No Doubts – Teil 3 - Whitney G. - E-Book
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No Doubts – Teil 3 E-Book

Whitney G.

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Beschreibung

Er hat immer gesagt, dass er herzlos und kalt ist und sich niemals ändern wird.
Hätte ich ihm doch nur geglaubt ...

Andrews und Aubreys Liebe war vom ersten Augenblick an wild, verboten, stürmisch - und das Beste, was die beiden je erlebt haben. Doch Andrews Vergangenheit hat ihr Glück zerstört. Kann es jemals ein Happy End für sie geben?

Das mitreißende Finale des New-York-Times-Bestsellers von Whitney G.!

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Seitenzahl: 250

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Inhalt

TitelZu diesem BuchPrologZeugenaussageSeelisches LeidVergehenFestgefahrene VerhandlungVoraussehbares RisikoNicht stattgebenGegenbeweisRechtsmittelAussetzungBelästigenWahrunterstellungAuslassungUnterdrückung von BeweismittelnSchwörenBerechtigte ZweifelDuldenVertagenEpilogDanksagungDie AutorinImpressum

WHITNEY G.

No Doubts

Teil 3

Ins Deutsche übertragen von Antje Althans

Zu diesem Buch

Er hat immer gesagt, dass er herzlos und kalt ist und sich niemals ändern wird.

Hätte ich ihm doch nur geglaubt …

Andrews und Aubreys Liebe war vom ersten Augenblick an wild, verboten, stürmisch – und das Beste, was die beiden je erlebt haben. Doch Andrews Vergangenheit hat ihr Glück zerstört. Kann es jemals ein Happy End für sie geben?

Prolog

Vor mehreren Monaten …

Andrew

Da prangte es schwarz auf weiß, mitten auf der Titelseite. Der Aufmacher des Tages.

Auch wenn die Tatsachen verdreht waren und die New York Times wieder davon abgesehen hatte, mein Foto zu drucken, war der Schaden für meine Firma Henderson & Hart nicht mehr abzuwenden. Ich wusste genau, was jetzt kommen würde. Ich kannte den genauen Ablauf.

Häufig genug hatte ich es in dieser Stadt erlebt.

Zuerst würden meine Top-Klienten, die geschworen hatten, stets treu zu mir zu halten, anrufen und mitteilen, dass sie »plötzlich« eine neue Rechtsvertretung gefunden hätten. Dann würden die Mitarbeiter kündigen, weil sie wussten, dass in ihrem Lebenslauf eine ins Zwielicht geratene Firma ihrer Karriere abträglich wäre. Und als Nächstes würden die Investoren anrufen und Verständnis heucheln, während sie mich öffentlich in den Medien verurteilten und prompt alle finanziellen Mittel aus der Firma abzogen.

Und zu guter Letzt – was am bedauerlichsten war – würde aus mir der nächste Spitzenanwalt werden, der seine Karriere in den Sand gesetzt hatte, ehe sie richtig begonnen hatte.

»Wie lange kommen Sie Ihrer Meinung nach noch damit durch, Emma nachzustellen?« Der Privatdetektiv, den ich angeheuert hatte, trat neben mich.

»Sie ist meine Tochter. Ich stelle ihr nicht nach.«

»Bis auf hundertfünfzig Meter.« Er zündete sich eine Zigarette an. »Näher dürfen Sie nicht an sie ran.«

»Wird sie unter der Woche gut behandelt?«

Seufzend reichte er mir einen Stapel Fotos. »Private Vorschule, Stepptanz-Früherziehung und Wochenenden im Park, wie Sie unschwer erkennen können. Ihr geht’s gut.«

»Weint sie nachts noch?«

»Manchmal.«

»Bettelt sie immer noch darum, mich sehen zu dürfen? Ist sie …?«

Ich verstummte, als Emma mich mit ihren blauen Augen von der Schaukel aus erblickte. Vor Freude quietschend hüpfte sie vom Sitz herunter und rannte auf mich zu.

»Daddyyyy! Dadddyyy!«, rief sie, wurde jedoch festgehalten, bevor sie näher kommen konnte. Während sie in Tränen ausbrach, wurde sie in ein Auto verfrachtet und fortgebracht.

Mist …

Ich setzte mich ruckartig im Bett auf und stellte fest, dass ich mich nicht in New York im Central Park befand, sondern in Durham, North Carolina, und mal wieder unter Albträumen litt.

Ein Blick auf die Wanduhr verriet mir, dass es erst kurz nach eins war. Der Kalender, der direkt darüber hing, bestätigte nur, dass ich schon viel zu lange hier wohnte.

Die ganze Recherche, die ich vor sechs Jahren angestellt hatte – und in deren Verlauf von mir das Für und Wider eines Umzugs abgewogen, die Bilanzen aller Top-Firmen und das Potenzial der Frauen auf Date-Match gecheckt worden waren –, war inzwischen hinfällig: Die Wohnung, die ich gekauft hatte, besaß kaum noch Ähnlichkeit mit dem, was einst inseriert gewesen war, es existierte nur eine Firma, der ich meine Zeit opfern mochte, und das Reservoir an interessanten Frauen schrumpfte mit jedem Tag mehr.

Erst vor Stunden hatte ich mich mit einer getroffen, die mir weisgemacht hatte, dass sie Kindergärtnerin mit einer Vorliebe für die Farbe Rot und Geschichtsbücher wäre. In Wirklichkeit war sie doppelt so alt wie ich, farbenblind und wollte nur wieder »daran erinnert werden, wie sich ein Mann anfühlte«.

Frustriert schlüpfte ich aus dem Bett und rückte auf dem Weg durch den Flur die »E« – und »H«-Bilderrahmen an der Wand gerade, ohne allzu genau hinzusehen.

Ich würde mehr als das übliche Quantum Alkohol brauchen, um die Nacht durchzustehen, und fing an, sehr ungehalten darüber zu werden, dass ich seit einer gefühlten Ewigkeit keine Frau mehr gehabt hatte.

Ich goss mir einen doppelten Bourbon ein und stürzte ihn auf einen Zug herunter. Bevor ich mir nachschenken konnte, vibrierte mein Handy. Eine E-Mail.

Alyssa.

Betreff: Leistungsqualität

Lieber Thoreau,

bestimmt bist du gerade dabei, es mit einer neuen Eroberung zu treiben, und nur Sekunden davon entfernt, deinen berühmt-berüchtigten »Ein Abendessen, eine Nacht, keine Wiederholungen«-Spruch abzulassen, aber mir ist gerade etwas eingefallen, und ich MUSSTE dir einfach mailen …

Wenn dir Sex so viel Spaß macht, wie du behauptest, warum bestehst du dann auf nur einer Nacht? Wie wär’s mit einer Freundschaft mit gewissen Vorzügen, um nicht so viele Durststrecken zu haben? (Denn immerhin hast du mittlerweile seit dreißig Tagen keinen Sex mehr gehabt, nicht wahr?)

Ich frage mich langsam, ob der wahre Grund für deine »Nur eine Nacht«-Bedingung nicht darin besteht, dass du von vornherein weißt, dass deine Leistung nicht gut genug sein wird, um eine weitere Nacht zu gewährleisten …

Einen suboptimalen Schwanz zu haben ist nun wirklich kein Weltuntergang.

Alyssa

Kopfschüttelnd tippte ich eine Antwort.

Betreff: Re: Leistungsqualität

Liebe Alyssa,

leider bin ich nicht gerade dabei, es mit einer neuen Eroberung zu treiben. Stattdessen bin ich damit beschäftigt, eine Antwort auf deine neuste lächerliche E-Mail zu tippen.

Wie du sehr richtig festgestellt hast, ist tatsächlich heute Tag dreißig ohne Sex, doch da ich dich am Telefon zum Kommen gebracht habe, war es immerhin kein Totalausfall …

Mir macht Sex wirklich großen Spaß – mein Schwanz hat einen unstillbaren Hunger danach –, aber ich habe dir schon unzählige Male gesagt, dass ich mich nicht auf Beziehungen einlasse. Niemals.

Ich weigere mich, auf deinen letzten Absatz überhaupt einzugehen, da ich noch keine einzige Beschwerde aufgrund meiner »Leistung« zu hören bekommen habe und mein Schwanz weit davon entfernt ist, suboptimal zu sein.

Aber mit deinem Schlussplädoyer hast du ganz recht: Einen suboptimalen Schwanz zu haben ist kein Weltuntergang.

Aber eine Muschi voller Spinnweben schon.

Thoreau

Mein Telefon klingelte sofort.

»Ernsthaft?«, platzte Alyssa heraus, als ich ranging. »Steht in deiner Nachricht wirklich, was ich glaube, was drinsteht?«

»Hast du neuerdings das Lesen verlernt?«

»Sei nicht albern!« Sie lachte. »Was ist mit deiner Verabredung von heute?«

»Wieder so eine Scheißlügnerin …«

»Oje. Armer Thoreau. Ich hatte wirklich gehofft, am dreißigsten Tag würde alles wieder gut werden.«

Ich verdrehte die Augen und schenkte mir noch einen Bourbon ein. »Ist es dein neustes Hobby, dein Sexleben über meins auszuleben?«

»Natürlich nicht.« Ihr helles Lachen klang durch die Leitung, und ich hörte Papierrascheln im Hintergrund. »Ich wollte dich schon länger was fragen: Woher kommst du?«

»Was meinst du damit, woher ich komme?«

»Genau das, was ich gefragt habe«, gab sie zurück. »Aus den Südstaaten kannst du nicht sein. Du sprichst weder gedehnt noch hast du auch nur den Hauch eines Akzents.«

Ich zögerte. »Ich bin aus New York City.«

»New York?« Ihre Stimme wurde eine Oktave höher. »Warum sollte man von dort weggehen, um ausgerechnet nach Durham zu ziehen?«

»Private Gründe.«

»Ich könnte mir nicht vorstellen, New York jemals verlassen zu wollen. Es kommt mir so perfekt vor. Diese Lichter haben was, und die Menschen dort haben große Träume und …«

Ich blendete ihre Stimme aus und leerte mein Glas in einem Zug. Ihr verträumtes Schwärmen von diesem trostlosen Ort musste unterbunden werden. Und zwar schnell.

»Und die Anwaltskanzleien in New York sind doch sicher viel verlockender als die von hier.« Sie redete immer noch. »Zum Beispiel einer meiner Lieblings…«

»Wie heißt noch mal das Ballett, für das du dieses Jahr vortanzt?«, fiel ich ihr ins Wort.

»Schwanensee.« Wenn ich auf Ballett zu sprechen kam, ließ sie immer das Thema fallen, das sie gerade am Wickel hatte. »Warum?«

»Ich hab mich nur gefragt … Wann ist das Vortanzen?«

»In ein paar Monaten. Ich gebe mir große Mühe, die Unterrichtseinheiten miteinander in Einklang …« Sie räusperte sich. »Ich meine, ich gebe mir wirklich große Mühe, meine Arbeitsbelastung in der Firma mit meiner Trainingszeit in Einklang zu bringen.«

»Warum fragst du nicht deinen Chef, ob du im Austausch für ein paar freie Tage in der Woche am Wochenende arbeiten kannst?«

»Ich bin mir ziemlich sicher, das würde nicht gehen.«

»Natürlich ginge das«, widersprach ich. »In meiner Firma ist ein Anwalt, der von Samstag bis Mittwoch arbeitet, damit er seine Musik weiterverfolgen kann. Wenn die Firma, für die du arbeitest, einen Pfifferling wert ist, werden sie flexibel sein.«

»Ja, ähm, ich denke, der Sache muss ich mal nachgehen …«

Schweigen.

»Für welche Firma arbeitest du denn?«, fragte ich.

»Das kann ich dir nicht sagen.«

»Wie heißt einer der Teilhaber?«

»Das kann ich dir auch nicht sagen.«

»Aber du kannst mir sagen, wie tief ich später in dich rein soll, oder?«

Sie schnappte nach Luft – ein erotischer Laut, der mich jedes Mal wahnsinnig machte.

»Was glaubst du, wie lange ich mich noch damit zufriedengebe, nur mit dir zu telefonieren, Alyssa?«

»So lange, wie ich es will.« Ihre Stimme klang jetzt souveräner.

»Du glaubst also, ich unterhalte mich noch einen Monat mit dir, ohne mit dir schlafen zu können? Ohne dich persönlich sehen zu können?«

»Ich glaube, du wirst noch monatelang mit mir sprechen, ohne mit mir zu schlafen. Eigentlich glaube ich, du wirst noch jahrelang mit mir sprechen, ohne mit mir zu schlafen; denn ich bin mit dir befreundet – und Freunde …«

»Wenn ich in den nächsten zwei Monaten nicht mit dir geschlafen habe, sind wir keine Freunde mehr.«

»Wollen wir wetten?«

»Das müssen wir nicht.« Ich legte auf und schnappte mir mein Laptop, um Date-Match noch eine Chance zu geben. Als ich die hübscheste Frau auf der Seite anklickte, ging eine E-Mail von Alyssa auf meinem Bildschirm auf.

Betreff: Vertrau mir

In ein paar Monaten werden du und ich immer noch Freunde sein, und es wird dir nichts ausmachen, mein Gesicht nicht zu sehen.

Wart’s nur ab.

Alyssa

Betreff: Re: Vertrau mir

In ein paar Monaten werden du und ich miteinander schlafen, und der einzige Grund dafür, warum es mir nichts ausmachen wird, dein Gesicht nicht zu sehen, ist, weil ich dich gerade auf dem Tisch von hinten nehme.

Wart’s nur ab.

Thoreau

Zeugenaussage:

Mündliche Aussage eines Zeugen unter Eid als Erwiderung auf Fragen von Rechtsanwälten während einer Verhandlung oder einer Vorverhandlung.

Andrew

»Miss Everhart, Sie haben jetzt das Wort und können Mr Hamilton befragen«, ließ sich Mr Greenwood von der anderen Seite des Gerichtssaals vernehmen.

Es war der letzte Tag des Monats, was bedeutete, dass wir endlich den Millionen-Dollar-Sitzungssaal in der obersten Etage des GBH-Gebäudes nutzen durften. Eigentlich war dieser Raum überflüssig, aber die Firma hatte so viel Geld, dass sie nichts damit anzufangen wusste, und so wurde der Raum für die simulierten Gerichtsverhandlungen der Praktikanten genutzt.

In der heutigen »Gerichtsverhandlung« ging es um einen Schwachsinnigen, der seine eigenen Kollegen betrogen hatte, sodass sie ohne Renten- und Krankenversicherung dastanden, und leider musste ich den Angeklagten spielen.

Aubrey erhob sich vom Anwaltstisch, schnappte sich ihr Notizbuch und ergriff das Wort. Seit ich sie vor zwei Wochen aus meiner Wohnung geworfen hatte, hatten sie und ich nicht mehr miteinander gesprochen, doch soweit ich es beurteilen konnte, schien sie unbeeindruckt.

Sie hatte oft gelächelt, war überaus zuvorkommend gewesen und hatte jedes Mal, wenn sie mir meinen Kaffee brachte, mit einem Grinsen gesagt: »Hoffentlich schmeckt Ihnen der Kaffee, Mr Hamilton.«

Seitdem holte ich mir meinen Kaffee lieber im Coffeeshop die Straße hoch …

»Mr Hamilton«, begann sie und strich sich das figurbetonte blaue Kleid glatt. »Trifft es zu, dass Sie Ihre Ehefrau früher betrogen haben?«

»Ich habe niemals jemanden betrogen.«

»Halten Sie sich an die Rollenvorgabe, Andrew«, flüsterte mir Mr Bach vom Richterstuhl zu.

Ich verdrehte die Augen. »Ja. Es gab einmal eine Zeit, da habe ich meine Frau betrogen.«

»Warum?«

»Einspruch!«, rief einer der Praktikanten. »Euer Ehren, müssen wir wirklich jedes Detail aus dem Liebesleben meines Klienten wissen? In diesem gespielten Prozess geht es um seine Mitwirkung an einem Komplott.«

»Mit Verlaub, Euer Ehren«, widersprach Aubrey, bevor der »Richter« etwas sagen konnte. »Ich bin der Meinung, dass ein Einblick in Mr Hamiltons frühere Affären eine gute Einschätzung seines Charakters ermöglicht. Wenn wir einen Klienten vor Gericht stellen, der aufgrund von Inkompetenz seine Firma im Stich gelassen hat, wäre es nicht unangemessen, wenn ich mich nach seinen früheren persönlichen Beziehungen erkundigen würde – insbesondere wenn unser Pseudoklient prominent ist.«

»Einspruch abgewiesen.«

Aubrey lächelte zufrieden und warf einen Blick auf ihre Notizen. »Haben Sie Bindungsprobleme, Mr Hamilton?«

»Wie kann ich Probleme mit etwas haben, woran ich nicht glaube?«

»Sie glauben also an One-Night-Stands bis an Ihr Lebensende?«

»Euer Ehren …« Der Praktikant der Gegenseite sprang auf, doch ich hob beschwichtigend die Hand.

»Nicht nötig«, wiegelte ich ab und sah Aubrey aus schmalen Augen an. »Ich werde mich Miss Everharts unangemessener Befragungsstrategie stellen … Ich glaube daran, mein Leben so leben zu können, wie ich es will, und mich mit Frauen abzugeben, wenn ich mich mit ihnen abgeben will. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit meine Sexualpartnerinnen etwas mit diesem gespielten Verschwörungsfall zu tun haben, doch wenn wir schon über mein Sexualleben diskutieren, sollten Sie wissen, dass ich damit glücklich und zufrieden bin. Ich bin später sogar noch verabredet. Möchten Sie, dass ich Ihnen und den Geschworenen morgen über die Details Bericht erstatte?«

Die Praktikanten auf der Geschworenenbank lachten, während Aubreys Lächeln erstarb. Selbst als sie sich wieder zu lächeln zwang, sah ich einen Hauch von Schmerz in ihrem Blick.

»Also …« Sie holte tief Luft. »Was den Fall betrifft …«

»Ich bin froh, dass Sie endlich zum Thema kommen.«

Wieder lachten die Geschworenen.

»Glauben Sie an Moral, Mr Hamilton?«, fragte sie.

»Ja.«

»Glauben Sie, dass Sie Moral haben?«

»Ich glaube, die hat bis zu einem gewissen Grad jeder.«

»Ich bitte um Erlaubnis, mich dem Zeugen zu nähern.« Sie sah Mr Bach fragend an, der zustimmend nickte.

»Mr Hamilton, können Sie uns bitte den markierten Abschnitt dieses Dokuments vorlesen?« Sie legte mir ein Blatt Papier vor, und mir fiel eine kleine handgeschriebene Nachricht ganz oben auf der Seite auf.

Ich hasse dich und wünschte, dich nie kennengelernt zu haben.

»Ja«, sagte ich und zog einen Stift aus meiner Tasche. »Hier steht, dass meine Firma sich damals der Änderungen der Versicherungsverträge nicht bewusst war.«

Während Aubrey der Gruppe der Geschworenen eine Kopie des Dokuments gab, kritzelte ich eine Antwort.

Tut mir leid, dass du es bedauerst, mich kennengelernt zu haben, da ich es meinerseits nicht bedauere, dich kennengelernt zu haben – nur, dass ich mehr als einmal mit dir geschlafen habe.

Sie bat mich, dem Gericht noch einen weiteren Abschnitt vorzulesen, nahm mir den Zettel weg – und sah mich wütend an, nachdem sie meine Antwort gelesen hatte.

Ich versuchte, den Blick von ihr zu wenden und mich auf etwas anderes zu konzentrieren, doch ihr heutiges Aussehen machte es mir unmöglich. Ihr Haar war nicht zum üblichen Knoten hochgesteckt, sondern fiel ihr in langen Locken, die ihre Brüste streiften, über die Schultern. Und das Kleid, das sie trug, ein höchst unangemessenes Kleid, das einen Tick zu eng an ihren Schenkeln anlag, rutschte bei jedem Schritt einen Zentimeter höher.

»Ich habe noch drei Fragen an Mr Hamilton, Euer Ehren«, erklärte sie.

»Es gibt keine Obergrenze, Miss Everhart.« Er lächelte sie an.

»Gut …« Sie trat vor und sah mir in die Augen. »Mr Hamilton, Sie und Ihre Firma haben Ihren Angestellten den Eindruck vermittelt, dass sie Ihnen wichtig wären, dass Sie nur das Beste für sie wollten und dass Sie alle Änderungen vor Vertragsabschluss wortwörtlich kommunizieren würden. Stammen diese Versprechungen nicht direkt aus Ihrer Firmenbroschüre?«

»Ja.«

»Sind Sie also der Meinung, dass Sie eine Strafe verdient haben, weil Sie in Ihren Angestellten falsche Hoffnungen geweckt haben? Weil Sie sie in eine Situation hineingezogen haben, bei der Sie die ganze Zeit wussten, dass Sie sich ihr auf jeden Fall entziehen würden?«

»Ich glaube, dass ich getan habe, was das Beste für meine Firma ist«, sagte ich und ignorierte die Tatsache, dass mir das Herz bis zum Hals schlug. »Und später, wenn diese Angestellten weiterziehen, wird ihnen vielleicht klar werden, dass meine Firma sowieso nicht die passendste für sie war.«

»Finden Sie nicht, dass Sie Ihnen eine Entschuldigung schulden? Finden Sie nicht, dass Sie Ihnen zumindest das zugestehen sollten?«

»Eine Entschuldigung impliziert, dass ich etwas falsch gemacht habe.« Ich biss die Zähne zusammen. »Nur weil sie mit meinem Vorgehen nicht einverstanden sind, heißt das nicht, dass ich unrecht hatte.«

»Glauben Sie an berechtigte Zweifel, Mr Hamilton?«

»Sie sagten, Sie hätten nur noch drei Fragen an mich. Haben sich die Grundlagen der Mathematik in letzter Zeit geändert?«

»Glauben Sie an berechtigte Zweifel, Mr Hamilton?« Ihr Gesicht lief rot an. »Ja oder nein?«

»Ja.« Ich biss die Zähne zusammen. »Ja, ich glaube, das ist die übliche Anforderung an jeden Anwalt dieses Landes.«

»Und in Anbetracht des aktuellen Falles, den wir hier diskutieren … Glauben Sie, dass jemand wie Sie, jemand, der seine Angestellten so furchtbar behandelt hat, sich in Zukunft jemals ändern könnte, jetzt, wo Sie wissen, wie sehr Sie die Lebensgrundlage anderer beeinträchtigt haben?«

»Bei berechtigten Zweifeln geht es nicht um Gefühle, Miss Everhart, und ich schlage vor, dass Sie im nächstbesten Rechtslexikon nachschlagen, das Sie finden können, da ich mir ziemlich sicher bin, dass wir diese Diskussion schon einmal geführt haben …«

»Daran erinnere ich mich nicht, Mr Hamilton, aber …«

»Haben Sie mir nicht einmal mit Ihren eigenen unglücklichen, wenn auch korrekten Worten nach Ihrem ersten Bewerbungsgespräch hier bei GBH gesagt, dass bestimmte Lügen ausgesprochen und bestimmte Wahrheiten verschwiegen werden müssen? Und dass die endgültige Beurteilung demjenigen überlassen bleibt, der erkennen kann, was was ist?« Ich musterte sie von Kopf bis Fuß. »Ist das nicht exakt die Definition, die Sie mir für ›berechtigte Zweifel‹ gegeben haben?«

Sie sah mich lange an – mit demselben Schmerz im Blick wie damals, als ich sie aus meiner Wohnung geworfen hatte.

»Keine weiteren Fragen, Euer Ehren«, murmelte sie.

Hinten im Saal applaudierte Mr Greenwood laut. Mr Bach und die Praktikanten taten es ihm gleich.

»Sehr gute Arbeit, Miss Everhart!«, rief Mr Bach. »Das war eine sehr direkte und schlüssige Befragung.«

»Danke, Sir.« Sie vermied es, mich anzusehen.

»Sie sind die erste Praktikantin, die Andrew aus der Reserve gelockt hat.« Er lächelte beeindruckt. »Wir müssen Sie unbedingt bei uns behalten. Verdammt, wir könnten Sie hinzuziehen, wenn wir uns vergewissern müssen, ob er dazu fähig ist, Emotionen zu zeigen.«

Mehr Gelächter.

»Tolle Arbeit, alle zusammen!« Er lehnte sich zufrieden auf dem Richterstuhl zurück. »Wir sehen uns Ihre Referate noch diese Woche an und schicken Ihnen die Bewertungen am Donnerstag per E-Mail zu.« Er schlug mit dem Richterhammer auf den Tisch. »Das Gericht vertagt sich.«

Während die Praktikanten der Reihe nach den Raum verließen, warf mir Aubrey einen letzten wütenden Blick über die Schulter zu. Ich blickte genauso wütend zurück und war dankbar, dass ich heute Abend eine Verabredung hatte und sie und ihre dummen Fragen vergessen konnte, wenn ich mit einer anderen Frau zusammen war.

Ich wünschte, es wäre schon sieben.

Ich wartete ein paar Minuten, ehe ich mich in Richtung Fahrstuhl aufmachte, und versuchte, mich an die Termine zu erinnern, die noch vor mir lagen. Heute Nachmittag hatte ich zwei Beratungsgespräche mit Kleinunternehmern, und vorher musste ich noch schnell bei Starbucks vorbeischauen, bevor Aubrey mir die nächste Tasse Kaffee bringen konnte.

Ich wollte schon nach Jessica rufen, während ich die Tür zu meinem Büro aufschloss und die Lichter anknipste, als ich vor meinem Bücherregal Ava erblickte.

»Ist das Obdachlosenasyl heute geschlossen?«, fragte ich.

»Ich bin gekommen, um dir endlich zu geben, worum du mich gebeten hast.«

»Um von einer Brücke zu springen, ist es noch ein bisschen zu früh.«

»Ich meine es ernst.«

»Genauso wie ich.« Ich lief an ihr vorbei und schrieb rasch eine SMS. »Auch wenn du jetzt springst, schaffst du es nicht mehr in die Mittagsausgabe der Nachrichten.«

Sie trat vor meinen Schreibtisch und legte eine Aktenmappe darauf. »Ich werde dich nicht mehr vor Gericht zerren, ich werde keine Verfahrenseinstellungen oder einstweiligen Verfügungen mehr beantragen, und ich werde auch keine falschen Behauptungen über deinen Charakter mehr machen … Ich bin fertig mit der Lügerei.«

»Klar.« Ich nahm die Papiere in die Hand. »Mit anderen Worten: Es gibt einen neuen Typen, den du unbedingt verarschen willst. Kennt er deinen wahren Charakter?«

»Meinst du das ernst? Du kriegst deine kostbare Scheidung. Warum kümmert es dich überhaupt?«

»Das tut es nicht.« Ich setzte meine Lesebrille auf und sah die Dokumente durch. »Keine Unterhaltsforderungen, Missbrauchsbehauptungen oder Eigentumsansprüche? Hab ich eine Seite überblättert?«

»Ich sag’s dir doch. Ich bin fertig mit der Lügerei.«

Ich glaubte ihr keine Sekunde lang, nahm aber trotzdem den Hörer ab und bestellte die Notarin mit dem Hinweis zu mir, dass es sich um einen Notfall handelte.

»Weißt du …« Ava lehnte sich an meinen Schreibtisch. »Ich erinnere mich noch an den Kuchen, den du mir zu unserem Hochzeitstag gekauft hast. Er war weiß und hellblau und hatte all diese hübschen kleinen NYC-Verzierungen obendrauf. Er hatte sogar Schichten mit verschiedenen Geschmacksrichtungen. Eine für jedes gemeinsame Jahr. Erinnerst du dich daran?«

»Ich erinnere mich, dass du mit meinem besten Freund ins Bett gestiegen bist.«

»Können wir nicht zumindest einen schönen Moment haben, ehe wir endgültig Schluss machen?«

»Zwischen dir und mir war schon vor langer Zeit Schluss, Ava.« Ich bemühte mich, ausdruckslos zu klingen, monoton. »Wenn eine Beziehung vorbei ist, machen die letzten Worte – ob sie nun gut sind oder schlecht – keinen großen Unterschied mehr.«

Sie seufzte, und mir fiel auf, wie schlecht sie heute aussah. Ihre Augen waren blutunterlaufen, das Haar war ungekämmt und zu einem losen Pferdeschwanz gebunden, und auch wenn das blaue Kleid, das sie trug, perfekt passte, hatte sie keine Anstrengung unternommen, es zu bügeln.

»Was ist das für ein Notfall, den Sie angeblich haben, Mr Hamilton?« Die Notarin betrat lächelnd den Raum. »Wollen Sie die Anschaffung einer zweiten Tausend-Dollar-Kaffeemaschine beantragen?« Als sie Ava sah, verstummte sie.

»Miss Kannan, das ist Ava Sanchez, meine angehende Exfrau. Ich möchte, dass Sie die Unterzeichnung der Scheidungspapiere bezeugen, drei Kopien davon erstellen und eine davon für den Postversand versiegeln.«

Sie nickte und zog einen Stempel aus ihrer Tasche.

»Ist dir aufgefallen, dass ich unsere Eigentumswohnung im West End aus freien Stücken an dich abtrete?«, fragte Ava.

»Die Eigentumswohnung, die ich gekauft habe?« Ich unterschrieb. »Wie großzügig von dir.«

»Es sind viele Erinnerungen damit verbunden.«

»Zur Unterzeichnung von Papieren ist keine Unterhaltung nötig«, ätzte ich.

Sie riss mir den Stift aus der Hand, setzte ihre Unterschrift über meine und nahm sich extra viel Zeit, den letzten Buchstaben mit einer Doppelschleife zu verzieren.

»Ich komme gleich mit den Kopien zurück.« Miss Kannan vermied es, uns anzusehen, während sie aus dem Raum ging.

»Das war’s dann wohl«, sagte Ava. »Jetzt gehen wir offiziell getrennte Wege.«

»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Leider stehst du immer noch hier.«

»Würde es dich umbringen, mir alles Gute zu wünschen? Mir zumindest viel Glück zu wünschen?«

»Da du zurück ins Gefängnis wanderst, wäre das wohl angemessen.« Ich zuckte die Schultern. »Viel Glück. Draußen wartet die Polizei auf dich, also nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Unten in der Halle gibt es einen Automaten mit Süßigkeiten und Chips. Wenn du also ein letztes Mal die Freiheit schmecken möchtest … Obwohl es dir im Gefängnis sicher genauso gut schmecken wird, von all den Frauen dort zu kosten, wenn das Licht ausgeschaltet wird.«

»Du hast mich verpfiffen?« Ihr Gesicht wurde kreidebleich, als ich mein Handy hochhielt und ihr die SMS zeigte, die ich verschickt hatte, als ich sie in meinem Büro vorfand. »Wie konntest du mir das nur antun?«

»Wie, bitte schön, nicht?«

»Habe ich dir wirklich so wehgetan, Liam? Habe ich …?«

»Nenn mich nie wieder so.«

»Habe ich dir wirklich so wehgetan?«, wiederholte sie kopfschüttelnd.

Ich gab keine Antwort.

»Das ist … Das ist wegen Emma, stimmt’s?«, zischte sie. »Ist es deshalb? Wirfst du mir das immer noch vor?«

»Scher dich hier raus. Sofort.«

»Das ist sechs Jahre her, Liam. Sechs verdammte Jahre. Du musst es auf sich beruhen lassen.« Sie öffnete die Tür, und ein durchtriebenes Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Solche Dinge passieren ständig … So unglücklich es auch war, es hat dazu beigetragen, dich zu dem Mann zu machen, der du heute bist, nicht?«

Ich musste meine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um sitzen zu bleiben und mich nicht auf sie zu stürzen.

Vor Wut schäumend, wartete ich, bis sie gegangen war, und trat ans Fenster. Ich sah zu, wie sie mit erhobenen Händen auf den Parkplatz trat, während die Polizeibeamten sie anschrien.

Dann, genau wie vor sechs Jahren, lächelte sie, während ihr die Handschellen angelegt wurden, und lachte, als sie unsanft auf den Rücksitz des Polizeiwagens gestoßen wurde.

Der schwarze Tross fuhr langsam davon, und ein vertrauter Schmerz meldete sich wieder in meiner Brust.

Ich schnappte mir meine Schlüssel, eilte nach unten zum Parkplatz und sprang in meinen Wagen. Obwohl ich eigentlich nach Hause gewollt hatte, beschloss ich spontan, zum nächstgelegenen Strand zu fahren.

Als ich auf die Schnellstraße fuhr, schaltete ich mein Handy auf stumm, und während die Sekunden zu Stunden zerflossen, verschwand die Stadt im Rückspiegel. Die Häuser lagen immer weiter auseinander, bis ich durch die Windschutzscheibe nur noch Bäume und Sand sah.

Als ich eine abgeschiedene Bucht erreichte, parkte ich den Wagen vor einem Felsen. Ich öffnete mein Handschuhfach und holte die rote Akte heraus, die Aubrey einmal hatte aufschlagen wollen. Dann stieg ich aus und setzte mich auf die nächste Bank.

Ich atmete tief durch, zog die Fotos heraus und schwor mir, dass ich sie mir heute zum letzten Mal ansehen würde: Bilder von mir und meiner Tochter, wie wir bei Sonnenuntergang am Strand von New Jersey entlangschlendern. Sie lächelt, als ich ihr eine Muschel ans Ohr halte. Ich trage sie auf meinen Schultern und deute auf den nächtlichen Sternenhimmel.

Obwohl ich wusste, dass es wieder zu nächtlichem Angstschweiß und später zu unvermeidbaren Albträumen führen würde, blätterte ich weiter durch die Fotos.

Ich schaute mir auch die an, die ohne mich aufgenommen worden waren: die aus dem Park, auf denen sie traurig und einsam aussieht, die, auf denen sie in die Ferne schaut und etwas sucht – oder jemanden, der nicht da ist.

Emma …

Beim letzten Bild zog sich mein Herz vor Kummer zusammen. Es war eine Aufnahme, auf der sie weinend an ihrem Regenschirm herumhantierte. Sie war ganz aufgelöst, weil man sie zwang hereinzukommen, denn keiner verstand, dass sie, auch wenn sie sich gern bei strahlendem Sonnenschein im Park aufhielt, am liebsten draußen im Regen spielte.

Seelisches Leid:

Eine negative emotionale Reaktion, wie Furcht, Wut, Angst oder Trauer, für die eine finanzielle Entschädigung zuerkannt werden kann.

Aubrey

Ich sah schrecklich aus. Katastrophal.

Heute war die erste volle Kostümprobe für Schwanensee angesetzt, und mein Aussehen taugte überhaupt nicht für die Rolle. Meine Augen waren vom vielen Weinen rot und verquollen, meine Lippen trocken und rissig, und meine Haut war so blass, dass Mr Petrova an mir vorbeiging und fragte: »Als was treten Sie heute eigentlich auf? Als Schwan oder als Gespenst?«

Sosehr ich mich auch bemühte, trotz meines Kummers zu lächeln, weinte ich jede Sekunde, in der ich allein war, verdrückte jede Nacht exorbitante Mengen an Eis und Schokolade und konnte ums Verrecken nicht schlafen.

Ich konnte immer noch nicht glauben, dass Andrew mich so gnadenlos aus seiner Wohnung geworfen hatte. Gerade noch hatte er mich an sich gedrückt und geküsst, und im nächsten Moment verkündete er mir, dass wir jetzt häufig genug miteinander geschlafen hätten, dass er mich nicht mehr wollte und ihm der Sinn nach anderen Frauen stünde.

Schlimmer noch: Als wir uns am Montag darauf in der Firma wiedersahen, war er noch einmal doppelt so unverschämt gewesen. Er hatte mir wieder einen Fall zugeteilt, für dessen Bearbeitung ich Monate brauchen würde, war von ihm vor versammelter Mannschaft ausgeschimpft worden, weil ich zehn Sekunden zu spät gekommen war, und dann hatte er auch noch die Dreistigkeit besessen, sich darüber zu beschweren, dass ich lächelte, als ich ihm seine tägliche Kaffeeration brachte.

Wenigstens hatte ich reingespuckt …

»Weinen Sie etwa?« Die Maskenbildner-Assistentin hob mein Kinn an. »Wissen Sie, wie teuer diese Bühnen-Mascara ist?«

»Tut mir leid.« Ich ließ meine Augäpfel in ihren Höhlen erstarren und hielt die Tränen zurück.

»Ich habe auf der Liste für heute die Namen Ihrer Eltern gar nicht gesehen. Kommen sie zur zweiten Durchspielprobe am Samstag?«

»Nein.«

»Vermutlich wollen sie die ganze Aufführung in einem Durchlauf sehen, hm?« Sie lachte. »Meine Eltern sind genauso. Ich habe ihnen erzählt, wie viele Durchspielproben wir machen müssen, und da sagten sie, sie würden es sich lieber ansehen, wenn es fertig ist. Sie sind Perfektionisten.«

»Das kann ich leider nachvollziehen …«

Sie lachte und schwatzte immer weiter, sodass ich stillschweigend die Sekunden zählte, bis sie endlich fertig war.

Als sie mein Gesicht ein letztes Mal mit der Puderquaste bearbeitete, drehte sie mich zum Spiegel.

»Wow …«, flüsterte ich. »Ehrlich, wow …«

Man sah überhaupt nicht, dass ich geweint hatte. Obwohl meine Augenlider mit dunklem Lidschatten geschminkt waren und sie mir unter das rechte Auge eine künstliche Tränenspur gepinselt hatte, sah ich aus wie die glücklichste Frau auf der Welt.

»Miss Everhart?«, fragte Mr Petrova und trat hinter mich. »Darf ich Sie kurz entführen?«

»Ja, Sir.« Ich folgte ihm durch die Tür zu den Garderobenräumen nach draußen in den leeren Stretching-Bereich.

»Setzen Sie sich auf die Bank, Miss Everhart.« Er holte eine Zigarette aus der Tasche und zündete sie sich an.

Der Rauch breitete sich spiralförmig zwischen uns aus, während er mich von oben bis unten musterte. Aus irgendeinem merkwürdigen Grund wirkte er noch grimmiger als sonst, als wollte er mich gleich anschreien.

»Mr Petrova …«, sagte ich leise. »Stimmt etwas nicht?«

»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Ich will unter vier Augen mit Ihnen sprechen, weil ich Ihnen sagen muss, dass Sie gestern während der Proben dick aussahen. Zu dick.«

»Was?«

»Auch wenn Sie die Rolle des schwarzen Schwans wunderschön getanzt und das richtige Maß an Wut und Traurigkeit ausgestrahlt haben, haben Sie versagt – krachend versagt, was den weißen Schwan betraf.« Er hustete. »Sie wirkten, als seien Sie mit den Gedanken woanders. Als würde es Sie umbringen, auch nur fünf Minuten glücklich zu sein, und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, sind Sie auch noch dick geworden.«