Newport Prince: Carter - Carrie A. Cullen - E-Book

Newport Prince: Carter E-Book

Carrie A. Cullen

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Beschreibung

Carter Miller hat alles. Er ist jung, erfolgreich, äußerst beliebt und wohnt in einem schicken Penthouse direkt neben seinen besten Freunden. Gerade wurde er erneut zum wertvollsten Spieler der Hockeyliga gekürt und die nächste Trophäe ist zum Greifen nah. Doch der Schein trügt, denn Carters Welt ist alles andere als perfekt. Seine unsterbliche Liebe zu Anna Baker ist unerwidert und egal wie sehr er sich um sie bemüht, seine Avancen prallen an der kühlen Brünetten ab. Eine verhängnisvolle Nacht verändert sein ganzes Leben. Er stellt seine Karriere infrage und denkt darüber nach, alles hinter sich zu lassen. Jetzt gibt es nur noch einen Menschen, der ihn aufhalten kann. Doch ist Anna bereit, ihre Ängste zu überwinden und kann sie mit den Konsequenzen leben?

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Seitenzahl: 455

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Newport Prince

Carter

Carrie A. Cullen

Inhalt

Newport Prince

Prolog

1. Anna

2. Carter

3. Anna

4. Carter

5. Anna

6. Carter

7. Anna

8. Carter

9. Anna

10. Carter

11. Carter

12. Anna

13. Carter

14. Anna

15. Carter

16. Anna

17. Carter

18. Anna

19. Carter

20. Anna

21. Carter

22. Carter

23. Anna

24. Anna

25. Carter

26. Carter

27. Carter

28. Anna

29. Carter

30. Anna

31. Carter

32. Anna

33. Carter

34. Anna

35. Carter

36. Anna

37. Carter

38. Anna

39. Carter

40. Anna

41. Carter

42. Carter

43. Carter

44. Anna

45. Carter

Epilog

Danksagung

Bücher von Carrie A. Cullen

Newport Prince

Carter

Band 5

Carrie A. Cullen

Für Anna.

Prolog

Anna

Acht Jahre alt.

Mein Wecker klingelt und ich öffne die Augen. Augenblicklich knurrt mein Magen, um mich daran zu erinnern, dass ich schon seit zwei Tagen nichts gegessen habe. Müde schwinge ich die Beine über die Kante des Schlafsofas und tapse mit verschlafenen Augen ins Bad. Ich benutze die Toilette, fülle einen Eimer mit Wasser und spüle meine Hinterlassenschaften damit hinunter. Der Spülkasten ist schon seit Tagen kaputt. Dann putze ich mir die Zähne, kämme meine widerspenstigen Haare und gehe zurück ins Wohnzimmer, um mich für die Schule anzuziehen.

Ich habe noch achtundsiebzig Cent in meinem Geldbeutel. Die reichen nicht einmal mehr für einen Bagel oder einen Apfel. Eigentlich vertut sich Mama nie mit dem Geld. Wenn sie mit Frederick wegmuss, lässt sie mir genug hier, damit ich mir Essen kaufen kann. Doch diesmal braucht Frederick länger für seine Arbeit. Deshalb kommen Mama und er erst am Wochenende nach Hause. Das sind noch drei Tage. Das kann ich schaffen. In der Schule gibt es immer jemanden, der sein Sandwich nicht isst und es mir überlässt. Sam zum Beispiel mag keinen Thunfisch und seine Mom schmiert ihm jeden Tag ein Sandwich mit Thunfisch. Und Anissa wirft ihre Banane, sobald sie aus dem Schulbus aussteigt, in den Mülleimer. Wasser bekomme ich in der Schule genug an den Wasserspendern, die überall in den Korridoren stehen.

Ich suche meine Fahrkarte, setze mir den schweren Rucksack auf und achte darauf, dass ich den Schlüssel zweimal im Schloss drehe, ehe ich zum Bus laufe.

Tommy, mein Klassenkamerad, der zwei Trailer weiter wohnt, wartet bereits und bläst eine große Blase mit seinem Kaugummi. Als ich mich nähere, lässt er sie geräuschvoll platzen und ruft: »Seht mal, das Opossum ist wieder da. Haltet euch die Nasen zu!«

Ich schlucke mein Unwohlsein herunter und schiebe trotzig den Unterkiefer vor. Tommys Klamotten sind auch nicht immer die saubersten. Er hilft morgens vor der Schule seinen Eltern, die Hühner und Ziegen zu füttern. Ich habe einfach keine sauberen Sachen mehr. Wir besitzen keine Waschmaschine und der nächste Waschsalon liegt zehn Meilen entfernt in Simi Valley. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als die am wenigsten schmutzigen Sachen anzuziehen, bis Mama und Frederick zurückkommen.

»Was ist, Opossum, hast du verlernt, wie man sich wäscht? Du hast Dreck im Gesicht!«

Neil und Arash überholen mich.

Arash bewirft mich mit einer leeren Dose und ruft: »Wie man sich wäscht, hat ihr ihre Mami nie beigebracht, weil sie Abschaum ist. Da bringen auch Seife und Wasser nichts.«

»Säure könnte helfen«, feixt Neil und versucht, mir ein Bein zu stellen.

Ich presse die Lippen fest aufeinander und hoffe, dass ich nicht vor diesen Jungs anfange zu weinen. Je mehr Schwäche ich zeige, desto fieser werden sie. Die drei gehören zu den gemeinsten Kindern meiner Schule und niemand ist vor ihnen sicher. Deswegen versuche ich immer so spät wie möglich loszugehen, weil ich es hasse, mit ihnen allein an der Bushaltestelle zu stehen.

»Wahrscheinlich hat sie sich seit Wochen die Zähne nicht geputzt und kriegt sie deswegen nicht auseinander.«

Arash schubst mich und ich pralle mit der Schulter gegen das Bushäuschen. Sofort schmerzt die Stelle, doch ich bleibe weiter stumm.

»Wie wäre es, wenn wir ihr die stinkenden Klamotten ausziehen? Sie lockt noch die ganzen Fliegen an, die ihr dann in den Bus folgen.«

Mir wird ganz schlecht und mir schlottern die Knie vor Angst. Irgendeiner der drei zerrt an meinem Rucksack. Doch weil ich die Finger krampfhaft um die Riemen schließe, schaffen sie es nicht, ihn mir abzunehmen. Gerade als Neil nach meinem Shirt greifen will, rollt der Schulbus an und bleibt mit ächzenden Bremsen neben uns stehen.

»Glück gehabt, Opossum. Beim nächsten Mal bist du dran!«, zischt Tommy und stößt mich so heftig zur Seite, dass ich mit den Knien auf dem Boden aufschlage.

»Hey, hey!«, ruft Mr. Oak, der Busfahrer, und hebt drohend den Finger. »Das will ich hier in meinem Bus nicht sehen!«

»Wir auch nicht«, lacht Tommy und spuckt auf den Boden dicht neben mir. »Die Müllabfuhr kommt gleich, Opossum. Bleib einfach liegen. Heute ist Sondermüll dran. Wenn du Glück hast, nehmen sie dich mit.«

Jetzt kann ich nicht mehr verhindern, dass mir Tränen in die Augen schießen. Am liebsten würde ich wieder nach Hause laufen. Doch Mama hat mir eingebläut, unter keinen Umständen die Schule zu verpassen. Niemals. Egal, wie krank ich mich fühle. Selbst wenn der Bus nicht fährt. Ich muss in die Schule, weil sie sonst Ärger kriegt. Dann würde ich sie und Frederick nie wieder sehen.

»Los, Mädchen, steig ein.« Mr. Oak hilft mir beim Aufstehen und als er die Risse in meiner Jeans und die aufgeschlagenen Knie bemerkt, reicht er mir sein Einstecktuch und nickt zum Bus. »In der Schule gehst du am besten gleich zur Krankenschwester. Die desinfiziert die Wunde, damit sich nichts entzündet.«

Ich wische mir mit dem Ärmel über die Wangen und versuche, das Brennen meiner Wunden zu ignorieren, als ich in den Bus steige. Ich sehe niemandem in die Augen, während ich durch den Mittelgang gehe, um nach einem freien Platz zu suchen. Aus dem Augenwinkel bemerke ich, wie die anderen Schüler die Nasen rümpfen und demonstrativ von mir wegrutschen, als ich an ihnen vorbeigehe. Mein Blick verschwimmt immer mehr. Letztendlich bleibe ich an der hinteren Notausgangstür stehen und lasse mich dort auf den Boden sinken. Dann ziehe ich die Knie an, lege die Arme darüber und verstecke mein Gesicht vor den anderen, während ich stumm weine.

Vielleicht sollte ich morgen einfach liegen bleiben.

1

Anna

Die Bässe dröhnen. Mit geschlossenen Augen bewege ich mich im Takt der Musik und spüre das Gedränge von allen Seiten. Schweiß rinnt mir über die Schläfen und das Satinoberteil klebt an meiner Haut. Erst als mein Rachen völlig ausgetrocknet ist, beschließe ich, eine Tanzpause einzulegen, um mir ein Glas Wasser zu holen. Ich gebe meiner besten Freundin Bescheid und als ich mich auf den Weg zur Bar mache, spüre ich sogleich einen Arm um meine Taille.

»Brauchst du eine Pause?«, fragt Steven, der wie aus dem Nichts auftaucht und mich zur Dachterrasse der Skylounge begleitet. Auf dem Weg dorthin nimmt er eine Wasserflasche aus einem der Eiskühler mit, die in unserer VIP Lounge bereitstehen.

Wir suchen uns eine ruhige Ecke und ich lasse mich mit einem tiefen Seufzen in einem gemütlichen Sessel nieder. »Es ist so heiß dadrin«, stöhne ich und streiche mir die feuchten Haare aus dem Gesicht.

»Die Stimmung könnte nicht besser sein. Fehlt nur noch der Ehrengast.« Steven öffnet die Wasserflasche und reicht sie mir.

»Danke. Viel Zeit bleibt ihm nicht mehr, wenn er seine eigene Party nicht verpassen will«, erwidere ich und lasse das kühle Nass meine trockene Kehle wieder befeuchten.

Stevens Handy piept und er holt es aus seiner Hosentasche raus. Ich ertappe mich dabei, wie ich auf das Display schiele, um einen Blick auf seine Nachrichten zu erhaschen. Enttäuscht lehne ich mich zurück, als ich lese, dass der Absender Billie lautet und nicht Carter. Wenn er jetzt nicht mal zu seiner eigenen Party auftaucht, bin ich völlig umsonst hergeflogen. Vermutlich sollte mich das ärgern, aber ich bin ein hoffnungsloser Fall und stehe auf Selbstkasteiung. Jede noch so winzige Chance, um ihn zu sehen und ich lasse sofort alles stehen und liegen.

Ich leere die Flasche und werfe sie auf den Tisch vor uns. »Wie geht es Billie?«, erkundige ich mich.

Stevens Augen leuchten bei Erwähnung ihres Namens. »Sehr gut. Sie hat heute die Noten für ihre Hausarbeit bekommen und wie es aussieht, ist sie für die Abschlussprüfung zugelassen.«

»Wow, das sind ja großartige Neuigkeiten!«

Steven lächelt. »Sie ist ganz aus dem Häuschen. Eigentlich hat sie fest damit gerechnet, in Staatsrecht durchzufallen.«

»Ich erinnere mich, dass sie es ein-, zweimal erwähnt hat.«

Steven lacht und wieder fällt sein Blick auf das Handy.

»Schick ihr meine Glückwünsche. Ich hoffe, dass sie ihren Erfolg heute Abend standesgemäß feiert.«

Stevens Lächeln verrutscht. Niemand weiß, dass er eine Freundin hat. Nicht einmal sein bester Freund Aiden. Nur mir hat er Billie vorgestellt. Steven lebt und arbeitet wie ich in New York. Wir treffen uns hin und wieder zum Lunch, da seine Kanzlei nur zwei Blocks von der Privatklinik entfernt liegt, in der ich als Kinderpsychologin tätig bin. Vor etwa einem Dreivierteljahr tauchte er unangekündigt und völlig durch den Wind bei mir zu Hause auf und erzählte mir von der neuen Praktikantin, die ihm zugeteilt wurde. Nachdem er mir ein Foto von ihr gezeigt hatte, verstand ich, weshalb er so erschüttert über diese Begegnung gewesen war. Denn Billie ist eine Eins-zu-Eins-Kopie von Lilly Westerfield, seiner ersten großen Liebe und der Schwester von Aiden und Daniel. Lilly starb bei einem tragischen Verkehrsunfall, nur wenige Tage, nachdem Steven ihr seine Gefühle gestanden hatte und die beiden ein Paar wurden.

Ich drücke aufmunternd seinen Arm. »Meinst du nicht, dass es an der Zeit ist, zumindest mit Ava über sie zu sprechen?«

Seine Kiefermuskeln zucken, als er den Kopf hebt und mich ansieht. »Ich weiß nicht.«

»Was hält dich zurück?«

Er atmet laut hörbar aus. »Keine Ahnung. Angst vor ihren Reaktionen? Angst davor, dass sie alle Billie nicht akzeptieren? Dass man mir vorwirft, nur aus einem Grund mit ihr zusammen zu sein?« Er lehnt sich zurück und schaut in den wolkenlosen Himmel.

Ich rutsche bis zur Kante meines Sessels und lege die Hand auf sein Knie. »Du selbst weißt, dass das nicht stimmt, Steven. Du bist mit ihr zusammen, weil du dich in Billies Art verliebt hast, nicht in ihr Aussehen.«

Er verzieht gequält das Gesicht. »Ist das so?« Seine Selbstzweifel scheinen ihn zu erdrücken. Sanft macht er sich von mir los, um zur Brüstung der Terrasse zu gehen.

Ich folge ihm. »Das weißt du besser als ich. Du hattest Angst vor ihr, was völlig verständlich ist. Trotzdem konntest du dich ihr nicht entziehen.«

Er lacht kalt auf. »Wie denn auch? Wir sehen uns jeden Tag bei der Arbeit.«

»Du hattest genug Gründe und Möglichkeiten, dich von ihr fernzuhalten. Trotzdem hast du es nicht getan.«

Steven zuckt mit den Schultern.

»Manchmal übernimmt das Herz die Entscheidungen und lässt den Verstand dabei außen vor. Ich weiß, wie verwirrend und beängstigend das sein kann, Steven. Aber ich weiß eben auch, dass es sich oft lohnt, auf sein Herz zu hören.«

Diesmal dreht er den Kopf und sieht mich aus berechnenden Augen an. »Ach ja?«

Ich schlucke, weil ich ihm damit eine Steilvorlage geliefert habe.

»Wenn es so leicht und richtig ist, wieso tust du es dann nicht endlich?«, fordert er mich heraus.

»Steven«, fange ich an, doch er schüttelt augenblicklich den Kopf.

»Wir beide wissen, dass d…«

»Hier seid ihr!«

Wir drehen gleichzeitig die Köpfe und entdecken Aiden, der in der Tür zum Club steht.

»Es geht los. Er ist auf dem Weg nach oben.«

»Rettung in letzter Sekunde, oder Anna?«, raunt Steven mir zu.

Ich erwidere nichts. Mein Herz klopft wie verrückt, als ich ihm zurück in den Club folge.

Jubelrufe ertönen und Applaus brandet auf, als sich die Türen der beiden Fahrstühle öffnen und eine Horde Hünen ausspucken. Der Lärm übertönt sogar für einen kurzen Moment die laute Musik im Club. Das Team der Boston Bruins lässt sich gebührend von ihren Fans und Freunden feiern. Es war ihnen gestern Abend in allerletzte Sekunde gelungen, das entscheidende Spiel zum Einzug in den Stanley Cup zu gewinnen, und dementsprechend ist die Stimmung ausgelassen.

Ich nutze die Aufregung der Leute, um mir an der Bar ein neues Glas Wein zu bestellen. Plötzlich verstummt die Musik und ein mehrstimmiger Chor fängt an, von zehn rückwärtszuzählen. Ein Glas Champagner taucht neben mir auf und der Barkeeper lächelt mir freundlich zu. Mein Puls beschleunigt sich, als ich mich wieder umdrehe und entdecke, dass die Gäste einen Kreis um die Tanzfläche gebildet haben, um den Ehrengast des heutigen Abends zu feiern.

»Drei. Zwei. Eins. HAPPY BIRTHDAY, CARTER!«, brüllt der Chor einstimmig und dann bricht Chaos aus, weil jeder Carter als Erstes gratulieren will.

Ich erhasche einen Blick auf Ava, die ihm freudig in die Arme springt. Carter hebt sie hoch und Ava lacht aus vollem Herzen und drückt ihm einen Kuss auf die Wange. Dann verschwindet sie wieder und ich sehe, wie Steven, Aiden und Matthew ihrem Freund alles Gute wünschen. Danach sind die Jungs aus seinem Team dran und es wird unübersichtlich. Irgendwann fängt die Musik wieder an zu spielen und die Menge verteilt sich im Club. Ich leere mein Glas in einem Zug, nehme meinen ganzen Mut zusammen und mache mich auf den Weg zur VIP Lounge, um ebenfalls meine Glückwünsche loszuwerden. Mein Herz klopft mit jedem Schritt schneller. Carter steht mit dem Rücken zu mir. Er trägt den dunkelgrauen Anzug, auf den der Verein besteht, wann immer die Mannschaft von und zu Spielen reist oder offizielle Termine wahrnimmt. Nur das Jackett hat er ausgezogen und die Ärmel seines gestärkten weißen Hemdes bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt. Es lässt sich nicht vermeiden, dass beim Anblick seiner sehnigen, tätowierten Unterarme ein aufgeregter Schauer durch meinen Körper rauscht. Carters Arme gehören definitiv zu meinen liebsten Körperregionen an ihm. Er ist nicht so breit gebaut wie Aiden oder Daniel. Als Hochleistungssportler ist er um einiges schmaler und drahtiger. Dennoch ist jede einzelne seiner Muskelpartien fein definiert. Sein Sixpack lässt mich dahinschmelzen genau wie das verruchte V, das seine Leisten ziert. Als ich mich beim Tagträumen ertappe, nehme ich schnell meinen Blick von seiner Hose, die sich über diesen prächtigen Hintern spannt, in den ich am liebsten hineinbeißen möchte.

Carter legt den Kopf zurück und lacht, als ich die Absperrung der VIP Lounge erreiche. Dabei erkenne ich den dunklen Schatten seines stattlichen Vollbarts, den er sich traditionell erst nach dem Stanley Cup rasiert. Es ist eine Marotte, die in der Hockeyliga Einzug gehalten hat und sich hartnäckig als Aberglaube hält. Wer sich während der Saison rasiert, riskiert, eine etwaige Glückssträhne zu zerreißen.

Eigentlich stehe ich nicht besonders auf Männer mit Bärten. Doch auf der anderen Seite könnte Carter behaart wie ein Gorilla sein und ich würde ihn immer noch zum Sexiest Man Alive küren. Denn von seinen körperlichen Vorzügen mal abgesehen, liebe ich seine Art. Er trägt sein Herz auf der Zunge, die Sonne im Herzen und der Schalk sitzt ihm stets im Nacken. Er ist der warmherzigste und emotionalste Mann, den ich kenne.

Es wundert mich kein bisschen, dass er Jahr für Jahr immer wieder zum beliebtesten Sportler Amerikas gewählt wird. Die Nation liebt ihren Hockeyhelden, der nicht nur für die vier letzten Meisterschaftstitel verantwortlich ist, sondern vor zwei Jahren mit seinem Golden Goal dafür sorgte, dass Amerika das erste Mal seit 1980 wieder bei den Olympischen Spielen auf dem obersten Treppchen stand.

Ich steige die wenigen Stufen zur Lounge hinauf und versuche, mich für Carters Reaktion zu wappnen, sobald er sieht, dass ich ihm seinen größten Wunsch (seine Worte, nicht meine) erfülle und ihm persönlich zum Geburtstag gratuliere.

Die Härchen auf meinen Armen stellen sich auf, als ich nur noch eine Armeslänge von ihm entfernt bin. Ich hebe die Hand, um ihm auf die Schulter zu tippen, da taucht eine andere Hand unter Carters Arm hindurch und rotlackierte Nägel krallen sich besitzergreifend in seinen Hintern. Perplex hebe ich den Kopf und erstarre, als sich eine platinblonde Pamela-Anderson-Kopie an ihn schmiegt und ihre aufgeblasenen Botoxlippen auf seinen Mund presst.

2

Carter

Fuck, ich bin betrunken. Der Boden unter mir schwankt und ich muss mich an Michelle?, oder war es Rochelle?, Rachel?, wie auch immer sie heißt, festhalten, um nicht umzufallen. Sie missversteht meine Aktion und nutzt die Gelegenheit, um ihre operierte, steinharte Oberweite an meinen Oberkörper zu pressen. Gleichzeitig wandert ihre Hand zu meinem Hintern und sie drängt sich noch dichter an mich.

»Happy Birthday, Carter«, haucht sie und dann liegen ihre feuerroten Lippen auch schon auf meinem Mund.

Ich will und kann die Augen nicht schließen, weil ich einerseits sofort das Gleichgewicht verlieren würde, und andererseits will ich keinen falschen Eindruck erwecken. Dabei fällt mein Blick auf Steven, der den Mund verzieht. Vorsichtig sehe ich mich um, ob Ava zufällig in der Nähe ist. Sie hasst es, wenn wir bedeutungslose One-Night-Stands haben. Es gab deswegen einmal einen riesigen Streit mit ihr und Matthew, nachdem sie ihn mit gleich drei Frauen gleichzeitig erwischt hat. Doch weder Ava noch Aiden sind zu erkennen. Schulterzuckend wende ich mich wieder Mikela? zu und schenke ihr ein, wie ich hoffe, halbwegs glaubhaftes Lächeln.

Sie erwidert es und hebt die Hand, um ihren klebrigen Lippenstift von meinem Mund zu wischen. »Ich habe noch ein Geschenk für dich«, flüstert sie atemlos und ich mache mir langsam Sorgen um ihre Lunge.

Asthma vielleicht? Sollte sie möglicherweise mal raus an die frische Luft? Oder liegt es am zu eng geschnürten Korsett, das sie trägt? Ich zucke, als ihre andere Hand über meinen Schwanz streicht. Sie verdeckt die Szene geschickt mit ihrem Körper, doch nicht allen entgeht, was sie gerade versucht. Wieder trifft mich Stevens missbilligender Blick, der jetzt auch noch warnend den Kopf schüttelt.

Irritiert runzle ich die Stirn und sehe mich erneut um. Doch nach wie vor kann ich nicht erkennen, weshalb er sich so merkwürdig aufführt.

»Ich trage keine Unterwäsche.«

Warmer Atem trifft auf mein Kinn und ich sehe zu Miranda? herunter. Ein Fehler, denn sofort stellt sie sich auf ihre Zehenspitzen und küsst mich. Gleichzeitig schließt sie ihre Finger fest um meinen Schwanz und fängt an, ihn durch den Stoff meiner Hose zu massieren. Ohne mein Zutun regt sich der Fucker und ich bin fast versucht, ihrem Werben doch nachzugeben. Nach der großen Enttäuschung heute Abend kann ich ein bisschen Wiedergutmachung gebrauchen. Ich denke, dass ich betrunken genug bin, um mein Gewissen währenddessen auszuschalten.

Doch dazu wird es nicht kommen, denn Steven macht sich auf den Weg zu mir und Amanda? »Du entschuldigst uns kurz«, knurrt er und zieht mich von der blonden Reporterin weg, die mir seit der Pressekonferenz im Bruins Stadion nicht mehr von der Seite weicht.

»Was ist los, Jenkins? Ist es, weil sie blond ist? Willst du sie lieber für dich haben?« Es ist nur ein Scherz, doch sein wütender Blick, der mich daraufhin trifft, sorgt dafür, dass ich meinen Mund wieder schließe.

Steven wirft die Tür zur Dachterrasse auf und schiebt mich nach draußen.

»Hey, jetzt entspann dich mal, du Pisser!«, motze ich und stoße einen Stuhl an, der geräuschvoll gegen die Hauswand prallt. Mit Mühe kann ich mich auf den Beinen halten und verfluche Oswin Ivor, unseren Teamkapitän, der uns, seit wir heute Morgen in Detroit das Flugzeug bestiegen haben, kontinuierlich abgefüllt hat.

»Du solltest dich endlich mal entspannen!«, zischt Steven wütend.

Ich lache und zeige zurück zum Club. »Das habe ich gerade versucht!«

Er packt mich an den Schultern und dreht mich zur Terrasse. In der Ferne erkenne ich die Lichter des Hafens und links von uns befindet sich das Stadion. Irritiert drehe ich den Kopf und versuche zu verstehen, was er von mir will.

»Da hinten, du Idiot!« Steven drückt mein Kinn nach rechts und dann verliere ich tatsächlich den Halt.

Meine Knie werden weich und ich muss mich an seinem Arm festhalten, damit ich nicht den Boden küsse. Verfluchter Herr im Himmel. Sie ist es, oder? Ich lehne mich vor und kneife die Augen zusammen. Als würde das irgendwas nützen. Ich bin so voll, dass mein Fokus verschwimmt und ich nach vorn stolpere. Steven schnaubt genervt und gibt mir einen Stoß in ihre Richtung. Auf wackligen Beinen mache ich mich auf den Weg und konzentriere mich, einen Fuß vor den nächsten zu setzen. Mein Magen rebelliert und ich spüre, wie sich Hitze in mir ausbreitet.

Jetzt bloß nicht kotzen, Miller!, warne ich meinen Körper.

Anna steht mit dem Rücken zu mir. Sie hat die Arme um ihre Körpermitte geschlungen, wahrscheinlich um sich vor der kühlen Brise zu schützen. Ich will das für sie übernehmen. Ich will sie wärmen.

Mein Blick gleitet über ihre schmale Taille hinunter zu ihren kurvigen Hüften und weiter zum anbetungswürdigsten Hintern der Menschheit. Speichel sammelt sich in meinem Mund, als ich mir vorstelle, erst in ihre linke, dann in die rechte Arschbacke zu beißen, bevor ich sie auseinanderziehe, um dazwischen zu versinken. Noch mehr Wärme breitet sich in mir aus und ich werde so hart, dass mein Blick auf sie verschwimmt. Ich taumle und strecke den Arm aus, um mich an der Bambuspalisade abzustützen. Mit der Zunge fahre ich mir über die trockenen Lippen und nehme dabei einen schmierigen Film wahr. Stirnrunzelnd wische ich mir über den Mund und als ich die Hand dicht vor mein Gesicht halte, entdecke ich dicke rote Striemen. Wo kommen die mit einem Mal her? Ich taste meine Nase ab, ob ich vielleicht blute. Doch diesmal bleibt die Hand sauber. Merkwürdig. Egal, ich habe eine Mission. Ich atme tief durch, straffe die Schultern und setze meinen Weg fort. Dabei verfängt sich mein Fuß hinter einem Tischbein und ich kann mich nur mit Mühe an der Kante festhalten. Zwei Stühle fallen dabei zu Boden.

»So eine abgefuckte Scheiße! Wer stellt hier überall diese verkackten Stühle hin?«, fluche ich und richte mich wieder auf.

Anna hat sich mittlerweile umgedreht und beobachtet mich nun mit Skepsis im Blick.

»Warum ist es hier so verdammt dunkel?«, murmle ich und reibe mir über den Kopf. Dabei rutscht meine Hand ab und ich steche mir einen Finger ins Auge. »FUCK!«, stöhne ich und kneife die Augen zusammen. Blöder Fehler. Sofort verliere ich das Gleichgewicht und falle rückwärts in eine Sitzgruppe.

Anna macht einen Schritt auf mich zu, doch dann taucht die blonde Reporterin Mandy?, Cindy?, fuck, Cinderella?, auf und stöckelt auf ihren viel zu hohen Schuhen auf uns zu.

»Hier bist du, Big Boy. Ich suche dich schon überall.«

Ich schüttle den Kopf, als sie sich nähert, und versuche, sie mit einer Handbewegung zu verscheuchen, weil sie mir den Blick auf Anna versperrt.

»Du hast dein Geschenk noch gar nicht eingefordert«, säuselt sie in ihrer atemlosen Stimme und spielt mit den Kordeln ihrer engen Korsage.

Ich befeuchte meine Lippen, weil mein Mund zu trocken zum Sprechen ist. Ich will sie aufhalten. Ihr erklären, dass ich sie nicht will. Schon gar nicht, wenn meine Traumfrau nur wenige Meter von uns entfernt steht und das Szenario beobachtet. Mein Kopf dreht sich zu Anna. Der Blick, der mir entgegenschlägt, verwandelt meine Eingeweide in Beton. Pure, kalte Enttäuschung strahlt aus ihren grünen Augen. Anna atmet tief durch und dann dreht sie sich wortlos um und verschwindet.

»Nein!«, rufe ich und stemme mich mit aller Kraft aus dem Sessel. »Warte! Anna, bleib stehen!«

Doch sie hört nicht auf mich. Schon fast fluchtartig läuft sie zur Tür, reißt sie auf und verschwindet im Getümmel des Clubs.

»So eine verfluchte Scheiße!«, motze ich und will ihr folgen. Ich werde zurückgerissen, als jemand mein Handgelenk packt und mich festhält.

»Wo willst du denn hin, Carter?«, fragt das Tittenwunder und wandert mit ihren roten Krallen meine Schulter hinauf.

Ich greife nach ihrer Hand, ziehe diese von meinem Arm und schüttle den Kopf. Mir ist vielmehr danach, sie für diese Scheiße verantwortlich zu machen und sie anzuschreien. Doch selbst in meiner aktuellen Verfassung hallen die Worte meines PR Managers laut und deutlich in meinen Ohren:

›Image, Carter. Du hast eine Vorbildfunktion eingenommen, ob du es willst oder nicht. Du bist der Liebling der Nation. Man erwartet, dass du dich zivilisiert verhältst. Keine Eskapaden, keine Skandale. Du würdest nicht nur deinem Ruf schaden, sondern ziehst deinen Verein, deine Teammitglieder und deine Familie gleich mit rein. Verstanden? Ab jetzt dreht es sich nur noch einzig und allein ums Image.‹

»Verfluchter Joshua Clerly«, fluche ich erneut.

Bindy runzelt fragend die Stirn. »Sprichst du von deinem Manager? Soll ich ihn holen? Brauchen wir eine Verschwiegenheitserklärung? Ich verspreche dir, ich rede mit niemandem ein Wort, was uns beide betrifft, Carter«, haucht sie und kommt mir mit ihren aufgeblasenen Schlauchbootlippen gefährlich nahe.

Allein der Gedanke an ihren Mund in der Nähe meines Mundes dreht mir den Magen um. Ich lehne mich zurück, doch sie zieht mich an meiner Krawatte zu sich ran. Sieht sie nicht, dass ich voll bin wie zehn Seemänner?

»Ich habe keine Kondome dabei, aber du kannst mich in den Arsch ficken. Ich mache alles, was du willst. Ich erfülle dir deine tiefsten, dunkelsten Fantasien. Mit mir wirst du dei…«

Weiter kommt sie nicht, denn mein Magen hat beschlossen, dass es Zeit ist, die Unmengen an Vodka, Tequila und Champagner loszuwerden. Ich beuge mich zur Seite und kotze im hohen Bogen über die gesamte Sitzgruppe.

»O Gott!«, kreischt die Blondine und springt angewidert zurück.

Ich stütze mich an der Tischkante ab und spüre, wie sich mein Magen erneut zusammenkrampft. Galle steigt meine Speiseröhre empor, verätzt meine Kehle und ein neuer Schwall ergießt sich über den Boden. Ich schließe die Augen, spüre wie meine Knie nachgeben, und falle wie ein nasser Sandsack auf die Seite.

3

Anna

»Anna?« Steven hält mich am Arm fest, als ich zu den Fahrstühlen der Skylounge eile. »Was ist passiert?«

Ich schüttle den Kopf und ziehe meine Hand zurück.

Doch Steven lässt mich nicht davonkommen. Sofort legt er den Arm um meine Schultern und begleitet mich zu den Fahrstühlen. Er drückt auf die Ruftaste, dann holt er sein Handy aus der Hosentasche und tippt eine Nachricht ein. »Habt ihr geredet?«, will er wissen.

Ich schüttle den Kopf und spüre eine noch nie dagewesene Niedergeschlagenheit, die mich in die Knie zwingen will. Warum lasse ich das alles so nah an mich heran? Ich bin es doch, die Carter immer wieder abweist! Ich bin es, die keine Gelegenheit auslässt, und ihm zu verstehen gibt, dass ich ihn nicht will. Ich bin es, die auf keine seiner Avancen eingeht, die nie eine seiner Nachrichten beantwortet oder seine Anrufe entgegennimmt. Ich bin es, die ihm die kalte Schulter zeigt. Ich bin es, die niemals mit ihm zusammen sein will.

Wieso tut es dann trotzdem so weh, ihn mit anderen Frauen zu sehen? Carter hat Bedürfnisse. Er ist jung, strotzt vor Testosteron und Männlichkeit. Natürlich braucht er ein Ventil, um diese gewaltige Kraft in sich loszuwerden.

»Denkst du nicht, dass es Zeit ist, ihn hineinzulassen? Er hat doch mehr als einmal bewiesen, dass er dich will, Anna. Der Junge ist verrückt nach dir.«

Ich ziehe die Nase hoch und mein Hals wird immer enger. Ich zwinge mich, keine Träne zu vergießen. Das ist es nicht wert. »Carter ist nicht verrückt nach mir, sondern nach Sex, Steven. Du weißt am allerbesten, was während der Auswärtsspiele abgeht.«

Steven verzieht das Gesicht und lässt die Schultern hängen. Er ist nämlich für die Verschwiegenheitserklärungen verantwortlich, die die Bettgefährtinnen von Carter unterzeichnen müssen, bevor es überhaupt in die Nähe eines Hotelzimmers geht. Das weiß ich von Billie, die sich während eines gemeinsamen Mittagessens vor ein paar Wochen versehentlich verplappert hat.

»Kannst du ihn nicht ein bisschen verstehen, Anna?«

»Doch kann ich. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass aus ihm und mir nie etwas werden kann.«

»Weshalb bist du da so verbissen? Es ist für jeden offensichtlich, dass du ihn mindestens genauso gern hast wie er dich.«

Ich sehe ihn stirnrunzelnd an. »Wie kommst du darauf?«

Die Fahrstuhltüren öffnen sich und Steven führt mich mit der Hand in meinem Rücken in die Kabine. Er drückt auf die Taste für die Tiefgarage und die Türen beginnen, sich zu schließen. »Du glaubst, dass du deine Gefühle vor uns gut versteckst. Aber so gut bist du leider nicht. Ständig siehst du zu ihm hin, suchst unbewusst seine Nähe, gibst dich zu cool, zu locker, zu lustig. Das bist nicht du, Anna.«

Kurz bevor sich die Türen schließen, schießt eine Hand vor und hält sie auf. Joshua taucht plötzlich auf, der sich Carters Arm um die Schultern gelegt hat und ihn mühevoll in die Kabine zieht. Sofort machen Steven und ich den beiden Platz.

»Unser Junge ist durch. Hat die ganze Terrasse vollgekotzt«, stöhnt Joshua und wischt sich über die Stirn.

Steven stellt sich auf Carters andere Seite und legt sich den anderen Arm seines Freundes um die Schultern. Carters Kopf hängt kraftlos nach vorn und Speichel tropft aus seinem Mund. Er stinkt bestialisch und sein Hemd, die Hose sowie die Schuhe sind befleckt mit seinem Erbrochenen. Trotzdem krame ich ein zerknülltes Taschentuch aus meiner Hosentasche und wische Carter damit über den Mund. Seine Schläfen sind schweißbedeckt und die Wangen gerötet. Ohne dass ich es will, streiche ich ihm die Haare aus der Stirn und entdecke einen dicken Kratzer an seinem linken Augenwinkel, den er sich vorhin versehentlich selbst zugefügt hat. Sanft fahre ich mit meinem Zeigefinger darüber und zucke zusammen, als Carter plötzlich die Augen öffnet und mich direkt ansieht.

»Hey, Traumfrau«, nuschelt er und sein Mundwinkel schiebt sich nach oben. Sofort verlieren seine Augen ihren Fokus und er dreht den Kopf von einer Seite auf die andere.

Im selben Moment kommt der Fahrstuhl im Untergeschoss an und öffnet seine Türen. Ich mache den Jungs Platz, als sie ihren Freund zu Joshuas Auto bringen.

»Anna, öffne bitte beide Türen hinten, damit wir ihn auf die Rückbank legen können.« Steven ächzt, als er Carters schlaffen Körper neu positioniert, damit er ihm nicht aus den Händen rutscht.

Ich eile zum Wagen, reiße die Türen auf und mache Joshua Platz, als er auf die Rückbank klettert, um Carter von Steven entgegenzunehmen. Zu zweit gelingt es ihnen, seine hundertachtundachtzig Zentimeter auf der viel zu kurzen Sitzbank abzulegen.

»Scheiße, wir haben vergessen, dass Anna ja auch noch mit ins Auto muss.«

»Ich nehme mir ein Taxi«, meint Steven sofort.

»Ich kann mich zu Carter setzen und gleichzeitig aufpassen, falls ihm noch einmal schlecht wird«, schlage ich vor. Ich will ihn in dieser Verfassung auf keinen Fall allein lassen. Was ist, wenn er sich verschluckt und keiner der Jungs bekommt das mit?

»Bist du sicher? Der Junge ist von Kopf bis Fuß vollgekotzt«, betont Joshua mit gerümpfter Nase.

»Glaubt mir, das ist nichts gegen das, was ich im Krankenhaus schon alles gesehen habe.« Es schüttelt mich kurz, als ich an meine Ausbildung in der geschlossenen psychiatrischen Abteilung des St. Hopkins Hospitals in Nebraska zurückdenke.

»Okay, dann lasst uns unseren Golden Boy mal nach Hause bringen und unter die Dusche stellen.«

Die Fahrt zu Carters Apartment verläuft, Gott sei Dank, ohne Zwischenfälle. Ich habe mir seinen Kopf auf den Schoß gelegt und auf jede noch so kleine Regung von ihm geachtet.

Als Joshua den Wagen auf Aidens Parkplatz abstellt, taucht dieser im selben Moment in der Garage auf und hilft den Jungs, Carter in dessen Apartment zu bringen.

Ich stehe in seinem Schlafzimmer und schaue dabei zu, wie die drei Männer ihren Freund ausziehen und ihn dann in der Dusche ablegen. Joshua zieht sich seine Schuhe und Socken aus, Steven krempelt die Ärmel hoch und Aiden dreht das Wasser auf.

Carter zuckt nicht einmal, als ein eiskalter Strahl auf seine verschwitzte Haut trifft. Umständlich seifen Joshua und Steven seinen Körper mit Duschgel ein, Aiden hält den Brausekopf und spült den Schaum im Anschluss in den Abfluss. Danach hieven sie Carters noch immer regungslosen Körper zurück ins Schlafzimmer und legen ihn auf die von mir vorbereiteten Handtücher. Obwohl ich Carter zum ersten Mal vollkommen nackt sehe, ist es wegen seines derzeitigen Zustandes etwas völlig Unaufregendes. Ich bin vielmehr besorgt, weil er scheinbar das Bewusstsein verloren hat.

»Der wird morgen nicht so schnell auf die Beine kommen«, mutmaßt Aiden und schmeißt das nasse Handtuch auf den Boden, nachdem er Carter grob damit abgetrocknet hat.

»Ava wird ihm die Hölle heiß machen, wenn er zu seiner eigenen Feier nicht auftaucht«, erwidert Joshua kopfschüttelnd. »Ich frage mich, wieso er sich heute so abgeschossen hat.«

Mein Magen verknotet sich. Hat Carter mit Absicht so viel getrunken? Falls ja, wieso? Sie haben das Spiel gewonnen, stehen an der Tabellenspitze und eigentlich ist es jetzt schon sicher, dass sie sich auch dieses Mal wieder den Cup holen werden. Er verbringt seit langer Zeit mal wieder einen Geburtstag mit seinen Freunden und soweit ich weiß, kommen sogar Carters Eltern morgen nach Boston.

»Jungs, ich geh wieder rüber.« Aiden verabschiedet sich und macht sich auf den Weg in sein Apartment, das praktischerweise direkt auf der anderen Seite des Flures liegt.

»Sollen wir das Frühstück lieber auf zwölf verschieben?«, ruft Steven ihm hinterher.

Aiden dreht sich kurz um und schüttelt den Kopf. »Es bleibt bei zehn. Wird ihm eine Lehre sein«, fügt er hinzu und schließt die Tür.

Joshua schaltet das Licht im Schlafzimmer aus und schiebt die Tür so weit zu, dass sie einen Spalt breit offen steht. »Einer von uns sollte vielleicht hierbleiben und ab und an nach ihm sehen.«

Mein Mund öffnet sich, doch Steven kommt mir zuvor.

»Ich penne auf der Couch, kein Problem.«

»Okay, dann verschwinde ich jetzt.« Joshua kommt zu mir und gibt mir einen Kuss auf die Wange. »Nacht, schlaf gut.« Dann klopft er Steven auf die Schulter und verabschiedet sich.

Als die Tür ins Schloss fällt, atmen Steven und ich zeitgleich auf.

Steven deutet zur Haustür. »Ich werde dann mal ins Bett gehen«, sagt er mit einem Zwinkern. »Mein Telefon ist immer an. Ruf mich an, falls irgendetwas ist, okay?«

Ich kaue auf meiner Unterlippe und spüre, wie sich mein Puls beschleunigt. »Steven, ich weiß nicht, ob i…«

Steven hebt sofort die Hand und schüttelt den Kopf. »Der Grund, weshalb er sich heute volllaufen lassen hat, bist du, Anna.«

»Wieso?«, frage ich perplex. »Ich hab doch gar nichts gemacht!«

Steven lächelt schief. »Er dachte, dass du nicht kommst. Er war frustriert.«

Irritiert runzle ich die Stirn. »Woher willst du das wissen?«

Carter sah ganz und gar nicht frustriert aus, als er sich von dieser Dumpfbacke hat abschlecken lassen. Jedenfalls hat er sie nicht davon abgehalten oder ihr zu verstehen gegeben, dass er das nicht will.

»Vertrau mir einfach. Nacht, Anna. Bis morgen.«

Mit einem leisen Klick schließt sich die Tür und plötzlich ist es totenstill im Apartment. Ich höre nur meinen eigenen Herzschlag und das Ticken meiner Armbanduhr. Unschlüssig, was ich nun machen soll, drehe ich mich zum Kühlschrank und hole erst einmal eine Flasche Wasser für Carter. Leise schiebe ich die Tür zu seinem Schlafzimmer auf und sofort schlägt mir penetranter Alkoholgestank entgegen. Ich rümpfe die Nase, stelle das Wasser auf den Nachttisch und schiebe das Fenster einen Spalt auf, damit frische Luft zirkulieren kann. Im Bad suche ich nach Schmerztabletten und nehme gleich drei Stück aus der Packung, die ich ebenfalls auf seinem Nachttisch ablege.

Danach räume ich die nassen Handtücher weg und schmeiße sie zusammen mit seinen dreckigen Klamotten in die Waschmaschine. Ich will kurz zu Ava und Aiden rübergehen, um meine Sachen aus dem Gästezimmer zu holen, als ich Carter stöhnen höre. Sofort laufe ich zurück und sehe, dass er im Begriff ist, sich aufzurichten.

»Ist alles in Ordnung? Ist dir wieder schlecht?«, frage ich und greife nach dem Müllkorb, der neben der Tür steht.

Carter erstarrt. »Anna?«, lallt er und kneift ein Auge zu, als er zu mir aufsieht. »Bist du das?«

Ich lächle. »The one and only. Was brauchst du?«

»Ich muss pissen«, stöhnt er und legt den Kopf in seine Hände.

Ich schlucke. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, seinen riesigen Körper allein ins Bad zu manövrieren. Kurz überlege ich, Steven zu rufen, da greift Carter nach meiner Hand und zieht sich nach oben. Ich stemme die Beine in den Boden und helfe ihm, so gut es geht. Als die Decke von seinem Körper rutscht, fällt mir wieder ein, dass er darunter nackt ist und sofort schießt mein Blick an die gegenüberliegende Wand. Jetzt bloß cool bleiben!

Carter kichert und lehnt sich mit seinem gesamten Gewicht auf mich. »Ich wette mit dir, du hast noch nie einen schöneren Pimmel gesehen.«

Unweigerlich muss ich lachen. »Pimmel?«, wiederhole ich.

Carter zuckt mit den Achseln. »Pimmel, Schwanz, Penis, Latte, Ständer«, fängt er an aufzuzählen. »Es gibt hunderte Namen für den kleinen Carter.«

Wieder muss ich lachen.

Carter zwinkert mir zu. »Glaub mir, Beautiful, nichts am kleinen Carter ist klein. Im Vergleich zu mir allerdings ist er winzig.«

Mein Grinsen wird immer breiter. »Du machst es gerade noch schlimmer, glaub mir.«

Er runzelt kurz die Stirn. »Nicht winzig im Sinne von winzig. Der kleine Carter misst immerhin stolze neunzehn Zentimeter. Das sind zwei mehr als bei Lucas. Stevens ist sechzehn Zentimeter lang. Der von Josh …«

Ich lege meine Hand auf seinen Mund und schüttle den Kopf. »Zu viel Information.«

Ich spüre, wie sich seine Lippen hinter meiner Hand zu einem frechen Schmunzeln verziehen.

Während Carter im Bad singend und pfeifend seinem Bedürfnis nachgibt, stehe ich neben der halb geschlossenen Tür und versuche zu verstehen, wie der Abend von superaufregend, zu katastrophal und dann wieder zu Wohlfühlatmosphäre wechseln konnte.

Ich höre, wie Carter sich die Hände wäscht und kurz danach erklingt das vertraute Geräusch einer elektrischen Zahnbürste. Ich schiele ins Badezimmer und muss lachen, als ich sehe, wie er sich mit einer Hand an der Wand abstützt, während er mit der anderen immer wieder versucht, seinen geöffneten Mund zu treffen. Er scheint mich gehört zu haben, denn als er den Kopf hebt und mich im großen Wandspiegel entdeckt, fängt er wieder an zu grinsen und beugt sich übers Waschbecken, um sich den Mund auszuspülen. Ich zwinge meine Augen, nicht über seinen anbetungswürdigen Körper zu wandern, weil ich mir selbst nicht traue. So wenig Barrieren gab es zwischen mir und ihm noch nie.

Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, trocknet er sich Gesicht und Hände. Er wirft das Handtuch auf den Fußboden, kommt auf mich zu und schaltet das Licht aus. Mein Puls schießt durch die Decke, als ich einen Schritt rückwärts gehe, dann noch einen. Carter beabsichtigt nicht, mir Platz zu machen, und plötzlich spüre ich die Bettkante in meinen Kniekehlen. Mein Herz klopft immer schneller, mein Atem kommt stoßweise. Alle Lustbereiche in mir und an mir erwachen und die Endorphine, die durch meinen Körper jagen, drohen meinen Verstand auszuschalten.

»Ich denke, du schuldest mir noch einen Geburtstagskuss, Anna Baker«, flüstert Carter und fährt mit seinen rauen Fingern meine nackten Arme hinauf.

Alle Härchen richten sich gleichzeitig auf und ein wohliger Schauer rieselt über meine Haut.

Carter fasst in meinen Nacken, zieht meinen Kopf sanft nach hinten und beugt sich vor. Sein warmer Atem streichelt mein Gesicht und er ist mir jetzt so nah, dass ich zum allerersten Mal trotz des fahlen Lichtes, das durch das Fenster scheint, die goldenen Flecken in seinen braunen Augen wahrnehme. Ich schlucke, was Carter deutlich spürt, weil seine Hand über meinem Hals abwärtsgleitet. Ich halte mich an seinem Handgelenk fest, damit ich den Halt nicht verliere und als unsere Münder nur noch wenige Millimeter voneinander entfernt sind, fallen meine Lider zu und ich recke ihm das Kinn entgegen. Warme, feste Lippen landen unerwartet zärtlich auf meinen. Ich atme zitternd ein, als er mit seiner Zungenspitze die Kontur meiner Oberlippe nachzeichnet. Jede Nervenzelle meines Körpers schlägt Alarm. Adrenalin strömt in meine Blutbahnen, setzt mich unter Strom. Ich fühle mich, als würde ich auf der Spitze eines Turms stehen und nach unten schauen. Meine Gliedmaßen vibrieren, Hitze breitet sich in mir aus.

»Schalt deinen Kopf aus, Beautiful. Es geht um diesen Moment. Vergiss was war und denk nicht daran, was morgen ist. Hier. Wir beide. Du und ich. Anna und Carter.«

Ich öffne die Augen und schaue direkt in seinen flehentlichen Blick.

»Vertraust du mir?«, fragt er.

Ich nicke, ohne nachzudenken.

»Dann lass mich dir zeigen, wie gut wir zusammen sind.«

Er gibt mir keine Gelegenheit mehr, ihm zu widersprechen oder meine Bedenken zu äußern. Hungrig gleitet seine Zunge in meinen Mund, nimmt mich in Besitz. Carters Hände streicheln mich, liebkosen mich, verführen mich.

Und ich?

Ich schließe meine Zweifel weg, trete über die Kante und stürze mich von meinem sicheren Turm, weil ich wenigstens einmal erleben will, wie es sein könnte.

4

Carter

»Guten Morgen, Sonnenschein!«

Die ansonsten elfengleiche Stimme meiner besten Freundin reißt mich völlig unvermittelt aus dem Schlaf. Als ich die Augen öffne, werde ich sofort von grellem Sonnenlicht geblendet und drehe ruckartig den Kopf zur Seite. Ein blöder Fehler, denn mein Hirn erreicht die Meldung erst eine Sekunde später und knallt mit Wucht gegen meine Schädeldecke. Hämmernder Schmerz lässt mich zusammenzucken und ich presse das Gesicht stöhnend ins Kopfkissen.

»O Scheiße, die Kerzen!«

Ich höre die Panik in Avas Stimme und bin sofort hellwach. Meine Freundin steht mit weit aufgerissenen Augen in der Schlafzimmertür und in den Händen hält sie einen Kuchen, der lichterloh brennt.

»Scheiße, Babe, was hast du vor?« Ich springe aus dem Bett und eile zu ihr. »So hässlich ist meine Bettwäsche nun wirklich nicht«, scherze ich und nehme ihr die Fackel ab, um sie in der Küchenspüle zu versenken.

»Das ging dann mal gründlich daneben«, stellt Ava zerknirscht fest und wirft mir ein Handtuch zu, um den Brand damit zu ersticken.

Der dabei entstehende Qualm sorgt dafür, dass der Rauchmelder über uns anspringt und einen Höllenlärm verursacht.

»Was zum Teufel macht ihr hier?« Aiden spaziert lässig zur Tür herein. Doch kaum entdeckt er seine Freundin in der Nähe unseres kleinen Lagerfeuers, zieht er sie sofort zur Seite und dreht den Wasserhahn auf. »Seid ihr jetzt vollkommen durchgeknallt? Wieso zündet ihr den Kuchen an?«

»Der war noch roh in der Mitte«, antworte ich achselzuckend und öffne die Schranktür unter der Spüle, um die verkohlten Reste in den Müllcontainer zu schmeißen.

Ava fängt an zu kichern und drängt sich an Aiden vorbei, um mir um den Hals zu fallen. »Happy Birthday, Carter! Und sorry wegen des Kuchens. Ich hätte vielleicht ein paar weniger Kerzen nehmen sollen.«

Ich hebe eine Braue und schaue auf den Klumpen Wachs hinunter. »Wie viele waren es genau?«

»Zweiundfünfzig«, gibt sie grinsend zu.

Ich verdrehe die Augen und wuschle durch ihre dichten Locken. »Ich hoffe, das war dir eine Lehre.«

»Fuck Leute, kann mal jemand diesen Krach ausschalten?« Steven taucht auf und hält sich die Ohren zu. »Das Scheißpiepen nervt!« Er springt auf einen Stuhl, zieht den Melder von der Decke und entfernt die Batterie. Dann wirft er beides auf die Küchentheke, klopft mir im Vorbeigehen auf den Rücken und gratuliert mir zum Geburtstag. »Bis später. Frühstück war um zehn, Babe?« An der Tür dreht er sich kurz noch einmal zu Ava um, die geknickt auf das Kuchenmassaker in der Mülltonne schaut.

»Ja, um zehn.« Sie greift nach Aidens Handgelenk und checkt die Zeit auf seiner Uhr. »Also in sechs Minuten.« Dann sieht sie wieder zu mir. »Aber wie es aussieht, verschieben wir das Frühstück wohl um eine halbe Stunde, damit Carter Zeit hat, zu duschen.«

»Der Junge hat heute Nacht schon geduscht«, schaltet sich Aiden ein. »Sechs Minuten!« Er sieht selbst auf seine Uhr, »jetzt noch fünf, sollten reichen, um sich Hose und Hemd anzuziehen.« Er legt den Arm um seine Freundin und verlässt gemeinsam mit ihr mein Apartment.

»Ich habe heute Nacht geduscht?«, frage ich und sehe an mir herunter. »Habt ihr mich danach etwa auch wieder angezogen?«, will ich wissen und deute auf die weiße Boxerbriefs, die ich trage. Eigentlich schlafe ich nackt.

Steven runzelt die Stirn. »Aiden, Josh und ich haben dich heute Nacht geduscht. Du warst von oben bis unten vollgekotzt.«

»Echt?« Komisch, daran erinnere ich mich überhaupt nicht. »Wann habe ich gekotzt?«, hake ich nach und kratze mich an der Schläfe.

Steven schiebt die Brauen zusammen.

---ENDE DER LESEPROBE---