Neunmal Geister und Dämonen: Gruselroman Sammelband 9 Romane - Alfred Bekker - E-Book

Neunmal Geister und Dämonen: Gruselroman Sammelband 9 Romane E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieses Buch enthält folgende Horror-Romane: (499) Alfred Bekker: Die Rückkehr des Dämonenjägers W.A.Hary: Totenland W.A.Hary: Manu W.A.Hary: Asmodis Alfred Bekker: May Harris - Das Böse lebt Alfred Bekker: May Harris und der Magier Alfred Bekker: Burg der Schatten Alfred Bekker: Blutige Tränen Alfred Bekker: Wölfe in der einsamen Geisterstadt Mark Tate ist der Geister-Detektiv. Mit seinem magischen Amulett, dem Schavall, nimmt er es mit den Mächten der Finsternis auf und folgt ihnen in andere Welten und wenn es sein muss, bis in die Hölle. Ihm zur Seite steht May Harris, die weiße Hexe.

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W.A.Hary, Alfred Bekker

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Inhaltsverzeichnis

Neunmal Geister und Dämonen: Gruselroman Sammelband 9 Romane

Copyright

Die Rückkehr des Dämonenjägers

Totenland

Manu

Asmodis

May Harris - Das Böse lebt

May Harris und der Magier

Burg der Schatten

Blutige Tränen

Wölfe in der einsamen Geisterstadt

Neunmal Geister und Dämonen: Gruselroman Sammelband 9 Romane

Alfred Bekker, W.A.Hary

Dieses Buch enthält folgende Horror-Romane:

Alfred Bekker: Die Rückkehr des Dämonenjägers

W.A.Hary: Totenland

W.A.Hary: Manu

W.A.Hary: Asmodis

Alfred Bekker: May Harris - Das Böse lebt

Alfred Bekker: May Harris und der Magier

Alfred Bekker: Burg der Schatten

Alfred Bekker: Blutige Tränen

Alfred Bekker: Wölfe in der einsamen Geisterstadt

Mark Tate ist der Geister-Detektiv. Mit seinem magischen Amulett, dem Schavall, nimmt er es mit den Mächten der Finsternis auf und folgt ihnen in andere Welten und wenn es sein muss, bis in die Hölle. Ihm zur Seite steht May Harris, die weiße Hexe.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER FIRUZ ASKIN

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Alles rund um Belletristik!

Die Rückkehr des Dämonenjägers

von Alfred Bekker

Grusel-Thriller

Der Umfang dieses Buchs entspricht 103 Taschenbuchseiten.

Sie fühlte sich beobachtet, glaubte regelrecht körperlich spüren zu können, wie der Blick eines Fremden auf ihr ruhte.

Ich bin nicht allein...

Es war eine instinktive Erkenntnis.

Sie sah hinaus in das Lichtermeer des nächtlichen Londons. Nebel zog von der Themse herauf.

Ein gestaltloses Etwas, das immer neue gespenstische Formen auszubilden schien.

Und dann hörte Rabea auf einmal wieder jenes Geräusch, das sie geweckt hatte. Jetzt, da sie es erneut hörte, erinnerte sie sich und erkannte es wieder.

Es war das hektische Schlagen schwarzer Schwingen.

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

Titelbild: Klaus Dill

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Prolog

„Willst du keine Waffe mitnehmen?“, fragte Meister Darenius, seines Zeichens immer noch – oder schon wieder Abt des Ordens vom Weißen und Heiligen Licht.

„Nein“, sagte Murphy. „In der Polyversums-Parallele, in die ich mich jetzt begeben muss, wirken die nicht.“

„Nichtmal der Dolch?“

„Nichtmal der.“

„Und was ist mit Branagorns Stern?“

„Ich glaube nicht.“

„Unter Umständen würde ich dir das Amulett mit den Elbenrunen auf deine Mission mitgeben, Bruder Murphy.“

Murphy knöpfte sich seinen Ledermantel aus. Es war irgendwie warm hier. Von den Bergen blies ein warmer Wind über die Maskatagne, die neue Heimat des Ordens, nachdem Clairmont zu einem Nest von Dämonenjüngern geworden war und die Realität selbst durch deren Aktivitäten so beschädigt wurde, dass man mit Fug und Recht behaupten konnte, dass die Grundfesten des Polyversums erschüttert waren. „Ich muss nach England“, sagte er. „Sonst nimmt die Dämonenherrschaft dort überhand.“

Sie standen auf dem Felsplateau vor der Schädelhöhle von Maskatan, ihrem interdimensionalen Zufluchtsort. Aber im tiefsten Inneren wusste Murphy, dass die Dämonen der Dämmerung oder ihre Diener eines Tages auch hier erscheinen würden.

Eines Tages...

1

Später stocherte Murphy mit seinem geweihten Dolch in dem konservierten Herzen eines zur Strecke gebrachten Dämonenjüngers herum. Für rituelle Zwecke war es immer noch gut. Blitze zuckten aus dem gerade aufgetauten Fleischklumpen heraus. Blut quoll hervor und für einen Moment schien es von einer eigenartigen Sorte Leben erfüllt zu sein. Murphy murmelte eine Formel dazu. Die Blitze wurden stärker, flackerten über den Dolch in seinen Arm und von dort weiter in seinen gesamten Körper und...

...seinen Geist.

Die erste metamagische Energieladung erfasste ihn mit der Wucht eines elektrischen Schlages. Murphy schrie auf. Der Schmerz war schier unerträglich. Aber er wusste, dass er die Kraft brauchte. Er musste sie in sich aufnehmen, sie spüren, durch den Schmerz hindurchgehen und dadurch Stärke gewinnen.

Später nahm er den BMW, der in der zur Höhle gehörenden Garage stand, nahm die Weststraße, die aus dem Hochtal der Maskatagne herausführte und trat das Gaspedal voll durch.

Er konzentrierte seine Energien. Eine Formel, die in den ABSONDERLICHEN KULTEN des verschwundenen Okkultisten Hermann von Schlichten stammte, half ihm dabei. Der Übergang zwischen den Dimensionen kam trotzdem spät. Aber er kam immerhin. Und zwar in Gestalt einer Nebelwand, die vollkommen undurchdringlich schien und eine Sicht von nicht mehr als fünf Metern erlaubte.

Eher drei!, ging es Murphy durch den Kopf.

2

Genau Mitternacht.

Geisterstunde.

Es war die Stimme aus dem Jenseits, die sie weckte.

So wie, wie schon in so vielen Nächten zuvor…

Schritte.

Ein Knarren des Fußbodens, das Herunterdrücken einer Türklinke…

Rabea Danbury schreckte auf.

Nein, durchzuckte es sie, da war noch etwas anderes!

Sie saß aufrecht und nassgeschwitzt in ihrem Bett und erinnerte sich an ein wirres Chaos düsterer Alpträume. Bilder, die rasch verblassten und an die sie sich auch nicht unbedingt erinnern wollte.

Sie atmete tief durch, strich das lange blonde Haar zurück und stand auf.

Was habe ich gehört?, ging es ihr durch den Kopf. Vielleicht nur den Wind?

Oder ein Echo aus dem Reich der Träume?

Sie schluckte unwillkürlich.

Jedenfalls war sie jetzt hellwach. Sie ging nach nebenan ins Wohnzimmer. Der Mond schien durch die Fensterfront ihrer Drei-Zimmer-Wohnung im vierzehnten Stock des exklusiven Londoner McGillan Towers. Sein helles Oval wirkte wie das Auge eines übermächtigen Wesens. Unwillkürlich erschauerte sie bei dem Gedanken.

Sie fühlte sich beobachtet, glaubte regelrecht körperlich spüren zu können, wie der Blick eines Fremden auf ihr ruhte.

Ich bin nicht allein...

Es war eine instinktive Erkenntnis.

Sie sah hinaus in das Lichtermeer des nächtlichen Londons. Nebel zog von der Themse herauf.

Ein gestaltloses Etwas, das immer neue gespenstische Formen auszubilden schien.

Und dann hörte Rabea auf einmal wieder jenes Geräusch, das sie geweckt hatte. Jetzt, da sie es erneut hörte, erinnerte sie sich und erkannte es wieder.

Es war das hektische Schlagen schwarzer Schwingen.

Etwas Dunkles erhob sich vor dem Fenster und Rabea zuckte augenblicklich ein Stück zurück.

Es war ein Rabe von außergewöhnlicher Größe, der die ganze Zeit über still und stumm auf dem Geländer des Balkons gesessen hatte, der zu dieser Wohnung gehörte. Im Schatten der Nacht hatte Rabea ihn nicht bemerkt.

Aber jetzt war er unüberhörbar.

Ein markerschütterndes Krächzen war selbst durch die Isolierscheiben hindurch deutlich zu vernehmen. Für den Bruchteil einer Sekunde sah Rabea zwei dunkle Augen, in denen sich das fahle Licht des Mondes spiegelte. Der große Vogel drehte ab und flog hinaus über das Lichtermeer der Stadt. Lichter, von denen eins nach dem anderen durch den Nebel verschluckt wurde.

In der Ferne hallte noch das schauerliche Krächzen nach.

Dies war kein gewöhnlicher Rabe!, ging es Rabea zitternd durch den Kopf.

"Hab keine Angst", sagte dann plötzlich eine Stimme in ihrem Rücken. Sie stieß einen kurzen, spitzen Schrei aus und wirbelte herum. Ihre Augen waren schreckgeweitet, das Herz schlug ihr bis zum Hals und für einen schrecklichen Moment lang erfüllte sie blanke Panik, als ein Augenpaar sie ruhig musterte.

Vor ihr stand eine transparente Gestalt.

Sie schimmerte geisterhaft und an manchen Stellen war die dahinter liegende Wand durch den Körper hindurch sichtbar.

"Troy!", entfuhr es Rabea.

Ein Lächeln erschien auf dem sympathischen Gesicht der geisterhaften Gestalt.

"Es ist alles in Ordnung, Rabea..."

"Oh, Troy..."

Es war der Geist ihres verstorbenen Verlobten, der wenige Augenblicke, bevor sie ihm in der Kirche ihr Jawort hatte geben können, tot zusammengebrochen war. Seitdem erschien Troy ihr in mehr oder minder regelmäßigen Abständen. Zunächst hatte sie sich dagegen gesträubt und befürchtet, den Verstand zu verlieren.

Inzwischen aber akzeptierte sie Troys Geist als etwas Natürliches.

Es tat ihr gut, mit ihm zu reden.

Der Schmerz war dann nicht so groß. Dieser unermessliche Schmerz, den der Tod eines geliebten Menschen nun mal verursachte.

"Ich bin froh, dich zu sehen", sagte Rabea. "Weißt du, ich habe viel an dich gedacht..."

"Du gehörst dem Leben, Rabea. Vergiss das nicht. Ich aber stehe auf der anderen Seite jener unsichtbaren Grenze, die die eine von der anderen Welt trennt..."

Rabea lächelte.

"Aber ich habe offenbar die Fähigkeit, hinüberzublicken."

"Ja, das mag sein…"

"Und ich bin froh darum. Denn ich liebe dich, Troy..."

"Du weißt, dass ich immer für dich da sein werde", erwiderte Troy. Sein Gesicht bekam einen leicht melancholischen Ausdruck. Er schwebte etwas näher.

"Du trägst noch den Smoking vom Tag unserer Hochzeit!", stellte Rabea fest. Sie seufzte.

"Rabea, du weißt, dass es mich viel Kraft kostet, für dich sichtbar zu werden."

"Ja..."

Noch mehr Energieaufwand verlangte es für Troy, wenn er auch für andere sichtbar sein wollte... Rabea verstand, worauf er hinauswollte. Troy war nicht einfach hier aufgetaucht, um mit ihr zu Plaudern. Sein Erscheinen hatte einen Grund.

Sie sah ihn an.

Er erwiderte ihren Blick.

„Ich muss dich warnen, Rabea… Inzwischen weiß ich, was geschah, als ich am Tag unserer Hochzeit plötzlich zusammenbrach. Durch die übersinnlichen Kräfte einer Hexe namens Maradina Tabras wurde meine Seele in ein Amulett gebannt… Jetzt bin ich ihr Gefangener… Das ist der wahre Grund dafür, dass ich nicht sterben kann… Durch diesen Zauber werde ich zwischen den Welten in der Schwebe gehalten.“

„Aber, Troy! Damals war niemand anwesend – außer unseren Verwandten und Bekannten!“

„Diese Maradina Tabras vermag jegliche Gestalt anzunehmen. Erinnerst du dich an fetten Raben, der damals in einem der Bäume saß…

Seine Erscheinung wurde etwas schwächer und durchscheinender. Seine Stimme klang immer schwächer und leiser. Ganze Sätze verstand Rabea gar nicht.

"Oh, Troy!", schluchzte sie.

"Pass auf dich auf...", hörte sie ich noch wie aus weiter Ferne sagen.

"Ich liebe dich Troy!", hauchte sie noch, ehe die geisterhafte Erscheinung völlig verschwunden war. Eine einsame Träne glitzerte im Mondlicht auf Rabeas Wange.

3

"Ich werde ohne Umschweife zur Sache kommen", sagte die dunkelhaarige, sehr gutaussehende junge Frau, die soeben im Büro der der lokalen Niederlassung des Ordens vom Weißen Licht Platz genommen hatte. Ihr Name war Victoria Rathbone und sie schien eine Vorliebe für die Farbe Schwarz zu haben.

Sie trug ein elegantes Kostüm in dieser Farbe.

Der einzige Lichtpunkt war eine silberne Brosche.

Das ebenholzfarbene Haar war zu einer strengen Knotenfrisur nach hinten gekämmt. Das Gesicht wirkte etwas bleich, war aber sehr fein geschnitten und hübsch. Ihr Blick drückte Selbstbewusstsein aus und ihr Auftreten hatte etwas an sich, das wie einstudiert wirkte. Sie schien sich ihrer Wirkung sehr wohl bewusst zu sein.

Sie sah zunächst Rabea Danbury, eine junge Frau von 22 Jahren, etwas abschätzig an und wandte sich dann Murphy , der sich bereits die Krawatte gelockert hatte. Er trug nämlich zurzeit einen unauffälligen Anzug – nicht den langen Ledermantel.

Es war unübersehbar, daß Murphy von dieser Klientin beeindruckt war.

"Nun, Mrs Rathbone?", fragte er.

Victoria Rathbone hob das Kinn und sagte: "Vorab eine Frage: Ich habe gehört, dass die Dämonenjäger des Ordens mit..." Sie zögerte und sprach erst nach einer kurzen Pause weiter. "...mit ungewöhnlichen Fällen befasst."

Rabea Danbury, Schwester im Orden vom Weißen Licht, strich sich das blonde Haar zurück und fragte dann kühl: "Könnten Sie vielleicht etwas genauer sagen, was Sie darunter verstehen?"

Victoria Rathbones Lächeln war kalt.

Eiskalt.

"Ich spreche von Fällen, die in den, sagen wir es so: in den okkulten Bereich hineingehen."

Rabea nickte.

"Ja, das ist richtig. Wir jagen Dämonen. Und ihre Jünger.“

"Gut", nickte Victoria Rathbone. "Es geht kurz gesagt um folgendes: Vor drei Monaten starb mein Mann bei einem tragischen Verkehrsunfall direkt vor unserem Haus in Bristol. Nun fühle ich mich verfolgt."

"Verfolgt?", echote Murphy.

Als Victoria Rathbone weitersprach, vermied sie es, die beiden Dämonenjäger anzusehen.

"Ja", sagte sie. "Und zwar vom Geist meines verstorbenen Mannes, wenn Sie so wollen. Möglicherweise halten Sie das, was ich sage für völlig absurd, aber ich wäre nicht hier, wenn ich mich nicht wirklich bedroht fühlen würde. Sehen Sie, mein Man war immer sehr eifersüchtig. Immer glaubte er, dass ich irgendwelche Affären hätte, was tatsächlich nicht der Fall war. Sie können sich nicht vorstellen, was für elende Diskussionen wir über dieses Thema hatten. Und nun, nach seinem Tod, fährt er gewissermaßen damit fort. Er treibt mich in den Wahnsinn. Unerwartet erscheint er plötzlich als durchsichtiger Astralleib und erschreckt mich halb zu Tode. Er hat mir im übrigen auch ganz klar gesagt, was sein Ziel ist."

"Und das wäre?", erkundigte sich Rabea.

Victoria Rathbone atmete tief durch. Sie schluckte. Dann biss sie sich auf die Lippe. Sie zögerte noch, ehe sie endlich zu sprechen begann.

"Er will mich zu sich holen", erklärte sie mit belegter Stimme. "Zu sich ins Reich der Toten. Erst wenn ich bei ihm sei, könnte er dort Frieden finden. " Sie hielt sich die flache Hand vor das Gesicht und schluchzte kurz auf. "Lange halte ich das nicht mehr aus! Sie müssen mir helfen!"

"Nun...", sagte Murphy gedehnt, lehnte sich etwas zurück und wechselte einen Blick mit Rabea. Diese hatte eine etwas abweisend wirkende Stellung eingenommen und die Arme vor der Brust verschränkt.

Ihr Gesicht drückte Skepsis aus.

Irgendetwas gefiel ihr nicht an dieser Frau.

Sie konnte noch nicht wirklich sagen, was es eigentlich war.

Irgendwie hatte sie den Eindruck, eine Schauspielerin vor sich zu haben, die genau wusste, wann sie effektvolle Pausen zu setzen hatte und wie sie ihre Umgebung beeindrucken konnte.

Zumindest bei Murphy scheint sie damit Erfolg gehabt zu haben!, ging es Rabea durch den Kopf.

Sie war etwas ärgerlich darüber. Blöder Sack! So leicht lässt er sich einlullen? Was, wenn er einem Dämon gegenübersteht?

Victoria Rathbone sagte jetzt: "Das Honorar spielt übrigens keine Rolle!"

„Für uns auch nicht“, sagte Rabea.

"Gut", sagte Murphy. "Wir werden den Fall übernehmen."

Victoria Rathbone nahm ihre Handtasche und zog mit eleganter Handbewegung ihr Scheckheft hervor. Dann nahm sie einen Stift von Murphys Schreibtisch, füllte schnell eines der Formulare aus und riss es aus dem Heft heraus.

Als sie es Murphy vor die Nase legte, wurden dessen Augen ziemlich groß.

Ihr Lächeln war eiskalt und berechnend.

In ihren Augen blitzte es auf eine Weise, die Rabea beunruhigte.

"Ich hoffe, die Summe reicht als Anzahlung, Mr Murphy", säuselte sie dann.

"Oh, ja, natürlich!", beeilte sich Murphy zu sagen. Es war sinnvoll, die Leute, die etwas von ihnen wollten, bezahlen zu lassen, sofern sie konnten. Denn das zeigte, wie wichtig ihnen die Sache war.

"Sorgen Sie dafür, dass der Geist meines Mannes mich nicht mehr verfolgt. Egal wie. Was auch immer Sie vorschlagen, ich werde es tun!"

"Gut", nickte Murphy.

"Aber ich werde mich doch auf Ihre Diskretion verlassen können, nicht wahr? Bristol ist verglichen mit London eine Kleinstadt und da geht es schnell herum, wenn eine Geschäftsfrau einen Dämonenjäger beauftragt, um nach Geistern zu suchen. In so fern bin ich auch ganz froh, dass Sie in London residieren."

"Diskretion ist Ehrensache", erklärte Murphy.

"Da bin ich ja beruhigt. Ich habe jetzt noch einen Termin hier in London. Sie werden mich jetzt daher sicher entschuldigen. Kommen Sie doch in den nächsten Tagen nach Bristol. Meine Adresse haben Sie ja."

Sie stand auf und wandte sich zum Gehen.

"Warten Sie", rief Murphy. "Ich bringe Sie noch zur Tür."

"Danke, aber ich finde alleine hinaus!", erwiderte sie.

Murphys Blick hing wie hypnotisiert an ihr, bis sie den Raum endlich verlassen hatte.

Murphy stand auf und trat zu ihr.

Ihre Blicke trafen sich. Murphy und Rabeas verstorbener Verlobter Troy Reed, ein ehemaliger Polizist, hatten die Niederlassung zusammen gegründet. Jetzt war Rabea in Troys Fußstapfen getreten und hatte gewissermaßen seinen Platz bei den Dämonenjägern eingenommen.

Aufgrund Rabeas besonderer Fähigkeit, mit den Geistern Verstorbener in Kontakt zu treten, nahm diese sich natürlich insbesondere auch Fällen an, die den Bereich des Okkulten und Übersinnlichen berührten.

Und insgeheim hoffte Rabea natürlich bei ihrer Arbeit irgendwann wieder auf die Spur von Maradina Tabras zu treffen. Jener geheimnisvollen Frau, in deren Amulett ein Teil von Troys Seele gefangen war, so dass sein Geist nicht endgültig ins Reich der Toten eingehen und dort Frieden finden konnte.

Murphy lachte sie an.

"Nun sag schon, was hast du wirklich dagegen einzuwenden, dass wir diesen Fall annehmen?"

Murphy war rothaarig und fett. Außerdem war er ein Charmeur, wie er im Buche stand. Unter anderen Umständen hätte Rabea sich diesem Charme gerne hingegeben. Der Orden verlangte kein Zölibat.

Aber da war immer noch Troy.

Auch wenn er ihr nur noch als Geist erschien, so war er doch für sie immer noch ein Teil ihres Lebens, den sie nicht so einfach hinter zu lassen vermochte.

Und das wollte sie auch gar nicht.

4

Ein paar Tage später fuhren sie nach Bristol. Murphy saß am Steuer des unauffälligen Volvos, den er vor kurzem für die Agentur angeschafft hatte.

"Ein solcher Auftrag wie der von Mrs Rathbone kommt uns wie gerufen", meinte Murphy mit zufriedenem Gesichtsausdruck. "Wenig Arbeit verbunden mit einem hohen Gewinn für die Agentur. Wann trifft das schon mal zusammen."

"Ich weiß nicht", meinte Rabea. "Irgendwie habe ich ein schlechtes Gefühl dabei..."

"Du magst Mrs Rathbone nicht!"

"Das ist richtig."

"Gibt es einen bestimmten Grund dafür?"

"Nein. Aber du warst ja um so mehr von ihr beeindruckt..."

"Nun..."

"Mrs Rathbone ist eine attraktive Frau, Murphy. Aber sie weiß das auch sehr kalkuliert einzusetzen."

"Rabea..."

"Gib es zu, richtig geblendet warst du!"

"Du übertreibst!"

Rabea seufzte. Auf ihrem Gesicht erschien ein fast nachsichtiges Lächeln.

"Murphy, du hast es doch gar nicht gemerkt, wie diese Spinne dich in ihrem Netz gefangen hat. Gibt es nicht eine Spinnenart, die Schwarze Witwe heißt?"

Murphy seufzte und schüttelte dann den Kopf.

"Du bist unverbesserlich!"

Rabea lachte kurz auf und erwiderte dann: "Du hast mich gut genug gekannt, um zu wissen, wen du dir da als Partnerin in die Agentur holst!"

"Mal im Ernst: Glaubst du wirklich, dass ich in Anwesenheit dieser Mrs Rathbone nicht mehr Herr meiner selbst bin?"

Rabea hob die Augenbrauen.

"Die Gefahr besteht."

Murphy lächelte. "Wir sind Detektive. Ist Gefahr nicht unser Geschäft?"

Sie waren etwa auf der Höhe von Swindon, als im Radio die Meldung von dem Unfall kam, verbunden mit einer Umleitungsempfehlung. Die Autobahn nach Bristol war an der Unfallstelle in beiden Richtungen gesperrt.

Murphy schimpfte leise vor sich hin.

"Das hat uns gerade gefehlt! Ausgerechnet heute..."

"Wir werden wohl auf der Landstraße weiterfahren müssen", stellte Rabea fest.

Murphy seufzte.

"Das kostet uns vermutlich eine ganze Stunde!", knurrte er dann ärgerlich und schlug mit dem Handballen gegen das Lenkrad.

"Mrs Rathbone wird deswegen nicht gleich einen Teil ihres Vorschusses zurückfordern, Murphy!", versetzte Rabea.

Wenig später kam die nächste Abfahrt und Murphy lenkte den Wagen von der Autobahn hinunter. Auf kleinen Landstraßen würden sie die Unfallstelle zu umfahren versuchen, um dem zu erwartenden Stau aus dem Weg zu gehen. Nebelschwaden zogen auf. Es war den ganzen Tag schon dunstig gewesen und je weiter sie Richtung Bristol gekommen waren, desto grauer wurde das Wetter.

5

Die Straßen wurden immer kleiner und enger. Sie folgten den Schildern, aber auch die wurden immer spärlicher. Rabea hatte eine Karte vor sich auf den Knien, aber die war nicht so recht auf dem neuesten Stand.

Der Nebel wurde jetzt so dicht, dass man nur wenige Meter weit sehen konnte.

Murphy machte die Augen schmal und sah sehr konzentriert nach vorn. Allerdings war ihnen seit längerem kein Fahrzeug mehr entgegengekommen.

Die Landstraße führte durch eine ziemlich einsame Gegend. Rechts und links waren ein paar Bäume zu sehen. Ansonsten nur dichter Nebel, der sich wie ein graues Leichentuch über das gesamte Land gelegt hatte.

Und dann machte der Motor des Volvo plötzlich ein sehr dumpfes Geräusch, dass sowohl Murphy als auch Rabea durch Mark und Bein ging.

Murphy konnte den Wagen gerade noch an den Straßenrand lenken, bevor er stehenblieb.

"Was ist los?", fragte Rabea.

Murphy zuckte die Achseln. Seine Augenbrauen hatte er zu einer Schlangenlinie zusammengezogen und sah skeptisch auf die Anzeigen des Armaturenbretts.

"Ich weiß es nicht", bekannte er dann. "Der Motor ist einfach ausgegangen. Beinahe so, als wäre kein Benzin mehr im Tank."

"Aber das ist unmöglich!", rief Rabea. "Du hast doch vollgetankt!"

"Ich weiß!"

Murphy drehte den Zündschlüssel herum und versuchte, erneut zu starten. Der Motor machte nicht einmal ein gurgelndes Geräusch, wie Rabea es von ihrem eigenen Wagen kannte, wenn es im Winter zu kalt war.

"Nichts!", sagte Murphy. "Ich verstehe das nicht..."

Bevor er ausstieg, bückte er sich noch, um die Motorhaube zu lösen.

Rabea öffnete ihre Tür und stieg ebenfalls aus dem Wagen. Es war kalt geworden. Eisig kalt. Gänsehaut überzog ihren gesamten Körper. Sie rieb die Hände nervös aneinander. Murphy öffnete den Motor.

Rabea trat neben ihn.

"Ich versteh das nicht", meinte Murphy dann kopfschüttelnd. "Genug Öl, genug Wasser... Auch sonst scheint alles in Ordnung! Dieser Motor müsste eigentlich laufen."

"Er tut es aber nicht..."

"Setz dich ans Steuer, Rabea und versuch du noch mal zu starten."

Rabea nickte.

"Gut."

Sie ging zur Fahrertür, setzte sich in den Wagen und drehte den Schlüssel herum.

Nichts.

Kein Laut.

"Ich werde einen Reparaturdienst anrufen", meinte sie dann und griff nach dem Funktelefon, das im Handschuhfach lag.

"Warte noch!", rief Murphy.

Rabea hörte, wie er am Motor herumhantierte, aber irgendwie klang das nicht sehr vertrauenserweckend. Rabea sah auf die Leuchtanzeige des Handys. Der Apparat war seltsamerweise ausgeschaltet, obwohl Murphy O’Donnell ansonsten immer peinlich darauf achtete, dass sie erreichbar waren. Schließlich war das an diesem Job sehr wichtig.

Rabea schaltete das Gerät ein und wollte bereits den Diebstahl-Code eingeben, da stutzte sie.

Das Gerät ist völlig tot!, wurde es ihr klar. Irgendwie schien sich das Schicksal gegen sie verschworen zu haben. Diese Fahrt stand wohl nicht gerade unter einem guten Stern. Manchmal kommt auch alles auf einmal!, ging es Rabea ärgerlich durch den Kopf, während sie zum letzten Mal versuchte, den Handy in Betrieb zu nehmen.

Vergebens.

6

Wie ein böser Geist, fast lautlos und mit dem sanften Schlagen schwarzer Schwingen schwebte der übermäßig große Rabe durch den grauen Nebel, bis er einen geeigneten Ast erreichte, auf dem er sich bequem niederließ.

Der Rabe blickte hinab auf den Wagen, der kaum ein Dutzend Meter entfernt stehengeblieben war.

Mit kalten, schwarzen Augen registrierte der Vogel, was dort unten geschah.

Er stieß ein triumphierendes Kreischen aus. Ein Laut, der die unheimliche Stille dieses Ortes wie ein Messer durchschnitt und den Mann und die Frau, die sich da um ihren defekten Wagen bemühten, unwillkürlich zusammenzucken ließ.

Nur äußerlich hatte dieser Rabe eine Vogelgestalt.

In Wahrheit war er kein schwarzäugiger Rabe, sondern etwas ganz anderes.

Eine Hexe, die jegliche Gestalt anzunehmen in der Lage war.

Maradina Tabras.

Sie saß auf ihrem Ast und dachte: Gleichgültig, was auch immer ihr versucht… Ihr seid doch verloren!

Der Rabe krächzte und registrierte mit Befriedigung die Blicke der beiden Insassen des Wagens.

Verloren seid ihr beide!, durchzuckte es Maradina.

Alles ging nach Plan...

Dann erhob sich der schwarze Vogel und flog mit kraftvollen Flügelschlägen davon.

7

"Ich verstehe das nicht!", meinte Rabea. "Nichts scheint zu funktionieren. Der Wagen, das Handy..."

"Nicht einmal das Autoradio!", stellte Murphy fest, der sich hinter das Steuer gesetzt hatte und an den Reglern herumhantierte. "Alles tot...", murmelte er. Dann schüttelte er verzweifelt den Kopf. "Irgendwie scheint sich hier alles gegen uns verschworen zu haben."

"Was machen wir jetzt?", fragte Rabea.

"Es muss hier in der Gegend doch eine Siedlung geben. Schließlich sind wir hier nicht in der Wüste Gobi oder der Antarktis...." Er griff nach der Landkarte und warf einen Blick darauf. "Wenn wir die Straße weiter gehen, müssten wir irgendwann in Swindon ankommen..."

"Gehen?", echote Rabea und seufzte.

"Es sind nur ein paar Kilometer. Maximal eine Stunde, dann sind wir dort."

"Und wenn wir einfach abwarten, bis jemand vorbeikommt?"

Murphy schüttelte den Kopf.

Er blickte kurz zur Rolex an seinem Handgelenk und meinte dann: "Wir sind jetzt gut eine Stunde hier und es ist noch nicht ein einziges Auto hier vorbeigefahren."

"Und du glaubst, bis Swindon sind es nur ein paar Kilometer?"

"Jedenfalls ist es zu kalt und ungemütlich, um hier im Wagen zu sitzen... Die Heizung funktioniert nämlich auch nicht!" Sie wechselten einen Blick miteinander. Murphy hob die Augenbrauen und fuhr dann fort: "Also, bringen wir den Marsch hinter uns!"

Rabea zuckte die Achseln.

"Bleibt uns wohl nichts anderes übrig."

Rabea zog sich ihre dicke Jacke an und Murphy seinen Mantel. Die Kälte war durchdringend und feucht. Sie ging einem durch Mark und Bein.

Rabea hängte sich noch ihre Handtasche um und Murphy schloss den Wagen ab. Dann gingen sie am Straßenrand entlang. Seitlich befand sich ein tiefer Graben, in dem dunkles Wasser stand. Dahinter waren Bäume. Viele wiesen eigenartige Verwachsungen auf. Die Wurzeln waren dick und knorrig und die Stämme wiesen bizarre Linien und Strukturen auf, die beinahe wie grinsende Fratzen wirkten...

"Eine Landschaft, wie in einem Alptraum", hörte Rabea Murphy sagen. "In London ist der Nebel ja oft schon unerträglich, aber das hier..."

Nicht lange und der Wagen verschwand hinter ihnen in den wabernden Nebelschwaden.

"Ich hoffe nur, dass es in Swindon auch jemanden gibt, der sich um den Wagen kümmern kann!", meinte Rabea.

"Mir würde schon jemand mit einem funktionierenden Telefon reichen!", war Murphys trockene Erwiderung. Er blickte immer wieder angestrengt in das grauweiße Nichts hinein, das sie von allen Seiten umgab. "Es ist zu dumm...", murmelte er dann.

"Was?"

"Na, wir könnten uns in Sichtweite eines Hauses befinden... Vielleicht gibt es Gehöfte hier, kleine Farmen oder so etwas... Wir würden daran vorbeigehen!"

"Irgendwie sieht mir das Land nicht danach aus, dass es landwirtschaftlich genutzt wird", murmelte Rabea.

"Du kannst ja auch nicht viel davon sehen, oder?"

"Das ist auch wieder wahr..."

Rabea zitterte leicht.

Die durchdringende Kälte hatte sich durch ihre gefütterte Jacke gefressen. Es geht hier nicht mit rechten Dingen zu!, ging es ihr durch den Kopf. Es war eine unbestimmte Ahnung. Ein Gefühl, mehr nicht. Und sie hütete sich davor, Murphy gegenüber etwas davon zu erwähnen. Dass sie die Fähigkeit hatte, mit Geistern zu sprechen, hatte der Dämonenjäger ja erlebt. Das konnte er nicht leugnen, so sehr er auch der Vernunft verhaftet sein mochte und am liebsten nur das anerkannte, was zweifelsfrei beweisbar war, glauben wollte.

Außerdem hatte Rabea das Gefühl, beobachtet zu werden.

Ein Geräusch ließ sie zusammenzucken.

Aus einer der Baumkronen erhob sich ein großer schwarzer Vogel mit einem scharf klingenden Krächzen.

"Rabea, du bist ja ganz bleich...", stellte Murphy fest und blieb stehen.

Rabea schluckte.

Sie atmete tief durch.

Murphy folgte ihrem Blick und lächelte als er den Vogel sah.

"Das ist ein Rabe oder eine Krähe... Irgend so etwas."

"Hast du gesehen, wie groß der Vogel war?"

Murphy zuckte die Schultern.

"Ich bin ein Stadtmensch. Ich habe keine Ahnung, wie groß diese Tiere normalerweise sind!" Er lächelte sie an, auch wenn es nicht gerade das entspannte Lächeln war, das man sonst an ihm sehen konnte. Er berührte sie leicht am Oberarm. "Was ist los?"

"Ich weiß nicht", sagte sie.

"Komm jetzt. Auch wenn es bis Swindon nur ein paar Meilen sind, müssen die erst einmal zurückgelegt werden!"

"Sicher."

"Außerdem knurrt mir langsam der Magen. Vielleicht gibt es in Swindon ja ein kleines Restaurant, in dem man etwas essen und sich aufwärmen kann!"

Rabea seufzte.

"Das hoffe ich."

Sie wussten nicht, daß keiner von ihnen Swindon je erreichen würde...

8

Rabea taten die Füße weh. Sie hatte das Gefühl für Zeit etwas verloren. Eine halbe Ewigkeit schienen sie schon diese Asphaltstraße entlangzugehen und noch immer war ihnen nicht ein einziges Fahrzeug entgegengekommen.

Und dann stutzten sie.

Vor ihnen endete der Asphalt und wurde durch ein altertümliches Kopfsteinpflaster ersetzt.

"Irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass wir uns auf eine große Stadt zu bewegen!", meinte Rabea niedergeschlagen. "Die Straße wird ja immer schmaler und..."

Sie sprach nicht weiter.

Angst hatte sich inzwischen in ihr Herz geschlichen und sich dort festgesetzt. Sie fror - einerseits durch die äußere Kälte, aber da war auch etwas in ihrem Inneren, das sie frösteln ließ. Das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte, hatte sich immer mehr verstärkt, je länger sie unterwegs gewesen waren.

Sie sah Murphy an.

Und er schien genauso zu empfinden. Sein Gesicht zeigte einen Ausdruck tiefen Zweifels.

Er nahm die Landkarte aus seiner Manteltasche heraus und sah stirnrunzelnd darauf. Dann schüttelte er den Kopf.

"Wo sind wir?", fragte Rabea.

"Wenn ich das wüsste..."

"Sollen wir zurück zum Wagen gehen?"

"Da sind wir nicht besser dran, Rabea!"

"Das stimmt auch wieder."

"Irgendwann muss doch eine Siedlung oder wenigstens ein Haus kommen... Schließlich sind wir hier im Herzen Englands!"

"Sag mal, ist auf der Karte ein Moor verzeichnet?"

"Wieso?" Murphy hob die Augenbrauen und sah Rabea erstaunt an. Dann blickte er auf die Karte und schüttelte entschieden den Kopf. "Nein", sagte er.

"Die Landschaft hier... Ich habe schon Moorlandschaften gesehen und mir scheint, dass dies eine ist!"

Sie gingen weiter und folgten dem holprigen Pflasterweg. Die Bäume wurden immer bizarrer und manche von ihnen schienen nicht mehr als abgestorbene Ruinen einstigen Lebens zu sein. Morsch und von Pilzen und Moosen überwuchert. Ein Land des Todes und der Geister! dachte Rabea unwillkürlich. In den dicken Stämmen der Bäume schienen sich immer neue Gesichter zu bilden und die über den Boden kriechenden Nebelschwaden wirkten wie lange Arme eines unheimlichen, formlosen Wesens, das nach den beiden Fremden zu greifen versuchte, die sich hier her gewagt hatten.

Eine geradezu gespenstische, unnatürliche Stille herrschte über all dem.

Die Stille des Todes!, ging es Rabea durch den Kopf. Hin und wieder nur wurde sie unterbrochen vom Krächzen eines Raben...

Maradina Tabras!

Dieser Gedanke ließ Rabea nicht mehr los.

Was, wenn sie längst Teil eines üblen Planes geworden waren, den diese Hexe gegen sie schmiedete? Was, wenn sie ihr Schicksal schon längst nicht mehr selbst in der Hand hatten, sondern Gefangene einer verborgenen, unheimlichen Macht geworden waren?

Mach dich nicht selbst verrückt!, ermahnte Rabea sich selbst.

Sie presste die Lippen aufeinander.

Murphy blieb plötzlich stehen.

Als sie ihn fragen wollte, was los sei, bedeutete er ihr mit einer Handbewegung, zu schweigen.

Angestrengt lauschten sie beide in den Nebel hinein.

Und dann hörte auch Rabea es.

Von Ferne drang ein Geräusch an ihre Ohren. Sie wusste nicht, was es war. Irgendetwas klackerte auf dem Pflaster...

Pferdehufe!

Rabea und Murphy wechselten einen fragenden Blick. Das Geräusch wurde lauter. Und dann tauchte ein großer, sich bewegender Schatten aus dem Nebel heraus auf und schien rasch näherzukommen.

Pferde schnaubten.

Eine Kutsche tauchte jetzt aus dem grauweißen Nichts hervor, gezogen von zwei riesigen Pferden, deren Augen mit großen Scheuklappen geschützt waren.

"Hoh!", sagte eine dunkle, kehlige Stimme, die von dem nur als Umriss sichtbaren Kutscher zu kommen schien.

"Die schickt uns der Himmel!", meinte Murphy. Er lachte. "Nun komm schon, Rabea! Mach nicht so ein Gesicht! Vielleicht hat unsere unfreiwillige Wanderung durch diese Ödnis endlich ein Ende!"

"Ja", murmelte Rabea etwas abwesend.

Das markerschütternde Wiehern eines der Pferde ließ sie zusammenzucken. Murphy ging auf die Kutsche zu. Rabea folgte ihm.

Die Pferde dampften und schienen etwas unruhig zu sein.

Die Kutsche hatte kein Verdeck und insgesamt zwei gegenüberliegende Bänke.

Ein Wagen, wie man ihn aus Filmen kannte. Historiendramen, die in der guten alten Zeit von Queen Victoria spielten...

Rabea erschrak bei dieser Erkenntnis. Ihr Blick blieb auf den goldfarbenen Lettern hängen, die über den Hinterrädern des Gefährts angebracht waren. Thornbury & Sons stand da offenbar der Name der Herstellerfirma. Was sie aber wirklich verwunderte war die Jahreszahl, die darunter stand.

1877.

Dass jemand gewissermaßen in einem Museumsstück durch die Gegend fuhr, war schon recht ungewöhnlich.

Der Kutscher musterte die beiden Wanderer stumm.

Er hatte sehr buschige Augenbrauen und eine markante Nase.

Sein Gesicht war hager und wies tiefe Furchen auf. Graues, viel zu langes Haar umrahmte sein Gesicht und hing ihm beinahe bis in die wässrig-blauen Augen.

Und diese Augen flackerten unruhig.

Er trug einen Zylinder und einen dunklen Mantel, dessen Schnitt äußerst altertümlich wirkte.

Er sieht aus wie ein Totengräber!, durchzuckte es Rabea.

"Hallo!", sagte Murphy. "Unser Wagen ist defekt und wir bräuchten dringend jemand, der uns zur nächsten Siedlung mitnimmt, damit wir telefonieren können!"

Der Kutscher nickte.

In seinem Gesicht zuckte unruhig ein Muskel und die großen Kaltblutpferde, die zu der eher grazilen Kutsche einen merkwürdigen Kontrast bildeten, scharrten mit den Hufen auf dem Pflaster.

Der einzige Laut in dieser gespenstischen Umgebung...

"Vielleicht können Sie uns helfen", fuhr Murphy fort, als der Kutscher nichts sagte, sondern uns nur mit seinem undeutbaren Blick bedachte. "Wir haben uns nämlich zusätzlich wohl auch völlig verlaufen. Geht diese Straße hier nach Swindon?"

Der Kutscher knurrte irgendetwas Unverständliches vor sich hin. Ein Laut, der fast tierisch klang und Rabea unwillkürlich zusammenzucken ließ.

Ein rascher Blickkontakt mit Murphy sagte ihr, daß ihr Partner auch ziemlich befremdet war,

Ein seltsamer Kauz!, dachte Rabea.

Dann deutete der Kutscher auf die Sitze hinter sich.

"Sie nehmen uns mit?", fragte Murphy.

Der Kutscher nickte und wieder kam ein dumpfes Knurren über seine Lippen. Murphy wandte sich an Rabea.

"Na komm, so ein Angebot bekommen wir in dieser Gegend so schnell nicht wieder!"

"Da hast wohl leider recht."

"Dann los!"

"Wohin bringt er uns?"

"Keine Ahnung, Rabea. Spielt doch auch keine Rolle. Auf jeden Fall werden wir dort wohl telefonieren können..."

Sie bestiegen die Kutsche.

Kaum hatten sie auf den Bänken platzgenommen, da stieß der Kutscher einen archaisch wirkenden, unartikulierten Schrei aus, griff nach der Peitsche und ließ sie über den Kaltblutpferden knallen, die nur darauf gewartet zu haben schienen, endlich loszulaufen.

Ein paar Meter nur waren sie getrabt, da riss der Kutscher ziemlich abrupt die Zügel herum und drehte das Gefährt mitten auf der Straße. Eines der Hinterräder pflügte durch den weichen, feuchten Boden neben der gepflasterten Straße. Es krachte und rumpelte.

Rabea und Murphy wurden ziemlich durchgeschüttelt, ehe die Kutsche dann in einem halsbrecherischen Tempo über das Pflaster jagte.

"Ich hatte angenommen, der Kerl wäre in die Richtung unterwegs, aus der wir gekommen sind!", meinte Murphy.

"Ja", murmelte Rabea. "Es ist beinahe so, als ob..."

Murphy sah sie an.

"Als ob was?"

"Als ob er gewusst hätte, dass wir hier auftauchen würden und uns dann abgeholt hat!"

Murphy atmete tief durch. Der Kutscher ließ das Gefährt derart schnell über das holprige Steinpflaster jagen, dass einem schlecht werden konnte.

Der Dämonenjäger beugte sich vor, um etwas näher beim Kutscher zu sein.

"Fahren wir nach Swindon?", rief er.

Ein unverständliches Knurren kam zurück.

Murphy versuchte es noch mal.

"Wohin fahren wir?"

Er bekam eine ähnliche Antwort.

Wie ein Tier!, dachte Rabea schaudernd.

Murphy sah sie an und zuckte mit den Schultern.

"Aus dem Kerl ist nichts herauszubekommen!"

"Murphy, ich habe ein ungutes Gefühl dabei. Und schlecht ist mir auch!"

"Kein Wunder, bei dem Fahrstil."

"Lass ihn anhalten. Wir gehen besser zu Fuß!"

"Rabea! Wir können uns unser Taxi her leider nicht aussuchen!"

Gerade hatten sie sich einigermaßen an das Geschaukel auf dem holprigen Pflaster gewöhnt, da lenkte der finstere Kutscher ziemlich scharf nach links. Rabea klammerte sich mit beiden Händen fest, als der Wagen mit einem schrecklichen Ächzen der Räder seitwärts fuhr und die Straße verließ.

Von nun an ging es über schlammige Wege weiter.

Rabeas Zweifel wurden immer größer.

Mein Gott, wo sind wir hier nur hingeraten!, ging es ihr schaudernd durch den Kopf, während kalte Angst sie zu erfassen begann. Dieses Gefühl breitete sich immer mehr in ihr aus und erfüllte sie schließlich ganz.

Dies muss ein Alptraum sein!, dachte sie verzweifelt und presste dabei die Lippen fest aufeinander, während der unheimliche Kutscher wieder die Peitsche knallen ließ und die riesenhaften Kaltblütler mit unverständlichen, dunkel und kehlig klingenden Zurufen anzufeuern versuchte...

9

Es wurde eine wahre Höllenfahrt, die zudem überhaupt kein Ende zu nehmen schien. Immer noch waren sie von dichtem Nebel umgeben und längst hatten sie jegliche Orientierung verloren.

Immer bizarrer wurde das wenige, das man von der Landschaft sehen konnte.

"Dies ist ein Moor!", sagte Rabea irgendwann. "Ich bin mir sicher!"

Von grünen Moosen überwachsener Sumpf erstreckte sich zu beiden Seiten des schmalen Pfades, auf dem der düstere Kutscher mit traumwandlerischer Sicherheit sein Gefährt lenkte. Die Pferde schienen den Weg durch dieses unheimliche Land zu kennen.

Hier und da stiegen Gasblasen aus dem Sumpf hervor.

Abgestorbene Bäume waren hier und da am Wegesrand noch zu sehen und tauchten wie krakenähnliche Schatten aus dem Nebel auf.

Eine unwirtliche Gegend.

"Hör mal", flüsterte Rabea plötzlich an Murphy gewandt.

Sie lauschten angestrengt.

Klagende, geisterhafte Stimmen waren aus dem grauweißen Nichts zu hören.

"Was ist das?", fragte Murphy ziemlich fassungslos.

Immer lauter wurden diese Stimmen.

Ein schauriger Chor aus vielen Einzelstimmen. Männer, Frauen, hohe Stimmen und tiefe. Nur Wortfetzen waren verständlich. Bruchstücke, die keinen Sinn ergaben. Aber unüberhörbar war die Verzweiflung, die aus all diesen Stimmen sprach.

Schaurig klangen ihre Klagen über das Moor.

Ein eigenartiger Sprechgesang, der einem geradezu das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte.

"Furchtbar", murmelte Rabea.

Murphy wandte sich an den Kutscher, obwohl das eigentlich nicht viel Sinn hatte.

"Was ist da los? Was sind das für Stimmen?", rief er. "Nun reden Sie schon, verdammt noch mal!"

Er fasste den Kutscher bei der Schulter.

Doch zur Antwort erhielt er nichts weiter, als ein höhnisches Lachen, gefolgt von einem dumpfen Knurren.

Murphy ließ ihn los und atmete tief durch.

"Vielleicht kann er nicht sprechen", meinte Rabea.

"Ja, den Eindruck habe ich inzwischen auch beinahe."

Und dann durchdrang das Krächzen eines Raben den unheimlichen Chor aus dem Nebel.

Rabea zuckte zusammen.

"Ich hoffe nur, dass diese Fahrt bald zu Ende ist", flüsterte sie.

Sie wusste nicht, dass dies erst der Anfang war.

Der Beginn des puren Schreckens...

10

Einem monströsen Ungeheuer gleich schälten sich die braunen Mauern eines gewaltig wirkenden Schlosses aus den wabernden Nebelschwaden heraus. Die hohen Mauern wirkten abweisend. Das Schloss war ein verwinkeltes, mit Zinnen bewehrtes Bauwerk, das von der Aura des Todes und des Verfalls umgeben zu sein schien.

Die Vegetation schien diesen Ort zu meiden. Nichts als tote Baumruinen und abgestorbene, verdorrte Sträucher waren zu sehen, die von einer seltsamen, hellen Schicht überzogen waren.

Neben dem Schloss befand sich ein See mit spiegelglattem, dunklem Wasser, über das der Nebel in dicken Schwaden hinwegkroch.

Ein fauliger, modriger Geruch drang von dort herüber.

Der Kutscher ließ sein Gefährt wie ein Wahnsinniger auf das große Tor zujagen und bremste erst im letzten Moment. Murphy und Rabea mussten sich gut festhalten, um nicht vom Wagen geschleudert zu werden.

Der Kutscher schrie etwas Unverständliches hinauf zu den Zinnen.

"Wir scheinen unser Ziel erreicht zu haben", meinte Murphy düster.

Rabea war ganz gefangen von der düsteren Aura dieses Gebäudes.

"Ein seltsamer Ort", murmelte sie.

Aus der Ferne glaubte sie noch immer einige jener klagenden Stimmen aus dem Moor zu hören.

Schauderhaft klang der Ruf dieses gespenstischen Chores aus dem grauen Nebel heraus...

Erneut rief der Kutscher auf seine grobe Art, diesmal deutlich wütender, als beim ersten Mal.

Wie von Geisterhand bewegt, öffnete sich daraufhin das massive Holztor mit den gusseisernen Beschlägen.

Die Peitsche knallte.

Die riesenhaften Kaltblutpferde setzten sich in Bewegung und zogen die Kutsche in den engen Innenhof des Schlosses.

Vor dem Hauptgebäude hielt er an, drehte sich herum und knurrte uns etwas zu.

"Offenbar will er, dass wir hier aussteigen", meinte Murphy und leistete dem Folge. Er reichte Rabea die Hand und half ihr dabei, vom Wagen hinunterzusteigen.

Kaum hatten Rabeas Füße den Boden berührt, ließ der Kutscher die Pferde vorwärts preschen und jagte sie zur anderen Seite des Innenhofs, wo sich offenbar die Stallungen befanden.

Murphy sah ihm nach.

"Ein merkwürdiger Kerl!"

"Ich frage mich, wo wir hier sind", meinte Rabea, während ihr Blick die hoch aufragende Fassade des Haupthauses hinaufglitt. Licht brannte in einigen Räumen. Und Stimmen drangen an ihr Ohr...

"Zum Glück ist unser Chauffeur nicht der einzige Bewohner hier!", stellte sie dann mit Erleichterung fest.

Ein Geräusch ließ sie unwillkürlich herumwirbeln. Einen Augenblick lang glaubte sie, etwas Schwarzes durch die Luft fliegen zu sehen.

Einen Raben vielleicht...

11

Der Kutscher kehrte nicht zurück.

Stattdessen kümmerte sich um sein Gefährt und spannte die Pferde aus. Allem Anschein nach würde er mit den Tieren noch einige Zeit zu tun haben.

"Wir verschwinden hier so schnell wie möglich", versprach Murphy und wandte sich der massiven Holztür zu. Grimmige Löwenköpfe aus Messing blickten uns entgegen.

"Ich frage mich, wer es fertigbringt, in diesem schauderhaften Gemäuer zu leben", meinte Rabea. "Ich glaube, ich würde wahnsinnig werden..." Sie trat einen Schritt nach vorne und klopfte mit einem schweren Metallring gegen die Tür.

Dumpf hallte der Schlag wider.

Einige Augenblicke lang geschah gar nichts. Dann waren auf der anderen Seite der Tür Schritte zu hören. Mit einem ächzenden Geräusch öffnete sie sich.

Ein hagerer Mann mit einem faltenreichen, hohlwangigen Gesicht öffnete ihnen.

Seine Augenlider hingen etwas herunter und so vermittelte er den Eindruck großer Müdigkeit. Er trug einen dunklen, sehr altmodischen Anzug, dazu eine Weste mit hellen Längsstreifen. Sein Hemd hatte einen Stehkragen, wie man ihn nur noch zu Hochzeitsanzügen oder zum Frack trug.

Er sah aus wie ein Butler aus viktorianischer Zeit.

"Guten Abend", sagte er höflich, aber etwas schleppend.

"Guten Abend", sagte Murphy. "Könnten wir hier vielleicht telefonieren? Unser Wagen ist stehengeblieben und Ihr Kutscher war so freundlich..."

"Ihre Mäntel bitte!", sagte der Butler, nachdem wir eingetreten waren und unterbrach damit Murphys Redefluss abrupt.

Murphy blickte etwas überrascht drein, zog dann aber seinem Mantel aus und gab ihn dem Butler. Anschließend half er Rabea aus ihrer Jacke.

"Wenn Sie mir jetzt bitte folgen würden."

"Wohin?", fragte Rabea. "Wo sind wir hier überhaupt?"

"Folgen Sie mir!", kam es von dem Butler undeutlich zurück und damit hatte er sich auch schon herumgedreht. Er ging voran. Ein Hausmädchen mit großen Augen und rundem Gesicht lief uns über den Weg und starrte die Gäste an, als wären sie exotische Tiere in einem Zoo.

"Emily!", sagte der Butler so scharf, dass das Mädchen zusammenfuhr.

Er übergab ihr die Mäntel.

Dann musterte er Rabea und Murphy kurz und nickte leicht.

"Ich hoffe, es ist Ihnen warm genug auf Grimsbury Castle!", sagte er dann.

"Grimsbury Castle?", echote Rabea.

Diesen Namen hatten sie noch nie gehört. Auf der Landkarte war nichts dergleichen verzeichnet gewesen.

Der Butler fuhr indessen fort: "Eigens für Sie haben wir das Feuer angemacht!"

"Wie bitte?" Rabea glaubte sich verhört zu haben. Was sollte das heißen? "Eigens für uns? Sie können doch nicht gewusst haben, dass..."

Der Butler kümmerte sich nicht weiter um das, was Rabea sagte. Er ging voran und führte die Gäste durch einen langgezogenen Flur, dann eine breite Treppe hinauf.

An den Wänden hingen eigenartige Gemälde.

Portraits zumeist.

Der Besitzer dieses Schlosses schien seine Ahnengalerie hier versammelt zu haben.

Keines dieser Gesichter wirkte heiter oder freundlich. Die Münder waren fest aufeinandergepresst oder beinahe zu fratzenhaftem Grinsen verzogen. Die Augen leuchteten teuflisch und schienen den Betrachter direkt anzublicken.

Bei einem der Portraits blieb Rabea unwillkürlich stehen.

"Was ist?", fragte Murphy.

"Sieh nur!"

"Mir fällt nichts auf..."

"Diese Frau dort, Murphy..."

"Rabea!"

"Das Amulett, das sie um den Hals trägt!"

Rabea ging einen Schritt näher. Der Maler hatte eine Technik benutzt, mit der er auch außerordentlich feine Konturen und Details darzustellen wusste.

Das Amulett der Frau in den mittleren Jahren, die auf dem Gemälde abgebildet war besaß die Form einer großen Träne und schien aus einem goldgelben, schlierendurchsetzten Material zu sein. Ein Stoff, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Bernstein hatte.

Es war zweifellos jenes Amulett, das Maradina Tabras getragen hatte und in dem nun ein Teil von Troy Reeds Seele gefangen war.

Rabeas Herz schlug wie wild.

Eine Spur von Maradina, ausgerechnet hier in diesem seltsamen Schloss....

Sie sah der Frau auf dem Bild in die Augen, die sie geradezu anzufunkeln schienen.

Der Maler muss ein Meister seines Fachs gewesen sein!, ging es ihr durch den Kopf, während ihr Blick das Gesicht auf dem Bild studierte. Rabea hatte Maradina in der Gestalt einer alten Frau gesehen, wusste aber, dass sie auch jede andere Gestalt annehmen konnte.

Ja, das könnte sie sein!, dachte sie. In ihrer wahren Gestalt und in jüngeren Jahren...

"Nun kommen sie schon!", forderte der Butler etwas ungeduldig und machte eine einladende Geste mit der Hand.

Murphy und Rabea sahen zu ihm hinauf.

Der Butler stand auf dem Treppenabsatz und sah sie mit gerunzelter Stirn und zu einer Schlangenlinie zusammengezogenen Augenbrauen an.

Dann sagte er: "Sir Cleon erwartet Sie!"

12

Sie wurden in einen weitläufigen Salon geführt, in dem sich Dutzende von festlich gekleideten Herrschaften befanden. Die Herren trugen dunkle Anzüge mit Stehkrägen ähnlich dem, den der Butler getragen hatte. Manche auch einen Frack oder Cut. Die Frauen zeichneten sich durch lange, fließende Kleider aus, die oft mit Spitze besetzt waren. In den Dekolletés und an den Armen glitzerten Perlen, Edelsteine und Gold. Bedienstete eilten mit Tabletts umher und reichten Gläser mit sprudelndem Champagner.

Als der Butler Murphy und Rabea in diesen Raum führte, verstummten augenblicklich die ohnehin eher in zurückhaltender Lautstärke geführten Gespräche vollends.

Dutzende von Blicken waren auf die Neuankömmlinge gerichtet und musterten sie aufmerksam. Hier und da wurde etwas getuschelt.

"Sir Cleon!", wandte sich der Butler an einen dunkelhaarigen jungen Mann mit feingeschnittenen, sehr deutlich konturierten Zügen. Der Blick seiner dunklen Augen hatte etwas Melancholisches - ein Zug, der einen gewissen Widerspruch zu den harten, kühl wirkenden Linien um seinen Mund herum darstellte.

Rabea erinnerte dieses Gesicht ein wenig an den jungen Alain Delon.

Seine Stimme klang ruhig und überlegt.

Es war die Stimme eines Mannes, der gar nicht auf den Gedanken kam, dass ihm jemand widersprechen könne.

"Was gibt es, Patrick?", fragte er an den Butler gewandt.

Dieser deutete auf Rabea und Murphy.

"Wir haben Gäste", sagte er.

"Ah, ja..."

Er gab sein Glas einem der Bediensteten und kam dann gemessenen Schrittes auf Rabea und Murphy zu. Ein Lächeln spielte um seinen dünnlippigen Mund. Er nahm Rabeas Hand und vollführte einen formvollendeten Handkuss.

"Seien Sie willkommen auf Grimsbury Castle, Miss..."

"Danbury. Rabea Danbury."

"Ich bin Sir Cleon Grimsbury und es freut mich überaus, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Danbury!"

"Die Freude ist ganz meinerseits", erwiderte Rabea, während der geradezu hypnotische Blick des jungen Lords ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Sie sah ihn an und musste unwillkürlich schlucken. Ein eigenartiges Gefühl machte sich in ihr breit. Diesen Mann umgab eine ganz besondere Aura. Er übte eine geradezu unheimliche Faszination auf sie aus, die sich aber unterschwellig mit etwas anderem mischte. Etwas DEüsterem, von dem sie nicht so recht sagen konnte, was es eigentlich war.

Sir Cleon hielt Rabeas Hand etwas länger, als eigentlich notwendig gewesen wäre.

Dann lächelte er.

Und in seinen Augen blitzte es.

"Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl auf Grimsbury Castle."

"Sicher!" Rabea deutete auf ihren Begleiter und stellte ihn vor. "Dies ist mein Kollege Murphy O’Donnell!"

Sir Cleon begrüßte auch ihn.

Murphy war das Befremden deutlich anzusehen, dass er empfand. Diese ganze Szenerie wirkte so irreal, wie der Weg, den sie bisher hinter sich gebracht hatten.

"Sir Cleon, wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn wir kurz telefonieren könnten, um..."

"Telefonieren?", unterbrach Sir Cleon ihn und zog dabei die linke Augenbraue etwas empor, so dass sein Gesicht einen halb fragenden halb skeptischen Ausdruck bekam.

"Ja. Sie haben doch sicher ein Telefon hier!"

"Da muss ich Sie leider enttäuschen. So etwas gibt es auf Grimsbury Castle nicht. Vielleicht werde ich diese Mode irgendwann einführen, aber zur Zeit sehe ich keinen Anlass dazu. Goreham, unser Kutscher überbringt Briefe sehr zuverlässig und schnell genug für meine Bedürfnisse..." Sein Lächeln wurde breit. Die dünnen, aufeinandergepressten Lippen bildeten dabei einen Strich. "Im übrigen hoffe ich, dass Goreham Sie bei der Fahrt hier her nicht allzu sehr durchgeschüttelt hat!"

"Es ging", sagte Rabea.

"Nun, sein Fahrstil ist etwas - wie soll ich sagen? - rustikal, um es vorsichtig auszudrücken."

"Allerdings!", brummte Murphy.

Murphy berichtete von dem Wagen, der defekt am Straßenrand liege und dass es unbedingt notwendig sei, eine Werkstatt zu finden...

Sir Cleon schien das nur am Rande zu interessieren. Er winkte einen der Bediensteten herbei.

"Bitte nehmen Sie sich ein Glas!", forderte er Rabea und Murphy dann auf. "Nach dem Schrecken, der hinter Ihnen liegt, werden Sie einen Drink sicher nicht ausschlagen...."

Zögernd nahm Rabea eines der Champagnergläser, die auf dem runden Tablett gereicht wurden.

Auch Murphy griff zu.

Aber auf seiner Stirn hatten sich dicke Furchen gebildet. Er sah Rabea an und sein Blick schien zu sagen: In was für eine seltsame Gesellschaft sind wir hier eigentlich geraten?

Rabea empfand das ganz ähnlich.

Aber sie war auf der anderen Seite auch fasziniert von dem, was sie umgab.

Dieses Fest, die elegant gekleideten Gäste... Sie kam sich in ihren eher praktischen Sachen fast schon deplatziert vor. Aber Sir Cleon ließ weder durch Gesten noch durch Blicke irgendeine Art von Missbilligung erkennen. Ganz im Gegenteil.

Die Blicke, die er Rabea zuwarf, waren gewiss an der Grenze dessen, was ein Gentleman der alten Schule - und so verstand der Schlossherr sich mit seinem antiquierten Gebaren sicherlich! - sich erlauben durfte.

Inzwischen hatten die anderen Gäste längst ihre Unterhaltungen wieder aufgenommen. Schließlich gab es auf die Dauer sicher doch interessantere Dinge, als ein Paar Neuankömmlinge zu beobachten.

"Hat Patrick Ihnen bereits Ihre Zimmer gezeigt?", fragte Sir Cleon dann nach einer kurzen Pause.

"Unsere Zimmer?", echote Rabea mit verständnislosem Gesicht.

Sir Cleon lächelte und zeigte dabei zwei Reihen makellos blitzender Zähne. "Oh, ich vergaß! Vermutlich wird Patrick jetzt erst den Zimmermädchen Bescheid sagen, damit sie die Räume für Sie herrichten können. Mögen Sie Blumen, Miss Danbury?"

Rabea war etwas verwirrt.

"Sicher mag ich Blumen."

"Das habe ich mir gedacht."

"Aber..."

"Orchideen. Habe ich recht?" Sein Zeigefinger deutete auf sie und sie erschrak beinahe. "Ihre Lieblingsblumen sind Orchideen..."

"Woher wissen Sie das?"

Er zuckte die Schultern.

"Wenn ich einer reizenden jungen Dame begegne, dann überlege ich mir oft, welche Blumen sie wohl am liebsten mag..."

"Ein eigenartiger Sport!", knurrte Murphy etwas missmutig vor sich hin. Ihm gefiel die ganze Situation nicht. Und jede Handlung des Gastgebers beobachtete er mit tiefem Misstrauen, dass ihm überdeutlich ins Gesicht geschrieben stand.

Sir Cleon überhörte Murphys Bemerkung einfach.

Stattdessen sah er Rabea an und die junge Frau konnte die elektrisierende Spannung, die zwischen ihr und dem geheimnisvollen Schlossherrn herrschte, fast körperlich spüren. "Kommen Sie, Miss Danbury - oder darf ich Sie Rabea nennen?"

"Wenn Sie wollen!"

"Ein wunderschöner Name, wissen Sie das?"

Mein Gott, er ist so förmlich!, dachte sie. Aber seine Art hatte auch etwas Reizvolles. Er wirkte so kultiviert.

Das Blitzen in seinen Augen gefiel ihr nicht und in die wohligen Schauer, die ihr über den Rücken liefen, als er sie bei der Hand nahm, mischte sich eine andere Empfindung.

Unbehagen.

Vielleicht sogar Furcht, obwohl sie in diesem Moment unmöglich hätte sagen können, wovor eigentlich.

"Sie müssen hungrig sein", sagte er. "Folgen Sie mir! Dort hinten gibt es einen Imbiss - vorausgesetzt, meine rabigen Gäste haben nicht schon alles verschlungen! Aber in dem Fall wird es Patrick ein Vergnügen sein, dafür zu sorgen, dass man in der Küche eine Kleinigkeit für Sie herrichtet. Vielleicht ein Rebhuhn oder dergleichen..."

"Machen Sie sich keine Umstände!"

"Das sind für mich keine Umstände. Es ist mir vielmehr ein Bedürfnis des Herzens!"

13

Ein Mann, der derart viel Süßholz raspelt, muss ja ein Herzensbrecher par excellence sein!, ging es Rabea durch den Kopf.

Ein Mann, dessen geheimnisvolle Aura ihr gefiel und den sie anziehend fand...

Aber da war immer noch Troy.

Auch wenn er sie freigegeben hatte und nur noch als Geist in einer Art Schattenreich zwischen der Welt der Lebenden und jener der Toten existierte, konnte sie an eine neue Liebe vorerst nicht denken. Zu sehr fühlte sie sich Troy verbunden, jenem Mann, der sie hatte heiraten wollen auf und der auf so tragische Weise am Tag ihrer Hochzeit ums Leben gekommen war.

Kurz bevor er ihr das Jawort hatte geben können.

Aber wenn ich diesen Sir Cleon unter anderen Umständen kennengelernt hätte...

Sie verwarf diesen Gedanken sofort wieder und verfolgte ihn nicht weiter.

Statt dessen kehrte etwas anderes an die Oberfläche ihres Bewusstseins zurück. Das Amulett, das sie vorhin auf dem Bild gesehen hatte...

Maradinas Amulett.

Ein solches Bild kann auf verschiedene Weise hier her gelangt sein!, redete sich ein. Aber sie nahm sich vor, Sir Cleon bei Gelegenheit danach zu fragen. Vielleicht würde sich ja eine Möglichkeit dazu ergeben.

Sie erreichten das Büfett, das von erlesenen Speisen nur so überquoll.

Jetzt wurde es Murphy zu bunt.

"Mr Grimsbury!"

"Sir Cleon, wenn ich bitten darf!", erwiderte der Schlossherr nicht ohne unterschwellige Schärfe im Tonfall.

"Rabea und ich haben keinesfalls die Absicht, in Ihrem Schloss die Nacht zu verbringen. Wir müssen dringend nach Bristol!"

"Dann werden Sie Ihre Pläne eben umstellen müssen, Mr O’Donnell. Sehen Sie die Sache doch realistisch! Ihr Wagen liegt ein paar Meilen von hier im Dreck. Ich weiß nicht, was ihm fehlt, sei es nun ein Speichenbruch oder etwas anderes..."

Er spricht von einem Pferdewagen!, wurde es Rabea in diesem Moment schlagartig klar.

Die Erkenntnis versetzte ihr einen Stich.

Indessen fuhr Sir Cleon fort: "Ich könnte Goreham für Sie in die Stadt schicken, aber bis er dort ankäme, wäre es viel zu spät, um noch irgendeinen Handwerker anzutreffen, der bereit wäre, um diese Zeit noch zu arbeiten! Und selbst wenn das gelingen sollte, so müssten Sie auch gewisse Zeit für die Reparatur einrechnen. Draußen beginnt aber bereits die Dämmerung... Sie können Ihren Weg heute nicht mehr fortsetzen, geschweige denn, Bristol erreichen! Das ist völlig ausgeschlossen!"

"Das heißt, Ihr einziges Verkehrsmittel hier ist der Wagen dieses Kutschers?"

"Wir haben diverse Pferdewagen in unseren Schuppen stehen."

"Ich meinte mit Wagen eigentlich etwas anderes. Ein Auto!"

Sir Cleon hob die Augenbrauen, dann lachte er.

Seine Stimme klang dabei wie klirrendes Eis.

"Sie sprechen von einem Automobil? Ich habe davon gehört, stehe aber den Errungenschaften der neuen Zeit nicht sehr positiv gegenüber..."

"Das habe ich gemerkt", knurrte Murphy.

Indessen hakte sich Rabea bei dem Dämonenjäger unter und versuchte, ihn ein bisschen zu beruhigen.

"Murphy, vielleicht ist es wirklich das beste, wenn wir dieses Angebot annehmen..."

Sie dachte an das Amulett...

Eine Spur von Maradina und vielleicht eine Möglichkeit ihrem geliebten Troy den endgültigen Frieden zu geben... Nein, selbst wenn nur der Hauch einer Chance dazu bestand, wollte sie die Möglichkeit nicht vertun, der Sache auf den Grund zu gehen...

"Und was machen wir mit Mrs Rathbone?", fragte Murphy und sah Rabea dabei an. "Wir können von hier aus weder telefonieren, noch ihr anderweitig eine Nachricht zukommen lassen!"

"Oh, ich würde Goreham für sie mit einem Brief in die Stadt schicken!", mischte Sir Cleon sich ein.

"Dieser Brief würde Mrs Rathbone natürlich erst morgen erreichen!"

"Ich fürchte, da schätzen Sie die Möglichkeiten der Post zu optimistisch ein, Mr O’Donnell."

Und dann erstarrte Murphys Blick plötzlich.

Er hatte unter den Gästen eine gutaussehende dunkelhaarige junge Frau fixiert, die in ein Gespräch mit einem etwas dicklichen, graubärtigen Mann vertieft war.

"Mrs Rathbone!", rief er.

Jetzt hatte es auch Rabea gesehen.

Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag vor den Kopf. Die dunkelhaarige Frau war zweifellos Victoria Rathbone. Sie trug ein Kleid aus einem fließenden hellen Stoff und bewegte sich mit ausgesuchter Eleganz. In der Rechten hielt sie ein Glas und ihr Lachen klang klar und kalt zu ihnen herüber.

Murphy ging auf sie zu.

"Mrs Rathbone, was machen Sie hier?"

Die dunkelhaarige Frau wandte den Kopf. Die Umstehenden blickten auf Murphy und plötzlich herrschte Schweigen.

"Sie müssen sich irren, Sir!", sagte sie.

"Aber nein! Sie waren doch vor ein paar Tagen in meinem Büro! Ich bin mir völlig sicher!"

"Tut mir leid", erwiderte die Frau kühl. Ein geschäftsmäßiges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. In ihren Augen blitzte es provozierend. Sie ließ den Graubärtigen stehen, mit dem sie sich gerade noch unterhalten hatte und rauschte in ihrem bezaubernden Kleid und formvollendeten Bewegungen auf Murphy zu.

"Mrs Rathbone", murmelte er.

"Mein Name ist Mary Dana Wyngdale und es wäre mir überaus angenehm, wenn Sie mich bei diesem Namen nennen würden, Mister..."

"O’Donnell. Murphy O’Donnell."

"Sie scheinen mir ein interessanter Mann zu sein. Sagen Sie, wer ist diese Mrs Rathbone, von der sie gerade gesprochen haben und wo haben Sie sie kennengelernt..."

Unmöglich!, dachte Rabea. Diese Ähnlichkeit...

Sie hörte dem Versuch dieser Dame zu, mit Murphy etwas Small talk zu führen. Aber dieser war viel zu perplex, um wirklich darauf eingehen zu können.

Zwischendurch wandte die Frau, die sich Mary Dana Wyngdale nannte, den Kopf in Rabeas Richtung.

Die Blicke der beiden Frauen trafen sich.

Etwas Katzenhaftes schien Mary Dana - oder doch Victoria? – innezuwohnen. Ihre Augen wurden schmal und das drohende Flackern sorgte dafür, dass Rabea ein kalter Schauder über den Rücken lief.

Sie ist es!, war sie überzeugt. Dies war jene Frau, die vor zwei Tagen ihr Büro betreten hatte. Daran gab es für Rabea nicht den geringsten Zweifel.

Und noch ein Gedanke spukte in Rabeas Kopf herum und erschreckte sie zutiefst.

Wir wurden erwartet!

14

Die Frau, die sich Mary Dana Wyngdale nannte, hakte sich mit einem charmanten Lächeln bei Murphy unter und zog ihn mit sich.

"Kommen Sie, Mr O’Donnell. Lassen Sie uns etwas plaudern!"

"Nun..."

"Außerdem möchte ich Sie einigen Leuten vorstellen, die sicher auch sehr an Ihrer Geschichte interessiert sind. Wissen Sie, wir langweilen uns hier zuweilen etwas..."

"Was Sie nicht sagen!", erwiderte Murphy etwas hilflos.

Indessen reichte Sir Cleon Rabea einen Teller. "Wollten Sie nicht etwas essen?"

"Eine Kleinigkeit."

"Darf ich Ihnen etwas empfehlen? Probieren Sie die Schnittchen..."

Sie nahm sich einige Schnittchen.

Alles sah sehr köstlich aus und war mit viel Geschmack arrangiert. Etwas überrascht war sie über den seltsam faden Geschmack.

"Als Ihr Kutscher uns hier her brachte, kamen wir durch eine recht eigentümliche Moorlandschaft", sprach Rabea dann Sir Cleon an.

Dieser hob die Augenbrauen.

"Oh, ja. Es existierten immer schon einmal Pläne, dieses Moor trockenzulegen. Aber das erfordert erhebliche Geldmittel..."

"Wir hörten aus dem Nebel heraus einen seltsamen Chor von Stimmen..."

"Ach ja?"

Ein Muskel zuckte unruhig in Sir Cleons Gesicht.

Rabea studierte aufmerksam seine Züge.

"Ja", sagte sie.

Sein Lächeln wirkte etwas verkrampft, als er sagte: "In dieser seltsamen Landschaft glaubt man manchmal alles mögliche hören zu können..."

"Ich habe mir das nicht eingebildet, Sir Cleon."

"Oh, Rabea! Wenn Sie wüssten welche üblen Streiche der menschliche Geist sich selbst zuweilen spielt... Aber Sie sind in der Tat nicht die erste, die diese Stimmen bemerkte." Er zuckte die Achseln. "Wie über die meisten Moore, so erzählt man sich über dieses allerlei schaurige Geschichten..."

"Was für Geschichten?"

"Geschichten von Menschen, die unvorsichtig genug waren, sich allein und ohne ausreichende Ortskenntnis in diese tödliche Wildnis zu begeben. Viele sind jämmerlich umgekommen und nun für immer als Moorleichen konserviert, so dass zumindest ihre Gebeine die Jahrtausende überdauern werden. Man behauptet nun, dass die Seelen der vielen Unglücklichen, die über die Jahrhunderte hinweg hier den Tod fanden, als ruhelose Geister umherirren..."

"Ich verstehe", sagte Rabea schaudernd.

Sir Cleon sprach jetzt mit sehr dunklem, fast vertraulichem Timbre. Sein Blick musterte sie forschend.

"Angeblich gibt es Menschen, die die Stimmen der Geister hören können, weil sie eine besondere Sensibilität für die Toten besitzen..."

"Ach!"

"Wussten Sie das nicht?"

Er sagte das auf eine Weise, die ihr nicht gefiel. Sein Blick schien sie geradezu zu durchbohren.

Rabea gab ihm keine Antwort.

Gemeinsam gingen sie zwischen den umherstehenden und sich unterhaltenden Gästen hindurch. Ein Diener hatte Rabea inzwischen längst wortlos den Teller abgenommen.

Schließlich erreichten sie eines der hohen Fenster und Rabea konnte nicht anders, als hinauszublicken. Die Dämmerung hatte längst eingesetzt. Grau und unheimlich wallten noch immer die Nebelmassen um das Schloss herum.

"Mir ist aufgefallen, dass es um Grimsbury Castle herum kaum Vegetation gibt", sagte Rabea. "Und das wenige, was dort zu finden ist, scheint verdorrt und bedeckt mit einer eigenartigen weißen Schicht..."

"Das liegt am Boden", meinte Sir Cleon.

"Ich dachte immer, dass der Boden in der Umgebung von Mooren besonders fruchtbar sei!"

Er lachte.

"Um ehrlich zu sein, ich habe nicht die geringste Ahnung von diesen Dingen. Und es wundert mich, dass sich eine junge Lady wie Sie mit derartigen Problemen befasst!"

Rabea bemerkte, wie auf einer etwas erhöhten Bühne einige Musiker mit ihren Instrumenten platzgenommen hatten.

Schon drangen Töne durch den Raum. Die Instrumente wurden gestimmt, ehe dann einige Augenblicke später ein Walzer erklang.

Sir Cleon nahm sie bei der Hand.

"Darf ich um diesen Tanz bitten, Rabea?"

"Gerne", sagte sie etwas verblüfft. Und schon im nächsten Augenblick drehten sie sich über den Tanzboden. Es war ein herrliches Gefühl, fand Rabea. Sie gab sich ganz der Führung dieses düsteren Lords hin und fühlte sich großartig dabei.

Sie glaubte auf Wolken zu schweben.

So leicht glitt sie über den Boden.

All das, was um sie herum vor sich ging, nahm sie nur noch ganz am Rande wahr. Es war, wie in einem wunderschönen Traum. Ein Rest Unbehagen blieb, aber für diesen Augenblick drängte sie diese Empfindung in den Hintergrund.

"Ich bin eine schlechte Tänzerin", sagte Rabea.

Er sah sie an und ihre Blicke hingen wie magnetisch aneinander.

"Sie sind großartig, Rabea."

"Sie sind ein Lügner! Aber ein liebenswürdiger!"

15

Die Zeit verging im Flug und Rabea erschrak schließlich ein wenig darüber, wie sehr sie das Gefühl dafür verlieren zu haben schien.

Murphy hatte sie während dessen ziemlich aus den Augen verloren, von einigen Momenten abgesehen, in denen sie ihn in Begleitung von Mary Dana Wyngdale gesehen hatte.

Sir Cleon hingegen war nicht einen einzigen Augenblick von Rabeas Seite gewichen.

"Bringt uns Goreham morgen in die Stadt?", fragte Rabea ihn dann irgendwann, als sie ganz erschöpft und atemlos vom vielen Tanzen war.

"Rabea, wer redet an einem solchen Abend von Morgen?"

Er weicht aus!, dachte sie.

"Ich würde es gerne wissen."

"Morgen können Sie tun, was immer Sie wollen. Und ich nehme an, Ihr Begleiter, dieser Mr O’Donnell, wird da seine ganz eigenen Vorstellungen haben..."

Er lächelte.

Rabea erwiderte dieses Lächeln. Es war schwer, sich dem Charme dieses Mannes zu entziehen.

"Vermutlich haben Sie recht, Sir Cleon."

"Nun, was immer Sie dann auch tun werden, um Ihre Reise fortsetzen zu können: Ich werde Sie dabei nach Kräften unterstützen."

Rabea sah ihm in die Augen und irgendwie glaubte sie ihm nicht, was er zuletzt gesagt hatte. Es war ein Gefühl.... Vielleicht eine Nuance im Timbre seiner Stimme oder im Tonfall.

"Darf ich Ihnen eine Frage stellen?"

"Sie tun den ganzen Abend nichts anderes, Rabea."

"Ich hoffe, das stört Sie nicht!"

"Keineswegs!"

Umgekehrt hatte Sir Cleon ihr so gut wie überhaupt keine Fragen gestellt. Nicht über ihr Leben, ihren Beruf, ihre Familie...

Nichts!

Erst in diesem Moment wurde Rabea das so richtig bewusst und sie fragte sich, worin der Grund liegen konnte. Fast hat es den Anschein, als ob er schon alles weiß!, ging es ihr durch Kopf, aber dieser Gedanke war natürlich absurd. Vermutlich ist er einfach nur höflich.

Dann fragte sie: "Bei der Treppe hängen einige Portraits..."

"Ja, da ist richtig. Ein begabter Maler, nicht wahr?"

"Sie sind alle von demselben Künstler?"

"Ja. Ich gab ihm vor Jahren den Auftrag, einige Freunde, Bekannte und Familienmitglieder zu porträtieren, was er auch tat... Sie haben sicher die außerordentliche Detailfreudigkeit bemerkt, mit der er Personen darzustellen wusste..."

"Wusste?", echote Rabea. "Sie sprechen von ihm in der Vergangenheit..."

Sir Cleons Gesicht bekam einen harten Zug.

"Ja, er lebt nicht mehr. Vielleicht haben sie seine Stimme in jenem Chor der Unglückseligen vernommen, den Sie zu hören geglaubt haben..."

"Sie meinen..."

"Er starb im Moor. Kein Mensch weiß, welcher Wahn ihn eines Nachts allein dort hinauslaufen ließ... Niemand hat je noch etwas von ihm gehört. Ein Jammer! So ein begabter Künstler!"

Sir Cleon zuckte die Schulter.

Seine letzten Worte hatten einen harten, metallischen Klang gehabt, der Rabea erschauern ließ. Sie spürte die innere Kälte ihres Gegenübers. In Wirklichkeit empfindet er gar nichts!, wurde es ihr klar. Der Tod dieses Malers ist ihm so gleichgültig wie nur irgendwas...

"Auf einem dieser Bilder habe ich ein Detail entdeckt", sagte Rabea dann. "Darf ich Ihnen zeigen, was ich meine?"

"Aber gerne."

Gemeinsam gingen sie hinaus. Nach wenigen Augenblicken hatten sie die breite Treppe erreicht, die ins Erdgeschoss führte.

Rabea deutete auf jenes Bild, auf dem sie zuvor Maradinas Amulett entdeckt hatte.

Sie stutzte.

"Aber..."

"Nun, Rabea? Was wollen Sie mir zeigen?"

"Dieses Bild...", flüsterte Rabea fassungslos.

"Es zeigt eine weitläufige Verwandte. Eine Cousine dritten Grades, glaube ich... Rabea? Warum sind Sie denn so blass geworden?"

Rabea glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Das Bild schien sich verändert zu haben.

Das Amulett!

Es war verschwunden.

In diesem Moment tauchte Patrick der Butler auf.

"Sir Cleon, die Zimmer für die Gäste sind hergerichtet", erklärte er.

Aber Rabea hörte es kaum.

Sie starrte noch immer wie entgeistert auf das Gemälde...

16

"Ah, Rabea! Hier bist du!"