Kaltes Herz - Monika Celik - E-Book

Kaltes Herz E-Book

Monika Celik

4,9

Beschreibung

Narzisstischer Missbrauch in der Beziehung - das laugt aus, macht krank. Männer wie Frauen fühlen sich nach einer toxischen Beziehung des Lebens müde, mutlos, kraftlos. Viele sind auch wirtschaftlich am Ende und erkranken ernsthaft. Diagnosen sind nur Experten vorbehalten, doch Narzissten, Psychopathen und Co. landen so gut wie nie beim Psychiater. Vielmehr sind es ihre Opfer, die nach einer derart zerstörerischen Beziehung dringend therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Dieses Buch wendet sich an Betroffene, die sich noch in einer missbräuchlichen Beziehung befinden, aber auch an jene, die bereits den Absprung geschafft haben. Es wendet sich an Frauen und Männer, die versuchen zu verstehen, um das Erlebte verarbeiten und überwinden zu können.

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DANKSAGUNG

Ich möchte in erster Linie aus vollem Herzen den mutigen Frauen und Männern danken, die bereit waren, mit mir intensive Gespräche über ihre narzisstische Beziehung zu führen, deren Geschichten ich aufschreiben und in diesem Buch verwenden durfte. Ihr habt dieses Buch mit Leben gefüllt, und zwar mit eurem Leben! Ich danke euch für euer Vertrauen und die vielen, tollen Gespräche, die wir hatten!

Ich danke meinen Söhnen Christopher und Timucin, weil sie das Wertvollste in meinem Leben sind und immer waren – und weil sie es sind, die mich so viele Situationen überleben ließen.

Danke an meine Schwester Kerstin, weil ich dich liebe und du immer hinter mir stehst!

Danke auch an Jörg, für das tolle Cover, den professionellen Buchsatz, viele Tassen Kaffee zwischendurch und die eine oder andere warme Mahlzeit, wenn ich vor lauter Schreiben das Essen vergaß.

Abschließend ein weiteres, riesiges Dankeschön an die tollen Frauen und Männer in den virtuellen Selbsthilfegruppen, mit denen ich weitere, unzählige Gespräche führte – die ich hier natürlich nicht verwendet habe. Aber ich durfte an euch wachsen und das ist unbezahlbar! Vergesst es bitte niemals wieder:

Ihr seid wertvoll!

CONTENTS

Susanne, oder: »Du funktionierst nicht mehr!«

Das kalte Herz

Die narzisstische Persönlichkeitsstörung

Ursachen für Narzissmus

Faszination und Bedürftigkeit

Der Narzisst als Opfer

Lovebombing

Die erste Ohrfeige kam schon nach zwei Monaten

Phase2: Wir machen Nägel mit Köpfen

Achtung, ich bin ein Psycho!

Ich weiß nicht, wie das passieren konnte!

Abhängigkeit erzeugen

Paul – Keine Grüße aus dem Knast

Die dependente Persönlichkeit

Ein vollkommen anderer Mensch

Double Bind – eindeutig zweideutig

Janina und der vulnerable Narz

Erektionsschwierigkeiten und sexuelle Ausschweifungen

Scheu vor echter Nähe

Narzisstische Gewalt

Crazymaking

Gaslighting

Lügen

Emotionale Erpressung

Abwertung der Persönlichkeit, der Fähigkeiten und Leistungen des Opfers

Scherze auf Kosten des Opfers

Ablehnung der Gleichwertigkeit

Untergraben des eigenständigen Denkens

Verdrehen der Aussagen des Opfers

Passiv-aggressives Verhalten

Vollständige Isolierung des Opfers

Schuldzuweisungen, Beleidigungen und Unterstellungen

Entzug von Aufmerksamkeit und absolutes Ignorieren: Silent Treatment

Fachvorträge und wütende Monologe

Entzug aller Möglichkeiten für das Opfer, Dinge zu klären

Gewalt, Androhung von Gewalt, bedrohliche Gesten und bedrohlicher Körpereinsatz

Erpressung

Gewalt an hilflosen Personen oder Haustieren

Versöhnung und Frieden: Halbgare Entschuldigungen

»Draußen« ist der Narz ein ganz anderer Mensch

Bitte keine Kritik

Der geliebte Feind

Traurige Wahrheiten

Wer von uns ist hier der Narz?

Sven, der sich nun Ziele setzt, um zu überleben

Hast du das etwa nicht gemerkt?

Trennung – wenn du von einem Narzissten verlassen wirst

Entscheidungsfindung: die Angst, das Unaushaltbare aufzugeben

Die Angst vor der oder dem »Next«

Wenn du dich trennst – bereite dich gut vor

Wann hört diese furchtbare Sehnsucht auf?

»Ich bin eine Komplementär-Narzisstin«

Stalking, Hoovering und die Flying Monkeys

Die eigenen Anteile an einer destruktiven Beziehung

Missverständnisse: Lächele, und die Welt lächelt zurück

Komplementärnarzissmus

Kommen wir doch noch mal auf dein Selbstwertgefühl zurück!

Das Bedürfnis, gebraucht zu werden

Am Selbstwertgefühl arbeiten

Victim Blaming – oder wie aus einem Opfer ein Täter gemacht wird

Neue Partnerschaften

Märchen, Hollywood, Liebesromane und Social Media

Nachwort

Anhang

»Die Erfahrung ist wie eine Laterne im Rücken; sie beleuchtet stets nur das Stück Weg, das wir bereits hinter uns haben.« (Konfuzius)

SUSANNE, ODER: »DU FUNKTIONIERST NICHT MEHR!«

Susanne ist zum aktuellen Zeitpunkt 42 Jahre alt. Sie ist mit ihrem »Narz« noch verheiratet, aber das Scheidungsverfahren läuft bereits. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, ein Sohn und eine Tochter. Eines der beiden Kinder ist inzwischen volljährig, das andere auf dem Weg dorthin.

1996 hat sie ihn kennengelernt – ihren späteren Mann. Im Gespräch erzählt sie, er hat sich »ziemlich umwerben lassen«. Im weiteren Gesprächsverlauf wird deutlich, dass er ihr wohl gleich recht gut gefallen hat, obwohl er sich sehr kühl gab. Das hieß, sie musste sich wirklich für eine (recht kurze) Zeit ziemlich Mühe geben, ihn für sich zu gewinnen. Als sie das jedoch geschafft hat, geht alles recht schnell. Sie hat eine eigene Wohnung, er verbringt eine erste Nacht bei ihr – und bleibt. Das geht etwa acht Wochen gut, sie nähern sich an. Sie stellt keine überflüssigen Fragen zu seiner Wohnsituation. Er hat ihr bereits erklärt, dass er eine Wohnung hat, aber nicht gerne dort ist. Er ist nicht gerne alleine. Später erfährt sie, dass er zu diesem Zeitpunkt noch mit einer anderen Frau zusammen gelebt hat. Darüber hinaus erfährt sie allerdings auch, dass er sehr misstrauisch ist, denn ihm ist schon viel in seinem Leben widerfahren. Schulden hätte er, berichtet er ihr. Schulden, die er selbst niemals gemacht hat. Sein Geschäftspartner hat ihn über den Tisch gezogen.

Susanne versteht sein Dilemma. Unter solchen Umständen kann es einem Menschen ja nicht gut gehen. Daher nimmt sie die vielen Anzeichen, die es bereits zu seinem Verhalten gibt, auch nicht weiter ernst. »Kühl und distanziert war er von Anfang an«, sagt Susanne. »Aber seine Gesamtsituation war ja auch nicht so prickelnd. Er hatte eine Menge Probleme am Hals und da schien es nur verständlich, wenn das Verhalten niedergeschlagen und verschlossen ist.«

Er erzählt zwar so einiges aus seiner Vergangenheit, aber eben aus seiner Sichtweise – und in seiner Welt war er es, der über den Tisch gezogen worden ist und nun für den Blödsinn anderer aufkommen muss. Natürlich bringt er es bei dieser Vergangenheit nicht fertig, ihr gegenüber irgendwelche Gefühle zu äußern. Verheiratet war er nie, erfährt Susanne. Und er würde auch niemals heiraten. Sie findet das bedauerlich, macht sich aber erst mal keine großartigen Gedanken darüber. Er ist zehn Jahre älter als sie, aber sie selbst eben mit Anfang zwanzig noch sehr jung. Was zusammen kommen und zusammen bleiben soll, das würde sich schon ergeben, so in etwa muss sie damals gedacht haben.

Susanne arbeitet in Vollzeit, verdient keine Reichtümer, kommt aber gut klar. Sie hat ihre Kosten zu tragen: Miete, Umlagen, Stromrechnung, Telefon, was eben anfällt, wenn man eigenständig lebt. Darüber hinaus kocht sie natürlich täglich für sie beide und auch das kostet Geld. Nachdem er wochenlang nicht einsieht, sich in irgendeiner Form an den Kosten zu beteiligen, setzt sie ihn kurz entschlossen an die Luft. Bei aller Liebe, die sie tatsächlich empfindet– aber sie fühlt sich ausgenutzt. Kurz darauf bekommt sie Besuch von ihrer Schwester. In diesen gemeinsamen Stunden erfährt Susanne, dass ihr Freund, den sie erst ein paar Tage vorher an die Luft gesetzt hat, ihrer Schwester einen Besuch abgestattet hat. Das übrigens relativ umgehend nach seinem Rauswurf. Susannes Schwester redet auf sie ein. »Der leidet unter diesem Verlust, der hängt so an dir!«, sagt sie. Sie erzählt ihrer Schwester, wie sehr der Rauswurf den armen Kerl mitgenommen hat.

»Meine Schwester hat stundenlang auf mich eingeredet«, erzählt Susanne im Gespräch. »Sie hat mir ein schlechtes Gewissen gemacht.«

Susanne entschließt sich also, diesem Mann noch eine Chance zu geben – eigentlich liebt sie ihn ja auch. Nun folgen natürlich jede Menge Gespräche, denn jetzt will Susanne genau wissen, mit wem oder was sie es da zu tun hat. Sie will ihn so gerne verstehen. In diesem Rahmen erfährt sie, dass er immerhin mit zweihunderttausend Mark verschuldet ist. Eine stolze Summe, bei der Susanne erst mal ins Schlucken kommt. Dennoch, sie ist sich ihrer Gefühle für ihn sicher und der Meinung, nun einschätzen zu können, worauf sie sich einlässt. Sie ist nun auch sicher, diesen Mann gefühlsmäßig knacken zu können. Immerhin hat er sich ihr geöffnet, die Wahrheit auf den Tisch gelegt. Hinzu kommt das Gespräch, das er mit ihrer Schwester geführt hat. So was tut man doch nur, wenn man wirklich traurig und verzweifelt ist, oder? Wenn man im Begriff ist, einen Menschen zu verlieren, der einem wirklich was bedeutet!

Die Manipulation dahinter erkennt sie nicht, wie auch? In solchen Dingen fehlt ihr jegliche Erfahrung und ihrer Schwester offenbar auch. Rudolf nutzt das sehr geschickt aus. Er brauchte einen »Flying Monkey« – einen Menschen, der seine Botschaften überbringt, weil er selbst an die Zielperson nicht mehr herankommt. Wer wäre da besser geeignet als die Schwester? Und die hat Susanne »den Kopf wieder gerade gerückt«.

Es kommt hinzu, dass Susanne schwere Traumata aus ihrer Kindheit mit sich herumträgt. Sie musste jahrelangen, sexuellen Missbrauch über sich ergehen lassen, und das gleich von zwei Tätern: der eigene Vater und der eigene Bruder. Ein emotionaler Missbrauch erfolgte auch durch die Mutter, die dazu schwieg, diesen Missbrauch duldete und nichts unternahm, um Susanne davor zu beschützen. Susanne war also emotional selbst mit ihrer eigenen, traumatischen Vergangenheit und Entwicklungsgeschichte beschäftigt. Hatte möglicherweise auch, das räumt sie heute ein, das eine oder andere Problem, sich zu öffnen. Doch irgendwie war es ihr bei ihm gelungen, und es tut ja auch gut, wenn man selbst emotional verwirrt, belastet und im Grunde vollständig zerstört ist – und plötzlich dann doch so jemanden in seinem Leben wiederfindet, mit dem man sich ein gemeinsames Leben vorstellen kann.

Sie nimmt ihn also zurück, erfährt die Details zu seinen Schulden und die ungeheure Summe, aber sie ist der Meinung: Gemeinsam schaffen wir das. Nun geht alles sehr schnell. Er zeigt sich erfreut darüber, dass sie ihm noch eine Chance gibt, bemüht sich auch um sie und ihr Wohlbefinden und vier Monate später macht der Mann, der niemals heiraten wollte, ihr dann doch einen Heiratsantrag. Überglücklich nimmt Susanne diesen Heiratsantrag an und schon nach sechs Monaten Beziehung insgesamt findet die Trauung statt. Die Schulden? Wenn Forderungen über Forderungen eintreffen und man schon Angst hat, an den Briefkasten zu gehen, ist das eine große Belastung. Da musste wirklich eine Lösung her. Ein Umschuldungskredit! Tragbare Raten für mehrere Jahre, die sie natürlich auch mit zu tragen bereit ist. Immerhin, er war ja ehrlich gewesen und hatte die Fakten auf den Tisch gelegt. Die beiden nehmen also gemeinsam einen Kredit auf, um seine Schulden auszugleichen, beziehungsweise umzuschulden, nur noch an eine Stelle eine einzige Rate zahlen zu müssen. Natürlich hat Susanne diesen Kreditvertrag mit unterschrieben. Selbstverständlich hat sie ihr Einkommen in das gemeinsame Leben und damit auch in seinen Umschuldungskredit investiert. Aber Susanne ist bester Dinge. Die gemeinsame Zukunft liegt ihr wie ein schöner Film vor Augen. Die Probleme sind gelöst, die Finanzen jetzt überschaubar. Sie ist sicher, dass er irgendwann emotional auch entspannter werden wird. Rudolf benimmt sich immer noch ziemlich kühl. Oder wieder? Eigentlich war das für eine gewisse Zeit besser gewesen. Nach der kurzfristigen Trennung hat er sich mehr Mühe gegeben, ist dann aber wieder in seine Distanziertheit zurück gekippt.

Susanne wird schwanger und freut sich sehr auf das Baby. Tragischerweise erleidet sie eine Fehlgeburt. Wirklich tragisch, denn für sie war das ein furchtbares Erlebnis. Sie hat sich so auf das Baby gefreut und es geht ihr sehr schlecht. Rudolf hingegen scheint das nicht zu belasten. Er, der schon vorher immer kühl und distanziert war, wird nun regelrecht eisig in seinem Verhalten. Susanne hätte ihn gebraucht, sich gerne in seinen Armen versteckt. Sie sehnt sich nach Trost, nach etwas Wärme, nach Liebe. Aber Rudolf lässt sie damit alleine. Er geht aus, trifft sich mit Bekannten, geht was trinken. Susanne liegt alleine zu Hause auf dem Sofa, versucht, wieder auf die Füße zu kommen. Hat niemanden, mit dem sie über ihren Kummer sprechen kann. Rudolf ignoriert all das vollständig. Wichtig für ihn ist nur, dass sie wieder auf die Beine kommt. Dass sie wieder »funktioniert«.

Ganz allgemein spürt Susanne allerdings, auch als sie sich einigermaßen von ihrer Fehlgeburt erholt hat, dass sein Verhalten sich mehr und mehr ändert – zum Schlechten. Der kühle und distanzierte Mann verhält sich jetzt nur noch eisig. Susanne geht zu Hause wie auf Watte, bemüht sich, nicht negativ aufzufallen, ihn nicht zu reizen, denn er wird schnell sehr laut und sehr aggressiv. Bei diesen Gelegenheiten schlägt er jetzt auch manchmal zu. Susanne bemüht sich also, ihn nicht zu reizen. Sie geht arbeiten, macht den Haushalt, erledigt einige seiner Angelegenheiten nebenher noch mit. Sie kauft ein, sie kocht, sie kümmert sich um die Wäsche. Rudolf rührt im Haushalt keinen Finger, außer dass er manchmal den Müll mit nach draußen nimmt.

Susanne wird erneut schwanger und diesmal geht alles gut. Sie bringt ein gesundes Mädchen zur Welt. Rudolf nimmt es zur Kenntnis, kümmert sich aber nicht weiter um das Kind. Sein gesamtes Verhalten ist nach wie vor eisig. Susanne versucht Rücksicht zu nehmen, ihm alles zu geben, was er braucht: Liebe, Wärme, ein schönes Zuhause. Und jetzt auch noch eine wundervolle, kleine Tochter. Aber das kümmert Rudolf nicht besonders.

Gemeinsames Ausgehen ist nun natürlich nicht mehr so möglich, also geht er eben alleine weg. Nicht ständig, aber doch regelmäßig. Susanne versucht nie, ihn zurückzuhalten, aber wenn er sich zum Gehen anschickt, wünscht sie ihm manchmal einen schönen Abend. Anfangs macht sie das noch, irgendwann sagt sie nichts mehr, wenn er ausgehen will. Kaum hat sie ihm nämlich einen schönen Abend oder einfach nur viel Spaß gewünscht, dreht er sich um, funkelt sie zornig an und fragt sie Dinge wie: »Was ist denn nun schon wieder los? Passt dir was nicht?« Susanne erschreckt sich, tritt einen Schritt zurück – und schweigt.

»Ich wollte ihm doch nie was Böses«, erzählt sie mir im Gespräch. »Ich finde es nett, wenn man ausgeht und der Partner wünscht einem viel Spaß oder einen schönen Abend. Das macht man doch so. Man wünscht Menschen einen schönen Abend, einen schönen Tag, eine schöne Woche. Aber ihn hat das aufgeregt, es hat ihn aggressiv gemacht. Er brüllte mich dann an, manchmal klatschte er mir dann auch eine.«

Seine Eltern sind da auch keine Hilfe, denn sie sind der Meinung, wenn irgendetwas schief geht in diesem Eheleben, liegt das natürlich an Susanne. Ihr Sohn macht alles richtig, aber Susanne ist ja zu nichts in der Lage. Das konnte man ja schon daran sehen, dass ihr erstes Kind ein Mädchen geworden ist. »Das haben die mir wirklich vorgeworfen«, erzählt sie mir. »Und sie sagten, ich sei schuld, dass es ein Mädchen geworden ist.«

Wenn Rudolf sich aufregt, zieht sich immer dieser dunkle Schleier über seine Augen, erzählt sie. Die Augenfarbe wird plötzlich dunkler, die Gesichtszüge verhärten sich. »Das hatte immer etwas Teuflisches«, sagt sie. »Es hat mir Angst gemacht.«

Susanne wird immer stiller, immer genügsamer. Sie funktioniert. Sie kümmert sich um das Kind, um den Haushalt, um alle Dinge, die erledigt werden müssen. Nach wie vor auch um Rudolfs Angelegenheiten. Sie kocht, kauft ein, erledigt die Wäsche, geht mit der Kleinen spazieren. Rudolf kümmert sich um Rudolf.

Irgendwann kommt das zweite Kind. Diesmal ein Junge. Aber auch um dieses Kind kümmert er sich nicht wirklich. Er nimmt es zur Kenntnis, es ist da, er spricht gelegentlich mit den Kindern, aber er unternimmt niemals was mit ihnen. Gemeinsame Familienausflüge hat es in all den Jahren natürlich hier und da gegeben, aber auch da hat er niemals was mit den Kindern zu tun gehabt. »Wir waren im Phantasialand«, erzählt Susanne. »Ich habe mich um die Kinder gekümmert, sie Verschiedenes fahren lassen, ihnen Eis gekauft oder etwas zu essen – manche Fahrgeschäfte konnten wir zusammen machen, da fuhr ich dann mit den Kindern eine Runde. Rudolf saß immer irgendwo auf einer Bank und kümmerte sich um nichts.«

Susanne geht inzwischen wieder in Teilzeit arbeiten, aber trotzdem hängt noch immer alles an ihr alleine. Wenn sie von der Arbeit kommt, machte sie den Haushalt, kümmert sich um die Hausaufgaben der Tochter, die inzwischen zur Schule geht. Sie bringt die Kinder in die Schule, das andere in den Kindergarten, holt die Kinder später wieder ab. Sie nimmt Elterntermine wahr, kümmert sich um die Kindergeburtstage, sie kocht, sie macht die Wäsche und tatsächlich ist sie fast rund um die Uhr im Dienst ihrer Familie. »Meine Kinder sind mir immer das Wichtigste und Wertvollste gewesen«, sagt sie. »Für sie würde ich alles tun und alles geben! Aber ich war immer alleine, mit allem! Ich kam mir oft vor, als sei ich eine alleinerziehende Mutter, aber nicht von zwei, sondern von drei Kindern. Rudolf übernahm nichts, ich musste mich ja sogar noch um seine Angelegenheiten kümmern. Aber ich schwieg dazu. Was hätte ich denn auch tun sollen?«

Sie erzählt mir, dass sie sich immer und zu jeder Zeit vollkommen alleine gefühlt hat – zwanzig Jahre lang. Aber sie erhob die Stimme nicht. Das machte ihn nur aggressiv. Wenn er aggressiv wurde, dann wurde er auch sehr laut und hier und da schlug er auch mal zu. Mit den Jahren wuchs die Angst davor, denn die Schläge wurden härter. Es war klar, dass er von ihr ein Funktionieren erwartete: »Er nannte es auch so, aber das ist mir erst später bewusst geworden.«

Susanne ist kein dummer Mensch, ganz im Gegenteil. Natürlich versucht sie immer mal wieder, mit ihm zu sprechen. In einer ruhigen Minute, einem Moment, in dem sie denkt, sie kann die Dinge durch vernünftige Kommunikation ändern. »Wenn ich ihn fragte, warum er sich mir gegenüber so benimmt, warum er so eisig, so brutal, so aggressiv ist, sagte er mir, ich wäre zu weich und zu sensibel. Sein Ziel sei es, mich härter zu machen.« Für ihn offenbar ein »Grund«, immer weiter zuzuschlagen, wenn sie bereits weinend auf dem Boden zu seinen Füßen liegt. Sie muss schließlich härter werden. Ihre Sensibilität ablegen.

Manchmal erzählt er ihr von seinen Exfreundinnen. Auch ihnen hatte er »mehr Selbstbewusstsein beigebracht« – aber immer mit dem Ergebnis, dass sie ihn dann irgendwann verlassen hatten, weil sie zu selbstbewusst geworden waren.

Nach außen hin sind sie die perfekte Familie. Rudolf verdient viel Geld, auch wenn er häufig den Arbeitgeber wechselt. Er kommt immer prima unter. Susanne verdient in Teilzeit auch nicht so ganz unerheblich dazu und leistet die gesamte Familien- und Hausarbeit. Halten sie sich draußen irgendwo auf, mit Menschen, die sie kennen, spielt er den Familienvater und den liebenden Ehemann. Etwas mit ihr und den Kindern zu unternehmen, oder auch mal nur mit ihr – das ist schon ab und zu mal drin, aber nur, wenn im Fernsehen nichts läuft, was er sehen will.

Zu Hause verhält er sich kalt und unnahbar. »Er konnte von einer Sekunde auf die andere umswitchen«, erzählt sie. »Von guter Laune und einem warmen, liebevollen Verhalten, das er dann zeigte, wenn wir in Gesellschaft waren, und als würde man einen Kippschalter umlegen, ebenfalls von einer Sekunde auf die andere, wieder eiskalt sein.« Das klappte auch innerhalb kürzester Zeit mehrfach hintereinander, und so wird Susanne irgendwann klar: Rudolf hat ein Gesicht, das er im Außen zeigt – und eines, das er nur ihr und den Kindern zeigt, wenn sie alleine sind. »Und darüber hinaus gab es bei uns viel Gewalt«, erzählt sie. Sie hat es inzwischen hinter sich gelassen, aber sie ist immer noch sehr betroffen, wenn sie darüber spricht. »Ich wurde immer stiller, ich sagte kaum noch was, ich wagte nicht mal mehr, ihm eine schöne Zeit zu wünschen, wenn er sich mit Bekannten traf. Ich erledigte meine Aufgaben, kümmerte mich um meine Kinder und machte meinen Teilzeitjob. Obwohl ich mich so zurücknahm und immer auf leisen Sohlen ging, damit er sich über nichts aufregen konnte, regte er sich auf. Und dann brüllte er meistens. Und manchmal schlug er dann auch zu.«

Sie hat in all den Jahren oft darüber nachgedacht, sich zu trennen, aber sie hat es nicht getan. Vielleicht hat sie es wegen der Kinder nicht getan. Vielleicht hat sie auch geahnt, dass eine Trennung von diesem Mann nicht sehr einfach sein würde. Wahrscheinlich hatte er sie unglaublich geschwächt und sie hat es sich einfach über viele Jahre nicht zugetraut, eine Trennung durchzuziehen. Bei all der Arbeit, die komplett an ihr hing, fühlt sie sich oft ausgelaugt. Hinzu kommt, dass sie auch Probleme aller Art immer alleine klären muss. »Wir hatten mal Stress mit unseren Nachbarn«, erzählt sie. »Und da musste diskutiert werden. Er ließ mich einfach damit alleine! Ich musste dann den Stress mit den Nachbarn klären, Rudolf hingegen setzte sich in der Wohnung gemütlich auf die Couch.«

Eines Tages lässt er aber seinen Zorn am Kind aus. Die inzwischen 15-jährige Tochter gibt ihm Widerworte und das kann er nicht hinnehmen. Er wird fürchterlich aggressiv, brüllt wie bekloppt und schlägt das Mädchen. Susanne wirft sich dazwischen, beschützt ihr Kind. Damit hat er wahrscheinlich nicht gerechnet. Er zieht sich erst mal zurück, aber besser macht diese Szene die Lage in der Familie natürlich auch nicht. Nach wie vor verhält er sich aufbrausend und aggressiv, nach wie vor fasst Susanne ihn mit Samthandschuhen an und nimmt Rücksicht wo immer sie kann. Nimmt ihm alles ab, verwickelt ihn niemals in Diskussionen. Sie kümmert sich um die Familie.

Irgendwann erleidet sie einen Zusammenbruch. Der Hausarzt diagnostiziert schwere Depressionen und Susanne muss einige Wochen in einer Klinik verbringen. Danach folgt ein Reha-Aufenthalt. In dieser Zeit blüht sie auf. Es geht ihr besser, mit jedem Tag. Und zum ersten Mal wird ihr wirklich klar, dass sie etwas verändern muss. Dass sie vielleicht doch nicht an allem schuld ist, was schief geht. Dass sie wahrscheinlich auch gar nicht schuld ist, wenn er anfängt zu toben, zu schreien und sie zu schlagen. Gestärkt kommt sie nach mehreren Wochen Klinik und Reha nach Hause.

»Und er hat mich sofort wieder klein gemacht«, erzählt sie. »Es war wieder so schlimm wie zuvor auch, vielleicht sogar noch schlimmer, denn jetzt hatte ich auch mal ein paar Wochen ohne die Angst vor ihm gelebt. Ich wusste ja gar nicht mehr, wie das ist, wenn man nicht den ganzen Tag Angst vor dem Abend hat. Wenn man Menschen um sich hat, die mit einem reden, mit einem lachen, die freundlich sind. Das waren zwei unterschiedliche Welten und plötzlich war ich wieder mittendrin in dieser furchtbaren Welt.«

Susanne hat sehr oft das Gefühl, ihren Verstand zu verlieren. Sie macht sich selbst die allergrößten Vorwürfe, aber kann nicht mal mit Bestimmtheit sagen, was sie sich eigentlich vorwirft. Ihr Verstand weiß, sie gibt sich alle Mühe dieser Welt. Ihr Verstand weiß, dass er derjenige mit dem eisigen Verhalten ist, dass er derjenige ist, der laut wird, aggressiv wird, der zuschlägt. Aber sie zweifelt ihre eigene Wahrnehmung an. Wenn er wütend wird, gibt er ihr die Schuld daran. Sie hat ihn wütend gemacht. Sie macht ihn ständig wütend, weil sie so ist, wie sie ist, weil sie so redet, wie sie redet, weil sie tut was sie tut.

»Man weiß irgendwann überhaupt nicht mehr, ob man alles richtig macht und glaubt dem anderen irgendwann, wenn er ständig behauptet, man würde alles falsch machen oder zumindest nichts richtig gut machen. Ich gab mir die größte Mühe mit allem, ob es die Kinder waren, der Haushalt, mein Job, unser Leben nach außen hin … ich versuchte wirklich alles richtig zu machen, und trotzdem immer wieder diese Wut von ihm … machte ich denn alles richtig? Hatte er vielleicht recht und ich funktionierte nicht richtig?«

Das Wort »funktionieren« fällt oft. Rudolf ist stets der Meinung, sie funktioniert nicht richtig oder nur mit halber Kraft. Und dann kommt es zu einem Suizidversuch, der glücklicherweise nicht gelingt. Es folgt ein weiterer Klinikaufenthalt, eine Reha … als sie wieder einigermaßen auf den Beinen ist, stellt sie fest, dass Rudolf sie mit einer anderen Frau betrügt. Etwas gefestigt durch ihre Reha und ihre laufende Therapie, spricht sie ihn darauf an. Diesmal lässt sie sich auch nicht durch seine Aggressionen einschüchtern. Sie hat bereits begonnen, sich mit dem Gedanken an eine Trennung vertraut zu machen, und will sich nicht mehr zum Schweigen bringen lassen. Am Ende dieser Diskussion steht Sex, nachdem sie von ihm verlangt hat, dass er diese andere Frau aufgibt und ihre Nummer löscht – und er damit einverstanden ist. Er will das jetzt.

»Der Sex mit ihm war auch so eine Sache«, erzählt sie nachdenklich. Normalerweise sollte sie, mit ihrem erlebten Missbrauch und dem Trauma aus der Kindheit, diesbezüglich eher verschlossen und unnahbar sein, aber tatsächlich war es genau anders herum. Rudolf hatte keine Lust auf Sex. Von Anfang an nicht. »Er sagte schon damals, er braucht das nicht.«

Wenn es also zum Sex kam zwischen ihnen beiden, ging das immer von Susanne aus. Er verhielt sich dabei so, wie er sich immer verhielt: Unnahbar, eisig, als würde er eine lästige Pflicht erfüllen. »Wahrscheinlich war das auch reine Pflichterfüllung«, sagt Susanne. »Es ging immer sehr schnell, zu wirklicher Nähe war er nicht in der Lage. Schmusen oder kuscheln – das gab es überhaupt niemals und danach erst recht nicht. Er gab sich auch keine große Mühe, wenn er zuerst fertig war, hörte er auf und drehte sich zum Schlafen um.«

»War das von Anfang an so?«, frage ich.

»Von Anfang an, ja. Aber ich war bereit, damit zu leben. So viel Erfahrung hatte ich ja auch nicht gesammelt. Vielleicht habe ich auch gedacht, so läuft das eben.«

Im Bett nannte er sie auch nicht »Susanne« oder »Liebling«, oder was auch immer Männer ihren Frauen beim Sex so sagen … er nannte sie immer beim Namen einer anderen Frau.

Nach dem Sex erklärt er ihr, dass die Beziehung für ihn nun zu Ende ist. Er behauptet, sie hätte ihn genötigt, den Kontakt zu dieser anderen Frau abzubrechen, aber er ließe sich nicht zu solchen Dingen zwingen. Er sei nun jahrelang ihre Marionette gewesen und das hätte jetzt ein Ende. Außerdem würde sie sowieso nicht mehr funktionieren, und deswegen sei es nur legitim, wenn er der Ehe jetzt ein Ende machte. »Er sagte, er fühlt sich durch mich bedrängt. Ich hätte ihn dazu gezwungen, den Kontakt zu dieser Frau zu löschen, und er hätte sich zwingen lassen, aber das sei jetzt ein für allemal vorbei. Er würde sich jetzt von mir nicht mehr zu irgendwas zwingen lassen, was er gar nicht will.«

Er verlässt sie tatsächlich und nistet sich bei seinem Verhältnis ein. Susanne kann prima damit leben, dass er das Haus verlassen hat. Allerdings kann Rudolf seine Machtspielchen nicht lassen, und er ist auch immer noch darauf aus, Susanne zu verletzen. Über WhatsApp schickt er ihr Fotos, die ihn beim Sex mit seiner Affäre zeigen. Er schreibt Briefe an das Jugendamt, an die Schule und an Susannes Anwalt, um sie zu diffamieren. Hier und da legt er sogar ihren Krankenhausbericht bei zu ihrem Suizidversuch. Aber dann eskaliert die Trennungsangelegenheit noch mal so richtig und Rudolf zeigt, zu was er noch fähig ist: Er versucht, ihr die Kinder wegzunehmen. Es kommt zu einem riesigen Streit, denn Susanne ist nicht bereit, ihm die Kinder zu überlassen.

»Warum denn auch?«, sagt sie. »Ich habe mich seit ihrer Geburt alleine um sie gekümmert und er hat sich niemals für sie interessiert! Für mich sind sie das Wichtigste und Wertvollste in meinem Leben und genau darum ging es doch. Das wollte er mir nehmen. Es ging nicht um die Kinder, die interessierten ihn doch gar nicht. Er wollte mir einfach nur wehtun.« Susanne wehrt sich dagegen – und es kommt zum Streit. Ein Streit, in dem Rudolf sich nun überhaupt nicht mehr unter Kontrolle hat. Er schlägt Susanne zusammen. »Diesmal aber so richtig«, sagt sie. »Das war jetzt keine Ohrfeige mehr, auch keine Prügel mehr, nach der ich heulend auf dem Boden lag, aber bis dahin immer wieder aufstehen konnte. An diesem Tag schlug er mich krankhausreif.«

Mit mehreren Knochenbrüchen und am ganzen Körper grün und blau geschlagen, liegt Susanne erst mal eine Zeit lang im Krankenhaus. Neben den zahlreichen Hämatomen, einem Nasenbeinbruch, einem Bänderriss und einem Rippenbruch ist jetzt auch irgendwas in ihrem tiefsten Inneren zerbrochen, das auf Röntgenbildern nicht sichtbar ist. Nein, diesen Mann würde sie nie mehr zurückhaben wollen. Ihr Sohn bestärkt sie darin. »Nimm den Papa bitte nicht wieder zurück, wenn er das irgendwann will«, sagt der Junge. Nein, das tut sie nicht. Das kommt nicht in Frage. Susanne zeigt ihren Mann an, aber der entzieht sich allen möglichen Konsequenzen und taucht erst mal unter. Als er wieder auftaucht, startet er den nächsten Versuch, ihr die Kinder abzunehmen. Die Tochter wendet sich auch mal für eine gewisse Zeit ihrem Vater zu, der Junge hingegen steht strikt auf der Seite seiner Mutter. Susanne versucht nicht, die Tochter zu beeinflussen, sie will es nur verstehen. »Ich hatte nie einen Vater«, erklärt das Mädchen. »Jetzt kümmert er sich endlich mal um mich.«

Susannes zweiter Suizidversuch folgt und geht glücklicherweise auch wieder schief. Danach kehrt aber etwas Ruhe ein. Die Kinder leben bei ihr. Susanne befindet sich in fortlaufender Therapie. Seit August 2015 sind sie und Rudolf nun offiziell getrennt. Aber er versucht immer noch seine Machtspielchen. Er verspricht den Kindern Anrufe, die er dann nicht tätigt, dann kommen irgendwelche Ausreden. Wohnsitzmäßig hat er das Ganze auch recht clever gelöst um immer in der Nähe zu sein: Er wohnt nur zwei Straßen weiter, zusammen mit seiner neuen Flamme. Das ist aber nicht die, mit der er sie betrogen hatte, denn die hat sich schon nach drei Monaten wieder von Rudolf getrennt. Nein, es ist eine andere. Eine, die mit unfassbar eifersüchtigen Blicken auf Susanne reagiert, wenn sie sich zufällig begegnen. »Ich kenne Leute, die sie kennen und ich habe auf dem Weg erfahren, dass Rudolf ständig von mir spricht. Er hat ihr gesagt, ich sei die einzige Frau, die er jemals geliebt hat.«

Rudolf meint nach wie vor, er müsse sich um nichts kümmern. Von den Schulden für den Umschuldungskredit sind immer noch gute 8000 Euro offen. Er zahlt nicht, die Bank hält sich an Susanne, zumal Rudolf irgendwann zwischendurch für sich und seine Hälfte des Umschuldungskredits – welche Ironie, wenn man bedenkt, dass es eigentlich seine Schulden gewesen sind – Insolvenz eingereicht hat. Eine Insolvenz, die Susanne letztlich auch noch klären musste, weil er es vermasselte, den Antrag an das Insolvenzgericht zu schicken. Fast wäre es zu spät gewesen, die Frist war bereits verstrichen und Susanne kümmerte sich darum, dass die Unterlagen dann doch noch akzeptiert wurden. Sie selbst schreckte vor einer Insolvenz zurück. »Beide in Insolvenz ist doch schlecht«, sagte sie. »Da kriegt man keine Wohnung mehr, keine Finanzierung, gar nichts.«

Und jetzt zahlt sie, übrigens nicht nur »ihren Anteil des Umschuldungskredits«, sondern auch irgendwelche Verträge bei Telefon- und Fernsehanbietern – und auch sonst noch ein paar »Kleinigkeiten«. Das steht auf der Soll-Seite. Inklusive der Miete und der Lebenshaltungskosten, die sie braucht.

Auf der Haben-Seite steht eine kleine Rente, die sie bekommt, weil sie aufgrund ihrer Depressionen, dem Kindheitstraumata und ihrer gesamten Geschichte nach zwanzig Jahren psychischer und physischer Partnerschaftsgewalt derzeit nicht arbeiten kann. Auf der Haben-Seite steht der Unterhalt für den Sohn, der noch nicht volljährig ist, aber nicht allzu hoch ist und ständig gekürzt wird – so wie ihr Exmann eigentlich auch für sie noch ein Weilchen etwas Unterhalt zahlen muss, diesen aber nicht überweist. Den Unterhalt für die inzwischen volljährige Tochter hat er einfach eingestellt, als sie 18 Jahre alt wurde. Manchmal zahlt er den Unterhalt für Frau und Sohn, manchmal nicht. Manchmal zahlt er was er soll, meistens aber nur einen kleinen Teil davon. In den letzten Monaten hat er gar nicht mehr gezahlt und ihr blieb nichts anderes übrig, als ein Verfahren einzuleiten. Jetzt läuft eine Lohnpfändung.

Im Außen perfekt zu wirken – das war Rudolf immer wichtig. Susanne hat ihn niemals schlecht gemacht, aber nun erlebt sie, dass er nicht nur sie, sondern sogar die eigenen Kinder schlecht macht bei anderen Leuten. Susanne ist nämlich nicht nur an seinem fürchterlichen Martyrium während ihrer gemeinsamen Ehejahre schuld, sondern auch an der Trennung. Sie weiterhin zu verletzen ist immer noch eines seiner wichtigsten Anliegen. Jahrelang hat er sich nicht für Susannes Bruder interessiert. Susanne hingegen hatte den Kontakt zu Bruder und Vater aufgrund des sexuellen Missbrauchs schon viele Jahre vorher abgebrochen, zur Mutter dann ebenfalls irgendwann – nach einer Therapie. Seither ging es ihr auf jeden Fall viel besser. Aber ausgerechnet dieser Bruder ist jetzt ein guter Kumpel von Rudolf.

Verdrehte Welt. Susanne war es, die immer leiser wurde, sich nichts mehr wagte, die Klappe hielt und sich immer so benahm, wie Rudolf es verlangte. Sie wurde angebrüllt, sie wurde geschlagen, sogar krankenhausreif geprügelt. Jahrelang zweifelte sie an ihrer Wahrnehmung, an ihrem eigenen Verstand, weil sie bei jedem Versuch, irgendwie freundlich zu ihm zu sein, etwas Harmonie zu erwirken, aller möglichen Dinge beschuldigt wurde. Sie fragte sich ständig, ob ihr Verhalten in Ordnung ist, ob ihre Wortwahl okay ist, und warum er immer so aggressiv wurde, wenn sie ihm nur einen schönen Tag wünschte. Aber tat sie es nicht, war es ja auch nicht in Ordnung. Susanne gab sich zwanzig Jahre lang mit Sex zufrieden, der völlig mechanisch war und nur passierte, wenn sie auf ihn zuging. Susanne war es, die in dieser Ehe völlig zusammenbrach, an Depressionen erkrankte, zwei Suizidversuche unternahm. Susanne hat gegeben, eine ganze, zwanzigjährige Ehe lang.

Aber es ist Rudolf, der nun der Meinung ist, er wurde ausgenutzt, er wurde benutzt, er wurde fertig gemacht, er wurde so weit getrieben, dass er fast den Verstand verloren hätte. Rudolf ist jetzt das Opfer und er versäumt es an keiner Stelle, das klar zu stellen.

Typische Rudolf-Aussagen waren: »Du funktionierst nicht. Du funktionierst nicht mehr. Du bist mir zu selbstbewusst geworden (das war nach der Reha). Dein Aussehen ist nur durchschnittlich.«

Nach drei Ehejahren wurde klar, dass er nicht einmal sagen konnte, welche Farbe ihre Augen haben. »Das hat mich immer unglaublich verletzt«, erzählt sie. »Manchmal habe ich im Bett gelegen und geweint, aber dann hieß es, ich soll still sein und ihn nicht um seinen Schlaf bringen.«

Es spielt eigentlich keine Rolle, dass Susanne sich schon ernsthaft mit einer Trennung auseinandersetzte, als er sie letztlich verließ. »Du funktionierst nicht mehr« hörte sie von ihm, als sie ihm nichts mehr zu geben hatte. Als sie psychisch gebrochen war und deswegen nicht mehr leise treten und Rücksicht nehmen konnte. Susanne hatte ausgedient. Leer gesaugt!

Aber ja, er ist ein Opfer. Und das muss jetzt alle Welt verstehen.

»Wahrlich, keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt.« (Hermann Hesse)

DAS KALTE HERZ

Der ursprüngliche Arbeitstitel dieses Buches lautete »Der kleine Narz«. Der Titel sollte einen Hinweis darauf liefern, dass sich der Inhalt mit dem Thema Narzissmus beschäftigt. Gleichzeitig aber sollen wir keine Diagnosen stellen und dürfen es auch nicht – Diagnosen zu Persönlichkeitsstörungen sind den Experten vorbehalten. »Der kleine Narz« fiel mir als Arbeitstitel ein, weil ich an Ottfried Preußlers »Der kleine Vampir« dachte, obwohl dieser selbstredend ja eigentlich ein niedliches Geschöpf ist. Das kann man von Narzissten, Psychopathen und Co keineswegs sagen. Aber es sind Menschen, die uns aussaugen. Nach der Beziehung mit einem narzisstischen Partner fühlen sich die Betroffenen, Männer wie Frauen, ausgelaugt, des Lebens müde, mutlos, kraftlos. Viele sind auch wirtschaftlich am Ende und erkranken ernsthaft. Der Begriff »Narz« ist eher ein »Insider«. Betroffene und ehemalige Betroffene verwenden ihn im Zusammenhang mit Partnern und Partnerinnen, bei denen sie intensive, narzisstische oder sogar psychopathische Verhaltensweisen festgestellt haben. Bei Frauen verwenden Betroffene inzwischen den Begriff »Narzisse«, und im Plural ist gerne von den »Narzissen« die Rede. Es könnte die Autorin Gabriele Nicoleta gewesen sein, die in ihrem Buch »Das Gift der Narzisse« ihre Kindheit unter einer narzisstischen Mutter verarbeitet hat, die diesen Begriff prägte. Vielleicht bleiben wir einfach bei diesen Begriffen, denn sie bezeichnen das Phänomen, stellen aber keine Diagnose dar. Aber sie alle haben etwas gemeinsam: das kalte Herz. Ein tiefes Loch, an der Stelle, wo irgendwelche Gefühle sein sollten. Eine schmerzhafte Leere in der Seele von Herrn Narz oder Frau Narzisse, die man sich nicht erklären kann.

Ich selbst bin eine ehemalige Betroffene. Es hat mich Jahrzehnte gekostet, herauszufinden, was in meinem Leben eigentlich schief läuft. Aufgrund meiner schwierigen Kindheit, die mit 16 Jahren sowieso ein Ende hatte, als meine Mutter mich auf die Straße setzte, gehörte ich zu den Menschen, die sämtliche Fehler immer erst mal bei sich selbst suchen. Die sich für nicht besonders wertvoll halten, für unattraktiv, für wenig intelligent. Möglicherweise bin ich deswegen auch immer wieder an narzisstische Partner geraten, denn leider muss ich das heute im Rückblick sagen: Sie unterschieden sich zwar deutlich voneinander, aber sie waren alle miteinander narzisstisch. Es gibt verschiedene Typen unter den Narzissten, ebenso wie es Abstufungen in den Verhaltensweisen gibt – aber dazu später mehr. Nie bin ich an den gleichen Typ »Narz« geraten. Jeder Mann in meinem Leben war ein anderer Typ »Narz«. Es ist inzwischen acht Jahre her, dass ich irgendwann, während meiner verzweifelten Suche nach Fachliteratur zu meinen sehr speziellen Problematiken auf das Thema Narzissmus stieß – und seither habe ich mich intensiv damit beschäftigt. Das hat mir weiter geholfen, denn ich bin aufgewacht. Auch habe ich die Wurzel meines Problems gefunden: Meine Mutter ist narzisstisch. Ich habe mich also in meinen Beziehungen den mir vertrauten Verhaltensweisen zugewendet. Es muss so gewesen sein, denn seit mir das alles klar ist, wird es auch logisch. Die Zusammenhänge sind erkennbar. Damit habe ich auch verstanden, auf was ich achten muss. Ja, ich bin stark geworden, sehr stark. Nichts von dem, was ich heute mache, hätte ich mich früher gewagt. Ich traue mir heute alles zu und weiß, ich kann es schaffen – sofern es mich interessiert und ich es will.

Darüber hinaus bin ich seit Jahren als Autorin tätig, als Texterin, ich war schon in beratenden Tätigkeiten, habe Coachings durchgeführt und engagiere mich in virtuellen Selbsthilfegruppen – inzwischen auch in einer eigenen Gruppe bei Facebook. Ich habe schon sehr oft helfend zur Seite gestanden, sowohl virtuell, als auch in persönlichen Gesprächen. Was die Expertisen betrifft, stoße ich immer wieder auf unterschiedliche Meinungen. Viele Leser sind der Meinung, ein Fachbuch wie dieses hier sollte ein Psychologe schreiben, ein Psychiater, ein Therapeut. Ein weitaus größerer Teil der Leser ist allerdings der Meinung, dass nur jemand, der selbst betroffen ist – oder war – weiß, wie sich das anfühlt, wie furchtbar es sein kann, mit einem narzisstischen Partner zu leben, und wie schwer es ist, zu entkommen. Dass nur jemand helfen kann, der am eigenen Leib erfahren hat, wie es ist. Dazu gehört allerdings, dass man sein eigenes Paket überwunden hat. Ich kann versichern: Ich habe es überwunden.

Was ich nicht bin: Psychiaterin, Psychologin oder Therapeutin. Psychologie hat mich immer sehr interessiert und ich wälze seit über 30 Jahren jede Menge Fachliteratur. Allerdings darf ich natürlich keine Diagnosen stellen. Und du, als Leserin oder Leser dieses Buches solltest das auch nicht tun. Diagnosen sind nur Experten vorbehalten, und das aus gutem Grund. Wir haben nicht das Recht, einem Menschen einen Stempel aufzudrücken und zu sagen: Du bist ein Narzisst. Ein Borderliner. Ein Narzisst mit Borderline-Störung. Ein Psychopath. Das dürfen wir nicht und das sollten wir nicht. Mit solchen Diagnosen tun sich auch die Fachleute sehr schwer, denn die Klientel, über die wir hier sprechen, landet sehr selten in einer Therapie. Die Opfer von Narzissten sind es, die nach solchen Grenzerfahrungen eine Therapie benötigen und die meisten nehmen sie glücklicherweise auch in Anspruch. Außerdem sprechen wir hier von Menschen, die hervorragende Blender sind und sogar Psychiater mit jahrzehntelanger Erfahrung an der Nase herumführen.

Andererseits suchen alle, die an einen Menschen mit irgendwelchen Störungen geraten sind, nach Informationen, denn solche Beziehungen enden immer auf die eine oder andere Weise in einer Tragödie. Man könnte das Ganze einfach abtun und sagen: Jeder gerät mal an eine miese Person. Aber wenn ich von Störungen spreche, meine ich nicht den Beziehungspartner, den man kreischend so schnell es geht wieder verlässt und mit dem man niemals zusammenziehen würde. Nein, ich rede von Menschen, die sich völlig ambivalent verhalten, die uns verrückt machen, die uns an unserem Verstand zweifeln lassen, die uns krank machen. »Toxische Beziehungen«, das ist eine Begrifflichkeit, die seit Jahren durch das Netz schwirrt. Gemeint sind damit Beziehungen, in denen mindestens einer von beiden vor die Hunde geht. Auf jeden Fall deutlich in die Knie, und anfangs ist das nicht mal zu merken. Wir sprechen von Beziehungen, die anfangen wie ein Märchen, in ein Drama münden und irgendwann zum Psychothriller werden.

Früher oder später stoßen Betroffene, während sie verzweifelt Antwort auf ihre Fragen suchen, auf den Begriff Narzissmus und auf noch so einige weitere Begrifflichkeiten. Und dann fällt es ihnen wie Schuppen vor den Augen, denn was sie da lesen, kennen sie doch verdammt gut aus ihrem Alltag. »Genau das passiert bei mir«, denken diese Menschen. »Genauso ist er.« Oder: »Ja, so verhält sie sich!« Ich vertrete die Auffassung – vielleicht auch aus eigener Erfahrung heraus – dass die Selbstreflektion beginnen kann, sobald man einen Namen für das Kind hat. Wenn man weiß, womit man es zu tun hat, versteht man plötzlich, was passiert oder man versteht rückblickend seine Vergangenheit. Man erkennt, dass man natürlich nicht fehlerfrei ist, aber all die Verwirrung, all die Gewalt, all die Schuldgefühle, all das, was man vielleicht jahrelang nicht verstanden hat, wird plötzlich klar, sobald man »versteht«.

Erst dann kann man übrigens auch damit beginnen, nach seinen eigenen Anteilen zu suchen, denn die sind klar vorhanden. In aller Deutlichkeit: Ich spreche nicht von Schuld. Nein, du bist nicht schuld, wenn du immer wieder oder doch zumindest einmalig an einen narzisstischen Partner geraten bist. Aber das zeigt dir deutlich, dass es da irgendwelche Punkte in deiner Persönlichkeit gibt, an denen du arbeiten musst. Wenn du auf einen narzisstischen Partner reingefallen bist, dann nur, weil er irgendwelche Knöpfe gedrückt hat, auf die du angesprungen bist. Kennst du diese »Knöpfe«, kannst du sie beseitigen. Allerdings nur bei dir selbst, und um weitere missbräuchliche Beziehungen in deiner Zukunft so gut es geht zu vermeiden. Deinen Partner kannst du nicht heilen, zumal die meisten narzisstischen Menschen davon überzeugt sind, dass mit ihnen selbst alles in Ordnung ist. Narzissten zeigen nur selten Einsicht – in ihrer Welt sind es immer die Anderen, die schuld sind. Du aber – du bist es dir selbst schuldig, darauf zu achten, dass dir so etwas nie mehr passiert.

Persönlichkeitsstörungen, oder nennen wir es lieber, um einer Diagnose fern zu bleiben, charakterliche Züge, die einer Persönlichkeitsstörung entsprechen, sind nicht männlich oder weiblich. Sie kommen bei beiden Geschlechtern vor, wahrscheinlich sogar in der gleichen Häufigkeit. Sie betreffen sowohl heterosexuelle als homosexuelle Beziehungen. Sie betreffen ebenso häufig Eltern-Kind-Beziehungen. Kinder von narzisstischen Eltern werden in der Regel entweder zu Opfer von Narzissten, oder sie werden selbst Narzissten. Es ist ein unglaublich umfangreiches Thema, das bei den meisten Betroffenen schon in der Kindheit beginnt. In diesem Buch werde ich mich auf partnerschaftliche Beziehungen zwischen »Narzen« und »Narzissen« und ihren Opfern konzentrieren. Ein weiteres Buch, das sich mit narzisstischen Elternteilen beschäftigt, habe ich in Planung.

Betroffene fühlen sich hilflos ausgeliefert, wenn sie irgendwann erkennen, dass sie es mit einem Menschen von diesem Schlag zu tun haben. Ein »Narz« erscheint vielen Betroffenen bedrohlich und irgendwie stark, sobald er Macht über sie erhalten hat. Macht erhalten Narze aber nur durch die Gefühle, die man ihnen entgegenbringt. »Narze« behalten immer irgendwie die Oberhand – zumindest sieht es so aus, und steckt man als Betroffener in diesem Dilemma, empfindet man es auch so.

Dabei ist ein tatsächlich narzisstischer Mensch alles andere als stark. Je größer er scheinen will, umso kleiner ist er in Wirklichkeit. Das Selbstbewusstsein dieser Menschen ist nicht sehr ausgeprägt, auch wenn sie so wirken, als könne ihnen niemand das Wasser reichen. Tritt man ihnen entsprechend entgegen zeigt sich schnell, dass sie in Wahrheit gar nicht so stark sind. Sie zehren aber davon, dass man sie für stark, für selbstsicher hält. Sie zehren von den Menschen, die vor ihnen erzittern, sie anhimmeln, sie für was ganz Großartiges halten. Sie selbst erzittern dann, wenn die Fassade bröckelt. Wenn Menschen dahinter kommen, dass sie gar nicht so stark und so toll sind, wie sie sich den Anschein geben. Fallen die Masken, werden »Narze« oder »Narzissen« entweder verdammt gefährlich – oder sie wollen dich loswerden und gehen dir aus dem Weg.

In diesem Buch wird sich fast alles um die Verhaltensweisen von »Narzen« drehen, und um den ganz typischen Verlauf der Honeymoon-Phase, der Beziehung und der Trennung. Und doch geht es vielmehr um dich selbst als um »ihn« oder »sie«. Nur wenn du weißt, mit was du es zu tun hast, kannst du Entscheidungen treffen, hinter denen du dann auch stehen kannst – und an dir arbeiten. In den letzten Kapiteln dieses Buches wird es also um dich gehen – und um den Anteil, den du in dir trägst, und mit dem du den perfekten Nährboden für narzisstische Partner anbietest.

Dieses Buch ist kein Leitfaden für dich, um in deiner Beziehung besser klar zu kommen, denn dir muss klar sein: Du kannst einen solchen Menschen nicht mit deiner Liebe heilen, und du solltest dir auch gut überlegen, ob du das überhaupt willst. Solche Gedanken entspringen wahrscheinlich irgendwelchen Märchen, in denen die böse Hexe oder der böse Zauberer am Ende sterben und sich der Fluch löst, der auf ihrem Opfer lag. Plötzlich ist der böse, hartherzige Protagonist also dann doch liebenswert und gut, weil er aufrichtig geliebt wurde. Glaubst du daran? Hoffentlich nicht! Manchen Menschen mag es vielleicht gelingen, irgendwelche Wege in ein einigermaßen akzeptables Miteinander zu finden, aber ich gehe davon aus, dass die narzisstischen Züge ihres Gegenübers dann nicht ganz so stark ausgeprägt – und die Opfer wesentlich duldsamer sind die meisten Menschen. Die Abstufungen sind es nämlich, die entscheidend sind, oder mit anderen, bekannten Worten aus dem Volksmund: »Die Dosis macht das Gift«. Ich will dir als Leserin oder Leser dieses Buches eher zeigen, was es bedeutet, mit einem narzisstischen Partner zu leben, sich von ihm zu trennen und Wege für dich zu finden, in deiner Zukunft nicht wieder an narzisstische Menschen zu geraten. Ich will versuchen, dir die vielen Fragen zu beantworten, die dich vielleicht beschäftigen und möglicherweise kann dir all das auch den Weg weisen in eine andere, bessere Zukunft.

Als Autorin dieses Buches wünsche ich mir, dass du diese Informationen für dich nutzt, denn es geht in diesem Buch nicht, wie es den Anschein haben mag, um ihn, sondern um dich. DU sollst erkennen, was du vor dir hast. DU sollst Wege finden, wie du für dich damit umgehst. DU sollst stark werden, und vor allem sollst DU erfahren, dass du mit dem ganzen Mist nicht alleine bist. Wie lautet noch dieses berühmte Zitat? »Mein Name ist Legion.« Falls du also dachtest, es geht nur dir so, und nur du hast bei deiner Partnerwahl deutlich ins Klo gegriffen, irrst du dich. Wir sind viele. Einige haben sich entschlossen, mir ihre Geschichte zu erzählen und mir gestattet, sie in dieses Buch einfließen zu lassen. Sie sind natürlich anonymisiert, und Fakten, die eine Person erkennbar gemacht hätten, habe ich weg gelassen. Meine eigene Geschichte zu erzählen, ist daher gar nicht notwendig, aber es wird einige Kapitel geben, in denen ich auch aus meinen Erfahrungen berichte.

Ein letztes, wichtiges Anliegen habe ich noch, bevor ich mich auf das eigentliche Thema konzentriere: die Anrede und die geschlechterspezifische Schreibweise. Wie du schon gemerkt hast, ich duze dich, liebe Leserin, lieber Leser. Das hat nichts mit mangelndem Respekt zu tun, sondern macht es einfacher, über ein so emotionales Thema zu sprechen. Den inzwischen üblichen Gender-Schreibweisen möchte ich mich nicht durchgängig beugen, denn sie machen einen Text sehr anstrengend. Ich wies bereits darauf hin, dass Narzissmus nicht männlich und nicht weiblich, sondern bei beiden Geschlechtern vertreten ist. Ich spreche hier von »dem Narz« oder »der Narzisse«, aber sehr häufig auch von »dem Partner« oder einfach nur von »der Narzisst«. Damit sind Männer wie Frauen gemeint. Es ist mir sehr wichtig, dass nicht der Eindruck entsteht, ich würde mit dem Finger auf die bösen, männlichen »Narze« zeigen, denn wie zerstörerisch »Narzissen« sein können, habe ich in den vielen, stundenlangen, sehr erschütternden Gesprächen mit den Männern erfahren, die bereit waren, mit mir zu reden. Darüber hinaus bin ich privat auch schon vielen narzisstischen Frauen begegnet.

Ich lade dich übrigens herzlich ein, dich auf meiner Webseite umzuschauen, auf der ich auch regelmäßig Blogartikel zum Thema publiziere. Wenn du dich mit anderen Betroffenen austauschen möchtest, schreib mich an und ich lade dich gerne in meine Facebookgruppe ein. Im Anhang findest du meine Webadressen, sowie meine Mailanschrift und ein paar hilfreiche Links.

»Furcht besiegt mehr Menschen als irgendetwas anderes auf der Welt.« (Ralph Waldo Emerson)

DIE NARZISSTISCHE PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG

Als Leser oder Leserin dieses Buches hast du dich wahrscheinlich längst auf einschlägigen Seiten informiert, bist auf den Begriff Narzissmus gekommen und weißt schon ganz gut Bescheid. Sonst hättest du dieses Buch nicht gekauft. Trotzdem möchte ich noch mal auf die narzisstische Persönlichkeitsstörung eingehen. Ich will aber noch einmal darauf hinweisen, dass weder dir, noch mir eine Diagnose zusteht. Die Persönlichkeitsstörung zu kennen, ist aber wichtig und sicher hilfreich. Bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung handelt es sich um eine tiefgreifende Störung, die jedoch in verschiedenen Formen auftreten kann. In der Forschung unterscheidet man folgende Störungen innerhalb des Narzissmus:

Grandios-maligner Narzissmus

Hier handelt es sich um eine extrem gefährliche Mischung aus Narzissmus und Paranoia, die mit starken Aggressionen und einem antisozialen Verhalten einhergehen. Narzissten mit dieser Ausprägung sind zu allem fähig und erweisen sich als besonders grausam und skrupellos. Sie halten sich ständig und ausnahmslos für großartig und wertvoll. Natürlich erwarten sie ein entsprechendes Verhalten in ihrem Umfeld und wer dazu nicht bereit ist, wird bestraft. Reue ist völlig unbekannt – Rache sehen sie als ihr natürliches Recht. Da noch weitere Eigenschaften des Narzissten hinzukommen, wie die mangelnde oder völlig fehlende Empathie ist eine generelle, paranoide Tendenz gegeben und sie sehen schnell einen Feind in einem anderen Menschen. Vermeintliche Feinde sollten sich umgehend in Sicherheit bringen – der grandios-maligne Narzisst will seine Feinde vernichten, koste es was es wolle.

Vulnerabel-fragiler Narzissmus

Diese Form wird häufig überhaupt nicht als Narzissmus erkannt, denn die grundsätzliche Stimmung ist von Schamgefühlen, Ängstlichkeit und Depressionen geprägt. Kritik und Niederlagen sind das Schlimmste für diese Menschen, und sie reagieren sehr sensibel darauf. Andererseits können auch sie sich nicht in andere Menschen hineinversetzen, das heißt, sie sind zwar sensibel für ihre eigenen Bedürfnisse und ihr eigenes Leid – aber nicht oder nur geringfügig für das eines anderen Menschen. Vulnerabel-fragil bedeutet verletzlich und instabil. Es wird derzeit diskutiert, ob zwischen diesem Typ Narzisst und dem verdeckten Narzisst überhaupt ein Unterschied besteht. Ich kenne beide Formen und natürlich weisen sie Ähnlichkeiten auf. Der vulnerabel-fragile Narzisst ist allerdings eine ganz besondere Nummer für sich. Aber mögen sich die Fachleute darüber streiten, das steht mir gar nicht zu.

Exhibitionistischer (offener) Narzissmus

Das Auftreten ist kühl und selbstbewusst, arrogant, aber dieser Typus ist häufig sehr erfolgreich im Beruf. Er hält sich für großartig und sorgt dafür, dass sein Umfeld das auch erfährt. Man spricht hier von »offenem Narzissmus«. Wie schädlich diese Form von Narzissmus sich auf das Umfeld auswirkt, hängt auch von den weiteren Symptomen ab. Offene Narzissten werden meist erst einmal mit ebenso offenen Armen empfangen, man fühlt sich von ihnen magisch angezogen. Im weiteren Verlauf von Beziehungen aller Art tritt aber ihre Feindseligkeit zutage, man empfindet sie als kalt, ignorant und dominant.

Verdeckter Narzissmus:

Verdeckte Narzissten verhalten sich stiller, ruhiger, sie fordern zwar die gleichen Dinge ein wie der offene Narzisst (Bewunderung, Liebe, Ruhm und Ehre), aber sie tun das viel stilvoller und freundlicher. Sie geben sich wesentlich angenehmer und hilfsbereiter, sogar großzügig bis hin zu altruistisch – aber nur, wenn es ihnen passt. Grundsätzlich streben sie immer danach, sich ins richtige Licht zu rücken, im Mittelpunkt zu stehen, bewundert zu werden. Sie streben nach der Anerkennung ihrer Talente und Fähigkeiten, die tatsächlich vorhanden sein können und ihrer Meinung nach nur nicht ordentlich gewürdigt werden – oder gar nicht da sind.

Man darf nicht vergessen, dass es außerdem Menschen gibt, die einen »narzisstischen Persönlichkeitsstil« haben, aber keineswegs Narzissten sind. Der Narzissmus-Anteil in ihnen ist meistens recht ausgewogen, zumindest kann man davon sprechen, wenn sie sich grundsätzlich harmonisch in eine soziale Gemeinschaft einfügen.

Auch sollte man auf Menschen hinweisen, die charakterlich über narzisstische Züge verfügen. Das heißt im Klartext, dass einige Punkte, die man der narzisstischen Persönlichkeitsstörung zuordnen könnte, möglicherweise vorhanden sind, aber eben nicht hauptsächlich. Dafür können sich jedoch durchaus auch noch ein paar Charakterzüge zeigen, die anderen Persönlichkeitsstörungen entsprechen. Das ist überhaupt das Verwirrende am Thema Narzissmus, denn durch die drei wissenschaftlich definierten Narzissmus-Typen, den narzisstischen Persönlichkeitsstil und die Menschen mit narzisstischen Zügen kann kein einheitliches Bild entstehen. Vielleicht kann man anhand dieser Tatsache auch verdeutlichen, wie wichtig es ist, als Laie keine Diagnose zu stellen und darüber hinaus zu erkennen, dass nicht alle Menschen, die unter »Narzissmus« fallen könnten, die gleichen Verhaltensweisen aufweisen müssen. Zwischen dem tiefen Schwarz und dem reinen Weiß gibt es jede Menge Abstufungen in der jeweiligen Ausprägung der Persönlichkeitsstörung. Aus diesem Grund weisen auch die Geschichten von betroffenen Lebenspartnern gewisse Parallelen auf, sind aber dennoch recht unterschiedlich.

Nach ICD-10 zeigt sich eine narzisstische Persönlichkeitsstörung durch folgende Merkmale:

Grandioses Verständnis der eigenen Wichtigkeit. Eigene Leistungen und Begabungen werden gnadenlos übertrieben betrachtet und dargestellt. Außerdem besteht die Erwartung, auch ohne Leistung anerkannt und als überlegen angesehen zu werden.

Zeigt Fantasien von grenzenloser Schönheit, Erfolg, Macht, der eigenen Brillanz und von idealer Liebe.

Ist der Meinung, etwas Besonderes zu sein, einzigartig, sucht Kontakt zu hochgestellten Menschen und glaubt, diesen ebenbürtig zu sein.

Sucht nach exzessiver Bewunderung durch andere Menschen.

Verhält sich ausbeuterisch in zwischenmenschlichen Beziehungen, nutzt Ressourcen und Fähigkeiten anderer, um seine eigenen Ziele zu verwirklichen.

Mangel an Empathie oder völlige Empathielosigkeit

Ist sehr oft hochgradig neidisch auf andere Menschen, glaubt aber gleichzeitig, andere sind neidisch auf ihn.

Allgemeines Verhalten ist arrogant und hochmütig.

Nach DSM-5 ist die Definition schon wesentlich genauer, allerdings auch höchst kompliziert, daher fasse ich die wesentlichen Punkte in eigenen Worten, aber nach Definition, zusammen:

Ist exzessiv auf sich selbst bezogen.

Sucht ebenso exzessiv Bezug zu anderen Menschen, die für die Regulierung des Selbstwertgefühls gebraucht werden.

Übertriebene Selbsteinschätzung, die durch das tatsächliche Selbstwertgefühl schwanken kann.

Persönliche Ziele werden außergewöhnlich hoch oder viel zu niedrig angesetzt – abhängig von den eigenen, individuellen Maßstäben.

Mangelnde Empathie: Die Gefühle und Bedürfnisse anderer werden nicht wahrgenommen oder nicht erkannt.

Verhalten ist übermäßig auf die Reaktionen anderer abgestimmt, solange (und nur!), wenn diese als relevant empfunden werden.

Wirkung auf andere Menschen wird über- oder unterschätzt.

Menschliche Beziehungen werden oberflächlich gehalten und nur wenn sie der Regulierung des eigenen Selbstwertgefühls dienen, überhaupt eingegangen.

Kein echtes Interesse am anderen, sondern nur am persönlichen Gewinn aus einer Beziehung.

Pathologische Persönlichkeitszüge gehören ebenfalls zur Definition nach DWM-5:

Überzogenes Selbstwertgefühl und Selbst-Zentriertheit: Glaubt, Sonderrechte zu haben, ist davon überzeugt, besser zu sein als andere, verhält sich anderen gegenüber herablassend.

Bemüht sich stets, Aufmerksamkeit und Bewunderung zu erhalten

Besser ist vielleicht eine etwas ausführlichere Erklärung.

Mangel an Empathie

Narzissten haben nur ein begrenztes oder gar kein Einfühlungsvermögen. Sie nehmen die Gefühle und Bedürfnisse anderer Menschen zwar wahr, aber sie interessieren sich nur für das, was für sie selbst nützlich ist. Das heißt, die Gefühle anderer Menschen sind ihnen grundlegend egal, es sei denn, sie können daraus ihren Nutzen ziehen. Sie wollen keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten anderer Menschen nehmen und auch sonst nicht darauf eingehen. Sie hören nicht zu, es sei denn, es wird Bewunderung für sie selbst geäußert. Gleichzeitig interpretieren sie das Verhalten oder das Gesagte anderer Menschen häufig falsch, oft mit drastischen Auswirkungen, vielleicht gerade weil sie bewundert und respektiert werden wollen. Was ihnen definitiv fehlt, ist Mitgefühl für das Leid anderer Menschen. Bei Narzissten mit psychopathischen Anteilen kann die Empathie völlig fehlen.

Lügen, Übertreibungen und Selbsttäuschung

Narzissten neigen dazu, ihre Leistungen und Begabungen großartiger darzustellen als sie es wirklich sind. Sie schrecken auch nicht davor zurück, die Arbeiten anderer als ihre eigene Arbeit auszugeben. Die meisten von ihnen suchen intensiven Kontakt zu hochgestellten Persönlichkeiten, Prominenten, oder allgemein Menschen mit einem hohen Status. Auch wenn solche Kontakte oberflächlich sind und bleiben, werden sie in Erzählungen stark übertrieben dargestellt, sodass aus dem entfernten Bekannten, der zufällig Hochschulprofessor ist, in der Darstellung der Beziehung der beste Freund wird. Von häufigem Lügen berichten vor allem betroffene Beziehungspartner und Angehörige, und dieses Verhalten scheint notwendig zu sein, um das selbstherrliche Konzept vor anderen aufrecht zu erhalten. Damit täuschen sie sich selbst meist wesentlich länger und intensiver als ihre Umwelt.

Kritik und Zurückweisung

Narzissten reagieren in höchstem Maße empört und aufgeregt auf eine Niederlage, auf Kritik, auf Zurückweisung oder Situationen, in denen sie sich beschämt fühlen, was eine Konsequenz des eigentlich recht geringen Selbstwertgefühls ist. In neueren Forschungen geht man inzwischen davon aus, dass Narzissten eine nahezu großartige Meinung zu sich selbst haben, was die Empörung erklären könnte, mit der sie auf Kritik und Zurückweisung reagieren. Fühlt sich der Narzisst angegriffen, was immer der Fall ist, wenn man ihn kritisiert, ihm eine Abfuhr erteilt oder er eine Niederlage einstecken muss, reagiert er in den meisten Fällen sehr scharf. Empfindet er eine spezielle Person als hierfür verantwortlich, wird diese attackiert. Vulnerable Narzissten ziehen sich durchaus auch mal deprimiert zurück und bestrafen dann den entsprechenden Menschen auf ihre ganz eigene Art – meist durch passive Aggressionen. Ein maligner Narzisst hingegen wird sofort ein Feindbild aufbauen und der Feind muss vernichtet werden. Maligne Narzissten sind unter Umständen sehr gefährlich und tragen soziopathische Züge. Hitler gilt als maligner Narzisst, ebenso Stalin. Verdeckte Narzissten reagieren häufig eher mit passiv-aggressivem Verhalten, wenn sie sich kritisiert oder zurückgewiesen fühlen. Narzissten fühlen sich stets im Recht und haben auch immer das Gefühl, einen Sonderstatus zu haben. Stoßen sie auf Ablehnung und Kritik, kommt es sehr schnell zu Eskalationen, die ihr Gegenüber erst einmal fassungslos machen.

Ausbeutung, Missbrauch, Manipulation

Emotionaler Missbrauch im engsten Umfeld ist bei Narzissten an der Tagesordnung. Kinder, Beziehungspartner, Geschwister und enge Freunde werden von Narzissten für deren Zwecke eingespannt und ausgebeutet. Der Narzisst versorgt sich hier selbst emotional mit Bewunderung, Unterstützung und auch mit materiellen Zuwendungen. Die Opfer, wie zum Beispiel Lebenspartner oder gute Freunde, werden taktisch geschickt ausgewählt und vorab auf Tauglichkeit »gescannt”. Sie werden umsorgt, gehegt und gepflegt, bis der Narzisst sicher sein kann, dass seine Zwecke erfüllt werden. Dazu greift er auch zu emotionaler Erpressung und anderen Manipulationsmethoden. In der Regel werden die Opfer sofort abgestoßen, wenn sie nicht mehr bereit sind, den Narzissten mit Bewunderung, Unterstützung und Liebe zu versorgen. Wer nun aber meint, es ginge nur um das seelische Ausbeuten der Opfer, irrt. Nicht alle, aber viele Narzissten suchen sich auch gerne Partner oder Gemeinschaften, von denen sie finanziell oder statusmäßig profitieren können. So manchem Opfer eines Narzissten sind dadurch schon Haus und Hof abhanden gekommen, viele andere sind hoch verschuldet, wenn der Narzisst mit ihnen fertig ist. Grundsätzlich kommt es immer darauf an, was der Narzisst selbst bereits hat oder leisten kann – und was ihm fehlt. Was ihm fehlt, wird er bei einem Partner suchen.

Gefühllosigkeit

Die Palette der Gefühle ist bei seelisch gesunden Menschen sehr groß. Glücksempfinden, Freude an Dingen, Mitgefühl für andere Menschen, Trauer, auch Verletzlichkeit gehen normalerweise mit einer gewissen Gefühlstiefe einher, die der Narzisst nicht aufbringen kann. Narzissten können aber durchaus lernen, so zu tun als ob, das heißt, sie lernen im Laufe ihres Daseins, Gefühle vorzutäuschen. Sie schauen sich hierfür bei anderen Menschen ab, wie diese gefühlsmäßig reagieren, und imitieren dieses Verhalten. Dieses können sie dann abrufen, wenn es für sie passt, das heißt, wenn sie sich etwas davon versprechen. Diese gezeigten Gefühle sind allerdings tatsächlich gespielt und daraus resultiert, dass es bei Lippenbekenntnissen bleibt. Rücksichtnahme wird versprochen, aber nicht eingehalten, Unterstützung wird zugesagt, aber nicht geleistet. Liebevolle Gesten, die den Lebenspartner von sich überzeugen sollen, sind inhaltslos, da sie nur dazu dienen, den anderen gefügig zu machen, um ihn weiterhin – oder überhaupt irgendwann einmal – für die eigenen Zwecke missbrauchen zu können.

Man spricht auch von der »narzisstischen Verletzung«: Sie tritt beim Narzissten dann auf, wenn er als solcher erkannt wurde, wenn die Menschen, die er täuschen wollte, erkennen, was sie vor sich haben, welcher Methoden er sich bedient, wenn sozusagen die Maske gefallen ist. Dann reagiert der Narzisst mit Frustration und fühlt sich gedemütigt. Wie er sich dann verhält, hängt davon ab, welchem Typus er entspricht und wie ausgeprägt seine narzisstischen Anteile sind.