Newport Prince Bd. 2 - Carrie A. Cullen - E-Book

Newport Prince Bd. 2 E-Book

Carrie A. Cullen

0,0

Beschreibung

Der zweite Band der Newport Prince Reihe Die Geschichte um Ava und Aiden geht weiter. "Ich habe keine Ahnung, wie ich ohne Ava leben soll. Ich brauche sie. Sie ist meine Luft zum Atmen. Mein Herzschlag. Mein Leben. Mein Alles." - Aiden Drei Jahre sind seit der verheerenden Silvesternacht vergangen, die das Leben von Aiden für immer verändert hat. Noch immer ist er auf der Suche nach ihr. Allerdings scheint sie wie vom Erdboden verschluckt. Dann, wie aus dem Nichts, steht sie plötzlich vor ihm. Ava. Sie ist zurück in Newport. Achtundvierzig Stunden lebt er einen Traum. Das Erwachen ist schmerzhaft, denn sie verschwindet erneut. Doch nun weiß er, wohin sie geflohen ist, und folgt ihr nach Vancouver. Dort angekommen, erlebt er den nächsten Albtraum. Wie es aussieht, hat sie ein neues Leben begonnen. Ohne ihn.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 571

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Schätze den Freund,

der deiner Dunkelheit folgt,

um dich zurück ins Licht zu führen.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1 - Aiden

Kapitel 2 -Aiden

Kapitel 3 - Aiden

Kapitel 4 - Aiden

Kapitel 5 - Aiden

Kapitel 6 - Ava

Kapitel 7 - Ava

Kapitel 8 - Ava

Kapitel 9 - Ava

Kapitel 10 - Ava

Kapitel 11 - Ava

Kapitel 12 - Ava

Kapitel 13 - Ava

Kapitel 14 - Ava

Kapitel 15 - Ava

Kapitel 16 - Ava

Kapitel 17 - Ava

Kapitel 18 - Ava

Kapitel 19 - Ava

Kapitel 20 - Ava

Kapitel 21 - Ava

Kapitel 22 - Ava

Kapitel 23 - Ava

Kapitel 24 - Ava

Kapitel 25 - Aiden

Kapitel 26 - Ava

Kapitel 27 - Ava

Kapitel 28 - Ava

Kapitel 29 - Ava

Kapitel 30 - Ava

Kapitel 31 - Ava

Kapitel 32 - Ava

Kapitel 33 - Ava

Kapitel 34 - Ava

Kapitel 35 - Ava

Kapitel 36 - Aiden

Kapitel 37 - Ava

Prolog

Es herrschte ohrenbetäubender Lärm in der Eishalle. Wenige Minuten vor Spielende führte das Team der Universität mit 3:2 Punkten. Ich saß als einziger Zuschauer weit und breit noch auf meinem Platz. Um mich herum rasteten die Fans aus und feierten bereits den Sieg ihrer Mannschaft. Doch eigentlich sollten sie wissen, dass beim Eishockey bis zum Abpfiff alles Mögliche passieren konnte. Ein Vibrieren an meinem Bein lenkte mich ab und ich zog mein Handy aus der Hosentasche.

Anna: Bist du noch mit Anaїs und Cedric unterwegs?

Ava: Ja, bin ich. Ich werde es leider nicht mehr ins Cubes schaffen.

Anna: Du kannst es dir ja noch überlegen. Grüß die beiden ganz lieb von mir. Kusskuss, Anna

Ava: Mach ich. Viel Spaß euch. Kuss, Ava.

Ich fühlte mich schrecklich, weil ich nicht nur meine Tante und meinen Onkel anlog, sondern auch meine beste Freundin. Niemand wusste, dass ich mir dieses Spiel ansah. Tante Anaїs und Onkel Cedric hatte ich erzählt, dass ich mit Anna einen Sportkurs besuchte. Und Anna dachte, dass ich mit meiner Tante und meinem Onkel im Kino war.

Noch vor drei Monaten wäre es für mich undenkbar gewesen, aus meinem Alltag auszubrechen und allein irgendwo hinzugehen. Um den Schmerz auszublenden, hatte ich mein Leben strikt durchgeplant. In der Regel stand ich morgens um sechs auf, ging eine Stunde joggen und fuhr um acht zur Uni. Dort blieb ich bis vier Uhr nachmittags, fuhr wieder nach Hause und verbrachte anschließend zwei bis drei Stunden im Fitnessstudio. Abends lernte ich, traf mich dienstags und freitags mit Anna und Robert und die Mittwoche hielt ich mir für meine Tante und meinen Onkel frei. So hatte ich immer genug um die Ohren, um nicht nachdenken zu müssen. Am schlimmsten waren die Wochenenden, wenn ich nicht so viel zu tun hatte. Meistens verkroch ich mich dann in der Stadt-Bibliothek oder fuhr zum Wandern in einen der umliegenden Nationalparks.

Irgendwie schaffte ich es trotzdem, jedem vorzugaukeln, dass ich okay war. Dabei war gar nichts okay. Als ich vor einiger Zeit das Gefühl hatte, wieder einmal kurz vor einem Zusammenbruch zu stehen, suchte ich erneut Hilfe bei meiner Therapeutin. Sie riet mir, auszuziehen, auf eigenen Beinen zu stehen und mehr Verantwortung zu übernehmen. Außerdem sollte ich versuchen, mich nicht mehr allzu streng an meinen selbstauferlegten Plan zu halten.

Als Anna und Robert mich zur gleichen Zeit zufällig fragten, ob ich nicht Lust hätte, mit ihnen eine WG zu gründen, sprang ich über meinen Schatten und sagte zu. Das war nun schon drei Monate her. Ja, ich wusste, dass ich schummelte, weil ich eben nicht ganz allein wohnte. Aber ich musste meinen Weg erst noch finden, wofür Anna am allermeisten Verständnis zeigte. Denn sie war nicht nur meine beste Freundin, sie studierte außerdem Psychologie. Ich vermutete daher ganz stark, dass sie sich ohnehin längst selbst zusammengereimt hatte, dass es etwas gab, das ich ihr verschwieg und das mir das Leben schwermachte. Doch sie drängte mich zu nichts.

Noch immer suchten mich fast jede Nacht Albträume heim, die mich schweißgebadet aus dem Schlaf rissen und wachhielten. Ich wollte und konnte das nicht mehr. Ich musste endlich versuchen, das Geschehene hinter mir zu lassen. Ihn hinter mir zu lassen. Letzte Woche hatte ich mich daher endlich meiner Vergangenheit gestellt und mir zum ersten Mal nach mehr als drei Jahren ein Eishockeyspiel angesehen. Ich war mir sicher, dass ich es nicht lange aushalten würde, doch kaum hatte ich die Halle betreten, wurde ich völlig ruhig. Ich kannte die Abläufe, wusste, was auf mich zukam. Die Kälte in der Halle, die harten Plastiksitze, der Lärm der Fans, das Schreien der Spieler auf dem Eis, die rasante, gnadenlose Jagd nach dem Puck. All das war mir vertraut. Ich verbot mir, an damals zu denken. Stattdessen konzentrierte ich mich auf die Spieltaktik oder beobachtete die Trainer und Ersatzspieler am Spielfeldrand, die ihre Mannschaft auf dem Eis anfeuerten. Ich verlor mich im Spiel und vergaß für drei Stunden die Welt außerhalb. Leider handelte es sich heute um das letzte Spiel der Saison. Blöderweise stellte ich mich meinen Ängsten ausgerechnet zum Ende der Spielsaison.

»Ava?«, sprach mich plötzlich jemand an.

Als ich den Kopf hob, und die Person, die sich neben mich gesetzt hatte, erkannte, rutschte mir das Handy aus der Hand.

O mein Gott!

Kapitel 1 - Aiden

Vier Tage später.

Eine junge Frau hockte vor meinem Hund, der sich überhaupt nicht mehr beruhigte und herzergreifend winselte. Sie trug Jeans, weiße Sneaker und eine schwarze Lederjacke. Das an sich war nichts Außergewöhnliches, wohl aber die dicken, dunklen Locken, die trotz des Pferdeschwanzes kaum zu bändigen waren. Augenblicklich gefror mein Blut zu Eis und gleichzeitig drehte mein Herz durch. Das konnte nicht wahr sein. Ich musste ein Geräusch gemacht haben, denn sie hob den Kopf und sah in meine Richtung. Es fühlte sich wie ein Stromschlag an, als ich das Himmelblau in ihren Augen entdeckte, und mir versagten augenblicklich die Knie. Ich ging zu Boden und schlug mir die Hände vors Gesicht. Warum nur musste das Schicksal so grausam sein? Warum sah ich in jedem Mädchen mit braunen Locken und blauen Augen sie? Mein Brustkorb schnürte sich zu und ich bekam keine Luft.

»Sie ist es.« Lucas.

»Sie ist es wirklich, Kumpel.« Carter.

»Sieh hin!« Matthew.

»Daniel hat sie gefunden«, flüsterte Steven an meiner Seite.

Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte nichts davon hören. Irgendjemand griff mir unter die Achseln und zu zweit halfen sie mir wieder auf die Beine. Ich weigerte mich, meine Augen zu öffnen, drehte mich weg und wollte gehen. Doch ich wurde festgehalten.

»Aiden, glaubst du wirklich, wir würden uns damit einen Scherz erlauben?« Joshua.

Mein Puls raste und ich hatte das Gefühl, mich jeden Moment übergeben zu müssen.

»Dreh dich um und sieh hin! Wir haben sie endlich gefunden!«, sagte er.

Joshua legte mir die Hand in den Nacken und wartete, bis ich ihn ansah. Als ich die Augen öffnete, erkannte ich die Ernsthaftigkeit in seinem Blick. Ermutigend nickte er mir zu und ich drehte mich zur Gruppe um. Ich schluckte und atmete tief ein. Mein Blick wanderte zu Carter und blieb an seiner Hand hängen, die fest eine andere umfasste. Eine kleinere Hand, mit zierlichen Fingern. Mein Sichtfeld verschwamm und ich presste die Kiefer aufeinander. Wie in Zeitlupe wanderte mein Blick ihren Arm hinauf bis zur Kurve ihres Halses und blieb an der Haarsträhne hängen, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte. Meine Knie zitterten so stark, dass ich mich an Joshua festhalten musste. Mein Herz versuchte, aus dem engen Raum meines Brustkorbes auszubrechen, und hämmerte panisch gegen meine Rippen.

»Hi.«

Ihre zarte Stimme war leise, kaum hörbar, dennoch nahm ich sie klar und deutlich wahr. Ich konnte es einfach nicht glauben. Vor mir stand ein Engel. Mein Engel.

Diego versuchte unentwegt, an ihr hochzuspringen, sodass Steven schließlich in sein Halsband griff und ihn von ihr wegzog. Mein Hund war völlig außer sich und hechelte, als hätten wir einen Dreimeilenlauf hinter uns. Ich straffte die Schultern. Erneut sah ich an ihrem Körper empor. Wieder traute ich mich nicht, ihr direkt ins Gesicht zu sehen. Doch mein Herz ließ diese Angst nicht zu. Es schlug immer unkontrollierter und verlangte, dass sie mich mit ihrem Blick berührte. Damit es wieder zum Leben erweckt wurde. Ich schloss für einen Moment die Augen, holte Luft und dann sah ich sie an. Scheu erwiderte sie meinen Blick. Ein unerträgliches Verlangen, sie in meine Arme zu schließen, überkam mich und ich machte einen Schritt nach vorne. Ihre Augen weiteten sich und sie klemmte ihre Unterlippe zwischen die Zähne. Ich spürte etwas Feuchtes auf meinen Wangen und rieb mir übers Gesicht. Ich machte noch einen Schritt und dann noch einen. Ich stand nun so dicht vor ihr, dass ich nur die Hand hätte ausstrecken müssen, um sie zu berühren. Doch ich traute mich nicht. Plötzlich hatte ich Angst, sie könnte sich wie eine Seifenblase in Luft auflösen. Zitternd holte ich Luft und erhaschte dabei einen allzu vertrauten Duft. Süß, frisch wie der Frühling mit einem Hauch Kirschblüte. Meine Atmung geriet immer mehr aus dem Takt. Ich öffnete den Mund, um mich zu beruhigen. Dann hob sie mit einem Mal die Hand und fuhr mit ihren Fingern über meine Wange. Ich erstarrte. Blitze jagten durch meinen Körper und ich bekam eine Gänsehaut.

Mit dem Daumen wischte sie mir die Tränen von der Wange. Als sie nach einer gefühlten Ewigkeit endlich ihren Blick wieder hob und mich ansah, spürte ich, wie sich das unsichtbare Band um meinen Brustkorb lockerte. Ich holte tief Luft. Mein Herz schlug so laut, dass es sicher jeder hier am Lily Pond hören konnte.

»Aiden.«

Meinen Namen aus ihrem Mund zu hören, löste meine Starre endgültig. Ich griff nach ihr, zog sie an meine Brust und legte meine Arme um sie. Ich spürte, dass sie ebenso sehr zitterte wie ich. Ich vergrub mein Gesicht in ihren Haaren und atmete laut hörbar aus. Nach wenigen Sekunden schlang auch sie ihre Arme um meine Taille und drängte sich dicht an mich. Ich nahm nichts mehr wahr. Ich fühlte nur noch sie. Ihren Körper, ihre Wärme, ihren Duft. Und ich spürte ihren lebendigen aufgeregten Herzschlag, der wie ein vibrierendes Echo in mich eindrang und mein eigenes Herz zum Schlagen brachte.

»Wir lassen euch jetzt allein. Carter nimmt Diego mit. Wenn irgendetwas ist, ruft einfach einen von uns an.«

Steven legte seine Hand auf ihren Rücken und wartete, bis sie ihn ansah. Mit einem tiefen Seufzen löste sie sich von mir. Ihre Nähe fehlte sofort und als sie sich zu Steven umwandte, ging ich automatisch einen Schritt mit.

»Danke, Steven«, flüsterte sie zaghaft.

»Dafür nicht, Babe.« Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und flüsterte ihr etwas zu, was ich jedoch nicht verstehen konnte. Dann lief er zu den anderen und ich war mit ihr allein.

Ava stand mit dem Rücken zu mir und sah den Autos der Jungs nach, als diese vom Parkplatz fuhren. Ich rieb mir übers Gesicht. Fuck. Ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte. Wollte sie das hier überhaupt? Was hatte Steven zu ihr gesagt? Warum war sie hier?

»Wollen wir vielleicht ein Stück spazieren gehen?«, schlug sie vor und drehte sich wieder zu mir.

Ungläubig sah ich sie für einen Moment an. »Jetzt?«, fragte ich völlig verdattert.

»Gerne«, antwortete sie, und weil ich anscheinend nicht rechtzeitig reagierte, verrutschte ihr Lächeln und sie sah zu Boden. »Es sei denn, du hast keine Zeit. I… ich kann auch wie…«

»Nein«, unterbrach ich sie und verfluchte mich, weil ich ein dämlicher Idiot war. »Ich hab Zeit«, fügte ich hastig hinzu.

»Sicher?«

»Ich würde sehr gerne mit dir spazieren gehen, Ava«, antwortete ich und sagte das erste Mal seit drei Jahren ihren Namen. Ein warmes Gefühl durchzog meinen Körper, das durch das Aufleuchten in ihren wunderschönen Augen zu einer gleißenden Hitze anschwoll. Ava wandte den Blick viel zu schnell von mir ab und setzte sich in Bewegung.

»Es ist komisch, wieder hier zu sein«, durchbrach sie nach einer Weile die Stille zwischen uns.

Ich sah kurz zu ihr und ließ meinen Blick über den See schweifen. »Das kann ich mir vorstellen.«

»Ich bin bis jetzt immer nur im Winter hier gewesen. Im Sommer habe ich es irgendwie nie geschafft. Es ist wirklich schön. Sehr idyllisch mit den vielen Seerosen.«

Ich nickte. Ava versuchte, Smalltalk zu machen, und ich benahm mich wie ein stummer Freak. Ich holte tief Luft und drängte meine Angst, dass sie sich vor mir in Luft auflösen könnte, zur Seite. »Ich komme einmal in der Woche hierher. Meistens laufen wir um den See und danach …« Ich stockte. Beinahe hätte ich ihr erzählt, was ich jeden Mittwoch nach der Gassirunde mit Diego machte. Da traf ich mich nämlich mit Magda in Avas altem Haus.

»Und danach?«, hakte Ava natürlich sofort nach.

»Danach springt er ins Wasser und ich muss mindestens eine halbe Stunde warten, bis er freiwillig wieder rauskommt«, antwortete ich.

Avas Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und sofort machte mein Herz einen Satz. Dieses Gesicht wurde noch schöner, wenn sie lachte.

»Ja, das klingt ganz nach Diego. Er ist eine richtige Wasserratte.«

Wir verfielen wieder in Schweigen und setzten unseren Weg fort. Es war dunkel, als wir den See umrundet hatten und zurück zu den Parkplätzen kamen. Ich wollte nicht, dass unsere Zeit schon zu Ende war und überlegte fieberhaft, wie ich sie zum Bleiben überreden konnte. Ich kam mir hilflos vor. Vielleicht hatte sie Hunger? »Möchtest du essen gehen?«

»Wollen wir vielleicht etwas essen gehen?«, fragte Ava im selben Moment.

Ein Schmunzeln stahl sich in mein Gesicht. Als sich Avas Mundwinkel ebenfalls lächelnd nach oben bogen, schmolz ich dahin. Gott, diese Lippen. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich. Ich durfte das hier nicht versauen. Ein altbekanntes, primitives Bedürfnis erwachte ihn mir. Ava war hungrig und ich wollte dafür sorgen, dass sie möglichst schnell etwas zu essen bekam. »Worauf hast du Lust?«, fragte ich.

Sie steckte die Hände in die Taschen ihrer Lederjacke und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Burger vielleicht?«, schlug sie vor.

»Burger«, wiederholte ich und Ava nickte. »Zufällig weiß ich, wo man die besten Burger in der Region bekommt. Dafür müssten wir allerdings ein Stück mit dem Auto fahren.«

»Na, wenn es die besten sind, sollten wir das tun.«

Ava sah mich einen Moment mit ihren wunderschönen Augen an und ich hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. »Ja, sollten wir«, stammelte ich. Ich räusperte mich und zeigte zu meinem Wagen. »Ist es in Ordnung, wenn ich fahre?«

Sie nickte und folgte mir.

Während der Fahrt durch die dunklen Straßen von Newport, sah Ava die ganze Zeit aus dem Fenster. Ihre Hände lagen ineinander verschränkt in ihrem Schoß. Sie war so verdammt ruhig. Im Gegensatz zu mir wirkte sie kein Stück nervös oder aufgeregt. Ich hingegen zitterte unentwegt und musste mich zusammenreißen, meine Hände bei mir zu behalten. Alles in mir schrie danach, sie zu berühren. In der Enge des Wagens war es noch tausendmal schlimmer, weil mich ihr Duft ungefiltert traf. Mit jedem Atemzug wurde es schwieriger, dem Drang zu widerstehen, sie in meine Arme zu ziehen und einfach nur zu halten. Ich krallte meine Finger fester um das Lenkrad.

Als ich auf dem Mitarbeiterparkplatz hinter dem Hotel hielt, sah Ava zu mir.

»Ich kenne zufällig den Koch ganz gut. Er heißt Louis und macht wirklich die besten Burger der Stadt«, erklärte ich.

Ava nickte und stieg aus dem Wagen. Ich steckte meine Hände in die Jeans und deutete mit dem Kopf zum Hintereingang des Restaurants. Da es recht spät war und die meisten Hotelgäste das Restaurant bereits verlassen hatten, bekamen wir einen Platz direkt am Fenster und damit einen großartigen Blick über die Bucht. Als Louis an unserem Tisch erschien, bestellte ich zwei seiner Spezialburger.

»Was wollt ihr dazu trinken? Rotwein?«, fragte er und sah Ava an.

Sie blickte von Louis zu mir und hob die Achseln. »Für mich nicht. Ich weiß nicht, ob Aiden vielleicht Wein möchte«, sagte sie.

»Keinen Wein«, antwortete ich kopfschüttelnd. »Ich nehme ein Glas Wasser«, fügte ich hinzu, ohne von ihr wegzusehen.

Sie löste ihren Blick und bestellte sich ebenfalls ein Glas Wasser. »Ich wusste nicht, dass man hier auch so einfache Sachen zu essen bekommt.«

»Nur wenn man den Koch kennt.«

»Er kommt mir irgendwie bekannt vor.«

»Louis ist Lucas Bruder«, antwortete ich.

»Jetzt, wo du es sagst. Sie sehen sich ziemlich ähnlich.« Ava ließ ihren Blick wieder durch das Restaurant schweifen.

Und ich sah sie an. Eine Locke hatte sich aus ihrem Zopf gelöst und in meinen Fingern zuckte es, sie hinter ihr Ohr zu streichen. Ob sich ihre Haut immer noch so weich und sanft anfühlte? Ich ließ meine Augen zum tausendsten Mal über sie gleiten. Ich konnte nicht genug von ihrem Anblick bekommen. Ava sah erwachsener aus. Ihre Wangenknochen kamen viel mehr zur Geltung, die Augen wirkten wachsamer. Keine Spur mehr von ihrem jugendlichen Touch. Vor mir saß eine atemberaubende junge Frau. Allerdings hatte sie ihre Kurven verloren und war sehr schlank, fast schon mager geworden. Viel zu dünn für meinen Geschmack.

Während wir aßen, sagte keiner von uns ein Wort. Hin und wieder erwischte sie mich dabei, dass ich sie anstarrte, tat jedoch jedes Mal so, als hätte sie es nicht bemerkt.

»Wie geht es deinen Eltern? Gehört ihnen noch das Autohaus in Providence?«

»Ich glaub, es geht ihnen ganz gut.«

»Du glaubst, es geht ihnen gut? Sprichst du nicht mit deinen Eltern?« Erstaunt sah sie mich an und wischte sich mit der Serviette über den Mund. Sie schob ihren Teller von sich, obwohl noch die Hälfte ihres Burgers darauf lag.

»Doch, natürlich spreche ich mit meinen Eltern.« Das ließ sich schließlich nicht verhindern, wenn man mit ihnen unter einem Dach lebte. Unser Verhältnis hatte sich allerdings verändert. Seit damals war nichts mehr wie vorher. Jeder machte irgendwie sein Ding. »Sie arbeiten eigentlich rund um die Uhr oder sind mit anderen Dingen beschäftigt.« Vor allem mit ihrer Organisation. Davon wollte ich Ava allerdings in diesem Moment nichts erzählen.

»Okay«, antwortete sie und blieb dann wieder still.

Fuck. Das lief nicht gut. Absolut nicht. Als ein Kellner an unserem Tisch vorbeilief, bat Ava um die Rechnung und holte ihre Kreditkarte hervor.

Sofort schüttelte ich den Kopf und schob ihre Hand vom Tisch. »Ich zahle. Steck die Karte wieder weg.«

»Aber warum? Du bist doch schon hergefahren. Ich möchte dich gerne einladen. Als Dankeschön.«

Als Dankeschön? Wollte sie mich verarschen? Wir saßen in einem Restaurant meiner Wahl und sie wollte mich dafür einladen? »Vergiss es!«, sagte ich.

»Aber, Aiden!«, protestierte Ava.

»Absolut nicht!«

»Hmpf«, machte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.

Als sie mich dann auch noch mit zusammengekniffenen Augen böse anfunkelte, sprang mein Herz fast durch die Decke. Sie sah immer noch hinreißend aus, wenn sie schmollte. Ich bezahlte und als wir aufstanden, gähnte Ava hinter vorgehaltener Hand. Sofort zog sich mein Magen nervös zusammen. Wie lange wollte sie eigentlich in Newport bleiben?

»Bist du müde?«, fragte ich, um sie noch in ein Gespräch zu verwickeln.

»Ziemlich. Das war ein sehr aufregender Tag.« Ava sah mich für eine Sekunde intensiv an, wandte den Blick dann jedoch schnell wieder ab.

»Dann bring ich dich jetzt am besten nach Hause, damit du schlafen kannst.«

Ich hatte plötzlich einen dicken Kloß im Hals. Das war es also. Wenigstens blieb mir noch die Fahrt zu ihrem Haus. Ich überlegte, wie ich die zehn Minuten, die wir normalerweise brauchen würden, in die Länge ziehen konnte. Doch vor lauter Panik, dass ich mich schon so bald wieder von ihr verabschieden musste, wollte mir einfach nichts einfallen. In Gedanken versunken ging ich zum Hintereingang des Restaurants und als ich die Tür aufhielt, blickte ich mich nach Ava um. Sie stand etwa zwei Meter von mir entfernt und schüttelte leicht den Kopf. Meine Hoffnung starb augenblicklich.

»Was ist?«, fragte ich.

Ava machte einen Schritt auf mich zu. »Du brauchst mich nicht fahren, Aiden«, sagte sie und vermied dabei Blickkontakt. »Den Rest schaffe ich auch zu Fuß«, fügte sie leise hinzu.

Was? Sie wollte zu Fuß zurückgehen? Allein? Auf keinen Fall! Ich ließ die Tür wieder los und drehte mich ganz zu ihr.

»Ava, ich fahre dich. Ganz bestimmt lasse ich dich jetzt nicht allein zurücklaufen. Das ist viel zu gefährlich. Wir müssen auch nicht reden. Ich verspreche dir, ich sage kein Wort. Aber lass mich dich bitte fahren. Bitte«, flehte ich sie an.

Ava hob die Schultern und lächelte traurig. »Ich fahre nicht nach Hause, Aiden. Ich habe hier im Hotel ein Zimmer.«

»Hier?«, wiederholte ich ungläubig. »Warum? Du hast ein Haus!«

Noch während ich es aussprach, wurde mir bewusst, weshalb sie lieber in ein Hotel ging. Soweit ich wusste, war sie seit dem Unfall nicht mehr in Newport gewesen. Wahrscheinlich ertrug sie die Erinnerungen an ihre Eltern nicht. Ich kannte das Gefühl nur zu gut. Ich hatte seit drei Jahren keinen Fuß mehr in das Zimmer meiner Schwester gesetzt.

Ich überwand den Abstand zwischen uns und zog sie, ohne lange um Erlaubnis zu bitten, in meine Arme. Ich legte meine Wange auf ihren Kopf und atmete schwer aus. »Shit, es tut mir leid.«

Ava bettete ihre Hände auf meiner Brust, direkt über meinem Herzen. Und als wollte es von ihr berührt werden, schlug es sofort lauter. Ich seufzte, weil es sich so verdammt richtig anfühlte, sie in meinen Armen zu halten. Doch nach wenigen Sekunden versteifte sie sich und schweren Herzens ließ ich meine Arme wieder sinken. Ich wollte ihr auf keinen Fall Unbehagen bereiten. Ich rieb mir die Hände an der Jeans. Ava neigte den Kopf und sah zu mir auf. Fuck, jedes Mal, wenn sie mich mit diesem Blick bedachte, wurden meine Knie weich. Ich machte einen Schritt zurück und schluckte meine Panik herunter. Kam jetzt der Abschied? Was sollte ich bloß tun? Sie wirkte so ruhig. War es Gleichgültigkeit? War sie über uns hinweg? Natürlich, das musste es sein. Immerhin hätte sie in all den Jahren jederzeit herkommen können. Fuck. Fuck! Trotzdem konnte ich sie nicht einfach so gehen lassen. Ich musste noch einen Versuch wagen.

»Kann ich dich noch zu deinem Zimmer begleiten?«, fragte ich, hatte jedoch wenig Hoffnung, dass sie zustimmen würde. Wir befanden uns schließlich bereits im Hotel und sie brauchte nur aus dem Restaurant in die Hotellobby zu treten, um zu ihrem Zimmer zu gelangen.

»Gerne«, flüsterte Ava und überraschte mich damit schon wieder.

Wir gingen hoch in den zweiten Stock und als sie ihre Zimmerkarte hervorholte, nahm ich ihr diese ab und steckte sie in den Kartenschlitz. Es klickte und das Schloss öffnete sich.

Ich hielt ihr die Tür auf und blieb davor stehen. »Bitte.« Meine Kehle brannte und ich atmete immer schneller.

Ava zögerte für einen Moment, doch dann ging sie ins Zimmer und drehte sich zu mir um. Sie hielt die Tür jetzt fest und blickte auf meine Brust. »Gute Nacht, Aiden«, sagte sie mit leiser Stimme und klang dabei genau so traurig, wie ich mich fühlte.

Mein Hals schnürte sich zu und ich bekam kaum noch Luft. Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht wie ein liebeskranker Idiot auf die Knie zu fallen und sie anzubetteln, noch ein bisschen mehr Zeit mit ihr verbringen zu dürfen. Ich konnte sie jetzt noch nicht gehen lassen. Gefühlt hatte ich sie doch gerade erst verfickte fünf Minuten lang gesehen. Da ich meiner Stimme nicht traute, nickte ich lediglich und vergrub meine Hände tief in meinen Hosentaschen. Mit einem letzten sehnsüchtigen Blick sog ich ihren Anblick in mich auf und drehte mich auf dem Absatz um. Mit jedem Schritt, den ich mich von Ava entfernte, wurde mein Herz schwerer und mein Leid größer. Mein Magen krümmte sich zusammen und meine Brust fühlte sich an, als hätten sich Eisenfäuste darumgelegt.

Als ich bei meinem Wagen ankam, stützte ich mich mit den Händen am Autodach ab und ließ den Kopf hängen. Ich versuchte, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Doch ich spürte bereits, wie sich der Schmerz durch meinen Körper fraß. In meinen Augen brannten erste Tränen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich jemals ohne Ava leben sollte. Ich brauchte sie.

Sie war meine Luft zum Atmen.

Mein Herzschlag.

Mein Leben.

Mein Alles.

»AIDEN!«

Erschrocken drehte ich mich um, als Avas Stimme laut durch die Dunkelheit brach. Ich blickte hoch zum Hotel und dann sah ich, wie sie auf mich zu rannte. Sofort stieß ich mich vom Auto ab und lief ihr entgegen. Ich keuchte kurz auf, als sie ungebremst in mich krachte.

Sie schlang ihre Arme fest um meine Mitte und vergrub ihr Gesicht in meinem Pullover. »Geh noch nicht, Aiden, bitte«, flehte sie leise.

Ich musste all meine Kraft aufwenden, um aufrecht stehen zu bleiben. Sie wollte, dass ich blieb! »Ava, ich bleibe so lange, wie du mich bei dir haben möchtest«, wisperte ich und schlang meine Arme fest um ihren Rücken.

Nach einer Weile griff sie nach meiner Hand und zog mich zurück zum Hotel. Avas Zimmertür stand noch offen, als wir wieder oben ankamen. Wortlos gingen wir hinein und ich schloss die Tür leise hinter uns. Ava ließ mich los und ging direkt auf das große Himmelbett zu. Sie zog sich ihre Schuhe aus und ließ sie achtlos auf den Boden fallen. Dann krabbelte sie auf das Bett und setzte sich mit dem Rücken gegen das Kopfteil. Ich stand mitten im Raum und sah zu ihr. Sie sah so klein aus auf dem riesigen Bett. So verloren.

»Ich weiß, dass es unangemessen ist und wahrscheinlich auch keine besonders gute Idee«, sagte sie und zupfte nervös mit den Zähnen an ihrer Unterlippe. »Aber kannst du vielleicht …«, Ava stoppte erneut und senkte den Blick.

Ich ging auf das Bett zu und blieb neben ihr stehen. »Ava, alles, was du willst. Ich mache alles, was du willst. Solange du mich nicht bittest, wieder zu gehen. Lass mich noch ein paar Minuten bei dir bleiben, okay? Ich setze mich hier in den Sessel und sage kein Wort. Aber lass mich noch ein paar Minuten bleiben.«

Ich fehte sie an und als Ava endlich ihren Kopf hob und mich ansah, bebte mein Körper. Mit jedem Blick und mit jeder Berührung hauchte sie mir wieder Leben ein. Und genauso schnell nahm sie es mir, sobald sie mir ihre Blicke oder Berührungen verwehrte. Ich war nichts ohne sie.

»Kannst du mich in den Arm nehmen?«, flüsterte sie verunsichert, schon fast verlegen.

Ich stieg sofort aus meinen Schuhen und kletterte zu ihr aufs Bett. Darum musste sie mich nicht zweimal bitten. Ich zog sie auf meinen Schoß und als sie ihren Kopf in meine Halsbeuge legte, spürte ich, wie sich ihr Körper augenblicklich entspannte. Als wäre eine Last von ihr gefallen. Ohne mein Zutun entfuhr mir ein Seufzen und ich lehnte mich mit geschlossenen Augen zurück gegen das Bett. Keiner von uns sagte etwas. Wir hielten uns einfach nur fest.

Nach einer Weile wurde ihre Atmung ruhiger und ihr Körper erschlaffte in meinen Armen. Als sie eingeschlafen war, hob ich sie vorsichtig hoch und legte sie unter die warme Decke. Ich stand neben dem Bett und betrachtete dieses wunderschöne Mädchen. Vermutlich sollte ich jetzt ein Gentleman sein und gehen. Aber ich brachte es nicht über mich. Ich überlegte für einen kurzen Moment, mich in den Sessel neben dem Fenster zu setzen. Doch selbst das schaffte ich nicht. Ich legte mich stattdessen auf die Tagesdecke dicht neben sie. Ihr Gesicht war mir zugewandt und sie atmete in ruhigen, gleichmäßigen Zügen. Wie von allein passte sich meine Atmung ihrer an. Meine Lider wurden schwer und ich versuchte, der Müdigkeit zu widerstehen. Ich wusste nicht, wie viel Zeit mir noch mit ihr blieb und ich würde sie lieber die ganze Nacht lang ansehen, als nur von ihr zu träumen.

»Aiden? Wo bist du?«

Ich schreckte auf. Shit. Ich musste doch eingeschlafen sein. Müde rieb ich mir über die Augen und dabei fiel mein Blick auf Ava, die unruhig unter der Decke wühlte. Sie drehte sich rastlos von einer Seite auf die andere. Ich griff nach ihrer Hand, die suchend über die Matratze wanderte.

»Aiden?«, wiederholte sie und mein Herz drohte zu explodieren. Sie träumte von mir!

»Ich bin hier«, flüsterte ich leise und rutschte näher an sie heran.

Sobald sich unsere Finger berührten, wurde sie wieder ruhig. Ich hob ihre Hand an meinen Mund und küsste ihre Fingerspitzen. »Schlaf, mein Engel«, flüsterte ich leise. »Ich bin hier und passe auf dich auf.«

Avas Körper wurde plötzlich stocksteif und dann flogen ihre Lider auf. »Aiden?«, fragte sie mit kratziger Stimme und setzte sich abrupt auf.

»Ja?«, antwortete ich und erhob mich ebenfalls.

Sie drehte den Kopf und als sie mich erkannte, sackten ihre Schultern erleichtert nach unten. Sie lehnte sich zur Seite und flüsterte schon fast flehentlich: »Halt mich. Bitte, halt mich, so fest du kannst.«

Ich schlang meinen Arm um sie und legte mich zurück auf die Matratze. Als würden keine drei Jahre zwischen uns liegen, schob sie ihr Bein wie in alter Gewohnheit zwischen meine, legte einen Arm über meine Körpermitte und bettete ihr Gesicht auf meiner Brust. Ich konnte spüren, wie sich ihr Oberkörper hob, als sie einen tiefen Atemzug nahm. Es dauerte einige Sekunden und dann erst stieß sie die Luft langsam wieder aus. Ich griff nach ihrer Hand und legte diese fach auf mein Herz. Meine andere Hand ruhte auf ihrem unteren Rücken, genau in der Wölbung ihres Kreuzes. Dieser Moment mit ihr fühlte sich schon fast unwirklich an, weshalb ich meine Augen schnell wieder schloss. Ich zog ihren schmalen Körper fest an meinen und atmete ihren unvergleichlichen Duft tief ein. Es konnte nur ein Traum sein.

Kapitel 2 -Aiden

Langsam erwachte ich aus meinem Dämmerschlaf. Mein Körper fühlte sich warm und leicht an. Ein Gefühl, das mich sofort alarmierte. Denn normalerweise lastete eine Schwere auf mir, die es mir unmöglich machte, frei und tief durchzuatmen. Diego war der einzige Grund, dass ich morgens überhaupt das Haus verließ. Diego! Ruckartig setzte ich mich auf und sah mich um. Ich brauchte ein paar Sekunden, um mich zu orientieren. Als mir bewusst wurde, wo ich mich befand, bekam ich Schweißausbrüche. Das Bett neben mir war allerdings leer. Mein Herz fing an zu rasen. Ich warf die Decke von mir und sprang auf. Hektisch sah ich mich um. Avas Koffer stand noch neben dem Sekretär. Ihre Schuhe lagen vor dem Bett und ihr Handy auf dem Nachttisch. Und dann hörte ich auch schon die vertrauten Geräusche aus dem Bad. Ava schien gerade unter der Dusche zu stehen. Das Wasser wurde abgestellt und dann blieb es für eine ganze Weile still. Langsam wurde ich nervös. Was machte sie gerade? Hatte sie einen Migräneanfall und war womöglich ohnmächtig geworden? Shit. Ich hielt es nicht mehr aus und klopfte leise an die Tür. »Ava?«

»Ja?«, antwortete sie nach zwei langen Sekunden.

Erleichtert legte ich den Kopf gegen die Tür. »Ist alles okay?«, fragte ich.

Wieder dauerte es ein paar Sekunden, ehe sie antwortete. »Ja«, sagte sie schlicht und blieb dann wieder still.

Ich kam mir wie der letzte Idiot vor. »Okay«, sagte ich.

Ich drehte mich gerade von der Tür weg, als diese plötzlich geöffnet wurde und Ava aus dem Bad trat. Lediglich eingewickelt in ein weißes Handtuch. Mir stockte der Atem und ich sah schnell zur Seite. Heilige Mutter Gottes! Ava ging an mir vorbei und öffnete ihren Koffer. Es war ein sehr kleiner Koffer. Sie hatte also nicht vor, lange zu bleiben. Ich schluckte und versuchte, das nervöse Zittern meiner Hände zu verstecken. Ich musste mir irgendwas überlegen, damit Ava ihre Reisepläne änderte.

»Möchtest du auch noch kurz ins Bad?« Sie hob die Hand und deutete hinter sich.

Ein unmissverständliches Zeichen, dass unsere Zeit wohl zu Ende war. Es schien, als wollte sie mich loswerden. Ich löste mich aus meiner Starre und verschwand im Bad. Ich benutzte die Toilette und als ich mir die Hände wusch, fiel mein Blick auf Avas Zahnbürste. Ein unangenehmes Gefühl durchzog mich. Erinnerungen drängten sich zurück in mein Gedächtnis. Erinnerungen an eine unbeschwerte Zeit, in der wir zusammen gelacht hatten und ich sie berühren konnte, wann immer ich wollte. Eine Zeit, in der wir morgens gemeinsam aufgewacht und dann einfach stundenlang im Bett liegen geblieben waren, wir uns berührt, geküsst, miteinander geschlafen hatten. Fuck, sie fehlte mir so unendlich. Wieder brannten meine Augen und mein Brustkorb wurde zu eng zum Atmen. Ich griff nach der verpackten Zahnbürste mit der Hotelaufschrift und drückte etwas Zahnpasta darauf. So schnell es ging, putzte ich mir die Zähne, spülte den Mund und schmiss die Bürste im Anschluss in den Mülleimer. Ich atmete tief durch, bevor ich die Tür öffnete und zurück ins Zimmer ging.

Ava hatte sich in der kurzen Zeit angezogen und saß nun mit dem Handtuch auf dem Kopf in dem Sessel neben der Balkontür. Sie blickte von ihrem Handy auf und sah mich aus unergründlichen Augen an. Es schmerzte mich, dass ich nicht mehr sehen konnte, was gerade durch ihren Kopf ging. Dieser neue, wachsame Blick verriet nichts mehr über ihre Gefühle.

»Du musst wahrscheinlich jetzt irgendwo sein, oder?« Ava redete leise und sah mich dabei nicht an.

Ich räusperte mich kurz und straffte die Schultern. Schweigend steckte ich mein Handy in die Hosentasche. Sie hatte recht. Es war bereits nach zehn und ich hätte seit einer Stunde bei Stevens Dad in der Firma sein müssen. Aber das interessierte mich nicht. Ich würde den Job sowieso schmeißen und mit Diego weggehen. Plötzlich wurde mir bei dem Gedanken an Diego ganz flau im Magen. Was, wenn sie ihn wiederhaben wollte? Vielleicht war sie nur seinetwegen hier? Sicherlich wusste sie von Daniel oder Steven, dass ich Diego behalten hatte. Und nun verlangte sie ihn wahrscheinlich zurück. Wenn sie ihn mir auch noch nahm, hatte ich nichts mehr. Ava sah mich mit gerunzelter Stirn an und wunderte sich bestimmt, warum ich nichts sagte.

Bevor ich endgültig die Fassung verlor, nickte ich knapp und öffnete die Tür. »Mach’s gut, Ava«, flüsterte ich heiser, ohne mich noch einmal zu ihr umzudrehen, und verließ das Hotelzimmer. Ich fuhr mit der Hand über mein Gesicht und spürte die ersten Tränen auf meinen Wangen. Ich kämpfte mit allem, was ich aufbieten konnte, dagegen an, nicht zusammenzubrechen. »Fuck«, fluchte ich leise und setzte mich in Bewegung.

»Aiden!«

Ich stolperte nach vorne, als Ava gegen mich prallte, und drehte mich blitzschnell zu ihr um. »Hey, alles gut? Hast du dir wehgetan?«, fragte ich und sah sie besorgt an.

Sie war völlig außer Atem. Ava schluckte und sah mich mit ihren himmelblauen Augen verunsichert an. »Mir ist klar, dass du wahrscheinlich gar keine Zeit hast und andere Dinge erledigen musst und ich dich gar nicht erst bitten dürfte, aber ich dachte … ich dachte, dass wir …, dass du und ich vielleicht, dass wir …« Sie stammelte unverständliches Zeug.

Mein erbärmliches Herz schöpfte sofort neue Hoffnung. Ich legte meinen Finger auf Avas Lippen. Ein Stromschlag schoss meinen Arm hinauf und verursachte mir eine Gänsehaut. Ava erstarrte. Bevor ich mich stoppen konnte, fuhr ich über ihre Lippen, an ihrem Kiefer entlang und streichelte ihre Wange. Ava schnappte nach Luft. Ich zog meine Hand wieder weg und sah sie entschuldigend an.

»Entschuldige«, nuschelte sie und senkte den Blick. »Ich dachte nur, vielleicht könnte ich mitkommen, falls du noch mit Diego spazieren gehst?«

Ich stutzte und gab mir gleichzeitig Mühe, meinen Mund nicht offen stehen zu lassen. Sie wollte doch noch Zeit mit mir verbringen? Das war ein gutes Zeichen, oder? Ich konnte nicht anders und legte meine Hand unter ihr Kinn. Als Ava ihren Blick langsam hob und mich verunsichert ansah, keimte noch mehr Hoffnung in mir auf. Hatte sie etwa Angst, dass ich ihr Angebot ablehnen würde? Wie absolut lächerlich von ihr!

»Ich würde mich freuen, wenn du mich und Diego begleitest«, antwortete ich und streichelte wieder über ihre Wange.

Ihre Augenlider zuckten und sie bohrte die Zähne in ihre Unterlippe. Meine Berührungen ließen sie nicht kalt. Was hätte ich in diesem Moment dafür gegeben, sie küssen zu dürfen. Ich streichelte sie noch ein letztes Mal und machte einen Schritt zur Seite, um mein Handy aus der Hosentasche zu holen. Mit gerunzelter Stirn sah sie mich an. Fast wollte ich lachen. Aber nur fast.

»Ich rufe eben Carter an, damit er Diego zum Gooseberry Beach bringt«, erklärte ich ihr.

»Okay«, sagte sie leise. »Ich hole meine Jacke.«

Während Ava zurück ins Hotelzimmer ging, wählte ich Carters Nummer und wartete, dass er an sein Telefon ging.

»Hey, Aiden. Ist alles in Ordnung?«

»Kannst du mit Diego in einer viertel Stunde zum Gooseberry kommen?«

»Klar. Überhaupt kein Problem. Wie geht es ihr?«

Seufzend rieb ich mir über den Kopf. »Ich glaub, ganz okay.« Ich hörte, wie Carter auf der anderen Seite der Leitung ebenfalls laut ausatmete.

»Ich bin gleich da. Hey«, sagte er und stoppte. Er schien seine nächsten Worte mit Bedacht zu wählen. »Aiden?«

»Ja?«

»Ich freu mich für dich. Für euch beide. Ehrlich, Mann. Ihr habt es verdient!«

Ich traute meiner Stimme nicht und nickte, was Carter natürlich nicht sehen konnte. Aber er schien mich auch so zu verstehen.

»Bis gleich, Alter«, sagte er und legte auf.

Als wir auf den Parkplatz vor der Bucht fuhren, wartete Carter bereits auf uns. Er saß mit Diego auf der Kofferraumklappe seines Jeeps und beobachtete die Möwen, die am Strand entlangliefen und nach Krebsen suchten.

Sobald Ava aus dem Wagen stieg, sprang Diego von der Klappe und kam freudig bellend auf sie zugestürmt. Auf Avas Gesicht breitete sich ein zauberhaftes Lächeln aus. Sie hockte sich vor Diego und schloss ihn in die Arme. Winselnd schleckte er jeden Zentimeter ihres Gesichtes ab und stupste sie immer wieder mit der Nase an. »Hey, Buddy, ich freu mich auch, dich zu sehen.« Ava kraulte Diego die Ohren und drückte ihm einen Kuss auf die Schnauze, ehe sie sich wieder aufrichtete und sich mit dem Ärmel ihrer Jeansjacke das Gesicht trocknete. »Ich glaub, die Dusche hätte ich mir auch sparen können«, lachte sie und grinste erst mich und dann Carter an.

Carter schnappte sich Ava und zog sie zu sich. »Hey, Babe. Es ist schön, dich hier zu sehen«, raunte er ihr zu und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

Ava erwiderte die Umarmung und nach wenigen Sekunden fing ich an, nervös zu werden. Die Umarmung dauerte viel zu lange und es ärgerte mich, dass sie anscheinend kein Problem damit hatte, meine Jungs in den Arm zu nehmen, aber bei mir immer noch zögerte.

Hey, dich hat sie die ganze Nacht in ihrem Bett schlafen lassen!, erinnerte mich mein Unterbewusstsein an die vergangene Nacht. Ich sollte wirklich versuchen, mich zusammenzureißen. Carter war ein Freund für sie. Natürlich nahm man seine Freunde in den Arm. Dennoch griff ich nach einer weiteren unerträglich langen Sekunde an Carters Schulter und schob ihn von ihr weg.

Lachend ließ er sie los und zwinkerte ihr zu. »Alte Gewohnheiten lassen sich wohl nur schwer ablegen.« Er grinste mich an und lief ohne ein weiteres Wort zurück zu seinem Auto.

Ich steckte meine Hände in die Hosentasche und sah zum Wasser. »Wollen wir?«, fragte ich.

Ava nickte und gemeinsam gingen wir zum Strand.

»Diego will bestimmt schwimmen gehen.« Ava beugte sich zu ihrem Hund und streichelte ihm über den Rücken.

»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Ich hab keine Leine dabei und es sind doch ziemlich viele Hunde unterwegs«, antwortete ich.

Sie folgte meinem Blick zum Wasser. »Aber das ist doch kein Problem. Oder ist da einer dabei, den Diego nicht mag? Eigentlich geht er doch Stress aus dem Weg?« Fragend blickte sie mich an.

»Er hat sich ein wenig verändert. Diego mag eigentlich überhaupt keine Hunde mehr. Selbst Menschen, egal, ob Frau oder Mann, will er nicht in seiner Nähe haben. Er fängt an zu knurren und bellt alles und jeden weg, der uns zu nah kommt.«

Überrascht sah sie mich an. »Ehrlich? Wurde er gebissen oder ist irgendwas passiert?«, fragte sie.

Kam sie nicht von selbst drauf?

»Alles ist passiert, Ava«, antwortete ich leise und sah zum Meer. Alles hatte sich verändert, als sie Newport verlassen hatte. Seit dieser Zeit war nichts mehr wie vorher.

»Oh!«, machte sie und ging weiter.

Eine Weile sagte niemand von uns etwas. Die Stille zwischen uns tönte so laut in meinen Ohren, dass ich sie mir am liebsten zugehalten hätte. Ich ertrug es einfach nicht, wenn sie nicht redete. Wenn ich sie schon nicht berühren konnte, wollte ich mich wenigstens an ihrer Stimme festhalten.

»Ja, es gibt einiges, das jetzt anders ist«, sagte sie irgendwann und wirkte dabei völlig gedankenverloren.

Ich sah zu ihr und fragte mich, was sie damit wohl meinte. Als hätte sie meinen Blick auf sich gespürt, drehte sie den Kopf. Wir blieben stehen und keiner von uns sah weg. Unsere Blicke wurden immer intensiver, immer tiefer. Und als schwebte ein unsichtbarer Magnet hinter ihr, zog es mich zu ihr hin. Ich spürte ihre Wärme, roch ihren sagenhaften Duft und bevor ich wusste, was ich tat, zog ich sie an mich und vergrub mein Gesicht in ihren seidigen Locken. Ava machte einen kleinen Seufzer und mein Herz reagierte sofort darauf. Es schlug lauter, kräftiger. Ihre Arme fuhren unter meine Jacke und sie vergrub ihre Finger in meinem Pullover. Ich konnte es nicht glauben, was gerade passierte. Eben noch fühlte ich mich meilenweit entfernt von ihr und auf einmal war sie mir so nah. Ich bekam nichts mehr von dem mit, was um uns herum passierte. Ava drängte sich dichter an mich und legte ihr Gesicht auf meine Brust über meinem Herzen. Ich schloss die Augen und versuchte, meine abgefuckten Gliedmaßen vom Zittern abzuhalten.

»Sieh mal«, sagte Ava nach einer Weile. »Ich denke, Diego hat seine Aggressionen anderen Hunden gegenüber abgelegt.«

Mühsam öffnete ich die Augen und folgte ihrer Hand, die zum Wasser zeigte. Diego stand bis zum Bauch im Meer und rangelte mit einem anderen Hund. Beide hingen an einem Ende eines Stockes und zogen daran. Als der andere Hund das Zerren gewann, lief ihm Diego freudig bellend hinterher und forderte ihn erneut zum Spielen auf.

»Dieser Verräter«, murmelte ich.

Ava ließ von mir ab und wandte sich zum Gehen. Doch ich wollte nicht, dass sie so schnell wieder Abstand zwischen uns brachte. Mutig griff ich nach ihrer Hand und verschränkte meine Finger mit ihren. Ich betete inständig, dass sie sich mir nicht wieder entziehen würde. Nach bangen Sekunden schlich sich ein verstohlenes Lächeln auf ihre Lippen, und ich atmete erleichtert auf.

Als das Ende des Strands in Sicht kam, wurde mir bewusst, dass wir nur noch wenige Meter von ihrem ehemaligen Zuhause entfernt waren. Ich beobachtete Ava, die über die Felsen dazu aufschaute. Ich beugte mich vor und flüsterte leise in ihr Ohr: »Es muss nicht heute sein. Lass dir so viel Zeit, wie du brauchst.«

Sie drehte sich in meiner Umarmung und sofort zog ich ihren zitternden Körper an mich.

»Ich weiß nicht, ob ich das schaffe«, schluchzte sie.

»Es ist zu viel auf einmal«, stimmte ich ihr zu.

»Würdest du mitkommen?«, fragte sie und sah mich an.

Ich nickte sofort und strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. »Ich komme überall mit hin, wo du mich haben möchtest«, antwortete ich.

Ava drehte sich wieder um und sah zurück. Sie schien kurz zu überlegen, dann griff sie nach meiner Hand und zog mich hinter sich her.

Sie wollte es jetzt tun? »Ava, bist du dir sicher?« Ich hielt sie am Arm fest und sah sie prüfend an.

Ihre Augen huschten immer wieder hoch zum Haus. »Ja«, sagte sie, klang aber nicht überzeugend. Trotzdem setzte sie sich wieder in Bewegung.

Ich überholte sie und stellte mich auf die rauen Felsen. Ich hielt ihr meine Hände hin, weil ich nicht wollte, dass sie ausrutschte. Auf der anderen Seite lief Diego die steinerne Treppe zum Garten hinauf, drehte sich, oben angekommen, um und bellte uns an. Ängstlich sah Ava sich um. Sie zögerte.

Ich drückte ermutigend ihre Hand und stellte mich auf die erste Stufe. Mit angstgeweiteten Augen sah sie mich an. »Wenn du es nicht kannst, gehen wir wieder. Du musst nur ein Wort sagen und wir drehen sofort um.«

Ihre zarten Finger schlossen sich fest um meine Hand und dann machte sie einen Schritt. Ich stieg rückwärts die nächste Stufe hinauf und so erklommen wir Stück für Stück die Treppe. Als wir oben angekommen waren, stoppte Ava. Regungslos blieb sie stehen und kaute nervös auf ihrer Unterlippe.

»Hey«, sagte ich und forderte ihre Aufmerksamkeit. Als sie zu mir sah, beugte ich mich vor, bis wir auf Augenhöhe waren. »Ich bin hier. Ich pass auf dich auf, okay?«

Ava straffte die Schultern und machte schließlich wieder einen Schritt. Ich spürte den Rasen unter meinen Füßen und wusste, dass wir es geschafft hatten. Ich achtete auf jedes noch so kleine Anzeichen, dass Ava gehen wollte oder vielleicht Panik bekam. Diego bellte und rannte los. Langsam löste sie den Blick von mir. Ihre Brust hob und senkte sich immer schneller, als sie nun zu ihrem Haus aufsah. Ihre Fingernägel bohrten sich in meinen Handrücken und sie wurde immer blasser. Ich befürchtete, dass sie jeden Moment umkippen könnte. Da ertönte plötzlich Magdas Stimme hinter mir.

»Padre santo! Mi hija! MI HIJA!«

Ich hatte keine Ahnung, was Magda da sagte, aber plötzlich schwappten Avas Augen über und sie atmete keuchend aus. Tränen liefen ihr übers Gesicht, als sie mich losließ und dann brach ein lauter Schluchzer aus ihr heraus. Ich drehte mich um und sah, wie Magda über den Rasen auf uns zugelaufen kam. Als sie Ava erreichte, schloss sie sie in ihre Arme und fing laut an zu weinen.

»Ava, meine Ava. Mein Kind. Mein wunderschönes Mädchen.«

Diego hüpfte aufgeregt um die beiden Frauen herum und versuchte immer wieder, sich dazwischen zu drängen. Ich griff in sein Halsband und nahm ihn mit hinein. Nervös sah ich immer wieder in den Garten, ob Ava noch da war und was die beiden dort machen. Nach wie vor lag Ava in Magdas Armen und ich konnte sehen, wie sich beide immer wieder Tränen aus dem Gesicht wischten.

Ich spielte eine Weile mit Diego in der Garage und als ich Stimmen im Flur hörte, ging ich sofort zurück und fand Magda und Ava im Wohnzimmer. Avas Blick wanderte nervös durch den Raum und immer wieder sah sie zur Treppe, die ins Obergeschoss führte.

Magda kam zu mir und griff nach meinen Händen. »Danke, Aiden. Danke«, flüsterte sie ergriffen.

Ich schluckte und schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts damit zu tun.«

Magda drehte sich um und ich folgte ihrem Blick. Ava ging gerade in den Flur, der zum Wintergarten führte.

»Du hast sie wieder nach Hause gebracht«, sagte sie. »Jetzt wird alles wieder gut.«

Ich lächelte sie traurig an. Ich wollte ihre Hoffnung nicht gleich wieder zunichtemachen. Niemand wusste, wie lange Ava bleiben würde.

»Geh zu ihr. Ich fahre schnell einkaufen.« Sie strahlte mich an. »Ich beeile mich. Geh zu ihr.«

Ich bezweifelte, dass wir noch hier sein würden, wenn sie zurückkehrte. Ich folgte Ava in den Wintergarten. Sie saß mit angezogenen Knien auf dem weißen Sofa und schaute raus auf die Bucht. Ich setzte mich neben sie und zog sie an meine Seite. Ava vergrub ihr Gesicht an meinem Hals und ließ ihren Tränen freien Lauf. Ich schloss meine Arme um sie und versuchte, sie irgendwie zusammenzuhalten.

Kapitel 3 - Aiden

Mein Handy vibrierte in meiner Hosentasche. Ich wollte es ignorieren, doch leider saß Ava genau auf der Seite und ich wollte nicht, dass sie sich davon gestört fühlte. Ich lehnte mich zur Seite, damit ich in meine Hosentasche greifen konnte. »Sorry«, murmelte ich entschuldigend und blickte kurz aufs Display. Es war meine Mom. Ich drückte auf Ablehnen und wollte das Handy weglegen, doch Ava hielt meine Hand fest.

»Ruf sie zurück. Vielleicht ist es wichtig.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ist schon okay.«

»Bitte, Aiden. Ich will nicht, dass du sie meinetwegen ignorierst. Ruf sie zurück. Bitte.«

Ich biss die Zähne fest aufeinander. Ich hatte jetzt wirklich absolut keine Lust zu telefonieren.

»Bitte«, wiederholte sie. Ava nahm mir das Handy ab und drückte auf den verpassten Anruf. Als es anfing zu wählen, legte sie es zurück in meine Hand und bedeutete mir mit dem Kinn, dass ich rangehen sollte.

Ich schüttelte den Kopf und funkelte sie an, was sie aber nur zum Schmunzeln brachte. Und sofort vergaß ich meinen Groll und erwiderte ihr Lächeln zwinkernd.

»Aiden?« Meine Mom wirkte überrascht.

Sie hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, dass ich sie zurückrief. Warum auch? Das hatte ich schließlich schon lange nicht mehr gemacht.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte sie gleich in besorgtem Ton.

Ava schien sie ebenfalls gehört zu haben und sah mich auffordernd an. Sie setzte sich auf meinen Schoß und fing an, mit den Schnüren meines Hoodies zu spielen.

»Hey, was gibt’s?«

»Stimmt es? Ist Ava wieder da?«

Ich sah, wie sich Avas Pupillen für den Hauch einer Sekunde weiteten.

»Aiden?« Moms Stimme zitterte.

Da ich nicht gleich antwortete, fing Ava an zu nicken. Sie gab mir ihr Einverständnis. Ich seufzte und griff nach ihrer Hand.

»Ja, sie ist in Newport«, antwortete ich und drückte Ava einen Kuss auf die Fingerspitzen.

»O mein Gott!«, rief meine Mom ergriffen. »Wo ist sie? Bist du bei ihr? Wie geht es ihr? Wie lange wird sie bleiben?«

»Mom«, unterbrach ich sie.

»Können wir sie sehen? Geht es ihr gut? Wie sieht sie aus?«

»Mom!«

»Wo seid ihr? Können Dad und ich zu euch kommen?«

»Mom!« Ich wurde lauter und endlich hörte sie auf zu reden. Doch das währte nicht lange.

»Entschuldige. Es ist nur … Gott, ich hab sie so lange nicht mehr gesehen. Wie sieht sie aus? Geht es ihr gut? Wie lange bleibt sie?«

»Mom«, wiederholte ich dieses Mal genervt.

»Sorry. Entschuldige. Daniel hat erzählt, dass Ava zurück ist. Ich bin sofort nach Hause gefahren. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Wie lange bleibt sie? Können wir sie sehen? Bitte, frag sie, ob wir sie sehen können. Wenigstens kurz. Dad ist auf dem Weg und müsste auch gleich da sein. Ich will sie nur einmal ganz kurz in die Arme nehmen. Bitte. Fragst du sie das?«

Ich war mir ziemlich sicher, dass sie weinte. Auch in Avas Augen sah ich neue Tränen schimmern, und als die erste über ihre Wange rollte, beendete ich das Telefonat. »Sei mir nicht böse, aber ich muss auflegen. Ich melde mich später.« Ich hörte noch, wie sie: »Aber … Aiden!«, rief, doch ich legte auf und warf das Handy auf den Tisch vor uns.

Sofort zog ich Ava wieder zu mir. »Nicht weinen. Bitte, es tut mir leid. Ich hätte sie nicht anrufen dürfen.«

Ava schlang ihre Arme um meine Schultern und vergrub ihr Gesicht in meiner Halsbeuge.

Ich strich ihr über den Rücken. »Du musst überhaupt nichts machen. Vergiss, was sie gesagt hat, okay? Wir bleiben einfach hier. Oder wir fahren zurück zum Hotel.«

Ava setzte sich wieder auf und griff nach meiner Hand. »Ich will sie sehen.«

»Wen?«, fragte ich perplex.

»Deine Eltern.«

»Du willst meine Eltern sehen?«, wiederholte ich.

Ava nickte.

»Bist du dir sicher?«

Wieder nickte sie und wischte sich mit dem Ärmel ihrer Jacke über die Augen.

»Wann?«, hakte ich zur Vorsicht noch einmal nach.

»Jetzt?«, antwortete Ava und lehnte sich wieder an mich. »Nur kurz, okay?«, murmelte sie und vergrub ihr Gesicht in meinem Pullover.

Ich zog sie fest an mich und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Mein Auto steht noch oben am Strand. Ich lauf eben los und hol es.«

Wir standen auf und gingen gemeinsam zur Terrassentür.

»Ich beeile mich, okay?«, versprach ich ihr.

Ava nickte und als ich gehen wollte, hielt sie mich am Bund meines Pullovers fest. Ich runzelte die Stirn und sah sie fragend an.

Sie stellte sich auf ihre Zehenspitzen und gab mir völlig unvorhergesehen einen Kuss auf die Wange. »Danke, Aiden«, wisperte sie und lehnte sich wieder zurück.

Ich erstarrte. Eiskalte Angst kroch in meine Brust und umklammerte mein Herz. War das vielleicht nur ein Vorwand? Wollte sie mich auf diese Weise loswerden, um sich aus dem Staub machen zu können? Mein Puls fing an zu rasen.

Ava ließ von mir ab und sah mich einen Moment lang an. »Ich warte hier auf dich, Aiden«, versprach sie.

Als wir kurze Zeit später bei meinen Eltern ankamen, sah ich zu Ava. Sie hatte den Blick auf unsere Haustür gerichtet und ich konnte deutlich ihre Nervosität spüren. Ich griff nach ihren Händen. »Hey, sieh mich an«, forderte ich sie auf.

Fast augenblicklich richtete sie ihre himmelblauen Augen auf mich.

»Wenn ich das Gefühl habe, dass es zu viel für dich wird, bringe ich dich von hier weg. Du musst das nicht machen. Wir können jetzt wieder fahren. Wir müssen nicht aussteigen. Nur ein Wort und ich fahre dich, wohin du willst.«

Ava atmete tief durch. Als sie mich wieder ansah, wirkte sie entschlossen. In ihren Augen blitzte etwas auf, das meinen Blick gefangen hielt. Die Luft im engen Raum meines Wagens veränderte sich. Es wurde stickiger und ich musste den Mund öffnen, um richtig atmen zu können. Wieder versank ich in ihren wunderschönen Augen.

»Ich will es«, sagte sie und ich redete mir ein, dass ihr Blick dabei auf meine Lippen fiel.

Was bedeutete das? Wollte sie etwa, dass ich sie küsste? Leider wählte meine Mom genau diesen Moment, um aus dem Haus zu stürmen. Ava öffnete die Wagentür und stieg aus.

»Ava, du bist es! Cary, es ist Ava! Sieh doch!«

Mom schloss Ava in ihre Arme und fing sofort an zu weinen. Ich ging um das Auto herum, weil ich Avas Gesicht sehen musste, um sicher zu sein, dass sie okay war. Hinter mir keuchte Dad laut auf und ich drehte mich zu ihm um.

Er stand an der Tür und hielt sich mit der Hand am Rahmen fest. »Gütiger Herr im Himmel. Ist das wahr?«, flüsterte er. »Ist sie es wirklich?«, fügte er hinzu und kam langsam die Stufen herunter.

Ich wusste, dass meine Eltern Ava liebten. Noch mehr sogar, nachdem damals die Wahrheit ans Tageslicht gekommen war und wir die ganze Geschichte erfuhren. Wie sehr sie ihr Leben eingeschränkt hatte, nur um meiner Schwester zu helfen. Avas Verschwinden hatte meine Eltern fast so sehr mitgenommen wie Lillys Tod.

Dad schloss die beiden in seine Arme und der Anblick der drei schnürte mir die Kehle zu. Ava mochte vielleicht denken, dass sich hier niemand mehr um sie sorgte. Doch da täuschte sie sich gewaltig. Hier in Newport warteten eine Familie und Freunde auf sie, die immer für sie da waren. Genauso wie ich.

Mom löste sich von Ava und kam zu mir. »Oh, mein Liebling, wie wunderbar. Ich bin so glücklich. Ich bin so unglaublich glücklich.« Sie weinte immer noch und als ich sie in den Arm nahm, konnte ich spüren, wie sehr sie zitterte.

»Lasst uns reingehen«, schlug Dad vor und legte seinen Arm um Avas Schultern.

Ich folgte ihnen ins Haus und als ich die Tür schloss, fiel mir eine Bewegung ins Auge. Ich drehte den Kopf und blieb stocksteif stehen. Daniel. Der plötzliche Anblick meines Bruders brachte mich aus dem Konzept. Drei Jahre hatte ich ihn nicht mehr gesehen, jeden seiner Kontaktversuche abgeblockt, keine seiner Nachrichten oder Mails jemals beantwortet, geschweige denn gelesen. Bisher wusste ich nur, dass er sie gefunden hatte. Aber wie und vor allem wo, wusste ich noch nicht. Noch immer sahen wir uns an. In seinen Augen erkannte ich den gleichen gebrochenen Ausdruck, wie ich ihn auch bei mir seit jener Nacht sah. Nichts war mehr von seinem einstigen arroganten und überheblichen Blick geblieben. Ich sollte ihm dankbar sein. Denn im Gegensatz zu mir, hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben und sein Versprechen, Ava zu finden, nicht aus den Augen verloren. Doch so weit war ich noch nicht. Schon gar nicht heute. Wahrscheinlich auch nicht morgen. Aber vielleicht bald. Daniel bedachte mich mit derselben Zurückhaltung und machte keine Anstalten, meinen Eltern und Ava zu folgen. Ich wandte mich schließlich ab und ging ins Wohnzimmer.

Dad saß auf dem niedrigen Tisch vor Ava und hielt ihre Hand. Mom, die neben Ava auf dem Sofa saß, hielt ihre andere Hand. In den Augen der dreien glitzerten noch immer Tränen. Ich setzte mich neben Ava. Ich war meinen Eltern unsagbar dankbar dafür, dass sie keine Fragen stellten, die Ava womöglich unangenehm sein könnten. Sie erzählten ihr von sich und was in Newport so alles passiert und wer in das Haus nebenan eingezogen war. Ich blendete das Gespräch aus und sah einfach nur meinen Engel an.

Irgendwann konnte ich es nicht mehr ignorieren. Ich musste dringend pinkeln. »Ich bin gleich wieder zurück«, sagte ich zu Ava und stand auf.

Sie schenkte mir ein zauberhaftes Lächeln und Dad nahm sofort meinen Platz ein.

Er legte seinen Arm um ihre Schultern und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. »Es ist schön, dass du hier bist, Ava.«

Als ich zurückkam, hielt Mom mich auf und drückte mir eine Platte mit Muffins und Donuts in die Hand.

»Ich bringe gleich den Tee. Was mochte Ava noch am liebsten?«, fragte sie gedankenverloren und wühlte im Teeschrank.

»Heiße Schokolade«, antwortete ich.

»Ach ja, stimmt. Wo habe ich denn den Kakao?« Sie verschwand in der Speisekammer und ich ging zurück ins Wohnzimmer.

»Wo ist Ava?«, fragte ich Dad, als ich die Platte abstellte.

»Kurz mit Daniel draußen im Garten«, antwortete er und deutete zur offenen Terrassentür.

Ich wollte hinter ihnen her, doch Dad stoppte mich. »Lass sie kurz reden, Sohn.«

Sofort brodelte es in mir. Warum wollte Daniel mit Ava reden?

»Dein Bruder hat Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um sie für dich zu finden. Wir kennen auch noch nicht die ganze Geschichte, aber wir haben Daniel eine ganze Menge zu verdanken. Ohne ihn wäre sie heute nicht hier. Es gab in den drei Jahren nicht einen Tag, an dem er nicht nach ihr gesucht hat. Er will unbedingt wiedergutmachen, was damals passiert ist. Jetzt gib ihm die Gelegenheit dazu.«

Die Worte trafen einen wunden Punkt in mir. Während ich mich verkrochen und selbst bemitleidet hatte, hatte Daniel nie die Hoffnung aufgegeben und Ava tatsächlich gefunden. Ich sollte mich im Grunde bei Daniel bedanken. Und entschuldigen.

»Wo ist Ava?«, fragte Mom, als sie mit den Getränken ins Wohnzimmer kam.

Im gleichen Moment kamen Daniel und Ava zurück ins Haus und ich suchte sofort in ihrem Gesicht nach einem Anzeichen, dass irgendetwas nicht stimmte. Aber ich erkannte nichts dergleichen.

»Liebes, ich habe dir Kakao gemacht. Mit extra viel Schokolade. Ganz so, wie du es magst.« Mom stellte Ava einen großen Becher hin.

Ich sah die Rührung in Avas Gesicht, als sie sich wieder zu mir auf das Sofa setzte. Sofort griff ich nach ihrer Hand und streichelte mit dem Daumen über ihren Handrücken.

»Danke, Angela. Mach dir doch aber bitte meinetwegen keine Umstände. Tee wäre auch in Ordnung gewesen.«

»Ach, das mache ich doch gerne, Liebes.« Sie streichelte Ava über die Wange und lächelte sie liebevoll an. »Daniel, Liebling, setz dich zu uns, ja?« Mom leuchtete regelrecht vor Glück und strahlte in die Runde.

Daniel sah erst zu unseren Eltern und dann zu mir. Ich spürte, wie Ava meine Hand fest drückte. Wir sahen uns für einen Moment tief in die Augen und ich konnte die stumme, aber drängende Aufforderung, Daniel wieder zurück in mein Leben zu lassen, deutlich verstehen. Als sie meine Zurückhaltung bemerkte, kniff sie kaum merklich die Augen zusammen.

Ich lächelte sie schief an und schüttelte den Kopf. Dieses Mädchen hatte mich immer noch in der Hand. Schließlich hob ich den Blick und sah zu meinem Bruder. »Bleib.«

Mom holte ergriffen Luft und aus dem Augenwinkel sah ich, wie sie nach Dads Hand griff. Daniel hingegen sah mich mit weit aufgerissenen Augen an und dann blickte er wieder zu Ava.

»Setz dich bitte zu uns, Daniel«, bat sie ihn ebenfalls.