Neues Land E-Book

Nina Ender

• Herausgeber: Felix Bloch Erben
• Kategorie: Geisteswissenschaft
• Sprache: Deutsch

Seitenzahl: 55

Veröffentlichungsjahr: 2020

Beschreibung

Rachel, ihre beiden Töchter Cocco und Klein Lilli, und ihre alte Mutter Martha leben gemeinsam in einem Haus. Die von Verlust- und Versagensängsten getriebene Rachel versucht, sich in diesem Haus ein komplett kontrollierbares Reich einzurichten. Alles Draußen wird verboten und verleumdet. Die gesuchte Sicherheit bleibt ihr dennoch verwehrt. Ihre Mutter weigert sich, das Haus zu überschreiben. Weder ihr, noch der erfolgsverwöhnten älteren Schwester Rita Reck, die trotzdem öfter vorbeischaut, um ihr Recht einzufordern. Das Zusammenleben der fünf Frauen reduziert sich mehr und mehr aufs Kriegen. Gesagtes kann nichts mehr mitteilen. Im Trott ritualisierter Verhaltensweisen bleiben sie verfangen in alten Vorwürfen und gefangen unter der Verkrustung kaputter Strukturen. Dieser Vorhölle entkommt am Ende nur das zurückgebliebene Kind Klein Lilli, das den unbelasteten Blick wagt und einen Sprung aus dem Fenster. Freiheit als Vision. Und ein Baby wird geboren. Gemeinsam mit Nina Ender blicken wir in einen besonders tiefen und gefährlichen Abgrund: die Familie. Ender beschreibt in ihrem Stück diesen Abgrund mit drastischen Worten und packt die Familienhölle bei der Wurzel.

Leseprobe

Nina Ender

Neues Land

FELIX BLOCH ERBEN

Verlag für Bühne, Film und Funk

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Personenverzeichnis

eins / dunkel

zwei / hell

drei / hell

vier / hell

fünf / dunkel

sechs / hell

sieben / hell

acht / hell

neun / hell

zehn / dunkel

elf / hell

zwölf / hell

dreizehn / hell

vierzehn / dunkel

fünfzehn / hell

sechzehn / hell

siebzehn / hell

achtzehn / hell

neunzehn / hell

zwanzig / hell

einundzwanzig / dunkel

zweiundzwanzig / hell

dreiundzwanzig / hell

vierundzwanzig / dunkel

fünfundzwanzig / hell

sechsundzwanzig / hell

siebenundzwanzig / dunkel

achtundzwanzig / hell

neunundzwanzig / hell

dreißig / hell

einunddreißig / dunkel

zweiunddreißig / hell

dreiunddreißig / dunkel

vierunddreißig / hell

fünfunddreißig / hell

sechsunddreißig / hell

Über die Autorin

Über das Stück

Impressum

Personenverzeichnis

Rachel, 35Die alte Martha, altCorinna, 14, genannt CoccoKlein Lilli, das zurückgebliebene KindRita Reck, 39

RAUM

Weiß und Licht aus der Röhre. Nach und nach verschwinden mehr und mehr Sachen und der Schimmel hat sein Muster gemalt. Der Müll wird verpackt in himmelblaue Müllsäcke säuberlich aus dem Fenster geworfen.

1 Fenster, dahinter Himmel: blau. 1 Mülleimer: rot.

Alle sind immer im Raum!

Wer nicht direkt da ist, ist irgendwie abwesend. Bloß Klein Lilli, die hört immer ein bisschen zu.

eins / dunkel

KLEIN LILLIWo bin ich.

COCCOGibts da Haarspray.

KLEIN LILLIWo bin ich denn wo bin ich denn dann.

COCCOAber gibts da Haarspray.

RACHELWeil ich bin.

KLEIN LILLIAber ich bin doch da ich bin doch da oder oder.

RACHELWeil ich bin.

COCCOJa aber gibts da Haarspray.

RACHELWeil ich bin.

KLEIN LILLIBin ich da.

COCCOJa aber.

KLEIN LILLIBin ich da da.

COCCOJa aber gibts da Haarspray. Da krieg ich Allergie da krieg ich keine Luft mehr.

RACHELWeil ich bin wie eine Welt.

KLEIN LILLIAber wo denn.

COCCOJa aber gibts da Haarspray.

KLEIN LILLIWo bin ich denn dann.

COCCODa krieg ich Allergie. Da krieg ich keine Luft mehr da fall ich um und.

RACHELWeil ich bin wie eine Welt und die Angst von der ich rede ist ein Nager.

zwei / hell

DIE ALTE MARTHAIch hab solche Angst ob das wehtut was meinst du.

RACHELSpiel dich nicht auf. Passiert allen. Das passiert einfach. Gar nichts besonderes. Die Augen brechen. Sonst nichts. Das ist dann als fehlt ein Stück von den Augen. Da ist irgendwas weg das ist. Weil du entwichen bist.

DIE ALTE MARTHAWohin entwichen ich weiß nicht.

RACHELDas Haus gehört mir hast du gesagt. Richtig. Das ist wichtig hast dus auch aufgeschrieben.

DIE ALTE MARTHAIch weiß nicht.

RACHELDas ist aber wichtig. Hast dus irgendwo aufgeschrieben.

DIE ALTE MARTHAIch weiß nicht ich kann das nicht. Einfach so sterben und dann.

RACHELDann machs. Schreibs jetzt auf. Ehes zu spät ist.

DIE ALTE MARTHASpäter.

RACHELSchreibs jetzt auf. Da.

DIE ALTE MARTHASpäter. Ich machs später.

RACHELErzähl mir was. Von der Katze.

DIE ALTE MARTHAWenn einer sein Kind eine Maus nennt.

RACHELVon der Katze.

Schweigen.

RACHELIch war klein.

DIE ALTE MARTHANein nicht hab ich vergessen.

RACHELIch war klein ich kam heim ich habe geweint.

DIE ALTE MARTHANicht lass das hab ich vergessen.

RACHELDu fragst was ist los. Ich sag die andern haben gelacht.

DIE ALTE MARTHAAh genau stimmt ja hast Recht. Kannst ja aufhörn.

RACHELWoher dann hab ich geschrien woher kommen die Kinder denn dann.

DIE ALTE MARTHAIch weiß ja schon wieder. Kannst aufhörn.

RACHELAus dem Bauch raus. Hast du gesagt. Und ich wolltes nicht glauben.

DIE ALTE MARTHAIch weiß wieder ich weiß das kannst aufhörn.

RACHELUnd ich konnte das einfach nicht glauben.

DIE ALTE MARTHAHör auf. Bitte hör auf.

RACHELAus dem Bauch raus.

DIE ALTE MARTHAHör auf hör auf hör auf.

RACHELDu sagst dann nimm doch die Katze.

DIE ALTE MARTHAErzähl nicht ich weiß.

RACHELDas war deine Idee.

DIE ALTE MARTHAAufhörn.

RACHELUnd ich war ein Kind. Als du wiederkamst lag da die Katze ein Loch im Bauch und ich hatte fünf kleine Dinger aus dem glitschigen Zeug gepult so. Die warn da drin. Das war schon sowas ähnliches wie Katzenkinder immerhin. Ich habe Streichhölzer genommen. Fünf kleine Sargschachteln für fünf minikleine Katzenkadaver. Irgendwie niedlich. Ich war goldig als ich klein war nicht wahr. Erzähl was. Wie war ich. Goldig oder mich haben alle gemocht was.

DIE ALTE MARTHADu hast alle Streichhölzer weggeworfen. Die ganzen fünf Packungen. Die hätte man aufheben können. Einfach weggeworfen.

RACHELDu warst wieder am Müll.

DIE ALTE MARTHANein war ich nicht.

RACHELLos gib her.

DIE ALTE MARTHADas war ich nicht das warn die Mädchen.

RACHELLos wo ist sie gib mir die halbe Banane.

DIE ALTE MARTHAIch weiß nicht. Hab ich vergessen.

RACHELDas war eine Falle. Ich tat eine halbe Banane in den Müll. Und jetzt ist sie weg. Los wo ist die halbe Banane.

DIE ALTE MARTHADu wirfst zu viel weg.

RACHELDu sollst nicht an den Müll gehen. Hab ich dir gesagt.

DIE ALTE MARTHAWie du Kartoffeln schälst. Was da abfällt.

RACHELUnd ich hab dir gesagt dass ich das überprüf.

DIE ALTE MARTHADas ist kein Umgang mit Sachen.

RACHELDas ist wegen dem Krieg. Aber ich hab dir gesagt es gibt keinen Krieg.

DIE ALTE MARTHAHab ich vergessen.

RACHELIch will das nicht. Hier gibts keinen Krieg und ich werf weg was ich mag. Schau. (wirft ein großes Stück gelben Käse in den Mülleimer und trifft auch) So.

DIE ALTE MARTHADer gute Käse.

RACHELRühr dich nicht. Der ist jetzt im Müll. Und schreibst dus jetzt auf.

DIE ALTE MARTHAWenn einer sein Kind eine Maus nennt solang es so klein ist. Da hätte man dich bloß du Ratte nennen können.

drei / hell

KLEIN LILLIKomm spielen.

Schweigen.

KLEIN LILLIKomm spielen.

Schweigen.

KLEIN LILLIKomm spielen bitte bitte bitte.

Schweigen.

KLEIN LILLIEine kleine Pipimaus. Zog sich mal die Hosen aus. Zog sie wieder an. Und du bist dran.

Schweigen.

KLEIN LILLIEine kleine Pipimaus.

RACHELHalts Maul.

KLEIN LILLIEine kleine Pipimaus. Zog sich mal die Hosen aus.

COCCOMit was dran.

KLEIN LILLIUnd du bist dran.

COCCOMit was dran.

KLEIN LILLIEine kleine Pipimaus.

RACHELPiepmaus. Das heißt Piepmaus. Sofort gehst du ins Bad mit ihr und wäscht ihr den Mund mit Seife aus.

COCCOAber die.

RACHELKein aber. Und dann ab in die Badewanne.

KLEIN LILLI