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Wir lieben uns doch! Warum streiten wir dann so viel? Jeder Streit ist wie eine Verletzung, wie ein Stich in unser Innerstes. In einer Liebesbeziehung spüren wir es am stärksten: Einerseits den Schmerz, das Unwohlsein und andererseits die Sehnsucht danach, dass es aufhört und sich wieder gut anfühlt. Wenn wir streiten, wollen wir Recht bekommen und gleichzeitig wünschen wir uns einen Weg, eine Brücke, die uns wieder wohl und sicher mit unserem Gegenüber fühlen lässt. Was als Liebespaar herausfordernd ist, wiegt für Eltern noch schwerer. Die neue Verantwortung für Kinder und die gleichzeitige Herausforderung, den Familienalltag zu meistern, ist oftmals kräftezehrend und frustrierend. Die Beziehung vieler Elternpaare kann in dieser Zeit in Schieflage geraten. Wir sind Bella und Chrisch Leisten, erfahrene Paartherapeuten und nehmen dich beispielhaft mit in den Alltag und den Paartherapieprozess des jungen Elternpaares Johanna und Mark. Sie streiten immer häufiger und distanzieren sich mit der Zeit stärker voneinander. Johanna fühlt sich zu Hause mit den Kindern allein gelassen, Mark fühlt sich nur noch angemeckert und egal, was er tut, es reicht nie. In unserem Buch bekommst du Einblicke in folgende Themen: • Solidarität • Aktive & passive Kompetenz • Das Schuldprinzip • Lebensgeschichte • Überforderung • Frustration • Erwartungen • Bindung & Autonomie • Wunde Punkte • Prinzipien in Beziehungen • Sich entschuldigen können • Sexuelle Frustration & Mitgefühl • Rituale • Angst vor Veränderung • Gleichgewicht & Prioritäten Zu allen Themen findest du Infos und Übungen im Buch. Zusätzlich erhältst du Einblicke in unser therapeutisches Denken und Handeln. Erlebe, wie Johanna und Mark darum kämpfen, wieder liebevoll und harmonisch miteinander umzugehen. Auf ihrem Weg erfahren sie viel Leid und Frustration, aber auch echten Fortschritt und eine positive Entwicklung ihrer Beziehungsdynamik. Erfahre, wie aus einer Krise eine Chance wird und was auch du tun kannst, um deine Beziehung harmonischer zu gestalten. Die Liebe ist etwas Schönes. Es lohnt sich, für sie zu kämpfen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2024
Bella Leisten | Chrisch Leisten
Neue Wege für die Liebe
Wenn Mama und Papa streiten
Judiskamee Verlag Kleve
Für alle Liebenden
Inhalt
Dunkle Wolken am Beziehungshimmel
Willkommen im Leben von Johanna und Mark
Ein Abend bei der Schwester
Paartherapie: Das Erstgespräch
Übung: Solidarität
Interview
Info: Aktive & passive Kompetenz
Die Entscheidung
Übung: Körperkontakt
Paartherapie: Es geht los
Info: Das Schuldprinzip
Übung: Schuldprinzip
Interview
Und immer, wenn du denkst …
Paartherapie: Das, was war, ist oft das, was ist
Info: Lebensgeschichte
Übung: Lebensgeschichte
Interview
Der Berg
Paartherapie: Über Berge und ihre Bewältigung
Info: Überforderung
Übung: Überforderung
Info: Frustration
Übung: Erwartungen
Interview
Eine Überraschung, die schief geht
Wieder mal Streit
Paartherapie: Der wunde Punkt
Info: Bindung & Autonomie
Übung: Bindung & Autonomie
Info: Wunder Punkt
Übung: Wunder Punkt
Interview
Wer hat Recht?
Paartherapie: Zwei Themen auf einmal
Info: Prinzipien in Beziehungen
Übung: Prinzipienfragen erkennen
Info: Sich entschuldigen können
Übung: Sich entschuldigen können
Interview
Die Last mit der Lust
Paartherapie: Wo ist sie nur hin, die Sexualität
Info: Sexualität als Eltern
Info: Körperliche Intimität
Interview
Komm ein bisschen näher
Paartherapie: Körperliche Nähe tut gut
Info: Sexuelle Frustration & Mitgefühl
Info: Rituale
Interview
Ein neues Gleichgewicht
Paartherapie: Gleichgewicht
Info: Angst vor Veränderung, Teil 1
Übung: Gleichgewicht
Interview
Silberstreif
Paartherapie: Der Thron unseres Lebens
Info: Angst vor Veränderung, Teil 2
Info: Prioritäten
Übung: Prioritäten
Interview
Ende gut, alles …
Über uns
Johanna seufzt und öffnet die Waschmaschine. Sie greift mit einer Hand in die Kleidung und flucht. Die Wäsche ist noch nass, schon wieder nicht richtig geschleudert, also noch einmal. Ärgerlich schmeißt sie die Tür zu, wählt das Schleuderprogramm und dreht sich um. Sie stemmt die Hände in die Hüften und lauscht.
Es ist verdächtig still im Haus, keine Kinder zu hören. Alarmiert steigt sie die Kellertreppe hinauf und sieht sich in der Küche um. Weder Anika noch Tom sind zu sehen, obwohl sie die beiden nur eben kurz in der Küche mit dem Abendbrot allein gelassen hat.
Anstatt die Kinder zu suchen, setzt sie sich an den Tisch. Erschöpft lässt sie die Schultern fallen und ihre Augen füllen sich mit Tränen. Nach einigen Minuten sind Geräusche an der Haustür zu hören, Mark kommt nach Hause, wie immer viel zu spät.
»Hallo, ich bin wieder da, wo seid ihr?!«
Stille. Johanna bleibt sitzen und starrt auf den Küchentisch, kein Impuls irgendetwas zu tun. Nach einigen Augenblicken kommt Mark in die Küche. Er sieht sich um, beißt sich auf die Unterlippe und begrüßt Johanna.
»Hey Schatz, ich bin wieder da … Wo sind die Kinder?« Johanna blickt auf und sieht ihm ausdruckslos in die Augen.
»Keine Ahnung ...«
»Wie? Keine Ahnung … Ich meine …«
»Ich war kurz Wäsche machen, komme zurück, Kinder nicht mehr am Tisch. Geh du sie doch suchen …«
Mark zieht die Augenbrauen hoch und atmet laut durch die Nase ein. Er dreht sich um und murmelt: »Wie immer tolle Begrüßung. Dann gehe ich mal.«
Über ihnen ist ein dumpfes Geräusch zu hören, dann ein weinendes Kind. Mark bleibt kurz stehen, dreht sich um und sieht Johanna vorwurfsvoll an. Sie steht auf und geht an ihm vorbei, als wäre er nicht da. Eilig nimmt sie die Treppe nach oben und geht direkt in Anikas Zimmer.
Auf dem Bett liegen die beiden Teller vom Abendbrot, das Essen komplett auf dem Bettlaken verteilt. Tom sitzt auf dem Boden, hält sich den Fuß und weint. Anika steht am Rand des Bettes, bereit zum Sprung, lachend. Johanna schüttelt den Kopf.
»Komm bitte da runter, Anika und hilf mir mit deinem Bruder.«
Anika streckt die Arme empor, lacht und ruft: »Mama, fang mich!«
Johanna geht zu Tom und setzt sich zu ihm
»Hey, was ist denn los?« Tom sieht sie an und beruhigt sich ein wenig.
»Mama, ich bin vom Bett gesprungen und umgeknickt. Jetzt tut mein Fuß ganz doll weh. Hier …« Tom fasst sich mit beiden Händen an das Fußgelenk.
»Ja, das tut bestimmt sehr weh. Was meinst du, sollen wir da ein wenig Eis drauf machen? Das hilft bestimmt.«
Mark erscheint im Türrahmen.
»Meine Güte, wie sieht es denn hier aus? Was ist passiert?«
Anika dreht sich um, läuft auf die andere Seite des Bettes und springt in Richtung Mark.
»Papa, fang mich!« Dieser macht einen Schritt auf Anika zu, geht in die Hocke und fängt sie auf.
»Na, meine Kleine, da bist du ja.« Mark richtet sich auf und mit einem kleinen Ruck nimmt er Anika auf den Unterarm und schaukelt sie ein wenig. Er sieht das Essen auf dem Bett, nimmt den Kopf ein wenig zurück und sieht Anika an.
»Warst du das?« Anika schüttelt den Kopf und zeigt auf Tom.
Mark seufzt. Mittlerweile hat Johanna Tom auf dem Arm, der immer noch ein wenig weint und sich dabei die Augen reibt. Als sie an Mark vorbeigeht, fängt dieser an zu sprechen.
»So, junger Mann, wie oft habe ich dir schon gesagt …«
Weiter kommt er nicht, denn Johanna ist einfach weiter gegangen, ohne stehen zu bleiben, geschweige denn zuzuhören. Mark bekommt rote Wangen und möchte hinterhergehen, aber Anika versucht auf seinem Arm auf- und abzuspringen. »Lass uns spielen, Papa, bitte …«
Mark lässt sie vorsichtig von seinem Arm und sieht sich im Zimmer um. Anika nimmt seine Hand und zieht ihn zielsicher in Richtung des Regals mit den Spielsachen.
Gute zehn Minuten später kommen Johanna und Tom zurück. Dieser geht direkt zu seiner Schwester, setzt sich zu ihr und beginnt mitzuspielen. Johanna atmet scharf ein und sieht Mark mit großen Augen an.
»Ist nicht dein Ernst, oder? Du machst hier einen auf Spiele-Papa? Hast du mal auf die Uhr geschaut? Oder auf das Bett? Denkst du, dass sich das von allein sauber macht? Oder dass die Kinder sich allein bettfertig machen?« Sie schüttelt und senkt ihren Kopf gleichzeitig.
»Keine Ahnung, was du von mir willst. Ich bin vor zehn Minuten nach Hause gekommen. Darf ich nicht kurz mit den Kindern spielen? Ich habe euch den ganzen Tag nicht gesehen, da …«
»Genau, Mark. Du warst den ganzen Tag nicht da und …« Anika ruft dazwischen: »Mama, Papa, nicht streiten!«
Johanna dreht sich um und geht nach unten in die Küche. Sie schnappt sich ein extra großes Weinglas aus einem der Küchenschränke und füllt dieses mit Weißwein. Sie holt sich eine Tüte Chips, setzt sich an den Küchentisch und fängt an zu trinken und zu knabbern. Ohne es zu merken, starrt sie irgendwann auf den Ring an ihrem Finger und beginnt diesen leicht hin und her zu drehen.
Sie schmunzelt und ist für einen kurzen Moment innerlich wieder barfuß, Hand in Hand mit Mark an dem Strand, an dem sie sich kennengelernt haben. Dann werden ihre Lippen zu zwei Schlitzen und Verbitterung macht sich in ihrem Gesicht breit. Von oben ruft Mark.
»Schatz, könntest du bitte …« Johanna steht auf und gibt der Küchentür mit dem Fuß einen Schubs, die einigermaßen laut zu fällt. Zurück am Tisch setzt sie sich und nimmt einen großen Schluck Wein. Das tut gut!
Nach einiger Zeit erscheint Mark in der Küche. Er sieht das Weinglas und macht ein verächtliches Geräusch.
»War ja klar. Kaum bin ich zu Hause, machst du direkt eine Flasche auf. Ist das alles hier so schlimm, dass es nur noch betrunken geht?« Johanna richtet sich auf und kneift ein wenig die Augen zusammen.
»Genau Mark. Wie wäre es denn, wenn es genauso ist, hm? Wenn ich das alles nur noch ertrage, wenn ich mich abends betrinke? Du hast recht, genauso ist es. Aber du hast natürlich nichts damit zu tun. Der feine Herr kommt wie immer zu spät nach Hause, nur um zu fragen«, Marks Ton nachahmend »wie es denn hier aussieht?«
Mark steht regungslos da mit offenem Mund.
»Hier hängt alles an mir und du machst einen auf Feierabend-Spiele-Papa. Hast du das Bett schon gemacht oder die Kinder bettfertig? Oder bist du hier, um mich zu bitten, dass ich das mache? Komm schon, trau dich!«
»Keine Ahnung Johanna, ich erkenne dich nicht wieder. Du bist nur noch am Meckern und abends am Trinken. Egal, was ich mache oder sage, immer gibt es etwas auszusetzen. Es ist nie genug. Ich bin anscheinend der einzige Grund, warum du nicht glücklich bist. Das nervt mich alles nur noch. Die letzten drei Tage habe ich mir wirklich Mühe gegeben, früher nach Hause zu kommen. Hast du nicht mal mitbekommen, war wie immer viel zu spät.«
»Ja, du bist ein echter Held, Mark. Eine Stunde früher nach Hause kommen, bedeutet, dass du dann nur neun Stunden nicht hier bist. Wow, Heldentat, das macht alles gleich viel leichter, wenn Super-Papa nicht zehn, sondern nur neun Stunden weg ist, Applaus!«
Die Kinder beginnen durch das obere Stockwerk zu toben. Johanna steht spontan auf, aber Mark streckt eine Hand aus, um sie zu stoppen.
»Dann geht«, betont »Super-Papa mal nachsehen.« Er verlässt die Küche.
Johanna muss fast lachen, aber sie entscheidet sich, wütend zu bleiben. Einen Moment steht sie da und überlegt. Sie greift zu ihrem Smartphone und ruft ihre Schwester an, die am Ende der Straße wohnt.
»Hey, Kathie.«
»Hey, Schwesterherz. Wieder mal dicke Luft? Willst du vorbeikommen?«
»Ja wäre das ok? Ich muss gerade echt mal raus hier, sonst passiert noch etwas.«
»Na klar, komm rum. Wir sitzen hier gemütlich bei einer Flasche Wein.«
Johanna schlüpft in ihre Schuhe, wirft sich eine Jacke über und schnappt sich ihre Schlüssel. Auf dem Weg nach draußen ruft sie nach oben: »Ich bin bei Kathie, wartet nicht auf mich.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, verlässt sie das Haus. Vor der Tür hält sie einen Moment inne. Es ist dunkel und frisch. Ein leichter Wind bringt ein wenig Kühle auf ihre Wangen. Die Straßenlaternen flackern, es ist angenehm still. Johanna zieht ihre Jacke zu und steckt die Hände in die Taschen.
›Das tut gut.‹ Sie atmet tief durch und macht sich auf den Weg.
Ganz schön dicke Luft, was?
Vielleicht erkennst du dich wieder und solidarisierst dich mit Johanna. Dir kommen ihre Gefühle, sich allein gelassen zu fühlen, bekannt vor. Oder du siehst dich in Mark, der sich nur noch angemeckert fühlt und denkt, dass es nie reicht, egal was er tut.
Dass wir in Beziehungen streiten, ist normal. Wenn Streits häufiger und auch heftiger werden, gerät unsere Liebe in Gefahr, wir sind unglücklich, hilflos und eventuell steht eine Trennung im Raum.
Wir sind Bella und Chrisch, Paartherapeuten und wir möchten dich mitnehmen auf Johannas und Marks Reise und dir erzählen, wie sie es schaffen, ihre Beziehung wieder harmonisch und liebevoll zu gestalten.
Wir nehmen dich dabei mit in ihren Alltag, zu ihren Paartherapiesitzungen, du bekommst Einblicke in unsere Reflexionsprozesse und Infos und Übungen, wie auch du an deiner Beziehung arbeiten kannst, wenn sie in Schieflage geraten ist.
Bei den Interviews wirst du der Neugier begegnen und nicht einer fiktiven Person. Das ist vielleicht etwas befremdlich zu Beginn, aber gerade die Neugier ist etwas sehr Wichtiges in unserer Arbeit. Sie sorgt dafür, dass wir immer wieder einen neuen Blick auf Situationen werfen, von denen wir denken könnten, dass sie eigentlich klar, selbstverständlich sind. Und wir möchten ihr zu mehr Popularität verhelfen, denn sie hat doch einen etwas lädierten Ruf.
Dieses Buch ist der erste Teil unserer Reihe »Neue Wege für die Liebe«, in der wir bedeutende Themen aus der Welt der Liebesbeziehungen aufgreifen. Für viele Paare ist eine Paartherapie noch immer etwas Beängstigendes. Was passiert dort? Werde ich bewertet oder angegriffen? Ist es nicht schwach, seine eigenen Probleme nicht selbst lösen zu können?
Nicht jedes Paar braucht bei Problemen gleich eine Paartherapie. Wenn du aber vielleicht schon einmal darüber nachgedacht hast oder dieses Thema deinem Partner, deiner Partnerin nahebringen möchtest, wird dir unser Buch bei der Entscheidung hoffentlich helfen. Als Therapeuten erleben wir die Liebe als etwas Vielfältiges.
Sie macht keinen Halt vor Geschlechtern, Kulturen, Hautfarben, Landesgrenzen, dem Alter oder der Anzahl der an ihnen beteiligten Menschen. Die Liebe ist bunt und etwas Wunderbares in all ihren Facetten. In diesem Buch beschreiben wir grundsätzliche Ideen und Prinzipien, die in Liebesbeziehungen eine Rolle spielen. Mark und Johanna stehen dabei für all die Paare, mit denen wir gearbeitet haben.
Nun aber zurück zur Geschichte. Schauen wir, wie es mit den beiden weitergeht ...
Kathies Mann Anton sieht Johanna fragend an.
»Sag mal, was ist denn los bei euch zu Hause? Du siehst so unglücklich und frustriert aus. Und wenn ich ehrlich bin, wirkst du schon länger so auf mich.«
Kathie schaut aufmerksam zu Johanna und dann lächelnd zu Anton:
»Jetzt lass sie doch mal ankommen. Sie wird uns schon erzählen, was los ist, wenn sie so weit ist.«
»Alles okay, Leute, das geht schon.« Ohne es zu wollen, beginnt sie zu weinen. »Entschuldigt, es tut mir leid.«
Mit einem kurzen Seitenblick zu Anton rutscht Kathie zu ihrer Schwester auf der Couch und legt beide Hände um ihre Schultern.
»Hey, schon gut.«
»Ach, das ist es ja. Nichts ist gut. Ich hocke den ganzen verdammten Tag in diesem Haus und warte. Ich warte, das Mark nach Hause kommt, nur um mich zu streiten. Ich warte auf die Kinder oder darauf, dass sie wieder irgendeinen Mist bauen, um den ich mich kümmern muss. Mich gibt es gar nicht mehr. Ich bin physisch vorhanden, aber von meinem Leben habe ich nichts!«
»Oh je, das klingt so, als würdest du dich sehr einsam fühlen und als würde im Moment alles keinen Sinn machen.« Beide Schwestern gucken erstaunt zu Anton.
»Äh, Schatz, so kenne ich dich ja gar nicht.«
Anton lächelt verschmitzt.
»Ist ja nicht so, als hätte ich in der Paartherapie nichts gelernt.« Johanna ist überrascht und wischt sich die Tränen aus den Augen.
»Wie? Paartherapie? Ihr beiden? Ich dachte, euch geht es gut miteinander. Ihr seid doch entspannt, nahezu dauerglücklich.«
»Ja, Schwesterherz, das stimmt schon, aber dafür haben wir ziemlich viel getan und sehr hart daran gearbeitet. Unter anderem auch in einer Paartherapie.«
»Paartherapie? Ist das nicht komisch oder gefährlich? Sagen die einem nicht immer, wer schuld ist oder dass man sich trennen soll?«
Anton und Kathie lachen spontan.
»Ich würde sagen, das, was vor der Paartherapie passiert ist, war ziemlich gefährlich. Uns ging es nämlich ähnlich wie dir oder vielmehr euch. Wir waren nur noch frustriert, haben viel gestritten und waren hässlich zueinander. Und na ja, jetzt erzähle ich es dir einfach mal …«
Kathie macht eine kurze Pause.
»Ja, jetzt sag schon«, sagt Johanna erwartungsvoll.
Kathie blickt zu Anton, der lächelt und nickt.
»Weißt du noch, als du vor einigen Jahren in einer anderen Stadt gelebt hast? Anton und ich, wir beide hatten damals eine Affäre und hätten uns beinahe getrennt. Mir war das damals peinlich, sodass ich es nicht erzählt habe, wir hatten zu der Zeit ja kaum Kontakt.«
Für einen Moment herrscht Stille und Schweigen. Johanna ist aufgeregt und neugierig. »Was? Ihr seid beide fremdgegangen? Beide? Zur gleichen Zeit?« »Genau.«
»Jetzt erzähl doch Kathie, mach das nicht so zäh.«
»Weißt du, das ist gefühlt schon so lange her und heute sehe ich vieles in einem anderen Licht. Wahrscheinlich möchtest du jetzt die ganzen Details wissen. Wer mit wem, wann, wo, wie und das alles. Aber ich denke, für Anton und mich ist das heute alles nicht mehr wichtig. Es sind andere Dinge wichtig geworden.
Wie wir füreinander da sind, wie offen wir über alles sprechen, auch wenn es um schwierige Themen geht. Früher haben wir uns bekämpft, uns nur gegenseitig die Schuld an unserem Unglücklichsein gegeben. Wie zwei verfeindete Einzelkämpfer, die den anderen dazu bringen müssen, uns wieder glücklich zu machen.
Und da wir das nicht konnten und uns sehr frustriert haben, sind andere Menschen in unser Leben getreten, die uns kurzzeitig ein gutes Gefühl gegeben haben. Aber durch diese Krise sind wir auch gewachsen. Wir sind jetzt ein ›wir‹, ein echtes Paar und keine Einzelkämpfer mehr.« Johanna hört still und nachdenklich zu.
»Du hast gerade im Grunde genommen meine Situation mit Mark beschrieben. Ziemlich exakt sogar. Nur, dass ich nicht fremdgehe. Ich meine, wer weiß, wenn das alles noch lange so weiter geht, könnte es mir auch passieren ... Oh je, denkt ihr, dass Mark?«
Jetzt schaltet sich Anton ein. »Ich denke nicht, obwohl ich es nicht wirklich wissen kann. Aber mein Gefühl sagt mir, dass ihr beiden gerade an einer anderen Stelle steht. Die ist genauso schmerzhaft und frustrierend. Aber es geht viel eher darum, dass ihr vielleicht schneller etwas unternehmt als deine Schwester und ich damals.«
Johanna sieht fragend zu Kathie: »Denkst du das auch?«
»Ich denke, dass ihr auf jeden Fall an eurer Situation arbeiten müsst. Und ich denke, dass ihr da nicht allein rauskommt und Unterstützung braucht. Weißt du, für uns war damals wichtig, dass wir uns entschieden haben, um unsere Beziehung zu kämpfen. Vor allem für uns selbst.
So gesehen ist das eigentlich einfach. Du sagst dir selbst, ›So ich kämpfe jetzt um diese Beziehung, diese Familie.‹ Schön und gut. Aber wie denn? Wir waren innerlich so voll mit diesem ›der oder die andere ist schuld‹, dass wir nicht vorwärtskamen, in unserem Versuch zu kämpfen. Da hatte Anton dann die Idee mit der Paartherapie. Und das war das Beste, was wir machen konnten.« Kathie beginnt zu lachen.
»Aber ich habe erst mit der Zeit erkannt, wie gut diese Unterstützung war. Zu Anfang fand ich es schwer, ach was, megaätzend.«
Alle schweigen einen Moment.
Johanna sieht beide abwechselnd an.
»Wenn ich darüber nachdenke, finde ich es spannend und interessant, ich würde gern etwas tun. Gleichzeitig fühlt es sich aber auch komisch an, so als würde ich scheitern und das möchte ich auch nicht.«
Anton versucht ihr eine Brücke zu bauen.
»Na ja, sieh es mal so. Bist du gescheitert, wenn du krank wirst und zum Arzt gehst? Ich weiß, das Beispiel passt nicht ganz perfekt, aber du verstehst, was ich meine, oder? Wir alle lernen nicht, wie wir eine gute Beziehung führen können. Wir beobachten einfach Menschen, die uns nah stehen und führen dann genauso unsere Beziehungen.
Das muss nicht verkehrt sein, aber es gibt sehr viele Wege, eine Beziehung auch anders und erfüllter zu führen. Dafür brauchen wir aber Menschen, die sich damit auskennen und es uns nah bringen, vielleicht sogar beibringen.«
Johanna lächelt. »Ich danke euch erst mal für eure Offenheit und die guten Worte. Ihr habt mich sehr nachdenklich gemacht. Ich muss das wirken lassen, an so eine Möglichkeit habe ich nicht gedacht. Also danke euch beiden. Auf jeden Fall geht es mir gerade ein gutes Stück besser.«
Kathie steht auf und holt eine Visitenkarte aus einer Schrankschublade.
»Hier, bei den beiden waren wir. Schau mal auf ihre Internetseite. Wenn du denkst, das könnte was für euch sein, könnt ihr sie kennenlernen. Es kostet nichts.«
Später lässt sich Johanna Zeit auf dem Weg nach Hause. Sie denkt über das Gespräch mit ihrer Schwester und Anton nach. Ihr gefällt der Gedanke, etwas für die Beziehung zu tun, alles nicht mehr nur hinzunehmen und daran zu arbeiten, dass es wieder besser wird. Aber wie ist es wohl, mit fremden Menschen über die eigene Beziehung zu sprechen? Und was wird Mark von dem Ganzen halten?
Sie bleibt kurz stehen und seufzt. Was ist, wenn er nicht mitmacht? Sie wischt ihre Zweifel beiseite. Mark schätzt Anton sehr. Wenn er hört, dass er sich auch darauf eingelassen hat, wird er bestimmt mitmachen.
Zwei Wochen später ist es so weit. Nach einigen kurzen Mails zur Terminvereinbarung und dem Organisieren einer Kinderbetreuung sitzen Johanna und Mark gemeinsam auf der Couch in einer Praxis für Paartherapie.
»Hallo Johanna und Mark, wir freuen uns, euch kennenzulernen. Ich bin Bella, 53 Jahre alt und seit 15 Jahren Therapeutin. Wir sind seit 21 Jahren ein Paar und haben eine 27-jährige Tochter. Und ihr habt es in der Mail gelesen, wir duzen alle unsere Klienten. Ist das ok für euch?«
Beide nicken.
»Auch ein Hallo von mir. Ich bin Chrisch, 49 Jahre alt und seit 15 Jahren Therapeut. Mir ist wichtig, euch gleich zu Beginn zu sagen, dass es Bella und mich als Paar ohne Paartherapie nicht mehr geben würde. Wir wissen also, wie es ist, dort auf der Couch zu sitzen, wo ihr jetzt sitzt.«
Bella: »Erzählt doch mal. Wer seid ihr, was macht ihr beruflich, wie lange seid ihr schon zusammen, habt ihr Kinder?«
Johanna lächelt nervös und blickt zu Mark. Dieser nickt und macht eine auffordernde Geste in ihre Richtung zurück.
»Ja also, ich bin Johanna, aber das wisst ihr ja schon. Ich bin 34 Jahre alt, Journalistin, aber momentan arbeite ich nicht, weil ich mich um unsere beiden Kinder kümmere. Tom ist jetzt fünf Jahre alt und Anika vier. Wir sind seit acht Jahren ein Paar und seit einiger Zeit läuft es bei uns nicht mehr gut. Ich denke, dass wir Schwierigkeiten mit unserer Kommunikation haben und ich würde gern etwas daran ändern.«
Chrisch: »Ok, danke, Johanna. Das klingt motiviert. Was ist mit dir, Mark?«