Never without you - Anna Loyelle - E-Book

Never without you E-Book

Anna Loyelle

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Beschreibung

Young Adult Romance trifft auf Thriller Eine Geschichte über Liebe und Sehnsucht Eine Geschichte über die Suche nach der Wahrheit Eine Geschichte voller Schmerz, Tragik und Dunkelheit Geheimnisse bleiben so lange sicher verwahrt, bis ein kleiner Funke an Unachtsamkeit ein Feuer entzündet und alles ans Tageslicht bringt. Elisha und Cade haben etwas gemeinsam - ihr Leben birgt viele Geheimnisse. Vielleicht ist das der Grund, warum sie sich auf Anhieb zueinander hingezogen fühlen? Als sich der Schatten der Vergangenheit über sie legt und ihr Leben aus der Bahn zu werfen droht, wird ihnen klar, wie viel sie einander bedeuten. Sie begegnen sich an Elishas erstem Tag an ihrer neuen Schule. Cade bringt Elishas Herz mit seinen blauen Augen und seiner sanften Art zum Flattern. Schritt für Schritt tastet er sich an sie heran, bis sie sich entgegen ihrer Vorsätze auf eine Beziehung mit ihm einlässt. Doch Cade hat mit den Dämonen seiner Vergangenheit zu kämpfen. Als Briefe auftauchen, die seine Mutter vor ihrem Tod verfasst hat, kommen schreckliche Geheimnisse ans Licht. Geheimnisse, die mit dem spurlosen Verschwinden eines Mädchens zu tun haben. Geheimnisse, die einen Menschen in Verzweiflung stürzen und dazu bringen, ein Verbrechen zu begehen. Never without you – Elisha & Cade ist erstmals 2018 erschienen und wurde im März 2022 im LeuchtWort Verlag neu veröffentlicht.

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Epilog

Danksagung

 

 

 

 

 

Copyright © 2022 by LeuchtWort Verlag

Sonja Fürst & Andreas Puderbach GbR

Dillenburger Str. 16

56459 Rothenbach

 

Lektorat / Korrektorat: Michaela Marwich - Textcheck Agency

Cover/eBook: Grit Bomhauer, www.grit-bomhauer.com

unter Verwendung von

© Adobe Stock - Michael Shake / oatawa / Forewer

© vectorstock - fleurdesign

 

 

1. Auflage 2022

ISBN: 978-3-949727-23-8

 

 

[email protected]

www.leuchtwort-verlag.de

 

 

Ein Mädchen verschwindet. Ein Junge stürzt sich in den Tod. Ein Geheimnis wird aufgedeckt, das so furchtbar ist, dass es einen Menschen dazu treibt, ein Verbrechen zu begehen.

 

Elisha und Cade haben etwas gemeinsam - ihr Leben birgt viele Geheimnisse. Sie begegnen sich an Elishas erstem Tag an ihrer neuen Schule und fühlen sich auf Anhieb zueinander hingezogen. Cade bringt Elishas Herz mit seinen blauen Augen und seiner sanften Art zum Flattern. Schritt für Schritt tastet er sich an sie heran, bis sie sich entgegen ihrer Vorsätze auf eine Beziehung mit ihm einlässt.

Doch auch Cade hat mit den Dämonen seiner Vergangenheit zu kämpfen. Als Briefe auftauchen, die seine Mutter vor ihrem Tod verfasst hat, kommen schreckliche Geheimnisse ans Licht. Geheimnisse, die mit dem spurlosen Verschwinden eines Mädchens zu tun haben. Geheimnisse, die einen Menschen in Verzweiflung stürzen und dazu bringen, ein Verbrechen zu begehen.

Anna Loyelle schreibt Jugendromane, Erotikgeschichten und Kurzgeschichten unterschiedlicher Genres. Hinter dem Pseudonym Anna Loyelle verbirgt sich die Gründerin und Herausgeberin des Tiroler Literaturmagazins „Schreib Was“ Andrea Kammerlander.

Mehr über die Autorin erfahren Sie auf www.anna-loyelle.at.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für Dich, meine Seelenschwester, beste Freundin und Vertraute, in Erinnerung an unsere turbulente Zeit als Babysitter.

Ich hab dich lieb.

 

 

 

 

Das Tückische an der Liebe ist, dass sie sich

ungefragt in dein Herz schleicht.

(Anna Loyelle)

 

Anfang August

 

Die Maispflanzen überragten mich um einige Zentimeter, dennoch boten sie keinen Schutz vor meinem Verfolger. Er war da, irgendwo hinter mir, versessen darauf, mich wieder einzufangen und zu verschleppen. Wohin, mochte ich mir nicht vorstellen.

Meine rechte Seite schmerzte bei jedem Atemzug, meine Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt. Ich blieb stehen, neigte mich ein wenig vor und stützte mich mit den Händen an den Oberschenkeln ab, um besser atmen zu können. Bald würde es dunkel werden und ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand. Es gab weit und breit nur Felder und ein dichtes Waldgebiet, das direkt daran angrenzte. Als ich vorhin aus dem Auto meines Entführers geflohen war, hatte ich geglaubt, in der Ferne die Umrisse einer Farm zu sehen. Ohne nachzudenken, war ich drauflosgelaufen und nun stand ich orientierungslos mitten in diesem Maisfeld.

Unmittelbar hinter mir raschelte es. Oh nein, er war da! Panisch lief ich los und bahnte mir mit ausgestreckten Armen einen Weg zwischen den hohen Stängeln hindurch. Ich musste unbedingt zu dieser Farm gelangen, bevor mich mein Entführer einholte.

Am Ende des Maisfeldes verhedderte ich mich in einer umgeknickten Pflanze und fiel hin. Ich verlor meinen linken Schuh und verspürte einen stechenden Schmerz im Schienbein. Ich rappelte mich hoch und lief mit einem Schuh weiter, durch das hohe Gras des angrenzenden Feldes, auf einen Jägerhochstand zu. Für den Bruchteil einer Sekunde erwog ich hochzuklettern, um mich dort zu verstecken, aber dieser Zufluchtsort könnte sich als Falle entpuppen.

Obwohl mir zunehmend schwindlig wurde und meine Beine sich anfühlten, als würde ich Betonklötze hinter mir herziehen, lief ich weiter. Ich musste die Farm erreichen!

Auf dem holprigen Feldweg, der am Hochstand vorbeiführte, stolperte ich erneut. Diesmal schaffte ich es nicht, aufzustehen. Was für eine Droge hatte er mir gegeben?

Ich zog die Knie an und bewegte mich auf allen vieren vorwärts. Aus Angst, ihn zu sehen, wagte ich es nicht, über die Schulter zu blicken. Weiter, immer weiter, den Weg entlang und über den Zaun da vorne …

Hände umfassten mich von hinten, drehten mich herum und warfen mich auf den Rücken. Er war da. Ich schlug mit den Fäusten nach ihm, aber er zeigte sich unbeeindruckt davon, setzte sich auf mich und drückte meine Arme auf den Boden.

»Wo wolltest du denn hin?« Sein Gesicht war meinem so nahe, dass ich seinen Atem an meiner Wange spürte.

»Bitte …«, flehte ich.

»Bitte«, äffte er mich nach. Ich suchte in seinen Augen nach einem Anzeichen von Mitleid, aber da war nichts außer eisiger Kälte. Er stand auf, fasste in mein langes Haar und riss mich hoch. Meine Kopfhaut fühlte sich an, als würde sie sich gleich von meinem Schädel lösen. Ich schrie auf vor Schmerz.

»Halts Maul!«, brüllte er mit harter, kalter Stimme und warf mir aus kaltglitzernden Augen einen wütenden Blick zu. Ein heftiger Schmerz durchzuckte mich und peitschte von meiner Wange bis in meine Zehenspitzen durch meinen Körper, als er mich ohrfeigte. Er zerrte grob an meinen Oberarmen und schüttelte mich.

»Du gehörst jetzt mir! Hast du verstanden?«, fragte er mit bedrohlicher Stimme. Mein Herz schlug so stark, dass ich es überall fühlen konnte, so sehr, dass ich seine Worte wie durch Watte hörte, aber ich nickte und biss mir schluchzend auf die Unterlippe. Ich brach innerlich zusammen und gab auf. Ich hatte verloren.

Sonntag, Anfang September

 

Der Himmel zeigte sich bewölkt und ein kühler Wind wehte, als ich die Allee entlang auf das kleine Haus zuging, das seit vier Wochen mein neues Zuhause war. Mit Wehmut stellte ich fest, dass der Herbst den Sommer viel zu früh verdrängte. Ich mochte diese Jahreszeit nicht. Der Frühling gefiel mir, wenn die Blumen anfingen zu blühen und die Knospen wieder sprossen, aber den Sommer liebte ich. Ich war definitiv ein Sommerkind.

Eine Windböe erfasste mein langes, rotbraunes Haar und wehte es mir ins Gesicht. Ich blickte nach oben und krauste beim Anblick der Regenwolken die Nase. Über mir bewegten sich die dürren Äste der Bäume im immer stärker werdenden Wind. Ich freute mich schon auf mein Zimmer, in dem es wohlig warm sein würde. Ich zog die Schultern hoch und beschleunigte meine Schritte.

Anfangs hatte ich Bedenken, hier zu leben. Mit hier meinte ich nicht den Ort Lindson County an sich, sondern dieses Viertel. Auf beiden Straßenseiten standen kleine Häuschen und Bungalows. Die Vorgärten waren von weiß gestrichenen Holzzäunen umfasst. Auf den ersten Blick konnte man meinen, dass es sich um eine reiche Gegend handelte, aber beim genaueren Hinsehen erkannte man, dass das nur Täuschung war. Die meisten Zäune gehörten längst erneuert oder gestrichen und einige Häuschen flehten regelrecht nach neuen Dächern und Fenstern. Auch viele Gärten sahen verwahrlost aus.

Nach einer Woche änderte ich jedoch meine Meinung und war froh, dass meine Mom die Annonce für das kleine Häuschen in einer Tageszeitung gefunden hatte, denn die Miete war erschwinglich, es herrschte wenig Verkehr, die Bushaltestelle befand sich in unmittelbarer Nähe und nur fünf Gehminuten entfernt gab es einen Spielplatz. Trotz anfänglicher Zweifel fühlte ich mich inzwischen sehr wohl hier, was zum Teil auch an den netten Nachbarn lag. Sie waren weder aufdringlich noch neugierig, dafür jedoch sehr hilfsbereit. Während unseres Einzugs halfen sie, unsere Habseligkeiten in das teilmöblierte Haus zu tragen. Und nicht nur das. Sie versorgten uns mit Essen und Trinken und kümmerten sich um meine kleinen Geschwister, damit Mom und ich alles saubermachen und gemütlich einrichten konnten. So eine Freundlichkeit hatte ich bisher nirgendwo erlebt.

Wenige Schritte vor mir sah ich Mrs. Lynch, die alte Dame, die neben uns wohnte, mit einer vollen Einkaufstasche vor ihrer Haustür stehen. Sie suchte in der Tasche ihres Mantels offenbar nach dem Schlüssel. Mrs. Lynch gehörte zu den Frauen, die sich während unseres Einzugs um meine Geschwister gekümmert hatten. Mein vierjähriger Bruder Jamie und meine zweijährige Schwester Kathy hatten sie sofort ins Herz geschlossen. Nesthäkchen Joline war erst sieben Wochen alt, doch wenn sie Mrs. Lynch sah, lächelte sie.

Meine Mom hatte eine Stelle als Rezeptionistin in einem Motel an der Autobahnabfahrt gefunden, in dem man rund um die Uhr Zimmer mieten konnte, deshalb musste sie in Schichten arbeiten. Mrs. Lynch hatte sich angeboten, als Babysitter einzuspringen, wenn Mom zur Arbeit musste und ich noch in der Schule war.

»Hallo Elisha!«, rief Mrs. Lynch mir zu und winkte. Ich winkte zurück. Ich mochte die grauhaarige Frau mit dem faltigen Gesicht und den hellblauen Augen. Sie wirkte immer fröhlich und strahlte eine Ruhe aus, die ansteckend war.

Wenige Schritte später erreichte ich unser Gartentor. Als ich den gepflasterten Weg entlang auf die Haustür zuging, landeten die ersten Regentropfen in meinem Gesicht.

Im Haus erwartete mich eine ungewohnte Stille. Offenbar war Mom noch mit den Kleinen in der Shoppingmall. Sie wollte ihnen neue Kleidung kaufen, denn besonders Jamie war in den letzten Monaten hochgeschossen wie eine gedüngte Pflanze.

Ich zog Schuhe und Jacke aus und ging in die Küche. Auf der bunten Ablage des Babyhochstuhls lag ein bekleckertes Lätzchen, auf dem Tisch standen zwei leere Babyfläschchen und eine Packung Babynahrung. In der Spüle stapelte sich das Geschirr vom Vorabend und von heute Morgen, auf dem Herd stand ein Topf mit Gemüsesuppe. Bei ihrem Anblick knurrte mein Magen laut. Ich schöpfte etwas davon in einen Teller und stellte ihn in die Mikrowelle. In wenigen Sekunden war die Suppe heiß. Ich aß im Stehen und griff nach dem Muffin, den ich auf der Anrichte entdeckte. Egal, wem er gehörte, jetzt war es meiner.

Nach dem Essen spülte ich die Babyfläschchen aus und stellte sie zum Trocknen verkehrt herum auf ein Geschirrtuch. Danach räumte ich den Geschirrspüler aus und fütterte ihn mit den schmutzigen Tellern und Töpfen aus dem Küchenwaschbecken. Ich hasste Hausarbeit, aber Mom und ich hatten ein Abkommen: Wir teilten uns alle anfallenden Aufgaben und kümmerten uns gemeinsam um die Kleinen. Nur so konnte sie ihren Job ausüben und ich mich auf die Schule konzentrieren.

Morgen begann für mich mit einer einwöchigen Verspätung das erste Jahr an der High School. Beim Gedanken an meinen ersten Schultag wurde mir ein wenig mulmig zumute. Ich hasste es, schon wieder die Neue in der Klasse zu sein. Die Außenseiterin. Diejenige, die sich in bereits zusammengeschlossene Gruppen drängte und versuchte, Anschluss zu finden.

Nachdem wir schon viermal umgezogen waren, wusste ich, wie das ablief und fand es richtiggehend zum Kotzen. Und ich fürchtete mich davor. Vor den neugierigen Blicken, vor dem Getuschel, vor den Gerüchten über mich, die unvermeidbar die Runde machen würden. Dass wir so oft umgezogen waren, lag daran, dass meine Mutter früher aufgrund ihres Alkoholproblems nie lange einen Job behalten und den falschen Männern vertraut hatte. Deswegen hatte es ständig Streit und Unstimmigkeiten zwischen uns gegeben. Seit Mom keinen Alkohol mehr anrührte, hatte sich unsere Beziehung glücklicherweise sehr gebessert.

Ich seufzte, nahm einen Apfel aus der Obstschüssel und ging die Treppe hoch in mein Zimmer. Die Stille im Haus war angenehm. Daran könnte ich mich gewöhnen. Obwohl, ohne Kinderlachen und Babygeschrei fehlte etwas. Ich beschloss, die Zeit und die Ruhe sinnvoll zu nutzen, setzte mich an den Schreibtisch und fuhr meinen Laptop hoch. Nachdem ich mein Passwort eingegeben hatte, rief ich die Homepage der Lindson Private High School auf, denn ab morgen gehörte ich zu den Glücklichen, die dort einen Schulplatz erhalten hatten. Ob das Wort Glücklichen tatsächlich zutraf, würde sich in den nächsten Wochen herausstellen.

Ursprünglich sollte ich auf die öffentliche Schule gehen, aber vor einem Jahr war mein Vater, den ich nur von alten Fotos her kannte, aus der Versenkung aufgetaucht und hatte darauf bestanden, dass ich die private High School besuchte. Er war der Meinung, die Lindson High würde mir den Weg zur Yale University ebnen - oder zumindest erleichtern, denn ich wollte dort Journalistik studieren. Er hatte es nicht für nötig gehalten, mir das persönlich mitzuteilen, sondern meine Mutter per E-Mail darüber informiert. Dass er mich nicht kennenlernen wollte, tat weh, gleichzeitig machte es mich wütend. Laut den Erzählungen meiner Mutter war er es schließlich gewesen, der sie sitzen ließ, als sie im siebten Monat mit mir schwanger war. Dennoch war ich ihm dankbar, dass er für das Schulgeld aufkam und laut meiner Mom ein Sparbuch für mich angelegt hatte. Mit diesem Geld konnte ich später die Studiengebühren für Yale begleichen.

Auf der Startseite der Lindson High erfuhr ich, dass Lindson County mit sechstausend Einwohnern zwar nicht viel größer war als Rerden County, das verschlafene Kaff, in dem ich vorher gelebt hatte, dafür aber umso moderner. In Rerden County hielt man nämlich vom technischen Fortschritt an Schulen genauso wenig wie der Papst von gleichgeschlechtlicher Liebe. Den schuleigenen Computer durfte man nur in Ausnahmefällen und nur unter Aufsicht einer Lehrkraft benutzen. Kurz gesagt: An der Rerden High School bestand man auf handschriftliche Aufzeichnungen. Die Lindson High hingegen zog das Zusenden der Hausaufgaben per E-Mail und das Speichern von Referaten auf USB-Sticks vor. Außerdem standen den Schülern zur Erledigung von Schulaufgaben jederzeit mehrere Computer zur Verfügung.

Während ich am Apfel nagte wie eine Maus, klickte ich die Rubrik Exkursionen an. Mein zukünftiges Journalistenherz schlug einen Takt schneller, denn die Liste war seit Freitag um zwei Punkte erweitert worden. Besichtigung des Mark Twain House & Museum. Besuch der Hartford CourantRedaktion. Oh mein Gott! Ich konnte es nicht glauben und las die Aktualisierung noch einmal. Träumte ich? The Hartford Courant galt als die auflagenstärkste Tageszeitung in Hartford und als eine der ältesten kontinuierlich herausgegebenen Zeitungen in den USA. Ich erinnerte mich, vor ein paar Monaten gelesen zu haben, dass die erste Wochenausgabe des Courant am 29. Oktober 1764 erschienen war. Ich bekam Schweißausbrüche vor Aufregung und Vorfreude. Sofort öffnete ich Google Maps und stellte mit Begeisterung fest, dass die Fahrt nach Hartford nur circa zwanzig Minuten dauerte. Ich merkte erst, dass ich breit grinste, als meine Mundwinkel zu schmerzen anfingen.

Um mich zu beruhigen, klickte ich auf die Rubrik Schüler des Jahres. Dortwaren einige Jungs und Mädchen aufgelistet, die sich im vergangenen Schuljahr sozial sehr engagiert und Auszeichnungen erhalten oder außergewöhnliche schulische oder sportliche Leistungen erbracht hatten.

Der Button Fotos enthüllte Bilder vom Schulgebäude. Um mir den Schulweg einzuprägen und mir die Schule von außen anzusehen, war ich bereits ein paarmal mit dem Bus dorthin gefahren, deshalb wusste ich, dass der zweistöckige, sandfarbene Bau auf den Bildern größer und einschüchternder wirkte als in echt.

Ich übersprang die Buttons Geschichte der Lindson High, Ehemalige Schüler und Veranstaltungen und klickte mich auf die Seite der Schülerzeitung. Das Wort zu lesen verursachte bereits ein Kribbeln in meinem Nacken. Ich konnte es nicht erwarten, Artikel für die Schülerzeitung zu verfassen, deren Ausgaben sogar an einigen Kiosken erhältlich waren. Ich würde mich anstrengen und mein Bestes geben, um unter allen anderen Schreiberlingen hervorzustechen.

Als ich nach unten scrollte, erschien das Foto einer kurzhaarigen Brünetten. Karen Rhodes, Chefredakteurin der Schülerzeitung Lindson News, stand unter dem Bild. Dann folgte ihr schulischer Lebenslauf. Obwohl ich die Seite in den vergangenen Tagen bereits zigmal aufgerufen und das Foto angesehen hatte, wurde ich nicht schlau aus Karen Rhodes. Ihre Miene wirkte streng und arrogant, obwohl sie lächelte. Ich fragte mich, was mich erwartete, wenn ich ihr zum ersten Mal gegenüberstand. Hoffentlich sah sie mich nicht als Eindringling an, sondern nahm mich vorurteilsfrei in die Gruppe auf.

Ehe ich mich in unsinnige Ängste hineinsteigern konnte, scrollte ich mich weiter zu den Themen, die in den Zeitungsberichten aufgegriffen wurden. Sie beschränkten sich nicht nur auf Schulinternes, sondern widmeten sich auch Politik, Sport, Kultur wie Kinofilme, Bücher, Museen und Vernissagen, Lokales, Musik, Freizeitgestaltung und Mädchenkram.

Die Fotos der sieben Redaktionsmitarbeiterinnen hatte ich mir längst eingeprägt, dennoch sah ich mir ihre Gesichter noch einmal genau an. Ihre Namen kannte ich inzwischen ebenso auswendig wie den nachfolgenden Hinweis. Die Lindson News erscheint monatlich auf unserer Onlineplattform und in kleiner Stückzahl auch als Printausgabe.

Zu meiner Verwunderung entdeckte ich ganz unten einen Link, der zur Rubrik Sonderausgaben/Lokalberichte führte. Offenbar hatte ich den bisher übersehen. Ich klickte ihn an und sofort sprang mir ein fettgedruckter Text ins Auge: Aufgrund der Dringlichkeit haben wir beschlossen, eine Lokalberichte/Sonderausgabe der Lindson News herauszugeben. Wir werden darin berichten, welche Neuigkeiten es zum Fall Kadissa Brighton gibt.

Zur Erklärung:Die sechzehnjährige Kadissa Brighton aus Lindson County ist seit Anfang August abgängig. Sie verschwand spurlos auf dem Heimweg von einem Besuch mit ihrer Freundin in der Eisdiele. Die beiden trennten sich an der Bushaltestelle, an der Kadissa zuletzt gesehen wurde. Niemand weiß etwas über ihren Verbleib. Kadissa ist ein Meter siebenundsechzig groß, hat blaue Augen und lange schwarze Haare. Am Tag ihres Verschwindens trug sie einen knielangen Jeansrock, ein weißes T-Shirt und weiße Convers Turnschuhe. Ihr Handy fand man zwei Meilen von der Bushaltestelle entfernt im Mülleimer einer öffentlichen Toilette. Hat jemand Kadissa seit ihrem Verschwinden gesehen? Weiß jemand, wo sie sein könnte? Die Polizei schließt nicht aus, dass Kadissa von zu Hause weggelaufen ist. Hinweise können der Polizei in Lindson County und auch allen anderen Polizeidienststellen gemeldet werden. Bitte helft mit, Kadissa zu finden!

 

Am Ende des Artikels gab es drei Fotos aus unterschiedlichen Perspektiven von dem Mädchen. Ein mulmiges Gefühl überkam mich. Ein Mädchen war verschwunden? Hier, in Lindson County? Wie schrecklich musste das für die Eltern sein, nicht zu wissen, wo ihre Tochter sich aufhielt.

Unten schlug die Haustür zu und Kinderlachen drang zu mir herauf. Die Rasselbande war zurück. Eigentlich wollte ich den Namen Kadissa Brighton googeln, um mehr über die Sache zu erfahren, aber das konnte ich jetzt vergessen. Von nun an war es mit der Ruhe vorbei.

Ich schloss die Seite, worauf mein Desktop-Hintergrundbild sichtbar wurde. Es war ein Foto meiner Familie, entstanden in einem Park, drei Wochen nach Jolines Geburt. Jamie und Kathy saßen auf einer Decke im Gras und lachten in die Kamera. Joline lag zwischen ihnen und schlief, die winzigen Hände zu Fäusten geballt. Mom und ich knieten hinter den Kleinen und lachten ebenfalls.

Meine Tür schwang auf und Jamie rannte herein.

»Lisha! Schau mal! Karten!« Er hielt ein neues Päckchen Auto-Sammelkarten hoch. »Mom hat sie mir gekauft. Spielst du nachher mit mir?« Sein Anblick erfüllte mich mit Wärme und Zuneigung. So, als würde ich heißen Kakao an einem kalten Winterabend trinken. Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange, zerzauste liebevoll sein rotbraunes Haar und half ihm aus der Jacke.

»Na klar spiele ich mit dir.« Er strahlte mich an und öffnete ehrfurchtsvoll den durchsichtigen Deckel des Kartenspiels. Kurz darauf brauste Kathy ins Zimmer und brachte mein Herz dazu, einen Purzelbaum zu schlagen. Ihre ebenfalls rotbraunen Haare waren zu frechen Zöpfen geflochten. Sie hielt ihre Puppe in der einen und ein rosa Puppenkleid in der anderen Hand.

»Lisha! Mommy hat ein Kleid für Peggy gekauft.« Stolz präsentierte sie mir ihre Errungenschaft.

»Wow, das ist wunderschön. Da wird sich Peggy bestimmt freuen.«

»Hilfst du mir, es anzuziehen?«

»Natürlich, mein Schatz.« Ich küsste sie auf die Stirn und knöpfte ihre Jacke auf.

»Aber du spielst doch schon mit mir«, erinnerte Jamie mich in vorwurfsvollem Ton. Ich lächelte. Auch, wenn die beiden manchmal sehr an meinen Nerven zerrten und sich zickig benahmen, liebte ich sie über alles.

»Wir können alle zusammen spielen. Ich bin sicher, Kathy und Peggy gefallen deine Karten ebenfalls sehr gut.« Kathy nickte eifrig. Jamies Miene hellte sich auf.

»Gute Idee. Ach ja, Mom braucht dich in der Küche. Wir warten in unserem Zimmer auf dich.« So schnell, wie sie aufgetaucht waren, verschwanden die beiden auch wieder.

Ich eilte die Treppe hinunter und ging in die Küche. Mom hielt Joline im Arm und packte mit einer Hand die Einkäufe aus.

»Hi Mom, hallo Baby«, begrüßte ich sie und nahm ihr die Kleine ab. Ich bedeckte ihr winziges Gesicht mit Küssen. Sie roch nach Babyshampoo und Puder und ihre Haut fühlte sich herrlich weich an. Ich schmiegte meine Wange an ihre und drückte sie sanft an mich. Joline blickte mich mit ihren großen blauen Augen leicht irritiert an, dann gähnte sie. Ich kitzelte mit der Fingerspitze ihre Handfläche und lächelte, als sie meinen Finger fest umschloss. Ich konnte nicht widerstehen, jeden ihrer winzigen Fingerchen zu küssen.

»Ich muss heute Abend für meine Kollegin einspringen. Sie hat sich schon wieder krank gemeldet«, sagte Mom und seufzte. Ich legte Joline in die Wippe, die auf der Küchenbank stand, und zog ihr Mütze und Jacke aus. Sie gähnte noch einmal und kniff die Augen zu.

»Die ist aber oft krank«, bemerkte ich. »Wie lange musst du arbeiten?«

»Von neun Uhr abends bis fünf Uhr früh.«

»Da hast du ja kaum Pause zwischen deiner und ihrer Schicht. Schaffst du das?«, fragte ich besorgt.

Mom nickte. »Mir bleibt nichts anderes übrig. Außerdem ist das gutes Geld.«

»Was hältst du davon, wenn ich Mrs. Lynch frage, ob sie die Kleinen morgen nehmen kann, wenn ich zur Schule aufbreche?«, schlug ich vor.

»Das wäre toll«, stimmte Mom zu und schaltete die Kaffeemaschine ein. »Dann kann ich mich ein bisschen hinlegen.«

»Wirst du rechtzeitig zu Hause sein, um die Kleinen für Mrs. Lynch fertig zu machen, damit ich den Schulbus nicht verpasse? Ich will am ersten Tag nicht zu spät kommen.«

Die Vorstellung, verspätet in der Klasse zu erscheinen und von allen angestarrt zu werden, bescherte mir eine Gänsehaut.

»Natürlich«, antwortete Mom und räumte die restlichen Einkäufe in den Küchenschrank.

»Übrigens, ich war heute im Diner«, schnitt ich ein eher heikles Thema zwischen uns an. Mom goss Kaffee in eine Tasse, setzte sich an den Tisch und sah mich abwartend an. Ich hob Joline aus der Wippe, nahm das Fläschchen mit Fencheltee aus dem Fläschchenwärmer auf der Anrichte und setzte mich wieder. Joline begann zu trinken, verzog jedoch nach wenigen Schlucken angewidert den Mund.

»Und?«, hakte Mom nach.

Ich atmete tief durch. »Ich hab den Job und darf dreimal die Woche von siebzehn bis zwanzig Uhr arbeiten.« Ich erwartete keine Begeisterung und wurde deshalb von ihrer Reaktion nicht enttäuscht.

»Willst du das wirklich durchziehen?«

Ich blickte auf Joline hinab. Sie spuckte etwas Tee aus. Ich wischte mit dem Lätzchen sachte über ihren Mund.

»Ja«, antwortete ich fest entschlossen. »Wir brauchen das Geld, Mom. Ich will dort arbeiten. Es sind nur drei mal drei Stunden.«

Mom seufzte. »Na gut, aber du musst dich trotzdem auch um die Kleinen und um den Haushalt kümmern.«

»Schon klar.«

»Und deine schulische Leistung darf nicht darunter leiden.«

»Wird sie nicht«, beteuerte ich und lächelte. Ich wollte diesen Job unbedingt. Mein eigenes Taschengeld zu verdienen machte mich ein bisschen unabhängiger und ich musste Mom nicht dauernd um Geld bitten.

Ich stand auf.

»Wo willst du hin?«

»Ich geh nach oben und spiele mit Jamie und Kathy. Leg dich ruhig eine Weile hin. Zum Abendessen bereite ich ein paar Sandwiches zu.«

Mom legte ihre Hand auf meine Wange. »Danke, Liebes. Ach ja, warte kurz.« Sie ging zur Anrichte und holte den Kalender, legte ihn auf den Tisch und kramte in der Schublade neben dem Geschirrspüler nach einem Kugelschreiber.

»Ich trage meinen Dienstplan hier ein, dann haben wir eine bessere Übersicht und können genau planen, wer wann auf die Kinder aufpasst und wann wir Mrs. Lynch miteinbeziehen müssen.« Sie setzte sich und begann, die Daten einzutragen. Ich sah ihr über die Schulter und wiegte Joline sachte hin und her. Nachdem wir alles festgelegt hatten, ging ich zu Jamie und Kathy hoch. Sie erwarteten mich mit strahlenden Gesichtern.

 

 

 

Ich öffnete die Augen. Dunkelheit umfing mich. Und dieser Übelkeit erregende, modrige Geruch, der inzwischen an meinen Sachen und auf meiner Zunge haftete wie klebriger Honig.

Stöhnend tastete ich unter dem Kopfkissen nach der Taschenlampe, schaltete sie ein und setzte mich auf.

Deprimiert stellte ich fest, dass ich mich immer noch im Sturmkeller befand. Gefangen unter der Erde, ohne Aussicht auf Entkommen. Die einzige Luke, die nach draußen führte, hatte mein Entführer von außen gesichert. Keine Chance, sie aufzukriegen. Ich hatte mein Glück bereits mehrere Male versucht und dabei ein paar Nägel eingebüßt. Meine Fingerkuppen waren blutig und taten immer noch weh.

Zum hundertsten Mal fragte ich mich, warum ich, anstatt auf Jennys Vorschlag einzugehen, mich von ihrem Bruder nach Hause fahren zu lassen, darauf bestanden hatte, den letzten Bus zu nehmen. Was für eine Idiotin ich doch war! Und eine noch größere Idiotin, dass ich auf diesen Mistkerl hereingefallen war! Nur, weil er gut aussah und mit mir geflirtet hatte. Er stand in der Nähe der Haltestelle und telefonierte mit seinem Handy. Als sich unsere Blicke begegneten, nickte er mir lächelnd zu. Nachdem er das Gespräch beendet hatte, kam er zu mir. Er hielt eine Getränkedose in der Hand. Seine Baseballmütze hatte er tief in die Stirn gezogen.

Ich hatte es ihm so leichtgemacht. So lächerlich leicht. Ihm musste nach wenigen Minuten bereits klar gewesen sein, dass ich an ihm interessiert war, so dämlich, wie ich ihn angegrinst hatte.

Dass ich aus der bereits geöffneten Dose Cola, die er mir reichte, trank, verstand ich immer noch nicht. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Und dann der Smalltalk! Wie eine dumme Gans war ich darauf eingegangen.

»Du gehst auch auf dieLindson High?«, erinnerte ich mich an meine begeisterten Worte. Als er nickte, machte mein Herz einen Rückwärtssalto. »Hey, dann freue ich mich ab jetzt auf den Schulbeginn. In vier Wochen geht’s los. Bist du schon aufgeregt?«

»Ein bisschen. Wäre cool, wenn wir ein paar gemeinsame Fächer hätten.«

»Oh, ja.«

»Hör mal, der Bus kommt erst in einer halben Stunde. Ich fahr dich gerne nach Hause, wenn du willst. Mein Auto steht gleich da drüben.«

»Du hast ein Auto?«

»Na ja, es gehört nicht mir, sondern meinem Dad. Aber seit ich den Führerschein habe, lässt er mich ab und zu damit fahren. Es ist nur ein alter Chrysler Cirrus, aber er fährt und das allein zählt.« Er blickte mir direkt in die Augen, was die Schmetterlinge in meinem Bauch erweckte. Es war mir völlig egal, welches Auto er fuhr. Ich nippte noch einmal an der Cola und ignorierte den leicht bitteren Nachgeschmack, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, im siebten Flirthimmel zu schweben.

»Hm, ich kenn dich doch gar nicht«, wehrte ich ab, flirtete aber gleichzeitig auf Teufel komm raus mit ihm. Er ging auf das Spiel ein. Sein Lächeln haute mich fast um. Ich fand ihn zuckersüß und attraktiver als Zac Efron und Ashley Charles zusammen.

»Da hast du recht. Das ist ein vernünftiges Argument. Normalerweise bin ich auch nicht so aufdringlich, ich wollte nur nett sein, da es gleich zu regnen beginnt.« Seine Worte wurden abrupt bestätigt, als die ersten Tropfen fielen.

»Oh, nein, ich finde dich nicht aufdringlich«, sagte ich kichernd.Ich überlegte kurz und sah mich um. Niemand sonst stand an der Bushaltestelle und die Straße war momentan wegen der Baustelle ein paar Blocks weiter wenig befahren. Ich konnte entweder weiter im Regen auf den Bus warten, darauf hoffen, dass jemand vorbeifuhr, den ich kannte und der mich mitnahm, oder mich von diesem extrem süßen Typen nach Hause fahren lassen.

»Hey, das war nur ein Angebot, du musst es nicht annehmen. Aber es wäre schade, denn ich hätte dich gern näher kennengelernt.« Mein Mund wurde trocken und ich verspürte ein angenehmes Prickeln in meinem Bauch.

»Ähm … ich will dich auch kennenlernen. Es wäre toll, wenn du mich mitnehmen würdest.«

»Cool. Mein Auto steht gleich da drüben.« Ich folgte ihm über den Parkplatz der Shoppingmall, die sich unweit der Bushaltestelle befand. Am liebsten hätte ich Jenny eine WhatsApp-Nachricht geschickt und ein Foto dieses schnuckeligen Typen gleich dazu, aber das erschien mir dann doch zu kindisch, deshalb ließ ich es. Plötzlich verspürte ich ein leichtes Schwindelgefühl.

»Ist es noch weit? Ich fühle mich komisch.« Er umfasste meine Taille und führte mich zwischen den geparkten Autos hindurch.

»Wir sind schon da. Ich helfe dir beim Einsteigen.« Ich ließ mich mit einem schweren Seufzer in den Sitz fallen. Mein Blick trübte sich. Irritiert schüttelte ich den Kopf.

»Was ist los mit mir?«

»Du hast bestimmt zu schnell getrunken.«

»Nein … ich … hm, ich bin irgendwie müde …«

»Kein Problem. Schließ die Augen und schlaf ein bisschen. Ich weck dich, wenn wir da sind.«

»Hm … du weißt nicht … gar nicht … wo ich wohne.«

»Doch, Kadie, das weiß ich. Zumindest, wo du von jetzt an wohnen wirst.«

 

Das waren die letzten Worte, an die ich mich erinnerte, bevor ich auf diesem holprigen Feldweg aufgewacht war. Das Auto hatte heftig geruckelt und mein Entführer hatte mit dem Handy telefoniert. Ich hatte seine Unachtsamkeit ausgenutzt, die Tür geöffnet und war aus dem langsam fahrenden Auto gesprungen. Nur, um am Ende doch hier zu landen.

Ich ließ den schwachen Lichtstrahl der Taschenlampe durch den Raum schweifen. Außer Spinnweben, die in allen Ecken von der Decke hingen, gab es nichts. Keine weitere Tür, kein Fenster, keine Luke, nichts. Mein Gefängnis war ausbruchssicher.

Das Licht flackerte. Mist. Ich hatte meinen Entführer um mehr Batterien gebeten, da ich mich im Dunkeln fürchtete, doch er hatte nur gelacht und gesagt, ich bekäme erst Batterien, wenn er das wollte.

Ich legte die Taschenlampe auf die Matratze und richtete den Lichtkegel auf den Plastikeimer, der gegenüber an der Wand stand. Dann schleppte ich mich hinüber, hob den Rock hoch und zog den Slip hinunter, um in den Eimer zu pinkeln. Das war demütigend, aber es gab keine andere Möglichkeit, um mich zu erleichtern. Anfangs hatte ich mir das Pinkeln so lange verkniffen, bis mir schlecht wurde, nur um am Ende dann doch die Demütigung in Kauf zu nehmen.

Der Verrückte wechselte den Eimer täglich gegen einen neuen aus und sorgte dafür, dass ich genug Klopapier hatte. Was für eine Ironie.

Er brachte mir zweimal am Tag etwas zu essen und zu trinken, meistens labbrige Sandwiches von der Tankstelle oder Fertigsuppen, von denen ich Magenschmerzen bekam. Während ich aß, setzte er sich jedes Mal zu mir auf die Matratze und unterhielt sich mit mir, als wären wir alte Freunde, die bei einem Milchshake in einem Diner saßen. Er erzählte von seinen Träumen und Wünschen und was das Leben stattdessen mit ihm veranstaltet hatte. Von bösen Großeltern, die ihn geschlagen und eingesperrt hatten. Von seinem Vater, der ihn nie gewollt hatte. Von seiner Stiefmutter, die ihn von Anfang an nicht leiden konnte, weil eine andere Frau ihn geboren hatte. Von seiner leiblichen Mutter, die ihn weggegeben hatte, weil er nicht in ihr Leben passte. Von seiner Schwester, die ein behütetes Leben führte, von allen geliebt wurde und keine Ahnung davon hatte, wie schlecht es ihm seit seiner Geburt erging.

Er erwartete Mitleid von mir, doch mehr als Wut hatte ich nicht für ihn übrig. Dachte er ernsthaft, dass meine Gefangenschaft ihn für all den Schmerz und das Leid, das er von seiner Familie bisher ertragen musste, entschädigte?

Ich erhob mich mit zittrigen Beinen, zog den Slip wieder hoch und strich den Rock glatt. Mir war klar, dass meine Kleidung verdreckt und zerknittert war, dennoch musste ich den Schein wahren, um das hier weiterhin zu überstehen. Bis ich gerettet werde.

Ich blieb am Fuß der Holzstufen stehen, die zur Luke des Sturmkellers führten, und sah nach oben. Vereinzelte Sonnenstrahlen krochen durch die Ritzen. Es war also Tag.

Ich begann zu weinen und sank auf der Stufe zusammen. Einzig und allein der Gedanke an meine Flucht verlieh mir die Kraft, nicht durchzudrehen. Denn ich würde fliehen. Früher oder später. Daran zweifelte ich nicht eine Sekunde.

 

 

Ich wagte es nicht, meine Augen zu öffnen, aus Angst, meine Befürchtungen könnten sich erfüllen. Ich ballte die Hände unter der Bettdecke zu Fäusten und stellte mich schlafend. Bestimmt irrte ich mich, was das Öffnen meiner Zimmertür anging. Bestimmt irrte ich mich auch, was die Geräusche von Schritten auf dem Holzboden betraf.

Ich hielt die Luft an und horchte auf weitere Laute, die nicht hierhergehörten. Zum Beispiel auf das verhaltene Atmen nahe an meinem Ohr. Oh Himmel! Es befand sich jemand bei mir im Zimmer! Ganz nahe an meinem Bett! Ich wollte zurückzucken, weglaufen, schreien, um mich schlagen, doch das alles brachte nichts, wie ich letztes Mal schmerzhaft erfahren musste. Ich konnte nicht entkommen. Was sollte ich tun?

Mutig öffnete ich die Augen einen Spalt. Ich musste es wissen, musste mich davon überzeugen, dass ich mich nicht irrte. Ich sah eine schemenhafte Gestalt, die sich über mein Bett beugte. Meine Angst wuchs. Mein Herz schlug so schnell, dass ich befürchtete, es könnte in meiner Brust explodieren. Es war zu dunkel, um zu erkennen, ob es sich bei der Person um einen Mann oder um eine Frau handelte. Vor Furcht fühlte ich mich wie gelähmt. Ich spürte, wie mir der Schweiß am ganzen Körper ausbrach.

Plötzlich begann die Gestalt ein Kinderlied zu summen. Sollte mich das beruhigen? Mir die Angst nehmen? Das Gegenteil geschah. Panik stieg in mir hoch. Ich musste fliehen, sofort, bevor es wieder passierte. Doch es war zu spät. Ich spürte, wie sich große Hände um meinen Hals legten und zudrückten. Langsam und erbarmungslos. Ich rang verzweifelt nach Luft und versuchte, die Hände von meinem Hals zu ziehen, aber ich besaß nicht genug Kraft. Mir wurde schwindlig. Mein Blick trübte sich. Keuchend streckte ich die Arme aus, um die Gestalt im Gesicht zu kratzen … und fand mich an einem anderen Schauplatz wieder, als wäre ich durch die Zeit gereist.

Ein großes weißes Gebäude mit einem Flachdach ragte vor mir auf. Ich wusste, was kommen würde, weil es jedes Mal passierte.

Ich richtete meinen Blick nach oben, zum Dach. Dort stand jemand mit ausgebreiteten Armen, zum Sprung bereit. Ich wollte der Person zurufen, dass sie nicht springen durfte, aber es kam kein Laut über meine Lippen. Die Gestalt ließ plötzlich die Arme sinken und wandte sich halb um. Dann sah ich den Grund dafür: Es befand sich noch irgendwer auf dem Dach. Ein kleiner Junge, der weinte. Mein Herz begann zu rasen und Eiseskälte kroch meinen Rücken hoch, als mir mit einem Mal klar wurde, dass ich dieser Junge war. Ich selbst. Cade.

Aber, wie war das möglich? Wie konnte ich hier unten und gleichzeitig dort oben stehen?

Noch während ich mir darüber den Kopf zerbrach, stürzte sich die Gestalt mit einem markerschütternden Schrei vom Dach. Ich schloss die Augen, um den Aufprall auf dem Asphalt nicht mitansehen zu müssen, und …

 

Ich erwachte zitternd und schweißgebadet und rang keuchend nach Luft. In meiner Panik strampelte ich die Bettdecke weg und setzte mich ruckartig auf. Es dauerte ein paar Sekunden, bis mir klar wurde, dass ich mich zu Hause in meinem Bett befand und alles nur ein beschissener Traum gewesen war.

»Fuck«, sagte ich laut, knipste die Nachttischlampe an und blickte auf den Wecker. Es war vier Uhr morgens. »Fuck«, wiederholte ich und fuhr mit beiden Händen über mein Gesicht. Meine Pulsfrequenz war immer noch viel zu hoch und meine Beine zitterten. Dieser verdammte Traum wurde von Mal zu Mal realer.

Ashley seufzte leise im Schlaf. Ihre nackte Schulter lugte unter der Bettdecke hervor, das lange blonde Haar verdeckte ihr Gesicht. Ich überlegte kurz, sie zu wecken, um ihr von diesem beängstigenden, immer wiederkehrenden Traum zu erzählen, entschied mich jedoch dagegen. Eine kalte Dusche würde mir auch helfen.

Ich ging ins Badezimmer, zog meine Boxershorts aus und stellte mich unter den eiskalten Wasserstrahl. Das raubte mir kurzzeitig den Atem, was gut war, denn nur so gelang es mir, die Erinnerung an diesen beschissenen Traum aus meinen Gedanken zu vertreiben. Ich drehte das Wasser erst ab, als meine Zähne klappernd aufeinanderschlugen.

Zurück in meinem Zimmer, schlüpfte ich in T-Shirt, Boxershorts, Socken und Jogginghose.

»Cade«, murmelte Ashley verschlafen, »wieso bist du angezogen? Müssen wir schon aufstehen?«

»Nein, erst in zwei Stunden. Schlaf weiter.«

»Kommst du nicht zu mir?«

»Später.«

Sie drehte sich mir zu und entblößte ein nacktes Bein.

»Cade?«

»Ja?«

»Ich hätte Lust auf einen Quickie.«

Ich sah sie ungläubig an. »Du bist doch nicht mal richtig wach.« Sie schob die Bettdecke so weit nach unten, dass ich ihre Brüste sehen konnte. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte ich ihr Angebot mit Freuden angenommen, aber nicht jetzt, wo mir dieser abartige Traum noch in den Knochen saß. Ashley trippelte mit den Fingern meinen Arm entlang zur Schulter hoch.

»Sobald du mich küsst, bin ich hellwach.« Keine Chance. So lange ich noch im Nachbeben des Albtraums festhing, ging bei mir gar nichts.

»Danke, Ash, aber nein«, sagte ich leise und fuhr mit gespreizten Fingern durch mein Haar.

»Was?« Ashleys Blick richtete sich anklagend auf mich. »Du schlägst einen Quickie aus? Spinnst du?«

Ich schloss für einen Moment die Augen. Sofort tauchte die Gestalt, die an meinem Bett stand und mich mit bloßen Händen erwürgen wollte, wieder auf. Ich schnappte nach Luft und öffnete die Lider weit, um das Bild zu vertreiben. Ashley umfasste mich von hinten und schmiegte ihre Wange an meinen Rücken.

»Cade, was ist los mit dir?«

Ich wandte mich ihr zu und sah sie konzentriert an, um ihre Reaktion auf meine Antwort bis ins Detail mitzubekommen. Keine Ahnung warum, aber plötzlich war es mir furchtbar wichtig, dass sie mich ernst nahm.

»Ich hatte einen schlimmen Albtraum. Einen wirklich schlimmen.«

Ihre Brauen hoben sich, dann grinste sie. »Armer Junge.« Sie fuhr mit den Fingerspitzen seitlich an meinem Hals auf und ab. Das erregte mich eigentlich, doch jetzt ließ es mich kalt. »Komm schon, ich kann dich alle schlimmen Träume vergessen lassen.« An ihrer Miene erkannte ich, dass sie mich nicht ernst nahm.

»Ich scherze nicht, Ash.«

»Ich auch nicht. Entspann dich und überlass es mir, die schlechten Gedanken aus deinem Kopf zu vertreiben. Ich habe da eine gute Idee, wie …«

»Nein, Ash«, unterbrach ich sie und stand vom Bett auf. Sie sah mich verwirrt an.

»Echt jetzt? Ich will mitten in der Nacht mit dir vögeln und du lehnst ab? Wegen eines beschissenen Traums? Bist du durchgeknallt?«

Mir wurde schlagartig klar, dass es ein Fehler gewesen war, unserer Beziehung noch eine Chance zu geben. Zwischen uns war die Luft bereits seit Monaten raus.

Ich sah ihr in die Augen und wartete, aber nichts geschah. Kein Kribbeln, kein beschleunigter Puls, kein Wunsch, sie zu küssen. Nichts.

Sie neigte den Kopf ein wenig und leckte sich über die Lippen. »Willst du, dass ich dir einen blase?« Sie legte ihre Hand auf den Bund meiner Jogginghose. Ich wich zurück. Das meinte sie nicht ernst, oder?

»Was ist los mit dir? Du hast mich doch gefragt, ob ich das mal machen würde und jetzt …«

»Das war vor Monaten, Ash, und in einer ganz anderen Situation. Glaubst du nicht, dass wir beide in Stimmung sein sollten, wenn du das tust?«

Sie wickelte sich eine Strähne ihres langen blonden Haares um den Finger und zwinkerte mir zu. »Hey, ich bin immer in Stimmung. Außerdem kann ich dafür sorgen, dass auch du schnell in Stimmung kommst und …«

»Du kapierst es nicht«, fiel ich ihr verärgert ins Wort.

»Bist du wegen irgendwas sauer auf mich?«

»Ich habe dir vorhin gesagt, was los ist, aber du machst dich nur lächerlich über mich.«

Sie runzelte die Stirn. »Ähm, okay. Viele Menschen haben Albträume, aber ich glaube nicht, dass einer von denen so ein Theater macht wie du.«

Ich schluckte. Ashley würde nie verstehen, dass alles, was in diesem Traum passiert war, so real gewesen war, als hätte ich es tatsächlich erlebt, egal wie oft ich ihr das erklärte.

»Komm schon, Cade, sei nicht sauer auf mich. Ich mach es wieder gut. Wenn du keinen Sex mit mir möchtest, kann ich dir auch etwas vorsingen. Oder ich erzähle dir ein paar lustige Geschichten.« Sie machte sich schon wieder lustig über mich. Okay, das reichte. Ich schnappte mir die Bettdecke und ging zur Tür.

»Erzähl deine Geschichten, wem du willst, Ash. Ich schlafe im Gästezimmer.«

Montag

 

»Elisha, aufwachen.« Die Stimme drang wie aus weiter Ferne an mein Ohr. »Aufwachen, du bist schon spät dran.« Ich versuchte, meine Lider zu heben, aber das war so verdammt schwer. Ich fühlte mich wie in Watte eingekuschelt und wollte nicht, dass sich das änderte. Es konnte noch nicht Morgen sein. Unmöglich. Niemals. Joline hatte aufgrund von Bauchschmerzen die ganze Nacht geweint und nur im Minutentakt geschlafen. Dabei hatte ich versucht, die Krämpfe zu lindern, indem ich die Salbe vom Kinderarzt mit kreisenden Bewegungen im Nabelbereich aufgetragen, ihr Fencheltee zu trinken gegeben und sie auf den Bauch gelegt hatte. In meiner Not, denn ich war so verdammt müde, trug ich die Kleine herum und sang ihr etwas vor, worauf sie zeitweise aufhörte zu weinen. Ihr fielen sogar die Augen zu, was mich Hoffnung schöpfen ließ, sobald ich mich jedoch auf mein Bett setzte, ging das Geschrei von vorne los. Ich stand wirklich kurz davor, Mom anzurufen. Unglaublich kurz davor, aber am Ende siegte mein Stolz. Ich bekam das hin! Und wie ich es hinbekam. Gegen halb fünf Uhr morgens schlief Joline endlich vor Erschöpfung neben mir im Bett ein.

»Steh auf, Elisha.« Ich weigerte mich, wach zu werden. Wie lange hatte ich geschlafen? Das konnten keine zwei Stunden gewesen sein!

»Es ist schon halb acht, also beweg dich endlich aus dem Bett.« Die Worte sickerten dick wie Honig in meinen Kopf. Halb acht. Halb acht?! Ich schoss in die Höhe. Mom stand neben meinem Bett. Plötzlich war ich mehr als hellwach.

»Halb acht?«, wiederholte ich mit schriller Stimme.

»Sei leise, sonst wachen die Kleinen auf. Ich habe Joline ins Kinderzimmer hinübergelegt, die Tür aber offengelassen.« Panik erfasste mich.

»Oh nein, warum ist mein Wecker nicht losgegangen? Ich verpasse den Bus, und das am ersten Schultag!« Ich sprang aus dem Bett, eilte ins Badezimmer, putzte im Schnelldurchlauf meine Zähne, trug Mascara und Lipgloss auf und band meine Haare am Oberkopf mit einem Haargummi zu einem Pferdeschwanz zusammen.

»Bist du erst jetzt heimgekommen?«, fragte ich Mom. Sie fasste ihre kinnlangen rotbraunen Haare zu einem Dutt zusammen und schlüpfte aus ihrer Jacke.

»Ja, ich musste noch ein paar wichtige Sachen erledigen, die mein Boss mir aufgetragen hat.«

»Echt jetzt? Der Typ nützt dich aus!«

»Jedenfalls hab ich versucht, dich anzurufen, aber du hast dein Handy nicht gehört.«

Ich lief in mein Zimmer und warf einen Blick auf das Display. Vier Anrufe in Abwesenheit. Mist, ich hatte mein Telefon versehentlich auf lautlos gestellt!

»Oh nein, jetzt komme ich doch zu spät.«

»Wirst du nicht«, hörte ich Mom aus dem Badezimmer rufen. »Draußen wartet ein Taxi auf dich. Das Geld dafür habe ich dir schon bereitgelegt. Ich geh jetzt duschen und dann bring ich die Kleinen zu Mrs. Lynch hinüber.«

»Danke Mom!«

Ich tauschte meine Schlafkleidung gegen frische Unterwäsche, Jeans und eine weiße Dreiviertelarm-Bluse. Die Bluse war alles andere als angesagt, aber ihr weiter Schnitt kaschierte meine zu groß geratene Oberweite, was mir sehr wichtig war. Denn die war wirklich, wirklich viel zu groß geraten und ich wollte um keinen Preis, dass meine Brüste das erste waren, was meine neuen Mitschüler an mir bemerkten.

Mit zwölf Jahren hatte ich bereits Körbchengröße D, was mir viele spöttische Blicke und blöde Bemerkungen in der Schule eingebracht hatte. Okay, heute wusste ich, dass die Mädchen nur neidisch und die Jungs, die mitten in der Pubertät steckten, überfordert waren, aber damals schämte ich mich furchtbar und hielt mich ab und zu sogar für einen Freak.

Glücklicherweise gab mir meine damalige Vertrauenslehrerin die Adresse eines Ladens für große Oberweiten. Mom kaufte mir dort zwei BHs, die zwar nicht superschön aussahen, meinen Brüsten jedoch wunderbaren Halt gaben.

Ich schnappte meinen Rucksack, den ich bereits am Freitag zusammengepackt hatte, und lief wieder nach unten. Auf der Kommode im Flur lag das Geld für das Taxi. Ich steckte es ein, zog Schuhe und Jacke an und verließ das Haus. Der Taxifahrer wünschte mir einen guten Morgen und nickte mir lächelnd zu. So viel Fröhlichkeit um diese Uhrzeit war ich nicht gewohnt, aber sie fühlte sich gut an.

Zu meiner Erleichterung erreichte ich die Lindson Private High School noch rechtzeitig vor Unterrichtsbeginn. Ich gab dem Taxifahrer Trinkgeld, stieg aus und atmete tief durch, ehe ich das Schulgelände durch das imposante schmiedeeiserne Tor betrat. Nervosität ballte sich in meinem Magen zusammen. Okay, jetzt wurde es ernst. Heute würde ich nicht bloß da reingehen, um die Aufnahmeprüfung zu machen oder mich den Fragen der Schulleitung zu stellen. Heute übertrat ich die Schwelle zu meinem neuen Schulleben.

 

 

Ich folgte den anderen Schülern in den Innenhof. Einige gesellten sich zu bereits bestehenden Gruppen, quatschten und lachten oder tauschten Notizen aus, andere gingen direkt ins Schulgebäude oder blieben auf dem schuleigenen Parkplatz stehen, der sich auf der linken Seite des Gebäudes befand und durch eine eigene Einfahrt erreichbar war. Da ich nirgendwo dazugehörte, bewegte ich mich direkt auf die Eingangstür zu. Meine Befürchtung, von allen als Neuling erkannt und deshalb angestarrt zu werden wie eine exotische Blume, erfüllte sich zum Glück nicht.

Ich betrat das Gebäude und folgte dem Schülerstrom zu den Spinden, wo ich laut Anweisung der Schulleitung warten sollte, bis ich abgeholt wurde.

Um niemandem im Weg zu stehen, wich ich in eine Nische aus, die mit kleinen und großen beschriebenen Notizzetteln beklebt war. Das fand ich witzig. Ich entdeckte den Aufruf für eine Bandgründung, Angebote für Nachhilfestunden in unterschiedlichen Fächern und Hinweise auf bevorstehende Partys. Offenbar war das hier Informationsaustausch auf die altmodische Art.

»Darf ich mal?« Eine langhaarige Blondine zwängte sich ungeduldig an mir vorbei, um den gelben Notizzettel in ihrer Hand an eine freie Stelle an der Wand zu kleben. Um ihr Platz zu machen, tat ich einen Schritt nach hinten und stieß gegen jemanden. Erschrocken drehte ich mich um und blickte geradewegs in das blaueste Augenpaar, das ich je gesehen hatte.

»Sorry, tut … tut mir leid«, stotterte ich, als wäre ich völlig belämmert. Mein Herz fing an zu rasen und mein Gesicht fühlte sich an, als hätte ich zu lange vor einem Gesichtsbräuner gesessen. Trotzdem schaffte ich es einfach nicht, meinen Blick abzuwenden. Zum Teufel, was war los mit mir?

Die Augen, die mich in eine stotternde und glotzende Statue verwandelt hatten, gehörten zu einem Typen mit kurzen braunen Haaren, der eine leichte Ähnlichkeit mit Rick Malambri aus Step Up 3 hatte.

»Kein Problem«, sagte der Rick-Doppelgänger und lächelte mich an. Dann zwinkerte er mir zu, worauf ich irritierenderweise ein sachtes Kribbeln im Bauch verspürte.

»Lässt du mich mal ran?«

Ich blinzelte, da ich glaubte, mich verhört zu haben. »Was?«

»Lässt du mich mal ran?«, wiederholte er grinsend. Die Ungeheuerlichkeit seiner Frage vertrieb das Kribbeln in mir abrupt. Ich kniff die Augen zu und fuhr ihn an: »Wie bitte?« Er lachte und zeigte hinter mich.

»An meinen Spind. Du stehst direkt davor.« Oh mein Gott! Er hatte seine Frage mit Absicht zweideutig klingen lassen und ich war darauf reingefallen. Die Erkenntnis ließ meine Wangen heißer werden, als sie schon waren. Ich sehnte mich nach einem Loch, in dem ich auf der Stelle versinken konnte. Mein erster Schultag hatte noch nicht einmal begonnen und ich fühlte mich bereits wie die größte Idiotin.

Ich trat wortlos beiseite und tat, als hielte ich nach jemandem Ausschau, um ihn nicht mehr ansehen zu müssen. Was ich im Grunde ja auch tat, auch wenn ich nicht wusste, wer mich abholen würde.

Die Blondine verließ die Nische und checkte mich unverhohlen von oben bis unten ab. Toll. Auch das noch. Von Mädchen auf die Art Konkurrentin oder Mauerblümchen gescannt zu werden, fühlte sich beschissen an.

»Ich hab dich noch nie gesehen. Bist du neu hier?«, fragte sie nach dem Check mit leicht gerunzelter Stirn. Was das zu bedeuten hatte, war mir nicht klar. Hielt sie mich nun für eine Konkurrentin oder für ein Mauerblümchen? Beides gefiel mir absolut nicht.

»Ja, ich bin neu«, antwortete ich mit einem freundlichen Lächeln, um sie auf meine Seite zu ziehen. Es funktionierte. Sie lächelte zurück. Erleichterung überkam mich. Erste Hürde geschafft.

»Ich heiße Ashley. Das da …«, sie zeigte auf den blauäugigen Typen, der mich eben so dreist reingelegt hatte und gerade seinen Spind öffnete, »… ist mein Freund Cade.«

Okaaay. Rick … ähm, Cade und sie waren ein Paar. Ashley steckte ihr Revier ab. Ich überlegte, ob ich ihr erklären sollte, dass sie sich meinetwegen keine Sorgen machen musste, da ich im Moment absolut kein Interesse an Jungs hatte, aber zwei Mal innerhalb von fünfzehn Minuten wollte ich mich nicht zum Idioten machen, deshalb hielt ich die Klappe.

Der Typ namens Cade holte ein paar Bücher aus seinem Spind und schloss ihn wieder ab. Dann drehte er sich langsam um und fixierte mich mit einem Blick, der sich anfühlte wie warmer Sommerregen auf meiner Haut. Das Kribbeln von vorhin kehrte zurück. Ich musste auf einmal schlucken und zupfte verlegen am Saum meiner Bluse. Starr ihn nicht so an! Dreh dich um! Meine innere Stimme gab sich wirklich Mühe, aber aus undefinierbaren Gründen schaffte ich es nicht, auf sie zu hören.

»Wie heißt du?«, hörte ich Cade fragen, worauf Hitze in meine Wangen schoss. Nein! Ich wurde schon wieder rot! Um meine Verlegenheit zu überspielen, schob ich das Kinn vor und sah ihm direkt in die Augen. Er sollte nicht denken, dass ich Angst vor ihm hatte oder ihn so anziehend fand, dass ich mir vorkam wie ein Groupie vor seinem Star, dem die Stimme versagte.

»Ich bin Elisha Bennet.« Meine Stimme klang rau. Rau! Was war mit mir los? Hallo? Drehte ich jetzt durch, nur weil dieser Cade mich mit seinen tollen blauen Augen fixierte, als wäre ich das hübscheste Mädchen an dieser Schule?

»Elisha?«, wiederholte er und trat näher an mich heran. Nur mühsam widerstand ich dem Drang, zurückzuweichen. In den vergangenen Minuten hatte ich mich bereits genug blamiert. Ich nahm die Herausforderung an und blieb, wo ich war, auch wenn das bedeutete, ihn meine Toleranzgrenze überschreiten zu lassen.

»Interessant.« Von Nahem wirkten seine Augen noch dunkler und blauer und funkelnder. Seine Unterlippe war voller als die Oberlippe und an seinen Mundwinkeln bildeten sich kleine Grübchen, wenn er lächelte. So wie gerade eben. Ich musste erneut schlucken und bemerkte erstaunt, dass ich das Schlagen meines Pulses deutlich spürte.

»Ähm … danke …«, sagte ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte. Wobei schweigen wahrscheinlich die bessere Lösung gewesen wäre, aber das wurde mir erst hinterher klar. Um die Situation nicht noch peinlicher zu machen, riss ich mich von seinem Blick los und sah Ashley an. Okay. Unsere Freundschaft war vorbei, ehe sie begonnen hatte. Ihre braunen Augen schossen nämlich unsichtbare Blitze auf mich ab.

»Warum stehst du hier herum?« Offenbar wollte Cade mich noch nicht vom Haken lassen.

»Ich soll abgeholt werden, aber bisher ist niemand gekommen«, antwortete ich so gelassen wie möglich, wobei ich es vermied, ihn anzusehen. Ich wollte das Schicksal nicht noch weiter herausfordern.

»Keine Sorge, es wird bestimmt bald jemand auftauchen.«

Ich nickte und sah den Flur hinunter. »Ansonsten kümmere ich mich um dich.« Ich versuchte, das Gesagte zu ignorieren. So wie ihn. Ashley räusperte sich und hakte sich bei ihm unter.

»Lass uns gehen, wir sind spät dran.« Gut. Endlich. Ich brauchte unbedingt ein paar Minuten für mich, um mich von den Tritten ins Fettnäpfchen zu erholen, ehe ich, von wem auch immer, abgeholt wurde. Ich trat zur Seite, um die beiden vorbeizulassen, aber Cade löste sich aus Ashleys Griff, wandte sich mir zu und drängte mich rückwärts, bis ich gegen die Wand stieß. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Falsch, mein Herz rotierte irgendwie.

»Was soll das?«, fragte ich unsicher, worauf er sich so weit zu mir vorbeugte, dass seine Lippen beinahe meine Wange berührten. Himmel, ich bekam eine Gänsehaut. Eine prickelnde, kribbelnde, kitzelnde Gänsehaut und das, obwohl er mir so nahe war.

»Willkommen an unserer Schule, Elisha Bennet. Ich hoffe, wir werden viel Spaß miteinander haben.«

 

 

»Bist du Elisha Bennet? Sorry, blöde Frage, wer solltest du denn sonst sein? Ich bin Jennifer Tyler, aber du darfst gerne Jenny zu mir sagen. Hey, du siehst ein bisschen blass aus. Ist dir nicht gut?«

Ich rang mir ein Lächeln ab und versuchte, Cades Worte so nahe an meinem Ohr zu vergessen, aber sie beschäftigten mich mehr, als ich zugeben wollte. Ich hoffe, wir werden viel Spaß miteinander haben. Wie meinte er das? War das nur wieder eine zweideutige Bemerkung, um mich aus dem Konzept zu bringen, oder erhoffte er sich ernsthaft mehr von mir? Und wenn ja, was? Sex? Eine Beziehung? Oder nur lustige Unterhaltungen? Oh Mann, ich musste sofort aufhören, mir Gedanken darüber zu machen.

»Doch, alles okay«, sagte ich rasch, um nicht den Eindruck zu erwecken, an Jennys Führung nicht interessiert zu sein.

»Schön. Willkommen auf der Lindson High.« Jenny Tyler hatte lange schwarze Haare, graugrüne Augen und ein vertrauenerweckendes Lächeln. Ich mochte sie auf Anhieb, obwohl ich kaum fünf Worte mit ihr gewechselt hatte.

»Ist deine Haarfarbe echt? Das Rot schimmert so krass. Gefällt mir irre gut«, sagte sie.

»Ja, die ist echt.«

»Wow. Du musst auf der Hut sein.«

»Warum?«

»Weil du schon bald die Krallen einiger Mädchen zu spüren kriegen wirst.«

»Was? Wieso denn?«

Jennys Brauen hoben sich. »Das checkst du echt nicht? Krass.«

»Was meinst du denn?« Irgendwie stand ich auf dem Schlauch. Warum sollte ich die Krallen einiger Mädchen zu spüren bekommen? Jenny lächelte mich nachsichtig an.

»Süße, du siehst Hammer aus mit deinen langen roten Haaren und deinen großen Möpsen. Die sind mir übrigens gleich ins Auge gesprungen, obwohl du deine Jacke noch anhast.«

Zum dritten Mal innerhalb einer halben Stunde wurde ich rot. Und, oh nein, meine Brüste waren ihr sofort ins Auge gesprungen? Trotz weiter Bluse und trotz meiner Jacke? So viel zu meinem Versuch, das zu kaschieren.

»Kein Grund, peinlich berührt zu sein. Jungs stehen auf große Möpse. Da liegst du an dieser Schule klar im Vorteil. Deshalb meine Warnung – pass auf, dass dich die Krallen gewisser Mädchen nicht erwischen. Manche sind echt scharf, besonders die der IHNT-Girls.«

»IHNT-Girls?«, wiederholte ich verwirrt, was Jenny zum Lachen brachte.

»IHNT ist die Abkürzung für I have no tits. IHNT-Girls.«

»Ähm, okay, ich werde es mir merken.«

»Gut. Also, Elisha Bennet, ich bin heute ganz für dich da. Ich führe dich herum und zeige dir alles, was wichtig für dich ist. Wie du bestimmt schon weißt, findet der Unterricht von Montag bis Freitag von acht bis drei Uhr nachmittags statt. Die Lehrer sind im Großen und Ganzen nett, bis auf wenige Ausnahmen. Du kannst an mehreren freiwilligen Kursen teilnehmen, was dir Pluspunkte fürs College einbringt. Die Auswahlliste hierfür gebe ich dir später. Komm mit.« Ich folgte Jenny den leeren Flur entlang.

»Das da«, sie zeigte auf eine Tür mit Fenstereinsatz, »ist der Chemieraum. Manche Experimente, die da drin durchgeführt werden, sind mir echt suspekt. Was ist dein berufliches Ziel, Elisha?« Bei dieser Frage blühte mein Herz auf.

»Ich will Journalistin werden.« Jenny sah mich begeistert an.

»Ich auch! Wie cool ist das denn? Wo willst du nach der High School hin? Mein Ziel ist definitiv Yale.«

»Meins auch!« Wir blieben stehen. Jennys Augen funkelten vor Begeisterung.

»Das ist ja so klasse. Wir können uns gegenseitig mit dem ganzen Schreibkram für die Bewerbungsunterlagen helfen.«

Ich nickte. »Das klingt toll.«

»Mehr als toll. Genial.« Wir setzten uns wieder in Bewegung und plötzlich wurde mir klar, warum mir Jenny so bekannt vorkam. Ich hatte ihr Foto auf der Schulhomepage gesehen. Sie war im Team der Schülerzeitung.

»Hier geht’s zu den Umkleideräumen und zur Turnhalle. Ich zeig dir zuerst im Schnelldurchlauf alles, was ich für unwichtig halte, dann haben wir für die interessanten Dinge mehr Zeit. Einverstanden?«

Ich nickte. Mit Jenny würde ich mich hervorragend verstehen.

 

 

»Das hier ist deiner.« Jenny zeigte auf den Spind ganz rechts außen. »Hast du ein Vorhängeschloss dabei?«

»Nein. Ich wusste nicht, dass ich das selbst mitbringen muss.«

»Das macht nichts. Im Direktorzimmer kann man sich gegen eine geringe Gebühr eines ausleihen.« Ich bemerkte einen roten Aufkleber auf dem Spind, der sich direkt unter meinem befand. Der war mir bei meiner Begegnung mit Cade und Ashley vorhin gar nicht aufgefallen.

»Was hat das zu bedeuten?«

Jennys Miene wurde von Traurigkeit erfasst. »Diesen Spind hätte Kadissa Brighton bekommen, wenn sie nicht verschwunden wäre.«

Meine Nackenhärchen stellten sich auf. »Ich hab davon gelesen. Gibt es immer noch keine Spur von ihr?«

Jenny seufzte. »Nein. Ihre Eltern sind davon überzeugt, dass sie entführt wurde, aber die Cops schließen nicht aus, dass sie abgehauen ist. Ich habe denen gesagt, dass Kadie das niemals tun würde, weil sie mit ihren Eltern gut klarkommt und glücklich ist. Außerdem hätte sie sich mir anvertraut, wenn sie das vorgehabt hätte. Bis auf Detective Zett wollte mir aber keiner glauben. Er war der einzige, der mir wirklich zugehört hat und nicht ausschließt, dass sie entführt wurde. Er versprach mir, sich nicht auf eine Spur festzulegen, sondern in alle Richtungen zu ermitteln.« Jennys Augen wurden feucht. »Kadie ist meine beste Freundin. Wir gingen schon zusammen auf die Middle School und es wäre auch ihr erstes Jahr auf der LindsonHigh gewesen.«

Mir wurde schwer ums Herz. Jemanden zu verlieren, der einem so nahestand, musste schrecklich sein.

»Ich bin sicher, dass sie bald wieder auftaucht«, sagte ich.

»Ich hoffe es. Kadies Familie und ihre Freunde wurden alle von der Polizei befragt. Ich eingeschlossen. Gebracht hat es allerdings nichts. Niemand weiß, wo sie sein könnte. Das Schlimmste an allem ist, dass ich sie als Letzte gesehen habe. Wir waren im Eisladen und brachen gegen einundzwanzig Uhr auf. Ich habe ihr angeboten, meinen Bruder anzurufen, damit er sie heimfährt, aber sie wollte lieber mit dem Bus fahren. Die Haltestelle befindet sich nur wenige Schritte weiter, hinter dem Parkplatz.«

»Das tut mir so leid.«

»Wenn ich nur hartnäckiger gewesen wäre und darauf bestanden hätte, dass sie sich von meinem Bruder fahren lässt …«

Die Tür eines Klassenzimmers ging auf. Jenny verstummte. Ich erkannte die Blondine, die in den Flur trat, auf Anhieb wieder, aber erst jetzt bemerkte ich, dass Ashleys Haare perfekt gestylt waren und jede Strähne so korrekt saß, als hätte sie sie mit Klebstoff fixiert. Als sie uns sah, blieb sie stehen.

»Jen, was machst du denn noch hier draußen?«, fragte sie und zog die sorgfältig gezupften Brauen hoch. »Müsstest du nicht schon längst wieder am Unterricht teilnehmen?«

Jenny neigte leicht den Kopf. »Stell dir vor, ich habe gestern einen Kuchen gebacken. Mit roter Glasur und weißen Zuckerperlen. Der würde dir bestimmt gut schmecken. Leider habe ich ihn aufgegessen.« Ihre Antwort verwirrte mich ebenso wie Ashley. Wir sahen Jenny fragend an, doch sie zuckte nur mit den Schultern. Ashley schüttelte den Kopf, zog ihr Handy aus der Hosentasche und ging ohne ein weiteres Wort den Flur entlang.

»Das war Ashley Simpson. Sie hält sich für die Schönste, Klügste und Beste, weil ihre Mom Make-up-Model und ab und zu auf dem Titelblatt einer Modezeitschrift zu sehen ist. Die Jungs hecheln ihr hinterher, als würde es keine anderen Mädchen geben, was ich absolut nicht verstehe. Sie hat weder Titten noch Arsch und besonders klug ist sie auch nicht. Am besten, du beachtest sie nicht. Sie kann ganz schön kratzbürstig sein, wenn sie glaubt, jemand will sich an Cade ranmachen.« Das Warmer-Sommerregen-Kribbeln kehrte zurück, sobald ich mir Cade und seine blauen Augen in Erinnerung rief.

»Da muss sie sich bei mir keine Sorgen machen. Ich habe nicht vor, ihr den Freund auszuspannen«, sagte ich ernst, worauf Jenny mir zuzwinkerte.

»Hast du ihn schon kennengelernt? Er ist vor einer Woche achtzehn geworden und absolviert sein letztes Jahr an der Lindson.«

»Ja, vorhin«, antwortete ich verhalten. Hoffentlich fragte sie mich nicht, wie er mir gefiel.

»Dann weißt du ja, dass er gut aussieht. Und streite es bloß nicht ab.«

»Ja … ähm … vielleicht …«