Niederländische Sprachwissenschaft - Ute K. Boonen - E-Book

Niederländische Sprachwissenschaft E-Book

Ute K. Boonen

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Beschreibung

Dieser Band führt kompakt und umfassend in die Sprachwissenschaft und Geschichte des Niederländischen ein. Zehn Kapitel bieten eine Übersicht über die wichtigsten Teilgebiete der niederländischen Sprachwissenschaft, unter anderem Morphologie, Syntax, Semantik und Pragmatik. Die Autor:innen, die aus den Niederlanden, Belgien und Deutschland stammen, thematisieren dabei die nahe Verwandtschaft zwischen der deutschen und niederländischen Sprache sowie die Unterschiede zwischen den verschiedenen Varietäten des Niederländischen. Die Einführung ist für die Verwendung im universitären Unterricht durch Lehrende und Studierende - auch mit nur geringen Niederländischkenntnissen - gleichermaßen geeignet. Übungen und kleinere Arbeitsaufträge jeweils am Kapitelende regen die Studierenden zur weiteren Beschäftigung mit den Themen an. Zahlreiche Beispiele und graphische Darstellungen sorgen für eine anschauliche und ansprechende Vermittlung der Inhalte. Die zweite Auflage wurde gründlich überarbeitet und aktualisiert. Stimmen zum Buch: "... eine gut lesbare, übersichtliche und aktuelle Einführung in die Niederländische Sprachwissenschaft." (Marc van Oostendorp, NederL 11/2013) "Es ist den Autor:innen gelungen, deutschsprachigen Studierenden eine klare Übersicht zu vermitteln." (Peter Debrabandere, Neerlandia 2/2014) "Den Autor:innen gebührt größte Anerkennung." (Camiel Hamans, Werkwinkel 10/2015)

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Ute K. Boonen / Ingeborg Harmes

Niederländische Sprachwissenschaft

Prof. Dr. Ute K. Boonen lehrt Niederländische Sprachwissenscha􀅌 an der Universität Duisburg- Essen.

 

Ingeborg Harmes, M.A., lehrt Niederländische Sprache und Kultur an der Universität Münster.

2., vollständig überarbeitete Auflage 2023

1. Auflage 2013

 

DOI: https://doi.org/10.24053/9783823393511

 

© 2023 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

ISSN 0941-8105

ISBN 978-3-8233-8351-2 (Print)

ISBN 978-3-8233-0360-2 (ePub)

Inhalt

Vorwort zur 1. AuflageVorwort zur 2. Auflage1 Die niederländische Sprache1.1 Die Verbreitung des Niederländischen1.1.1 Niederlande1.1.2 Belgien1.1.3 Übersee1.2 Afrikaans1.3 Standardsprache1.4 Sprache und Sprachwissenschaft1.4.1 Sprachwissenschaft1.4.2 Sprachen klassifizieren1.5 Aufbau und Ziele dieses BuchsLiteratur zum WeiterlesenMonographien und Einführungen2 Die Geschichte des Niederländischen2.1 Die indoeuropäische Sprachfamilie2.1.1 Germanische Sprachen2.1.2 Sprachwandel: Lautverschiebungen2.2 Sprachstadien des Niederländischen2.2.1 Altniederländisch2.2.2 Mittelniederländisch2.2.3 Neuniederländisch2.2.4 Modernes Niederländisch2.3 ZusammenfassungAufgabenLiteratur zum Weiterlesen3 Wörter und ihre Bedeutung3.1 Wissenschaftliche Erforschung des Wortschatzes3.1.1 Vom Wort zur Bedeutung; Beziehungen zwischen Wortbedeutungen3.1.2 Vom Referenten zum Wort; semantische Beziehungen zwischen Wörtern3.2 Dynamik im Wortschatz3.3 Wörterbücher3.3.1 Wörterbucharten3.3.2 Aufbau von Wörterbüchern3.3.3 Qualität und Zuverlässigkeit3.4 ZusammenfassungAufgabenLiteratur zum Weiterlesen4 Wörter und ihre Struktur4.1 Wortbildungseinheiten4.1.1 Morpheme4.1.2 Affixe4.2 Wortbildung4.2.1 Komposition4.2.2 Derivation4.2.3 Konversion4.2.4 Weitere Wortbildungsprozesse4.3 Flexionsmorphologie4.3.1 Flexion bei Nomen4.3.2 Flexion bei Adjektiven4.3.3 Flexion bei Verben4.4 ZusammenfassungAufgabenLiteratur zum Weiterlesen5 Laute und ihre Systeme5.1 Das phonetische Alphabet5.2 Laute beschreiben5.2.1 Konsonanten5.2.2 Vokale und Diphthonge5.2.3 Prosodie5.3 Phonetik und Phonologie5.4 Variation in der Aussprache: Allophone5.5 Phonologische Prozesse5.5.1 Auslautverhärtung5.5.2 Assimilation5.5.3 Weitere phonologische Prozesse5.6 ZusammenfassungAufgabenLiteratur zum Weiterlesen6 Sätze und ihre Struktur6.1 Konstituenten6.1.1 Arten von Konstituenten6.1.2 Köpfe6.1.3 Wortstellung6.1.4 Konstituententests6.1.5 Rekursion6.1.6 Ambiguität6.1.7 Koordination6.1.8 Subordination6.2 Sätze6.3 Satzglieder6.3.1 Subjekt6.3.2 Prädikat6.3.3 Direktes Objekt6.3.4 Indirektes Objekt6.3.5 Präpositionalobjekt6.3.6 Adjunkte6.4 Satzarten6.5 ZusammenfassungAufgabenLiteratur zum Weiterlesen7 Sätze und ihre Bedeutung7.1 Sätze und Äußerungen7.2 Was ist die Bedeutung eines Satzes?7.2.1 Propositionen und Wahrheitsbedingungen7.2.2 Konzeptuelle Bedeutung7.2.3 Situationstypen7.3 Grammatische Bedeutung7.3.1 Lexikalische und grammatische Bedeutung7.3.2 Tempus7.3.3 Aspekt7.3.4 Grammatische Konstruktionen7.4 ZusammenfassungAufgabenLiteratur zum Weiterlesen8 Sprache im Kontext8.1 Das Kommunikationsmodell8.2 Der Sender als Ausgangspunkt8.3 Kooperationsprinzip8.3.1 Erfolgreiche Kommunikation8.3.2 Zwischen den Zeilen lesen8.4 SprechakteLokution (Äußerung und Proposition)IllokutionPerlokution8.5 Indirektheit und Höflichkeit8.6 Pragmatische Angemessenheit bei Anredeformen8.7 ZusammenfassungAufgabenLiteratur zum Weiterlesen9 Variation in Sprache9.1 Variationslinguistik9.2 Variationsarten9.3 Geografische oder ‚horizontale‘ Variation9.4 Soziale oder ‚vertikale‘ Variation9.4.1 Der Aufschwung der gesprochenen Standardsprache9.4.2 Quantitativ soziolinguistische Forschung9.4.3 Im Kopf der Sprecher:innen: Attitüde-Forschung9.5 Aktuelle Entwicklungen in der niederländischen Sprache9.5.1 Standardisierung abgeschlossen?9.5.2 Dialektrenaissance und Anerkennung von Mundarten9.5.3 Post-Standardvarietäten9.5.4 Neue Variation: vom Weltniederländisch zu straattaal und Murks9.5.5 ‚Superdiversity‘ auf dem linguistischen Markt: von Lekten zu Sprechstilen?9.6 ZusammenfassungAufgabenLiteratur zum Weiterlesen10 Sprache in Bewegung10.1 Der Prozess des Sprachwandels10.1.1 Ursachen für Sprachwandel10.1.2 Sprachwandel oder Sprachverfall?10.2 Wie untersucht man Sprachwandel?10.3 Lexikalischer Wandel10.4 Bedeutungswandel10.5 Lautwandel10.6 Morphologischer Wandel10.7 Syntaktischer Wandel10.8 Pragmatischer Wandel10.9 ZusammenfassungAufgabenLiteratur zum WeiterlesenBild- und RechtsnachweiseLiteraturverzeichnisRegister

Vorwort zur 1. Auflage

Gute Bücher über die niederländische Sprache und Sprachwissenschaft gibt es schon. Und es gibt auch im Internet vielfältige Informationen. Warum sollte man also ein Buch zur niederländischen Sprachwissenschaft schreiben? Nun, nahezu alle Standardwerke der Niederlandistik sind auf Niederländisch verfasst, was für Studienanfänger und andere Interessierte ohne ausreichende Niederländischkenntnisse ein Problem darstellt. Online Informationen wiederum sind oft weitgefächert und dadurch nicht immer überschaubar. Außerdem besteht immer wieder die Gefahr, dass Links nicht mehr existieren oder unauffindbar sind. Bücher leiden weniger darunter und zudem kann man mit einem Text auf Papier besser lernen, weil man unterstreichen und markieren kann. Deshalb diese Einführung in die niederländische Sprachwissenschaft auf Deutsch. Das Buch umfasst zehn Kapitel, die zwar aufeinander aufbauen, die aber auch getrennt voneinander verständlich sind und in einer anderen Reihenfolge gelesen werden können. Zu jedem Kapitel gehören neben einem Textteil auch Aufgaben. Lösungsvorschläge können unter der URL http://www.narr-studienbuecher.de eingesehen werden.

Dieses Projekt konnten wir nicht alleine in die Tat umsetzen. Wir danken unseren Mitautoren, Michaela Poß, Truus Kruyt und Gunther De Vogelaer, für ihre konstruktive Mitarbeit und die inhaltliche Bereicherung durch ihre Beiträge. Viele Kolleginnen und Kollegen der intra- und extramuralen Niederlandistik waren bereit, die Kapitel einer kritischen Begutachtung zu unterziehen und durch ihr Fachwissen zu bereichern. Dafür danken wir: Amand Berteloot, Ronny Boogaart, Gabriële Boorsma, Heinz Eickmans, Bernhard Fisseni, Joop van der Horst, Karolien Janssens, Jürgen Jaspers, Benina Knothe, Esther de Leeuw, Willy Martin, Anneke Neijt, Daniel Van Olmen, Michaela Poß, Ariane van Santen, Ton van der Wouden und Chris De Wulf. Für die tollen maßgefertigten Illustrationen danken wir Helmut Aretz. Die Übersetzung der Kapitel 3 und 8 aus dem Niederländischen ins Deutsche erfolgte in angenehmer Zusammenarbeit mit Kerstin Kamp und Bettina Anhuth. Nicole Dorweiler und Bernhard Fisseni haben mit großer Sorgfalt das Korrekturlesen übernommen, bei Layout und Formatierung wurden wir von Nicole Dorweiler und Michael Wentker unterstützt. Dem Narr-Verlag danken wir für das uns entgegengebrachte Vertrauen, insbesondere Bernd Villhauer, der sich für dieses Projekt persönlich eingesetzt hat, und Tillmann Bub und Karin Burger. Schließlich möchten wir der Nederlandse Taalunie für die finanzielle Unterstützung des Projektes danken.

 

Amsterdam/Münster, im September 2013         Ute K. Boonen & Ingeborg Harmes

Vorwort zur 2. Auflage

Über die Anfrage des Verlages, eine neue Auflage der Niederländischen Sprachwissenschaft herauszugeben, haben wir uns sehr gefreut, da dies von der Wertschätzung dieser Einführung zeugt und uns die Möglichkeit geboten hat, das Buch zu aktualisieren und zu überarbeiten. Wir danken an dieser Stelle Tillman Bub für das uns entgegengebrachte Vertrauen.

Wir haben ein neues Kapitel zur Bedeutung von Sätzen aufgenommen, das Ronny Boogaart verfasst hat und das von uns ins Deutsche übersetzt wurde. Am neuen Kapitel zur Bedeutung von Wörtern hat zusätzlich Roland de Bonth mitgewirkt. Das Kapitel Methoden der Sprachwissenschaft haben wir in der aktuellen Auflage außen vor gelassen. In diesem Zusammenhang möchten wir uns bei allen Rezensent:innen für ihre wertvollen Hinweise und Vorschläge bedanken. Außerdem danken wir Heinz Eickmans und Bernhard Fisseni für ihre inhaltlichen Hinweise, Karen Wallrich, Sabine Vahl und Ellen Brösterhaus für ihre Unterstützung bei der redaktionellen Arbeit sowie Michaela Menken (geb. Poß) für die Erlaubnis, ihren Text überarbeiten zu dürfen.

Unser herzlichster Dank gilt vor allem den beteiligten Autor:innen Truus Kruyt, Roland de Bonth, Ronny Boogaart und Gunther De Vogelaer.

 

Essen/Münster, im September 2023         Ute K. Boonen & Ingeborg Harmes

1Die niederländische Sprache

Ingeborg Harmes & Ute K. Boonen

Niederländer geben endlich zu, dass ihre Sprache nur ein ausgefeilter Witz ist, um Deutsche zu veralbern

Viele haben es schon lange vermutet, jetzt ist es offiziell: Die niederländische Sprache war nie ernsthaft zur zwischenmenschlichen KommunikationKommunikation gedacht. Stattdessen handelt es sich bei ihr um einen ausgefeilten Witz, mit dem die Bewohner des Landstrichs westlich von Nordrhein-Westfalen die Deutschen veräppeln wollten. Tatsächlich sprechen die Niederländer untereinander völlig normales Deutsch, wie die Regierung in Den Haag heute zugab.

Der Postillon, 25.05.2018

Derzeit sprechen etwa 25 Mio. Menschen Niederländisch als Muttersprache und damit gehört die niederländische Sprache zu den mittelgroßen Sprachen. Als große europäische Sprachen gelten z. B. Deutsch mit mehr als 92 Mio. und Französisch mit mehr als 75 Mio. Muttersprachler:innen; kleine Sprachen sind Schwedisch und Dänisch mit etwa 10 bzw. 6 Mio. Sprecher:innen. Wenn man berücksichtigt, dass weltweit schätzungsweise 6.000 Sprachen existieren, hat das Niederländische dennoch eine ziemlich starke Position, denn es gehört zu den 40 meistgesprochenen Sprachen der Welt.

Klischees und Halbwissen über die niederländische Sprache sind nach wie vor im Umlauf.

Wer über die niederländische Sprache schreibt, darf bei Leserinnen und Lesern außerhalb des niederländischen Sprachgebietes keine auch nur einigermaßen angemessene Vorstellung vom Gegenstand der Darstellung voraussetzen; zu sehr ist das Bild des Niederländischen fast allgemein von Vorurteilen und Mißverständnissen verzerrt. (Vekeman & Ecke 1992: 1)

Um einige Missverständnisse gleich auszuräumen: Niederländisch wird oft ‚Holländisch‘, die Niederlande oft ‚Holland‘ genannt. Genau wie England nur ein Teil von Großbritannien ist, ist Holland eigentlich nur ein Teil der Niederlande. Nordholland und Südholland sind zwei Provinzen im Westen der Niederlande. Die größten Städte sowie das politische und ökonomische Zentrum liegen in dieser Region. Vielleicht weil Holländisch kürzer und dadurch praktischer ist als Niederländisch, verwenden auch manche Niederländer:innen selbst häufig Hollands statt Nederlands für ihre Sprache. Jahrelang war die Bezeichnung Holland in Kombination mit einer Tulpe Teil des Logos der Tourismusbranche. Seit 2019 hat der Staat ein neues internationales Logo (Abb. 1.1) mit dem Begriff Netherlands eingeführt, weil dieser Name mittlerweile international aussagekräftiger ist.

Abb. 1.1: Offizielles internationales Logo der Niederlande

In Belgien wird die niederländische Sprache häufig Vlaams genannt (man spricht hier nicht Hollands). Eigentlich bezieht sich ‚flämisch‘ bzw. Vlaams auf die Region Flandern und ist der Name von zwei DialektDialekten, West- und Ostflämisch, die im Westen Flanderns gesprochen werden. Offiziell gibt es also weder die Sprache ‚Holländisch‘ noch die Sprache ‚Flämisch‘, sondern nur die Sprache ‚Niederländisch‘.

1.1Die VerbreitungVerbreitung des Niederländischen

Spuren der niederländischen Sprache findet man weltweit. Die vielen Handels- und Kulturkontakte innerhalb und außerhalb Europas haben dazu geführt, dass wir bis heute noch sprachliche Einflüsse in verschiedenen Regionen der Welt finden. Dabei handelt es sich hauptsächlich um niederländische Wörter, die in anderen Sprachen übernommen wurden. Viele dieser Wörter beziehen sich auf das alltägliche Leben, die Seeschifffahrt, den amtlichen Bereich und den Handel. Beispiele für solche Wörter sind bīru (bier) im Japanischen, brote (brood) im brasilianischen Portugiesisch, smear-case (smeerkaas) im amerikanischen Englisch, mápka (map) und kanál (kanaal) im Russischen, gávan (haven) und kontorá (kantoor ‚Büro‘) im Polnischen, kasir (kassier) im Javanischen oder notāris (notaris) und kakkussi-ya (kakhuis) im Singalesischen (Sri Lanka). In der Stadt New York erinnern bestimmte Ortsnamen noch an die niederländische Anwesenheit im 17. Jahrhundert: Broadway (Breede Weg), Brooklyn (Breukelen), Harlem (Haarlem) oder Coney Island (konijneneiland ‚Kanincheninsel‘).

Derzeit ist Niederländisch die offizielle Amtssprache in den Niederlanden, Belgien, auf den Karibikinseln Aruba, Curaçao, Sint Maarten, Bonaire, Sint Eustatius und Saba sowie in Suriname. In den folgenden Kapiteln wird die Position des Niederländischen in den jeweiligen Gebieten vorgestellt. Anschließend gehen wir noch kurz auf die niederländische Sprache in der ehemaligen Kolonie Niederländisch-Indien, heute Indonesien, und die Tochtersprache Afrikaans ein.

1.1.1Niederlande

Niederländisch ist die offizielle Amtssprache für die etwa 17,5 Mio. Einwohner:innen der Niederlande.1 Außerdem hat seit 1995 auch Friesisch (Fries) den Status einer offiziellen Sprache, allerdings nur in der Provinz Friesland. Friesisch wurde 1995 gemäß der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen als RegionalspracheRegionalsprache (streektaal) anerkannt. Es gibt etwa 350.000 Sprecher:innen des Friesischen. Außer im familiären Umfeld wird Friesisch in bestimmten Bereichen wie in der Schule, der Verwaltung und der Rechtsprechung verwendet (s. Textbeispiel). Weder die niederländische noch die friesische Sprache sind übrigens in der Verfassung festgelegt.

Sinds 1 januari 2014 hebben Friezen het recht om in Nederlandse rechtszalen Fries te praten, de tweede rijkstaal van Nederland. Dat is wettelijk bepaald in de Wet gebruik Friese taal.

“Je had ooit een boer, ergens uit het noorden van Friesland. Hij had zijn hele leven alleen maar Fries gesproken. En na de lagere school had hij geen opleiding meer gehad. Het was een zaak over het oormerken van zijn vee. En hij wist echt niet meer wat het woord ‘twaalf’ in het Nederlands was. ‘Tolve!’, riep hij door de rechtbank. Als de rechters dat niet begrijpen, heb je toch echt een tolk nodig.”

Algemeen Dagblad, 24.09.2021

Limburgisch (Limburgs) und Nedersaksisch sind seit 1997 bzw. 1996 auch als RegionalspracheRegionalsprache anerkannt, haben aber nicht den gleichen Status wie das Friesische. Mit der Anerkennung als RegionalspracheRegionalsprache verpflichten sich die Niederlande, die RegionalsprachenRegionalsprache zu schützen und zu fördern. So subventionieren sie beispielsweise lokale Theatervereinigungen und lokale Radiosender, die auch in der eigenen RegionalspracheRegionalsprache senden.

Außerdem werden in den Niederlanden – wie in vielen anderen Ländern auch – weitere Sprachen verwendet, die aber keinen offiziellen Status haben. In den Niederlanden sind das vor allem die Sprachen der Immigrant:innen wie Türkisch, Marokkanisch-Arabisch, Papiamento (vgl. Kap. 1.1.3), Indonesisch und Sranantongo (vgl. Kap. 1.1.3).

1.1.2Belgien

Belgien hat drei offizielle Sprachen: Niederländisch, Französisch und Deutsch. Von den etwa 11,5 Mio. Einwohner:innen leben über 6,6 Mio. Belgier:innen im niederländischsprachigen Flandern (Vlaanderen), 4,8 Mio. in der französichsprachigen Wallonie (auch: Wallonien; Wallonië), 1,2 Mio. in der französich-niederländischsprachigen Hauptstadtregion Brüssel (Hoofdstedelijk Gewest Brussel) und circa 78.000 in der deutschsprachigen Region Ostbelgien (Oost-België). Der belgische Föderalstaat ist in Gemeinschaften und Regionen eingeteilt. Die Gemeinschaften (gemeenschappen) sind sprachlich-kulturell ausgerichtet und gliedern sich in eine flämische, französische und deutschsprachige Gemeinschaft. Die Regionen (gewesten) sind politisch-administrativ ausgerichtet, im Norden liegt die Region Flandern und im Süden die Region Wallonien. Die Stadt Brüssel bildet eine eigene Region: die Region Brüssel-Hauptstadt (Brussel-Hoofdstad). Zudem werden auch hier – ohne offiziellen Status – verschiedene Immigrant:innensprachen verwendet, vor allem Italienisch, Marokkanisch-Arabisch, Portugiesisch und Türkisch. Die geografische Verteilung der drei offiziellen Sprachen ist in Artikel 4 der Verfassung festgelegt (s. Kasten):

België omvat vier taalgebieden: het Nederlandse taalgebied, het Franse taalgebied, het tweetalige gebied Brussel-Hoofdstad en het Duitse taalgebied. Elke gemeente van het Rijk maakt deel uit van een van deze taalgebieden. De grenzen van de vier taalgebieden kunnen niet worden gewijzigd of gecorrigeerd dan bij een wet, aangenomen met de meerderheid van de stemmen in elke taalgroep van elke Kamer, op voorwaarde dat de meerderheid van de leden van elke taalgroep aanwezig is en voor zover het totaal van de ja-stemmen in beide taalgroepen twee derden van de uitgebrachte stemmen bereikt.

Belgische Grondwet, Gecoördineerde tekst van 17 februari 1994

Laut Gesetz besteht Belgien also aus vier Sprachgebieten (Abb. 1.2): dem niederländischen Sprachgebiet in Flandern, dem französischen Sprachgebiet in Wallonien, dem deutschen Sprachgebiet in Ostbelgien bei Eupen und dem zweisprachigen Sprachgebiet in der Region Brüssel-Hauptstadt.

Darüber hinaus gibt es die sog. Fazilitäten-Gemeinden (faciliteitengemeenten). In diesen Gemeinden, die unmittelbar an den Sprachgrenzen liegen, ist gesetzlich festgelegt, dass die Einwohner:innen das Recht haben, gewisse Verwaltungsdienste in der jeweils anderen Sprache zu erhalten. In einer Gemeinde, die eigentlich im französischen Gebiet liegt, können Bürger:innen auch auf Niederländisch oder Deutsch Leistungen beantragen, Formulare erhalten etc., und umgekehrt. Aus sprachpolitischen Gründen erkennt Belgien keine RegionalsprachenRegionalsprache gemäß der europäischen Charta an.

Abb. 1.2: Sprachgebiete in Belgien

Wer in Belgien ist, bemerkt schnell, dass sich die gesprochene Sprache dort anders anhört als in den Niederlanden:

(1)

Ik heb een heel schoonkleedje gekocht in Antwerpen.

(2)

ja en hebde gij wiskunde al gemaakt? (CGN fv900251)

(3)

We gaan volgend jaar twee miljoen moeten bezuinigen. (ANS)

Einige typische Merkmale des Niederländischen in Flandern sehen wir im Wortschatz: schoon statt mooi und kleedje statt jurkje. Andere Merkmale sind das Anredepronomen gij statt jij, die dialektale VarianteVariante mit doppelter pronominaler Markierung (gij in Kombination mit der klitischen Formklitische Formde für gij), und die grammatische KonstruktionKonstruktiongaan moeten bezuinigen statt (zullen) moeten bezuinigen. In den letzten Jahrzehnten sprechen immer mehr Flam:innen eine bestimmte Form des Niederländischen, die kein DialektDialekt (mehr) ist, aber sich erheblich vom Niederländischen in den Niederlanden unterscheidet. Diese Form des Niederländischen ist unter dem Namen Verkavelingsvlaams oder auch tussentaal bekannt. Tussentaal (s. Textbeispiel)1 ist ein äußerst facettenreiches Phänomen, das in den letzten Jahren verstärkt im Zentrum des Interesses steht, sich aber nicht einfach beschreiben lässt.

Tussentaal in de soapserie Thuis

Amai waar da gij nog mee afkomt. Daar moet ik eens over nadenken ze. Euh mag et iets heel duur zijn? / Nee want al mijn geld steekt in de Fit&Fun. / Ah want ‘k ad anders een heel schoon kleedje gezien zo’n avondkleedje in rode zijde of die ring eh die bij de juwelier aan de kerk ligt weette nog de welke? / Mmmm. / Seg ben u maar aan ’t plagen hé. Ik wil toch maar één ding en da is nog jaren gelukkig zijn met u. Of ja ‘k eb misschien toch ook nog nen anderen wens.

dialectloket.be

1.1.3Übersee

1.1.3.1Die Karibikinseln

Seit der Verfassungsänderung vom Oktober 2010 besteht das Königreich der Niederlande aus vier Ländern auf zwei Kontinenten: den Niederlanden in Europa und den Karibikinseln Aruba, Curaçao und Sint Maarten (Abb. 1.3). Die Inseln sind selbstständige Länder mit einer eigenen Regierung. Auch die drei südamerikanischen Inseln Bonaire, Sint Eustatius und Saba (BES-eilanden) gehören zum Königreich. Diese Inseln, die auch als Karibische Niederlande (Caribisch Nederland) bezeichnet werden, haben den Status einer besonderen Gemeinde der Niederlande.

Abb. 1.3: Karibischer Teil der Niederlande

Niederländisch ist auf allen sechs Inseln eine der offiziellen Amtssprachen und die Sprache, die in der Verwaltung, für die Gesetzgebung und andere rechtliche Vorgänge und auch im Schulunterricht hauptsächlich verwendet wird. Als Umgangssprache spielt Niederländisch eher eine kleine Rolle, denn die meisten Einwohner:innen sprechen im Alltag Papiamento (Papiaments) auf Aruba, Curaçao und Bonaire oder Englisch auf Curaçao, Sint Maarten, Saba und Sint Eustatius. 2003 haben das Parlament von Aruba und 2007 das Parlament von Curaçao neben Niederländisch auch das Papiamento als offizielle Amtssprache eingeführt, wodurch beide Sprachen gleichwertig sind. In einem Anpassungsgesetz aus dem Jahr 2010 ist für die BES-Inseln festgelegt, dass außer Niederländisch auch Papiamento und Englisch Kommunikationssprachen zwischen den öffentlichen Behörden und den Bürger:innen sind, wie beispielsweise im folgenden Fragment zum reibeweis ‚Führerschein‘ der Behörde auf Bonaire (s. Kasten).

Un reibeweis ta un prueba di outorisashon pa manehá vehíkulo di motor i vehíkulo motorisá ku velosidat limitá. Tur hende ku ta biba na Boneiru i ku ke subi kaminda ku un vehíkulo di motor (outo di famia, outo di trabou, bùs, motosaikel òf bròmfits), mester ta den poseshon di un reibeweis bálido.

 

Een rijbewijs is een bewijs van de bevoegdheid tot het besturen van motorrijtuigen en bromvoertuigen. Iedereen die op Bonaire woont en met een motorrijtuig (personenauto, bedrijfswagen, bus, motorfiets of bromfiets) de weg op wil, moet in het bezit zijn van een geldig rijbewijs.

bonairegov.com, 13.12.2021

1.1.3.2Suriname

Die Republik Suriname ist eine ehemalige niederländische Kolonie im Norden des südamerikanischen Kontinents. Aufgrund der Geschichte Surinames mit den Eroberungen durch Spanien und England sowie die Sklaverei in den ersten zwei Jahrhunderten der niederländischen Kolonisierung hat sich die Bevölkerung zu einer multiethnischen Gesellschaft entwickelt. In Suriname, das seit 1975 unabhängig ist, werden deshalb um die 20 Sprachen gesprochen. Einzige offizielle Amtssprache ist das Niederländische, das im Bildungswesen, der Verwaltung und im Rechtswesen verwendet wird. Etwa 60 % der rund 598.000 Einwohner:innen sprechen es als Muttersprache. Neben Niederländisch ist das Sranantongo (auch Surinamisch oder Taki-Taki genannt) die zweitwichtigste Sprache in Suriname, es funktioniert als Lingua francaLingua franca (lingua franca), d. h. als Kontakt- und Gemeinschaftssprache in dieser mehrsprachigen Gesellschaft. Andere Sprachen sind z. B. das Sarnami (surinamisches Hindustanisch), Javanisch, Chinesisch und die Marronsprachen, wie das Saramakanisch und Aukanisch.

Das Niederländische in Suriname ist eine eigene Form der niederländischen Sprache, die aufgrund des intensiven SprachkontaktsSprachkontakt mit den vielen einheimischen Sprachen eigene Strukturen entwickelt hat. Schauen wir uns das Fragment aus einem literarischen Text genauer an (s. Textbeispiel unten). In den Dialogen dieses Textes fallen einige Eigenheiten sofort auf, wie z. B. der Gebrauch einer anderen PräpositionPräposition (breng voor je huisarts statt breng naar je huisarts) oder das Hilfsverb gaan, um das Futur auszudrücken (Waar denk je dat je zo gaat gaan?). Auch findet man ab und an Wörter oder kurze Sätze in Sranantongo, wie poku (muziek), Pe yu karta de? (Waar is je kaartje?), nanga hebi alen disi (in deze zware regen) oder das Wörtchen nò? (niet waar?), das am Ende einer Frage steht und bedeutet, dass man eine Bestätigung erwartet.

De zinkplaten dakbedekking knapte toen de regen aarzelend zijn eerste druppels losliet. Tjrrrp tjrrrp tjrrrp. Als waterspetters op hete olie. Toen werd het zwaarder, luidruchtig geroffel. Regen speelde poku, danste patyanga op het dak.

„Heb je al een nummer gehaald?” Voor een moment staarde ze de zuster verdwaasd aan, drong het niet door wat haar werd gevraagd. “Je nummer!”

“Ik kom voor uitslag zuster. Alleen uitslag”, klonk het toonloos.

“Oh, voor resultáát kom je! Niet hier toch meisje. Is niet hier moet je zijn. Kijk, ga bij zuster daar, dan vraag je.” Ze sprong op, liep haastig naar het loket waar ze haar kaartje eerder had laten zien. Er zat nu een ander.

“Ik kom voor uitslag zuster, ik verzoek zuster mijn uitslag …”

“Pe yu karta de?” Ze overhandigde haar kaartje. Kreeg het terug met een opgevouwen tweedruk die was dichtgeniet. “Breng voor je huisarts.”

Een enorm watergordijn werd vanuit de hemel neergelaten. Mensen verdrongen zich bij de uitgang. Ze wrong zich tussen hen door. “Hmmm meisje, je kan niet wachten nò, je hebt geen manieren nò? Man! Waar denk je dat je zo gaat gaan nanga hebi alen disi.” Ze keek niet op, gaf geen antwoord.

Marylin Simons, Carrousel (2003)

Es ist jedoch in solchen Texten und Situationen schwierig festzulegen, was charakteristisch für das surinamische Niederländischsurinamisches Niederländisch ist und was vielleicht kein ‚gutes‘ Niederländisch ist. Denn in einer mehrsprachigen Gesellschaft besteht eine rege Interaktion zwischen den verschiedenen Sprachen, in Suriname vor allem zwischen Sranantongo und Niederländisch.

1.1.3.3Indonesien

In Indonesien ist die offizielle Amtssprache das Bahasa Indonesia, was ‚Sprache von Indonesien‘ bedeutet. Ende des 16. Jahrhunderts setzten die ersten Niederländer ihren Fuß auf den Indischen Archipel und bis 1949 war Indonesien die niederländische Kolonie Niederländisch-Indien. Aber im Gegensatz zu z. B. England und Spanien haben die Niederländer:innen bewusst keinen Sprachimperialismus betrieben: Die allgemeine VerbreitungVerbreitung des Niederländischen unter der einheimischen Bevölkerung war sogar unerwünscht. Nur in der Verwaltung, der niederländischen Kirche und in einigen Schulen war die niederländische Sprache präsent. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Niederländisch gezielt an bestimmten Schulen eingeführt, die allgemeine Ausbreitung in den Schulen erfolgte erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Während der japanischen Besetzung (1942–1945) wurde das Niederländische verboten. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es noch für eine kurze Zeit Pläne, die Position der niederländischen Sprache zu stärken, dafür war es jedoch zu spät. Kurz nach der Souveränitätsübertragung am 27.12.1949 wurde das Niederländische in Schule und Verwaltung abgeschafft. Die niederländische Sprache ist aber nie vollkommen aus Indonesien verschwunden (Abb. 1.4). Es gibt z. B. eine ganze Reihe von LehnwörternLehnwort aus dem Niederländischen im Bahasa Indonesia und umgekehrt (Tab. 1.1).

Niederländische Lehnwörter

Indonesische Lehnwörter

rebewis

rijbewijs

amok

probleem, ruzie

taplak

tafellaken

soebatten

lief vragen

sekolah

school

pienter

slim

hotperdom

godverdomme

toko

Chinese winkel

seterika

strijken

amper

nog maar net

Tab. 1.1: LehnwörterLehnwort

Hinzu kommt, dass heutzutage viele Menschen in Indonesien Niederländisch lernen. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Erstens ist Niederländisch als QuellenspracheQuellensprache (bronnentaal) von großer Bedeutung in Studiengängen wie Geschichte, Rechtswissenschaften, Anthropologie oder SprachwissenschaftSprachwissenschaft, weil viele ältere Quellen in niederländischer Sprache verfasst sind. Zweitens bestehen immer noch viele Familienkontakte mit den Niederlanden oder besteht der Wunsch, an einer niederländischen oder flämischen Universität zu studieren. Und drittens erhöht das Niederländische die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Abb.1.4: Niederländisch im Straßenbild Jakartas

Im ehemaligen Niederländisch-Indien wurde außer Niederländisch, Malaiisch, Javanisch und anderen einheimischen Sprachen auch eine Art Jugendsprache gesprochen: das Petjo, das vor allem auf der Straße gesprochen wurde.

Op een dah ik ontmoet Si Bentiet bij ‘t sluis, haat noh srijven. Dese hij is een wonder fan de werelt. Ik seht: “Masa 'ntiet jij haat werken bij ’t sluis!” Hij seh: “Als dese ik doet thuis, di-gampar ikke door mijn moeder! Dese hij is straf.” En dan ik leest: “Ik mag niet brutaal zijn tegen de jifrouw.” Ik seht: “In de eerste plaats fout dese. Moet júffrouw met korte u. Ajo, ferbeteren. Als niet, kwaai-kwaai djiefrouw straks. Overmaken lagi, als niet tambah extra honderd stuks strafrehel.” En dan Si Bentiet hij kijk lang naar mij, tot ik wordt bang een beetje.

Op een dag ontmoet ik Bentiet bij de sluis, hij gaat nog schrijven. Dit is een wonder van de wereld. Ik zeg: “Broer Bentiet, ga jij bij de sluis werken?” Hij zegt: “Als ik dit thuis doe, word ik door mijn moeder getekend (= gestraft). Dit is straf.” En dan lees ik: “Ik mag niet brutaal zijn tegen de jifrouw.” Ik zeg: “In de eerste plaats is dit fout. Júfrouw moet met een korte u. Kom op, verbeteren. Zo niet, dan is de jufrouw straks verschrikkelijk kwaad. Nog eens overmaken, zo niet, honderd stuks strafregels extra erbij doen.” En dan kijkt Bentiet lang naar mij, tot ik een beetje bang word.

Tjalie Robinson, Ik en Bentiet (1984)

Die niederländische Bevölkerung vor Ort ärgerte sich sehr über diese ‚Krummsprache‘ (kromtaal), der Schriftsteller Tjalie Robinson setzte sich aber für diese Sprache ein und hat auch einige Geschichten in Petjo geschrieben. Die Mischung aus niederländischen und malaiischen Elementen ist in diesem Textbeispiel gut zu erkennen. Malaiische Wörter sind: masa (,glaubst du‘), di-gampar (,eins auf die Mütze bekommen‘), lagi (,wieder‘) und tambah (,noch mehr bekommen/geben‘). Eine andere Wortstellung zeigt sich in op een dah ik ontmoet Si Bentiet oder en dan ik leest. Typisch sind auch Wortformen wie kwaai-kwaai (,sehr wütend‘) oder Konjugationsformen wie ik seht, ik leest, hij kijk. Heute wird das Petjo nur noch vereinzelt gesprochen, man hört es z. B. noch bei den jährlichen Gedenktagen für die Opfer der japanischen Gefangenenlager oder bei Veranstaltungen zur indonesischen Kultur.

1.2Afrikaans

Afrikaans ist kein Niederländisch, aber die beiden Sprachen ähneln sich so sehr, dass sich Sprecher:innen des Niederländischen und des Afrikaans im Prinzip gegenseitig verstehen können. Vergleichen wir ein Textfragment aus Der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry auf Afrikaans und Niederländisch (es hilft, wenn man das afrikaanse Textfragment laut liest):

A, klein prinsie, so het ek stadigaan iets van jou lewetjie en sy hartseer begin verstaan. ’n Baie lang tyd was die lieflikheid van die sonsondergang vir jou die enigste plesier op jou planeet – dit het ek agtergekom toe jy op die oggend van die vierde dag vir my sê: Ek hou baie van sonsondergange.

 

Ach, kleine prins, zo heb ik langzamerhand je droefgeestige leventje leren begrijpen. Lange tijd had je geen andere afleiding dan het ondergaan van de zon. Dat hoorde ik de vierde dag, toen je zei: Ik houd erg van zonsondergangen.

Antoine de Saint-Exupéry, Der kleine Prinz

Viele Wörter sind eindeutig zu erkennen, auch wenn sie nicht gleich geschrieben werden (ek – ik, lewetjie – leventje, vir jou – voor jou, oggend – ochtend und agtergekom – achtergekomen). Auch die Wortstellung unterscheidet sich nur leicht vom Niederländischen. Schwieriger zu erkennen sind Wörter wie stadigaan für langzamerhand (,nach und nach‘) und baie für erg (,sehr‘). Die sprachlichen Ähnlichkeiten gehen auf die Entstehungsgeschichte des Afrikaans zurück: Es hat sich aus den niederländischen DialektDialekten des 17. Jahrhunderts entwickelt, nachdem sich die Vereinigte Ostindische Handelskompanie (Vereenigde Oostindische Compagnie, VOC) im heutigen Kapstadt niedergelassen hatte. Die Sprachsituation war von Anfang an sehr divers, außer Niederländisch gab es am Kap noch die europäischen Sprachen Deutsch und Französisch, das Portugiesisch-Malaiische, das die Versklavten sprachen, und die einheimischen afrikanischen Sprachen der San und Khoi-Khoi. Bis etwa 1800 hat sich in dieser Sprachvielfalt das Afrikaans als eigenständige Umgangssprache entwickelt. Nachdem die Brit:innen 1806 die Herrschaft der Kapkolonie übernommen hatten, spielte das Englische eine immer größere Rolle. Erst 1925 wurde Afrikaans neben Englisch als offizielle Amtssprache anerkannt.

Seit 1994 ist Afrikaans eine der elf offiziellen Sprachen in Südafrika mit etwa 6 Mio. Sprecher:innen. Außerdem wird es in Namibia von etwa 200.000 Menschen gesprochen. Die Position des Afrikaans steht heutzutage unter Druck, weil Englisch in immer mehr Bereichen wie in der Verwaltung, in der Rechtsprechung und in den Medien an Bedeutung gewinnt. Allerdings ist Afrikaans nach Zulu und Xhosa die drittgrößte Sprache, die im familiären Umfeld gesprochen wird. Es existiert eine reiche afrikaanse Literatur und man kann Afrikaans in Südafrika und Namibia studieren. An der belgischen Universität Gent gibt es das Gents Centrum voor het Afrikaans en de studie van Zuid-Afrika.

1.3StandardspracheStandardsprache

Niederländisch gibt es in verschiedenen Formen:

(4)

Dit is voor ikke!

(5)

Arme lieverd, dikke kus dan is het gauw weer beter.

(6)

Hahaha Floris nieuwe chick?

(7)

Vandaag ben ik naar uw Verenigde Vergadering gekomen om als uw Koning te worden beëdigd en ingehuldigd. Als gekozen volksvertegenwoordigers bent u daartoe hier, in de hoofdstad, bijeen.

(8)

Ik heb een heel schoon kleedje gekocht in Antwerpen.

(9)

Er tocht niet bij mij naar binnen.

Ein fünfjähriges Kind (4) spricht ein anderes Niederländisch als eine siebzigjährige Dame (5). Jugendliche in sozialen Netzwerken (6) benutzen eine andere Form des Niederländischen als König Willem-Alexander in seiner Ansprache beim Thronwechsel (7), während eine Flamin (8) bestimmte Wörter verwendet, die in den Niederlanden weniger alltäglich sind. Und nichtmuttersprachliche Niederländer:innen können bestimmte Fehler machen, wie hier beim Gebrauch von er (9). Auch wenn nicht alle Beispiele dem Idealbild der niederländischen Sprache entsprechen, sind es trotzdem Formen, die wir Niederländisch nennen können. Das Idealbild einer Sprache entspricht oft der NormNorm (norm), d. h. dem, was die Gesellschaft für korrektes Niederländisch hält. Eine eindeutige NormNorm besteht allerdings nur für die RechtschreibungRechtschreibung, sie steht in der Woordenlijst der Nederlandse Taal, die unter dem Namen Het Groene Boekje bekannt ist. Für Grammatik oder Aussprache gibt es keine eindeutig festgelegte Norm, oft orientiert man sich an Personen mit fachlichem Ansehen, wie Schriftsteller:innen, Journalist:innen oder Politiker:innen.

Over de Haarlemse tongval zijn de meeste Nederlanders heel positief. Ze noemen die keurig, helder en duidelijk. Vreemd en stijf vinden ze daarentegen het Nederlands in Friesland. Dat vinden ze het lelijkst. Ook het Amsterdams valt niet in de smaak. Dat komt plat, vulgair, brutaal en hoogmoedig over. Vlamingen waarderen het meest het Nederlands van de provincie Antwerpen: dat vinden ze duidelijk en helder. Maar de taal van de stád Antwerpen waarderen ze helemaal niet. Die klinkt ze plat, vulgair, brutaal, hoogmoedig en arrogant in de oren.

Taalpeil (2009)

Wer im Ausland Niederländisch lernt oder studiert, lernt in der Regel ‚StandardniederländischStandardniederländisch‘. Lehrwerke sind auf diese Form des Niederländischen ausgerichtet mit dem Ziel, möglichst ‚gutes‘ Niederländisch zu lernen. StandardniederländischStandardniederländisch ist allerdings nur eine der vielen Formen von Niederländisch, die gesprochen und geschrieben werden. Wenn man jedoch allgemein über Niederländisch spricht, meint man normalerweise die niederländische StandardspracheStandardsprache (standaardtaal). StandardspracheStandardsprache kann man wie folgt beschreiben:

We verstaan onder de standaardtaal het Nederlands dat algemeen bruikbaar is in het publieke domein, dat wil zeggen in alle belangrijke sectoren van het openbare leven, zoals het bestuur, de administratie, de rechtspraak, het onderwijs en de media. Anders uitgedrukt: standaardtaal is het Nederlands dat algemeen bruikbaar is in contacten met mensen buiten de eigen vertrouwde omgeving (in zogenaamde secundaire relaties). Woorden, uitdrukkingen, uitspraakvormen of constructies die standaardtaal zijn, zijn dus in principe zonder problemen bruikbaar in de genoemde sectoren en situaties.

taaladvies.net, 21.05.2021

StandardspracheStandardsprache oder auch Algemeen Nederlands (AN) ist demnach das Niederländisch, das in allen wichtigen Sektoren des öffentlichen Lebens verwendet werden kann: in der Verwaltung, Rechtsprechung, Lehre und Wissenschaft sowie in den Medien. Man verwendet sie normalerweise im Kontakt mit Menschen, die nicht zum Bekanntenkreis gehören, sie wird als Schriftsprache (z. B. in Zeitungen) verwendet und in der Schule gelehrt. Man kann die StandardspracheStandardsprache jedoch nicht mit der NormNorm gleichstellen. In gewisser Weise ist StandardspracheStandardsprache ein Kulturprodukt, in dem der Einfluss einer bewussten Normierung gelegentlich merkbar ist. So kennt das StandardniederländischStandardniederländisch bei den Personalpronomen eine Unterscheidung zwischen hen und hun, die – vereinfacht gesagt – als direktesObjektdirekt bzw. indirektes ObjektObjektindirekt fungieren: ik zie hen vs. ik stel hun een vraag. Diese Unterscheidung wird im alltäglichen Sprachgebrauch aber kaum beachtet.

Niederländisch: eine plurizentrische Spracheplurizentrische Sprache

Um die niederländische Sprache in den Niederlanden, Flandern und Suriname zu unterstützen und zu fördern, wurde 1980 ein Vertrag über eine Sprachunion (taalunie) geschlossen und die sog. Taalunie gegründet. Suriname gehört seit 2004 offiziell zur Taalunie. Außerdem fördert die Taalunie die niederländische Sprache und Kultur weltweit.

Die Taalunie geht von einer StandardspracheStandardsprache aus, die in drei VarietätenVarietät (variëteiten) vorkommt (vgl. Kap. 9): erstens niederländisches Niederländischniederländisches Niederländisch (Nederlands Nederlands), zweitens belgisches Niederländischbelgisches Niederländisch (Belgisch Nederlands), und drittens surinamisches Niederländischsurinamisches Niederländisch (Surinaams Nederlands). Diese sprachliche Situation ist in etwa vergleichbar mit der des Deutschen in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz oder mit der des Englischen in Großbritannien und den Vereinigten Staaten, Australien, Südafrika etc. In den verschiedenen Ländern wird jeweils eine eigene NormNorm der Sprache verwendet: British English und American English sind verschiedene Standardformen des Englischen. Eine Sprache, die verschiedene Zentren für die Standardnorm hat, wird auch als plurizentrische Spracheplurizentrische Sprache (pluricentrische taal) bezeichnet.

Abb. 1.5: StandardspracheStandardsprache im niederländischen Sprachgebiet

Die Überschneidungen zwischen der StandardspracheStandardsprache in den Niederlanden und der in Belgien sind groß (Abb. 1.5): Die meisten Wörter und Formulierungen sind gleich, wie appel oder van een mug een olifant maken usw. Nur ein kleiner Teil des Wortschatzes und der Grammatik weicht ab und ist im anderen Sprachgebiet ungebräuchlich oder unbekannt. So verwendet man in den Niederlanden und in Suriname das Wort pinpas für EC-Karte, in Belgien bankkaart. In Belgien ist eine Formulierung wie hoe is het zover kunnen komen standardsprachlich, während man in den Niederlanden sagt hoe heeft het zover kunnen komen. In den letzten Jahren ist die AkzeptanzAkzeptanz gegenüber nationalen VariantenVariante gewachsen und wird Niederländisch als plurizentrische Spracheplurizentrische Sprache gesehen. In die 2015er Ausgabe der Woordenlijst der Nederlandse taal wurden etwa 2.500 Wörter aus dem surinamischen Niederländischsurinamisches Niederländisch und auch karibisch-niederländische Wörter aufgenommen, wie z. B. zwamp (,Morast‘), tapu (,Amulett‘), kostgrond (,Gemüsegarten‘) und trekkoffie (,Filterkaffee‘) bzw. baaidag (,Strandtag‘) und hòmber (,Kerl, Bursche‘).

1.4Sprache und SprachwissenschaftSprachwissenschaft

Intuitiv wissen wir viel über unsere Muttersprache. Ein Kind weiß zwar nicht, was ein Substantiv oder KongruenzKongruenz ist, dennoch kann es ohne weiteres korrekte Sätze formulieren wie de hond eet een koekje. Auch viele erwachsene Muttersprachler:innen wissen nicht explizit, was ein Substantiv oder KongruenzKongruenz ist. Sie wissen aber sehr gut, dass de hond eten een koekje kein guter niederländischer Satz ist. Ebenso ist für niederländische Sprachbenutzer:innenSprachbenutzerinnen (taalgebruikers) klar, dass plek, plaag und pluis niederländische Wörter sind und mlek, mlaag und mluis nicht. Sprachbenutzer:innenSprachbenutzerinnen verfügen somit über ein unbewusstes Wissen über ihre Muttersprache, die linguistische Kompetenzlinguistische Kompetenz (linguïstische competence). Wenn wir unser Wissen anwenden und konkret Sprache produzieren, spricht man von PerformanzPerformanz (performance). Obwohl wir gerne glauben möchten, dass wir im Großen und Ganzen korrekt sprechen, bilden wir oft keine perfekten Sätze. In der konkreten Situation können wir ohne weiteres ein Gespräch führen wie im folgenden Beispiel aus dem Corpus Gesproken Nederlands (fv400124):

(10)

A:

wat is het laatste jeugdboek dat u gelezen hebt of …

 

B:

’t is nu wel lang geleden dat ke’d nog … uh omdat ’k tamelijk veel werk heb’z heb eigenlijk. ’k zou mij niet meer kunnen herinneren dat ik nu … de laatste keer’ … how ’t laatste jaar heb ik eigenlijk weinig … ’k heb er veel besteld dat ’k nog moet lezen nu in de vakantie maar uh …

 

A:

ja. dus de boeken stapelen zich zo een beetje op naar de vakantie toe altijd.

Die Sätze der beiden Sprecher:innen sind eindeutig keine vollständigen und korrekten Sätze. Dennoch verstehen die Gesprächspartner:innen einander bestens. Offensichtlich verfügt der/die Zuhörende über genug sprachliches Wissen, um die ÄußerungÄußerung richtig zu verstehen und haben die ‚Sprachfehler‘ keinen Einfluss auf die Verständlichkeit.

Es gibt viele Auffassungen darüber, was unsere Sprache eigentlich ist, aber allgemein wird Sprache als etwas typisch Menschliches verstanden, mit dem wir unsere Gedanken, Vorstellungen und komplexe Informationen ausdrücken und vermitteln können. Sprache ist daher ein Kommunikationsmittel, das aus vielen verschiedenen Sprachformen besteht. Deshalb ist sie auch nicht starr und festgelegt, sondern dynamisch: Sie entwickelt sich immer weiter und kann sich den vielen Situationen in einer Sprachgemeinschaft anpassen.

1.4.1SprachwissenschaftSprachwissenschaft

Zum Thema Sprache hat wohl jede/r eine Meinung und etwas zu sagen. Eine viel gehörte Aussage ist z. B., dass Niederländisch ‚niedlich‘ oder ‚lustig‘ ist. Aus kulinarischer Sicht hören sich die Wörter kalkoengalantine oder galantine de dinde appetitlicher an als Truthahnbrust-Bierschinken, das Französische klingt ‚leckerer‘ als das Deutsche.1 Es ist nicht so schwer, ein bestimmtes Etikett auf eine Sprache zu kleben: Englisch ist cool, Französisch erotisch, Russisch melancholisch, Deutsch streng und Niederländisch lustig. Sprache erregt aber auch Ärgernis. Es gibt Leute, die sich über die angeblich vielen englischen Wörter im Deutschen oder Niederländischen aufregen: Warum sagt man meeting, shoppen oder je fiets customizen wenn gute deutsche und niederländische Äquivalente wie Besprechung (bespreking), einkaufen (winkelen) oder sein Fahrrad anpassen (aanpassen) vorhanden sind? Auch regt sich manch eine/r über Mitmenschen auf, die die Sprache nicht korrekt beherrschen und die hun zeggen dat statt zij zeggen dat sagen oder wir gehen nach Hause weil es ist spät statt wir gehen nach Hause weil es spät ist. Zugleich steht die RechtschreibungRechtschreibung oft in der Kritik: Schifffahrt mit drei f sieht seltsam aus und in den Niederlanden wurde lange debattiert, ob ein Pfannkuchen nun als pannenkoek oder pannekoek geschrieben werden soll. Ob Sprache schön oder nicht schön ist und ob ein Satz grammatisch richtig oder falsch ist, ist häufig von ästhetischen und normativennormativ Meinungen abhängig.

Wenn man eine Sprache wissenschaftlich betrachten möchte, geht es allerdings gar nicht darum, ob eine Sprache schön klingt oder nicht oder ob der Sprachgebrauch richtig oder falsch ist. Vielmehr steht die Frage im Mittelpunkt, wie Sprache eigentlich funktioniert. Sätze wie hun zeggen dat oder wir gehen nach Hause weil es ist spät sind für Sprachwissenschaftler:innen gerade spannend, weil sie z. B. wissen wollen, ob solche Sätze eine Neuerung im Sprachgebrauch sind oder vielleicht schon länger vorkommen. Oder ob solche Sätze von der Sprachgemeinschaft als akzeptabel oder inakzeptabel empfunden werden, und warum Menschen solche Sätze benutzen, die gegen die Regeln der Sprachnormen verstoßen. Auch Anglizismen werden aus einer anderen Perspektive betrachtet; Sprachwissenschaftler:innen möchten erfahren, aus welchem Grund sie benutzt werden, seit wann sie eigentlich vorkommen und ob jede/r diese Wörter benutzt oder nur ein Teil der Sprachgemeinschaft. Eine sprachwissenschaftliche Betrachtungsweise versucht also, Sprache wertneutral zu beschreiben und zu erklären.

Die SprachwissenschaftSprachwissenschaft oder LinguistikLinguistik (taalkunde oder linguïstiek) beschäftigt sich auf möglichst objektive Weise mit der Beschreibung und Erforschung von allerlei Facetten von Sprache aus unterschiedlichen Perspektiven.

Untersuchungsobjekt der SprachwissenschaftSprachwissenschaft sind vor allem die natürlichen Sprachen der Menschen, d. h. Sprachen, die sich historisch in einer Gesellschaft entwickelt haben und sich weiterentwickeln, wie das Niederländische oder Deutsche oder auch Gebärdensprache. Auch Kommunikationssysteme von Tieren, das internationale Esperanto, die von Tolkien kreierten Elbensprachen Sindarin und Quenya aus Der Herr der Ringe und Programmiersprachen können sprachwissenschaftlich analysiert werden.

Eine objektive Betrachtungsweise will natürliche Sprache so beschreiben, wie sie in der Wirklichkeit funktioniert. SprachwissenschaftSprachwissenschaft ist daher generell deskriptivdeskriptiv (descriptief) und nicht präskriptivpräskriptiv (prescriptief): Sie will nicht vorschreiben, was richtig oder falsch ist oder wie man Sprache zu benutzen hat, sondern beschreiben, wie sie tatsächlich in der KommunikationKommunikation verwendet wird. Nehmen wir als Beispiel die VergleichspartikelPartikelVergleichspartikel nach einem Komparativ im Niederländischen:

(11a)

Berlijn is groter dan Amsterdam.

(11b)

Berlijn is groter als Amsterdam.

(11c)

Berlijn is groter of Amsterdam.

(11d)

Berlijn is groter wie Amsterdam.

Außer der normierten Form dan gibt es noch drei andere Formen, nämlich als, of und wie. Die letzten beiden werden vor allem in südlichen DialektDialekten verwendet. Im Deutschen kommen die vergleichbaren Formulierungen größer als und größer wie vor. Es gibt aber keinen sprachsystematischen Grund, weshalb groter dan korrekter oder besser ist als groter als oder of. Historisch gesehen kommen alle Formen im niederländischen Sprachgebiet vor. Auch wenn die NormNorm vorschreibt, dass ein Satz wie Berlijn is groter als Amsterdam ‚falsch‘ ist und diese Form in den Niederlanden sogar zu den Top 10 der Sprachärgernisse gehört, spielt eine solche Meinung und Wertung bei einer sprachwissenschaftlichen Beschreibung keine Rolle. Sprachwissenschaftler:innen betrachten Abweichungen von der NormNorm meistens nicht als falsch, sondern sehen sie als eine Form der vielen Arten Niederländisch, die gesprochen werden.

Um Sprache wissenschaftlich beschreiben zu können, brauchen wir sprachliche Daten. Denn nur anhand von Daten ist es möglich zu beobachten und zu beschreiben, wie Sprache wirklich ist, und können Prinzipien und Strukturen aufgezeigt werden. Sprachliche Regeln werden auch nicht im Voraus festgelegt, sondern aufgrund einer objektiven Analyse ermittelt und beschrieben. Ein Beispiel für eine solche Analyse ist der Syntactische Atlas van de Nederlandse Dialecten (SAND 2006), in dem u. a. die Verwendung der vier Vergleichswörter dan, als, of und wie in den niederländischen DialektDialekten dargestellt ist. Bei dieser Studie hat sich herausgestellt, dass als bedeutend öfter vorkommt als dan.

 

In der SprachwissenschaftSprachwissenschaft kann Sprache aus vielen Perspektiven betrachtet werden: Jemand, der z. B. Texte oder Tonaufnahmen analysiert, um Kriminalbeamt:innen bei der Identifikation von Personen zu unterstützen, beschäftigt sich anders mit Sprache als jemand, der die historische Entwicklung einzelner Wörter wie moeten oder zullen untersucht, oder jemand, der Unterrichtsmethoden für Deutsch als Fremdsprache entwickelt oder WörterbücherWörterbuch schreibt. Allgemein gibt es zwei Herangehensweisen, um Sprache zu untersuchen: zum einem aus der Perspektive der Sprache selbst und zum anderen aus der Perspektive eines bestimmten Anwendungsgebiets.

In einer sprachinternensprachintern oder systemlinguistischensystemlinguistischBetrachtungsweise (taalinterne oder systeemlinguïstische benadering) sind die eigenen Strukturen der Sprache Ausgangspunkt. Von klein nach groß sind das die folgenden Beschreibungsebenen:

Die Beschreibung und Analyse der physischen Eigenschaften von LauteLauten wie a oder r sind Bestandteil der PhonetikPhonetik. Einen Schritt weiter geht die Beschreibungsebene der PhonologiePhonologie, die LauteLaute als abstrakte Einheiten in einem System auffasst.

Form und Struktur von Wörtern fallen in den Bereich der MorphologieMorphologie. Sie untersucht z. B., auf welcher Weise Wörter wie bewerken, gewerkt oder werkplek aufgebaut sind.

Die Art und Weise, wie man Wörter zu größeren Gruppen und Sätzen zusammenfügen kann und welche Einschränkungen es dabei gibt (ik zie het huis niet gegenüber ik niet zie het huis), gehört zum Gebiet der SyntaxSyntax.

In der SemiotikSemiotik und SemantikSemantik wird der Frage nachgegangen, welche Bedeutungen Wörter und Sätze haben und in welcher Beziehung diese Bedeutungen zueinander stehen (wie bei rond in een bal is rond bzw. rond in ze komen rond zes uur naar huis).

Den Sprachgebrauch im zwischenmenschlichen KontextKontext untersucht die PragmatikPragmatik. Eine Äußerung wie mag ik misschien eventjes iets zeggen hat im Gespräch eine ganz andere Wirkung als en nu ik!, auch wenn beide Sätze mehr oder weniger den gleichen Inhalt haben.

In einer sprachexternen Betrachtungsweise (taalexterne benadering)sprachextern ist ein bestimmtes Anwendungsgebiet der Ausgangspunkt. Oft sind diese Gebiete interdisziplinär ausgerichtet.

Die SoziolinguistikSoziolinguistik (sociolinguïstiek) beschäftigt sich mit verschiedenen Formen der Sprache in unterschiedlichen sozialen Konstellationen (wie Jugendsprachen oder DialektDialekte) und mit der Wirkung von Sprache in der Gesellschaft.

Die angewandte SprachwissenschaftSprachwissenschaft (toegepaste taalwetenschap) betrachtet Sprache unter dem Gesichtspunkt ihrer praktischen Verwendung, z. B. wie Menschen eine Fremdsprache lernen und welche Wirkung Sprachunterricht dabei hat.

Die historische SprachwissenschaftSprachwissenschaft (historische taalkunde) untersucht, wie Sprache sich im Laufe der Zeit verändert und welche Prinzipien dahinter stecken.

Die PsycholinguistikPsycholinguistik (psycholinguïstiek) untersucht Gehirnaktivitäten und sieht Sprache als Denken; untersucht werden u. a. der Erwerb der Muttersprache bei Kindern oder Sprachstörungen (Aphasien), die durch Gehirnschäden verursacht werden.

Die KorpuslinguistikKorpuslinguistik (corpuslinguïstiek) befasst sich mit dem Aufbau und der Aufbereitung von Sammlungen sprachlicher Daten (KorporaKorpus), um Sprache zu analysieren.

Die Computerlinguistik (computationele taalkunde) beschäftigt sich mit der elektronischen Sprachverarbeitung, wie der Erstellung von Übersetzungs- oder Spracherkennungsprogrammen.

In der forensischen Linguistik (forensische taalkunde) werden z. B. Erpresser- oder Drohbriefe detailliert analysiert, um die Verfasser:innen identifizieren zu können.

Dies ist nur eine kleine Auswahl der Disziplinen, die sich aus einer sprachwissenschaftlichen Perspektive mit der menschlichen Sprache beschäftigen.

1.4.2Sprachen klassifizieren

Die etwa 6.000 Sprachen in der Welt kann man auf unterschiedliche Weise klassifizieren und beschreiben. Die TypologieTypologie (typologie) vergleicht und klassifiziert Sprachen aus der Welt auf Grund grammatischer Merkmale. Solche Merkmale können z. B. die Wortstellung im Satz sein, die Anwesenheit von Fällen oder der Gebrauch von Tönen, um unterschiedliche Bedeutungen auszudrücken. Sprachen wie Chinesisch, einige afrikanische Sprachen, Papiamento, aber auch das Limburgische in Belgien und den Niederlanden sind z. B. solche Tonsprachen. Die TypologieTypologie untersucht, welche Merkmale in allen oder in den meisten Sprachen vorkommen. Diese gemeinsamen Merkmale werden UniversalienUniversalien (universalia) genannt. Mit dieser Methode können Gemeinsamkeiten und Unterschiede in allen Sprachen ermittelt werden, wodurch wir bessere Erkenntnisse über das Wesen von Sprache erhalten. Denn wenn verschiedene Sprachen ein bestimmtes Merkmal teilen, dürfte dieses Merkmal wesentlich für das Funktionieren von Sprache sein. So haben z. B. alle Sprachen KonsonantKonsonanten und VokaleVokal und in allen Sprachen gibt es mehr KonsonantKonsonanten als VokaleVokal. Der VokalVokala ist in allen bekannten Sprachen der Welt vorhanden, weil er am einfachsten zu artikulieren ist, und auch der VokalVokali kommt fast immer vor. Sprachen in einem bestimmten Gebiet können ebenfalls die gleichen Merkmale aufweisen, auch wenn sie nicht unbedingt miteinander verwandt sind. Die ArealtypologieArealtypologie (areale typologie) untersucht die sprachlichen Parallelen von Sprachen, die sich durch intensiven Kontakt entwickelt haben. Solche Sprachen formen zusammen einen SprachbundSprachbund (sprachbund). Ein typisches Beispiel ist der Balkansprachbund, der sich u. a. aus Albanisch, Bulgarisch, Rumänisch, Griechisch und Türkisch zusammensetzt.

Außer typologisch kann man Sprachen auch historisch-genetischhistorisch-genetisch (historisch-genetisch) oder genealogischgenealogisch (genealogisch) beschreiben, d. h. aufgrund ihrer Verwandtschaft. Die Klassifizierung der Sprachen basiert auf einer systematischen Beschreibung sprachlicher Übereinstimmungen, meist sind das phonologische, morphologische und lexikalische Merkmale. Die Sprachen bilden SprachfamilienSprachfamilie (taalfamilies), die von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen. Beispiele für solche SprachfamilienSprachfamilie sind die indoeuropäische SprachfamilieSprachfamilie, zu der auch das Niederländische und Deutsche gehören, die semitische SprachfamilieSprachfamilie mit u. a. Arabisch und Hebräisch und die Niger-Kongo-SprachfamilieSprachfamilie mit u. a. Swahili, Rwanda und Zulu. Mit der Suche nach dem gemeinsamen Vorfahren ist auch die Frage verbunden, ob alle Sprachen der Welt aus einer gemeinsamen Ursprache entstanden sind oder ob Sprachen sich unabhängig voneinander entwickelt haben und keine gemeinsame Ursprache aufweisen. Die Theorie von der Entstehung aus einer Urform wird MonogeneseMonogenese (monogenese) genannt, die von der Entstehung aus verschiedenen Formen PolygenesePolygenese (polygenese). Da aber die ältesten Beweismaterialien nicht weiter als 9.000 bis 10.000 Jahre zurückgehen, ist es wohl nicht möglich, die genannten Thesen zur Sprachentstehung nachzuprüfen und zu beweisen.

1.5Aufbau und Ziele dieses Buchs

In diesem ersten Kapitel haben wir einige Grundlagen zur niederländischen Sprache vorgestellt. In Kapitel 2 gehen wir in der Zeit zurück und geben eine Übersicht über die Geschichte des Niederländischen. Im dritten Kapitel geht es um die SemiotikSemiotik und Lexikographie von Wörtern, in den Kapiteln 4 und 5 werden MorphologieMorphologie und PhonetikPhonetik/PhonologiePhonologie behandelt, in Kapitel 6 und 7 geht es um den Aufbau bzw. die Bedeutung von Sätzen. Kapitel 8 beschäftigt sich mit PragmatikPragmatik. Diese Kapitel zu den sprachinternensprachintern Beschreibungsebenen erfordern keine Vorkenntnisse und können im Grunde unabhängig voneinander gelesen und bearbeitet werden. Anschließend werden zwei sprachexternesprachextern Bereiche (SoziolinguistikSoziolinguistik und historische Sprachwissenschaft) vorgestellt, die auf den Inhalten der vorangegangenen Kapitel aufbauen: In Kapitel 9 geht es um Sprache und VariationVariation, in Kapitel 10 um Sprache in Bewegung.

Jedes Kapitel besteht aus einem Textteil, einer Zusammenfassung sowie einem Teil mit Aufgaben und schließt mit einigen Literaturhinweisen ab. Lösungsvorschläge zu den Aufgaben werden unter der URL http://www.narr-studienbuecher.de bereitgestellt, damit Leser:innen die Übungen auch selbständig bearbeiten können. Außerdem werden im Register alle verwendeten Fachbegriffe auf Deutsch und Niederländisch aufgeführt.

In diesem Buch steht die niederländische Sprache im Mittelpunkt. Sie ist die Zielsprache dieser Einführung, weshalb wir viele Beispiele auf Niederländisch anführen. Die Beispiele werden nach Möglichkeit so präsentiert, dass sie auf Grund der Verwandtschaft mit der deutschen Sprache leicht zu verstehen sind. Im laufenden Text werden Beispiele kursiv wiedergegeben, Übersetzungen oder Erklärungen stehen in einfachen Anführungszeichen oder in runden Klammern.

Diese Einführung richtet sich insbesondere an deutschsprachige Studienanfänger:innen (auch ohne Niederländischkenntnisse), aber auch an diejenigen, die sich für die niederländische Sprache und die SprachwissenschaftSprachwissenschaft des Niederländischen interessieren. In einer allgemeinverständlichen Form sollen Grundkenntnisse der niederländischen SprachwissenschaftSprachwissenschaft vermittelt und Fachbegriffe aus den wichtigsten Teilgebieten der SprachwissenschaftSprachwissenschaft eingeführt werden. Anhand der Aufgaben kann das erworbene theoretische Wissen in der Praxis angewandt werden. Durch den deutsch-niederländischen Vergleich sollen zum einen die nahe Verwandtschaft der beiden Sprachen, zum anderen aber auch Kontraste zwischen Deutsch und Niederländisch aufgezeigt werden. Auch Unterschiede zwischen dem Niederländischen in den Niederlanden und in Belgien werden z.T. thematisiert, um das Interesse und Bewusstsein für die Verschiedenheit des Niederländischen zu wecken und das Verständnis für VariationVariation zu mehren.

Literatur zum Weiterlesen

Monographien und Einführungen

Eine gut lesbare Einführung für Studierende ist das Handboek Taalkunde (Banga et al. 2022). Eine Einführung mit generativem Ansatz ist die Inleiding Nederlandse taalkunde (Ruigendijk et al. 2021), die ebenfalls für Studierende konzipiert ist. In die allgemeine Sprachwissenschaft führen Baker et al. (2012) in Taal en taalwetenschap ein. Eine gute Übersicht über die niederländische Sprache geben Van der Sijs et al. (2011) in Wat iedereen van het Nederlands moet weten en waarom. Besonders zugänglich sind die Werke Alles wat je altijd al had willen weten over taal. De Taalcanon von Boogaard & Jansen (2018), Waarom een buitenboordmotor eenzaam is von Van Leeuwen (2015) und der Atlas van de Nederlandse taal (2017), der in einer niederländischen und einer flämischen Ausgabe erschienen ist. Das Standardwerk für die sprachwissenschaftliche Terminologie auf Deutsch ist das Lexikon der Sprachwissenschaft von Bußmann (2008). Nederlandse woorden wereldwijd (Van der Sijs 2010) bietet einen Überblick zu den niederländischen Wörtern, die andere Sprachen übernommen haben. In Een kleine taal met een grote stem. Hedendaags Nederlands (2009) schreibt Van Sterkenburg auf unterhaltsame Weise über die Dynamik der niederländischen Sprache. Zur tussentaal ist das Buch De manke usurpator. Over Verkavelingsvlaams (Absislis, Van Hoof & Jaspers 2012) erschienen, das dieses Phänomen aus verschiedenen Perspektiven beschreibt.

Wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Zeitschriften

Nederlandse Taalkunde ist eine wissenschaftliche Zeitschrift mit Beiträgen aus verschiedenen Disziplinen der niederländischen Sprachwissenschaft.

Die wissenschaftliche Zeitschrift Taal & Tongval richtet sich auf Sprachvariation in den Niederlanden und Flandern und erscheint seit 2011 in open acces.

Die Zeitschrift Nederlandse Taal- en Letterkunde (TNTL) publiziert Artikel zur niederlandistischen Sprach- und Literaturwissenschaft.

In der Open-Access-Zeitschrift Internationale Neerlandistiek stehen niederlandistische und afrikaanse Sprach- und Literaturwissenschaft sowie interkulturelle Themen im Mittelpunkt.

neerlandistiek.nl ist eine online Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft sowie Sprachbeherrschung. Täglich erscheinen Beiträge zu den aktuellen Entwicklungen für ein breites Publikum.

Die Zeitschrift de lage landen (bis 2019 Ons Erfdeel) beschäftigt sich mit Kunst und Kultur aus den Niederlanden und Flandern.

Die Fachzeitschrift für deutsche Niederländisch-Lehrer:innen ist nachbarsprache niederländisch mit einem Fokus auf didaktischen Themen.

Die populärwissenschaftliche Zeitschrift Onze Taal beschäftigt sich mit den vielfältigsten Themen rund um Sprache in der niederländischsprachigen Gesellschaft.

Internettipps

Auf den folgenden Websites finden sich zuverlässige und relevante Informationen zur niederländischen Sprache:

taalunie.org ist das Internetportal der Taalunie mit Informationen zur niederländischen Sprache.

Auf neon.niederlandistik.fu-berlin.de/de/service findet man ausführliche Informationen zur niederländischen Sprachwissenschaft, sowohl auf Niederländisch als auch auf Deutsch.

taalcanon.nl ist die Webseite zum Werk Alles wat je altijd al had willen weten over taal. De Taalcanon von Boogaard & Jansen (2018).

dbnl.org ist die “digitale bibliotheek der Nederlandse letterkunde”, die eine Vielzahl an Informationen zu Autor:innen und Werken der niederländischen, friesischen, surinamischen und limburgischen Literatur bietet. Außerdem sind viele originale Texte (auch zur Sprachwissenschaft) digital zugänglich.

taalportaal.org ist eine englischsprachige Website, auf der die Grammatik des Niederländischen, Friesischen und Afrikaans wissenschaftlich beschrieben wird.

Die Website dialectloket.be bietet nicht nur sprachwissenschaftlich fundierte Informationen, sondern auch Hör-, Bild- und Unterrichtsmaterial zur niederländischen Sprache, Sprachvariation und zu den Dialekten.

Dutch ++ geht vom Niederländischen als plurizentrische Sprache aus und liefert Informationen und Übungen zum niederländischen, belgischen und surinamischen Niederländisch (userblogs.fu-berlin.de/dutch/).

Auf der Webseite belgien.net des BelgienZentrums der Universität Paderborn finden sich nützliche Informationen und Materialien zur Sprache und Kultur in Belgien.

2Die Geschichte des Niederländischen

Ute K. Boonen

Nederlandse taal komt uit Turkije

LEUVEN – De Indo-Europese talen waartoe het Nederlands behoort, hebben hun oorsprong hoogstwaarschijnlijk in het Turkse Anatolië. Zo’n 8000 tot 9000 jaar geleden begon zich van daaruit een taal te verspreiden, waarvan de ruim 400 varianten nu worden gesproken van IJsland tot Sri Lanka.

Dat stellen wetenschappers van de universiteit van het Belgische Leuven. Zij vergeleken de verspreiding van de taal met die van een virus.

Het onderzoek bevestigt eerdere veronderstellingen. Maar de uitkomst weerlegt de populairste opvatting dat de Indo-Europese taalfamilie zich zo’n 6000 jaar geleden ontwikkelde vanaf de Pontische Steppe, een uitgestrekt gebied ten noorden van de Zwarte Zee.

De Telegraaf, 24.08.2012

Die niederländische Sprache ist natürlich keine Form des Türkischen, aber was für eine Sprache ist es denn dann? Wo kommt das Niederländische her, wie ist es entstanden? Wieso ähneln sich die niederländische und die deutsche Sprache? Wieso ähnelt das Niederländische so sehr dem Plattdeutschen? Wieso meinen so viele Menschen – zu Unrecht –, dass Niederländisch ein deutscher DialektDialekt sei?

Der Ursprung von Sprache allgemein fasziniert die Menschen seit jeher. Auf der Suche nach der Ursprache ging man lange davon aus, dass eine der drei heiligen Sprachen, Hebräisch, Griechisch und Latein, die Basis für alle Sprachen sein müsse. Die große Sprachenvielfalt ist auch in der Bibel ein Thema: So können die Jünger am Pfingstfest plötzlich ‚mit allen Zungen sprechen‘, d. h. sie können sich allen Menschen in deren Muttersprache verständlich machen und die Frohe Botschaft verkünden. In der biblischen Geschichte vom Turmbau zu Babel wurden die Menschen wegen ihrer Überheblichkeit von Gott bestraft, und zwar mit vielen unterschiedlichen Sprachen. Dadurch entstand große Verwirrung, und weil man sich nicht mehr in der gleichen, gemeinsamen Sprache verständigen konnte, waren die Menschen nicht in der Lage, den Bau des Turmes zu vollenden. In Europa dominiert in der schriftlichen Tradition lange Zeit das Lateinische und erst im Mittelalter beginnt man, auch in der jeweiligen VolksspracheVolkssprache (volkstaal; engl. vernacular) zu schreiben. Zum empirischen und systematischen Forschungsgegenstand für Sprachwissenschaftler:innen werden diese VolksspracheVolkssprachen erst sehr viel später.

2.1Die indoeuropäische SprachfamilieSprachfamilie

Im 19. Jahrhundert versuchen Sprachwissenschaftler wie der Deutsche Jacob Grimm (1785–1863) und der Däne Karl Verner (1846–1896) in Anlehnung an die Abstammungslehre und biologische Erkenntnisse, Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Sprachen festzustellen. Sie analysieren verschiedene Sprachen in ihren unterschiedlichen Stadien, man unterscheidet beispielsweise Neuhochdeutsch und Mittelhochdeutsch, aber auch NeuniederländischNeuniederländisch und MittelniederländischMittelniederländisch. Anhand dieser Untersuchungen lassen sich systematische Veränderungen innerhalb einer Sprache aufzeigen und auch Parallelen in der Entwicklung zu anderen Sprachen.

Vergleichen wir die Begriffe Mutter, Vater, Milch und Brot auf Deutsch, Niederländisch, Englisch, Friesisch, Schwedisch, Gotisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Latein, Altgriechisch und Sanskrit (Alt-Indisch) (Tab. 2.1):

Deutsch

Mutter

Vater

Milch

Brot

Niederländisch

moeder

vader

melk

brood

Englisch

mother

father

milk

bread

Friesisch

mem

heit

molke

brea

Schwedisch

mor (Pl. mödrar)

far (Pl. fäder)

mjölk

bröd

Gotisch

áiÞei

atta

milukes

hláifs

Französisch

mère

père

lait

pain

Italienisch

madre

padre

latte

pane

Spanisch

madre

padre

leche

pan

Latein

mater

pater

lac

panis

Altgriechisch

ματήρ (matèr)

πατήρ (patèr)

γάλα(κτος) (gála(ktos))

Sanskrit

matar

pitar

Tab. 2.1: Vergleich der Begriffe Mutter, Vater, Milch und Brot

Der Vergleich in Tab. 2.1 zeigt, dass sich die Bezeichnungen für Vater und Mutter in allen angeführten Sprachen stark ähneln. Bei den Bezeichnungen für Milch und Brot gleichen sich zum einen die ersten sechs Formen und zum anderen die zweiten sechs. Aufgrund solcher Sprachvergleiche und der festgestellten systematischen Ähnlichkeiten geht man davon aus, dass diese Sprachen einen gemeinsamen Vorläufer haben, nämlich das IndoeuropäischIndoeuropäisch (Indo-Europees), das im deutschsprachigen Raum auch Indogermanisch genannt wird. Da es keine überlieferten Zeugnisse dieser Sprache gibt, spricht man auch von Proto-IndoeuropäischIndoeuropäischProto-Indoeuropäisch, abgekürzt PIE. Sprachwissenschaftler:innen versuchen, diese Sprache anhand von Regelmäßigkeiten und LautgesetzLautgesetzen zu rekonstruieren. Diese rekonstruierten Formen werden meist mit einem * gekennzeichnet.

Abb. 2.1: Die indoeuropäische SprachfamilieSprachfamilie

Neben Latein und Altgriechisch gehören auch uns weniger geläufige Sprachen wie Hethitisch und Tocharisch, die in Kleinasien bzw. im Nordwesten Chinas gesprochen wurden, aber mittlerweile ausgestorben sind, zur indoeuropäischen SprachfamilieSprachfamilie (Indo-Europese taalfamilie). Innerhalb dieser großen Sprachgruppe (Abb. 2.1) werden verschiedene Zweige unterschieden, wie die germanischen Sprachen (Germaanse talen), zu denen u. a. Deutsch, Niederländisch und Englisch gehören. Ein weiterer wichtiger Zweig sind die romanischen Sprachen (Romaanse talen), deren Vorläufer das Latein ist; Latein wiederum ist eine italische Sprache (Abb. 2.2). Neben Italienisch, Französisch und Spanisch gehören auch Portugiesisch, Rumänisch und Rätoromanisch zum romanischen Sprachzweig. Auch die slawischen Sprachen (Slavische talen) wie Polnisch, Russisch, Tschechisch, Serbisch, Kroatisch sind indoeuropäische Sprachen. Wie in einer Familie sind manche Mitglieder näher miteinander verwandt und ähneln sich stärker. So kann man das Deutsche und Niederländische als Geschwister auffassen. Andere Sprachen, wie die slawischen Sprachen, sind Vettern, Sanskrit und andere indische Sprachen noch viel weiter entfernte Verwandte.

Die Beziehungen der einzelnen Sprachen werden häufig mithilfe eines Baumdiagramms dargestellt (wie in Abb. 2.1 und weiter unten in Abb. 2.3), was zwar sehr übersichtlich ist, aber leicht Abhängigkeiten und Wertigkeiten suggeriert. Sprachbeziehungen können auch wie in Abbildung 2.2 mithilfe eines Wellenmodells visualisiert werden, das wiederum weniger übersichtlich ist, dafür aber die Zusammengehörigkeiten und sprachliche Überschneidungen klarer wiedergibt.

Abb. 2.2: Die indoeuropäische SprachfamilieSprachfamilie im WellenmodellWellenmodell (nach Tetel Andresen & Carter 2016)

Gehen wir noch einmal zurück an den Anfang des Kapitels zum Zitat aus De Telegraaf