungskarte über das Vorkommen der Pilzart in Deutschland (S. 11).

Aus Ostdeutschland sind kaum Fundorte der Psilocybe-Art publiziert worden. Ich fand den Pilz in den verschiedensten Gebieten, so im Vorharz bei meiner Heimat Mansfeld, in der Dübener Heide, in weiteren Heidelandschaften sowie in Thüringen. Funde aus den anderen Landesteilen sind mir von befreundeten Mykologen bekannt. Schon Buch berichtete 1952 detailliert über Funde aus Sachsen (Abb. 15, S. 23).

Das üppigste Wachstum der Psilocybe-Art lässt sich auf im Wald gelegenen feuchten Weideflächen feststellen. Nach meinen Erfahrungen findet man die Art von Ende September bis Oktober in den meisten grösseren Waldgebieten auf sauren Böden im Gras, an Wald- und Wegrändern, meist zu wenigen Exemplaren oder in kleinen Trupps bis zu 30 Pilzen. An solchen Stellen lässt sich dann regelmässig auch Tierkot wie z.B. von Rehen nachweisen. Die Pilze wachsen nie direkt auf frischem Dung. Ausgesprochene Kümmerformen können an Chausseerändern im Gebirge gefunden werden.

Die Myzelien können alte Kuhweiden im Wald ausgedehnt durchziehen, wie sich an der Grösse der Areale der Fruchtkörper dann ablesen lässt. Bei entsprechender Feuchtigkeit ist mit einer maximalen Fruktifikation der Art zu rechnen, wenn wenige Wochen zuvor die Grasflächen noch einmal mit Kühen beweidet werden.

Jedoch wachsen die Pilze auch auf entsprechend gelegenen Pferde- oder Schafweiden. Sehr häufig sind auch diese im Wald gelegenen Grasflächen ebenfalls Weideplatz von Rehen, die den Boden noch zusätzlich düngen. Jedoch kommen die Pilze nicht an Standorten vor, wo Kunstdünger zum Einsatz gelangte. Solche Weiden sind oft von Bächen oder Mooren begrenzt, die den Boden stark durchnässen. Im Sommer bewirkt das gleichzeitig hohe Wärmeangebot in diesen feuchten Schneisen ein optimales Wachstum der Myzelien. Die Pilze kommen von den Meeresküsten bis ins Hochgebirge vor, eine Angabe aus 1720 m NN stammt auch aus Deutschland (Messtischblatt-MTB-8443, 1985). Die Fundhöhen streuen in der früheren Tschechoslowakei von 330-1000 m Höhe, einmal 1400 m, ohne dass eine bestimmte Höhenlage bevorzugt erscheint. Hier sind 54 Aufsammlungen aus 44 Orten bekannt (letzter Stand 1986). Im Gegensatz zu anderen Pilzarten wie dem Zuchtchampignon hat die Psilocybe-Art offensichtlich einen grösseren Temperaturbereich, indem sie fruktifizieren kann.