Neuanfang in Porthmellow - Phillipa Ashley - E-Book
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Neuanfang in Porthmellow E-Book

Phillipa Ashley

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Beschreibung

Sommerglück in Cornwall In Porthmellow geht es auf den Sommer zu, doch Marina, die ihren Ehemann Nate vor Jahren bei einem Seeunglück verlor, kann die Sonne, das Meer und die Seebrise nicht genießen. Nach wie vor hat sie sich ihrer Trauer voll und ganz verschrieben. Doch dann tritt ein neuer Mann in ihr Leben: ein Schotte, herzensgut und doch mit einem dunklen Geheimnis. Als wäre das nicht genug der Aufregung, sucht außerdem ihre Cousine Tiff aus London Zuflucht bei ihr. Sie ist frisch getrennt und ihre Karriere als Journalistin liegt in Trümmern. Auch Tiff kann einen Neuanfang gut gebrauchen – und eine neue Liebe … Der Abschluss der charmanten Porthmellow-Reihe von Phillipa Ashley bietet die bewährte Mischung aus liebenswerten Figuren, Romantik und Drama vor der herrlichen Kulisse Cornwalls. Die Porthmellow-Reihe von Philippa Ashley: Sommer in Porthmellow Weihnachten in Porthmellow Neuanfang in Porthmellow

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In Porthmellow geht es auf den Sommer zu, doch Marina, die ihren Ehemann Nate vor Jahren bei einem Seeunglück verlor, kann die Sonne, das Meer und die Seebrise nicht genießen. Nach wie vor hat sie sich ihrer Trauer voll und ganz verschrieben. Doch dann tritt ein neuer Mann in ihr Leben: ein Schotte, herzensgut und doch mit einer dunklen Vergangenheit.

Als wäre das nicht genug der Aufregung, sucht außerdem ihre Cousine Tiff aus London Zuflucht bei ihr. Sie ist frisch getrennt, und ihre Karriere als Journalistin liegt in Trümmern. Auch Tiff kann einen Neuanfang gut gebrauchen – und eine neue Liebe …

Der Abschluss der charmanten Porthmellow-Reihe von Phillipa Ashley bietet die bewährte Mischung aus liebenswerten Figuren, Romantik und Drama vor der herrlichen Kulisse Cornwalls. Die perfekte Strandlektüre!

© privat

Phillipa Ashley studierte Anglistik und arbeitete als Werbetexterin und Journalistin. Seit 2005 veröffentlicht sie Romane und wurde dafür mit dem ›Romantic Novelists Association New Writers‹-Award ausgezeichnet. Sie lebt mit ihrer Familie in Staffordshire. Bei DuMont erschienen die Romantrilogie ›Hinter dem Café das Meer‹, ›Weihnachten im Café am Meer‹ (beide 2017) und ›Hochzeit im Café am Meer‹ (2018) sowie zuletzt die ersten beiden Bände der Porthmellow-Trilogie: ›Ein Sommer in Porthmellow‹ (2020) und ›Weihnachten in Porthmellow‹ (2020).

Phillipa Ashley

Neuanfang in Porthmellow

Roman

Aus dem Englischen von Sibylle Schmidt

Von Phillipa Ashley sind bei DuMont außerdem erschienen:

Hinter dem Café das Meer

Weihnachten im Café am Meer

Hochzeit im Café am Meer

Sommer in Porthmellow

Weihnachten in Porthmellow

eBook 2021

DuMont Buchverlag, Köln

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © Phillipa Ashley 2020

Die englische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel ›A Perfect Cornish Escape‹ bei Avon, a division of HarperCollinsPublishers Ltd, London.

© 2021 für die deutsche Ausgabe: DuMont Buchverlag, Köln

Übersetzung: Sibylle Schmidt

Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Umschlagabbildung: © James Osmond/Alamy Stock Foto

Satz: Angelika Kudella, Köln

eBook-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck

ISBN eBook 978-3-8321-7098-1

www.dumont-buchverlag.de

Gewidmet all den mutigen Menschen,

Prolog

September, vor sieben Jahren

Marina flüchtete vor dem prasselnden Regen auf die baufällige Veranda des alten Holzhauses und lehnte sich an die Eingangstür. Die frühere Station der Küstenwache war schon vor zehn Jahren aufgegeben und dem Wüten der Elemente überlassen worden, aber es gab weit und breit keinen anderen Unterschlupf.

Der heftige Hagelschauer machte jetzt dem Rest des Daches den Garaus. Gleich nach ihrer letzten Unterrichtsstunde war Marina zu ihrem Spaziergang aufgebrochen. Trotz des lebhaften Winds war am Himmel kaum ein Wölkchen zu sehen gewesen. Sie hatte nicht mit Regen gerechnet und keinen Mantel angezogen. Doch es war ihr ohnehin gleichgültig, ob sie nass wurde bis auf die Haut.

Seit Nates Verschwinden erschienen ihr solche Bagatellen unwichtig.

Seit zwei Monaten galt Nate als auf See verschollen. Anfang der Sommerferien war er verschwunden, inzwischen hatte das neue Schuljahr längst begonnen. Marina war Englischlehrerin und konnte nicht mehr länger Sonderurlaub nehmen. Sie wurde gebraucht, auch wenn sie sich lieber zu Hause verkrochen und geweint oder endlos aufs Meer hinausgestarrt hätte, verzweifelt hoffend und wartend …

Seit Nate mit seinem Angelkajak von der Bucht unterhalb der Klippen aufgebrochen und nicht mehr zurückgekehrt war, hielt sich Marina oft bei der einstigen Wachstation auf. Früher war die Station mit Funk ausgerüstet gewesen, und die Mitarbeiter dort hatten die besten und stärksten Ferngläser zur Verfügung gehabt. Kilometerweit hatte man Schiffe und Fischerboote beobachten und im Notfall sofort Rettungstruppen alarmieren können, auch für Windsurfer, Taucher und Wanderer auf dem Küstenpfad. Rund um die Uhr waren Menschen im Einsatz gewesen, um zu helfen und Leben zu retten. Doch für Nate hatte es keine Hilfe mehr gegeben, weil die Station damals schon längst geschlossen war.

Sein Angelkajak war sein neuestes Spielzeug gewesen, eines von vielen, günstig erstanden von einem Freund. Nate hatte vorgehabt, seinen Fang an die gehobenen Restaurants in Porthmellow, Newlyn und St Ives zu verkaufen. Ein hübsches Nebeneinkommen würde das sein, hatte er damals verkündet, während er sein Hauptprojekt – irgendeines von vielen – auf die Beine stellen wollte.

Marina hatte gesagt, er solle vorsichtig sein, und sich nicht anmerken lassen, dass ihr sein gewagtes Vorhaben missfiel. Zumindest waren ausnahmsweise keine hohen Kosten oder Risiken damit verbunden, hatte sie gedacht. Nate war in Porthmellow geboren und aufgewachsen und hatte vor ihrer Hochzeit eine Zeit lang auf einem Fischkutter gearbeitet. Er kannte sich aus mit dem Ozean, und Marina hatte angenommen, dass er zumindest dessen Regeln beachten würde.

Doch sie hatte sich geirrt. Als Nate damals zum Angeln aufbrach, waren starke Unwetter vorausgesagt. Tage später wurde sein Boot angeschwemmt, leer und übel zugerichtet.

Hätte es die Wachstation damals noch gegeben, wäre Nate sicher am Leben. Jemand hätte ihn im Auge behalten – seinen Lieblingsangelplatz konnte man von hier aus sogar sehen. Man hätte bemerkt, dass er in Not geriet, und sofort Rettungskräfte alarmiert, die ihn per Boot oder Hubschrauber aus dem Wasser gefischt hätten. Dann würde Marina jetzt gemütlich mit ihm bei einem Glas Wein am Kamin sitzen und von einer rosigeren Zukunft träumen.

Ihre Ehe war alles andere als perfekt gewesen. Nate hatte Schulden gehabt und war kein besonders fürsorglicher Partner. Sie hatten sich häufig gestritten, sein Umgang mit Geld und seine glücklosen Projekte waren eine Katastrophe gewesen. Dennoch hatte Marina ihren Mann geliebt.

Doch sogar an dem Tag, an dem Nate verschwand, hatten sie morgens gestritten. Marina gab seit einiger Zeit zusätzlich Nachhilfestunden, damit sie über die Runden kamen. Und Nate hatte gerade ein Jobangebot vom Segelverein in Porthmellow abgelehnt, weil er ganz auf sein Angelprojekt setzen wollte. Er behauptete steif und fest, das könne lukrativ werden. Marina hatte ihn gedrängt, sich doch bitte eine feste Stelle zu suchen.

Bei dieser Erinnerung schloss Marina die Augen, hielt das Gesicht in den peitschenden Regen. Nässe und Kälte gaben ihr zumindest das Gefühl, lebendig zu sein – oder bestrafte sie sich selbst? Wenn sie an diesem Morgen nicht gestritten hätten … Wenn Nate nicht so wütend gewesen wäre, als er aufbrach …

»Du wirst schon sehen!«, hatte er geschrien. »Wenn du nur endlich mal an mich glauben würdest!«

Und sie hatte ihm aufgebracht nachgerufen: »Dann zeig mir mal was, woran ich glauben kann, Nate! Bisher hab ich kaum was zu sehen bekommen!«

Jetzt hätte Marina alles darum gegeben, jedes böse Wort und jeden Krach ihrer zweijährigen Ehe ungeschehen zu machen. Probleme hin oder her – sie hatte Nate geliebt, und sie vermisste ihren gutaussehenden Mann, seine Scherze, seine Vitalität, seine Berührungen. Ihr Bett war jetzt leer und kalt, und sie fühlte sich, als seien ihr Herz und Seele aus dem Körper gerissen worden und mit Nate auf See verschollen. Sie litt unsäglich und machte doch Tag für Tag weiter. Es kam ihr falsch vor, dass die Sonne trotzdem jeden Morgen aufging, dass Regen vom Himmel fiel und die Welt sich weiterdrehte – aber so war es.

Marina sehnte sich furchtbar nach Antworten; es fühlte sich manchmal an, als würde sie selbst sterben, wenn sie nicht erfuhr, was Nate an jenem Sommermorgen zugestoßen war. Aber je mehr Zeit verstrich, desto klarer wurde ihr, dass sie vielleicht für immer mit dieser Ungewissheit leben musste.

»Warum hast du das getan, Nate?«, rief sie jetzt verzweifelt aus. »Warum hast du mich alleine gelassen?«

Zur Antwort bekam sie nur ein Donnergrollen. Sie hämmerte mit den Fäusten an die rissige Holztür und lehnte dann erschöpft die Stirn dagegen. Dass dieses Haus noch da war, erschien ihr wie ein Hohn. Wieso stand es hier herum, verlassen und halb verfallen, wenn es doch zu nichts taugte?

Wäre die Wachstation an jenem Tag besetzt gewesen, als Nate aufs Meer hinausruderte, dann würde Marina jetzt nicht tränenüberströmt hier im Unwetter stehen. Und sie würde nicht für den Rest ihres Lebens zum Horizont starren und auf Antworten hoffen müssen.

Als ein Blitz aufzuckte und krachender Donner das alte Holzhaus erschütterte, schrie Marina in Regen und Sturm hinaus: »Ich liebe dich, Nate, und ich werde dich für immer und ewig lieben! Das schwöre ich dir, wo du auch bist und was auch geschieht!«

1

April 2020

»Komm schnell, Marina! In der Silver Cove unten ist eine Leiche angespült worden!«

Marina zuckte zusammen, und ein Tropfen heißes Wasser spritzte ihr auf die Hand. Rasch stellte sie den Kessel ab und eilte aus der Teeküche in den Kontrollraum der Wachstation.

»Was? Wo?«

Gareth starrte durch das große montierte Fernglas und stammelte aufgeregt: »Da, auf der Westseite, beim Kormoranfelsen. Da wird ein Körper von den Wellen herumgeschleudert.«

Er drehte das Teleskop zu Marina. »Hier, schau selbst.«

Sie zögerte. Gareths Ausruf hatte einen Erinnerungsschwall ausgelöst, von dem ihr flau im Magen wurde. Sie rang um Atem, und es kam ihr vor, als würde sie ertrinken.

Der Junge hopste vor Aufregung auf der Stelle. »Jetzt schau doch endlich!«

Marina konnte sich noch immer nicht dazu durchringen, aber Gareth führte sich auf, als habe er gerade eine Meerjungfrau gesichtet.

»Soll ich die Polizei rufen?« Er griff nach dem Funkkopfhörer.

Marina riss sich zusammen. »Warte, Gareth. Wir müssen das erst überprüfen. Und falls wirklich etwas Schlimmes passiert ist, sollten wir bedenken, dass da jemand einen Menschenverloren hat.«

»Ja, schon klar. Es ist nur … ich mach das jetzt hier seit vier Monaten, und ich hab noch nie … du weißt schon … ich find’s echt spannend.«

Wortlos blickte Marina durch das Fernglas. Es war so stark, dass sie damit den Namen des Bootes an der Rettungsstation am Hafen von Porthmellow lesen konnte, der fast zwei Kilometer entfernt lag. Sie sah sogar, dass Craig Illogan, der gerade am Leuchtturm seine Hummerreusen ins Boot zog, heute eine rote Wollmütze trug.

Sie sollte also auch feststellen können, ob es sich bei dem Objekt, das dort in der Gischt hin und her rollte, um einen Menschen handelte oder nicht. Es war etwa zweihundert Meter entfernt, und auf die Distanz müsste zu sehen sein, ob es ein Gesicht hatte – oder zumindest einmal gehabt hatte. Marina kämpfte gegen einen Anflug von Panik an und stellte das Fernglas scharf. Das Objekt hatte Größe und Umfang eines Menschen und schien bekleidet zu sein, aber da es sich ständig bewegte, konnte man es nicht genau erkennen. Dennoch war Marina ziemlich sicher, dass es sich nicht um einen menschlichen Körper handelte.

Sie spürte, wie Gareth neben ihr förmlich vor Aufregung fieberte, und betrachtete das leblose Objekt noch einmal ganz genau.

»Und, ist es eine Leiche?«, fragte er erwartungsvoll.      Marina beschloss, dass es nicht schaden konnte, dem Jungen eine Lektion zu erteilen.

»Ich bin mir nicht ganz sicher … Jemand sollte sich das genauer ansehen. Geh du mal hin, und überprüf das. Die Ebbe kommt, es besteht also keine Gefahr, solange du auf der Treppe vorsichtig bist.«

»A-aber … sollten wir nicht die Polizei oder die Rettungsboote alarmieren?« Gareths Gesicht war etwas grün geworden, aber Marina fand, dass ihr neuer freiwilliger Helfer lernen musste, was alles zur Arbeit auf der Wachstation dazugehörte. Das würde seine Feuertaufe werden – oder wohl eher eine Meerestaufe.

»Nein, ich möchte die Leute nicht grundlos losschicken. Außerdem ist in Porthmellow gerade ein Schwimmwettbewerb, da sind alle im Einsatz. Wir müssen auf Nummer sicher gehen. Du kriegst das schon hin, Gareth. Du hast doch gesagt, dass du endlich mal was Spannenderes machen willst als Teekochen und Einträge im Logbuch.«

»Ja, nur … w-wenn das jetzt wirklich eine .. echte Leiche ist?«

»Dann siehst du das auf den ersten Blick und rufst mich an, und ich verständige die Einsatzkräfte. Nimm dein Funkgerät mit, und sei vorsichtig. Ab mit dir. Je schneller wir das klären, desto besser.«

Während Gareth die Treppe von der Wachstation zum Strand hinuntersprintete, ließ Marina kaltes Wasser über ihre verbrannte Hand laufen und dachte dabei über das Objekt in der Bucht nach. Es hätte viel schlimmer kommen können. Es hätte wirklich ein ertrunkener Mensch sein können – und tatsächlich sah es beinahe so aus, das musste sie zugeben.

Kurz darauf beobachtete Marina, wie Gareth unten ankam und über die Felsen kletterte. Er war auf der Schule, an der sie unterrichtete, und seit ein paar Monaten Mitglied bei den »Wave Watchers«. Der Junge war extrem lebhaft und ein bisschen zu versessen auf »Action«, aber der Verein konnte auf freiwillige Helfer nicht verzichten. Marina hoffte, dass Gareth etwas ruhiger werden würde, wenn er mehr Erfahrung gewonnen hatte.

Ihren Schwur für Nate, damals in den Wind geschrien, hatte Marina niemals vergessen, und vor vier Jahren hatte sie einen ganz besonderen Weg gefunden, sein Andenken zu wahren. Direkt nach Nates Tod war sie von Trauer überwältigt gewesen und hatte lange noch gehofft, dass ihr Mann zurückkehren würde. Sie hatte kaum gewusst, wie sie die Tage durchstehen sollte, und die polizeilichen Ermittlungen waren eine zusätzliche Belastung gewesen.

Es hatte sich herausgestellt, dass Nate bis über beide Ohren verschuldet gewesen war. Er hatte sogar eine zweite Hypothek auf ihr Haus aufgenommen. Marina hatte immer befürchtet, dass es Geheimnisse zwischen ihnen gab, aber darauf wäre sie nie gekommen. Hatte Nate sich womöglich das Leben genommen, um vor seinen Problemen zu flüchten? Oder war es ein tragischer Unfall gewesen – war er einfach nur in einem Unwetter verunglückt, weil er ein bisschen Geld mit Angeln verdienen wollte?

Während Marina ihr Leben nach und nach wieder zusammengesetzt hatte, war ihr klar geworden, dass sie nicht alle Einzelteile wiederfinden würde. Schon allein deshalb würde das Bild am Ende ein anderes sein. Aber die Gründung von Wave Watchers hatte einige Leerstellen füllen können.

Nach Nates Verschwinden hatte Marina sich in den Kopf gesetzt, die verlassene Wachstation wieder zum Leben zu erwecken. Weil man der Küstenwache Gelder gestrichen hatte, waren mehrere Stationen in der Gegend geschlossen worden, und die Gebäude verfielen.

Mit einer Spendenaktion gelang es Marina, genug Geld aufzutreiben, um das Holzhaus zu renovieren und mit moderner Technologie auszustatten. Dabei hatte sie nicht nur einen neuen Sinn im Leben gefunden, sondern auch wunderbare Menschen kennengelernt. Zu Anfang hatte sie nicht geglaubt, ihr Projekt verwirklichen zu können, war dann aber auf eine nationale Organisation gestoßen, die Küstenwachen unterstützte und die Finanzierung der Ausrüstung und das Training für das Team ermöglichte. An die dreißig einheimische Freiwillige arbeiteten jeweils zu zweit in der Station und behielten alles im Auge. Ihnen entging nichts: Ob es nun eine Segeljacht mit Motorschaden war, ein Kind auf einer Luftmatratze, das aufs offene Meer hinaustrieb, oder Wanderer, die von der Flut abgeschnitten wurden.

Zu guter Letzt war es Marina sogar geglückt, Nates Schulden zu begleichen und mit einem Erbteil von ihrer Großtante die Hypotheken auf dem Haus abzulösen. Inzwischen unterrichtete Marina nur noch vier Tage die Woche an der Schule und hatte die Nachhilfestunden aufgegeben, um der Wachstation mehr Zeit widmen zu können.

Wie Marina selbst empfanden auch alle Einwohner von Porthmellow die Station als würdige Erinnerung an Nate. Es war ein ergreifender Moment gewesen, als Marina damals inmitten einer kleinen Menschenmenge eine Bronzeplakette enthüllt hatte. Die Inschrift lautete:

Im Gedenken an Nathan Hudson,

für immer in unseren Herzen,

von seiner Ehefrau Marina, in Liebe,

und den Einwohnern von Porthmellow

Marina war noch immer den Tränen nah, wenn sie an diese Zeremonie zurückdachte. Doch es erfüllte sie auch mit Stolz, wenn sie sich vor Augen hielt, was die Einwohner von Porthmellow und sie in der Zwischenzeit erreicht hatten. Es bedeutete ihr unendlich viel, dass sie dazu beitragen konnte, anderen Menschen zu ersparen, was ihr selbst widerfahren war.

Ihr Funkgerät knackte, dann war Gareths Stimme zu hören, die schrill und panisch klang. »Echt, ich glaub das nicht, sooo eklig! Iiiiih!«

»Gareth! Was ist?«

»Ey, mir ist so schlecht! Es ist eine tote Robbe, und die ist schon halb zerfressen und verfault und so! Und Algen und alte Kleider hängen dran fest, und lauter Zeug kriecht darauf rum! Krabben und irgendwelche Viecher mit zu vielen Beinen. Stinkt auch voll widerlich!«

»Aber es ist jedenfalls kein Mensch.«

»Nein. Nein, ist kein Mensch.«

»Dafür sollten wir sehr dankbar sein. Die arme Robbe ist vermutlich eines natürlichen Todes gestorben. Wahrscheinlich hat sich der Kadaver in Kleidern von diesem Containerschiff verfangen, das im Frühjahr Schiffbruch erlitten hat. Sobald du wieder hier bist, schau ich mir das mal selbst an.«

»Ich war mir sicher, dass es eine echte Leiche ist.« Gareth klang fast ein wenig enttäuscht.

»Na, zum Glück ist es nicht so, und wir wollen auch hoffen, dass wir nie eine finden. Komm zurück. Ich mach dir eine Tasse Tee, dann reden wir darüber.«

Marina legte auf, vermerkte den Vorfall im Logbuch und machte Tee. In beide Becher gab sie einen extra Löffel Zucker, zur Beruhigung. Sie war von Anfang an sicher gewesen, dass dort unten nicht die Leiche eines Menschen lag. Dennoch hatte der Vorfall düstere Erinnerungen heraufbeschworen, auch nach so vielen Jahren, und ihr verdeutlicht, dass die Vergangenheit noch immer irgendwo dort draußen zwischen den Felsen der Bucht lauerte und hervorbrechen konnte, wenn man es am wenigsten erwartete.

2

»Oh nee, verfluchte Sch…« Tiff Trescott verkniff sich den Rest des Fluchs, als sie bemerkte, dass ein altes Paar eilig auf sie zusteuerte. Sie war mit Karacho auf dem Hinterteil gelandet und hockte jetzt auf dem Kopfsteinpflaster gegenüber vom Hafencafé. Zwei junge Mädchen in Neoprenanzügen hatten auch beobachtet, wie Tiff umknickte und stürzte, zogen es aber vor, wie wild zu kichern, statt zu helfen.

»Alles in Ordnung, Mädchen?«, fragte der alte Mann, der mittlerweile mit seiner Frau bei ihr angekommen war.

»Sah nach einem ziemlich üblen Sturz aus«, sagte die Frau besorgt, die sich auf einen Gehstock stützte.

Der Mann streckte seine runzlige Hand aus, um Tiff hochzuhelfen.

»Danke der Nachfrage, alles okay«, antwortete sie und spähte zu ihrem Rollkoffer hinüber, der bedrohlich nah am Hafenbecken gelandet war. »Ich muss meinen Koffer retten, bevor er ins Wasser fällt.«

»Das mach ich schon«, erwiderte die Frau und steuerte mit erstaunlicher Geschwindigkeit darauf zu.

Tiff versuchte aufzustehen, aber ein heftiger Schmerz durchzuckte ihren Knöchel, und mit den glatten Sohlen ihrer hochhackigen Stiefel fand sie keinen Halt auf den Steinen. Sie stöhnte innerlich. Das Letzte, was sie wollte, war, hier Aufmerksamkeit zu erregen, aber das war nun schon passiert. Von der Terrasse des nahe gelegenen Pubs aus beobachteten bereits etliche Leute interessiert das Geschehen. So was Spannendes hatten die wahrscheinlich seit Monaten nicht mehr erlebt.

Der alte Bursche hielt Tiff weiterhin die Hand hin und zwinkerte jetzt auch noch. »Na, kommen Sie, bevor Sie ’ne weitere Bruchlandung hinlegen.«

Tiff beschloss, das Angebot anzunehmen, um sich nicht noch mehr zu blamieren, und staunte, wie kraftvoll sie hochgezogen wurde. Ihr Po fühlte sich feucht an. Na super, nasser Hintern und verstauchter Knöchel. Traumhafter Start.

Obwohl sie sich ziemlich zittrig fühlte, versuchte Tiff Haltung zu bewahren. »Vielen Dank, das war sehr nett von Ihnen«, sagte sie zu ihrem Retter.

»Keine Ursache. Jungen Damen in Not eile ich immer gern zu Hilfe.« Er gab ein gackerndes Lachen von sich.

Tiff konnte sich nicht erinnern, jemals als »junge Dame« bezeichnet worden zu sein. Als Dame hatte sie sich ohnehin nie gefühlt, und besonders jung kam sie sich mit ihren neununddreißig auch nicht mehr vor.

»Hier ist Ihr Koffer. Dem ist weiter nichts passiert«, erklärte die Frau, die mit Tiffs Gepäck zurückgekehrt war.

»Vielen Dank. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn er im Wasser gelandet wäre.«

»Der wär auf jeden Fall auf Grund gegangen«, verkündete der Alte mit Grabesstimme.

»Ist er aber zum Glück nicht, Troy«, sagte die Frau und verdrehte die Augen. »Ach, mir ist das Namensschild an Ihrem Koffer aufgefallen. Sind Sie vielleicht Tiffany Trescott? Marinas Tiffany?«

»Ja, aber ich werde Tiff genannt.« – »Ich bin Evie. Troy hier und ich sind gut befreundet mit Marina.«

Troy pfiff durch die Zähne. »Hast dich lange nicht mehr hier blicken lassen, Mädchen.«

»Ja, ich war in letzter Zeit nicht oft hier«, bestätigte Tiff, was eine kolossale Untertreibung war. Sie konnte an einer Hand abzählen, wie oft sie sich in den letzten zehn Jahren in Porthmellow aufgehalten hatte.

Tiff war in einer Villa in Oxfordshire aufgewachsen, ihre Eltern – der Vater Chirurg, die Mutter Anwältin – hatten Cornwall verlassen, als Tiff noch ein Kleinkind gewesen war. Während ihrer Schulzeit hatte sie aber manchmal die Ferien hier bei ihrer Cousine Marina verbracht. Tiff hatte schöne Erinnerungen an diese Zeiten. Obwohl Marina ein paar Jahre jünger war, genoss sie damals schon viele Freiheiten, und die jungen Mädchen waren nach Herzenslust an den Stränden und im Dorf umhergestreift. Marina war immer versessen auf Geschichten von Shoppingtouren und Theaterabenden in London, während Tiff es genoss, Dorfklatsch zu hören und die Surfer-Jungs zu beäugen. Den einen oder anderen hatte sie auch mal geküsst …

Seit ihrer Jugend war Tiff nur zweimal in Porthmellow gewesen, aber Marina hatte sie ab und zu in London besucht, in ihrem Zuhause, das leider nur noch ihr Ex-Zuhause war. Eine simple Zwei-Zimmer-Wohnung in einem langweiligen Viertel, Tiffs Zuflucht vor der gnadenlosen Welt des Journalismus.

»Ich lebe seit einigen Jahren in London«, erklärte sie den beiden.

»Oh je«, erwiderte Evie, als habe Tiff gerade von einem langen Knastaufenthalt berichtet.

»Oha«, sagte Troy. »Kennst du zufällig die Cousine von Foxy Seddon? Die wohnt auch in London.«

Evie schnaufte ungeduldig. »Wie denn, Troy? Da leben doch Millionen Menschen.« Sie beäugte Tiff eingehend. »Aber ich erinnere mich noch recht genau an dich. Du warst in den Ferien öfter bei Marina, oder?«

»Ja, stimmt.« Tiff lächelte, wappnete sich aber innerlich. Sie hatte vermutet, dass sich ein paar Einheimische an sie erinnern würden. Dass sie aber als Erstes einem Paar begegnen würde, das offenbar ihre gesamte Familiengeschichte kannte, hatte sie nicht erwartet.

»Schön, dich wiederzusehen«, sagte Evie. »Machst du Urlaub hier?«

Evie war so unbefangen direkt, dass Tiff sich von ihrer Frage nicht brüskiert fühlte.

»So ähnlich. Ich wollte Marina besuchen und ein bisschen ausruhen, Energie tanken.«

»Ach ja, jetzt fällt’s mir auch wieder ein, sie hatte erwähnt, dass sie Besuch bekommt.« Evie seufzte. »Sie wird froh sein über Gesellschaft, bald ist auch wieder der Jahrestag von Nates Verschwinden … schreckliche Geschichte. Ich kann kaum glauben, dass es schon fast sieben Jahre her ist.«

»Ja, die Zeit rast.« Auch bei Tiff war die Erinnerung noch frisch. Marina war nach Nates Verschwinden am Boden zerstört gewesen, obwohl die Ehe auf Tiff nie besonders glücklich gewirkt hatte.

»Ich hab ihn noch gewarnt, dass er nicht mit dem Kajak rausfahren soll. Es war schließlich ein Unwetter angekündigt«, sagte Troy düster. »Aber Nate wollte nicht auf mich hören. Er hat sich für meinen Rat bedankt, aber gegrinst dabei. Hielt mich wahrscheinlich für einen alten Spinner. Dabei kenn ich das Meer hier wie meine Westentasche. Ich arbeite immer noch für die Hafenleitung, weißt du.«

»Interessant«, sagte Tiff und nahm ihren Koffer hoch. Sie sehnte sich nach einem heißen Bad und einem schönen Glas Wein und befürchtete, dass Troy gleich seine gesamte Lebensgeschichte zum Besten geben würde. Obwohl Tiff die beiden nett fand, ging sie davon aus, dass sie auch eine Art Umschlagplatz für Dorftratsch waren. Evie kam ihr zum Glück zu Hilfe.

»Wir müssen jetzt los, Troy, sonst verpassen wir die Ankunft des Geburtstagskinds.«

»Geburtstagskinds? Daisy Seddon ist fünfundachtzig, Evie!«

»Na und? Da darf man sich doch trotzdem noch ab und zu ein bisschen kindisch aufführen. Das tut uns allen gut, nicht wahr?« Evie kicherte und zwinkerte Tiff zu, die das ausgesprochen sympathisch fand.

Die Uhr vom Glockenturm schlug, und Evie rief erschrocken: »Ach du liebe Zeit, es ist schon sieben! Wir kommen zu spät zur Party, Troy! Los, Abmarsch!«

»Ja, ja, schon recht«, erwiderte Troy. »Ach, Tiff, du gehst doch jetzt zur Coastguard Terrace hoch, oder?«

»Ja …«

»Ob du vielleicht was für mich beim finsteren Dirk abgeben könntest? Liegt auf dem Weg.«

»Beim finsteren Dirk?« Tiff glaubte, sich verhört zu haben.

Evie grinste vergnügt. »Dirk Meadows, Liebes. Er ist Mechaniker für Rettungsboote, weißt du. Aber du kannst die Post auch einfach in den Briefkasten werfen.«

»Aha.« Tiff war etwas perplex. »Und wieso nennt ihr ihn so? Macht er dauernd ein finsteres Gesicht?«

Evie kicherte. »Nein, also, er ist eben recht … temperamentvoll. Ähm, sagen wir mal … er hat häufig wechselnde Stimmungen.«

»Der Mann ist einfach so launisch wie das Wetter«, warf Troy ein.

»Ach, komm schon, so schlimm ist er auch wieder nicht«, widersprach Evie. »Zu mir ist er immer sehr höflich, und er hat umsonst unser Auto repariert. Das ruckelte doch so furchtbar.«

»War der Ladedrucksensor«, erklärte Troy. »Unser Automechaniker hier kam nicht dahinter, und unser Sohn war beruflich in Schottland, sonst hätte der das erledigt. Da ist Dirk eingesprungen. Was Motoren angeht, ist er jedenfalls das reinste wandelnde Lexikon.«

»Und es gibt auch jede Menge Frauen, die seine Launen gerne in Kauf nehmen würden, wenn sie nur an ihn herankämen«, fügte Evie schmunzelnd hinzu. »Ist ein schmuckes Mannsbild.«

»Sollte sich aber öfter rasieren. Sieht doch aus wie’n Räuber«, bemerkte Troy und gab wieder sein gackerndes Lachen von sich.

»Er wohnt zwei Häuser neben Marina, in der Nummer neun«, fügte Evie hinzu. »Ein kleines weißes Haus am Ende der Straße. Es wäre sehr lieb von dir, wenn du das Päckchen abgeben könntest, dann müssen wir unsere alten Knochen nicht den Berg hochplagen. Es sind Flyer zu unserem Spendenaktionstag für die Rettungsboote und die Wave Watchers.«

»Die Wave Watchers? Ist das dieses Team von Ehrenamtlichen, das die Küstenwachstation betreibt?«, fragte Tiff.

»Ja, genau, Marinas Truppe«, antwortete Evie.

»Na klar, das mach ich gerne für euch«, sagte Tiff. Damit konnte sie ihrer Cousine helfen und sich der Dorfgemeinschaft gleich als freundlicher, hilfsbereiter Mensch zeigen.

»Spitze«, sagte Troy. »Sieh dich nur vor mit diesen hochhackigen Stiefeln. Die Treppe nach da oben ist feucht und rutschig.« Er beäugte argwöhnisch Tiffs Schuhwerk.

Sie zögerte einen Moment, sagte dann aber lächelnd: »Klar, ich pass auf.« Troys etwas ruppige Äußerungen waren zwar gewöhnungsbedürftig, hatten aber einen gewissen Charme, und Evie hatte Tiff auf Anhieb sehr gefallen. Sie wollte unter allen Umständen einen guten Eindruck machen.

»Danke, du bist ein Goldstück«, sagte Evie. »Dann bis ganz bald!«

Die beiden zogen von dannen, und Tiff stieg vorsichtig die steile Treppe hinauf. Ihre Stiefel waren durchnässt und so rutschig, als hafte Schmierseife an den Sohlen. Tiff nahm sich fest vor, so bald wie möglich praktischere Schuhe anzuschaffen. Nicht nur, um Knochenbrüchen vorzubeugen, sondern auch, um in diesem Fischerdörfchen weniger aufzufallen.

Sie würde sich also von ihren heiß geliebten Designer-Wildlederstiefeln verabschieden. Stattdessen waren wohl Sneakers, Flipflops oder – der reinste Horror – womöglich Crocs angesagt. Ihr grauste bei der Vorstellung von klobigen Gummigaloschen an ihren Füßen. Das ging vielleicht doch zu weit.

Tiff ächzte und schnaufte wie eine Dampflok, während sie sich und ihr Gepäck den steilen Weg zwischen den Häusern hinaufschleppte. Endlich kam sie auf der schmalen Straße weit oberhalb des Dorfkerns an, Coastguard Terrace. Sie musste erst einmal stehen bleiben, um Atem zu schöpfen. Nicht einmal die längsten Treppen in der Londoner U-Bahn hatten sie auf diesen anstrengenden Aufstieg vorbereiten können – und keine noch so lebhafte Fantasie auf die berauschend schöne Aussicht, die sich ihr jetzt bot. Das Panorama war so überwältigend wie auf einer Postkarte, und zum Glück zog der Regen gerade Richtung Westen ab.

Der Hafen von Porthmellow besaß ein inneres und ein äußeres Becken. Beide waren gesäumt von pastellfarbenen Cottages, Geschenkläden und Esslokalen. Das Kopfsteinpflaster schimmerte im Sonnenlicht, und das Kreischen der Möwen und das Klirren von Segelhalterungen an Booten und Jachten waren bis hier oben zu hören. Außerhalb des äußeren Hafenbeckens tanzten weiße Schaumkronen auf den Wellen.

Dass Marina Porthmellow so liebte, konnte Tiff bei diesem Anblick plötzlich gut verstehen. Ganz anders als bei ihrer Ankunft. Da war sie erschöpft von der Zugfahrt gewesen und hatte schlechte Laune gehabt, wegen ihres unpassenden Schuhwerks und weil sie eigentlich überhaupt nicht hier sein wollte.

Der Aufstieg war jedenfalls trotz der Mühen auch anregend gewesen, und dieses Panorama bot ihr buchstäblich neue Horizonte. An den Hängen leuchteten die bunten Häuschen, im Westen war in dunstigem Blau die Halbinsel Penwith zu erkennen, der äußerste Zipfel von Cornwall. Und das Weiße dort drüben … Tiff zog ihre etwas extravagante Sonnenbrille aus der Tasche. Ja, auf der Klippe einen knappen Kilometer östlich stand ein flaches weißes Haus.

War das Marinas Wachstation? Tiff schluckte. Das, was sie selbst durchgemacht hatte, war nichts im Vergleich zu dem, was Marina hatte ertragen müssen. Und das Ganze war ein Schrecken ohne Ende für ihre Cousine, schließlich hatte man Nate nie gefunden. Er war natürlich garantiert tot, aber die Situation war einfach entsetzlich. Tiff hatte keine Ahnung, wie sie mit so einem Schicksal zurechtgekommen wäre.

Sie nahm sich vor, für Marina keine zusätzliche Belastung darzustellen, sondern gute Stimmung zu verbreiten und sich nützlich zu machen. Und ihre Cousine wieder in Ruhe zu lassen, sobald sich die Lage in London entspannt hatte. Irgendwann würde es so weit sein, und dann konnte Tiff sich eine neue Stelle bei einer guten Zeitung suchen und weiterleben wie gewohnt.

Mittlerweile war sie wieder zu Atem gekommen. Tiff zog ihren Koffer weiter die Straße entlang und hielt Ausschau nach der Nummer neun. Gut ein Drittel der Häuser war nicht mit Nummern gekennzeichnet, sondern trug nur unverständliche Namen wie »Chy an Mor« oder »Kerensa«. Um es noch komplizierter zu machen, waren mehrere Cottages weiß, in Schattierungen von schmutzigem Spülwasser bis Zahnpastalächeln. Hie und da gab es Zahlen – eine Vierzehn, eine Elf und eine Zehn –, aber ohne jede Logik und Ordnung.

Tiff bereute bereits ihr freundliches Angebot. Sie könnte natürlich auch einfach die Adresse auf den Umschlag schreiben und ihn dann unfrankiert in einen öffentlichen Briefkasten werfen. Dann würde sich Meister Dirk eigens zur Post begeben und Strafporto zahlen müssen.

Die Vorstellung, das sagenumwobene Ungeheuer von Porthmellow zu reizen, brachte Tiff zum Grinsen. Vor ihrem inneren Auge sah sie einen unrasierten Burschen mit wettergegerbtem Gesicht vor sich, der einen ölverschmierten Overall trug und einen riesigen Schraubenschlüssel oder irgendein anderes wuchtiges Werkzeug in der Hand hielt.

»Ah«, murmelte Tiff, als sie fast am Ende der Straße ein Haus entdeckte, das ihr allerdings eher sturmgrau als weiß erschien. Die Farbe wirkte frisch, es hatte also offenbar unlängst einen neuen Anstrich bekommen. Deshalb war wohl auch keine Hausnummer angebracht. Zum Glück hatte jemand eine Neun auf die Mülltonne gepinselt, und daneben klebte ein Sticker von der Seenotrettung. Man musste keine Starreporterin sein, um zu erkennen, dass es sich um die Behausung des finsteren Dirk handelte.

Tiff stellte ihren Koffer auf dem Schotterweg im Vorgarten ab – der diese Bezeichnung eindeutig nicht verdient hatte –, zog den Umschlag heraus und stieg die Steintreppe zur Haustür hinauf. Leider konnte sie beim besten Willen nirgendwo einen Briefkasten, Schlitz oder irgendeine andere Öffnung entdecken, in der sie die Post deponieren konnte.

Hm. Sie konnte damit umgehen, dass man in Porthmellow Hausnummern offenbar nach Lust und Laune vergab. Aber keine Briefkästen? Sollte das eine Art Eignungsprüfung sein, die Neuankömmlinge hier durchmachen mussten, bevor sie irgendwo was zu essen bekamen?

»Ach, Schei…«

Die Tür wurde so abrupt aufgerissen, dass Tiff beinahe rückwärts taumelte. Klassische Musik war zu hören, das Blumenduett aus »Lakmé«, heiter und bezaubernd – was man von dem Gesicht nicht behaupten konnte, das jetzt auf Tiff herunterblickte.

»Kann ich helfen?«, knurrte es.

Der Mann war so groß, dass seine dunklen Haare fast den Türrahmen streiften. Das konnte jedoch nicht Dirk sein, denn anstatt eines Mechaniker-Overalls trug der Hüne eine schwarze Smoking-Hose und ein weißes Hemd, das so weit aufklaffte, dass Tiffs Blick unwillkürlich auf seine sonnengebräunte, behaarte Brust fiel. Der Bursche war barfuß und hielt eine aufgelöste schwarze Seidenfliege in der Hand.

»Und?«, fragte der Mann stirnrunzelnd, während Tiff wortlos den Umschlag an sich drückte.

»Ich suche den fin… ähm, ich meine, Dirk. Dirk Meadows«, antwortete Tiff entschieden.

Die dunkelblauen Augen musterten sie. »Ist ja schön für Sie, aber wenn Sie mir Doppelverglasung andrehen wollen: Ich hab Dreifachfenster. Wenn’s um Dachbodenisolierung geht: Mein Haus ist warm. Und wenn Sie mich missionieren wollen, haben Sie hier sicher kein Glück.«

Tiff beschloss auf der Stelle, ihm den Umschlag nicht auszuhändigen. »Dann habe ich mich offenbar im Haus geirrt. Entschuldigen Sie bitte die Störung.«

»Ja, gestört haben Sie mich in der Tat.« Der Mann hatte keinerlei Akzent, stammte also eindeutig nicht aus Cornwall.

»Ja, Entschuldigen Sie, war ein Irrtum, ich überlasse Sie dann mal …« Tiff musterte ihn jetzt demonstrativ von Kopf bis Fuß, »Ihren Tätigkeiten.«

»Das ist gerade mein Problem. Die Tätigkeit. Ich krieg’s nicht hin!« Er wedelte aufgebracht mit der Fliege. »Ich krieg das verdammte Ding nicht umgebunden.«

»Ja, diese Teile sind ziemlich knifflig. Vor allem, wenn man sich nicht damit auskennt«, fügte Tiff etwas niederträchtig hinzu.

»Das kann man sich bei mir ja wohl denken, oder? Ist ausgeliehen, das Outfit.«

Tiff zog bedeutsam die Augenbrauen hoch. »Darauf wäre ich nie gekommen.«

Ein Schweißtropfen glitzerte in den dunklen Brusthaaren. Tiff ärgerte sich über die Unhöflichkeit ihres Gegenübers, mehr aber noch über ihre eigene Reaktion. Seit wann ließ sie sich von einem ansehnlichen Mann so schnell aus der Ruhe bringen? Sie hatte es in ihrem Leben mit viel attraktiveren Männern zu tun gehabt.

»Na, dann viel Glück mit der Fliege. Und danke für Ihre Zeit.« Widerstrebend löste Tiff den Blick von der imposanten Männerbrust und wandte sich zum Gehen. »Ich hatte ja gehofft, MrMeadows diesen Umschlag persönlich übergeben zu können … aber jetzt werde ich ihn wohl in den nächsten Briefkasten werfen müssen … sehr ungünstig, er ist nämlich nicht frankiert …«

»Warten Sie! Was wollen Sie denn von diesem Dirk Meadows?«

Jetzt war er plötzlich interessiert. Aber sie würde einen Teufel tun und diesem Rüpel erzählen, worum es ging.

»Ich fürchte, das kann ich Ihnen nicht sagen«, antwortete sie freundlich. »Das ist persönlich.«

»Dann kommen Sie am besten mal rein.« Er strich sich eine Haarsträhne aus den Augen. »Ich bin nämlich Dirk Meadows.«

Tiff zog eine Augenbraue hoch. »Sind Sie sich da sicher?«

»Na sicher bin ich sicher!«

»Und wieso haben Sie das nicht gleich gesagt?«

»Weil ich dachte, Sie wollen mir irgendwas verhökern oder mich bekehren.«

»Wie Sie schon sagten: Das hätte ja wohl sowieso nicht geklappt«, bemerkte Tiff schlagfertig.

Zu ihrem Erstaunen rief das ein trockenes Lächeln hervor, das dem Mann gut zu Gesicht stand. »’tschuldigung. Ich war wohl ein bisschen unhöflich. Aber ich muss zu einer Veranstaltung, und wegen diesem blöden Ding hier bin ich spät dran.« Er wedelte erneut mit der Fliege.

Seine Stimme klang jetzt etwas weniger schroff, und Tiff zögerte. Sie war selbst schon spät dran, aber Marina würde ihr das sicher nicht übelnehmen. Und irgendetwas an Dirk ließ Tiff keine Ruhe – mal ganz abgesehen davon, dass der Mann wirklich ziemlich gut aussah.

»Ähm …«, gab er jetzt von sich.

»Ja?« Sie war immer noch unentschlossen, ob sie nicht lieber das Weite suchen sollte.

»Ähm … ja, also … Sie scheinen mir eine Frau zu sein, die … sich mit Kleidung auskennt.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Sie … ähm … wirken sehr gepflegt und … Ob Sie das verdammte Ding vielleicht für mich binden könnten?« Er hielt die Fliege hoch.

Tiff brach in lautes Gelächter aus.

»Bitte?«, fügte Dirk hinzu. Mit einer gespielt galanten Geste wies er durch die Tür, und Tiff spazierte an ihm vorbei in die Höhle des Löwen.

Die aber keineswegs wüst aussah: Das Wohnzimmer war mit schlichten hellen Holzmöbeln eingerichtet, von denen einige antik, andere neu waren. Tiff erfasste in Sekunden das ganze Bild, da sie es als Journalistin gewohnt war, sich anhand von Einrichtungen schnell eine Meinung über Menschen zu bilden. An den leicht schiefen und weiß getünchten Steinwänden hingen Fotos von Porthmellow und Meeresansichten. Der Raum war sauber und ordentlich. Fehl am Platz wirkten lediglich die zwei schwarzen Socken, die zwischen Stapeln von Zeitschriften über klassische Musik und Bootstechnik auf dem Wohnzimmertisch lagen.

»Also, ein älterer Herr namens Troy hat mich gebeten, Ihnen das hier zu geben«, erklärte Tiff und überreichte Dirk den Umschlag. »Es hat mit einem Spendenaktionstag zu tun. Ich bin auf dem Weg zu meiner Cousine«, fügte sie hinzu, »und da ich ohnehin hier vorbei musste, konnte ich den alten Herrschaften den Aufstieg ersparen.«

»Troy und Evie kennen jeden hier, denen entgeht nichts. Danke.« Dirk legte das Päckchen auf eine Kommode an der Tür. Offenbar hatte sich Tiff etwas zu aufmerksam im Zimmer umgeschaut, denn als sie Dirk wieder ansah, lag ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen.

»Möchten Sie, dass ich …« Sie wies mit dem Kopf auf die aufgelöste Fliege.

»Wenn es Ihnen nichts ausmacht …« Seine Finger streiften leicht ihre Hand, als er das schwarze Stoffstück überreichte, und Tiff fiel auf, dass er für einen Mechaniker erstaunlich schöne Hände hatte. Sie waren kräftig, aber sauber und mit kurzen gepflegten Nägeln. Und er roch nicht nach Maschinenöl, sondern nach einem dezenten leicht holzigen Aftershave.

»Aber ich mach erst mal mein Hemd zu«, verkündete Dirk.

»Das wäre zweckmäßig«, bemerkte Tiff trocken, während die ansehnlichen Brustmuskeln unter dem schneeweißen Stoff verschwanden. Nachdem Dirk den obersten Knopf geschlossen hatte, ließ er den Kragen hochstehen und legte die Fliege um.

Mit ihren eins siebzig war Tiff nicht gerade klein, aber sie musste sich recken, um sie zu binden. Das hatte sie tatsächlich schon oft gemacht – für Studienfreunde, Kollegen, Liebhaber und natürlich für Warner. Zum letzten Mal an Silvester, bevor sie beide zu einem Ball mit viel Politprominenz aufbrachen. Damals war Tiff so glücklich und verliebt gewesen – und so naiv zu glauben, dass Warner das Gleiche empfand.

»Alles okay?«, fragte Dirk, fast etwas besorgt, wie ihr schien.

»Ja. Ja, klar.« Tiff nahm sich zusammen und beugte sich vor. Sie spürte seinen warmen, nach Minze riechenden Atem an ihrer Wange. Zum Glück war die Fliege schön lang, und es gelang Tiff im ersten Anlauf, sie korrekt zu binden.

»Das geht übrigens viel leichter, wenn man sich dabei vorstellt, man bindet seine Schuhe.« Sie zupfte die Enden zurecht, dann ging sie erleichtert auf Abstand. Die körperliche Nähe zu Dirk löste ziemlich verwirrende Gefühle in ihr aus. »Sitzt perfekt. Wollen Sie mal in den Spiegel schauen?«

»Ich hab Vertrauen zu Ihnen.«

Nachdem sie nun offenbar Frieden geschlossen hatten, betrachtete Tiff einen Moment das Gesicht ihres Gegenübers. Sonnenbräune und ein paar Fältchen verwiesen auf viel Arbeit im Freien und vielleicht auch auf häufiges Stirnrunzeln. In den dichten Haaren, dunkelbraun wie Espresso, zeigten sich an den Schläfen erste Silberfäden.

Unvermittelt stellten sich weitere unerwünschte Erinnerungen an Warner ein. Zu ihm hatte sich Tiff auch sofort bei der ersten Begegnung körperlich hingezogen gefühlt, allerdings nicht so heftig wie zu diesem Fremden. Dirk Meadows könnte ihr wirklich gefährlich werden, wenn sie sich nicht beherrschte … aber Tiff hatte nicht vor, sich ein weiteres Mal so kopflos zu verhalten. Hätte sie sich damals nicht aus einem Impuls heraus auf Warner eingelassen, dann hätte sie nicht ihre gute Stelle bei der Zeitung und ihren tadellosen Ruf eingebüßt. Und würde jetzt nicht in einem Fischerkaff bei einem wildfremden Mann im Wohnzimmer herumstehen und bald ihrer Cousine zur Last fallen müssen.

»Dann wünsche ich viel Spaß beim Ball, Aschenputtel«, sagte Tiff und trat den Rückzug an.

Dirk lachte. »Es ist kein Ball, nur ein Spenden-Galadinner für die Rettungsboote. Ein notwendiges Übel.«

»Ach, so schlimm klingt das gar nicht.«

»Kommt darauf an, ob man so was mag oder nicht. Ich vermute, Sie wären da ganz in Ihrem Element.«

Tiff runzelte die Stirn. »Wie kommen Sie denn darauf?«

»Weil Sie mit Fliegen so vertraut sind.«

»Das heißt noch lange nicht, dass ich mich bei dieser Art von Anlässen wohlfühle«, konterte Tiff. Jetzt jedenfalls nicht mehr, dachte sie. Wobei sich das in Anwesenheit von jemandem wie Dirk durchaus wieder ändern könnte … Sie rief sich zur Ordnung. Von charmanten, gutaussehenden Männern sollte sie sich vorerst fernhalten, so angeschlagen, wie sie von der Warner-Geschichte war. Wobei man Dirk wohl kaum als charmant bezeichnen konnte. Aber hinreißend war er trotzdem.

»Also, ich kann so was nicht leiden«, verkündete er.

»Ach, wer weiß, vielleicht haben Sie einen richtig netten Abend«, murmelte Tiff. Die Erinnerungen hatten ihr die Plauderlaune verdorben, und die Erschöpfung von der Reise machte sich bemerkbar.

»Das bezweifle ich … aber ich muss jetzt los, sonst komme ich zu spät.« Der schroffe Ton war zurückgekehrt, auch Dirk ging wieder auf Abstand. »Danke für die Hilfe«, fügte er hinzu.

Tiff verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und war sowohl erleichtert als auch enttäuscht angesichts der abgekühlten Stimmung. Sie hatten beinahe geflirtet, aber jetzt waren aus irgendeinem Grund wieder Gewitterwolken aufgezogen.

»Keine Ursache«, erwiderte sie knapp, anstatt etwas herzlicher »gern geschehen« zu antworten.

Er brachte sie zur Tür, die er dann ohne weitere Dankesworte hinter ihr schloss – und auch ohne Floskeln wie »Man sieht sich«.

Auf dem Rest des Wegs zu Marinas Haus dachte Tiff über diese eigenartige Begegnung nach. Durch ihre zwanzigjährige Laufbahn als Journalistin bei diversen Zeitungen und Zeitschriften hatte sie ein exzellentes Gedächtnis für Gesichter und Namen. Wenn eine Geschichte oder eine Person eine Erinnerung auslöste, konnte Tiff sie meist im Nu zuordnen. Manchmal stellte sich auch zuerst ein Bild oder ein Gefühl ein, eine Stimmung, die sie damit verband: tragisch, komisch, fröhlich oder dramatisch …

Dirk hatte jedenfalls eine eher tragisch-dramatische Ausstrahlung, und das nicht nur wegen seines Spitznamens. Tiff war ganz sicher, dass sie ihn schon mal irgendwo gesehen hatte. Aber ausnahmsweise wollte ihr beim besten Willen nicht einfallen, in welchem Zusammenhang.

3

»Im Ernst, Muscadet? So was gibt’s heutzutage noch?« Tiff hielt ihrer Cousine das Weinglas hin, als sie mit der gut gekühlten schlanken Flasche erschien.

»Passt gut zu dem Seehecht, den ich im Fischladen am Hafen gekauft habe«, erklärte Marina amüsiert. Sie selbst konnte nach dem Erlebnis mit der »Leiche« heute, von dem sie gerade berichtet hatte, auch gut ein Glas Wein gebrauchen.

Tiff kostete den goldgelben Muscadet. »Der schmeckt echt lecker. Du verwöhnst mich.«

»Deswegen brauchst du aber nicht so schuldbewusst zu gucken«, erwiderte Marina. »Ich stell rasch den Ofen an, hab den Hecht schon vorbereitet. Er ist mit Pancetta umwickelt, und es gibt Backkartoffeln dazu. Ich hoffe, du magst das?«

»Klingt fantastisch! Echt lieb von dir, aber du musst nicht so einen Aufwand für mich betreiben.«

»Das wird auch nicht die ganze Zeit so gehen, das kann ich dir versichern. Ich dachte nur, nach der langen Reise sollst du ein schönes Essen bekommen. Bin gleich wieder da.«

Marina lehnte jede Hilfe ab und verschwand in der Küche. Tiff machte es sich auf dem Sofa bequem und betrachtete das malerische alte Cottage. Nichts war gerade, weder Steinwände noch Holzböden und nicht einmal die Fenster. Marina hatte ihr einmal erzählt, das Häuschen sei früher eine Schmugglerkaschemme gewesen – aber wurde das nicht von jedem alten Cottage in Cornwall behauptet?

Marina und Nate hatten das Haus ein Jahr nach ihrer Hochzeit gekauft. Tiff war erst einmal hier gewesen, aber Marina und sie hatten regelmäßig telefoniert. An diesem furchtbaren Tag im Januar, als Tiff ihren Job verloren hatte, war ihre Cousine der erste Mensch gewesen, mit dem sie darüber gesprochen hatte. Marina konnte einfühlsam zuhören, ohne zu urteilen und zu werten, und war immer aufrichtig.

Tiffs Erinnerungen an ihre Aufenthalte in Porthmellow gehörten zu den glücklichsten ihres Lebens; sie hätte allerdings nie damit gerechnet, einmal selbst für längere Zeit hier zu wohnen. Ihre Mutter und Marinas Vater waren Geschwister, beide hier aufgewachsen.

Die beiden Cousinen verband vieles, nicht zuletzt die Liebe zum Wort. Nach der Journalistenschule hatte Tiff sich zur Kulturredakteurin beim Herald hochgearbeitet, und Marina war Lehrerin geworden. Äußerlich allerdings hätten die beiden kaum unterschiedlicher sein können.

Marina – die ihrer Großmutter mütterlicherseits ähnelte – war nur knapp 1,60Meter groß und hatte einen blonden Lockenschopf. Ihre Mähne bändigte sie meist zum Pferdeschwanz, vor allem wenn sie als Wave Watcher im Einsatz war und Uniform – Hosen und Sweatshirt – trug.

In Tiffs genetischem Erbe hatte sich die Familie ihres Vaters durchgesetzt. Sie war gertenschlank und hatte hellrote Haare, die ihre Mutter immer gerne als »tizianrot« bezeichnete, was Tiff auf die Nerven ging. Um ihre Mutter zu ärgern, tönte Tiff sich manchmal die Haare in anderen Rotschattierungen. Sie trug einen akkurat geschnittenen Bob, was jetzt wohl nicht mehr lange möglich sein würde. Ihr Londoner Salon war in weiter Ferne, und ob sie mutig genug sein würde, sich hier zu einem Friseur zu trauen, blieb abzuwarten.

Auch was die Persönlichkeiten anging, waren die beiden Cousinen sehr unterschiedlich. Tiff war als Journalistin härter und skeptischer, Marina dagegen eher sanft und freundlich. Sie neigte dazu, sich mehr um andere Menschen als um sich selbst zu kümmern, was ihr Tiffs Ansicht nach oft nicht gut bekam. Andererseits war Marina tatkräftig und konnte sich, falls nötig, auch durchsetzen. Sie hatte Tiff nach dem Desaster mit Warner sofort Unterkunft in Porthmellow angeboten und einen Kontakt zur Redaktion des hiesigen Lifestyle-Magazins vermittelt.

Im Umgang mit Menschen glaubte Marina immer an das Gute, während Tiff eher dazu neigte, alles anzuzweifeln und zu hinterfragen. Sie war auch der Meinung, dass Nate die Gutmütigkeit ihrer Cousine die ganze Zeit ausgenutzt hatte, aber Marina war gerade anfänglich bis über beide Ohren in ihren attraktiven Mann verliebt gewesen und hatte keinerlei Kritik an ihm geduldet.

Doch so sehr Tiff sich auch bemüht hatte – sie war einfach nicht warm geworden mit Nate. Als sie Marina zuletzt besucht hatte, hatte er über ihre Begeisterung fürs Unterrichten und das Gemeindeleben gespottet und sich über ihr Aussehen lustig gemacht, die gemeinen Bemerkungen dann aber gern als »Scherz« abgetan.

Tiff hätte ihm gerne einmal gründlich die Meinung gesagt, hatte sich aber ihrer Cousine zuliebe zurückgehalten. Und weil Tiff die abfälligen Blicke, die Nate ihr zuwarf, im Gegensatz zu Marina bemerkte, wusste sie auch, dass die Abneigung auf Gegenseitigkeit beruhte. Nate spürte, dass Tiff ihn durchschaute. Sie hatte gemerkt, dass sich hinter seinem verwegenen Piratencharme mit dem Ohrring und dem ganzen Zirkus ein mieser Lügner verbarg. Und an dem Abend vor ihrer Abreise hatte Tiff mitbekommen, wie er in einem Pub eine andere Frau küsste. Der war kein Jack Sparrow gewesen, so viel stand mal fest.

Damals hatte Tiff sich auf der Rückfahrt nach London den Kopf darüber zerbrochen, ob sie Marina von dem Vorfall erzählen sollte. Doch dann kam kurz darauf die Nachricht, dass Nate auf See verschwollen war und man sein Kajak in der Silver Cove gefunden hatte.

Tiff fuhr sofort nach Porthmellow zurück, um Marina zur Seite zu stehen. Ihrem Chef, der eine Story über das Ereignis verlangte, hatte Tiff eine Absage erteilt. Damit hatte sie sich bestimmt keinen Gefallen getan, aber das war ihr einerlei. Eine Woche war sie damals bei Marina geblieben und hatte sie nach Kräften vor den Medien abgeschirmt … Ironie des Schicksals …

Nate war niemals gefunden worden, und das Leben beider Frauen ging weiter. Es war kaum zu glauben, dass sich der Tag seines Verschwindens bald zum siebten Mal jährte. Dann konnte Nate offiziell für tot erklärt werden, was für Marina das Ende der finanziellen und rechtlichen Unklarheiten bedeuten würde. Und vielleicht war dieser Termin auch das letzte fehlende Puzzleteil zu ihrer seelischen Genesung.

Jetzt kehrte Marina aus der Küche zurück, und ein köstlicher Duft von Kräutern und Knoblauch wehte herein. Obwohl die Cousinen in all den Jahren nicht viel Zeit zusammen verbracht hatten, waren sie sich durch ihre regelmäßigen Telefonate sehr vertraut, und Tiff entspannte sich zusehends. Sie erkundigte sich nach ihrem Onkel und ihrer Tante, die jetzt im Nordosten von Cornwall lebten. Marina bedauerte, ihre Eltern nicht oft sehen zu können.

Tiff empfand es als Wohltat, Geschichten aus dem Alltag von Porthmellow zu hören, und sie unterhielten sich lebhaft über Marinas Schule, die Wachstation und ein paar der einheimischen Originale. Zu der Spendenaktion für Rettungsboote und Wachstation stellte Tiff einige interessierte Nachfragen, erfuhr aber nichts weiter über Dirk Meadows. Sie wollte sich keine Blöße geben, was ihn anging. Schließlich kamen sie auf Tiffs neuen Job zu sprechen.

»Wird eine ziemliche Veränderung sein, für eine Regionalzeitschrift zu arbeiten. Aber es ist mal was Neues«, sagte Marina, die wie immer das Glas als halbvoll betrachtete.

»Sie zahlen natürlich mies, aber ich bin dankbar für die Chance. Und ich habe ja noch die Einnahmen durch meine Wohnung in London. Ich komme schon zurecht. Natürlich beteilige ich mich auch an deiner Miete.« Tiff nahm an, dass ihr Beitrag zu den Haushaltskosten sicher mehr als willkommen war. Aber es gab noch einen anderen Grund dafür, dass sie einigermaßen entspannt auf ihre Finanzen sah. Sie hatte zugesagt, heimlich für eine weitere Zeitung zu arbeiten, und fühlte sich ein bisschen unwohl, weil sie ihrer Cousine das verschwieg. Eine Redakteurin vom Konkurrenzblatt des Herald war bereit, sie zu unterstützen, wenn sie im Gegenzug Tipps für interessante Storys aus der Region lieferte. Tiffs Name taugte zurzeit nichts mehr, aber sie konnte immerhin verdeckt arbeiten. Und wenn bei der Regiozeitschrift auch noch etwas für sie heraussprang, war sie gut beschäftigt und würde vielleicht nicht komplett durchdrehen.

»Was ist eigentlich genau passiert, Tiff?«, fragte Marina jetzt behutsam. »Es muss etwas sehr Dramatisches gewesen sein, wenn du deshalb deine Stelle verloren hast. Du wolltest ja nur persönlich darüber sprechen. Vielleicht würde es dir guttun, es jetzt mal loszuwerden. Meine dunklen Geheimnisse kennst du ja alle.«

Tiff war gerührt. In London hatte sie niemanden, mit dem sie über »dunkle Geheimnisse« sprechen konnte, nur Bekannte, Konkurrentinnen – und einen Ex, mit dem sie sich naiverweise eine Zukunft erhofft hatte.

»Wir wollten zusammenziehen …«, murmelte sie, weil sie gerade bei diesem Gedanken angelangt war.

»Du und dieser Politiker?«

»Er ist kein Politiker, nur politischer Berater für einen Minister. Ein ›Lakai‹, wie er selbst sagt. Und genau diese Art mochte ich so an ihm: Ich fand ihn so uneitel, so selbstironisch – was bei Leuten in solchen Positionen sonst nie vorkommt, kann ich dir sagen. Aber inzwischen weiß ich eben, dass das alles nur Tarnung war. Er ist genauso ein Arsch wie alle Leute in der Politik, ob Männlein oder Weiblein.«

Marina runzelte die Stirn. »Du scheinst echt eine harte Zeit durchgemacht zu haben. Das tut mir leid, Tiff. Was ist denn genau passiert?«

»Marius Woodford-Warner ist passiert. Oder Warner, wie ihn seine ganzen angeblichen Freunde nennen.« Tiff sah sie vor sich, die unsympathischen Regierungslakaien aus seinem Cricket-Team, und bereute jeden einzelnen Sonntag, den sie gelangweilt mit trockenen Gurken-Sandwiches am Spielfeld verbracht hatte. Am allermeisten bereute sie allerdings, sich überhaupt in Warner verliebt zu haben. Denn ihre Gefühle hatten sie blind gemacht für die Wahrheit: dass er sie nur als Mittel zum Zweck benutzt hatte.

»Sind wirklich alle Leute in der Politik so unehrlich?«, fragte Marina. »Gibt es nicht auch welche, die versuchen, etwas gut und richtig zu machen? Etwas zu verbessern?«

Wie immer versuchte Marina das Gute in den Menschen zu sehen. Tiff dagegen traute niemandem mehr über den Weg, der auch nur entfernt mit Politik zu tun hatte. »Doch, zu Anfang versuchen natürlich viele genau das, und einige schaffen es sogar – bis sie die Karriereleiter hochklettern. Man kann ganz gut seinen Prinzipien treu bleiben, solange man sich nicht der Partei oder der Regierungslinie unterordnen muss, um Erfolg zu haben. An dem Punkt treten die meisten dann ihre Integrität in die Tonne.«

»Aber du schreibst doch eigentlich gar nicht über Politik, Tiff, oder? Ich dachte immer, du interessierst dich eher für Lifestyle- und Frauenthemen und allgemeine Reportagen. Wie bist du überhaupt in diese Szene geraten?«

»Eine Story war schuld daran. Ich dachte, ich wäre einem Riesenskandal auf der Spur, in den Warners Boss verwickelt war. Nennen wir ihn mal MrUnseriös. Du kannst dir sicher denken, wer gemeint ist …«

Marina rümpfte die Nase. »Allerdings. Dem traue ich auch nicht über den Weg.«

»Und Warner ging es genauso, hat er mir gegenüber jedenfalls behauptet. Und sogar, dass er ihn verabscheut. Aber inzwischen weiß ich, dass er das alles nur vorgetäuscht hat. Und zwar, um meine Zeitung in Misskredit zu bringen. Wir hatten versucht, die dunklen Machenschaften von seinem Boss ans Licht zu bringen. Es hieß, er sei in korrupte Geschäfte mit einem großen Bahnunternehmen verwickelt.

Warner servierte mir ein paar vermeintliche Insiderinformationen, und ich bin voll in die Falle gegangen. Er meinte, sein Boss habe Bestechungsgelder eines Bahnunternehmens genommen und im Austausch fette staatliche Aufträge vergeben. Warner schlug vor, wir sollten ihn gemeinsam an den Pranger stellen. Aber dahinter steckte in Wahrheit das Komplott, dass Warner und sein Boss meine Zeitung fertigmachen wollten.«

Marina sah entsetzt aus. »Du meinst, Warner war nur deswegen mit dir zusammen? Ich hatte die ganze Zeit den Eindruck, dass es gut läuft zwischen euch. Bis zur Trennung natürlich …«

»Ich … also, ich denke immer noch, dass es am Anfang wirklich zwischen uns gefunkt hat«, antwortete Tiff. »Aber vielleicht rede ich mir das auch nur ein. Ich kannte ihn ja schon länger, und vor zwei Jahren fingen wir eine Beziehung an, zunächst noch ziemlich locker. Dann wurde Warner befördert und hatte wahnsinnig viel zu tun. Ich dachte, er müsste einfach mehr arbeiten. Aber im Rückblick sehe ich, dass er damals auch immer distanzierter wurde. Und ich wollte einfach die Wahrheit nicht erkennen: dass ich genauso von ihm benutzt wurde wie alle anderen Menschen, mit denen er zu tun hat.«

Tiff hielt inne. Auf keinen Fall wollte sie in Selbstmitleid versinken oder womöglich in Tränen ausbrechen. Und schon gar nicht vor Marina, die nun wirklich ganz andere Probleme hatte. »Ich bin eben ein dummes altes Huhn«, fügte Tiff hinzu.

Das war am schwersten zu ertragen: dass sie, die abgebrühte Journalistin, sich so übel hatte hereinlegen lassen. Sie schämte sich, ihr Selbstwertgefühl war angeschlagen, und sie war zutiefst verunsichert.

»Ach, Tiff, das tut mir so leid für dich. Aber du bist weder dumm noch alt«, sagte Marina tröstend. Tiff spürte, dass ihre Cousine aufrichtig besorgt war.

»Na, ich fühl mich aber so!« Tiff lachte. Sie war nur drei Jahre älter als Marina, aber die wirkte trotz allem, was sie durchgemacht hatte, mit ihren sechsunddreißig Jahren immer noch mädchenhaft. Dazu trug der blonde Pferdeschwanz genauso bei wie die Tatsache, dass sie Make-up nicht nötig hatte: Sie sah immer frisch aus, weil sie so viel draußen in der Natur war. Tiff dagegen besaß Tonnen teurer Kosmetika – größtenteils Werbegeschenke –, die sie in letzter Zeit auch gebraucht hatte, um nur halbwegs menschlich auszusehen.

Tiff dachte wieder einmal, dass Nate wirklich ein Riesenglück gehabt hatte, eine Frau wie Marina gefunden zu haben. Sie sah nicht nur toll aus, sondern war zudem einfühlsam und fürsorglich.

»Und was hat Warner nun genau gemacht, das dir so geschadet hat?«, fragte sie jetzt.

Tiff seufzte. »Er hat mir E-Mails gezeigt, die beweisen sollten, dass sein Boss Bestechungsgelder des Bahnunternehmens angenommen hatte. Ich vertraute Warner und hielt die Mails für echt, deshalb haben wir die Story dann gebracht.« Sie verstummte, noch immer fassungslos, dass sie so leichtgläubig gewesen war, auf diese Finte hereinzufallen.

»Dann hat sich herausgestellt«, sprach sie schließlich weiter, »dass die Mails gefälscht waren. Warners Boss drohte, die Zeitung zu verklagen. Wir mussten einlenken und einen Widerruf abdrucken, und dann hieß es, er würde nicht vor Gericht gehen, wenn die Zeitung einer Wohltätigkeitsorganisation seiner Wahl eine große Spende machen und mich feuern würde. Der Herausgeber willigte ein und überredete mich, selbst zu kündigen. Er sagte, ab sofort würde man nur noch Meldungen über Warners Boss veröffentlichen können, wenn sie absolut hieb- und stichfest seien. Und jetzt bin ich natürlich Gift für die großen Londoner Zeitungen, wahrscheinlich für immer. Keiner will mehr was mit mir zu tun haben.«

Marina riss erschrocken die Augen auf. »Aber bestimmt nicht für immer! Du hast doch sicher Freunde, die dich irgendwie unterstützen?«

Tiff schüttelte den Kopf. »Ich hab Kollegen, Kontakte, Bekannte – aber niemanden, dem ich absolut vertrauen würde. Außerdem kann es sich keiner erlauben, mit jemandem in meiner Lage in Verbindung gebracht zu werden. Ich werde garantiert ewig nirgendwo eingestellt werden. Mit Journalisten hat niemand Mitleid, das liegt in der Natur des Berufs.«

Weil Tiff immer so im Stress gewesen war, hatte sie keine Zeit gefunden für die Pflege von Freundschaften.

»Echt furchtbar, wie du von diesen Menschen behandelt wurdest! Das macht mich richtig wütend.«

Tiff lächelte, dankbar für Marinas aufrichtiges Mitgefühl. »Na ja, ich hätte eben schlauer sein müssen. Und es hätte auch noch schlimmer kommen können. Immerhin hab ich ja hier ein bisschen Arbeit.«

»Vielleicht gefällt es dir sogar, für Cream of Cornwall zu schreiben«, sagte Marina ermutigend.

»Du hast recht. Und ich bin froh, dass sie mich als freie Mitarbeiterin genommen haben. Danke noch mal, dass du dich bei deiner Freundin für mich eingesetzt hast.«

»Sie war völlig verdattert, als ich ihr sagte, du seist den Sommer über hier und würdest dich über Aufträge freuen. Sie war der festen Überzeugung, sie könnte sich dein Honorar nicht leisten.«

Tiff lachte. »Ich bin zurzeit ganz anspruchslos.«

»Ich glaube, sie hat ein bisschen Angst vor dir.«

»Was, vor mir? Warum das denn? Ich bin doch völlig harmlos.« Tiff schnüffelte. »Mhm, irgendwas riecht hier himmlisch.«

»Oh ja, das Essen müsste fertig sein.« Marina sprang auf.

»Ich helf dir tragen! Und nachher räume ich alles auf«, verkündete Tiff und folgte ihrer Cousine in die Küche.

Sie aßen an dem kleinen Esstisch am Ende des Wohnzimmers. Von dort blickte man auf Marinas Garten und hatte Aussicht aufs Meer. In London war dieser Aprilabend wahrscheinlich so mild, dass man in den Bars draußen sitzen konnte, aber hier pfiff ein kalter Wind. Marina erklärte, sie würde später Feuer im Kamin machen, aber jetzt ließen sie sich erst einmal den Fisch mit Pancetta schmecken. Er war in einer würzigen Tomatensoße gedünstet, dazu gab es Meerfenchel mit Zitronenbutter und neue Kartoffeln.

»Mhm, Meerfenchel«, bemerkte Tiff beeindruckt. »Hast du den im Fischladen bekommen?«

»Nee, der ist von der Loe Bar.«

»Einer Bar?«

Marina lächelte. »Die Loe Bar ist eine Sandbank zwischen dem Meer und einem See. Da wächst der Meerfenchel. Die Kartoffeln und der Fisch sind übrigens auch von hier.«

Tiff seufzte genüsslich. Der Seehecht schmeckte herrlich. »Also geht es in Porthmellow doch nicht so unzivilisiert zu, wie ich befürchtet hatte …«

Marina lachte lauthals.

»Ich hatte übrigens auf dem Weg hierher auch schon eine Begegnung mit Einheimischen«, berichtete Tiff.

»Ach ja? Mit wem denn?«

»Troy und Evie Carman. Vorhin am Hafen bin ich ausgerutscht, da sind sie mir zu Hilfe geeilt. Inzwischen ist mir auch wieder eingefallen, dass ich die beiden von früher kenne. War sie nicht Lehrerin hier?«

»Ja, ist aber schon seit vielen Jahren im Ruhestand.«

»Reizende Frau. Hat einen tollen Humor. Ihr Mann hat mich gebeten, bei einem Freund ein paar Flyer abzugeben. Fanden wohl nichts dabei, mir ihre Post anzuvertrauen, sie wussten offenbar, wer ich bin.«

»In Porthmellow kannst du ganz entspannt sein«, sagte Marina. »Die Leute vertrauen einander.«

Tiff lächelte. »Wir hatten früher so eine gute Zeit hier zusammen, oder? Wäre schön, wenn wir ein bisschen herumstromern könnten, so wie damals.«

»Und Surfer gucken, oder wie? Ich glaube, ich muss mich heutzutage doch mehr zurückhalten …«

Der Muscadet blieb nicht ohne Wirkung, und Tiff schwenkte übermütig ihr Glas. »Weißt du noch, wie wir beide bei dieser Strandparty viel zu viel Cidre getrunken haben? Und ich dich fast nach Hause tragen musste? Gab ein Riesentheater mit deinen Eltern.«

Marina kicherte. »Na ja, ich war erst sechzehn.«

»Irgendwie hatte ich immer schon einen schlechten Ruf hier. Wahrscheinlich tratscht jetzt auch schon das ganze Dorf über mich. Die Rückkehr der hochnäsigen Londonerin, die mit ihren albernen Schuhen am Hafen gleich mal auf dem Hintern gelandet ist.«

Marina grinste. »Ein paar Leute erinnern sich vielleicht wirklich noch an dich. Aber ich bezweifle, dass sie sich den Kopf über dich zerbrechen. Bald bist du für die nicht interessanter als die Fischfangquote. Obwohl … die ist natürlich immer ein großes Thema … na, du weißt schon, was ich meine.« Sie verteilte den Rest des Weins. »Du wirst hier jedenfalls bald zum Alltag gehören, es sei denn, du lieferst spannenden Stoff für Klatsch und Tratsch.«

»Und genau das will ich vermeiden.« Tiff wedelte mit dem Zeigefinger. »Ab sofort werde ich ein zurückgezogenes, unbescholtenes Leben führen. Über die neue Zahnarztpraxis schreiben, die Vorzüge von Algenkuren erklären und die Restaurants preisen, auch wenn das Essen nichts taugt.«

»Also, das neue Lokal von Gabe Mathias ist spitze.«

»Echt?« Tiff zog interessiert die Augenbrauen hoch. »Ich hab mitbekommen, dass er jetzt hier lebt und ein neues Restaurant eröffnet hat … hm, das muss ich unbedingt mal ausprobieren.«

»Er wohnt ganz in der Nähe, im Clifftop House«, sagte Marina. »Ein super Koch – und superattraktiv. Er ist verlobt, mit einer Freundin von mir, Sam Lovell. Die beiden haben ziemlich viel durchgemacht, aber das sollte man der Presse wahrscheinlich nicht auf die Nase binden.«

Tiff spürte, dass es Marina ernst war, trotz ihres scherzhaften Tons. »Ich denke nicht daran, im Leben der Leute hier herumzuwühlen.«

»Gut. Immer schön bei den Zahnärzten und Algenkuren bleiben«, sagte Marina augenzwinkernd.