(Nicht) Ohne mich! - Gabriele Munz-Orasch - E-Book

(Nicht) Ohne mich! E-Book

Gabriele Munz-Orasch

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Beschreibung

Der Roman handelt von sechs Hauptprotagonisten, deren interessante und doch so gewöhnliche Lebensgeschichten miteinander verwoben und verstrickt sind. Lisbeth, Nathalie, Isabelle, Erich, Rico und Anisha. Es sind Menschen wie du und ich mit Bedürfnissen, Ängsten, Träumen und Sehnsüchten. Als Leser mittendrin kann man sich berühren lassen von Emotionen, Erkenntnissen und dem Mut zum Aufbruch. Raus aus der Resignation, raus aus der Opferhaltung, rein ins Abenteuer der Selbstverantwortung für das eigene Leben. Nebst purer Unterhaltung inspirieren Lösungsansätze in ungewohnten Denkfeldern, erweitern das Bewusstsein und öffnen Tore zu eigenen Ressourcen, wenn man das denn möchte.

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Seitenzahl: 483

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Zitat

«Die Leute meinen, ein Seelenfreund sei jemand, der perfekt zu einem passt, und genau das wünschen sich alle. Aber ein wirklicher Seelenfreund ist ein Spiegel, ist der Mensch, der dir alles zeigt, was dich hemmt, der dir zeigt, wer du bist, damit du dein Leben ändern kannst. Ein wahrer Seelenfreund ist wahrscheinlich der wichtigste Mensch, den du je treffen wirst, weil er deine Mauern niederreisst und dich ohrfeigt, bis du aufwachst.»

Elizabeth Gilbert

US-amerikanische Schriftstellerin

Inhalt

Vorwort

Anmerkungen der Autorin

Kapitel 1-44

Nachwort

Kapitel

1. Nathalies Geburtstag

2. Gräuliche Wolken

3. Selbstverwirklichung

4. Aussicht auf Versöhnung

5. Indien

6. Die Reise

7. Es reicht

8. Auszeit

9. Vom Schatten ins Licht

10. Ayurveda

11. Freundinnen

12. Überraschung

13. Ja zum Leben

14. Heilung an Weihnachten

15. Yoga kann zwicken

16. Tschüss Schmerz

17. Tropfen im Ozean

18. Die Diagnose

19. Die kleine Bar

20. Du bist geliebt

21. Prozesse

22. Träume

23. Irgendwie geht es weiter

24. Heraus aus dem Leiden

25. Teamarbeit

26. Das Leben ist schön

27. Was passiert

28. Freunde

29. Das Abenteuer beginnt

30. Gelandet

31. Emotionen

32. Abgrenzung

33. Ankommen

34. Gipfelbesteigung

35. Ausbruch

36. Eröffnung

37. Schock

38. Auf dem Weg

39. Vorbereitung

40. Erkenntnisse

41. Emotionen

42. Vorstellungen

43. Entscheidung

44. Abschied

Vorwort

Beatrice Bühler-Sager

PaarBegleitung mit dem VertrauensDialog

www.VertrauensDialog.ch

Dieser Roman hat mich berührt – und erinnert.

Daran, dass es im Leben oft nicht darum geht, was der andere sagt oder tut... 'sondern einzig und allein darum, wie wir selbst darauf reagieren.'

Dieser eine Satz hat sich eingebrannt. So schlicht. So wahr.

Die Autorin/Gabriele schafft etwas Seltenes:

Sie erzählt unterhaltsam, nimmt uns in unterschiedliche Welten mit

– und öffnet zugleich Räume für Entwicklung.

Mit farbiger Sprache, lebendigen Figuren und einer Leichtigkeit, die trägt, ohne zu banalisieren.

Zwischen Zeilen und Szenen blitzen Erkenntnisse auf. Nicht mit erhobenem Zeigefinger – sondern mit einem Augenzwinkern. Mit Herz, Tiefe und dem Mut, uns an die eigene Verantwortung zu erinnern.

Ein Roman, der unterhält – und dabei heilt.

Ein Buch, das uns einlädt, bei uns selbst anzukommen.

Und vielleicht ein kleines Stück anders zu leben.

Ich wünsche diesem Buch viele Leserinnen und Leser.

Anmerkungen der Autorin

Warum habe ich dieses Buch geschrieben?

Im Laufe meines Lebens habe ich festgestellt, dass ich Geschichten brauche, um mich selbst zu erkennen. Geschichten anderer Menschen erzeugen Bilder, Emotionen und spiegeln letztendlich, welche Geschichten in mir selbst ablaufen. Vielleicht ohne, dass ich mir derer bewusst bin. Täglich spielen sich Geschichten vor uns ab, denen wir mehr oder weniger Aufmerksamkeit schenken. Im eigenen Umfeld, in den Medien, Filmen, Büchern, am Bahnhof oder am Nebentisch im Restaurant. Manche Geschichten lassen uns kalt, gehen uns nichts an oder, berühren. In irgendeiner Form erzeugen sie Emotionen in uns. Spätestens dann haben sie etwas mit uns selbst zu tun.

Philosophische Themen und die Psyche des Menschen zogen mein Interesse schon in jungen Jahren auf sich. Durch stete Weiterbildung habe ich mir ein gutes Basiswissen angeeignet und lernte Methoden kennen, mit denen ich mein durchaus bewegtes Leben in eine ausgeglichene Balance führen konnte.

Selbsterkenntnis hatte zu Selbstverantwortung geführt und Selbstverantwortung zu Selbstermächtigung.

Es gibt unzählige, sehr gute und unterstützende Literatur und Ratgeber im Bereich Lebenshilfe. Der vorliegende Roman vermittelt Anregungen durch Geschichten. Es sind Geschichten aus dem Leben. Du kannst sie lesen als Beobachter und darfst dich gerne einfach unterhalten lassen. Vielleicht berührt dich die eine oder andere, vielleicht öffnet sie dir die Augen für etwas, das dir gar nicht bewusst war. Und vielleicht helfen dir diese Geschichten auch ein Stück weit zu deiner Selbstermächtigung.

Ich habe mich entschieden, auf die Genderneutralität in meinem Text zu verzichten, da dies meines Erachtens den Lesefluss hemmt. Ich persönlich fühle mich auch in der maskulinen Form gewisser Ausdrücke angesprochen. Das kann vielleicht einfach Gewohnheit sein. Doch ich spüre als Frau auch den männlichen Anteil in mir (Anima und Animus nach C.G. Jung) und glaube an die Androgynität der Seele, egal in welchem biologischen Körper sie grade steckt. Vielleicht verbergen sich dort Antworten auf das heiss diskutierte Thema.

Viel Freude beim Lesen und Miterleben der folgenden Geschichten.

1. Kapitel – Nathalies Geburtstag

Nathalie lacht und strahlt über das ganze Gesicht, während sie ihr leeres Glas hochhält. «Bitte noch einen Drink für mich, Darling!»

Heute ist der 17. August und ihr Geburtstag. Nicht irgendein Geburtstag, es ist der zwanzigste. Endlich eine ‘2’ vorne, das will sie feiern. Sie fühlt sich plötzlich so erwachsen. Schon seltsam, was eine Zahl bewirken kann. Es ist nur eine Zahl. Nico streicht ihr zärtlich eine Haarsträhne aus dem glühenden Gesicht.

«Du gibst aber Gas, Süsse», meint er grinsend und bestellt ihr noch einen ihrer Lieblingsdrinks, einen Prosecco Cocktail mit Ananas, Rum und Kokosmilch.

«Herrlich», schwärmt Nathalie, als der erste Schluck aus dem bereits dritten Glas prickelnd durch ihre Kehle gleitet. «Ich bin so glücklich, Nico!» Anschmiegsam wie eine Katze schlingt Nathalie die Arme um den Hals ihres Freundes und schaut ihn verliebt an. «Dass ich dich habe, dass du bei mir bist», ergänzt sie flüsternd und drückt ihm einen zarten Kuss auf den Mund.

«Ich bin auch glücklich, dass ich dich habe, Süsse», erwidert Nico mit seiner männlich rauchigen Stimme, nimmt ihren Kopf in seine Hände und küsst sie lange und leidenschaftlich. Der Alkohol verstärkt ihre Gefühle und Nathalie freut sich mit ungeduldiger Sehnsucht auf die gemeinsame Nacht.

«He ihr beiden Turteltäubchen, könnt ihr nicht eiiinmaal die Finger voneinander lassen!» Kichernd und alles andere als einfühlsam drängt sich Anna zwischen sie. «Ich möchte auch etwas von meiner Freundin an ihrem Geburtstag. Komm, ich muss dir was zeigen», fordert sie Nathalie auf und greift deren Hand. Nathalie lässt sich vom Barhocker gleiten und zwinkert Nico zu, der den beiden nur kopfschüttelnd nachschaut, bevor er sich auf ein Gespräch mit seinem Motorradkumpel einlässt.

«Was gibt‘s denn?», fragt Nathalie neugierig und hastet ihrer Freundin hinterher, die sie lachend durch die Disco bis zur Tanzfläche zieht, vorbei an feiernden Menschen, die für ein paar Stunden die Ernsthaftigkeit des Lebens vergessen.

«Voilà!» Anna öffnet ihre Arme, winkt dem Discjockey kurz zu, der wie vereinbart sofort reagiert und gekonnt den Übergang zum nächsten Musikstück einleitet. Anna beginnt sich auch schon im Rhythmus mit der Raggae Musik zu bewegen. «Don’t worry, be happy», trällert sie aus vollem Hals zu Bobby Mc Ferrin’s Stimme und schaut ihre Freundin auffordernd an. «Dein Lieblingslied! Ich hab’s mir beim DJ für dich gewünscht. Lass uns tanzen!» Im Takt zur Musik wiegt sich Annas Körper mit sanft schwingenden Armen, sie dreht sich im Kreis mit geschlossenen Augen und gibt dem Song einen Ausdruck von Gelöstheit, Anmut und Leichtigkeit. Nathalie schmunzelt berührt und lässt sich ein auf den Rhythmus der Glückseligkeit. Was für ein schöner Tag!

Am Morgen war sie bei ihrer Mutter zum Frühstück. Von ihrem Vater hat Nathalie, wie jedes Jahr, eine Karte bekommen. Er ist wieder am Reisen, wieder in Indien. Mit seiner Lebenspartnerin, Anisha, einer Inderin. Er schrieb, dass er nicht wisse, wie lange die Karte brauche und sie deshalb bereits abschicke. Natürlich an Mamas Adresse. Nathalie lächelte etwas wehmütig. Schade, dass sie sich weder hören noch sehen. Aber Nathalie hat sich daran gewöhnt, einen ‘Kartenvater’ zu haben. Sie kennt es ja nicht anders, hat nie einen physischen Vater gehabt und vermisst ihn somit auch nicht wirklich. Natürlich ist die Vorstellung verlockend, einen Vater zu haben, der für sie da ist und den man als kleines Mädchen heiraten möchte. Aber nun denn, ihr Leben mit Mama war ganz wunderbar und nein, sie glaubt nicht, dass ihr etwas fehlt. Oder gefehlt hat. Solange ihr nicht eingeredet wird, dass sie ihn doch bestimmt vermissen würde. Kann man denn etwas vermissen, das gar nie da war? Ausserdem gibt es Kulturen, zum Beispiel die Mosuo, ein im Südwesten von China lebendes Volk, das matrilinear organisiert ist. Das bedeutet, dass die Frauen das Sagen haben respektive die Mutter. Vererbungen von sozialen Eigenschaften und Besitz werden jeweils von der Stammutter der Tochter übertragen. Die Söhne erben nichts als den Familiennamen ihrer Mutter sowie die Zugehörigkeit zu einem Clan. Die Vaterlinie bleibt somit unbedeutend. Die Mosuo kennen auch die Ehe nicht zwischen Mann und Frau, welche sie übrigens als Gefahr für das Glück sehen. Sie leben vielmehr die Besuchsehe, die so lange dauert, wie sie eben dauert. Mal eine Nacht lang, vielleicht Wochen, Monate, aber auch Jahre sind möglich. Obwohl der biologische Vater meist bekannt ist, spielt er niemals dieselbe Rolle wie bei uns im Westen. Den Bezug zum männlichen Geschlecht haben diese Kinder zu den Brüdern der Stammutter. Lisbeth war fasziniert von dieser Kultur, eben weil sie ein Beweis dafür ist, dass Kinder keinen Schaden davontragen müssen, wenn der biologische Vater nicht in der Familie lebt. Also schlussfolgerte sie, sind psychische Störungen von Kindern in unserer Gesellschaft aus einer Scheidungsfamilie nicht auf die Trennung der Eltern per se zurückzuführen, sondern auf die Haltung unserer Gesellschaft diesbezüglich.

Nathalie hatte sich selbstverständlich ebenfalls mit dem Thema auseinandergesetzt und musste sich oft wehren gegen Aussagen ihrer Kameraden, also den wenigen, die noch in einer sogenannt ‘intakten Familie’ leben, dass sie ihren leiblichen Vater nicht vermisse. In der Zwischenzeit ist es ‘normal’, in unterschiedlichsten Familienkonstellationen aufzuwachsen und für die kommenden Generationen, eben die Norm. Also insofern, alles gut mit ihrem ‘Kartendaddy’.

Obwohl sie ihn dennoch einfach gerne kennenlernen würde. Durch die Gespräche mit ihrer Mutter verstand sie, dass Rico, also ihr leiblicher Vater, sich für diesen Weg entschieden habe und man nichts erzwingen könne. Und Lisbeth wollte ihrer Tochter auf keinen Fall den eigenen Schmerz überstülpen. Nathalie sollte mit einer anderen Haltung aufwachsen, liberaler, offener. Doch Fakt ist, dass die Gefühle der Eltern auch in den Zellen der Kinder schlummern. Also insofern, doch noch nicht alles so gut mit ihrem ‘Kartendaddy’.

«Die Zeit wird’s zeigen», sagte ihre Mutter immer wieder.

«Irgendwann taucht er vielleicht plötzlich auf.»

«Ja, das wär doch cool», war Nathalies Reaktion. «Würde mich schon interessieren, was für ein Typ er ist. Immerhin habe ich seine Gene», lachte sie dann.

Nathalie lehnte die Karte behutsam an die Vase mit den frischen Wiesenblumen, die ihre Mama noch für den Frühstückstisch gepflückt hatte. Sie wechselten einen vielsagenden Blick, wollten aber nicht mit denselben Diskussionen anfangen. Nicht heute. Stattdessen klaubte Nathalie eines der lecker duftenden Dinkelbrötchen aus dem Körbchen, welche Lisbeth frisch gebacken hatte und plauderte drauf los. Über alles Mögliche. Es war ein richtig schönes Geburifrühstück!

Mit ihrer Mutter hat Nathalie ein enges Verhältnis, sie schätzen einander sehr. Nein, als Freundinnen würden sie sich nicht bezeichnen. Da kann sich Nathalie gut abgrenzen und auch Lisbeth hat gelernt, ihr Kind loszulassen, ohne es fallen zu lassen. Eine Formulierung, die sich Lisbeth immer wieder verinnerlichen muss. Loslassen, ohne fallen zu lassen. Das trifft es ihrer Meinung nach, auch wenn es ihr oft schwerfällt. Als Mutter für ihr Kind da zu sein, wann immer es ihre Unterstützung braucht, fällt ihr leicht. Die Liebe ist immer da. Dennoch darf sie ihr Kind loslassen und muss es auch und das ganz ohne schlechtes Gewissen. Was ja nichts anderes bedeutet, als dem eigenen Kind zu vertrauen und es auch eigene Erfahrungen machen zu lassen, selbst wenn diese sich nicht ganz so toll anfühlen werden. Wie soll es denn wissen, was ‘heiss’ bedeutet, wenn es die Herdplatte nie berührt hat? Nathalie muss sie immer wieder mal daran erinnern. «Mamaa, ich bin erwachsen, ich weiss schon, was ich tue», ermahnt sie Lisbeth dann neckisch oder manchmal auch richtig genervt. Besonders wenn Lisbeth es nicht lassen kann, die Diskussion abzuschliessen mit einem ‘na-du-wirst-schon-sehen’. Aber so sind Mütter nun mal. Und Väter wohl auch. Das wissen sie beide.

Nico kam nicht zum Frühstück, weil er eine herausfordernde Nachtschicht hinter sich hatte. Mit der Erfahrung, dass man als Polizist von den Nachtschwärmern eher angepöbelt als respektiert wird. Das kostet Nerven. Die Selbstkontrolle nicht zu verlieren und dennoch klar und unmissverständlich einzugreifen, wenn die Situation es erfordert. Deshalb war Nico froh, einfach nur schlafen zu können und dafür fit zu sein, um abends mit seiner Liebsten ausgiebig zu feiern.

Nathalie geniesst die Momente mit ihrer Mutter sehr, besonders, seit sie ausgezogen ist. Das Zusammenleben war bei weitem nicht immer nur harmonisch und manchmal knallte es heftig, besonders während der Pubertät natürlich. Dennoch hatte sie stets ein Gefühl tiefster Geborgenheit. Ist eine gesunde Abnabelung überhaupt möglich ohne Rebellion? Diese Frage hatte sich Lisbeth des Öfteren gestellt, wenn sie zwischendurch in einem Meer von Selbstzweifeln badete. Trotz aller Bemühungen wird es wohl immer eine Phase geben, in der die Kinder alles werden wollen, nur niemals so wie die eigene Mutter oder der eigene Vater. Wer kennt das nicht?!

Ach ja, irgendwie scheint sie es doch ganz gut gemeistert zu haben. Denn trotz der herausfordernden Aufgabe, ihr Kind grosszuziehen und auf das eigene Leben vorzubereiten, gelang es Lisbeth meistens, Nathalie ein Gefühl von ‘alles-ist-trotzdem-gut’ zu vermitteln und sich geliebt zu fühlen. Die Harmonie in der Disharmonie gleichzeitig zu erleben, das war ihr immer wichtig. Emotionen und Wutausbrüche zu integrieren als normaler Bestandteil menschlichen Zusammenlebens, statt der ständigen Harmoniesucht von andauerndem Frieden anheimzufallen und jegliche Auseinandersetzung als ein Scheitern zu empfinden. Diese Überzeugung auch wirklich zu fühlen, bedarf einer grossen Bereitschaft zur Selbstreflektion. Mit viel Selbstliebe und Geduld, sowohl mit sich selber als auch mit dem Gegenüber. In den tiefgründigen Gesprächsmomenten bestätigt ihr Nathalie, wie sehr sie genau diese Haltung heute zu schätzen wisse. Und dass ihr Lisbeth immer wieder Raum gab für Kommunikation, wenn Nathalie denn dafür bereit war, sich auch über sehr persönliche Themen mitzuteilen, mit denen sie manchmal nicht umzugehen wusste. Und dass es gut ist, wie es ist. Auch wenn es ihr nicht immer gefällt, wie es grade ist. Das ist auch so ein Schlüsselsatz, den ihr Lisbeth mit auf den Weg gegeben hat und der ihr selbstverständlich gar nicht immer gefällt. «Es ist gut, wie es ist. Immer.»

Noch vor zwei, drei Jahren konnte sich Nathalie in endlosen Grübeleien verlieren, wenn sie mit irgendetwas, einer Situation oder einem Menschen haderte. Den Fehler suchte sie sowieso immer bei sich. Um dann letztendlich aber doch dem anderen die Schuld zuzuschieben, nur um ihr eigenes Verhalten, vor allem sich selbst gegenüber, irgendwie zu rechtfertigen. Dank der etlichen Diskussionen über dieses Thema versteht sie inzwischen immer besser, dass es nie um Schuld geht, wohl aber um Verantwortung. Und wie wertvoll diese Unterscheidung für das eigene Wohlbefinden sein kann. Wenn sie Verantwortung übernimmt für ihr Verhalten und die Konsequenzen daraus, gibt ihr das irgendwie Kraft. Wenn sie sich schuldig fühlt, verliert sie Kraft. Ebenso beim Gegenüber. Wenn sie die Verantwortung beim anderen lassen kann, lässt sie ihm auch eine gewisse Würde und sie können sich auf Augenhöhe begegnen. Wenn sie dem Gegenüber Schuld gibt, entsteht ein Gefälle, das keinem guttut. Konflikte sind immer ein Lernprozess für alle Beteiligten.

Lisbeth kennt das. Nur zu gut. Also die Grübelei. Sie ist froh, ihrer Tochter ein Werkzeug mitgeben zu können, um aus diesem Hamsterrad auszusteigen. Lisbeth ist MBSR-Lehrerin. <Mindfulnes-Based-Stress-Reduction> nach Jon Kabat-Zinn. Natürlich stammt auch diese Methode aus Amerika. Wie eben so Vieles aus den Staaten nach Europa rüber schwappt. Gutes und weniger Gutes. Doch diese Methode gehört definitiv zu den guten Sachen und hat Lisbeth so quasi das Leben gerettet. Oder mindestens verhindert, dass sie am Selbstmitleid zugrunde ging.

Lisbeth hat sich im Laufe ihres Lebens entschieden lernen zu wollen, grundsätzlich einverstanden zu sein, mit dem was ist. Schlicht aus dem Grund, weil es ist, wie es ist. So banal, so logisch. Man könnte es auch ‘akzeptieren’ nennen, doch ‘einverstanden sein’ hadert nicht mehr. Wieder ein wesentlicher Unterschied. Die Akzeptanz kann einen immer noch als Opfer fühlen lassen auf dem sumpfigen Boden unterschwelliger Resignation. Einverstanden sein entbehrt jeglicher Opferhaltung. Einverstanden sein bedeutet, die volle Eigenverantwortung zu übernehmen für den Ist-Zustand. Dass es nun mal einfach ist, wie es ist, Punkt. Und das Beste daraus zu machen. Was nicht heisst, dass man nichts verändern kann. Wie oft wollte Lisbeth aus einem Zustand raus, einfach nur raus. Doch das ist erst die dritte Stufe auf der Leiter. Oft überspringt man die zweite und quält sich über den sumpfigen Boden.

Die erste Stufe ist zu akzeptieren, dass das Leben, oder die eigenen Entscheidungen, einen dort hingesetzt hat, wo man sich grade befindet, das hat Lisbeth definitiv kapiert. An einen Geburtsort, zu diesen Eltern, zu diesem Partner, in diese Lebenssituation. Die zweite Stufe ist einverstanden sein, dass es eben so war und ist, wie es war und ist. Einverstanden sein beinhaltet die Überzeugung, dass der Mensch aus jeder Erfahrung etwas lernen und sich auf der geistigen Ebene weiter entwickeln kann. Doch diese Überzeugung verfestigte sich erst Jahre später in Lisbeths Bewusstsein. Das war harte Arbeit. Wie lange hatte sie mit ihrem Leben gehadert, mit ihren Eltern, mit ihrer unglücklichen Mutter, mit ihrem emotional nicht präsenten Vater. Und dann, ja, dann auch mit ihrer Schwangerschaft. Sie war ganz und gar nicht einverstanden und nein, es hatte ihr ganz und gar nicht gefallen! Siebzehn Jahre alt war sie! Voller Pläne und Ideen, voller Enthusiasmus, Kämpfergeist und… total verliebt. In Rico, ihren Jugendfreund. Mit dem sie so gut diskutieren konnte, von dem sie sich so verstanden fühlte. Mit ihm zusammen wollte sie die Welt nicht nur erobern, sondern auch verändern! Sie wollten gemeinsam eine bessere Welt kreieren. Wie, das wussten sie damals noch nicht so richtig. Nur anders sollte sie werden, die Welt. Einfach besser eben. Was auch immer das bedeutete. Weniger Klimaverschmutzung, keine Kriege, kein Streit, kein Hunger, mehr Liebe halt. Die Liebe fliessen lassen, wohin auch immer sie strömt.

Nun ja, sie strömte dann auch in ihre Eierstöcke. Tja, das war so nicht geplant. Überhaupt nicht, so ganz und gar nicht war das geplant. Trotzdem passierte es. Sie hatten auch nicht geplant, an diesem kleinen See Liebe zu machen. Doch im Schutze der Dunkelheit fühlten sie sich sicher. In ihrem jugendlichen leichten Sinn fühlten sie sich grundsätzlich sicher. Es war spät abends damals und die Stimmung einfach zu schön, inmitten der Natur an jenem herrlichen Fleckchen Erde. Genau da die frisch entdeckte Körperlichkeit, die Sexualität zu geniessen in ihrer Natürlichkeit, das hatte einfach gepasst. Jugendliche Leidenschaft auf allen Ebenen liess sie unbezwingbar erscheinen mit einem grenzenlosen Optimismus für die Zukunft. Das dachten sie jedenfalls. Nur nicht daran, dass etwas ganz plötzlich einschlagen kann.

Die Schwangerschaft war ein Schock für beide und versetzte sie in eine Realität, die sie sich definitiv so nicht erträumt hatten. Jedenfalls nicht bewusst. Es war einfach viel zu früh, passte absolut nicht in ihren Zeitplan und entbehrte jeglicher sorgfältigen Planung. Wie ein Hausbau auf sandigem Boden, ohne Fundament.

Trotzdem wollte Lisbeth das Kind behalten. Ihr Verstand sagte nein, ihr Herz ja. Sie hörte auf ihr Herz. Ricos Verstand sagte nein, sein Herz schrie nein. Er hörte auch auf sein Herz.

Nach etlichen Gesprächen, Tränen und unkontrollierten Gefühlsausbrüchen beschlossen sie, sich zu trennen. Lisbeth war zutiefst enttäuscht. Von diesem Leben, das so ganz und gar nicht nach ihren Wünschen verlief und von wegen Selbstverwirklichung! Von Rico, mit dem sie sich so verbunden fühlte, ihm vertraute, er aber mit der Tatsache Vater zu werden vollkommen überfordert war. Sie waren beide siebzehn, mitten in den Vorbereitungen für ihr Studium, mitten in ihren Illusionen und Vorstellungen von einer Welt, die doch so anders sein sollte, als sie jetzt war. Alle Träume geplatzt.

Es war keine einfache Zeit. Und in die Obhut ihrer Mutter wollte Lisbeth das Kind nicht geben, auf gar keinen Fall. Dies wäre zwar die einzige Option gewesen, um an ihrem Studium dranbleiben zu können. Doch schon beim Gedanken daran wurde ihr schlecht. Und sie kotzte eh schon zweimal täglich. Sie war der schmerzhaften Meinung, ihre Mutter könne es nicht so mit Kindern. Und das wollte sie dem neuen Leben und sich selbst nicht zumuten. Ausserdem wäre ihre Mutter über diese unfreiwillige Aufgabe sowieso nicht in Jubel ausgebrochen. Das bewies ihre Reaktion, als Lisbeth sie einweihte. Also blieb ihr nur, die Schule zu schmeissen und sich um einen Job zu bemühen, der es ihr ermöglichte, finanziell irgendwie auf eigenen Beinen zu stehen und dennoch für ihr Kind da zu sein. Die Betreuung hauptsächlich mit einer Kita abzudecken, sofern diese Kosten nicht ihren gesamten Lohn einforderten. Ohne vorübergehende Sozialleistungen würde es wohl kaum möglich sein. Sie wünschte sich, abends und an den Wochenenden in einer eigenen Wohnung ihre Ruhe zu haben. Und ja, vielleicht irgendein Fernstudium zu packen von zuhause aus. Es würde dennoch genug Gelegenheiten geben, wo sie froh um das Einspringen ihrer Mutter sein würde. Die Wohnung vielleicht nicht allzu weit vom Elternhaus entfernt, um nicht auf ein Auto angewiesen zu sein. Ihr Kopf schwirrte und es war ihr jeden Tag übel. Eine komplett andere Ausgangslage als geplant. Es dauerte Monate, bis Lisbeth sich einigermassen gefangen hatte. Etliche Sitzungen bei einer Psychotherapeutin, ausgiebige Gespräche mit Freunden und auch ihrer Mutter (!) und ganz viel Schokolade halfen ihr dabei, nicht nur die Trennung von Rico zu verarbeiten, sondern sich auf ein komplett neues und vor allem tatsächlich anderes Leben einzustellen. Sie wollte es ja immer anders haben, aber nicht so. Nein, es war nichtgut, wie es war. Lisbeth war so gar nicht einverstanden mit dem Verlauf ihres Lebens. Sie haderte und spürte enorme Widerstände. Grundsätzlich glaubte sie an einen Gott. Doch zu jenem Zeitpunkt war Beziehungspause, offline. Lisbeth kämpfte sich gefühlt alleine durch. Wie immer. Nichts neues eigentlich. Sie war schon seit jeher eine Kämpferin. Eine Überlebenskämpferin halt.

Die Geburt rückte näher, Rico versprach, sie irgendwann wenigstens finanziell zu unterstützen und bat sie um Verzeihung. Von Schuldgefühlen geplagt schmiss auch er die Schule und verschwand erst einmal, irgendwo ins Ausland, wo er sich mit Low-budget und Gelegenheitsjobs auf irgendwelchen Farmen ‘selbst finden wollte’, wie er ihr schrieb. Lisbeth war sauer. ‘Viel finden wirst du nicht’, dachte sie verbittert und versuchte zu funktionieren.

Ihre Eltern unterstützten sie weiterhin, wenn auch beide anfänglich wirklich geschockt waren über die unerwartete Tatsache, bereits Grosseltern zu werden. Von ihrem Kind, das doch selbst noch ein Kind war.

Lisbeths Vater äusserte sich nur spärlich und wand sich um diese neue Situation wie ein glatter Aal. Lediglich seine Lippen wurden noch schmaler. Er war schon immer wortkarg, sprach nie viel und wenn, dann meistens über Dinge, die persönliche Empfindungen aussen vorliessen. Manchmal hätte sie sich tatsächlich gewünscht, er würde sie wenigstens anschreien. Es war Lisbeth nie gelungen, ihrem Vater auf einer tieferen Ebene zu begegnen. Physisch war er irgendwie da, emotional irgendwie nie. Er wich immer aus. Aber er sorgte gut für die Familie. Brachte regelmässig das Geld nach Hause und kümmerte sich um verstopfte Abflüsse. Das reichte ihrer Mutter, um das sichere Nest nicht zu verlassen. Bloss das nicht. So war ja alles geregelt und niemand zeigte mit dem Finger auf sie. ‘Nun, das könnte sich bald ändern’, dachte Lisbeth, als sie das gebrauchte Kinderbettchen von der Nachbarin entgegen- und das neugierige Flackern in deren Augen wahrnahm. Doch auch ihre Mutter war tatsächlich dankbar für jegliche Unterstützung in jener Phase. Auch sie durchlief einen Prozess und nahm letztendlich gerne Hilfe an. Sollten die Leute doch denken, was sie wollten. Sie hielt zu ihrer Tochter. Und wünschte sich selbst so sehr ein besseres Verhältnis mit ihr. Über den eigenen Schatten zu springen, fiel ihr dennoch schwer. Nähe zulassen hatte sie selbst nie gelernt. Ob ihr Mann deshalb innerlich so weit weg war? Nun, vielleicht gelingt es ihr ja mit dem Enkelkind, hoffte sie. Sie möchte wenigstens eine gute Grossmutter sein.

Irgendwie wuchsen alle in die neue Situation hinein und Lisbeth kam tatsächlich auch ihren Eltern etwas näher. Diese Hinbewegung war fast ein bisschen so, wie ein Fundament zu festigen. Sie sprachen zwar nicht über ihre Beziehungen, trotzdem veränderten sie sich.

Tja, Nathalie wurde geboren und… veränderte noch einmal Lisbeths Welt! Was für ein Engel da in ihr Leben geflogen kam, was für ein warmes, zärtliches Gefühl sich in der jungen Mutter ausbreitete. Vom ersten Augenblick, als sie ihr Kind in den Armen hielt und ins kleine Öhrchen flüsterte: „Wir werden das schon schaffen, wir beide!“ Dieses Band der Liebe verbindet sie bis heute. Und es wurde von Jahr zu Jahr inniger, durch alle Herausforderungen und Entbehrungen hindurch. Keinen Tag hatte Lisbeth es bereut, diesem Wesen den Eintritt in die Welt zu ermöglichen. In eine Welt, die sich dauernd verändert, ob geplant oder nicht geplant.

2. Kapitel – Gräuliche Wolken

Erich steigt das Blut in den Kopf. Er schaut Isabelle zornig an. «Warum schreibst du mir immer alles vor, lass - mich - in - Ruhe!» Wütend verlässt er das Haus, die Türe knallt.

Isabelle steht da mit hängenden Armen. Ihr Blick haftet am kleinen Vorhang vom Türfenster. Er bewegt sich leicht. Ihr Atem nicht. Er stockt. ‘Ich schreibe ihm doch gar nichts vor’. So eine Auseinandersetzung erträgt sie kaum. Sie versteht es einfach nicht. Warum lässt er sich von ihr nichts sagen? Es ist, als wäre er taub gegen alle Vernunft. Niemals käme er von selbst auf den Gedanken, sich dieser Herausforderung zu stellen. Einfach zu stellen. Diesem Ding in die Augen zu sehen, dieser Fratze. Und ihr ins Gesicht zu grinsen, du kriegst mich nicht! Aber nein, das wäre unter seiner Würde. Seiner Würde? Nennt man das Würde? Oder ist es schlicht Feigheit? Angst? Einfach vor der Krankheit? Oder dem Tod? Oder den aufbrechenden Gefühlen, die wie ein Wirbelwind alles, aber auch wirklich alles an Sicherheitskonstrukten niederfegen, durcheinanderwirbeln, die Luft nehmen.

Isabelle lässt sich auf den Stuhl beim Esstisch plumpsen. Ihr Blick schweift unsicher im Raum umher. Noch schleicht der sich langsam aufbauende Tsunami wie eine gräuliche Wolke durchs Haus. Lässt sich nicht vertreiben mit Durchlüften. Verzieht sich unters Bett, um dann nachts still und leise emporzugleiten und sich unaufgefordert unter der Decke auszuweiten. Langsam Erichs Poren zu durchdringen und seinen Körper in Besitz zu nehmen. Dann seinen Geist. Dann den Geist von Isabelle. Und ihre Träume schwarz werden lassen. Sie an den Abgrund der Angst stellen.

Isabelle erinnert sich an die letzte Nacht. Nichts hielt sie davon ab, in dieses dunkle, schwarze, verschlingende Loch zu fallen. Tief und immer tiefer. Nichts fing sie auf. Sie fiel und fiel und fiel. Ihre Gedanken lösten sich auf. In diesem schwarzen Nichts, das ihre Seele umklammerte. Oder festhielt. Oder trug. Bis zum Aufprall, der nichts anderes

bewirkte, als dass Isabelle die Augen aufschlug und in Schockstarre verharrte durch den abrupten Wechsel der Realitäten. Alles war still, nur Erichs Atem nahm der Stille die Ruhe. Er atmete schwer, sie atmete wieder. Erleichtert, dass sie nicht zerschmettert wurde. Sogar sanft in ihrem weichen Bett aufgewacht war. Sie drehte sich auf den Rücken, legte die Hände auf den Bauch und liess die Energie in den Solarplexus strömen. Das beruhigt sie meistens.

Isabelle sitzt immer noch auf ihrem Stuhl, hält sich wieder die Hände auf den Bauch und versucht ruhig zu atmen. Sie denkt an den Abend vor zwei Wochen, als Erich sie zum Essen einlud. In dieses gemütliche Restaurant, nahe am Fluss. Da sitzt sie doch so gerne. Auch oft allein, trinkt ihren Cappuccino und lässt die Gedanken treiben. Im Fluss mit ihrem Leben und seinen Geschichten. Hin und wieder schaffen sie es, dort gemeinsam zu essen. Wie auch an jenem Abend, als Erich ihr begeistert von seinem neuen Projekt erzählen wollte.

‘Lass es zu’, dachte Isabelle. ‘Hör ihm zu. Auch wenn er sich endlich seiner Krankheit widmen sollte und nicht irgendeinem neuen ‘Projekt’, wie er es nennt. Irgendwas von einem Wirk-Raum, den er mit anderen Menschen zusammen aufbauen möchte. Mit fremden Menschen. ’

Dass sie sich auch einfach ausgegrenzt fühlen könnte, nicht involviert in sein Projekt, war Isabelle nicht bewusst. Wohl aber ihre Wut, weil er sich nicht intensiver um seine Gesundheit kümmerte. Sie fand, dass ausschliesslich dieses Thema seine Aufmerksamkeit verdient hätte. Stattdessen versuchte er seine Krankheit zu ignorieren. Und das ärgerte sie sehr! Trotzdem wollte sie ihm zuhören und war bemüht, ein gewisses Interesse zu zeigen. Doch sie schaffte es nicht, den zurückgehaltenen Unmut hinter ihrem Lächeln zu verstecken. Dieser blieb Erich nicht verborgen, nur deutete er ihn falsch. Er schaute Isabelle direkt in die Augen und las darin lediglich ihre Abneigung. Und Isabelle sah, wie es erlosch, dieses Licht in seinen Augen. Ganz langsam wich das Leben daraus. Ein paar Sekunden nur dauerte diese non-verbale Kommunikation, bis alles gesagt war. Alles! Ihre unterschiedlichen Bedürfnisse, ihre unerfüllten Sehnsüchte und ihre in Projektionen erstickte Liebe. Und ihre Ohnmacht und Hilflosigkeit, etwas dagegen zu tun. Diese wenigen Sekunden sprachen eine Klarheit aus, die nur schwer zu akzeptieren war. Für beide. Mit einem Wimpernschlag, oder zwei, lag die vermeintliche Wahrheit auf dem Tisch. Unausgesprochen ausgesprochen, was sie in diesem kurzen Moment der augenblicklichen Verschmelzung miteinander ausgetauscht hatten. Dann war Schweigen. Betroffenes Schweigen.

Ihre Blicke lösten sich voneinander. Unfähig auch nur ein Wort zu sprechen, griff Isabelle zu ihrem Glas und trank einen kräftigen Schluck Wein. Erich stand auf, langsam und schob seinen Stuhl bedacht zur Seite, lehnte sich an die Reling. Die Unterarme auf das Geländer gestützt, starrte er in den Fluss. Das sanfte Rauschen schien seine Träume fortzutragen. Irgendwohin.

In Isabelles Kopf schwirrten die Gedanken wie eine Horde wilder Affen hin und her. Nervös zündete sie sich eine Zigarette an, obwohl sie wusste, wie widerlich Erich das findet. Es gäbe nichts Unattraktiveres als eine Frau, die aus dem Mund qualmt, sagte er einmal. Ja, die gräuliche Wolke, sie lauert überall. Das ist halt ihre. Dafür isst sie fast keine Schokolade. Eigentlich um ihre gute Figur nicht zu verlieren, denn sie möchte Erich ja gefallen. Nur blöd, dass egal was sie tut, Erich immer etwas an ihr nicht zu gefallen scheint. Das ist mindestens ihr Empfinden.

Sie schwiegen immer noch, als er sich von der Reling löste und langsam zurückkehrte. Beide mussten die letzten Minuten verarbeiten. Eine glasklare Klarheit war dabei, sie einzuhüllen in diese gräuliche Wolke voller Unklarheiten. Es war wie Nebel. Im Kopf. Und im Herzen.

«Bezahlen wir?», fragte Erich etwas verunsichert. Isabelle hatte die Lippen aufeinandergepresst und ihn angeschaut. In seinem Ton schwang Traurigkeit mit.

«Ja, bezahlen wir», hatte sie geantwortet.

‘Bezahlen wir den Preis für das Nicht-Aussprechen-Wollen, was wir fühlen.’

Isabelle ist verzweifelt. Langsam erhebt sie sich vom Stuhl, öffnet das Fenster und betätigt die Kaffeemaschine. Sie versteht nicht, was sie falsch macht. Aber klar, das kennt sie ja. Es liegt immer an ihr. Obwohl sie es doch nur gut meint und ihm helfen möchte. Eine Krankheit bahnt sich an und er denkt an ein neues Projekt. Wie kann er nur? Er muss sich jetzt um seine Gesundheit kümmern, sich abchecken lassen. Seine Kraftausfälle, das Herzrasen zwischendurch. Sie fühlt sich ihrem Mann so fremd wie nie. Es ist, als würden sie sich überhaupt nicht mehr verstehen. All ihre Bemühungen in Gesprächen scheinen einfach nicht zu fruchten. Im Gegenteil! Isabelle braucht einen Rat. Sie braucht den Rat ihrer Freundin und greift zum Handy.

«Li, hast du Zeit?.... ja, jetzt.» Isabelle bricht in Tränen aus. «Ok, in zehn Minuten im Seegarten.»

Isabelle schüttet Lisbeth ihr Herz aus.

«Niemand ist vollkommen, Isabelle». Ihre Freundin legt behutsam die Hand auf Isabelles Unterarm.

«Wir alle leben unsere Rollen. Ob wir sie mögen oder nicht. Das ist unser Schicksal!».

Isabelle spürt, wie sich etwas in ihrem Innern vehement gegen diese Aussage wehrt. Ein heisser Strom breitet sich in ihrem Körper aus und nein, es ist keine Wallung!

«Lass das mit der Berührung», zischt sie ihre Freundin unsanft an und entzieht sich Lisbeths Hand. «Ich ertrage das jetzt nicht.»

«Ich weiss», antwortet Lisbeth leicht wehmütig und lehnt sich zurück. «Nähe zulassen war noch nie dein Ding.»

«Was soll das denn jetzt bitte?! Was hat das eine mit dem anderen zu tun, Li? Ich mag jetzt einfach nicht berührt werden», kontert Isabelle aufgebracht.

«Eben, das ist ja dein Problem. Oder besser gesagt, euer Problem. Erich tickt da genau gleich wie du.» Obwohl Isabelle sie mit aufgerissenen Augen und leicht geöffnetem Mund anstarrt, fährt Lisbeth unbeirrt fort: «Wenn ihr beide wirkliche Nähe zulassen würdet, könntet ihr miteinander reden. Auch über heikle Dinge. Aber ihr lasst euch ja nicht berühren. Nicht dort, wo die Seelen es bräuchten.»

Diese Worte verfehlen ihre Wirkung nicht. Isabelle fühlt sich ertappt. Emotionen drängen an die Oberfläche. Wie ganz viele Stimmen, die alle gleichzeitig etwas sagen wollen. Sich erklären wollen, rechtfertigen. Nur eine ganz leise Stimme flüstert Isabelle so quasi aus dem Herzen zu, ‘schweig, und hör deiner Freundin zu. ’

Isabelle gibt ihren Widerstand vorerst auf. Sie bemerkt ihn zwar, in seiner ganzen Kraft des sich ‘mit-allen-Mitteln-wehren-wollens’. Mit einer lauten und rechthaberischen Stimme zum Beispiel, vielleicht mit Aufstehen, um ihrer Überzeugung durch den Körper noch mehr Ausdruck zu verleihen. Auch um Macht zu demonstrieren oder wohl eher, die Kontrolle nicht zu verlieren. Doch sie lässt es.

«Ich bin deine Freundin, Isi. Nur Freunde sagen einem die Wahrheit.»

«Ich weiss. Aber sie schmeckt mir nicht», vervollständigt Isabelle den klischeehaften Spruch.

«Das ist klar!» Lisbeth nickt mehrmals und rollt den Blick, während sie einmal tief und hörbar ein- und ausatmet.

«Aber er kann doch nicht einfach die Tür knallen und mich so stehen lassen! Mit diesem blöden Vorwurf, dass ich ihm immer alles vorschreibe. Ich bin doch seine Frau, und das seit neun Jahren. Sogar das verflixte siebte haben wir überstanden.» Langsam weicht die Wut der Enttäuschung. Auch der Widerstand ist wieder da.

«Warum spricht er nie mit mir über seine Gefühle? Nie tut er das!

Nicht darüber, was ihn wirklich beschäftigt. Und jetzt vielleicht noch eine Krankheit, die sich da anbahnt!» Resigniert stellt Isabelle ihre Ellbogen auf den Holztisch und stützt den schweren Kopf in die Hände. Sofort fällt ihr Körper in sich zusammen. Sie sitzt mit ihrem Buckel da wie ein Häufchen Elend. Mitfühlend betrachtet Lisbeth ihre Freundin. «Sprichst du denn mit ihm über deine tiefsten Gefühle, Isi? Hast du ihm gesagt, dass du manchmal diese seltsamen Bauchschmerzen hast?»

Isabelle blickt hoch, setzt sich gerade hin und antwortet mit trotzigem Unterton: «Nein, warum auch. Die sind ja nicht schlimm.»

«Aha», stellt Lisbeth fest und lächelt wissend, aber nicht überheblich. «Bitte noch ein stilles Wasser», bestellt sie bei der vorbeigehenden Kellnerin, bevor sie sich wieder Isabelle zuwendet.

«Schau», beginnt sie, während sie sich etwas nach vorne beugt. Darauf bedacht, die gewünschte körperliche Distanz zu respektieren. «Du kennst doch das Gesetz der Resonanz. Du weisst um diese Dinge. Du weisst, dass Erich dir genau das Thema spiegelt, welches du in deinem Schattenfeld hast. Weshalb also hörst du nicht endlich auf, dich selbst zu bekämpfen?»

Rebellion macht sich in Isabelles Blick bemerkbar, während sie Lisbeth anstarrt. Doch bevor sie etwas erwidert, wendet sie den Kopf zur Seite, blickt in die Ferne und überlegt.

«Ja, ich weiss», gibt sie nach einem Moment der Besinnung, aber immer noch widerwillig, zu.

«Es ist so verdammt schwer, wenn der andere so stur ist.»

Lisbeth lacht laut auf und erhebt sich mit einem Klaps auf den Oberschenkel vom Stuhl. Sie dreht sich um und hält sich leicht gebeugt an der Stuhllehne fest. Immer noch lächelnd, aber kopfschüttelnd schaut sie ihre erstaunte Freundin mitfühlend an. «Muss ich wirklich etwas sagen?», fragt sie mit hochgezogenen Augenbrauen. Nach zwei Sekunden antwortet Isabelle, wieder den Kopf in die Hände gestützt, wieder in ihren Buckel zusammengefallen: «Nein, musst du nicht. Hab’s kapiert.»

Sie schätzt im Grunde genommen die Ehrlichkeit ihrer Freundin ungemein. Lisbeth hat eine Art, ihr gewisse Dinge, vor allem die unangenehmen, mit einem so tiefen Wohlwollen mitzuteilen, dass sich ihr Widerstand meist nach ein paar Minuten tatsächlich auflöst. Erst dann ist Isabelle jeweils bereit, wirklich hinzuschauen. Bei sich, wohlgemerkt.

«Ja, ich spreche auch nicht über meine tiefsten Gefühle und ja, ich bin auch ein Sturkopf! Und meine Bauchschmerzen sind Mumpitz, nicht der Rede wert. Zufrieden?» Mit einem versöhnlichen Lächeln betrachtet sie ihre Freundin, die mit einer erhabenen Haltung ihren Stuhl zurechtrückt und beim Hinsetzen die Beine übereinanderschlägt.

«Du weises Tantchen, du!», neckt Isabelle. Doch Lisbeth winkt ab. «Nein, bin ich nicht. Bei anderen sieht man es nur deutlicher», zwinkert sie ihr zu. «Ich nage ja heute noch an meiner verkorksten Beziehung zu meiner Mutter, das weisst du. Auch wenn es nicht mehr ganz so schlimm ist. Aber bleiben wir an deinem Thema grade. Also, was gedenkst du zu tun?»

Die Kellnerin füllt ihre Gläser mit frischem Wasser.

«Hm», sinniert Isabelle. «Ich sollte wohl über meinen Schatten springen und mit Erich das Gespräch suchen. Auch wenn es mir unendlich schwerfällt, ich sag’s dir! Wir schweigen uns seit Wochen nur noch an.»

«Das ist doch mal eine gute Idee», anerkennt Lisbeth den Anflug von Versöhnung mit Erich und fügt mahnend hinzu: «Aber ihn nicht mit Fragen, geschweige denn Forderungen bombardieren. Erzähl von dir, Isi, öffne ihm dein Herz. Sag ihm, dass du Angst hast! Aber nicht mit Vorwurf, sondern bleib bei dir und deinen Gefühlen. Zum Beispiel, dass du das Gefühl von Angst kennst, etwas zu verlieren oder jemanden. Zum Beispiel Erich. Sag ihm, dass du Angst hast, ihn zu verlieren.»

Isabelle schaut ihre Freundin an und Tränen füllen ihre Augen. «Ich weiss nicht, ob ich das kann.» Sie wirkt plötzlich sehr unsicher und verloren. Lisbeth lässt ihr einen Moment, damit sich dieses Gefühl verstärken kann und ihr bewusst wird, worum es geht.

«Doch, das kannst du. Ich weiss, dass du das kannst, wenn du dein Ego überwindest.»

Isabelle ist sich bewusst, dass ihr Ego ein vertrauter Wächter ihrer Herzräume ist. Er lässt nichts und niemanden mehr hinein, der ihr auch nur die geringste Verletzung zufügen könnte. Sehr verlässlich inzwischen! Nur, er lässt auch die Freude nicht hinaus, das ist das Problem. Sie weiss, dass sie sich diesem Thema widmen muss, wenn sie die Liebe wieder spüren möchte. Nicht nur die Liebe zu ihrem Mann. Auch die Liebe zu sich selbst, zum Leben.

«Du hast Recht, Li, danke. Ich tu mein Bestes, versprochen! Denn ja, ich habe Angst.»

Die beiden Frauen schauen sich eine Weile an, liebevoll und dankbar, gemeinsam auf dem Weg zu sein. Sich mit jemandem auszutauschen, der einen nicht verurteilt und nimmt, wie man ist. Und einem dennoch sagt, was er denkt. Aber eben wohlwollend, ja, das tut gut.

3. Kapitel – Selbstverwirklichung

Lisbeth ist müde. Zuhause angekommen betritt sie das Feld ihrer eigenen Illusionen. Sie fühlt sich nicht besonders und Lisbeth beschliesst, sich etwas Gutes zu tun. Obwohl sie eigentlich den Flyer noch fertigstellen wollte für ihr nächstes Seminar im Herbst zum Thema ˂Achtsamkeit˃. Gut, dass sie diese Seminare anbietet. Nicht nur, weil darin ihr Herzblut fliesst. Es erlaubt ihr kein Ausweichen mehr, sie muss selbst dranbleiben, authentisch und absolut ehrlich sich selbst gegenüber. Nach einem tiefen Atemzug schlendert Lisbeth ins Badezimmer und lässt sich ein warmes Bad ein. Mitten am Nachmittag, mitten im Hochsommer. Selbstverständlich mit Lavendelduft zur Entspannung und zwei Kerzen auf dem Wannenrand. Und tatsächlich, so einfach geht das und die Stimmung verändert sich augenblicklich.

Lisbeth ist zufrieden mit sich und ihrer Selbstfürsorge. Da hat sie doch Fortschritte gemacht, eindeutig. Früher kamen immer alle und alles andere zuerst. Die Geburt von Nathalie hatte sie sehr verändert damals. Klar! Von der rebellischen Jugendlichen war nicht mehr viel übriggeblieben. Kämpfen konnte und kann sie zwar immer noch. Aber eben anders. Sie hatte verlernt, auch an sich zu denken. Dafür war keine Zeit. Den Job als Bürohilfe hatte sie durch Beziehungen ihres Vaters, ja ihres Vaters, ergattern können. Dann wollte sie weder ihr Kind vernachlässigen noch das Fernstudium und, naja den Haushalt manchmal. Voilà, das wars. Da blieb keine Zeit mehr, sich selbst etwas zu gönnen. Ihre Freundschaften pflegte sie spärlich, sie ging selten aus und war einfach froh, alles unter einen Hut zu bringen. Doch alles war irgendwie Pflicht, nicht wirklich Freude. Klar hatte sie viele schöne Momente mit ihrem Kind und sie war auch stolz darauf, wie sie alles meisterte. Doch ihre tiefsten, sozialen Bedürfnisse wurden genauso wenig erfüllt wie die ganz privaten. Lisbeth hatte zurückgesteckt.

Im Grunde hatte sie es genauso gelernt. Ihre Mutter war lebendes Beispiel für Selbstaufopferung. Was hatte sie gelitten, ihre Mutter. Nicht auszuhalten für ein Kind! Diesen Schmerz zu spüren hinter dem gekünstelten Lächeln, die verkrampfte Schwingung in ihren freundlich gemeinten Worten, bei denen das unschuldige Kinderherz sich zusammenzieht wie beim Biss in eine saure Zitrone. Es kann nicht unterscheiden. Welchem Gefühl soll es denn nun vertrauen? Das, was ihm mitgeteilt wird, stimmt nicht mit dem überein, was es fühlt. Mitgeteilt wird ihm Zuversicht und ‘alles-ist-gut’, wahrnehmen tut es Schmerz und ‘gar-nichts-ist-gut’. Ja wie soll sich um Gottes Willen eine Kinderseele da zurechtfinden? Geschweige denn Vertrauen aufbauen in seine eigenen Gefühle? Unmöglich. Das weiss man als Erwachsener. Lisbeth weiss das heute. Doch wie soll man dem Kind denn Wahrheit vermitteln? Vorheulen wie schlecht sich seine Mami fühlt? Das kann das Mami ja tun, wenn es mal einen schlechten Tag hat. Doch wie sich verhalten, wenn es permanent schlechte Tage hat? Lisbeth steigt vorsichtig in die Wanne und lässt sich in das angenehm warme Wasser gleiten. ‘ Meine Güte, was hätte ich dafür gegeben, meine Mutter zu retten’, denkt sie seufzend und atmet den wohlriechenden Lavendelduft tief ein, während sie sich doch ziemlich versöhnt ihren Erinnerungen hingibt und mit den Schaumbläschen spielt.

Niemals, niemals wollte sie so werden wie ihre Mutter. Eben! Das hatte sich Lisbeth als Teenager geschworen. Eine Mischung aus Wut, Trauer und Liebe verband sie mit ihr. Dass sie mit ihrem Vater stets eine eher etwas distanzierte Beziehung lebte, damit konnte sie ja noch irgendwie umgehen, vermeintlich. Doch die Unnahbarkeit ihrer Mutter hatte ihr deutlich mehr zu schaffen gemacht. Als stünde eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen. Deshalb war ihr das Thema ‘Nähe und Distanz’ durchaus vertraut. Lisbeth hatte versucht zu graben, wie eine Wühlmaus, um vielleicht unten durchzuschlüpfen. Oder in waghalsige Höhen zu klettern, um diese Mauer zu überwinden. Aber es ging nicht. Es ging einfach nicht. Irgendwann hatte Lisbeth gelernt, dass es ist, wie es ist. Und ihre Mutter so zu akzeptieren, wie sie war. Erste Stufe der Leiter. In ihrem eigenen Gefängnis der Unzulänglichkeit und Selbsteinschränkung. Selbstfürsorge und Eigenliebe waren ihr fremd. Kunststück, das wurde ja weder vorgelebt, folglich auch nicht gefördert, geweckt oder ins Bewusstsein gerufen. Von irgendwem, zum Beispiel von ihrer Mutter. Lisbeths Oma wuchs in Kriegszeiten auf. Da dachte kaum jemand an ‘Selbstverwirklichung’. Dieser Ausdruck war der reinste Hohn damals. Selbstaufopferung und Überleben zugunsten der Familie war das tägliche Ziel. Das waren die Werte, die in ihrer Familie weitergegeben wurden. Und diese hatte sich Lisbeths Mutter verinnerlicht. Nur durch Selbstaufopferung war man gut genug für die Familie, die Gesellschaft. Gut genug für Gott. Nichts dazwischen. Alles andere galt als verpönter Egoismus.

Lisbeth legt die Beine auf den Wannenrand und betrachtet gedankenverloren ihre Zehen. Eine Welle von Mitgefühl durchströmt ihren Körper. Sie seufzt. Die Frauen im Wandel der Zeit, ach ja. Es hat sich schon einiges verändert in den letzten zweihundert Jahren. Mindestens in den westlichen Ländern. Bei ihren Recherchen über die erste Frau, die sich für Gleichberechtigung einsetzte, stiess sie damals auf den Namen <Olympe de Gouges>, eine französische Künstlerin, Autorin und Aktivistin, die schon 1791 öffentlich erklärte: ‘Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Manne gleich an Rechten.’

Lisbeths Magen zieht sich zusammen, wenn sie an die Frauen in Afghanistan oder im Iran denkt, an alle Frauen und Mädchen in dieser Welt, die unterdrückt, missbraucht und gehindert werden, ihr Potenzial auch nur annähernd zu leben. Denen jegliche Bildung verwehrt wird, jegliches Recht auf Selbstbestimmung. Selbstverwirklichung? … lachhaft! Ja, da spürt sie starke Emotionen… und droht im sumpfigen Boden einzusinken, bevor sie sich dann auf die zweite Stufe so quasi… rettet.

Wie auch immer, diese schon damals moderne und selbstbewusste Frau befindet sich leider nicht in Lisbeths Ahnenreihe. Und es fällt ihr schwer sich vorzustellen, dass die eigentlich selbstverständliche Gleichberechtigung sich je einmal vollumfänglich durchsetzt. Wenn es im zwanzigsten Jahrhundert noch nicht möglich ist, wann dann? Selbst in ihrem demokratischen Land ist der Slogan <gleiche Leistung, gleicher Lohn> noch weit davon entfernt, sich in der Wirtschaft durchgehend zu etablieren. Sicher, es ist einiges in Bewegung. Alles ist immer in Bewegung. Die Frage ist nur, in welche Richtung. Es bleibt ein grosses Wort, diese ‘Gleichberechtigung’. In vielerlei Hinsicht.

In ihrer Praxis macht Lisbeth täglich die Erfahrung, dass sich hier im Westen viele Frauen durch eigene Glaubenssätze beschränken, sich selbst zu verwirklichen, obwohl sie die Möglichkeiten dazu hätten. Was auch immer diese Bezeichnung für jeden einzelnen bedeutet. Der Ausdruck ‘Selbstverwirklichung’ hat seine Popularität ja auch erst seit ein paar Jahrzehnten. Durch einen Mann, den Neurologen Kurt Goldstein zum Beispiel. Dieser befasste sich schon 1934 in seinem Buch ˂Der Aufbau des Organismus˃ mit dem Konzept der Selbstverwirklichung, nur in einem anderen Kontext. Solche Menschen hätte Lisbeth gerne als Vorfahren gehabt!

Sie schliesst die Augen und die Erinnerungen werden sehr lebendig. Selbstverwirklichung… damit hatte sie sich früh auseinandergesetzt. Als ihr Verstand so weit gereift war, dass sie die Fremdbestimmung erkannte, von der sich ihre Mutter im wahrsten Sinne bestimmen liess, wurde ihr klar: sie wollte selbst bestimmen, wie ihr Leben verlaufen würde, was sie alles tun und vor allem nicht tun wollte. Mit welchen Menschen sich umgeben und mit welchen nicht. Sie wollte ihr Leben so gestalten, dass es von Freude, Liebe, Erfolg und Vitalität geprägt würde und einen Sinn machte! Das Leben ihrer Mutter schien ihr damals sinnlos. Wo sollte da ein Sinn bestehen, wenn man sich selbst verleugnet, die eigenen Bedürfnisse mit aller Gewalt abwürgt und trotzdem nachts die Beine breit macht, damit der Ehemann wenigstens einigermassen zufrieden ist und die Gesamtsituation in der Familie aushaltbar. Vielleicht haben die Mosuo ja recht, dass die Mann-Frau-Ehe Unglück für das Familienleben bedeutet. Vielleicht ist ihr Lebenskonzept gar nicht so schlecht? Lisbeth erinnert sich an die dunklen Zeiten, in denen sie sich oft in ihre destruktiven Gedanken hineinsteigerte, dass sie Angst bekam, selbst depressiv zu werden. Diese Erkenntnis erschreckte sie derart, dass sie begann, Hilfe in Büchern mit psychologischen und philosophischen Inhalten zu suchen und diese geradezu verschlang, obwohl sie jeweils nur die Hälfte verstand. Einfach verzweifelt auf der Suche nach dem Rezept, nicht so zu werden wie ihre Mutter.

Bei ihrer Suche stiess sie jedenfalls auch auf das ˂Human Potential Movement (HPM)˃, das seit 1960 von den USA ausging. ‘Schon wieder, von wo sonst’, schmunzelt Lisbeth und taucht noch etwas tiefer ins Wasser und in die Erinnerungen. Rico hatte ihr damals von dieser Bewegung erzählt, ja, ihr Held Rico. Da waren sie gerade mal fünfzehn Jahre alt! Genau die Zeit, in der man viel mit Freunden diskutiert und lamentiert. Was die Eltern alles falsch machten, wie kaputt die Gesellschaft sei und wie unfähig die Politiker. Dass die Jungen doch alles viel besser wüssten und es ganz sicher anders machen werden als die heutigen Erwachsenen. Doch, kein Spruch. Sie würden es wirklich anders machen. Sie würden es den Leuten schon zeigen. Lisbeth war eine intelligente junge Frau. Damals lechzte sie nach Futter für ihren Verstand. Sie wollte verstehen, warum der Mensch so ist, wie er ist. Und weshalb er nicht einfach etwas verändert, wenn er sich nicht mehr wohl fühlt in seiner Rolle. Das konnte doch nicht so schwer sein!

Und das alles wegen ihrer Mutter. Manchmal hasste Lisbeth ihre Mutter. Dafür, dass sie sich so verbissen mit etwas befassen musste, nur um glücklicher zu sein. Und dafür, dass sie sich genau dadurch auch schon fremdbestimmt fühlte. Und sie hasste ihre Mutter auch dafür, dass sie ihre Mutter manchmal hasste. Sie wollte doch einfach nur glücklich sein und ein gutes Leben haben. Warum war das so schwierig?

Lisbeth merkt, dass sie allmählich etwas fröstelt. Ob das an den Erinnerungen oder am abgekühlten Badewasser liegt, sei mal dahingestellt. Sie steigt aus der Badewanne, zieht ihren kuscheligen Homedress an und sucht im Bücherregal nach einem bestimmten Buch über das ˂Human Potential Movement˃. Eines der Bücher, welche sie schon ihr halbes Leben lang begleiten. Das HPM vertritt die Theorie, dass im Menschen ein unausgeschöpftes Entwicklungspotenzial schlummere und man dieses nur zu fördern brauche, um die Lebensqualität zu verbessern. Das schien der Schlüssel für eine zufriedene, gesunde Gesellschaft. Ein Leben, so wie sie es wollte. Emotional ausgeglichen, kreativ und erfüllend. Lisbeth realisierte früh, wie viele Menschen sich bereits mit dem Begriff der ‘Selbstverwirklichung’ auseinandergesetzt hatten. Es musste also ein Thema sein, das interessierte. Und so einige kluge Köpfe sehr beschäftigte. Sie war wohl nicht die Einzige. Das fand die damals, trotz vieler Freunde sich immer irgendwie einsam fühlende Jugendliche, irgendwie tröstend. Sie war mit ihren Nöten nicht allein. Es gab viele Menschen, denen es genauso erging. Und vielleicht braucht genau heute ihre Freundin dieses Buch. Lisbeth kramt es aus der zweiten Reihe in ihrem Büchergestell hervor und pustet den Staub weg. Offensichtlich hielt sie es schon länger nicht mehr in den Händen. Vielleicht interessiert es Isabelle ja tatsächlich. Ein Buch für Menschen, die auf der Suche sind nach sich selbst und wie man glücklich wird. Die auf ihrer Suche Antworten finden wollen auf ihre bohrenden und nagenden Fragen der Seele. Ein solcher Mann war nämlich auch Abraham Maslow, ein amerikanischer Psychologe, dessen Theorien das HPM stark beeinflussten. Seiner Biografie nach war er ein, na ja, auch unglückliches Kind jüdisch-ukrainischer Eltern, die um die Jahrhundertwende in die USA immigrierten. Abraham fühlte sich als Jugendlicher isoliert, ausgeschlossen und verbrachte viel Zeit in der Bibliothek. Er war wissbegierig, wollte auch verstehen, warum der Mensch so ist, wie er ist. Genau wie Lisbeth. Sie fühlte sich sofort verbunden mit Maslows Geist. Auch ihn hätte sie gerne in ihrer Ahnenreihe gehabt.

Maslow musste ein interessanter Mensch gewesen sein. Sie fand bei ihren Recherchen heraus, dass er 1934 in Psychologie promoviert und 1967 als ˂Humanist des Jahres˃ geehrt wurde. Lisbeth war tief beeindruckt von seinen Leistungen und seinem Einfluss. Besonders bekannt wurde er durch die Maslowsche Bedürfnispyramide. Sie merkt grade, dass sie gerne wieder einmal in diesem Buch stöbern möchte. Er beschreibt die menschlichen Bedürfnisse in einer ganz einfachen Hierarchie:

1.

Stufe:

Physiologische Bedürfnisse

2.

Stufe:

Sicherheitsbedürfnisse

3.

Stufe:

Soziale Bedürfnisse

4.

Stufe:

Individualbedürfnisse

5.

Stufe:

Selbstverwirklichung

‘Da ist sie, die Selbstverwirklichung’, denkt Lisbeth, als sie kurz ihren Zeigefinger abgeleckt hat, um auf diese bestimmte Seite zu blättern. Aber auf der letzten Stufe. Tja, wenn die vorherigen nicht erfüllt sind, klappt das nicht mit der Selbstverwirklichung. Wenn jemand Hunger hat, um sein Leben bangt oder sich zutiefst einsam fühlt, interessiert ihn das Gelaber nicht im Geringsten.

Noch mehr faszinierte Lisbeth, als sie über Maslow las, dass er eine gewisse Zeit bei einem indigenen Volk, den sogenannten ˂Blackfoot˃ in Kanada, gelebt haben soll. Man mutmasst, dass er sich von ihnen inspiriert gefühlt hatte, um später die Pyramide menschlicher Bedürfnisse aufzustellen und seine Studien zu erläutern. Die Blackfoot waren eine indianische Stammesgruppe. Sie umfasste die vier kulturell, historisch sowie sprachlich eng verwandten Stämme der Siksika, Kainai und die nördlichen und südlichen Piegan. Alle vier Stämme würden jeweils leicht abweichende Dialekte der zum Plains Algonkin zählenden Blackfoot sprechen und bezeichneten sich als ˂Ni-tsi-tapi-ksi˃, was so viel bedeute wie ˂Wahres Volk˃. Irgendwann in diesem Leben, das schwor sich die euphorische Teenagerin, würde sie die Blackfoots ebenfalls besuchen, wenn es die Stämme dann noch geben würde. Lisbeth spürt noch heute, dass sich ihr eine vollkommen andere Welt eröffnen könnte. Eine Welt tiefster Weisheit, die verstanden hatte, wie das Leben funktioniert. Denn weshalb sonst hätte sich Maslow so inspiriert gefühlt. Ja, er war ihr grosses Vorbild geblieben.

Lisbeth seufzt und setzt sich kurz mit dem Buch auf den Rand des Sofas. Ja, was für ein interessanter und interessierter Mann, tatsächlich! Er gilt bis heute als der wichtigste Gründervater der humanistischen Psychologie. Einer Psychologie, welche seelische Gesundheit anstrebt und die menschliche Selbstverwirklichung. Mit dem Fokus auf das Wachstumspotenzial eines Menschen und nicht so sehr die psychischen Schwächen in den Mittelpunkt stellt.

‘Hm, möglich, dass Isabelle und Erich durch das Buch ihren unerfüllten Bedürfnissen und versteckten Glaubenssätzen auf die Schliche kommen können’, überlegt sich Lisbeth.

Sie hält einen Moment inne und legt das Buch auf die Knie. Irgendetwas bewegt sich grade in ihr. Eine Art von… Sehnsucht wird, ja, fast wiedererweckt, könnte man sagen. Eine Sehnsucht, die sie lange verdrängt hat. Damals dachte Lisbeth, sie könnte ihre Mutter vielleicht noch umpolen. Ihr zeigen, wieviel Lebensqualität sie gewinnen könnte, wenn sie besser auf ihre Bedürfnisse achten würde. Dann als heranwachsende, junge Frau hatte sie neuen Mut geschöpft und wollte Psychologie studieren! Um sich selbst und ihre Mutter zu retten. Ihr Entschluss stand fest und das war der Plan.

Aber eben, das Leben hatte bekanntlich einen anderen Plan. Lisbeth musste ihre Träume begraben. Andere Aufgaben und Erfahrungen wollten gelebt und gemeistert werden. Genauso musste es wohl auch ihrer Mutter ergangen sein! Wo war der Unterschied?

Doch jetzt gerade, Jahre später, spürt sie, wie etwas wühlt in ihrem Bauch. Diese Wühlmaus, die sich aus dem Erdloch ausgräbt und neugierig in alle Richtungen schnuppert. Lisbeths Herz schlägt schneller und ihr wird heiss. Sie muss aufstehen und sich bewegen. Sie drückt das Buch fest an ihre Brust und steuert auf die Küche zu.

Eine Mischung aus Trauer und, ja… wie soll sie es nennen… Aufbruchstimmung breitet sich in ihrem Körper aus. Etwas irritiert braut sie sich einen richtig starken Kaffee. Bis vier Uhr nachmittags kann sie den noch trinken, ohne sich nachts im Bett zu wälzen. Dann schnappt sie sich noch zwei weitere Bücher, legt sich in den Garten und versinkt in diese andere Welt, die sie so gerne mehr erforscht hätte.

4. Kapitel – Aussicht auf Versöhnung

Erich ist sauer! Ja, er ist richtig stinkesauer! Niemals wollte er, dass seine Beziehung dahin siecht wie bei seinen Eltern. Diese elenden Prägungen der Eltern, echt. Er dachte immer, das seien Standarderklärungen der Psychologen. Aber es stimmte einfach. Was Eltern den Kindern vorleben, bewusst aber vor allem unbewusst und an Gedanken und Gefühlen überstülpen, wird man nur schwer wieder los. Und dass Eltern selbst Kinder von Eltern sind, interessiert einen als junger Mensch sowieso nicht. Dieselbe Kacke wie sie erleben, nein, das war definitiv das Letzte, was Erich wollte. Er wollte es anders machen als sie. Und es gab andere Beispiele in seinem Umfeld. In Filmen, in Büchern, in seinem Bekanntenkreis und vor allem in seinen Vorstellungen. Erich war felsenfest davon überzeugt, dass er es anders machen kann! Doch die inneren Glaubenssätze lauerten in seinem Unterbewusstsein auf den Moment ihrer Erfüllung. Keine Chance. Dabei hatte er immer alles getan, damit es seiner Frau an Nichts fehlte, sie zufrieden war. Seine eigenen Bedürfnisse stets in den Hintergrund gestellt. Auch Männer können das! Zugunsten der Familie. Ha! Welcher Familie denn? Sie haben es nicht einmal geschafft, Nachwuchs zu produzieren. Was hat er sich abgemüht! So getan als hätte er Lust auf sie. Obwohl er oft spürte, dass es ihr nicht ums ‘Liebe-machen’ ging. Sie wollte einfach schwanger werden. Um jeden Preis! Sich als ‘richtige Frau’ fühlen, wie Isabelle es nannte. Von der Leidenschaft, die sie anfangs füreinander empfunden hatten, weit entfernt.

Oh, er hat die Schnauze voll! Er hat sie endgültig voll. Er kann diese Wut nicht mehr länger unterdrücken. Sie will RAUS, endlich RAUS!

Erich schnappt sich sein Fahrrad und tritt in die Pedalen. Er kennt die Strecke. Tausendmal ist er sie gefahren, wenn er nicht wusste, wohin mit der Energie. Irgendwann, nach etlichen Kilometern, schlug der Puls zwar immer noch schnell, aber nicht mehr rasend. Fahrradfahren beruhigt ihn. Da kommt er in den Flow mit Bewegung, Atem, Fahrrad und Umgebung. Alles verschmilzt, die Gedanken kommen nicht mehr nach und geben irgendwann auf, bleiben auf halber Strecke zurück. Dann ist Erich sogar irgendwie… glücklich. Naja, so wie ein bisschen high eben. Der Ärger verfliegt in der aufgewirbelten Luft, die Wut wandelt sich in erneuerbare Energie und der Mind ist frei. Normalerweise dreht Erich noch zwei, drei Runden bevor er zurückfährt. Isabelle ist dann gewöhnlich entweder in der Küche am Hantieren oder nuschelt in irgendwelchen Schubladen, die sie gerade neu sortieren möchte. Wenn er das Haus betritt, springt sie auf, stellt sich auf die Zehenspitzen und drückt ihm einen ‘sorry-Schatz-nicht-böse-sein’ Kuss auf den Mund. Meist folgt danach ein ‘lass-uns-doch-heute-Abend-essen-oder-ins-Kino-gehen-was-meinst-du-Schatz’, während sie sich auf dem Absatz dreht, um sich auf ihrem Handy das neueste Kinoprogramm anzusehen.

So wie auch an jenem Abend vor zwei Wochen, dort im kleinen, gemütlichen Restaurant am Fluss. Da war etwas in ihm passiert. Vermutlich auch in Isabelle. Etwas, das nicht gut war. Nicht gut für ihn, nicht gut für sie, nicht gut für ihre Beziehung. Irgendetwas war wie… abgestorben. Ja, sie sind drauf und dran ihre Ehe genauso wie seine Eltern zu führen. Das bahnt sich ja schon länger an. Man hat sich immer weniger zu sagen oder spricht über oberflächliche Sachen. Gestritten wird eigentlich selten, genauso wie Liebe gemacht. Erichs Seele ist am Verdursten. Sein Körper auch. Nicht nur der Samenstau macht ihm zu schaffen. Dem kann er ja abhelfen. Nein, die Zärtlichkeiten fehlen ihm. Das Schmusen mit seiner hübschen Isabelle. Das zusammen Kuscheln auf dem Sofa oder vor dem Einschlafen im Bett. Es muss nicht immer Erotik sein. Es muss nicht immer Sex sein. Sich einfach halten und streicheln. Die Nähe zum anderen spüren. Sich wieder ins Ohr flüstern, ’ich liebe dich’. Das klischeehafte Denken, dass der Mann einfach Sex braucht, damit auch seine Hirnzellen wieder durchblutet werden, das, ja das verletzt ihn immer wieder aufs Neue. ‘Was für eine Scheisse! Keine Ahnung habt ihr Frauen, wie wir Männer ticken’.