Negierte Lust - Catherine Malabou - E-Book

Negierte Lust E-Book

Catherine Malabou

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Beschreibung

In den alten Anatomiebüchern fehlt sie, auf Aktzeichnungen und Gemälden ist sie nicht zu sehen. In der Literatur blieb sie ausgespart, dem Denken entzieht sie sich, körperlich wurde sie unterdrückt: Für sehr lange Zeit war die Klitoris das negierte Organ der Lust, ein dunkler, ­bedrohlicher Ort des Weiblichen.
Diese hartnäckige Angst und Ignoranz scheint heute überwunden. Auch der Feminis­mus hat sich geöffnet, um angesichts queeren, inter- oder transsexuellen Lebens die ­Klitoris nicht mehr nur einer Weiblichkeit zuzuordnen. Und doch: Angesichts fort­währender Gewalt an Frauen bleibt sie der Ort millionenfacher Verwundung, das Mal verweigerten Genießens und verstümmelter Existenzen.

 

Ein kompakter, engagierter Essay, der gleichwohl ein ganzes Arsenal an historischen und philosophischen Beobachtungen zu einer neuen Perspektive bündelt. Catherine Malabou gelingt es, dem Denken von Geschlecht und Lust, Kultur und Identität ­entscheidende Elemente hinzuzufügen und eine zukünftige Sprache eines nicht zuletzt weiblichen Politischen zu skizzieren.

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Seitenzahl: 120

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Negierte Lust

Catherine Malabou

Negierte Lust

Die Klitoris denken

Aus dem Französischen von Luzia Gast

 

 

 

 

 

DIAPHANES

 

Titel der Originalausgabe:

Le plaisir effacé. Clitoris et pensée

© Éditions Payot & Rivages, Paris 2020

 

 

 

 

 

 

 

© DIAPHANES, Zürich 2021

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN 978-3-0358-0414-0

 

Satz und Layout: 2edit, Zürich

Druck: Steinmeier, Deiningen

 

www.diaphanes.net

Inhalt

1. Löschungen

2. Halbgöttinnen (Nymphen 1)

3. Bilder ohne Sex: Boccaccio, Warburg, Agamben (Nymphen 2)

4. Nadja ohne Sein: Eine kurze Bemerkung über »die Frau als Objekt der Begierde« (Nymphen 3)

5. Politische Anatomie

6. Die »sexuelle Existenz« nach Simone de Beauvoir

7. Dolto, Lacan und der »Bericht«

8. »Die weibliche Sexualität ist die Klitoris.«Carla Lonzi und der Feminismus der Differenz

9. Luce Irigaray»Die Frau ist weder geschlossen noch offen.«

10. »Mit Zärtlichkeit und Respekt für die Vulva in ihrer Vollkommenheit«

11. Sind »Verstümmelung« und »Wiedergutmachung«die richtigen Wörter?

12. Technologisch veränderte Körper: Paul B. Preciado und der Transfeminismus

13. »Mea vulva, mea maxima vulva«: Nymphomaniac (Nymphen 4)

14. Zonen der Ekstasen des Realen

15. Klitoris, Anarchie und Weiblichkeit

Anmerkungen

 

Dem Andenken an Anne Dufourmantelle, als Echo auf ihre Meditation über die Sanftheit.

 

»Klitoris, rätselhafter Rubin, leuchtendes Schmuckstück auf dem Torso eines Gottes sich regend.« Pierre Louÿs

1.

Löschungen

Die Klitoris ist ein winziges Steinchen, verborgen im großen Schuh des sexuellen Imaginären. Bekannt für ihre zierliche Gestalt galt die junge Klitoris der griechischen Mythologie als klein »wie ein Kiesel«. Lange verborgen gehalten, namenlos, weder von Künstlern dargestellt noch in den medizinischen Lehrbüchern erwähnt, ja von den Frauen selbst unbeachtet, fristete dieses lästige, sich in die Gedanken bohrende Körnchen ein im ursprünglichen Wortsinn skrupulöses Dasein.1 Die Etymologie schwankt in ihrer Formenlehre, ob sie auf den »Hügel« (kleitoris) oder den Verschluss, die Spange (kleidos) zurückzuführen ist. Die Klitoris: dieses kleine, schwellende Geheimnis, das widerständig und störend in unserem Gewissen haust und uns die Ferse aufreibt, ist das einzige Körperteil, das nur der Lust dient – zu nichts also: diesem Ganz-und-gar-Nichts, diesem unendlich großen Nichts, diesem Alles oder Nichts weiblichen Lustempfindens.

Die erste anatomische Verwendung des Wortes ist Rufus von Ephesos zu verdanken, einem griechischen Mediziner des 1. und 2. Jahrhunderts, der sie ein Versteckspiel mit ihren Synonymen treiben ließ: »Die Nymphe oder Myrte ist jenes kleine Stück Muskelfleisch, das in der Mitte [der Ritze] hängt und das die einen Hypodermis, die anderen Clitoris nennen, wie man auch klitorisieren sagt, um das lüsterne Streicheln dieser Stelle zu bezeichnen.«2 In Frankreich taucht der Name erstmals 1575 bei Ambroise Paré auf, der ihn cleitoris schreibt…, bevor er in dessen Werken von 1585 wieder verschwindet.3 Gabriele Fallopio (Namensgeber der sogenannten tuba Fallopii, des Eileiters), kann noch 1561 behaupten, sie entdeckt zu haben. Kaum war sie da, ist sie auch schon getilgt.

Springen wir ins 21. Jahrhundert: Ein Gynäkologe erläutert einer Reihe verblüffter Männer, wie sich die Klitoris im Kontakt mit einem Glied, einem Dildo, bei der Berührung mit dem Finger oder der Zunge verhält, wie sie sich regt, welche Lage sie während der Penetration oder einer Liebkosung einnimmt.4 Sie ist Komplizin, Kameradin der Vagina, aber auch eine einsame Genießerin, denn sie folgt dem Eros in zweierlei Richtung: Mal wiegt sie sich, die penetrierte Vagina begleitend, mal wird sie hart, wie eine Bergspitze sich aufrichtend. Mal beides zugleich, mal nur das eine ohne das andere. Unentwegt bringt die Klitoris die Dichotomien durcheinander.

Und auch dieses doppelte Leben, das bereits die Norm der Heterosexualität in Frage stellt, findet jahrhundertelang keine Beachtung. Erste Erkundungen verkennen sie nur noch mehr, denn man vergleicht sie mit dem Penis. Die Theorie des Penisneids bei Freud, demzufolge das weibliche Geschlecht Ausdruck eines Mangels ist, ist hinlänglich bekannt. Als Kastrationsnarbe ist die Klitoris ein verkrüppeltes Glied. In gewisser Weise ist auch Freud noch in einem sexuellen Monismus gefangen. In Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud5   hat Thomas W. Laqueur die kühne These formuliert, dass es die seit der Antike bis ins 18. Jahrhundert hinein vorherrschende Auffassung eines einzigen Geschlechts war, die dazu führte, dass die anatomischen Unterschiede zwischen Mann und Frau unbeachtet blieben. Man dachte wirklich, dass es nur ein einziges Geschlecht gäbe, sich die weiblichen Geschlechtsorgane im Innern des Körpers befänden wie jene des Mannes außen, eine Vorstellung, die auch die späte anatomische Entdeckung der Klitoris nicht vollständig hat verabschieden können.

Selbst die durch Simone de Beauvoir heftig angegriffene Phantasmenproduktion rund um die Lesbierin als invertierter Mann steht noch in dieser Linie.6

Obschon als verstümmelter Penis betrachtet, wurde die Klitoris zugleich mit exzessiver Lust assoziiert. Nutzlos für die Fortpflanzung. Negiert und doch lüstern. Einer Legende zufolge sollen einige Gorgonen mit übergroßer Klitoris zu lebenslanger Masturbation verurteilt worden sein. Und so wurde die operative Entfernung der Klitoris, die Klitoridektomie, auch als »Therapie« eingesetzt und die Frau ein zweites Mal kastriert, um ihre Lüsternheit zu stillen. Eine Radikallösung gegen die Unendlichkeit der Lust.

Genitalverstümmelungen gibt es in allen Kulturen, nicht nur in Afrika, wie man allzu oft glaubt. Im Westen wurde sie als Mittel gegen Hysterie und Nymphomanie eingesetzt. Es gibt mehrere Arten, die Klitoris zu entfernen, physische natürlich, aber auch eine ganze Reihe psychischer Möglichkeiten. Die Legende von der Frigidität, Gegenstück zur Nymphomanie, ist nur eine unter ihnen. Mangel, operative Entfernung, Verstümmelung, Verleugnung: Kann die Klitoris im Denken, am Körper, im Unbewussten denn nicht anders als negativ erscheinen?

 

*

 

Vieles hat sich verändert, sagt man. Das stimmt. Die anatomische, symbolische, politische Existenz der Klitoris wird heute durch eine echte Vielfalt an Sichtweisen, Kulturen, Praktiken, militanten und performativen Gesten geltend gemacht. »Wir brauchen eine Klito-Revolution!«, einen echten »Aufstand der Muschis«, fordert Nadeschda Tolokonnikowa von Pussy Riot.

Auch finden sich glücklicherweise immer mehr Publikationen, die ihr Beachtung schenken.7 Eine vollkommen neue Geographie, Ästhetik und Ethik der Lust, eine Überwindung der heterosexuellen Matrix, kurz: ein »Jenseits der Penetration«, zeichnet sich ab.8

Und auch unter den Feminist:innen haben sich die Linien verschoben. Vom Feminismus der zweiten, dann dritten Welle bis hin zum neuesten Transfeminismus hat sich der Diskurs gewandelt. Die Klitoris wird nicht mehr oder nicht mehr nur als das ausschließliche Merkmal der Frau begriffen. Mit queeren, inter- und transsexuellen Ansätzen ist sie zum Namen eines libidinösen Dispositivs geworden, das nicht mehr zwingend dem Weiblichen angehört, was die traditionelle Sicht auf Sexualität, Lust, Geschlecht ins Wanken bringt und andere Chirurgien wie auch ein anderes Imaginäres hervorbringt. Von jetzt an, deklamiert Paul B. Preciado, kann sich jede:r von uns, ohne exklusives oder allgemeines Modell, eine Klitoris auf den Solarplexus pflanzen.9

Und dennoch…

 

*

 

Ich sage »dennoch«, weil sich vielleicht nicht wirklich etwas verändert hat. Zum einen sind Geschlechtsverstümmelungen weiterhin an der Tagesordnung, wird Millionen Frauen fortgesetzt ihre Lust verweigert, steht die Klitoris sowohl körperlich wie psychisch noch immer für eine negierte, eine ausradierte Lust. Zum anderen geht das Verhindern einer Streichung vielleicht stets mit einer Streichung andere Art einher. Eine Realität anzuerkennen, heißt das nicht auch, sie auf eine andere Weise zu verkennen? Ist Aufklären nicht immer auch Gewalt? Liebkosung mit der einen, Ausradierung mit der anderen Hand.

 

*

 

Man kann die Geschichte der Klitoris natürlich in einer geraden Linie lesen, als die Bewegung eines Fortschritts, der von ihrer Auslöschung zu ihrer Sichtbarmachung führt, von ihrer Streichung hin zu ihrer Existenz. In manchen Ländern, zumindest in manchen Milieus, gesteht man ihr heute eine gewisse Existenzberechtigung zu. Und doch klafft in jeder Phase und jeder Phrase dieses »Fortschritts« ein Abgrund. Denn in Wirklichkeit genügt es nicht, die Existenz der Klitoris einzufordern, indem man die Anatomie verfeinert, ihre Bedeutung unterstreicht, sich für ihre Anerkennung einsetzt, damit sie nicht länger ausgeblendet wird. All meine Lektüren und Forschungen legen mir vielmehr den Schluss nahe, dass – im übertragenen wie vielleicht auch im buchstäblichen Sinn – an die Klitoris zu rühren bedeutet, die Erfahrung eines Unterschieds, eines Abstands zu machen. Die Klitoris existiert nicht anders als in diesem Abstand, was weder ihre Autonomie noch ihre orgiastische Kraft beeinträchtigt, es aber paradoxerweise schwieriger macht, in ihr ein vollendetes, vereinheitlichtes, auf sich selbst versammeltes Ganzes zu sehen.

Der Abstand zwischen Klitoris und Vagina ist Gegenstand unzähliger Analysen und Psychoanalysen, genauso wie der Abstand von Klitoris und Penis, Klitoris und Phallus. Indem man Erstere im Gegensatz zum Penis zurückweist, gehorcht man dem Gesetz des Letzteren. Abstand, Unterschied von Biologischem und Symbolischem, von Fleisch und Sinn. Abstand schließlich zwischen den »Subjekten« des Feminismus und den Feminismen selbst. Abstand zwischen den Körpern. Abstand zwischen der anatomischen Bestimmung des Geschlechts und dessen sozialer Plastizität. Abstand zwischen von Geburt Vorgegebenem und chirurgischem Eingriff. Abstand zwischen der geltend gemachten Existenz der »Frau« und der Zurückweisung einer solchen Kategorie. Abstand zwischen einem »Wir Frauen«, einer Vielheit an Erfahrungen, die sich einer Vereinheitlichung und Verallgemeinerung widersetzen, und einem gemeinsamen »Wir« der »Frauen«.

Abstand heißt nicht nur Differenz – Differenz zwischen Gleichem und Anderem oder Differenz an sich. Differenz – die sexuelle Differenz eingeschlossen – ist kein Einzelfall des Abstands. Der Abstand bricht die paradoxe Identität der Differenz auf, enthüllt eine Vielheit, die sich in ihm verbirgt. Man mag es erstaunlich finden, dass mit der Klitoris ein Organ, ein Körper- oder Geschlechtsteil einer Vielheit an Differenzen zu ihrem Recht verhelfen soll. Warum gerade die Klitoris und nicht andere, nicht unbedingt genitale Körperzonen?

Weil sie ein stummes Symbol ist.

Zum einen kann man die Philosophen, die von ihr zu sprechen gewagt haben, an einer Hand abzählen, während man in der Philosophie eine Vielzahl an Bezügen auf andere weibliche Körperteile finden kann. Brüste, Vagina, Nymphen. Die Phallokratie der philosophischen Sprache ist kein Geheimnis mehr.

Jacques Derrida war der Erste, der sie mit Hilfe seiner Wortschöpfungen »Phallozentrismus« oder »Phallogozentrismus« einer Dekonstruktion unterzogen und ihre wesentlichen Merkmale in Frage gestellt hat: Privilegierung alles Aufgerichteten, Erektiven (gemäß dem architektonischen Modell alles aufrecht Stehenden), der Sichtbarkeit und Symbolhaftigkeit des Phallus, während die Frau zugleich auf ein Matrix-Material, auf das Muttersein, auf etwas Vaginal-Uterales reduziert wurde.10 Von der Lust der Frau ist in der Philosophie nirgendwo die Rede.

Außer in Bezug auf die »monströse« Klitoris des Hermaphroditen,11 widmet Michel Foucault in Der Wille zum Wissen ihr nicht eine Zeile. Und auch in DerGebrauch der Lüste kommt ihr keinerlei Rolle zu – als ob es schwierig gewesen wäre, die »repressive Hypothese« grundlegend in Frage zu stellen…12

Der abendländische philosophische Diskurs ist also seit seinen Anfängen um einen Phallogozentrismus herum organisiert, der ihn bis heute dominiert.

Trotz allem bestand eine der wissenschaftlichen und ethischen Aufgaben der Philosophie stets darin, Licht in jene Bereiche der Wirklichkeit zu bringen, die aus dem einen oder anderen Grund verborgen gehalten oder unterdrückt wurden. Von der Klitoris in der Philosophie zu sprechen bedeutet daher, sie erscheinen zu lassen. Aber wie ist das möglich, ohne sie erneut zum Schweigen zu bringen? Wie lässt sie sich denken, wo die philosophische Sprache doch eine logische Exzision ist?

Schließlich wurden jene Philosophinnen, die versucht haben, diesen Widerspruch aufzulösen und die Klitoris ins Denken einzuführen, von den Feministinnen der dritten und vierten Welle kritisiert und mitunter lächerlich gemacht. In Das andere Geschlecht, das von vielen zu Recht als ein philosophisches Buch angesehen wird, wagte Simone de Beauvoir es, Klitoris und Begriff einander gegenüberzustellen. Sie sprach offen über die »beiden Geschlechtsorgane« der Frau und von der Einzigartigkeit einer Lust, die nicht notwendig an die Fortpflanzung gebunden ist. Ihr Vorgehen wurde als essentialistisch, zu sehr im Dienste der Erforschung einer mutmaßlichen weiblichen Identität verurteilt.

Andere seither formulierte Theorien situieren sich jenseits der Geschlechterdifferenz und kritisieren die Festlegung auf eine natürliche und binäre Geschlechtlichkeit. Sie legen weitere Abstände offen, etwa die zwischen Philosophie und Politik, Herrschafts- und Minderheitensprachen, zwischen Eurozentrismen und Ansätzen des Dekolonialismus. Die Klitoris hat sich so von ihrem einfachen Status als »Geschlechtsorgan« und als etwas, das nur der Frau angehört, gelöst. Was ist die Klitoris für ein nicht-binäres, sich weder als weiblich noch männlich identifizierendes Subjekt? Ist es nicht Zeit, sich vom »Fetisch der Organe, von der Anatomie, von einer Fixierung auf die Physiologie zu verabschieden«, fragt zu Recht Delphine Gardey mit Bezug auf Judith Butlers Infragestellung einer Auffassung von Körper und Erotik, wie sie bei einer Produktion des Körpers »mittels seiner Teile« ins Spiel kommt.13

Kann es denn als gesichert gelten, dass die aktuellen und sicherlich notwendigen Entwicklungen auf dem Gebiet der Sexualität, der Geschlechter, der Körper, diese nicht wieder auf ihre Weise negieren? Warum sollte man das gerade erst gefundene, in gewisser Weise neue Bild der Klitoris zurückweisen? Warum sollte man die Schriften Simone de Beauvoirs oder Luce Irigarays, wie auch jene der radikalen italienischen Feministinnen wie Carla Lonzi oder Silvia Federici als veraltet ansehen? Warum nicht denen zuhören, die als Erste den Mut hatten, der Klitoris zu einer Sprache zu verhelfen?

Meine Position ist die einer radikalen Feministin, doch bin ich weit entfernt von den sogenannten terfs (trans­exclusionary radical feminists), die der Ansicht sind, dass die Kämpfe der Transsexuellen jene für die Frauenrechte übertönen und schwächen.14 Andererseits fühle ich mich auch ziemlich weit entfernt von jenen, für die die sexuelle Binarität in Stein gemeißelt ist, die gleichgeschlechtliche Elternschaft als eine Folge der angeblichen Exzesse der Gendertheorie verurteilen und damit weiterhin Konzessio­nen an die Phallokratie machen. Aber ich bin auch dagegen, die sehr frühen Feministinnen avant la lettre zum alten Eisen zu zählen, waren sie es doch, die den radikalen Feminismus erst ermöglicht haben.

Die Klitoris trägt auch heute noch die Spuren einer Wunde, an der sich bis vor kurzem die Wörter wie Wellen brachen und, kaum waren sie aufgetaucht, auch schon wieder zurückzogen. Das heißt indes nicht, dass sie der Ort eines Mangels, des Signifikanten, des Buchstabens oder des Objekts klein a, b, c oder z wäre. Nein. Es ist viel simpler und zugleich komplizierter. Selbst wenn sie nicht unbedingt nur der Frau angehört, so bleibt sie doch der unergründliche Ort des Weiblichen, was bedeutet, dass sie ihren eigentlichen Ort noch nicht gefunden hat.

Ich werde versuchen, diesen Ort mit einer Reihe von Pinselstrichen zu skizzieren, die gemäß einer Gleichzeitigkeit von Enthüllung und Verbergung, in jeweils klarem Abstand zueinander, ohne hierarchische Ordnung und vorurteilslos aus diversen Diskursen entnommen sind. Man kann sie der Reihe nach lesen – sie halten sich an eine Chronologie des Feminismus – oder in beliebiger Reihenfolge. Sie bilden jedenfalls eine Schleife.

Mir geht es nicht darum, etwas zu beweisen, vielmehr möchte ich einer Vielzahl von Stimmen Gehör verschaffen, um durch sie einen gewissen Ausgleich zwischen der enormen Schwierigkeit und einer ebensolchen Dringlichkeit zu finden, der heute jede Rede über das Weibliche untersteht.