NetzWerke - Johannes Bähr - E-Book

NetzWerke E-Book

Johannes Bähr

0,0
14,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im Aufbau und in der Entwicklung der kommunalen Versorgung mit Strom, Wasser, Nahverkehr, etc. spiegelt sich die Geschichte einer Stadt. Johannes Bähr und Paul Erker zeigen in einem eindrucksvollen Panorama, wie in München über mehr als zweihundert Jahre hinweg aus bescheidenen Anfängen eine umfassende Versorgungswirtschaft entstand. Es wird deutlich, dass der Aufstieg der Stadt sowohl mit bahnbrechenden Leistungen bei der Wasser- und Energieversorgung als auch bei den Verkehrsbetrieben zusammenhing. Erstmals untersuchen die beiden Historiker auch die Rolle der Münchner Stadtwerke im »Dritten Reich« und darüber hinaus die große Transformation von der defizitären Kommunalbehörde zum erfolgreichen Infrastrukturdienstleistungskonzern. Die Stadtwerke München schlugen dabei einen eigenen Weg ein, der nicht nur die Unabhängigkeit von den großen Energiekonzernen sicherte, sondern sie auch um zum größten Kommunalversorger Deutschlands werden ließ.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

ISBN 978-3-492-97731-9

Juni 2017

© Piper Verlag GmbH, München 2017

Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, München unter Verwendung eines Fotos der SWM

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.

Einleitung

Die Stadtwerke München sind heute mit fast 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einer der größten deutschen Kommunalversorger. Sie betreiben die Strom-, Gas-, Fernwärme- und Trinkwassernetze der bayerischen Metropole genauso wie den größten Teil des öffentlichen Nahverkehrs in München sowie die zahlreichen Hallen- und Freibäder. Zudem bieten sie Telekommunikationsdienstleistungen an. Ihre Angebote werden von jedem Einwohner und jedem Besucher der Stadt täglich genutzt. Gleichwohl ist über dieses Unternehmen immer noch wenig bekannt. Wer über die zweifellos informativen Internetseiten der Stadtwerke München hinaus Näheres erfahren will, wird fast nur Literatur zu einzelnen Sparten des Geschäfts finden, die zumeist von Mitarbeitern des Unternehmens verfasst wurde.[1] Eine zusammenfassende Übersicht, die anlässlich der Umwandlung der Stadtwerke in eine GmbH 1998 erschienen ist, beschränkt sich weitgehend auf die technischen Anlagen, Dienst- und Versorgungsleistungen.[2] Um zu verstehen, wie die Stadtwerke München wurden, was sie heute sind, und worin die besonderen Merkmale dieses Unternehmens bestehen, bedarf es eines genaueren und breiteren Blicks auf die historischen Wurzeln.

Die Geschäftsführung der Stadtwerke München hat sich daher entschlossen, die Geschichte des Unternehmens von den Vorgängerinstitutionen bis in die jüngste Zeit hinein erforschen zu lassen. Diese Entscheidung fiel, ohne dass ein Jubiläum »drohte«. Von Anfang an stand fest, dass dieses Projekt wissenschaftliche Unabhängigkeit erforderte und nach den Maßstäben der heutigen Unternehmensgeschichte durchzuführen war. Dazu gehört auch, dass dunkle Seiten offen dargelegt und Entscheidungen kritisch hinterfragt werden. Für die Auftraggeber wie für die Autoren war es ein Pionierprojekt, da bisher noch keine derart ausführliche Untersuchung zur Geschichte eines kommunalen Unternehmens durchgeführt worden ist. Die Ergebnisse liegen nun mit diesem Band vor.

Während die gängige Literatur zur Geschichte von Stadtwerken zumeist die Rechtsform und den öffentlichen Auftrag oder die technische Entwicklung in einzelnen Sparten behandelt, steht im Folgenden die Entwicklung des Unternehmens aus einer übergreifenden Perspektive im Vordergrund.[3] Dabei ist vom wichtigsten Merkmal der Geschichte kommunaler Eigengesellschaften auszugehen, dem schrittweisen, aber fast unaufhaltsamen Wandel von einer Behörde der Stadtverwaltung zu einem kommunalen Eigenbetrieb und zu einer Kapitalgesellschaft in kommunalem Eigentum, ja zu einem Konzern, der auch im norwegischen Gasgeschäft engagiert ist und gemeinsam mit Partnern ein Kraftwerk in Spanien betreibt. Vor diesem Hintergrund werden die Veränderungen in Organisation und Aufbau darzustellen sein, aber auch die Spielräume, die Werkleiter bzw. Geschäftsführer hatten, und die Gründe, die jeweils zur Einführung einer neuen Rechtsform führten. Letzteres soll besonders an der gut dokumentierten Umwandlung vom Eigenbetrieb in eine GmbH im Jahr 1998 näher beleuchtet werden.

Weitere Schwerpunkte bilden die Eigentumsform und der Ordnungsrahmen. Anders als etwa in Berlin und Hamburg blieben die kommunalen Versorger in München seit dem Ende des 19. Jahrhunderts stets im Besitz der Stadt. Dabei waren die Gasversorgung und die Straßenbahnen hier von privaten Unternehmen eingeführt worden, und auch später gab es gelegentlich Überlegungen zur Privatisierung einzelner Sparten. Warum setzte sich die Form des kommunalen Betriebs bzw. Unternehmens hier durch, warum hielt die Stadt daran auch in der Privatisierungswelle der 1980er und 90er Jahre fest und wie hat sich dieses Ordnungsmodell in München bewährt? Auch wird zu fragen sein, wie stark die Geschäftsstrategien der Stadtwerke und ihrer Vorgängerbetriebe von dem Status eines kommunalen Unternehmens geprägt wurden. Nach welchen Kriterien wurden geschäftspolitische Entscheidungen getroffen? Wie wirkte sich etwa die Gemeinwohlbindung auf die Preisgestaltung aus? Welche Bedeutung hatte die spezifische, durch das lokale Gebietsmonopol gekennzeichnete Marktposition? Wie war es mit der politischen Einflussnahme bestellt, besonders in der Zeit des Nationalsozialismus?

Damit verbunden ist die Bedeutung der Stadtwerke als dezentraler Versorger. Heute ist dieses Modell in der deutschen Öffentlichkeit so populär wie selten zuvor. Mit Stadtwerken werden Gemeinwohlorientierung und Förderung der Region assoziiert.[4] Energiepolitiker auf nationaler und auch auf Landesebene haben es oft anders gesehen. Sie hielten Stadtwerke wegen des kleinen Versorgungsgebiets für eine unrentable Lösung und setzten auf private Energiekonzerne und andere überregionale Versorger. Mitunter wurden die Stadtwerke auch mit »kommunalem Filz« in Verbindung gebracht. Mit der Liberalisierung des Energiemarkts am Ende der 90er Jahre ist die Diskussion um die Organisationsform der Versorger neu entbrannt, und es entstanden neue Modelle, etwa Zusammenschlüsse zwischen privaten und öffentlichen Versorgern oder Netzwerke aus lokalen und regionalen Stromunternehmen. Auch vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, den Blick stärker als bisher auf die empirischen Erkenntnisse zu richten, die sich aus der Geschichte kommunaler Versorger gewinnen lassen.

Da in dem vorliegenden Buch die Unternehmensperspektive im Vordergrund steht, gliedert sich der Band primär nach Epochen, nicht nach Geschäftssparten, wie dies in Chroniken von Stadtwerken häufig der Fall ist. Die großen Unterschiede zwischen den einzelnen Sparten lassen es freilich nicht zu, auf eine systematische Gliederung ganz zu verzichten. Innerhalb der einzelnen Teile finden sich daher Kapitel und Unterkapitel, die sich auf einen oder auch mehrere der Bereiche Energie, Wasser und Verkehr beziehen. Auch die Bäder werden von Anfang an nach diesem Schema miteinbezogen, obwohl sie erst seit den 1950er Jahren zu den Stadtwerken gehören, da sie sich frühzeitig in städtischem Besitz befanden. Die Telekommunikation kam hingegen in den 1990er Jahren als völlig neue Sparte kommunaler Dienstleistungen hinzu.

Die Geschichte eines Kommunalversorgers ist immer auch Teil der allgemeinen Entwicklung der kommunalen Dienstleistungen und der Daseinsvorsorge. Auch am Beispiel der Stadtwerke München und ihrer Vorgängerbetriebe werden die großen Trends der jeweiligen Zeit deutlich. Es zeigt sich, in welchen Bereichen die kommunale Versorgungswirtschaft entstand und wie sie sich ausweitete. Damit einher gingen tief greifende Veränderungen durch technische Basisinnovationen, die Entstehung neuer Branchen sowie neuer Verkehrs- und Kommunikationsnetze, aber auch der Wandel von Gewohnheiten, Bedürfnissen und Ansprüchen der privaten Haushalte. Die kommunale Versorgung in München begann mit den ersten Ansätzen eines Trinkwassernetzes und einer Straßenbeleuchtung und führte über die Elektrifizierung und den Übergang zu erneuerbaren Energien bis zu den neuesten Kommunikationstechnologien. Es wird zu zeigen sein, wann entscheidende Schübe dieser Art stattfanden, bei welchen die Münchner Stadtwerke bzw. Kommunalbetriebe zu den Vorreitern und bei welchen sie zu den Nachzüglern gehörten, wie sich die Betriebsergebnisse in den einzelnen Sparten entwickelten und wie sich die Strukturen der Stadtwerke mit dem Ausbau der kommunalen Versorgungs- und Dienstleistungen wandelten.

In der Geschichte der Münchner Stadtwerke spiegelt sich zugleich die Geschichte Münchens so stark wider wie bei keinem anderen Unternehmen. Die Struktur der königlichen Haupt- und Residenzstadt mit geringer Industriedichte und hohem Bevölkerungswachstum prägte das Profil der frühen kommunalen Betriebe. Die Stadtwerke hatten am Ausbau der Stadt zur modernen Metropole Anteil, an deren herausgehobener Stellung als »Führerstadt« in der NS-Zeit wie auch an dem beispiellosen Wachstums- und Industrialisierungsschub, den München nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr. Sie hatten Lösungen für die Verkehrs- und Versorgungsprobleme in der wachstumsstärksten Region der Bundesrepublik zu finden und Prognosen über die zukünftige Entwicklung anzustellen. In der Geschichte der Münchner Stadtwerke schlug sich auch die geografische Lage der bayerischen Metropole nieder. Der Wasserreichtum Oberbayerns und die große Entfernung zu Kohlerevieren und Seehäfen prägten die Strategien bei der Energie- wie bei der Wasserversorgung. Vor diesem Hintergrund wird zu fragen sein, inwieweit sich die Entwicklung der kommunalen Versorgungs- und Dienstleistungen in München von der in vergleichbaren Städten unterschied und ob sie einem besonderen, durch lokale Gegebenheiten bedingten Pfad folgte.

Wer sich mit der Geschichte von Stadtwerken beschäftigt, steht vor dem Problem, dass diese weit über die Gründung der Unternehmen zurückreicht und ihre Anfänge nicht leicht zu bestimmen sind. Unternehmen mit der Bezeichnung »Stadtwerke« entstanden erst ab Ende der 1930er Jahre, bedingt durch die Vorgaben des damaligen Kommunalrechts. Die Stadtwerke München wurden am 1. April 1939 durch den Zusammenschluss der Elektrizitätswerke, der Gas- und Wasserwerke und der Verkehrsbetriebe gegründet. Die Grundlagen des städtischen Energieversorgungs- und Nahverkehrssystems waren von diesen Werken aber schon in den vorangegangenen Jahrzehnten als städtische Regiebetriebe gelegt worden. Die neuere Forschung geht denn auch davon aus, dass die Geschichte der Stadtwerke bereits mit der Bildung eines koordinierten Querverbunds zwischen unterschiedlichen kommunalen Versorgungs- und Dienstleistungsbetrieben begann.[5] Für die Stadtwerke München bietet es sich an, den Ausgangspunkt ihrer Geschichte auf den 1. November 1899 zu datieren. An diesem Tag entstanden die beiden ersten städtischen Betriebe für die kommunale Versorgung, die Elektrizitätswerke und die Gasanstalt. Beide unterstanden der Aufsicht durch einen städtischen Verwaltungsausschuss.

Die Stadtwerke München haben den Autoren dieses Bandes uneingeschränkte Einsicht in alle historischen Unterlagen gewährt. In der Zentralregistratur und im Archiv der Geschäftsführung Versorgung und Technik konnten auch neuere, bis in die jüngste Zeit hineinreichende Akten eingesehen werden. Da die Stadtwerke München über kein Unternehmensarchiv verfügen, musste für die früheren Epochen auf Bestände des Stadtarchivs München zurückgegriffen werden.[6] Insgesamt gestaltet sich die Überlieferung für die einzelnen Teile dieses Buchs sehr unterschiedlich. Für die letzten Jahrzehnte lässt sich die Entwicklung des Unternehmens anhand der Unterlagen in den Registraturen und Archiven der Stadtwerke recht genau erfassen. Zusätzlich konnten Zeitzeugeninterviews durchgeführt und Dokumente aus privaten Archiven ausgewertet werden. Für die Jahre 1919 bis 1945 sind die Verwaltungs- bzw. Jahresberichte und die im Stadtarchiv München überlieferten Protokolle des Werkausschusses die wichtigste Quelle. Ergänzend wurden für die Zeit des Nationalsozialismus Spruchkammerakten des Staatsarchivs München herangezogen. Für die frühere Zeit ist die Überlieferung von Akten recht dünn. Die Darstellung stützt sich hier neben den im Stadtarchiv München vorhandenen Beständen auf Veröffentlichungen und ergänzend auch auf Akten der Staatsarchive. Epochenübergreifend konnten die Archivbestände des MVG Museums ausgewertet werden.

Aufgrund der wiederholten Veränderungen in der Organisationsform der städtischen Werke und der Brüche in der Überlieferung des Schriftguts sind die einzelnen Teile dieses Bandes von unterschiedlichem Zuschnitt. Die beiden Teile zu Vorgeschichte und Frühzeit der städtischen Betriebe haben stärker den Charakter einer Überblicksdarstellung. Die Kapitel über die Zeit des »Dritten Reichs« enthalten dann eine dichtere Darstellung, gestützt auf die Protokolle des Werkausschusses, die Geschäftsberichte und die Werkbestände des Stadtarchivs. Für die Nachkriegszeit wird die Geschäftsentwicklung auf der Grundlage von Unterlagen des Unternehmens zunehmend genauer beschrieben. Auch Entscheidungen der Geschäftsführung und unternehmensinterne Planungen können nun stärker verdeutlicht werden als für die früheren Jahrzehnte. Für die letzten 25 Jahre stützt sich die Darstellung zusätzlich zu den schriftlichen Quellen auf die durchgeführten Zeitzeugeninterviews.

Die Autoren danken dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Stadtwerke München GmbH, Dr. Florian Bieberbach, und Andreas Brunner, dem Leiter Marketing und Kommunikation, als den Initiatoren und Mentoren dieses Buchprojekts. Veronika Kübrich hat das Projekt über die gesamte Laufzeit hinweg engagiert und kompetent betreut. Ein besonderer Dank gilt der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte und deren Geschäftsführerin Dr. Andrea H. Schneider-Braunberger für die zuverlässige Koordination sowie ihren beiden Mitarbeitern Michael Bermejo-Wenzel und Tanja Roos für die Unterstützung des Manuskripts. Für die Bereitstellung von Unterlagen aus dem Bereich Geschäftsführung Versorgung und Technik und dem Büro der Geschäftsführung gebührt unser Dank Gabriele Meixner und Michael Schimpf. Irene Mandl und Bernhard Thiem von der GFVT-BG Dokumentensammelstelle des Archivs Geschäftsführung Versorgung und Technik wie auch Klaus Onnich vom MVG Museum verdanken wir wertvolle Hinweise. Mathias Irlinger hat die Recherchen für dieses Buch unterstützt und Teile des Manuskripts durchgesehen. Herzlicher Dank gilt auch den befragten Zeitzeugen für ihre Bereitschaft, offen und vorbehaltlos Auskünfte zu erteilen.

I. Frühe Versorgungssysteme

VON JOHANNES BÄHR

1. Am Anfang waren die Wasserbriefe

Erste Versorgungsleistungen erhielten die Bürger Münchens von ihrer Stadt bereits im Mittelalter, damals ging es um die Nutzung einer natürlichen Ressource, mit der München reich ausgestattet war: das Wasser. Der hohe Grundwasserpegel ermöglichte es schon im Mittelalter, Grund- und Quellwasser durch eine wachsende Zahl öffentlicher Ziehbrunnen für die Trinkwasserversorgung zu nutzen. Diese Brunnen wurden von der Stadt oder auch von Genossenschaften der Anwohner errichtet. Der prächtigste von ihnen, der Brunnen auf der Schranne, dem heutigen Marienplatz, wurde schon im 15. Jahrhundert über eine hölzerne Fernleitung mit Quellwasser aus Thalkirchen gespeist.[1] Durch die Stadtbäche – natürliche Seitenarme der Isar mit künstlich geschaffenen Abzweigungen – verfügte die Residenzstadt über zahlreiche öffentliche Gewässer, die als Energiequelle genutzt wurden und der Abfallentsorgung dienten. Von den ehemals mehr als 50 Stadtbächen treten heute nur noch wenige in Erscheinung, wie der Eisbach im Englischen Garten und der erst im 19. Jahrhundert eingemeindete Auer Mühlbach.[2]

Im 16. Jahrhundert begann die Stadt München, Brunnhäuser an den Stadtbächen zu errichten, die deren Wasserkraft nutzten. Mit Wasserrädern hochgepumptes Quell- und Grundwasser wurde hier zur Trinkwasserversorgung in Behältern gesammelt und über Leitungen an öffentliche Brunnen weitergegeben. Da sich diese Brunnhäuser auf städtischen Grundstücken befanden, gehörte das dort hochgepumpte Wasser der Stadt, während die Rechte an der Nutzung der Stadtbäche als öffentliche Flüsse beim Landesherrn lagen. Es handelte sich also um das erste kommunale Versorgungssystem Münchens. Die Stadt begann 1511 mit dem Bau des ersten Brunnhauses, das sich am »Isarberg« unterhalb des heutigen Gasteig, zwischen den damaligen Gemeinden Au und Haidhausen, befand. Technisch orientierte man sich dabei an Vorbildern in den Reichsstädten Augsburg und Nürnberg.[3] 1554 kam ein zweites Brunnhaus hinzu, am Stadtgrabenbach nördlich des Neuhauser Tors, weitere folgten später am Katzenbach, am Glockenbach und am Westermühlbach.[4]

Nach Errichtung des zweiten Brunnhauses verfügte die Stadt München über mehr Wasser, als für die öffentlichen Brunnen benötigt wurde. Nun konnten auch Gewerbebetriebe und Privathaushalte aus den Brunnhäusern mit Trinkwasser versorgt werden. Anders als bei den öffentlichen Brunnen, die von allen Einwohnern Münchens frei benutzt werden durften, wurde dieses Wasser auch verkauft. Die Stadt führte im Jahr 1555 sogenannte Wasserbriefe ein. Mit dem Kauf eines Wasserbriefs konnten Haus- und Grundstückseigentümer gegen eine einmalige Zahlung von 100 Gulden das Recht erwerben, für alle Zeiten Wasser in einer Menge von 2,138 Liter pro Minute zu beziehen (»Ewigsteften«). Später stieg der Preis auf 200 Gulden.[5]

Abb. 1 Stadtansicht mit Auer Tor und Brunnhaus am Isarberg; Gemälde von Bernardo Bellotto (»Canaletto«), 1761.

Die Wasserbriefe waren die erste wirtschaftliche Betätigung der Stadt München auf dem Gebiet der kommunalen Versorgung. Von einem flächendeckenden System konnte freilich nicht die Rede sein. Nur ein geringer Teil der Bürger war in der Lage, einen Wasserbrief zu kaufen; das Gros der Bevölkerung blieb auf öffentliche und private Brunnen angewiesen. Bei den Inhabern der Wasserbriefe handelte es sich zumeist um Hauseigentümer und Gewerbetreibende, die Wasser bezogen, um private Laufbrunnen zu betreiben. Wegen des in den Wasserbriefen verbürgten »ewigen« Bezugsrechts – einige »Ewigsteften« gelten auch heute noch – erwies sich diese Praxis für die Stadt langfristig als ein schlechtes Geschäft. Gleichwohl blieb sie mehr als 200 Jahre lang bestehen. Erst 1791 wurden die Wasserbriefe durch eine jährliche Verpachtung des Wassers, den »Wasserzins«, ersetzt.[6]

Die Stadt bekam auf diesem Gebiet schon frühzeitig Konkurrenz durch den Landesherrn, der eigene Brunnhäuser errichten ließ. Unter Herzog Albrecht V. entstand 1561 am Lilienberg das erste Hofbrunnhaus. Ein zweites wurde ein Jahr später am Hofgarten vor dem Schwabinger Tor in Betrieb genommen. Weitere Hofbrunnhäuser kamen später hinzu, unter anderem in der Au und im Brunnthal bei Haidhausen. Diese Brunnhäuser dienten zunächst der Versorgung der Residenz, ihrer Brunnen und Parks. Als die Kapazität den Bedarf des Hofs überstieg, ging man auch hier dazu über, Wasser an die Bürger der Stadt zu verkaufen. Die Hofbrunnhäuser bildeten ein zweites innerstädtisches Bewässerungssystem, das dem Landesherrn gehörte und mit dem städtischen konkurrierte.[7] Vorübergehend liefen die Hofbrunnhäuser sogar den Stadtbrunnhäusern den Rang ab. Nach der 1813 von Christian Müller verfassten Chronik der Entwicklung Münchens unter dem ersten bayerischen König Maximilian I. Joseph konkurrierten zu dieser Zeit in München neun Brunnhäuser des Hofs mit fünf städtischen Brunnhäusern.[8]

Die im 16. Jahrhundert errichteten Trinkwasserversorgungsanlagen der Stadt und des Hofs blieben mit kleineren Veränderungen bis ins 19. Jahrhundert hinein bestehen. Nun entsprachen sie längst nicht mehr dem Stand der Technik; die Brunnhäuser galten als überholt, die Leitungen waren dem Bedarf einer königlichen Residenzstadt mit 40.000 Einwohnern nicht mehr gewachsen. Auch führte das Nebeneinander der Versorgungssysteme von Stadt und Hof zu vielen Problemen. Doch alle Versuche, die Stadt- und Hofbrunnhäuser zusammenzuführen, erwiesen sich als vergeblich. Der Ingenieur und Hofbrunnwesensdirektor Joseph von Baader stellte am Ende des 18. Jahrhunderts resignierend fest, dass sich in München die Trinkwasserversorgung trotz der reichen natürlichen Ausstattung mit dieser Ressource in einem so schlechten Zustand befinde wie in keiner anderen deutschen Stadt.[9] Die Wassertechnik wurde inzwischen vor allem an den Höfen weiterentwickelt – von Baader konstruierte im Nymphenburger Schlosspark die wasserreichste Fontäne Europas –, während die städtischen Versorgungssysteme verfielen. Obwohl München dringend einer neuen, zeitgemäßen Trinkwasserversorgung bedurfte, geschah auf diesem Gebiet auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht viel. Lediglich die Errichtung eines neuen, vergleichsweise modernen Brunnhauses, des 1837 in Betrieb genommenen Muffatbrunnhauses auf der Kalkofeninsel neben der Ludwigsbrücke, brachte einen gewissen Fortschritt. Benannt wurde dieses Brunnhaus am Auer Mühlbach sowohl nach seinem Architekten, dem langjährigen Stadtbaurat Franz Karl Muffat, als auch nach dessen Bruder, dem Historiker Karl August Muffat. Nach der 1854 erfolgten Eingemeindung der Au bestanden in München sechs Stadtbrunnhäuser und sechs Hofbrunnwerke, die zusammen 33 Mio. Liter pro Tag liefern konnten. Rund 74 Prozent dieser Leistung entfielen auf die städtischen Brunnhäuser.[10]

Besonders litt die Stadt darunter, dass man damals noch keine systematische Abwasserreinigung kannte. Abwässer und Abfälle aller Art wurden in die Stadtbäche entsorgt. Da die Brunnhäuser bei Wassermangel auch Bachwasser in die Leitungen pumpten, gelangten Verunreinigungen aus den Bächen in das Trinkwasser.[11] Viele der rund 1.200 Brunnen, von denen sich die meisten in kommunalem Besitz befanden, verschmutzten. Ein Seuchenherd war vor allem das mittelalterliche System der »Abtrittgruben« (Abortgruben), das nach wie vor bestand. Aus den Abtrittgruben gelangten Fäkalien in das Grundwasser, das von den Brunnhäusern als Trinkwasser genutzt wurde.[12] Verschmutztes Trinkwasser war ein generelles Problem der damaligen Städte. In München stellte es sich wegen der großen Zahl der Stadtbäche, die von der Trinkwasserversorgung nicht strikt getrennt waren, besonders drastisch dar. Die in der Regierungszeit König Ludwigs I. (1825 bis 1848) glanzvoll ausgebaute Residenzstadt war im In- und Ausland für schlechte hygienische Verhältnisse bekannt.

Auch das Reinlichkeitsbedürfnis der Münchner war damals noch nicht besonders ausgeprägt. Mitte des 19. Jahrhunderts gewann der Bezirksarzt Martell Frank den Eindruck, das Baden sei dem Münchner »zu unbequem« und würde nicht mit der Gesundheit in Verbindung gebracht: »Sein ganzes Leben hat er nicht gebadet, oder nicht oft und ist doch immer gesund geblieben!«[13] Die aufkommende medizinische Hygienebewegung und die zunehmende Wertschätzung der Reinlichkeit im Bürgertum machten sich freilich auch in der bayerischen Haupt- und Residenzstadt bemerkbar. 1782 wurde hier am Glockenbach ein »Gesundheitsbad« eröffnet. Um 1800 bestanden in München bereits drei private Badeanstalten mit Badewannen, Badekabinen und Badehütten, die ihr Wasser aus den Stadtbächen bezogen.[14] Wenige Jahre später kam das Dianabad am Englischen Garten hinzu, das auch mit einem Wellenbad ausgestattet war. 1837 hatten die Münchner bereits die Auswahl zwischen neun Bädern in ihrer Stadt.[15] Natürlich wurde auch in der Isar gebadet, doch kam dies wegen der Temperatur des Wassers praktisch nur im Sommer und für abgehärtete Naturen oder übermütige Jugendliche in Betracht. Schwimmen konnte damals nur ein geringer Teil der Bevölkerung.

Als die von England ausgehende Gesundheitsbewegung das Baden an Stränden, Seen und Flüssen zu einem Teil der bürgerlichen Hygienekultur werden ließ,[16] errichtete die Stadt München 1847 ein erstes Freibad. Dieses in einem parkähnlichen Gelände mit großem Baumbestand gelegene Bad an der Schyrenstraße in Untergiesing, das später den Namen Schyrenbad erhielt, ist auch heute noch ein beliebtes Freibad. Damals bezog das Schyrenbad Isarwasser aus einer Abzweigung des Auer Mühlbachs. Den Sitten dieser Zeit entsprechend, entstand es als reines Männerbad mit getrennten Badebecken für Männer und Knaben. Gebühren wurden zunächst nur für die Benutzung der Umkleidekabinen erhoben.[17] Für Frauen wurde erst 1877 in den Isarauen am Flaucher ein städtisches Freibad errichtet.[18] Experten waren lange Zeit der Ansicht, dass sich das kalte Isarwasser nicht für das »zarte Frauengeschlecht« eignen würde.[19] Bis aus dem Schyrenbad ein Familienbad wurde, sollten fast 100 Jahre vergehen.[20]

2. »Noch ziemlich finster«: Die erste Straßenbeleuchtung

Als die bayerischen Kurfürsten bereits glanzvolle Schlösser in Nymphenburg und Schleißheim bauen ließen, war es auf den Straßen ihrer Residenzstadt nachts immer noch stockdunkel. In Paris, Berlin und Wien gab es zu dieser Zeit bereits einige Straßen, die von Laternen mit Talglichtern oder Öllampen beleuchtet wurden. Auch wenn es sich nur um ein schummriges Licht handelte, sahen viele Zeitgenossen darin eine Revolution. Die Bürger der großen Städte waren bisher bei Nacht zu Hause geblieben, die finsteren Straßen galten als gefährlich, als Tummelplatz von Dieben und Mördern. Im Schutz der Laternen konnte man nun hingegen ausgehen. In München waren um 1700 einige Bürger dazu übergegangen, Beleuchtungen an den Fassaden ihrer Häuser zu installieren. Sie verwendeten dafür sogenannte Pechpfannen – an Stangen befestigte Körbe aus Gusseisen –, die mit Talg aus Schlachtabfällen (»Unschlitt«) gefüllt waren.[21] Unschlitt kostete weniger als Öl, lieferte aber auch weniger helles Licht. Es brannte wie Wachs und hinterließ einen starken, ranzigen Geruch. 1705 wurden 40 derartige Pechpfannen in der Stadt gezählt.[22]

Unter dem Kurfürsten Karl Albrecht, der 1726 die Nachfolge seines Vaters Maximilian II. Emanuel antrat, begann sich der Hof mit der Straßenbeleuchtung in der Hauptstadt zu beschäftigen. Der Geheime Rat, das wichtigste Gremium der Regierungszentrale, genehmigte am 7. November 1729 eine Laternenprobe mit Unschlitt-Talg. Ein Kammerdiener, Karl Hölzl, wurde damals zum Beauftragten für Beleuchtungsfragen ernannt. Mitunter gilt dieses Datum als Beginn der Straßenbeleuchtung in München.[23] Den offiziellen Gründungsakt bildete freilich ein Erlass des Kurfürsten Karl Albrecht vom 18. Juni 1731, in dem die Errichtung eines »Illuminationsamts« verfügt wurde. Innerhalb eines Jahres lösten daraufhin über 600 Unschlitt-Laternen die wenigen Pechpfannen ab.[24]

Dass die Einführung der Straßenbeleuchtung vom Landesherrn angeordnet wurde, war nicht ungewöhnlich. Auch Paris und Berlin hatten diesen Fortschritt den jeweiligen Herrschern zu verdanken, während die Freie Reichsstadt Frankfurt am Main erst 40 Jahre nach der Residenzstadt München eine Straßenbeleuchtung erhielt.[25] Den Landesherrn ging es dabei weniger um Repräsentation als um die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Auch der Erlass des Kurfürsten Karl Albrecht vom 18. Juni 1731 begründete die Einführung der Straßenbeleuchtung mit der Erwartung, dass durch das Laternenlicht »nicht nur viel Sünd und Laster, dann andere Ungelegenheiten verhindert, sondern auch die auf den Bettel und anderen Frevel vagierenden Personen, dann anderes liederliches Gesindel abgehalten werden könnte«.[26] Für den Kurfürsten waren die Verhältnisse in seiner Residenzstadt auch eine Prestige- und Legitimitätsfrage. Da er aufgrund seiner Ehe mit einer Nichte Kaiser Karls VI. Ambitionen auf die Kaiserwürde hatte, sollte München nicht hinter Wien zurückstehen. Trotz erdrückender Staatsverschuldung unterhielt er einen Hof, der sich mit dem Kaiserhof in Wien messen konnte.[27] Die kaiserliche Residenzstadt verfügte schon länger über eine viel bewunderte Straßenbeleuchtung aus Talglampen. In der Zeit Karl Albrechts galt Wien als »auf das herrlichste beleuchtet«.[28] Bei den Münchner Hausbesitzern hielt sich die Begeisterung über die Einführung der Straßenbeleuchtung in Grenzen. Sie mussten die Kosten für das Aufstellen der Laternen zahlen und wurden von dem hoch verschuldeten Kurfürsten mit einer Laternensteuer belegt.[29] Als Grundlage für die Erhebung dieser Steuer wurden im Juli 1732 zwölf Tage lang sämtliche Häuser der Stadt vermessen.[30]

Das mit dem Erlass vom 18. Juni 1731 begründete »Churfürstliche Stadt-Illuminationsamt« (später »Hof- und Stadtbeleuchtungsamt«) war eine Behörde des Hofs, die von einem oder zwei »Illuminations-Kommissaren« geleitet wurde. An der Spitze stand bis 1799 der »Hof-Oberrichter und Gerichtsherr ob der Au«, der die oberste Polizeibehörde mit fast unbeschränkten Vollmachten war.[31] Wie sich aus den Hof- und Staatshandbüchern dieser Zeit ergibt, waren die Hof-Oberrichter Franz Carl Baron von Widtmann (1757, 1765), Joseph Freiherr von Widnmann (1781) und Benno Ignaz von Hofstetten (1782 – 1799) Leiter des Beleuchtungsamts. Hinzu kam meist noch ein Hofkammerrat (Franz Dufréne, 1765), Johann Andreas Löß(e)l (1783, 1785).[32] Für die Geschäftsführung war ein Inspektor zuständig. Dieses Amt hatte ab 1782 Hofrat Dominicus von Schwaiger, ein Mitglied des in Bayern wenige Jahre später verbotenen Illuminatenordens, inne. Er wurde im Jahr 1800 Leiter der Behörde und blieb dies 18 Jahre lang. Von seinem Landsitz »Wiesenfeld« an der Straße nach Dachau leitet sich der Name des späteren Oberwiesenfelds ab.[33]

Das Beleuchtungsamt hatte nicht nur das Aufstellen der Laternen und das Eintreiben der Laternensteuer zu bewerkstelligen. Es war auch für das Anzünden und das Auffüllen der Laternen zuständig. Das Auffüllen mit Unschlitt fand in der Behörde statt, was mit einem beträchtlichen Gestank verbunden gewesen sein muss.[34] 1757 arbeiteten im Beleuchtungsamt unter der Leitung von zwei Kommissaren 35 Lampenanzünder, drei Lampenfüller, zwei Illuminationsschreiber, ein Illuminationsinspektor, ein Corporal und ein Rottmeister. Die Zahl der Mitarbeiter lag in den folgenden Jahrzehnten bemerkenswert konstant zwischen 41 und 46, wobei stets die meisten als Lampenanzünder beschäftigt waren.[35] Am Ende des 18. Jahrhunderts standen an den Hauptstraßen Münchens in einem Abstand von 28 Metern Laternen, in den Nebenstraßen in einem Abstand von 40 Metern.[36] Sie wurden in hellen Vollmondnächten nicht angezündet. Um die Lampenanzünder, die über eigene Anzündungsleitern verfügten, ranken sich viele Geschichten. Häufig sollen die Leitern von jungen Burschen entwendet und zum Einsteigen in Häuser – wohl zum brauchtümlichen »Fensterln« – benutzt worden sein.[37] Die Qualität dieser ersten Münchner Straßenbeleuchtung wird in zeitgenössischen Berichten durchweg gerühmt, wenn auch nur in Bezug auf die Innenstadt. Als der Magistrat von Heidelberg 1793 Beleuchtungen in verschiedenen Städten besichtigte, schnitt München am besten ab.[38] Drei Jahre später bescheinigte Joseph Burgholzer in seiner Stadtgeschichte von München dem Beleuchtungsamt, dass es »sowohl zur Sicherheit, als auch zur Zierde der Stadt gereicht«.[39] Anders verhielt es sich mit der Straßenbeleuchtung in den Vorstädten. Im Juli 1799 beschwerten sich 36 Münchner Bürger beim Magistrat unter Berufung »auf die allgemeine Klage des Publikums«, wonach »jene Gässen weggerechnet, wo ein hoher Adel wohnt, in den übrigen beinahe gar keine oder eine äußerst sparsame und kurze Beleuchtung herrscht«.[40] Daran änderte sich auch in den folgenden Jahren nichts, wie die bereits erwähnte Chronik Christian Müllers aus dem Jahr 1813 belegt. Über die Straßenbeleuchtung der Residenzstadt schrieb Müller: »Nicht so gut wie die Bremer und die Stuttgarder (sic), welche ich für die ersten des Kontinents halte, ist sie doch besser als die dresdener und wiener. Die Beleuchtung der Vorstädte ist aber ärmlich und der baierischen Königstadt unwürdig.«[41] Im folgenden Jahr trat die mittlerweile Königliche Beleuchtungs-Inspektion solchen Vorwürfen mit der Erklärung entgegen, dass die Hausbesitzer der Vorstädte sich die Straßenbeleuchtung gar nicht leisten könnten.[42] Die Sätze der Laternensteuer lagen hier wegen der weniger dichten Bebauung höher als in der Altstadt. Als Beweis veröffentlichte die Polizeibehörde eine nach Straßen und Hausnummern untergliederte Aufstellung, aus der hervorging, dass sich die Außenstände bei der Straßenbeleuchtung in den Vorstädten auf mehr als 20 Prozent der Einnahmen beliefen.[43]

An einem Ausbau der Straßenbeleuchtung zur Versorgung weiterer Stadtteile hatte der Hof offensichtlich kein Interesse, weil er nicht rentabel gewesen wäre. Für die Staatskasse war schon der Betrieb der vorhandenen Laternen eine Belastung. Die Ausgaben lagen stets höher als die Einnahmen. 1805 versuchte man dies durch eine Erhöhung der Laternensteuer zu ändern, doch das Beleuchtungsamt arbeitete auch weiterhin mit Verlust.[44] Der Hof hätte die defizitäre Behörde inzwischen gern dem Magistrat überlassen. Wie aus einem Schreiben des Beleuchtungsinspektors Dominicus von Schwaiger hervorgeht, war ein derartiger Beschluss schon 1785 gefasst worden, doch wurden sich beide Seiten nicht über die Bedingungen einig.[45] Die stark überschuldete Stadt München hatte sich vier Jahre vor diesem Beschluss für zahlungsunfähig erklärt, weil der Landesherr ihr eine wichtige Einnahmequelle, den städtischen Bierpfennig, gestrichen hatte. Die heftigen Konflikte mit dem Magistrat veranlassten den Kurfürsten im Oktober 1788, seine Residenz vorübergehend nach Mannheim zu verlegen.[46]

Die Übergabe des Beleuchtungsamts an die Stadt München kam erst durch die Reformen nach den Napoleonischen Kriegen zustande. Das Bayerische Gemeindeedikt vom 17. Mai 1818 stellte damals das Verhältnis zwischen den Städten und der Zentralgewalt des jungen Königreichs auf eine neue Grundlage. Die Kommunen erhielten wieder eine gewisse Autonomie; dazu gehörten das Recht zur Verwaltung eines eigenen Vermögens und die Zuständigkeit für Versorgungsleistungen wie die Straßenbeleuchtung. Allerdings blieben die Städte unter strenger Aufsicht (»Kuratel«) des Staates, was sich für München als besonders folgenschwer erweisen sollte. Die neue Magistratsverfassung sah zwei städtische Gremien vor: den Magistrat unter Leitung des Ersten Bürgermeisters und ein Kollegium der Gemeindebevollmächtigten, das den Magistrat und die Bürgermeister wählte. Das Kollegium der Gemeindebevollmächtigten wurde wiederum von den Bürgern der Stadt nach Zensuswahlrecht gewählt. Da das Bürgerrecht an den Besitz eines Hauses oder das Betreiben eines Gewerbes gebunden war, konnten sich nur etwa fünf Prozent der Münchner Bevölkerung an den Gemeindewahlen beteiligen.[47]

Das Gemeindeedikt von 1818 eröffnete dem Magistrat die Möglichkeit, stärker als bisher eine eigene Kommunalpolitik zu betreiben. Das galt besonders für den Bereich der kommunalen Versorgung, für den nun ausschließlich die städtischen Gremien zuständig waren. Am 15. Dezember 1818, wenige Wochen nach der Amtseinführung des neu gewählten Magistrats, wurden das Beleuchtungsamt und seine Mitarbeiter von der Stadt München übernommen.[48] Die Kommunalisierung dieser Behörde kam die Stadt freilich teuer zu stehen, da ihr auch die Schulden des Beleuchtungsamts in Höhe von 24.423 Gulden und 52 ½ Kreuzer übertragen wurden.[49] An den Magistrat richteten sich nun hohe Erwartungen. Viele Bürger glaubten, dass die Straßenbeleuchtung von der Stadt erfolgreicher betrieben werden könnte als vom Hof und dass ihre Interessen dabei stärker berücksichtigt würden. Wie der Erste Bürgermeister Jakob von Bauer später rückblickend schrieb, erwarteten die Münchner damals »die Gesundung des 1732 krank geborenen Kindes, dessen Zustand durch so viele von Hof-Kammerräthen, Oberlandesgerichts-Direktionsräthen, Oberpolizei-Direktoren, Oberhof- und Stadtrichtern, Illuminations-Kommissären und Beleuchtungs-Inspektoren gehaltene Consilien nicht gebessert werden konnte«.[50] Der Magistrat hatte dafür jedoch weder ein Rezept noch das erforderliche Geld. Da die Straßenbeleuchtung nur begrenzt aus den kargen Mitteln der Stadt bezuschusst werden konnte, musste die Beleuchtungssteuer erhöht werden. Dadurch war es möglich, die vorhandenen Laternen ohne weitere Verschuldung zu betreiben und die Straßenbeleuchtung zu erweitern. Der königlich bayerische Baurat Anton Baumgartner lobte die Stadtväter dafür in seiner 1823 veröffentlichten Schilderung der damaligen Oktoberfeste: »Die Strassenbeleuchtung bey der Nacht, welche der Magistrat nunmehro in der Maximilians- und Ludwigs-Vorstadt lobenswürdig vollendet hat, wird denjenigen, welche Abends nach Hause kehren, die erforderliche Sicherheit gewähren.«[51] In den meisten Straßen der Vorstädte blieb es nach Sonnenuntergang aber weiterhin dunkel. Insgesamt konnten auch mit der höheren Beleuchtungssteuer nicht mehr als 717 Laternen betrieben werden, von denen sich nur 30 in der »neuen Stadt« befanden, während der Schrannenplatz (Marienplatz) allein von 35 Lampen beleuchtet wurde.[52] Als die Regierung im Herbst 1826 vom Magistrat forderte, die Straßenbeleuchtung zu verpachten, wehrten sich die Gemeindegremien dagegen. Unbedingt wollten der Magistrat und die Gemeindebevollmächtigten die Straßenbeleuchtung in kommunaler Regie belassen.[53] Dabei ging es wohl auch um die Verteidigung der Zuständigkeiten, die der Stadt durch die Gemeindeordnung von 1818 übertragen worden waren.

Abb. 2 Bescheinigung über Zahlung für eine Illuminationsanlage, 1760.

Anfang der 1830er Jahre wollten sich die Münchner Bürger immer weniger mit dem nächtlichen »Dämmerschein« in ihrer Stadt abfinden.[54] In London und Berlin war inzwischen das sehr viel hellere Gaslicht als Straßenbeleuchtung eingeführt worden. Der Magistrat beschloss, dem Unmut in der Bürgerschaft durch einen Ausbau der Beleuchtung in den Vorstädten unter Beibehaltung der Unschlitt-Laternen zu begegnen. Die Zahl der Laternen stieg auf 1.211. Zur Finanzierung dieses Programms wurde die Beleuchtungssteuer nochmals erhöht, doch wieder ging das Kalkül der Stadtväter nicht auf. Da die Preise für Unschlitt stiegen und die Stadt schneller wuchs, als man angenommen hatte, erwirtschaftete das Beleuchtungsamt erneut ein Defizit.[55] Zwischenzeitlich wurde erwogen, Öllampen einzuführen, wie sie in den meisten Städten, auch in Nürnberg, für die Straßenbeleuchtung genutzt wurden. Mit Rapsöl ließ sich ein helleres Licht erzielen als mit Unschlitt, doch die Kosten pro Laterne lagen fast doppelt so hoch. Der Magistrat nahm daher von diesem Plan wieder Abstand.[56]

1838 wurde der damals 51jährige Jurist Jakob Bauer (seit 1852: von Bauer) zum Ersten Bürgermeister gewählt. Bauer kam aus der bayerischen Staatsverwaltung, vertrat nun aber energisch die kommunalen Interessen gegenüber der Regierung. Die hohe Verschuldung der Stadt ließ ihm allerdings wenig Spielraum. Der Münchner Haushalt war ein Sanierungsfall, die effektiven Schulden hatten 1838 einen Stand von rund 2,64 Mio. Gulden erreicht. Die Aufsichtsbehörde, die Regierung von Oberbayern, hatte daraufhin eine Schuldenobergrenze verordnet und die Stadt angehalten, einen Tilgungsplan zu erstellen.[57] Jakob von Bauer musste in den folgenden Jahren trotz steigender Einnahmen dem Diktat des Tilgungsplans folgen. Der Magistrat hatte keine andere Wahl, ihm waren die Hände gebunden, da die Gemeindeordnung von 1818 weitreichende Eingriffe der Aufsichtsbehörde in die kommunale Selbstverwaltung zuließ. Bauer wollte sich nicht damit abfinden, dass die Stadt von der Regierung gegängelt wurde und die alleinige Verantwortung für die hohen Schulden zugeschoben bekam. Er reagierte darauf mit einem bürgerlichen Selbstbewusstsein, das vor ihm noch kein Münchner Bürgermeister an den Tag gelegt hatte.[58] In seiner 1845 veröffentlichten Schrift Grundzüge der Verfassung und Vermögens-Verwaltung der Stadtgemeinde München – die mehr ein großer Rechenschaftsbericht war – machte er den bayerischen Staat für die Verschuldung der Stadt verantwortlich. Mit großer Genauigkeit deckte Bauer auf, welche Belastungen der Stadtkasse durch Eingriffe des Staats entstanden waren. Dass er bei König Ludwig I., der sich als Mäzen der Residenzstadt verstand, mit dieser Abrechnung in Ungnade fiel, nahm der Bürgermeister in Kauf.[59] Ludwig I. ließ München durch seine Hofarchitekten Leo von Klenze und Friedrich von Gärtner klassizistisch ausgestalten. Auf vielen Gebieten setzte er jedoch rigorose Einsparungen durch, da das Königreich Bayern unter seinem Vater Maximilian I. Joseph mit einer Verschuldung von 116 Mio. Gulden an den Rand des Staatsbankrotts geraten war.[60] Die Stadt München musste während der Regierungszeit Ludwigs I. immer wieder teure Vorhaben finanzieren, die in den Aufgabenbereich des Staats fielen. Der Wiederaufbau des abgebrannten Nationaltheaters mit Kosten in Höhe von 958.356 Gulden, der ähnlich teure Bau der Ludwigskirche und Subventionen für die Münchner Brauereien nach dem Bierkrawall von 1845 waren nur einige der Beispiele, auf die sich Bauer berief.[61] Der Rechenschaftsbericht des Bürgermeisters zeigte, dass sich der Magistrat gegen diese Verhältnisse zu wehren begann. Die bayerischen Städte drängten auf eine stärkere Autonomie gegenüber dem Staat. Bis sie sich damit durchsetzen konnten, sollten jedoch noch mehr als zwei Jahrzehnte vergehen.

Jakob von Bauer verfasste seinen großen Rechenschaftsbericht fast drei Jahrzehnte nach der Kommunalisierung des Beleuchtungsamts. Die Verhältnisse bei der Straßenbeleuchtung hatten sich damals immer noch nicht grundlegend gebessert. Bauer beklagte, in München sei es »zuweilen noch ziemlich finster«, und stellte der »Stadt-Beleuchtungs-Anstalt« ein vernichtendes Zeugnis aus: »Die Beleuchtung der Stadt München wird gegenwärtig als ein kranker Theil der Verwaltung angesehen.«[62] Um die vom Beleuchtungsamt in den Jahren 1818 bis 1843 erwirtschafteten Defizite auszugleichen, hatte die hoch verschuldete Stadt Zuschüsse in Höhe von insgesamt 60.812 Gulden leisten müssen.[63]

München hatte beim Ausbau der städtischen Infrastruktur den Anschluss an die technische Entwicklung verloren. Obwohl sich die Einwohnerzahl zwischen 1810 und 1840 mehr als verdoppelt hatte und sich unaufhaltsam der Grenze von 100.000 näherte, basierte die Trinkwasserversorgung nach wie vor auf einem System aus dem 16. Jahrhundert und die Straßenbeleuchtung auf einer Technik aus dem 18. Jahrhundert. Dieser Rückstand war zu einem großen Teil der angespannten Finanzlage geschuldet, doch gab es noch weitere Gründe. Das lange Ringen um die Einführung einer leistungsfähigeren Straßenbeleuchtung mit Gaslicht zeigt, dass auch Standortnachteile, Besitzstandsinteressen und die vergleichsweise geringe Wirtschaftskraft der Residenzstadt die Entwicklung behinderten.

3. Der späte Übergang zur Gasbeleuchtung

In der Beleuchtungstechnik begann ein neues Zeitalter, als es britischen Ingenieuren Anfang des 19. Jahrhunderts erstmals gelang, Lampen mit aus Steinkohle gewonnenem Gas zu betreiben. Schon 1814 wurde in London die Westminster Bridge auf diese Weise illuminiert, ein Jahr später konnten auch einige Straßenzüge mit der neuen Technik beleuchtet werden. Das Gaslicht übertraf an Helligkeit alle bisherigen Lichtquellen bei Weitem. Als »clear, bright, and colourless« bejubelte die britische Presse die neuen, dochtfreien Flammen.[64] Rasch entstanden in England Unternehmen, die den Städten anboten, brennbares Gas zu liefern, Gaswerke zu bauen und Straßenbeleuchtungen mit Gas zu betreiben. Schon wenige Jahre später expandierten britische Gasgesellschaften auf den Kontinent, allen voran die eigens dafür gegründete Imperial Continental Gas Association. Diese Gesellschaft konnte 1825 einen langfristigen Konzessionsvertrag mit der Stadt Hannover abschließen und 1826 einen derartigen Vertrag für Berlin. Später versorgte die Imperial Continental Gas Association auch Aachen, Köln und Frankfurt am Main sowie Städte in Österreich, Belgien, den Niederlanden und Frankreich.[65] Für die Kommunen hatten die Gasverträge mit der britischen Gesellschaft den Vorteil, dass sie keine teuren Investitionen tätigen mussten, um eine Gasbeleuchtung zu erhalten, und auch nicht die Risiken dieses Geschäfts zu tragen hatten. Dafür mussten sie der Imperial Continental Gas Association allerdings ein Monopol auf die Straßenbeleuchtung in dem jeweiligen Versorgungsgebiet einräumen.

In München wurde diese Entwicklung aufmerksam verfolgt. Der bereits erwähnte Ingenieur und Oberbergrat Joseph von Baader sah sich 1815 auf einer technischen Erkundungsreise in London die Gasbeleuchtungsanstalt in der Great Peter Street an. Stark beeindruckt ließ er nach seiner Rückkehr in Nymphenburg eine mit Miesbacher Steinkohle betriebene Beleuchtungsanlage bauen.[66] Es fehlte nicht an weiteren Projekten. Pläne zur Beleuchtung der Residenz und des Gasthofs am Stachusgarten wurden entworfen. Der Ingenieur Rudolf Sigismund Blochmann, der später in Dresden als erster deutscher Fachmann ein Gaswerk errichtete, plante Gasbeleuchtungen für ein Münchner Theater und für die Maffei’sche Tabakfabrik im Lehel.[67] Für eine Realisierung dieser Pläne fand sich jedoch kein Auftraggeber. Die Gasbeleuchtung galt wegen der Explosionsgefahr noch als zu riskant und setzte auch die aufwendige Errichtung eines ganzen technischen Systems voraus, von der Vergasung der Kohle bis zum Bau geeigneter Leitungen. Vor allem aber hatte München einen schwerwiegenden Standortnachteil. Die zur Gewinnung von Leuchtgas benötigte Steinkohle wurde in Bayern nur in geringem Umfang gefördert, und aus den sächsischen oder preußischen Steinkohlerevieren konnten die erforderlichen Mengen damals nicht bezogen werden. Die Stadt München hatte keine Schifffahrtsverbindung in ein Kohlerevier und Eisenbahnen existierten noch nicht.

Schon frühzeitig gab es Überlegungen, diesen Standortnachteil durch die Erschließung weiterer Kohlegruben in Oberbayern auszugleichen. Der königlich bayerische Regierungsrat Bernhard von Eichthal schlug 1817 vor, Pechkohle aus dem rund 50 Kilometer südlich von München gelegenen Penzberg für die Straßenbeleuchtung der Residenzstadt zu nutzen. Eichthal war damals Finanzrat des Isarkreises, zu dem München gehörte.[68] Gewicht hatte sein Vorschlag aufgrund des großen Einflusses seiner Familie. Sein Vater Aaron Elias von Eichthal war der Hofbankier des Königs. Ihm war es gelungen, Bayern vor dem Staatsbankrott zu retten, damals noch unter dem Namen Aaron Elias Seligmann. Seine Verdienste um die Staatsfinanzen hatte König Maximilian I. Joseph mit der Erhebung in den erblichen Adelsstand zum Freiherrn von Eichthal belohnt. Einer der fünf Söhne des Hofbankiers hatte inzwischen ein eigenes Bankhaus in Paris gegründet, ein anderer war Bankier in Augsburg, der jüngste Sohn, Simon von Eichthal, übernahm später als Nachfolger seines Vaters das Münchner Bankhaus A. E. von Eichthal.[69] Der Einfluss, den diese Familie am Hof des Königs und in der bayerischen Finanzwelt hatte, kann kaum überschätzt werden. Bernhard von Eichthals Vorschlag zur Gasbeleuchtung ließ sich freilich auch mit den Verbindungen seiner Familie nicht einfach umsetzen. Niemand wusste, ob die Penzberger Pechkohle, eine harte Variante der Steinkohle, zur Gewinnung von Leuchtgas geeignet war und ob die Fördermenge ausreichen würde. Doch Bernhard von Eichthal war von seinem Vorschlag überzeugt. Er sah darin offenbar auch eine Chance, selbst in das lukrative Gasbeleuchtungsgeschäft einzusteigen. Noch im Jahr 1817 erwarb er eine aufgelassene Zeche in Penzberg. Ein erfahrener Oberbergrat wurde beauftragt, die dortige Kohle auf ihre Verwertbarkeit zu untersuchen.[70]

1824 machte die Imperial Continental Gas Association auch der Stadt München ein Angebot für einen Gasvertrag. Späteren Berichten zufolge trafen fast gleichzeitig Nachrichten aus England ein, wonach Ölgas aus Fischtran günstiger sei als das von der Imperial Continental Gas Association angebotene Steinkohlegas. Bald lag auch eine Offerte einer britischen Ölgasgesellschaft vor. Nun waren nicht nur die Stadtväter verwirrt, sondern auch die von ihnen zu Rate gezogenen Mitglieder der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Joseph von Baader hielt das Ölgas für vorteilhafter, befürchtete von seiner Einführung aber Nachteile für den heimischen Anbau von Ölpflanzen. Joseph von Fraunhofer hielt die gesamte Gasbeleuchtungstechnik noch für unausgereift.[71] Derart beraten, konnte sich der Magistrat für keine der beiden Varianten entscheiden. Man zog es vor, erst einmal abzuwarten, und stand damit nicht allein. Auch in vielen anderen Städten konnten sich die Bürgermeister und Stadträte nicht so rasch zur Einführung einer Gasbeleuchtung entschließen. Sie wollten ihre Stadt nicht zum Experimentierfeld einer neuen Technik machen, die noch nicht sicher beherrscht wurde. Auch die ersten deutschen Gaswerke in Hannover und Berlin waren nicht etwa durch eine größere Risikobereitschaft der dortigen Stadtväter zustande gekommen. In beiden Fällen war die Initiative vielmehr von den Regierungen ausgegangen. In Hannover erhielt die Imperial Continental Gas Association vor dem Vertrag mit der Stadt ein Privileg der Regierung. Der Gründer des Unternehmens, William Congreve, war mit dem britischen König Georg IV. befreundet, der in Personalunion auch das Königreich Hannover regierte.[72] In Berlin wurde der Vertrag mit der Imperial Continental Gas Association gar nicht vom Magistrat abgeschlossen, sondern vom preußischen Innenminister und vom Polizeipräsidenten. Beide wollten durch eine hellere Straßenbeleuchtung die öffentliche Sicherheit in der Stadt erhöhen.[73]

Bernhard von Eichthal verfolgte inzwischen weiterhin sein Projekt, in München eine Gasbeleuchtung auf der Basis oberbayerischer Kohle einzuführen. 1828 konnte er in Penzberg weitere Abbaurechte erwerben und neue Flöze erschließen. Die Versuche mit der Entgasung verliefen jedoch enttäuschend. Es stellte sich heraus, dass die Penzberger Pechkohle wegen ihres hohen Schwefelanteils nicht für die Erzeugung von Leuchtgas geeignet war. Eichthal begann daraufhin, Steinkohlevorkommen im benachbarten Benediktbeuren zu erschließen.[74] Sein jüngerer Bruder Simon, der inzwischen das Bankhaus A. E. Eichthal leitete, gründete 1828 eine »königlich bairische Gasbeleuchtungs Gesellschaft« und begann, mit dem Magistrat über die Einführung einer Gasbeleuchtung in München zu verhandeln. Das geplante Gaswerk sollte hinter der Hofgartenkaserne – an deren Stelle sich heute die Bayerische Staatskanzlei befindet – errichtet werden. Darüber kam es zu einem Konflikt mit dem Magistrat, der ein Gaswerk an diesem Standort wegen »polizeylicher Einwendungen« ablehnte.[75] Von Eichthal dürfte klar gewesen sein, dass es dem Magistrat dabei nicht nur um den Standort ging. Er sah sich gar nicht erst nach einem anderen Standort um, sondern nutzte seine guten Verbindungen als Hofbankier und Berater König Ludwigs I., um auf den Magistrat Druck auszuüben. Die für die Stadt München zuständige Aufsichtsbehörde, die Regierung des Isarkreises (ab 1837: Regierung von Oberbayern), teilte dem Magistrat am 27. November 1828 mit, dass Seine Majestät den Wunsch geäußert habe, »die bisherige Straßenbeleuchtung durch die Gasbeleuchtung bald ersetzt zu sehen«.[76] Die Aufsichtsbehörde und das Innenministerium forderten die Stadt ultimativ auf, sich nicht länger zu widersetzen.[77]

Der Magistrat zeigte sich wenig beeindruckt. Er teilte der Regierung des Isarkreises mit, man könne das Grundstück nicht einer Gesellschaft zur Verfügung stellen, deren Leistung nicht bekannt sei.[78] Tatsächlich hatte Simon von Eichthal bisher nicht dargelegt, zu welchem Preis seine Gesellschaft das Gas abgeben würde. Angesichts der glänzenden Geschäfte vieler Gasgesellschaften gingen die Stadtväter davon aus, dass der Bankier nicht »aus bloßem Patriotismus« handelte.[79] Im Sommer 1829 reichte von Eichthal schließlich ein Angebot ein, in dem er die Kosten für den Betrieb von 600 Gaslaternen mit 50.000 Gulden bezifferte. Die Regierung des Isarkreises stellte eine Erhöhung der Beleuchtungssteuer in Aussicht, um diesen Betrag aufzubringen.[80] Der Magistrat sträubte sich hingegen, hielt die Zahl der in Aussicht gestellten Laternen für viel zu niedrig und den Preis für zu hoch. Vom Magistrat der Stadt Frankfurt am Main eingeholte Vergleichszahlen ergaben, dass die Gastarife dort fast um die Hälfte unter dem von Eichthal veranschlagten Betrag lagen. In Frankfurt am Main befand sich die Gasbeleuchtung freilich noch im Versuchsstadium. Wegen technischer Probleme mussten dort mehrfach die Preise gesenkt werden.[81] Für den Magistrat gab es neben den Kosten und den sich in anderen Städten häufenden Beschwerden über die Gasbeleuchtung noch einen weiteren Grund, von Eichthals Projekt abzulehnen: die Interessen der Münchner Metzger und Schlachter, die mit dem Verkauf des Unschlitts ein gutes Geschäft machten. Jährlich wurden für die Straßenbeleuchtung rund 700 Zentner Unschlitt benötigt. In einem Bericht des vom Magistrat eingesetzten Ausschusses über die Einführung der Straßenbeleuchtung wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Verbrauch an Unschlitt gegen die Einführung einer Gasbeleuchtung sprechen würde, weil er »für die hiesigen Metzger von nicht geringer Bedeutung ist«.[82] Aus den genannten Gründen entschied sich der Ausschuss im Februar 1830 gegen das Projekt des Hofbankiers.[83] Die Brüder von Eichthal verfolgten das Vorhaben daraufhin nicht weiter. Bernhard von Eichthal starb wenige Monate später unerwartet auf einer Reise in Rom. Sein Bruder Simon wandte sich anderen Projekten zu, er wurde erster Direktor der 1834 auf Initiative Ludwigs I. gegründeten Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank. In Penzberg ließ er eine Glashütte errichten, die mit Pechkohle Glas herstellte.[84] Ohne das Drängen Simon von Eichthals interessierte sich die Regierung nicht mehr für die Einführung einer Gasbeleuchtung in der Residenzstadt. Dem kunstsinnigen Monarchen schien dies gleichgültig zu sein, und anders als in Berlin ergriff auch die Polizeibehörde nicht die Initiative. Die kommunale Versorgung der Hauptstadt wurde in Bayern jetzt ausschließlich als Aufgabe des Magistrats angesehen.

Es sollte noch viele Jahre dauern, bis die Stadt München hellere Lichtquellen für die Straßenbeleuchtung erhielt. Der 1838 gewählte Erste Bürgermeister Jakob von Bauer machte keinen Hehl daraus, dass der bisherige Zustand unhaltbar war. Er hielt die Einführung einer Gasbeleuchtung jedoch für ein hohes Risiko, das er angesichts der Verschuldung der Stadt nicht eingehen wollte. In seinem 1845 verfassten Rechenschaftsbericht legte Bauer dar, dass die bayerische Residenzstadt für private Gasgesellschaften kein interessanter Markt sei, »da der Handel und Verkehr in München noch nicht jene Höhe erreichte, auf welcher andere größere auswärtige Städte stehen weil Handel und Wirtschaft hier noch nicht so entwickelt waren wie in Städten vergleichbarer Größe«. Dabei bedurfte es für ein rentables Gasbeleuchtungsgeschäft in München nach Bauers Einschätzung mehr als andernorts privater Kunden, da die Kohlepreise hier wegen der Entfernung zu den großen Revieren in Sachsen, Schlesien und Rheinland-Westfalen besonders hoch lagen. Der Bürgermeister stellte zugleich klar, dass die Stadt München die mit der Einführung der Gasbeleuchtung verbundenen Kosten und Risiken nicht selbst schultern konnte: »Die Stadt würde also die ungeheuren Kosten der Einrichtung allein zu tragen haben, ohne des Erfolges gewiß zu seyn […] Endlich ist die Gemeinde gegenwärtig noch nicht in der Lage, Hunderttausende aufs Ungewisse hin zu opfern.«[85]

Tatsächlich lag die Residenzstadt München in der wirtschaftlich-industriellen Entwicklung hinter Nürnberg und Augsburg zurück. Nürnberg entwickelte sich nach Eröffnung der ersten deutschen Dampfeisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth im Jahr 1835 zu einem Zentrum des Maschinenbaus, Augsburg besaß eine bedeutende Textilindustrie und war die traditionelle Finanzmetropole Süddeutschlands. In den beiden früheren Reichsstädten gab es reichlich privates Kapital, während in München erst ein gewichtiges Industrieunternehmen, die 1838 gegründete Lokomotivfabrik J. A. Maffei, bestand. Die Sorge des Ersten Bürgermeisters von Bauer, dass sich in München nicht genügend private Abnehmer finden würden, um einer Gasbeleuchtungsgesellschaft trotz der hohen Transportkosten für die Steinkohle ein rentables Geschäft zu ermöglichen, hatte einen sehr realen Hintergrund. Doch der Bürgermeister unterschätzte die Risikobereitschaft der Bankiers und Ingenieure, die damals in das Gasgeschäft drängten. Der Magistrat erhielt wiederholt Angebote für den Bau eines Gaswerks, darunter auch eine Offerte des elsässischen Ingenieurs Gaspard Dollfuß. Im Rathaus wurde dieses Angebot sehr ernst genommen, da Dollfuß ein Jahr zuvor von der Stadt Stuttgart mit der Einführung einer Gasbeleuchtung beauftragt worden war.[86] Der Leiter des städtischen Beleuchtungsamts unternahm daraufhin eine Studienfahrt nach Stuttgart, Karlsruhe und Frankfurt am Main. Der Magistrat konnte sich zwar nicht entschließen, das Angebot des erfahrenen Ingenieurs anzunehmen, hinter dem Privatbankiers aus Stuttgart und Genf standen. Wie aus einem Schreiben an die Regierung von Oberbayern hervorgeht, waren sich die Münchner Stadtväter nun aber einig, die Gasbeleuchtung in Bälde einzuführen und diese nicht in kommunale Regie zu übernehmen, sondern von einer privaten Gasgesellschaft betreiben zu lassen.[87] In mehreren Städten waren damals schon kommunale Gasanstalten errichtet worden. Dresden hatte 1828 als erste deutsche Stadt ein eigenes Gaswerk in Betrieb genommen. Dieses war mit staatlicher Unterstützung und mit dem Know-how eines ortsansässigen Experten, des Ingenieurs Rudolf Sigismund Blochmann – der zuvor eine Zeit lang in München gearbeitet hatte – gebaut worden.[88] In Leipzig entstand acht Jahre später ebenfalls ein kommunales Gaswerk. Den Bau konnte die Stadt mit Anleihen am Kapitalmarkt finanzieren.[89] Für München kam dieses Modell wegen der hohen Verschuldung der Stadt und des bayerischen Staats nicht in Betracht.

Der Münchner Magistrat war nun auch entschlossen, die Gasbeleuchtung trotz der hohen Transportkosten auf der Basis von Steinkohle einzuführen.[90] Alle Bemühungen, in Oberbayern einen Ersatzrohstoff zu finden, waren ins Leere gelaufen. An Vorschlägen hatte es nicht gefehlt. Ölgas und Wassergas waren im Gespräch, der Polytechnische Verein für das Königreich Bayern stellte Versuche mit verschiedenen oberbayerischen Torfsorten an, es gab auch Experimente mit Mergelschiefer und Quirinusöl vom Tegernsee. Doch keines dieser Materialien erwies sich als geeignet.[91] Nicht wenige Experten waren allerdings ähnlich wie die Brüder von Eichthal überzeugt, dass sich in Oberbayern genügend Kohle von guter Qualität finden ließe, wenn man nur richtig danach suchte. So glaubte beispielsweise der aus England stammende Münchner Privatier Henry Perks, in Peißenberg gut geeignete Steinkohle ausfindig gemacht zu haben. Im Kunst- und Gewerbe-Blatt des Polytechnischen Vereins äußerte er zur Frage der Münchner Straßenbeleuchtung sein Unverständnis darüber, dass die bayerische Hauptstadt »in jeder anderen Beziehung den übrigen Städten Deutschlands keinen Vorsprung gestattet, und nur in diesem Punkte in einer unbegreiflichen Vorliebe für das bestehende Schlechte und Unvorteilhafte verharrt«.[92]

Während sich der Münchner Magistrat noch immer nicht dazu durchringen konnte, einen Auftrag für den Bau eines Gaswerks zu erteilen, gingen die früheren Reichsstädte Nürnberg und Augsburg in den Jahren 1846/47 daran, die Gasbeleuchtung einzuführen. In Nürnberg hatte es schon seit Eröffnung der Eisenbahn nach Fürth derartige Pläne gegeben.[93] Erst im Frühjahr 1846 schrieb der Magistrat jedoch einen Auftrag zum Bau und Betrieb einer Gasbeleuchtung aus. Den Zuschlag erhielt die britisch-französische Firma Barlow & Manby, die in eine Aktiengesellschaft eingebunden wurde, an der auch die Stadt und einige reiche Bürger beteiligt waren. Nach längeren Querelen sprang schließlich das Nürnberger Handelshaus Platner ein und finanzierte die Fertigstellung des Gaswerks durch den Ingenieur Gaspard Dollfuß.[94] Am 1. Dezember 1847 erhielt Nürnberg als erste Stadt Bayerns eine Gasbeleuchtung. In der Presse fehlte es nicht an hämischen Hinweisen auf den Rückstand Münchens. Es war offensichtlich, dass Nürnberg als aufsteigender Industriestandort mehr für die kommunale Versorgung leisten konnte als die verschuldete Residenzstadt. Reiche Bürger engagierten sich gemeinsam mit dem Magistrat für den Ausbau der städtischen Infrastruktur. In der Gasbeleuchtung sahen sie auch einen Nachweis für die Leistungsfähigkeit ihrer Stadt und ein Symbol des Fortschritts.[95] Kohle aus fränkischen und böhmischen Revieren konnte offenbar in der benötigten Menge bezogen werden.[96]

Auch in Augsburg ging der industrielle Aufschwung Hand in Hand mit einem Ausbau der Infrastruktur. Es gab hier viel Anlage suchendes Kapital, das die Bankhäuser in neue Aktiengesellschaften investierten, in Eisenbahngesellschaften, Textilfabriken und Maschinenbauanstalten.[97] Zur Augsburger Hochfinanz gehörte auch Arnold von Eichthal, ein älterer Bruder des Münchner Bankiers Simon von Eichthal. Sein Bankhaus war an mehreren Augsburger Industrieunternehmen beteiligt und besaß auch eine Lederfabrik in München.[98] Nach Arnold von Eichthals Tod wurde das Geschäft der Bank von einem Verwandten unter anderem Namen weitergeführt. Sein Sohn August von Eichthal gründete zusammen mit dem Augsburger Bankhaus Erzberger & Söhne eine Gasbeleuchtungsgesellschaft, die im September 1847 von der Stadt Augsburg eine Konzession zum Bau und Betrieb eines Gaswerks erhielt.[99] Den Auftrag für dieses Projekt erteilte die Augsburger Gasbeleuchtungs-Gesellschaft der in Genf ansässigen Firma C. Kohler & Comp.[100]

Der Münchner Magistrat konnte nun die Einführung der Gasbeleuchtung nicht mehr länger hinausschieben. Die grundsätzliche Entscheidung war ja bereits gefallen, doch nun geriet man durch das Augsburger Gasprojekt unter Zugzwang. Es ging nicht mehr nur um eine Frage der kommunalen Versorgung, sondern auch um das Standing der Hauptstadt innerhalb des Landes und speziell gegenüber den früheren Reichsstädten. Am 17. Dezember 1847 – nur 16 Tage nach Inbetriebnahme der Gasbeleuchtung in Nürnberg und zwei Monate nach Erteilung der Konzession für die Augsburger Gasgesellschaft – schrieb der Münchner Magistrat einen Wettbewerb für den Bau und den Betrieb eines Gaswerks aus. Bis zum Bewerbungsschluss am 31. März 1848 gingen sechs Offerten ein. Vier Angebote stammten von Ingenieuren und Fabrikanten, die den Auftrag nur ausführen wollten, wenn die Stadt München die Gasbeleuchtung in eigener Regie einführen würde.[101] Da dies nicht den Vorstellungen des Magistrats entsprach, kamen nur zwei Angebote in die engere Wahl: eine erneute Offerte des Ingenieurs Gaspard Dollfuß und eine, die der Augsburger Bankier August von Eichthal gemeinsam mit dem Genfer Bankier Christian Kohler eingereicht hatte.[102] Beide Angebote zeigten, dass es entgegen den Befürchtungen des Ersten Bürgermeisters durchaus private Finanziers und Ingenieure gab, die bereit waren, die Risiken des Gasbeleuchtungsgeschäfts in München einzugehen. Allerdings waren es nur wenige. Beide Bewerber hatten entscheidend zu dem Vorsprung der früheren Reichsstädte Nürnberg und Augsburg beigetragen, den die Stadt München nun aufholen wollte. Dollfuß hatte in Nürnberg das erste Gaswerk Bayerns fertiggestellt, Eichthal und Kohler hatten damit begonnen, die Gasbeleuchtung in Augsburg einzuführen.

Abb. 3 Aktienprospekt der Gasbeleuchtungsgesellschaft in München, 1850.

Der Magistrat entschied sich für das Angebot von Eichthal/Kohler. Dass August von Eichthals Angebot von seinem Onkel, dem Münchner Hofbankier Simon von Eichthal, unterstützt wurde und dass dessen Einfluss bei der Entscheidung eine wichtige Rolle spielte, muss als wahrscheinlich gelten. Als Konzessionäre wollten die Eichthals aber offenbar nicht in den Gasvertrag eintreten. Diese Rolle blieb ihrem Partner, dem Genfer Bankier Christian Kohler, vorbehalten. Kohler schloss am 31. Oktober 1848 mit dem Ersten Bürgermeister von Bauer einen Vertrag über die Gasbeleuchtung. Er erhielt eine auf 25 Jahre befristete Konzession der Stadt München, verbunden mit einem Monopol auf die Beleuchtung öffentlicher Plätze und Straßen. Dafür verpflichtete sich Kohler, innerhalb von drei Jahren ein Gaswerk zu bauen, 1.000 bis 1.100 Laternen auf vorgegebenen Plätzen und Straßen aufzustellen, mit Gas aus Steinkohle zu betreiben und »in vorwurfsfreiem Zustand zu erhalten«. Der Preis für die Beleuchtung wurde auf jährlich 22 Gulden pro Laterne festgelegt. Falls während der Vertragslaufzeit eine neue Beleuchtungstechnik aufkommen sollte, musste Kohler diese auf Verlangen der Stadt anwenden. Die Stadt behielt sich das Recht vor, das Gaswerk mit allen Leitungen und Laternen nach 15 Jahren gegen eine Entschädigung zu übernehmen.[103]

Wenige Wochen nach Abschluss des Gasvertrags gründete Kohler am 3. Dezember 1848 eine Aktiengesellschaft mit dem Namen Gasbeleuchtungsgesellschaft in München, die das Gaswerk später einmal übernehmen und betreiben sollte. Beteiligt waren an der Gründung außer Kohler selbst noch das Bankhaus A. E. Eichthal, das Simon von Eichthal gehörte, der Münchner Kaufmann und Magistratsrat Johann Josef Pasch sowie die beiden Augsburger Bankhäuser Erzberger & Schmid und Joh. Lor. Schaezler. Die Aktionäre sicherten zu, das Gaswerk, die Leitungen und Laternen nach Fertigstellung zum Festpreis von 1,15 Mio. Gulden zu übernehmen. Das Aktienkapital der Gasbeleuchtungsgesellschaft in München entsprach der Höhe dieses Kaufpreises. Es sollte in fünf Raten bis 1. Juni 1850 einbezahlt werden.[104] Ebenso wie in Augsburg wurde der Bau des Münchner Gaswerks also durch Privatbanken finanziert, allerdings mit dem Unterschied, dass es sich überwiegend um Bankhäuser aus anderen Städten handelte, aus Augsburg und Genf. Simon von Eichthal bildete gemeinsam mit Franz Carl Pasch und A. Erzberger aus Augsburg den Ausschuss der Gesellschaft, eine Art Aufsichtsrat.[105]

Über Christian Kohler, den Mann, der München bei Nacht heller machte, ist nicht viel bekannt.[106] Er stammte aus dem schwäbischen Tuttlingen, war 1827 im Alter von 23 Jahren nach Genf gezogen und hatte dort 1840 eine Privatbank, die Kommanditgesellschaft Christian Kohler & Co., gegründet. Einige Jahre später stieg der Bankier in das Gasbeleuchtungsgeschäft ein, das in Süddeutschland früher boomte als in der Schweiz. Kohler nutzte die Verbindungen in seine schwäbische Heimat und gründete im August 1846 zusammen mit den Stuttgarter Bankiers Sigmund Benedict und Heinrich Flach die Süddeutsche Gasbeleuchtungsgesellschaft, »um die Concession der Beleuchtung durch Gas der Stadt München zu bewerben«. Geplant waren auch Bewerbungen um Konzessionen in Heilbronn, Heidelberg, Mannheim, Mainz und Wiesbaden.[107] Benedict und Flach hatten ein Jahr zuvor gemeinsam mit dem Ingenieur Dollfuß die Konzession für den Bau eines Gaswerks in Stuttgart erhalten. Die Bewerbung um eine Konzession für München wurde 1846, wie bereits beschrieben, von Dollfuß eingereicht. Hinter ihm stand die Süddeutsche Beleuchtungsgesellschaft und damit auch Kohler. Nachdem der Münchner Magistrat die damalige Offerte abgelehnt hatte, gingen die Partner getrennte Wege. Dollfuß übernahm die Fertigstellung des Nürnberger Gaswerks und Kohler bewarb sich erfolgreich um den Auftrag der Augsburger Gasbeleuchtungsgesellschaft August von Eichthals. Durch die Verbindung mit Eichthal gelang ihm ein Jahr später, was er mit seinen früheren Geschäftspartnern nicht erreicht hatte: der Abschluss eines Gasvertrags mit der Stadt München.

Nach der Trennung von Dollfuß musste Kohler sich nach einem neuen Ingenieur umsehen, der in der Lage war, ein Gaswerk zu bauen. Er schloss sich mit dem ebenfalls in Genf ansässigen Ingenieur Isaac Christian Wolfsberger zusammen. Beide werden sich vermutlich schon früher gekannt haben, als Wolfsberger in Genf noch für General Guillaume-Henri Dufour, den späteren Gründer des Roten Kreuzes, Karten zeichnete.[108] Kohler beauftragte Wolfsberger, das Augsburger Gaswerk zu bauen. Nachdem dieses Projekt im Dezember 1848 erfolgreich abgeschlossen war, holte er ihn für den »Nachfolgeauftrag« nach München.

Im August 1849 erwarb Kohler ein Grundstück an der Thalkirchener Straße, vor dem Sendlinger Tor, für den Bau des Gaswerks. Zuvor hatte es längere Auseinandersetzungen um die Baugenehmigung gegeben. Wie in anderen Städten auch, wehrten sich die Anwohner gegen dieses Projekt. Die Regierung von Oberbayern hatte den Einsprüchen stattgegeben, erst durch eine Weisung des Innenministeriums wurde die Baugenehmigung wieder rechtskräftig.[109] Wolfsberger konnte nun mit der Konstruktion der Anlage beginnen. Schon nach gut einem Jahr hatte Wolfsberger den Auftrag ausgeführt. Mit Fertigstellung des Gaswerks verkaufte Kohler die gesamte Anlage zu dem vereinbarten stolzen Preis von 1,15 Mio. Gulden an die Gasbeleuchtungsgesellschaft in München, die sich im Mai 1850 in einer ersten Generalversammlung konstituiert hatte.[110] Die Gasbeleuchtungsgesellschaft übernahm in einem Vertrag mit dem Magistrat vom 8. Dezember 1850 alle Rechte und Pflichten Kohlers aus dem zwei Jahre zuvor geschlossenen Gasvertrag.[111] Das erste Münchner Gaswerk in der Thalkirchener Straße war bereits am 31. Oktober 1850 eröffnet worden. Unter der Leitung des Ingenieurs Wilhelm Hackh sorgten dort zwölf Mitarbeiter in Zwölfstundenschichten dafür, dass nun auch in München zentrale Straßen und Plätze nachts hell erleuchtet waren, 24 Jahre später als in Berlin und fast zwei Jahre später als in Augsburg.[112]

Die Münchner Gasbeleuchtungsgesellschaft musste schon bald empfindliche Rückschläge hinnehmen. Ihre Gründer waren offenbar von der Annahme ausgegangen, dass sich im bayerischen Voralpenland genügend zur Gasgewinnung geeignete Kohle finden ließe. Die Königliche Bergwerks- und Salinendirektion hatte dies noch im März 1848 in einem Schreiben an Carl von Eichthal, den Sohn Simon von Eichthals, ausdrücklich bestätigt.[113] Auch dürfte Simon von Eichthal, der schon lange auf oberbayerische Kohle für die Gasversorgung gesetzt hatte, seine Mitgesellschafter in diesem Sinn beeinflusst haben. Nachdem die Gasbeleuchtung in München angelaufen war, stellte sich jedoch bald heraus, dass man einer Schimäre aufgesessen war. In Oberbayern war kaum verwertbare Kohle vorhanden. Alle Versuche mit Kohle aus der Region zeigten, dass diese sich nicht für die Gewinnung von Leuchtgas eignete. Die Münchner Gasbeleuchtungsgesellschaft musste auf doppelt so teure Steinkohle aus dem Stockheimer Revier am Frankenwald zurückgreifen. Im ersten Geschäftsjahr kamen weniger als zwei Prozent der für die Vergasung verbrauchten Kohle aus Oberbayern.[114] Dass es dem Augsburger Gaswerk nicht besser erging, dürfte kein Trost gewesen sein.[115]

Abgemildert wurde der Standortnachteil erst durch die Eröffnung der Ludwigs-Süd-Nord-Bahn im Jahr 1851, der ersten Staatsbahnstrecke in Bayern. Dieses wichtige Infrastrukturprojekt des bayerischen Staats verhalf München, Augsburg und Nürnberg zu einer direkten Eisenbahnverbindung ins sächsische Steinkohlerevier um Zwickau. Nun konnte zwar Steinkohle preisgünstiger und in größeren Mengen bezogen werden, doch waren die Königlich Bayerischen Staatseisenbahnen erst 1862 bereit, für die Kohletransporte einen ermäßigten Frachttarif anzubieten. Bis dahin lagen die Kosten für den Transport von Kohle nach München ungleich höher als nach Nürnberg.[116]

Erschwerend kam hinzu, dass der Münchner Gasbeleuchtungsgesellschaft innerhalb der Stadt Konkurrenz durch eine Holzgasanstalt entstand, die im März 1851 auf dem Bahnhofsgelände eröffnet wurde. Das Holzgas wurde nach einem Verfahren hergestellt, das der Münchner Professor für medizinische Chemie Max Pettenkofer (ab 1883: von Pettenkofer) entwickelt hatte. Pettenkofer war der Ansicht, dass aus Holz gewonnenes Leuchtgas preisgünstiger und gesünder sei als das Steinkohlegas. Er riet entschieden von einer Beleuchtung auf der Basis von Steinkohle ab und ließ das Holzgaswerk auf eigene Kosten errichten, um den Münchner Bahnhof zu günstigeren Preisen beleuchten zu können als es die Gasbeleuchtungsgesellschaft angeboten hatte. Pettenkofer hatte für dieses Projekt einflussreiche Partner gewinnen können. Der Augsburger Fabrikdirektor Ludwig August Riedinger übernahm die Durchführung des Baus, der Münchner Fabrikbesitzer Anton Riemerschmid und zwei hohe Beamte der bayerischen Eisenbahnbau-Kommission hatten sich ebenfalls mit Pettenkofer zusammengetan. Riedinger errichtete bald darauf auch in Bayreuth, Basel und mehreren anderen Städten mit Holzgas betriebene Beleuchtungsanlagen.[117] Viele potenzielle Kunden der Münchner Gasbeleuchtungsgesellschaft waren nun verunsichert und wussten nicht, für welches System sie sich entscheiden sollten. Die Gasbeleuchtungsgesellschaft wiederum musste befürchten, dass sie den Bestimmungen des Gasvertrags entsprechend von der Stadt gezwungen wurde, auf Holzgas umzustellen, falls sich diese Technik als überlegen erweisen sollte. Das Holzgas konnte sich letztlich nicht durchsetzen, doch der Gasverbrauch des Werks in der Thalkirchener Straße nahm in den sieben Jahren nach Gründung der Gasbeleuchtungsgesellschaft kaum zu.[118]