Narzissenkinder - Monika Celik - E-Book

Narzissenkinder E-Book

Monika Celik

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Beschreibung

Eine Kindheit mit narzisstischen Eltern bewältigen

Das Leben mit einem narzisstischen Elternteil kann für betroffene Kinder zur Hölle werden. Sie werden ständig manipuliert und sabotiert, belogen, sich selbst überlassen. Sie erleben Angst, Grenzüberschreitungen jeder Art und Verdrehungen der Realitäten, sodass sie ihrer eigenen Wahrnehmung nicht mehr trauen.

Als selbst Betroffene zeigt Monika Celik das ganze Spektrum möglicher narzisstischer Verhaltensweisen auf. Mit vielen Beispielen und Zitaten anderer erwachsener Kinder belegt sie die dramatische Beziehung zwischen narzisstischen Müttern und ihren Töchtern. Betroffene Leserinnen finden sich in diesen Beispielen wieder und erhalten durch zusätzliche Sachinformationen Lösungsansätze für ihr eigenes Leben.

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Seitenzahl: 384

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Die Autorin

Monika Celik, geboren 1964, ist Bürokauffrau. Nach mehreren Fortbildungen ist sie als Trainerin und Coach für soziale Belange sowie als Autorin und Ghostwriterin tätig. Sie leitet die Facebookgruppe »Narzisstischen Missbrauch überwinden« und bloggt regelmäßig Beiträge zum Thema »Narzissmus und narzisstischer Missbrauch«. Die Mutter von drei erwachsenen Kindern lebt im Rheinland.

www.mcscript-office.de

Das Buch

Das Leben mit einem narzisstischen Elternteil kann für betroffene Kinder zur Hölle werden. Sie werden ständig manipuliert und sabotiert, belogen, sich selbst überlassen. Sie erleben Angst, Grenzüberschreitungen jeder Art und Verdrehungen der Realitäten, sodass sie ihrer eigenen Wahrnehmung nicht mehr trauen.

Als selbst Betroffene zeigt Monika Celik das ganze Spektrum möglicher narzisstischer Verhaltensweisen auf. Viele Beispiele und Zitate anderer erwachsener Kinder belegen die Dramatik solcher Eltern-Kind-Beziehungen. Betroffene Leserinnen und Leser finden sich in diesen Beispielen wieder und erhalten durch zusätzliche Sachinformationen Lösungsansätze für ihr eigenes Leben.

Monika Celik

Narzissenkinder

Wenn Töchter unter narzisstischen Müttern leiden

Kösel

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright © 2019 Kösel-Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Cover: Weiss Werkstatt München

Covermotiv: shutterstock

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-24310-4V002

www.koesel.de

Inhalt

Vorwort

Der Traum von der liebenden Mutter

Narzissen: Wer sind diese Frauen?

Eine Definition des Narzissmus und der narzisstischen Mutter

Ludmilla: »Meine Mutter hatte es schwer«

Goldkinder und schwarze Schafe: Die Ungleichbehandlung von Geschwistern

Gaslighting: Wie die Realität verdreht wird

Wenn Mutters Liebe grenzenlos ist: Lovebombing und narzisstischer Kreislauf

Die Aggressionen einer narzisstischen Mutter

Andrea: »Sie war immer kränklich«

Sabotage: »Du bist wertlos!«

Dankbarkeitsfalle und Schuldgefühle

Ist das wirklich wahr? Narzisstische Lügen und üble Nachrede

Samira: »Ich war nie gut genug«

Kritik und Demütigung

Von Wohlwollen und Missgunst

Grenzüberschreitungen – und die Ohnmacht in dir

Die Drama-Queen: »Aufmerksamkeit bitte!«

Pflichterfüllung und Ausbeutung

Renate: »Sie sagt, ich bin eine Versagerin«

Die Komplizen im Leben der Narzisse: Flying Monkeys

»Du gehörst auf ewig mir!« Tyrannei bis ins hohe Erwachsenenalter

Die Folgen von narzisstischem Missbrauch im Elternhaus

Warum die Aussprache mit einer Narzisse sinnlos ist

Narzissenkinder und ihre Partner: Den Narzissmuskreislauf erkennen und verstehen

Kontaktabbruch, Verhaltensänderungen und die persönliche Shit-Liste

Gesellschaftliche Akzeptanz und Frauenbild

Narzisstischen Missbrauch überwinden

Checkliste: Ist meine Mutter eine Narzisse?

Literaturhinweise und hilfreiche Links

Vorwort

Schon seit einigen Jahren arbeite ich im virtuellen Raum mit Frauen und Männern, die narzisstischen Missbrauch erleben mussten. Seit 2017 führe ich eine eigene Facebookgruppe zu dieser Thematik und werde dort von sehr beherzten und lebenserfahrenen Frauen unterstützt, die ebenfalls mit narzisstischem Missbrauch zu kämpfen hatten. Gemeinsam versuchen wir, anderen Betroffenen ein wenig Hilfestellung zu geben, sie über die Problematik insgesamt aufzuklären, ihnen Zusammenhänge in ihrer Entwicklung bewusst zu machen und sie in ihrem ersten Kummer und ihrer Entwicklung aufzufangen und zu begleiten. Es sind Menschen, die – wie wir selbst auch – viel Leid erfahren haben und verstehen möchten, was in ihrem Leben passiert ist, warum man ihnen all das angetan hat und wie sie es vermeiden können, immer und immer wieder in die gleichen Fallen zu laufen. In der Regel landen diese Menschen bei uns, weil sie den narzisstischen Missbrauch innerhalb ihrer bestehenden oder vergangenen Beziehung erlebt haben. In fast allen Fällen kommt in den Gesprächen heraus, dass sie bereits in ihrer Kindheit verwandte Erfahrungen gemacht haben. Die Geschichten, die dabei ans Tageslicht kommen, ähneln sich so sehr, dass man durchaus einen roten Faden erkennen kann, auch wenn sie sich durch individuelle Gegebenheiten doch wieder sehr voneinander unterscheiden.

Um aufzuzeigen, was narzisstischer Missbrauch in der Kindheit bedeutet und welche Auswirkungen er auf die Betroffenen hat, habe ich sehr viele Interviews mit Betroffenen geführt. In meiner Facebookgruppe beschäftigen wir uns darüber hinaus täglich mit diesen Problematiken.

Die Betroffenen haben viele Gemeinsamkeiten: alte Muster, die sich sehr destruktiv auf ihr Leben als Erwachsene auswirken und sie immer wieder in Situationen stolpern lassen, in denen sie sich erneutem Missbrauch ausgesetzt sehen. Alte Glaubenssätze von der eigenen Wertlosigkeit, dem Gefühl, immer funktionieren zu müssen, für alles Mögliche verantwortlich zu sein. Ebenso der Gedanke, dass sich all das, was sie erleben mussten, für Außenstehende so unwahrscheinlich anhört, dass ihnen ohnehin niemand glaubt.

Auch ich bin eine ehemalige Betroffene. Ich habe etwa drei Jahrzehnte lang nach einer Erklärung für das Verhalten meiner Mutter gesucht und fand mich in mehreren Beziehungen wieder, in denen ich narzisstischen Missbrauch erlebt habe. Erst durch meine letzte Beziehung dieser Färbung brachte ich den Begriff Narzissmus auch mit meiner Mutter in Verbindung, sah die Parallelen in ihrem Verhalten und dem meines letzten Partners. Ich habe mich mit all diesen Dingen intensiv auseinandergesetzt. Auch meine Schwester hat das getan, die aus meiner Sicht ebenfalls mit einem narzisstischen Missbrauch durch unsere Mutter zu tun hatte. Gemeinsam konnten wir viele Problematiken bewältigen, die uns noch enger zusammengeschweißt haben. Damit sich dieses Buch nicht nur mit meinen eigenen Erlebnissen und denen meiner Schwester beschäftigt, möchte ich allerdings die Erfahrungen meiner Gesprächspartnerinnen in den Vordergrund stellen. Alle Zitate und Aussagen, die sich in den folgenden Kapiteln finden, sind anonymisiert. Alles, was die Personen erkennbar machen würde, habe ich weggelassen oder abgewandelt. Wo es mir geeignet erschien, habe ich meine eigenen Erfahrungen als Betroffene und auch die meiner Schwester einfließen lassen.

Narzisstischer Missbrauch durch die eigenen Eltern ist, obwohl es so viele Betroffene gibt, immer noch ein Tabuthema. Den Missbrauch durch die eigenen Eltern offen darzulegen, unterliegt einer viel höheren Hemmschwelle, als über den Missbrauch innerhalb einer Paarbeziehung zu sprechen. Meine Gesprächspartnerinnen haben intensiv an sich gearbeitet, Ursachen erkannt, Konsequenzen gezogen und ihr Leben entsprechend verändert. Mein Anliegen mit diesem Buch ist Information: Ich möchte aufzeigen, wie sich narzisstische Mütter verhalten, wie sich das auf ihre Kinder auswirkt, welche Spätfolgen sich entwickeln können. Ich möchte auch verschiedene Möglichkeiten des Umgangs mit dieser Problematik vorstellen: Wir sind jetzt keine kleinen Kinder mehr, sondern erwachsene Menschen. Wir müssen uns nicht alles gefallen lassen, wir dürfen uns wehren, wir dürfen uns Strategien erarbeiten, um den Missbrauch ein für alle Mal zu unterbinden oder ihn so gering wie möglich zu halten, indem wir ihn bewusst wahrnehmen und adäquat darauf reagieren.

Eine Schwierigkeit hat sich während der Arbeit an diesem Buch immer wieder deutlich gezeigt, speziell in den Interviews: Die Abgrenzung von »Narzissmus« und anderen seelischen Störungen oder Persönlichkeitsstörungen ist sehr, sehr schwer, teilweise unmöglich. Die Grenzen zwischen der malignen NPS (narzisstische Persönlichkeitsstörung), der ohne Zweifel schädlichsten Form dieser Störung, und der Psychopathie sind auch für jahrelang erfahrene Experten nur sehr schwer zu ziehen – häufig geht das nur mit mehreren diagnostischen Methoden. Es wäre anmaßend von mir, würde ich hier klare Abgrenzungen vornehmen. Ich möchte aber an dieser Stelle ein Zitat einfließen lassen aus der Serie »Hannibal«, welche die Geschichte von Hannibal Lecter detailreicher erzählt, als es in den Büchern von Thomas Harris der Fall ist. In einer Szene sagt Hannibal: »Narzissten sind keine Psychopathen. Aber Psychopathen sind immer auch Narzissten.«

In einigen Schilderungen meiner Gesprächspartnerinnen liegt die Vermutung nahe, dass hier auf Seiten der Eltern oder eines Elternteils auch ein Missbrauch von Alkohol oder Drogen gegeben war. In anderen Erzählungen fand ich Hinweise auf psychotisches Verhalten, vielleicht sogar auf paranoide oder schizoide Störungen. Am Ende spielt das fast keine Rolle, denn all die Schilderungen drehen sich um Missbrauch auf emotionaler, psychischer oder physischer Ebene. Je nach Ausprägung einer Störung kann dieser Missbrauch in allen Härtegraden daherkommen. Diese Missbrauchsfälle sind als narzisstisch einzuordnen, doch das muss nicht bedeuten, dass die Mütter, über die wir hier sprechen, an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden.

In diesem Buch soll es ohnehin nicht darum gehen, Menschen, die ich nicht kenne, Diagnosen zu stellen. Das ist nicht möglich. Außerdem darf ich keine Diagnosen stellen, das dürfen nur Experten. Ich bin eine Betroffene und ich arbeite mit Betroffenen – nur das, was sie zu erzählen haben, nur das, was sie überwinden und verarbeiten müssen, zählt für mich. Wenn ich vor dreißig Jahren schon gute Literatur zu diesem Thema in die Finger bekommen hätte, wäre mir vermutlich sehr viel Schmerz erspart geblieben. Ich habe Literatur aus dem Bereich Psychologie verschlungen, seit ich denken kann. Aber der Begriff »Narzissmus« wird erst in den letzten Jahren so intensiv besprochen, dass er Betroffenen überhaupt begegnet.

Möglicherweise kann ich mit diesem Buch dazu beitragen, dass heutige Betroffene schneller erkennen und verstehen. Erkennen und Verstehen, das sind immer die ersten Schritte im Heilungsprozess. Wir können natürlich die Menschen nicht ändern, durch die der Missbrauch stattgefunden hat – oder noch immer stattfindet. Wenn wir aber verstehen, was da überhaupt passiert, können wir anfangen, ganz bewusst an uns selbst zu arbeiten. Wer in seiner Kindheit narzisstischen Missbrauch erleben musste, hat in der Regel sein ganzes Leben lang mit speziellen Symptomen zu tun: Schuldgefühle, Blockaden beim Definieren der eigenen Grenzen, maßlose Dankbarkeit für ganz selbstverständliche Dinge und noch vieles mehr. Es tut einfach gut zu erkennen, dass man selbst als Kind nicht schlecht war, nicht dumm, nicht hässlich, nicht unbegabt, nicht undankbar – sondern dass man diese und viele andere Dinge schlichtweg eingeredet bekam.

Auch kämpfen Betroffene ihr ganzes Leben lang gegen Reaktionen aus ihrem Umfeld, wenn sie von ihrem Missbrauch durch eine narzisstische Mutter erzählen. Die Reaktionen reichen von ungläubigem Staunen bis hin zur Missbilligung und der totalen Ablehnung. Die Betroffenen müssen auch erst einmal an den Punkt kommen, an dem sie erkennen, dass dieser Missbrauch eben nicht normal ist, dass er nicht überall vorkommt. Und dann kommt die Sorge, dass man unglaubwürdig klingt. Wie oft haben betroffene Menschen gehört, dass sie sich das alles einbilden? Dass sie sich Geschichten ausdenken, um sich interessant zu machen? Sehr häufig leiten sie ihre Erzählung ein mit Sätzen wie diesem: »Das glaubt mir doch niemand.« Diese Menschen sind nach meiner Erfahrung unfassbar dankbar, wenn sie mit anderen Betroffenen sprechen können und merken, dass sie kein Einzelfall sind, dass man ihnen glaubt und sie versteht. Dabei sprechen wir übrigens von Frauen aller Altersgruppen. Von Frauen, die häufig trotz all des Erlebten noch immer an ihrer Mutter hängen und nicht loslassen können. Schließlich ist es doch die eigene Mutter!

Auch Männer sind von Missbrauch durch narzisstische Mütter betroffen – in diesem Buch habe ich mich allerdings auf die Töchter konzentriert, sonst wäre es viel zu umfangreich geworden. Das missbräuchliche Verhalten ist zwar oft das Gleiche wie Töchtern gegenüber, die Entwicklung der betroffenen Männer unterscheidet sich jedoch nach meinen Erkenntnissen stark von der Entwicklung betroffener Frauen. Auch darf nicht vergessen werden, dass es ebenso viele narzisstische Väter gibt wie narzisstische Mütter und diese auch wieder ganz andere Spuren hinterlassen. All das hätte den Rahmen gesprengt.

Es gibt noch ein paar Dinge, die ich gleich zu Beginn dieses Buches klarstellen möchte:

Niemand, der narzisstischen Missbrauch erlebt hat, ist »selbst schuld«. Auch wenn sich narzisstischer Missbrauch im Erwachsenenalter fortsetzt und mehrfach wiederholt, kann nicht von Schuld gesprochen werden. Erst einmal müssen den Betroffenen all diese Dinge bewusst werden. An den eigenen Anteilen zu arbeiten bedeutet nicht, dass man die Schuld für etwas auf sich nimmt, sondern dass man seine Kindheit und Jugend erforscht und Ursachen für eigene (destruktive) Denk- und Verhaltensmuster identifiziert. Es bedeutet eine Auseinandersetzung mit falschen Glaubenssätzen, die in früheren Entwicklungsphasen durch den Missbrauch entstanden sind. Destruktive Glaubenssätze, die uns als erwachsene Menschen in diverse Fallen treten lassen. Nicht alle Menschen, die im Erwachsenenalter narzisstischen Missbrauch in Beziehungen erleben müssen, kennen dies aus ihrer Kindheit: Manchmal handelt es sich einfach nur um gute Menschen, die auch in ihren Mitmenschen das Gute sehen möchten.

Ich möchte auch dringend darauf hinweisen, dass ich Information und eine Auseinandersetzung mit der Thematik Narzissmus zwar für enorm wichtig halte, dies aber eine Therapie durch einen professionellen Therapeuten nicht ersetzen kann. Eine solche Therapie ist insbesondere nach narzisstischem Missbrauch unumgänglich. Die meisten Mitglieder meiner Gruppe haben sogar schon mehrere unterschiedliche Therapien hinter sich und sind dankbar für die Fortschritte, die sie machen konnten.

Ich möchte mich an dieser Stelle gern bei den mutigen Frauen bedanken, die bereit waren, mit mir über all das zu sprechen, was ihnen in ihrem Elternhaus widerfahren ist. Es kostet sehr viel Kraft, all das noch einmal so dezidiert zu bearbeiten. Bedanken möchte ich mich auch bei den Mitgliedern unserer Selbsthilfegruppe, weil sie sich gegenseitig so wertvoll mit Rat und Tat und emotionalen Beistand unterstützen.

Der Traum von der liebenden Mutter

»O Mutter, du weißt nicht, wie nötig ich dich habe; keine Weisheit, die auf Erden gelehrt werden kann, kann uns das geben, was ein Wort und ein Blick der Mutter uns gibt.«

Wilhelm Raabe

Wer sich ein bisschen mit Literatur rund um das Thema Mutter und Mutterliebe beschäftigt, wird in der Regel auf Zeilen stoßen, in denen von sehr edlen Eigenschaften die Rede ist. Die niemals müde Mutter, die rund um die Uhr für ihr Kind da ist. Die selbstlose Mutter, die jede Mühe auf sich nimmt, damit ihr Kind glücklich ist. Die Mutter, die zahllose Opfer bringt, über die sie niemals spricht, damit ihr Kind alles hat, was es braucht. Die Frau, die rund um die Uhr da ist, immer etwas tut, der nichts zu viel ist, die ihre eigenen Bedürfnisse immer hinten anstellt. Diese verklärte Literatur stammt aus längst vergangenen Zeiten. Das ebenso verklärte Mutterbild hat sich aber hartnäckig gehalten und herrscht bis heute vor. In ganz normalen Gesprächen mit Menschen, die man eben kennt, hört man nur selten, dass die eigene Mutter ihren Kindern das Leben schwer oder sogar zur Hölle gemacht hat. Man erfährt selten, dass eine Mutter eben nicht alles für ihr Kind tut, sondern sich selbst und ihre Interessen und Bedürfnisse an erste Stelle stellt. Auf der anderen Seite stehen die Mütter, die tatsächlich wundervolle Mütter sind und überhaupt nicht nachvollziehen können, dass andere Mütter nicht diesem ehrwürdigen Mutterbild entsprechen.

Der größte Teil der Gesellschaft kann sich – glücklicherweise – überhaupt nicht vorstellen, dass Mütter selbstsüchtig, egoistisch, eigennützig sein können, ihre Kinder entwerten, erniedrigen, beschimpfen, sogar schwer misshandeln, ihnen Schuldgefühle einreden, sie regelrecht ausbeuten. Nicht zuletzt sind es auch die selbstsüchtigen, ausbeutenden, eigennützigen Mütter, die ihren Kindern – auch im Erwachsenenalter – einreden, wie gut und unfehlbar sie selbst sind, und sie bis ans Ende ihrer Tage weiterhin abwerten, anschuldigen und beschimpfen. Nach außen hin scheint aber alles in Ordnung zu sein. Misshandelte Kinder – darunter stellt man sich die armen Geschöpfe vor, die in Sensationsberichten durch die Presse gehen. Nur selten ahnen Außenstehende, dass sich auch hinter einer schönen und perfekt wirkenden Fassade schlimmster Missbrauch verbergen kann. Dass Mädchen, die eine gute Schulbildung erhalten, eine gute Ausbildung, deren Mutter scheinbar alles für ihre Familie tut, in Wahrheit die Hölle auf Erden erleben.

Kinder brauchen die bedingungslose Liebe ihrer Mutter. Die Mutter ist – neben dem Vater – die erste wichtige Vertrauensperson im Leben eines Kindes und unter normalen Umständen besteht ein sehr starkes Band zwischen Mutter und Kind. Bedingungslose Liebe bedeutet, dass ein Kind niemals zu hässlich, zu klein, zu groß, zu dünn, zu dumm, zu dick sein kann. Bedingungslose Liebe für das eigene Kind bedeutet, dass es gefördert wird in den Dingen, die es gut kann, dass es ermutigt wird, eigene Entscheidungen zu seinem Werdegang zu treffen, und diesbezügliche Wünsche der Mutter keine Rolle spielen. Bedingungslose Liebe einer Mutter zu ihrem Kind bedeutet, das Kind wertzuschätzen, es zu lieben, immer für es da zu sein, es mit Konsequenz zu erziehen, es aber dennoch »sein zu lassen«, und zwar so, wie es sein möchte und wie es seiner Persönlichkeit entspricht. Das sind fromme Wünsche oder Wunschvorstellungen, die an das verklärte Mutterbild in Gedichten und Zitaten anschließen. Aber nimmt man mal das ganze »Altbackene« aus diesen Vorstellungen heraus, was Opferbereitschaft und andere altruistische Eigenschaften einer Mutter betrifft, bleibt doch genau das, was wir uns wünschen, wenn wir an eine Mutter denken. Eine Mutter ist in unseren Vorstellungen liebevoll und fürsorglich, in ihrer Obhut müssen wir keine Angst haben. Sie schützt uns. Sie fördert uns. Sie liebt uns, egal, wie wir sind, und dafür muss sie auch nicht alles super finden, was wir tun oder entscheiden. Natürlich macht jede Mutter Fehler. Dennoch schaffen es die allermeisten Mütter glücklicherweise, ihr Kind tatsächlich zu lieben, zu schützen, zu fördern, aufzubauen und ihm das Gefühl zu geben, willkommen und geliebt zu sein.

Nicht so narzisstische Mütter. Betroffene, die narzisstischen Missbrauch durch die eigene Mutter erlebt haben, weisen viele Gemeinsamkeiten auf. Da sind die Gefühle der eigenen Wertlosigkeit. Schuldgefühle, die man sich selbst oft nicht erklären kann und von denen man eigentlich weiß, dass sie unangebracht sind. Aber man fühlt sie nun mal. Töchter, die bei narzisstischen Müttern aufwuchsen, haben immer sehr schnell diese Schuldgefühle, oft in Situationen, die andere – unbelastete Menschen – überhaupt nicht nachvollziehen können.

Ich habe mit so vielen Frauen gesprochen, die bei narzisstischen Müttern groß wurden, und so fiel mir noch eine Gemeinsamkeit auf: Alle miteinander, auch ich, hatten das Gefühl, ganz viel dafür tun zu müssen, um geliebt und geachtet zu werden, und zwar weit über die persönlichen Grenzen hinaus. Grenzen? In der Regel haben wir Betroffenen keine Grenzen beziehungsweise haben wir in unserer Kindheit gelernt, dass wir sie nicht haben dürfen. Wir müssen sie später regelrecht suchen. Sie erkennen und es uns erst einmal selbst eingestehen, dass wir sie haben. Und dann müssen wir mühselig lernen, unsere Grenzen genau zu definieren und darauf zu achten, dass andere Menschen sie nicht überschreiten. Wir haben nämlich gelernt, dass wir als Egoisten bezeichnet werden, wenn wir auch nur darüber nachdenken, Grenzen zu ziehen oder eigene Bedürfnisse zu äußern.

Alle Betroffenen sehnen sich nach etwas Respekt für all das, was sie tun – und bekommen ihn nicht. Im Gegenzug sind Kinder narzisstischer Mütter aber fast automatisch und völlig instinktiv dazu bereit, anderen Menschen absolut unkritisch viel zu viel Respekt entgegenzubringen und über die eigenen Kräfte hinaus für sie da zu sein. Wir alle sind unendlich dankbar, wenn man uns Interesse und etwas Aufmerksamkeit schenkt, wenn man sich uns in Liebe (oder scheinbarer Liebe!) zuwendet, und so haben wir Betroffenen gar nicht selten das Gefühl, endlich auf dem richtigen Weg zu sein. Wir strengen uns dann noch mehr an, bringen noch mehr Leistung, tun noch mehr – nur damit wir geliebt werden.

Man muss sich als nicht betroffener Mensch sicher nur mal eine kurze Zeit darüber Gedanken machen, was Gefühle von Wertlosigkeit, unangemessener Dankbarkeit, unkritischem Respekt anderen Menschen gegenüber, Schuldgefühle und die überhöhte Bereitschaft, Leistung zu erbringen, im Leben einer erwachsenen Frau anrichten können. Das sind Dinge, die man als Betroffene erkennen muss, sonst wird man nichts als ein dienstbarer Geist sein, der sich selbst für wertlos hält, immer alles für andere tut, für sich selbst nichts oder viel zu wenig einfordert – und irgendwann bricht das ganze Kartenhaus zusammen. Davor haben die meisten furchtbare Angst. Was passiert denn, wenn Menschen wie wir mal selbst nicht mehr können? Wenn wir krank werden, Fehler machen, Dinge nicht perfekt erledigen? Wir haben in der Regel sofort eine unbeschreibliche Angst in uns, dass wir nun nicht mehr geliebt werden, weil wir nicht mehr nützlich sind, sondern – ein Albtraum für uns – einem anderen Menschen zur Last fallen.

Narzisstische Mütter pflegen sehr häufig sogenannte On-Off-Beziehungen zu ihren Kindern. Sie umgarnen sie, wenn sie sie brauchen. Und sie stoßen sie von sich, wenn sie ihnen gerade überflüssig scheinen. Ich werde darauf noch näher eingehen. Und ich möchte betonen, dass betroffene Frauen aller Altersgruppen tiefe Sehnsüchte haben. Wir haben Sehnsucht nach unserer Mutter. Ja, wir sind erwachsen, sie muss uns nicht mehr in den Arm nehmen – auch wenn es schön wäre und wir es bei anderen, oft Gleichaltrigen, sehen. Auch als erwachsene Frau wünschen wir uns unsere Mutter in unserem Leben als wichtige Vertrauensperson. Ich selbst sehe überall Mütter, die von lächelnden Töchtern irgendwohin begleitet werden: zum Einkaufen, zum Doktor. Oder einfach nur Mütter und längst erwachsene Töchter, die miteinander spazieren gehen, dabei lachen und tolle Gespräche führen. Ich sehe überall engagierte Mütter, die stets für ihre Töchter da sind, egal wie alt diese sind – die aber deren Eigenheiten respektieren und sie einfach »sein lassen«. Ich sehe eine Vertrautheit zwischen vielen Müttern und Töchtern, wie es sie für mich und viele andere Betroffene nie gegeben hat. Es tut weh, das zu sehen, obwohl ich mich persönlich für die Frauen freue, die das genießen dürfen. Ich habe gelernt, ohne all das zu leben.

Viele betroffene Frauen müssen sich von dem Traum, eine Mutter zu haben, gänzlich verabschieden. Bei manchen ist überhaupt kein Kontakt mehr möglich. Bei anderen ist der Kontakt selten und jedes Mal frustrierend. Wieder andere pflegen häufigen Kontakt, fühlen sich aber weiterhin hilflos ausgeliefert und haben keine Ahnung, wie sie mit den überzogenen Ansprüchen und all den Macken ihrer narzisstischen Mütter, der Entwertung und auch all der Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Belange umgehen sollen. Alle Betroffenen müssen damit leben, dass die eigene Mutter bei wichtigen Ereignissen in ihrem Leben entweder nicht dabei ist oder diese boykottiert. Wer keine Strategie entwickeln kann, um mit all dem umzugehen, wird immer wieder Enttäuschungen erleben und sich frustriert und verletzt fühlen. Wenn wir wissen, dass unsere Mutter narzisstisch ist – oder wie inzwischen üblich als »Narzisse« bezeichnet werden kann –, müssen wir Abschied nehmen. Nicht unbedingt von der Mutter, aber von dem Traum, dass diese, unsere Mutter jemals auch nur ansatzweise die Mutter sein wird, wie sie für andere Menschen ganz normal ist.

Wir müssen daraus unsere Konsequenzen ziehen: Das Gefühl für unseren eigenen Wert dürfen wir nicht mehr von unserer Mutter abhängig machen. Wir müssen uns mit unseren Schuldgefühlen auseinandersetzen, verstehen, warum wir sie haben, und sie loswerden. Wir müssen uns mit dieser unkritischen Art und Weise, anderen Menschen Respekt entgegenzubringen, den sie vielleicht nicht einmal verdient haben, auseinandersetzen, denn das sind Dinge, die man uns in der Kindheit so beigebracht hat. Wir müssen lernen, uns nicht mehr schlecht zu fühlen, weil unsere Mutter nicht dem üblichen Bild entspricht, während sie uns aber immer noch einredet, die beste Mutter der Welt zu sein. Wir müssen uns davon lösen, die Fehler stets bei uns selbst zu suchen. Wir müssen akzeptieren und darauf aufbauen, dass wir starke Menschen sind, die falsche Glaubenssätze übernommen haben, weil sie uns eingetrichtert wurden, als wir klein und schutzlos waren. Falsche Glaubenssätze, an denen wir jetztarbeiten müssen. Wir müssen für uns Wege finden, mit dem Mutterthema umzugehen, und wenn wir uns von dieser Mutter nicht endgültig lösen wollen, so wie meine Schwester und ich das tun mussten, um uns selbst zu schützen, so müssen wir uns zumindest unverletzlich machen.

Der erste und wichtigste Schritt für uns selbst besteht darin, uns von diesem Traum zu verabschieden, sie könnte irgendwann – wenn wir ihr nur genug Liebe, Verständnis und Fürsorge zeigen – zu der Mutter werden, die für andere Menschen normal ist und die auch wir uns wünschen. Eine narzisstische Mutter wird niemals eine solche Mutter sein. Sie wird immer manipulieren, sie wird sich und ihre Bedürfnisse immer an die erste Stelle setzen, sie wird immer launisch sein und erwarten, dass man alles, was sie sagt oder tut, unkritisch hinnimmt. Eine narzisstische Mutter wird immer und für jede Kleinigkeit eine meist sogar unangemessene Dankbarkeit erwarten, und sie wird oft, wenn wir sie brauchen, nicht für uns da sein. Sie wird aber im Gegenzug immer verlangen, dass wir stets auf ihrer Seite sind, sie niemals kritisieren, denn sie ist unfehlbar. Wenn sie mit jemandem Streit hat, müssen wir diese Person hassen. Kommt sie mit jemandem gut zurecht, müssen wir diese Person mögen. Es gibt für eine narzisstische Mutter nur schwarz und weiß, dazwischen gibt es nichts. Wer nicht für sie ist, ist gegen sie.

Je früher wir uns mit diesen Gedanken vertraut machen und je eher wir es schaffen, unseren Traum von der fürsorglichen Mama, wie wir sie vielleicht von unserer besten Freundin kennen, zu verabschieden, umso eher sind wir auf einem für uns selbst gesunden Weg. Umso eher kommen wir in unsere eigene Kraft. Nur so enden die Gefühle der Hilflosigkeit. Wir müssen ins Handeln kommen, statt nur hilflos auf das zu reagieren, was uns an den Kopf geworfen oder angetan wird. Wir müssen die Verantwortung für uns und unser Leben in die Hand nehmen und unserer Mutter damit die Macht über unsere Emotionen entreißen. So oder so gilt es etwas zu beerdigen: den Traum der liebenden Mutter, wie wir sie uns gewünscht hätten. Die wird sie niemals sein.

Narzissen: Wer sind diese Frauen?

»Ein Kind ohne Mutter ist eine Blume ohne Regen.«

Indisches Sprichwort

In all den Jahren, in denen ich mich nun schon mit dem Thema Narzissmus befasse, stoße ich immer wieder auf ein paar Schlagworte, die ich für sehr bedenklich halte und die ganz sicher auf furchtbaren Missverständnissen beruhen. Da ist oft die Rede von »Täterschutz« oder auch »Schuldumkehr«. Spricht man von eigenen Anteilen in der Persönlichkeit, an denen jeder Mensch arbeiten sollte – was natürlich nur eine Empfehlung ist –, verstehen Opfer von narzisstischem Missbrauch sehr häufig darunter, dass sie mit ihren Eigenschaften an allem selbst schuld sind. Das Wort »Schuld« kommt überhaupt sehr häufig vor – und es ist in solchen Zusammenhängen vollkommen unangebracht.

Kein Kind ist selbst schuld, wenn es schlecht behandelt wird. Kein Kind ist schuld, wenn es nicht geliebt und nicht umsorgt wird. Kein Kind ist schuld, wenn die Mutter es erniedrigt und entwertet. Auch wenn solche Dinge in späteren Partnerschaften passieren, ist man daran nicht schuld. An den eigenen Anteilen zu arbeiten, bedeutet nichts anderes als Ursachen für Verhaltensmuster herauszufinden. Verhaltensmuster laufen in der Regel völlig unbewusst ab und so gut wie niemals stehen dabei schlechte Eigenschaften dahinter, sondern meist sogar sehr schöne. Es ist doch schön, wenn ein Mensch sich gern für andere Menschen einsetzt. Es ist schön, wenn er um seine Beziehungen kämpft und daran arbeiten möchte. Es ist wundervoll, wenn man aus Liebe Dinge für andere tut. Furchtbar ist es aber, wenn all das ausgenutzt wird und erneut narzisstischer Missbrauch stattfindet.

Narzissten wittern all diese eigentlich wundervollen Eigenschaften und machen sie sich zunutze. Das sind keine Prozesse, die vom Gehirn aus logisch gesteuert werden, das passiert einfach – und wer narzisstisch missbraucht wird, ist sich ganz selten darüber im Klaren, dass es gerade diese schönen Eigenschaften sind, die den Missbrauch überhaupt ermöglichen. Man hat uns in der Regel schon als Kind beigebracht, unsere eigenen Bedürfnisse zu verleugnen, keine Grenzen zu setzen, uns an die letzte Stelle zu setzen – und alles für die anderen zu tun. Wir lassen uns in Beziehungen beschimpfen und erniedrigen und müssen uns erst einmal darüber bewusst werden, dass niemand das Recht dazu hat. Wir lassen zu, dass Partner oder auch Freunde, Nachbarn und Vorgesetzte unsere Grenzen überschreiten – weil wir selbst oft überhaupt nicht wissen, wo diese Grenzen liegen und dass wir das Recht haben, anderen Menschen Grenzen zu setzen. Und so mündet ein Missbrauch in den nächsten. Das ist nicht die Schuld der Opfer. Aber mit ausreichend Information und guter Fachliteratur, vor allem aber durch die Hilfe guter Therapeuten, ist es möglich, diese unbewussten Muster zu ergründen, die Ursachen herauszufinden und daran zu arbeiten. Wir sind nicht daran schuld – aber wir sind es uns selbst schuldig, etwas dagegen zu unternehmen.

Und nun komme ich zu den Tätern, in diesem Fall den Täterinnen, den Müttern, über die wir hier sprechen. Im weiteren Verlauf dieses Buches wird sich zeigen, dass es ganz besonders harte Fälle gibt – aber auch Fälle, in denen der Missbrauch überaus subtil stattfand. Dazwischen befinden sich all die feinen Nuancen im Verhalten, wie wir sie auch zwischen den Farben Schwarz und Weiß finden. Und jetzt wage ich den provokanten Satz: Auch Täter sind irgendwann einmal Opfer gewesen. Nur in ganz seltenen Fällen scheint es keine Vorgeschichte zu geben. Die allermeisten narzisstischen Mütter jedoch sind selbst Opfer von narzisstischem Missbrauch gewesen. Das entschuldigt nicht, was sie uns angetan haben. Ich halte es aber für sehr wichtig, darauf hinzuweisen, und möchte eine Frau zitieren, die mir inzwischen zu einer wertvollen und lieben Freundin geworden ist: »Wir sind auch Mütter. Wir müssen all das reflektieren und Ursachen dafür finden, was unsere Mütter zu dem hat werden lassen, was sie geworden sind. Wir müssen dieses Verhalten mit unserem eigenen Verhalten vergleichen und ergründen, ob wir uns ähnlich verhalten. Überprüfen wir uns nicht selbst auf solche Verhaltensmuster, reichen wir die Trauer, die Entwertung, die Ängste, die Schuldgefühle an die nächste Generation weiter. In unserer Zeit steht uns so viel hilfreiche Literatur zur Verfügung, die uns Dinge verstehen lässt. Wir können Therapien machen und uns damit helfen lassen. All das Gelernte müssen wir jedoch auf unser eigenes Dasein als Mutter anwenden, um diesen Kreislauf zu durchbrechen.«

Die Geschichten, die Mütter selbst erlebt haben und die sie zu dem gemacht haben, was sie sind und wie sie sind, sind individuell. Es gibt nicht diese eine Sache im Leben eines Menschen, die alles kippen lässt und aus einem eigentlich guten Menschen einen narzisstischen Menschen macht, der andere – inklusive der eigenen Kinder – nur benutzt, ausbeutet, entwertet, demütigt, vernachlässigt, aus Eigennutz überbehütet, um sie kleinzuhalten, oder sie psychisch und körperlich misshandelt. Es sind immer eine ganze Reihe von Ereignissen, Umständen und Personen, die eine wichtige Rolle in dieser Entwicklung spielten und wenn der Kippschalter umgelegt wird, ist das nichts, was wirklich wahrgenommen wird. Ich betreibe ganz sicher keinen Täterschutz, wenn ich auf diese Umstände hinweise, und ich bin es, die immer und überall sagt: Jeder Mensch hat an jedem Tag seines Lebens die Chance, an sich zu arbeiten, Fehler einzugestehen und ein besserer Mensch zu werden. Ein Gewinn für andere.

An dieser Stelle kann ich nur auf die Geschichte zurückgreifen, die mir von meiner eigenen Mutter bekannt ist. Meine Mutter war das jüngste Kind und die Aufteilung innerhalb der Familie war aus meiner Sicht eindeutig: Ihr älterer Bruder war das Goldkind, sie das schwarze Schaf. Mein Onkel war auch tatsächlich ein Herzchen in seiner ganzen Art, und als er tödlich verunglückte – ich war damals zwölf Jahre alt –, war das ein entsetzlicher Verlust für uns alle. Meine Großmutter ist daran wohl zerbrochen und ich würde sagen, sie hat sich ab diesem Tag an meine Mutter geklammert. Aber in der Kindheit meiner Mutter war das offenbar ganz anders gewesen. Wie man mir von unterschiedlichen Seiten erzählte, log meine Mutter, seit sie den Mund aufmachen konnte, und mein Großvater hätte dann immer gesagt, dass sie das tat, um sich interessant zu machen. Doch ein geliebtes Kind muss sich nicht interessant machen, das tut nur ein Kind, das sich nicht wahrgenommen fühlt.

Meine Oma hatte mit ihr eine sehr schwere Geburt und seit diesem Tag mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen: ständige, sehr heftige Migräneanfälle und Unterleibsbeschwerden. Sie war fortan immer kränklich und obwohl sie eigentlich ein sehr liebevoller Mensch war, ließ sie, so wie ich es erzählt bekommen habe, keine Gelegenheit aus, meiner Mutter zu erklären, sie sei daran schuld, denn all das hat ja erst mit ihrer Geburt angefangen. Während mein Onkel der kleine Sonnenschein meiner Großeltern war, wurde von meiner Mutter viel verlangt. Aus ihr sollte eine ordentliche Hausfrau werden. Man darf nicht vergessen, in welcher Zeit all das passierte: Meine Mutter ist direkt nach Kriegsende geboren. Dass sie an der schlechten Gesundheit meiner Oma schuld ist, erzählte diese jedem, der es hören wollte – oder auch nicht. Und das immer wieder. Auch wenn meine Oma mir Geschichten aus der Kindheit ihrer Kinder erzählte, also meines Onkels und meiner Mutter, so war mein Onkel in ihren Schilderungen immer der Sonnenschein, der mit seiner tollen Art alle verzaubert hat – während meine Mutter schon immer ein Problemkind gewesen sei: Sie log, und sie stahl, was nicht niet- und nagelfest war. Sie war aggressiv gegen Schwächere, was wahrscheinlich nur ein Ausdruck eigener Hilflosigkeit war. Bei meiner Oma galt sie als pampig und aufsässig, während sie vor meinem Opa – der sie auch regelmäßig verprügelte, weil er hilflos war angesichts all der Dinge, die sie anstellte – furchtbare Angst hatte. Gleichzeitig buhlte sie sicherlich um seine Liebe und seine Anerkennung, ebenso wie bei meiner Oma. Ich glaube nicht nur, sondern weiß von meiner Mutter selbst, dass sie sich als Kind nicht wahrgenommen und sehr viel weniger geliebt fühlte als ihr Bruder.

Ich wurde 1964 nur auf die Welt gebracht, wohl weil sie darin die Chance sah, ihrem strengen Elternhaus zu entkommen. Allerdings war sie drei Jahre später wieder zu Hause und eine der ersten geschiedenen Frauen in unserem kleinen Dorf. Meine Großeltern schienen nur zu gern bereit, sie von aller Schuld am Scheitern dieser Ehe freizusprechen. Mein Vater war in ihren Augen der Schuldige, aber meiner Mutter machten sie klar: »Es muss ein neuer Mann her. Du bist nichts ohne einen Mann an deiner Seite. Du kannst sowieso nichts, du musst wieder heiraten. Anständige Frauen sind verheiratet.« Schon wieder stimmte also etwas nicht mit ihr. Meine Mutter fand wieder einen Mann und es wurde geheiratet – der Vater meiner Schwester, die ein paar Jahre später zur Welt kam, wurde zu meinem Stiefvater.

Meine Mutter wurde von ihren Eltern nach wie vor »gedrückt«, so nenne ich es heute. Sie sollte nicht arbeiten und nicht über eine eigene berufliche Entwicklung nachdenken. Nein, das einzige Glück einer Frau bestünde darin, Kinder zu bekommen und großzuziehen. Ich bin sicher, dass meine Mutter eigene Ambitionen hatte, die aber unterdrückt wurden. Das, was ihr eigentlich gar nicht lag, nämlich Haushalt und Kindererziehung, das wurde zur Pflicht, weil sie als Frau nun mal diese Pflicht hatte. Arbeiten gehen, Geld verdienen, Selbstbewusstsein in einem beruflichen Bereich aufbauen: Meine Oma sagte immer, auch zu mir, dass Frauen sich hauptsächlich um die Familie zu kümmern hätten. Daher sei es nur gut, einen Beruf zu lernen, mit dem man sich etwas dazuverdienen könne. Sozusagen das eigene Taschengeld, um sich mal eine Kleinigkeit gönnen zu können, ohne den Mann um Erlaubnis zu fragen. Meine Mutter entschied sich damals für Jobs im Verkauf. Keinen davon hatte sie lange, sie hüpfte von einem in den anderen. Das lag, so hieß es, daran, dass sie immer noch diese Angewohnheiten hätte: lügen, stehlen, betrügen.

Als dann mein Onkel starb – ihr Bruder –, änderte sich alles. Aus meiner heutigen Sicht würde ich es so beschreiben: Meine Großeltern hatten nun nur noch ihre Tochter, und das wurde für sie zum Freifahrtschein. Egal, was meine Mutter anstellte, sie musste niemals die Konsequenzen tragen. Meine Großeltern hielten helikoptermäßig ihre schützenden Hände über sie. Egal, was passierte, sie gaben die Schuld immer anderen – meinem Stiefvater, ihren Chefs, bösen Nachbarn oder auch mir. Egal, in welche schlimme Lage meine Mutter sich manövrierte, es waren immer die anderen schuld. Völlig gleichgültig, welchen Unsinn meine Mutter erzählte – meist ging es um Geld –, meine Großeltern bezahlten die Rechnungen, mit dem Ergebnis, dass meine Mutter niemals selbst Konsequenzen ausbaden musste.

Die Konflikte zwischen meiner Mutter und mir schienen mir in dieser Zeit immer mehr anzuwachsen. Und ich, die ich mich doch als den allergrößten Schatz meiner Großeltern ansah, erlebte nun, dass ich auch von ihnen zum Sündenbock erklärt wurde. Wenn ich mich bei ihnen beklagte, dass meine Mutter mich schlug, mich erniedrigte, mich beschimpfte, mir meine Sachen wegnahm, mir mein Taschengeld oder das, was ich mir verdient hatte, klaute, dann hieß es, ich bilde mir das alles ein. Niemals würde ihre Tochter so etwas tun. Ich war das Kind mit der blühenden Fantasie und erhielt den Rat, ich solle weniger Bücher lesen und am besten überhaupt keine Bücher mehr, die eigentlich ohnehin für Erwachsene geschrieben waren.

Wenn ich das Ganze heute mit sehr viel Abstand betrachte, sieht es für mich so aus, dass meine Mutter eigentlich immer nur die Funktionen zu erfüllen hatte, die andere von ihr erwarteten – allen voran meine Großeltern. Sie durfte sich selbst nicht entwickeln und verwirklichen, wurde auf eine Rolle festgelegt, die sie zu erfüllen hatte, und im Grunde verlangten sie ab irgendeinem Punkt immer nur von ihr, dass sie möglichst wenig Probleme machte. Im Gegenzug wurde sie von meinen Großeltern ständig abgewertet – sie taten das sicher nicht bewusst, aber sie taten es nun einmal. Immerhin war meine Mutter in ihren Augen ja schuld an der Migräne meiner Oma und überhaupt an den vielen anderen Zipperlein, mit denen sie regelmäßig für Stunden auf dem Sofa lag und völlig »out of order« war. Außerdem wurde sie für schuld daran erklärt, dass meine Großeltern sich ständig um sie sorgen mussten. Sie halfen meiner Mutter zwar immer, verteidigten sie bis aufs Blut, warfen ihr aber gleichzeitig vor, der Mensch zu sein, der sie nun einmal war. Sie warfen ihr vor, was sie alles auf sich nehmen mussten, um ihr immer und immer wieder aus der Patsche zu helfen. Niemals schien es meiner Mutter zu gelingen, so zu sein, wie sie sein sollte, alles so zu machen, wie sie es machen sollte, und stets wurde sie auf all das Unglück hingewiesen, das sie über meine Großeltern gebracht hätte.

Das Unglück aller anderen Beteiligten wollten meine Großeltern überhaupt nicht sehen, das war für sie, soweit ich es erlebte, nicht vorhanden. Eigentlich kann ich nur den Kopf darüber schütteln, wie stark dann doch die Einheit war, die sie mit meiner Mutter bildeten. Meine Mutter musste sich – außer bei meinen Großeltern – daher auch niemals bei irgendwem entschuldigen. Sie war ja nie schuld, egal was passierte. Ich würde es heute so zusammenfassen: Sie war für ihre Eltern, zumindest nach dem Tod meines Onkels, Prinzessin und größtes Problem gleichzeitig. Sie wurde in den Himmel gehoben und entwertet. In den Himmel gehoben wurde sie aber nur, weil sie das letzte, noch lebende Kind ihrer Eltern war. Für ihre Persönlichkeit hingegen wurde sie entwertet, denn sie schien ihren Eltern nie gut genug. Das Recht, meine Mutter zu maßregeln und zu kritisieren, lag in den Augen meiner Großeltern nur bei ihnen. Taten andere das, standen sie erbarmungslos hinter ihr und schützten sie.

Ich kann und will meine Mutter nicht freisprechen von all dem, was sie mir und auch meiner Schwester angetan hat. Und auch wenn ich Diagnosen fernbleiben möchte, weil sie mir nicht zustehen: Ich bin davon überzeugt, dass meine Mutter nicht nur einige stark ausgeprägte narzisstische Eigenschaften hat, sondern bei ihr tatsächlich von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung auszugehen ist. Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, die nicht frei ist von malignen (bösartigen) Anteilen. Ich kann in ihrer Entwicklung so vieles nachvollziehen. Ich kann sogar verstehen, warum sie so geworden ist. Ich kann nur nicht verstehen, dass sie niemals versucht hat, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Ich kann nicht verstehen, dass sie ihr ganzes Leben lang – zumindest soweit ich es weiß – niemals auch nur einen kleinen Fehler bei sich selbst gesucht hat, sondern immer alles auf andere Menschen geschoben hat. Unsere Mutter hat sogar eine Hausdurchsuchung durch die Kripo erleben müssen, sie wurde verhaftet und erhielt ein rechtskräftiges Urteil: Sie musste eine Haftstrafe absitzen. Aber selbst zu dieser Geschichte hörte ich sie niemals etwas sagen. Sie wurde verschwiegen, wo immer es möglich war, oder, falls es sich nicht umgehen ließ, so geschildert, dass sie auch in dieser Erzählung das arme Opfer war, das unschuldig in die Fänge gewissenloser Menschen geraten ist. Auch hier offenbart sich aus meiner Sicht das gleiche Muster: Die anderen waren schuld, gleichgültig wer.

Mir ist es wichtig, in diesem Kapitel über diese Dinge zu sprechen, weil es zum Verständnis bei den Opfern narzisstischer Mütter beitragen kann. Und hier möchte ich beginnen, dich persönlich anzusprechen – in der vertrauteren Du-Form, wie wir sie auch in unseren Gruppen pflegen. Das Verstehen der Zusammenhänge ist wichtig, nicht für die Mutter, sondern für dich selbst. Du wurdest von ihr nicht schlecht behandelt, vernachlässigt, entwertet, erniedrigt, ausgebeutet, misshandelt oder vernachlässigt, weil du als Mensch damit gemeint warst. All das ist dir nicht passiert, weil du hässlich, dumm, frech, unverschämt, undankbar, unbegabt oder sonst etwas warst. Es ist dir passiert, weil du ganz zufällig das Kind warst, das bei dieser Mutter aufwachsen musste, und jedes andere Kind an deiner Stelle hätte sie genauso behandelt. Es lag niemals an dir, es lag an ihr selbst, an ihrer eigenen Störung, an ihrem eigenen Missempfinden, ihrer eigenen Gefühlstaubheit – und all diese furchtbaren Eigenschaften der narzisstischen Störung haben Ursachen. Täter und Opfer – das soll und darf niemals eine Verdrehung erfahren. Aber wir müssen verstehen, dass der Täter-Opfer-Kreis immer größer werden und einen Kreislauf bilden kann. Um aus diesem Kreislauf auszubrechen, unsere eigenen Schmerzen zu überwinden und sie der nächsten Generation zu ersparen, sollten wir uns ruhig auch einmal mit der Entwicklungsgeschichte unserer Täterin befassen.

Ich weiß heute übrigens, dass auch meine Großmutter ein Opfer ihrer Mutter gewesen ist. Unbewusst und ganz sicher mit dem festen Gedanken im Kopf, es besser zu machen, als sie es bei ihrer Mutter erlebt hat, hat sie all das weitergegeben, worunter sie selbst immer gelitten hat. Wenn dieser Kreislauf, diese Kette in den Generationen nicht unterbrochen wird, kann der Missbrauch von Generation zu Generation sogar schlimmer werden.

Ich schließe dieses Kapitel mit der Frage ab, ob der narzisstische Missbrauch für das Opfer verzeihbar wird. Für dich, die Tochter dieser Frau. Der Missbrauch, den du erlebt hast, den ich erlebt habe. Wird er verzeihbar, wenn du die Geschichte deiner Mutter kennst? Wenn du verstehst, warum sie zu diesem Menschen wurde?

Ich denke, nein. Es geht auch nicht um Verzeihen, obwohl das in manchen Fällen sicher möglich ist. Wir sprechen hier nicht von einem Partner, den man verlassen kann, wenn man mit ihm schreckliche Dinge erlebt. Wir sprechen hier von den Frauen, die uns auf die Welt brachten und eigentlich die Personen waren, von denen wir Schutz, Liebe, Fürsorge und noch so einiges mehr gebraucht hätten, aber das Gegenteil bekommen haben. Man löst sich einfacher von einem Partner als von der eigenen Mutter. Sicher wird es Fälle geben, in denen dieser Missbrauch – sofern er nicht allzu heftig war und gut bearbeitet werden kann – verziehen werden kann. Und andere Fälle, in denen ein Verzeihen nicht möglich ist. Ich persönlich kann meiner Mutter nicht verzeihen. Meine Schwester kann es auch nicht. Wir schätzen unsere Erlebnisse als furchtbar ein, als viel zu furchtbar, um sie in allen Details zu erzählen. Doch viele Frauen sind mir begegnet, die einen noch heftigeren Missbrauch erleben mussten. Denn leider: Auch wenn manche Betroffenen denken, dass es nicht schlimmer als bei ihnen sein könnte, oft gibt es bei anderen noch schlimmere Erlebnisse. Man kann es einem Menschen, der sein Leben lang unter heftigem Missbrauch zu leiden hatte, nicht verdenken, wenn er nicht verzeihen kann und den Kontakt zur Mutter abbricht.

Ich möchte allen Betroffenen raten, wenigstens ansatzweise die Entwicklungsgeschichten ihrer narzisstischen Mütter zu ergründen. Diese nachvollziehen zu können, kann tatsächlich ganz enorm dazu beitragen, die Schuld an all dem Erlebten nicht mehr bei sich selbst zu suchen (weil man ein »so schreckliches Kind« war) – sondern klar festzustellen: »Sie hatte ihre Geschichte, die sie zu dem hat werden lassen, was sie letztlich ist. Das hatte nichts mit mir zu tun. Sie ist nicht so geworden, weil mit mir alles Mögliche nicht stimmt – sie war schon lange vor mir so, wie sie ist.« Wir sind nicht schlecht und wir haben dieses Verhalten nicht bewirkt, sondern darunter gelitten.

Eine Definition des Narzissmus und der narzisstischen Mutter

»Mutter ist das Wort für Gott auf den Lippen und in den Herzen von kleinen Kindern.«

William Makepeace Thackeray

Der Begriff »Narzissmus« wird in unserer Zeit sehr inflationär benutzt. Die Ursache dafür ist wohl, dass sich viele Menschen an der ursprünglichen Herkunft, die auf einem Mythos basiert, orientieren, und Narzissmus mit Egoismus und Selbstverliebtheit gleichsetzen. Narzissmus ist nicht zwangsläufig etwas Schlechtes: Menschen brauchen ein paar narzisstische Eigenschaften, weil sie sonst im gesellschaftlichen Leben untergehen. Daher muss man zwangsläufig den positiven vom negativen Narzissmus unterscheiden. Es muss auch unterschieden werden zwischen »narzisstischen Eigenschaften«, die jeder gesunde Mensch haben kann und auch haben sollte, weil sie im alltäglichen Leben zum Selbstschutz notwendig sind, und einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die wiederum unterschiedliche Ausrichtungen haben kann und innerhalb dieser spezifischen Ausrichtung auch unterschiedliche Abstufungen.

Von positivem Narzissmus können wir bei Personen sprechen, die ein stabiles Selbstwertgefühl haben. Um dieses zu nähren und zu erhalten, suchen sie nicht die Bestätigung und Bewunderung im Außen, sondern in sich selbst, ihrer eigenen Weiterentwicklung, in Hobbys und Erfolgen. Positive Narzissten haben eine warme Ausstrahlung und wenden sich gern anderen Menschen zu. Sie sind hilfsbereit, verfügen aber über genügend Selbstliebe, um eigene Grenzen zu wahren. Auch ein positiv narzisstischer Mensch wird im Laufe seines Lebens Rückschläge und Niederlagen erdulden und hinnehmen müssen. Er zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass er immer wieder Hoffnung schöpft, neue Pläne schmiedet und aus eigener Kraft sein möglicherweise angeschlagenes Selbstwertgefühl wieder stabilisiert. Die narzisstischen Eigenschaften eines solchen Menschen konzentrieren sich in erster Linie darauf, sich selbst und den eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden – ohne hierbei anderen Menschen zu schaden. Menschen mit gesunden narzisstischen Eigenschaften verfügen in der Regel über sehr viel Empathie, ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsdenken, verhalten sich in ihrem Umfeld tolerant, gütig und verbindlich. Sie haben Respekt vor anderen Menschen, gleich welcher Position, und sie möchten niemandem schaden. Sie unterliegen keiner Persönlichkeitsstörung – wir sprechen hier eben von positiven narzisstischen Eigenschaften.