Noch mehr Detektivgeschichten - Gilbert K. Chesterton - E-Book

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Gilbert K. Chesterton

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Beschreibung

Erstmalig vier seit Jahrzehnten unveröffentlichte Geschichten von Chesterton Der Meister der spirituellen Rätsel hat uns noch mehr geschenkt als "nur" seinen Pater Brown. In dieser ursprünglich 1922 veröffentlichten Sammlung aus einer Novelle und 3 Kurzgeschichten ermitteln verschiedene Personen in unterschiedlichen Verbrechen, aber immer in der für den Autor typischen, leisen und nachdenklichen Art. - Die Bäume des Hochmuts (The Trees of Pride) In dieser Geschichte läuft Chesterton zur Hochform auf: Er spinnt eine geheimnisvolle Intrige, gespickt mit philosophischen und theologischen Betrachtungen. Der Landadlige Vane, über den es heißt, er sei ein Mann, der sich besonders rühme, sich von keinerlei Dummheiten beeinflussen zu lassen, mit dem Resultat, dass er immer dumme Sachen mache, hat aus Afrika drei Bäume eingeführt. Diese Bäume stehen bei den abergläubischen Nachbarn in Verruf - angeblich sollen sie Krankheiten übertragen und sogar Menschen verspeisen. Um den Irrsinn zu widerlegen, verbringt Vane die Nacht im Wald. Am nächsten Morgen ist er verschwunden. Seine Gäste, unter ihnen ein amerikanischer Kritiker, ein Jurist und ein Arzt, machen sich auf, das Rätsel zu lösen. Die anderen Kurzgeschichten sind: - Der Garten des Rauches (The Garden of Smoke) - Schwert fünf (The Five of Swords) - Der Turm des Verrates (The Tower of Treason) Chesterton hat wahrlich niemals ein schlechtes Buch geschrieben. Null Papier Verlag

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Gilbert Keith Chesterton

Noch mehr Detektivgeschichten

Gilbert Keith Chesterton

Noch mehr Detektivgeschichten

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 EV: Musarion Verlag München, 1925 2. Auflage, ISBN 978-3-954185-39-9

www.null-papier.de/

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Über den Au­tor

Über die­ses Buch

Die Bäu­me des Hoch­muts (Die Bäu­me des Hoch­muts)

Ers­tes Ka­pi­tel – Die Ge­schich­te von den Pfau­en­bäu­men

Zwei­tes Ka­pi­tel – Die Wet­te des Squi­res Vane

Drit­tes Ka­pi­tel – Das Ge­heim­nis des Brun­nens

Vier­tes Ka­pi­tel – Die Jagd nach der Wahr­heit

Der Gar­ten des Rau­ches (The Gar­den of Smo­ke)

Schwert fünf (The Five of Swords)

Der Turm des Ver­ra­tes (The Tower of Tre­a­son)

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Über den Autor

Gil­bert Keith Che­s­ter­ton (1874-1936) zählt ne­ben Her­bert Ge­or­ge Wells, Ar­thur Co­nan Doy­le und Ru­dyard Kip­ling zu den klas­si­schen Al­les­kön­ne­r­au­to­ren Eng­lands am Ende der Vik­to­ria­ni­schen Epo­che bis zum Ende des ers­ten Drit­tels des 20. Jahr­hun­derts. Wie die­se hat er Tex­te ver­schie­dens­ter Art hin­ter­las­sen, dar­un­ter äu­ßerst ori­gi­nel­le Bei­trä­ge zur Fan­tas­tik.

Ge­wöhn­lich trug er ein Cape und einen zer­drück­ten Hut, einen Stock­de­gen in der Hand und hat­te eine Zi­gar­re aus dem Mund hän­gen. Er ver­gaß oft, wo­hin er woll­te, und ver­pass­te den Zug, der ihn dort­hin brin­gen soll­te. Es wird be­rich­tet, dass er mehr­fach sei­ner Frau von ent­fern­ten Or­ten Te­le­gram­me schick­te, um wie­der nach Hau­se zu fin­den.

Che­s­ter­ton lieb­te zu de­bat­tie­ren und be­tei­lig­te sich oft an freund­schaft­li­chen öf­fent­li­chen Dis­pu­ten mit Män­nern wie Ge­or­ge Ber­nard Shaw, H. G. Wells, Ber­trand Rus­sell und Cla­rence Dar­row.

In sei­nen Ro­ma­nen, Essays und Kurz­ge­schich­ten setz­te er sich in­ten­siv mit mo­der­nen Phi­lo­so­phien und Den­krich­tun­gen aus­ein­an­der.

Che­s­ter­ton schrieb Ge­dich­te, Büh­nen­stücke, meist aber Pro­sa: Essays, zahl­rei­che Er­zäh­lun­gen und Ro­ma­ne. Von man­chen Kri­ti­kern hoch­ge­lobt wur­den die von ihm ver­fass­ten Bio­gra­fi­en, bei­spiels­wei­se über Tho­mas von Aquin, Franz von As­si­si, Charles Di­ckens, Ro­bert Louis Ste­ven­son und Ge­or­ge Ber­nard Shaw.

Va­ter Brown ist ein eng­li­scher ka­tho­li­scher Pfar­rer, der als Hob­by Kri­mi­nal­fäl­le löst. Dies ge­lingt ihm, in­dem er sich in den Tä­ter hin­ein­ver­setzt, da­bei das Ver­bre­chen selbst be­geht, wie er sagt. Da­bei ist er aber we­ni­ger dar­an in­ter­es­siert, Ver­bre­cher der ir­di­schen Ge­rech­tig­keit aus­zu­lie­fern, son­dern er will sie zu Gott füh­ren; eine frei­wil­li­ge Beich­te des Tä­ters ge­nügt ihm. Da­bei spielt es für ihn kei­ne Rol­le, wel­ches Amt die­se Per­son be­klei­det.

Zwi­schen 1910 und 1935 er­schie­nen neun­und­vier­zig Er­zäh­lun­gen von Che­s­ter­ton über Fa­ther Brown, zu­nächst in Zeit­schrif­ten und an­schlie­ßend zu­sam­men­ge­fasst in meh­re­ren Bän­den.

Über dieses Buch

Erst­ma­lig vier seit Jahr­zehn­ten un­ver­öf­fent­lich­te Ge­schich­ten von Che­s­ter­ton

Der Meis­ter der spi­ri­tu­el­len Rät­sel hat uns noch mehr ge­schenkt als nur sei­nen Pa­ter Brown.

In die­ser ur­sprüng­lich 1922 ver­öf­fent­lich­ten Samm­lung aus ei­ner No­vel­le und 3 Kurz­ge­schich­ten er­mit­teln ver­schie­de­ne Per­so­nen in un­ter­schied­li­chen Ver­bre­chen, aber im­mer in der für den Au­tor ty­pi­schen, lei­sen und nach­denk­li­chen Art.

Die Bäu­me des Hoch­muts (The Trees of Pri­de)

In die­ser Ge­schich­te läuft Che­s­ter­ton zur Hoch­form auf: Er spinnt eine ge­heim­nis­vol­le Int­ri­ge, ge­spickt mit phi­lo­so­phi­schen und theo­lo­gi­schen Be­trach­tun­gen. Der Lan­dad­li­ge Vane, über den es heißt, er sei ein Mann, der sich be­son­ders rüh­me, sich von kei­ner­lei Dumm­hei­ten be­ein­flus­sen zu las­sen, mit dem Re­sul­tat, dass er im­mer dum­me Sa­chen ma­che, hat aus Afri­ka drei Bäu­me ein­ge­führt. Die­se Bäu­me ste­hen bei den aber­gläu­bi­schen Nach­barn in Ver­ruf – an­geb­lich sol­len sie Krank­hei­ten über­tra­gen und so­gar Men­schen ver­spei­sen. Um den Irr­sinn zu wi­der­le­gen, ver­bringt Vane die Nacht im Wald. Am nächs­ten Mor­gen ist er ver­schwun­den. Sei­ne Gäs­te, un­ter ih­nen ein ame­ri­ka­ni­scher Kri­ti­ker, ein Ju­rist und ein Arzt, ma­chen sich auf, das Rät­sel zu lö­sen.

Die an­de­ren Kurz­ge­schich­ten sind:

Der Gar­ten des Rau­ches (The Gar­den of Smo­ke)

Schwert fünf (The Five of Swords)

Der Turm des Ver­ra­tes (The Tower of Tre­a­son)

Che­s­ter­ton hat wahr­lich nie­mals ein schlech­tes Buch ge­schrie­ben.

Die Bäume des Hochmuts (Die Bäume des Hochmuts)

Erstes Kapitel – Die Geschichte von den Pfauenbäumen

Squi­re1 Vane war ein ält­li­cher Schul­kna­be von eng­li­scher Er­zie­hung und iri­scher Ab­stam­mung. Sei­ne eng­li­sche Er­zie­hung an ei­ner der großen Pub­lic­schools hat­te sei­nen Geist in ei­nem voll­kom­me­nen und im­mer­wäh­ren­den Sta­di­um des Kna­ben­al­ters er­hal­ten. Doch die iri­sche Ab­stam­mung er­weck­te un­be­wusst in ihm den rech­ten Ernst ei­nes al­ten Kna­ben und gab ihm manch­mal das Ver­ständ­nis für die glän­zen­de­ren Aus­sich­ten ei­nes un­ge­zo­ge­nen Kna­ben wie­der. Er be­saß eine kör­per­li­che Un­ge­duld, die man­ches mal mit ihm durch­ging, bei­na­he ge­gen sei­nen Wil­len, und die dar­an schuld war, dass er so­wohl im Zi­vil­dienst als auch in der di­plo­ma­ti­schen Lauf­bahn ge­ra­de­zu glän­zend ver­sag­te. So ist es zwar wahr, dass der Kom­pro­miss der Schlüs­sel zur eng­li­schen Po­li­tik ist, ins­be­son­de­re, was die Un­par­tei­lich­keit ge­gen­über den Re­li­gi­ons­zwei­gen In­diens an­be­langt; doch Va­nes Ver­such, den Mos­lems da­durch auf hal­b­em Weg ent­ge­gen­zu­kom­men, dass er an der Pfor­te der Mo­schee einen Stie­fel aus­zog, wur­de we­ni­ger als Zei­chen wah­rer Un­par­tei­lich­keit auf­ge­nom­men, son­dern viel­mehr als et­was, das nur ag­gres­si­ve Gleich­gül­tig­keit ge­nannt wer­den konn­te. Auch ist es wahr, dass man von ei­nem eng­li­schen Ari­sto­kra­ten kaum er­war­ten kann, dass er in ei­nem Streit zwi­schen ei­nem rus­si­schen Ju­den und ei­ner or­tho­do­xen Pro­zes­si­on, wel­che Re­li­qui­en trägt, die Ge­füh­le ei­ner der bei­den Par­tei­en wirk­lich nach­emp­fin­den kann; doch Va­nes Ein­fall, dass die Pro­zes­si­on eben­so gut den Ju­den selbst als ehr­wür­di­ge, his­to­ri­sche Re­li­quie tra­gen könn­te, wur­de von bei­den Sei­ten miss­ver­stan­den. Kurz, er war ein Mann, der sich be­son­ders rühm­te, er las­se sich von kei­ner­lei Dumm­hei­ten be­ein­flus­sen, mit dem Re­sul­tat, dass er im­mer dum­me Sa­chen mach­te. Er schi­en ein­zig aus dem Grund auf dem Kopf zu ste­hen, um zu be­wei­sen, dass er nicht auf den Kopf ge­fal­len sei.

Er hat­te in Ge­sell­schaft sei­ner Toch­ter eben ein herz­haf­tes Früh­stück be­en­det un­ter ei­nem Baum in sei­nem Gar­ten an der kor­ni­schen2 Küs­te. Denn, da er selbst eine wun­der­ba­re Zir­ku­la­ti­on be­saß, be­stand er dar­auf, mög­lichst vie­le Mahl­zei­ten im Frei­en ein­zu­neh­men, ob­wohl der Früh­ling noch kaum die Bäu­me be­rührt oder das Was­ser am süd­lichs­ten Ende Eng­lands er­wärmt hat­te. Sei­ne Toch­ter Bar­ba­ra, ein hüb­sches Mäd­chen mit ro­tem Haar und ei­nem so erns­ten Ant­litz wie eine Gar­ten­sta­tue, saß im­mer noch, bei­na­he re­gungs­los wie eine Sta­tue, still, nach­dem ihr Va­ter sich er­ho­ben hat­te.

Es war kei­ne üble Ge­stalt, die­ser große Mann in den hel­len Klei­dern, mit den wei­ßen Haa­ren und dem wei­ßen Schnurr­bart, der ein we­nig wild zu­rück­flog aus sei­nem gut­mü­ti­gen Ge­sicht, als er, den un­ge­wöhn­lich großen Pa­na­ma­hut in der Hand, durch den ter­ras­sen­för­mig an­ge­leg­ten Gar­ten hin­schritt, ei­ni­ge Stein­trep­pen, an de­ren Ge­län­der alte, reich ver­zier­te Ur­nen an­ge­bracht wa­ren, hin­un­ter­stieg, dann ei­nem wal­di­ge­ren Pfad folg­te, der zu bei­den Sei­ten von klei­nen Bäum­chen um­säumt war, und so im Zick­zack wei­ter ging auf dem Weg, der den fel­si­gen Ab­hang hin­ab­führ­te bis ans Ufer, wo ein Gast in ei­nem Boot an­kom­men soll­te. Die Yacht lag be­reits in der blau­en Bucht, und man konn­te das Boot se­hen, das auf die klei­ne, ge­mau­er­te Lan­dungs­brücke zu­ru­der­te.

Doch schon auf die­sem kur­z­en Weg zwi­schen den grü­nen Wie­sen und dem gel­ben Sand soll­te sein küh­ler Ver­stand auf die Pro­be ge­stellt wer­den, wie leicht er in je­nen nicht sel­te­nen Zu­stand zu ver­set­zen sei, den die Welt Hitz­köp­fig­keit zu nen­nen pflegt. Tat­sa­che war, dass die kor­ni­sche Land­be­völ­ke­rung, der die Päch­ter und die Die­ner­schaft des Hau­ses an­ge­hör­ten, bei wei­tem nicht Leu­te wa­ren, die kei­ne Dumm­heit kann­ten. Sie hat­ten, lei­der, gar vie­le Dumm­hei­ten an sich; sie schie­nen ihn mit Geis­tern und He­xen und al­ten Am­men­mär­chen wie mit ei­nem Zau­ber­ring von Un­sinn um­ge­ben zu wol­len. Doch der Zau­ber­kreis hat­te ein Zen­trum: Es gab einen Punkt, um den sich die Ge­sprä­che der Bau­ern im­mer wie­der dreh­ten. Es war ein Punkt, der den Squi­re im­mer wie­der zur Verzweif­lung brach­te, und so­gar auf die­sem kur­z­en Gang schi­en er über­all dar­auf zu sto­ßen. Ehe er die Trep­pe zur Wie­se hin­un­ter­stieg, blieb er ste­hen, um mit dem Gärt­ner über die Um­pflan­zung ir­gend­ei­nes aus­län­di­schen Strau­ches zu spre­chen, und der Gärt­ner drück­te mit je­dem Zug sei­nes le­der­brau­nen Ge­sich­tes düs­te­re Be­frie­di­gung aus über den glück­li­chen Zu­fall, der ihm ge­stat­te­te, sei­ne Mei­nung dar­über zu äu­ßern, wie we­nig er von aus­län­di­schen Sträu­chern hal­te.

»Wär’ bes­ser, Herr, wir wä­ren das los, was Sie da­von hier ha­ben«, be­merk­te er mür­risch wei­ter­gra­bend. »Hier wächst all das Zeug nicht or­dent­lich.«

»Sträu­cher!«, sag­te der Squi­re la­chend. »Sie wer­den doch die Pfau­en­bäu­me nicht Sträu­cher nen­nen, wie? Schö­ne, große Bäu­me – Sie soll­ten stolz auf sie sein.«

»Man­che Kräu­ter wach­sen schnell«, be­merk­te der Gärt­ner. »’s gibt Kräu­ter, die so groß wer­den wie Häu­ser, wenn man sie pflanzt.« Dann füg­te er hin­zu: »Gott, der die Li­li­en im Fel­de … wie es in der Bi­bel heißt.«

»Ach, der Teu­fel hol dei­ne –«, fing der Squi­re an, und er setz­te dann an Stel­le des Wor­tes Bi­bel das all­ge­mei­ne­re Wort: »dei­nen Aber­glau­ben.« Er sel­ber war ein der­ber Ra­tio­na­list, aber er ging zur Kir­che, um sei­nen Päch­tern ein gu­tes Bei­spiel zu ge­ben. Was für ein gu­tes Bei­spiel? Das zu be­ant­wor­ten, wäre ihm schwer­ge­fal­len.

Ein Stück­chen wei­ter un­ten auf dem Weg be­geg­ne­te er ei­nem Holz­ha­cker, ei­nem Mann na­mens Mar­tin, der mit­teil­sa­mer war, weil er einen grö­ße­ren Kum­mer hat­te. Sei­ne Toch­ter war zur­zeit ernst­lich krank, sie litt an ei­nem Fie­ber, das seit kur­z­em an der Küs­te wü­te­te, und der Squi­re, der ein gu­tes Herz hat­te, hät­te es in ei­nem sol­chen Fal­le ge­wiss ger­ne ver­zie­hen, wenn der Mann nie­der­ge­schla­gen oder üb­ler Lau­ne ge­we­sen wäre. Doch war Vane nahe dar­an, wie­der die Ge­duld zu ver­lie­ren, als der Bau­er dar­auf be­stand, sein Miss­ge­schick mit der tra­di­tio­nel­len fi­xen Idee über die aus­län­di­schen Bäu­me in Ver­bin­dung zu brin­gen.

»Wenn sie es aus­hal­ten könn­te, würd’ ich sie am liebs­ten fort­schaf­fen von hier«, sag­te der Holz­ha­cker, »da wir ja die Bäu­me nicht fort­schaf­fen dür­fen, denk ich. Wie gern möcht ich mit der Ha­cke hin­ein­schla­gen und hö­ren, wie sie kra­chend zu­sam­men­bre­chen.«

»Man könn­te glau­ben, es wä­ren Dra­chen«, sag­te Vane.

»So un­ge­fähr schau­en sie aus«, er­wi­der­te Mar­tin. »Se­hen Sie nur ein­mal hin.«

Der Holz­knecht war na­tür­lich ein grö­be­rer, ja so­gar ein wil­de­rer Mann als der Gärt­ner. Auch sein Ge­sicht war braun und glich ei­nem al­ten Per­ga­ment; es war von ei­nem fremd­ar­tig an­ge­ord­ne­ten Bart­ge­strüpp um­rahmt, das in Wirk­lich­keit viel­leicht fünf­zig Jah­re zu­vor in ähn­li­cher­wei­se ge­tra­gen wor­den war, das aber auch fünf­tau­send Jah­re alt sein moch­te oder noch äl­ter. Man hat­te das Ge­fühl, dass die Phö­ni­zier, als sie in der Mor­gen­däm­me­rung der Welt jene frem­den Küs­ten be­tra­ten, ihre blauschwar­zen Haa­re in ähn­li­cher Fas­son ge­kämmt, ge­lockt oder ge­rauft ha­ben moch­ten. Denn die­ser Teil der Be­völ­ke­rung war eben­so sehr ein Win­kel Corn­walls, wie Corn­wall ein Win­kel Eng­lands ist; ein trau­ri­ger und ein­zig­ar­ti­ger Men­schen­schlag, klein und un­ter­ein­an­der ver­wandt wie ein kel­ti­scher Clan. Der Clan war äl­ter als die Fa­mi­lie Vane, ob­wohl die­se so alt war, wie Graf­schafts­fa­mi­li­en zu sein pfle­gen. Denn in vie­len die­ser Ge­gen­den Eng­lands sind es die Ari­sto­kra­ten, die als die Letz­ten ins Land ka­men. Sie wa­ren je­ner Teil des Volks­stam­mes, der be­stimmt war, zu ver­schwin­den, und viel­leicht schon ver­schwun­den ist.

Die Ge­gen­stän­de des An­sto­ßes stan­den ein paar hun­dert El­len weit vom Spre­cher ent­fernt, der sei­ne Axt dro­hend ge­gen sie er­hob; es lag et­was Zwin­gen­des in sei­nem Ver­gleich. Die­se Küs­te, die sich ge­gen Son­nen­un­ter­gang er­streck­te, war vor al­lem selbst bei­na­he so fan­tas­tisch wie eine Abend­wol­ke. Sie stand, her­aus­ge­schnit­ten aus dem Sma­ragd­grün oder In­di­go­blau des Mee­res, in ge­mei­ßel­ten Hör­nern und Si­cheln, die ganz gut der Ab­druck oder die Form sol­cher ge­hörn­ter Schlan­gen hät­ten sein kön­nen; und un­ten war die Küs­te zer­ris­sen und zer­klüf­tet durch Höh­len und Spal­ten wie von dem Boh­ren und Wüh­len ei­nes sol­chen gi­gan­ti­schen Wurms. Auf und über die­ser dra­chen­ähn­li­chen Bo­den­for­ma­ti­on hing, leich­ter als Dunst, ein Schlei­er grau­er Bäu­me; Bäu­me, die, zer­fres­sen und zer­fegt, wie ge­wöhn­lich durch die Zau­ber­kraft des Mee­res ih­rer ur­sprüng­li­chen Far­be und Form be­raubt wor­den wa­ren. Rechts­hin streck­ten sich die Bäu­me längs der Küs­te in ei­ner schma­len Rei­he, je­der Ein­zel­ne zu dün­nen, wil­den Li­ni­en ver­zerrt wie eine Ka­ri­ka­tur. Am an­de­ren Ende der Rei­he dräng­ten sie sich zu ei­nem wil­den Hau­fen buck­li­ger Bäu­me zu­sam­men; ein Wald, der sich nach ei­ner weit ins Meer vor­ra­gen­den Klip­pe die­ser ho­hen Küs­te hin dehn­te. Und an die­ser Stel­le war das Bild zu se­hen, das so vie­le Bli­cke und Ge­dan­ken bei­na­he me­cha­nisch auf sich zog.

Aus der Mit­te die­ser nied­ri­gen und bei­na­he gleich ho­hen Bäu­me er­ho­ben sich drei ein­zel­ne Stäm­me, die em­por­schos­sen und in den Him­mel rag­ten wie ein Leucht­turm über den Wel­len oder ein Kirch­turm über den Dä­chern des Dor­fes. Sie bil­de­ten eine Grup­pe von drei Säu­len, die so eng an­ein­an­der stan­den, dass sie gut für einen drei­ge­ga­bel­ten Baum hät­ten ge­hal­ten wer­den kön­nen, des­sen un­te­re Zwei­ge ab­ge­bro­chen oder im dich­teren Wald ver­steckt wa­ren. Al­les um sie her er­weck­te die Vor­stel­lung von et­was Fremd­län­di­schem, Süd­län­di­schem, weit mehr als sonst ir­gen­det­was, das so­gar auf die­ser äu­ßers­ten Halb­in­sel Bri­tan­ni­ens zu se­hen war, die Spa­ni­en, Afri­ka oder den Süd­ster­nen am nächs­ten kommt. Das fe­der­ar­ti­ge Laub­werk spross em­por in dem blas­sen, gelb­grü­nen Ne­bel, der die Bäu­me um­gab, doch wa­ren sie von ei­ner un­na­tür­li­che­ren, grü­nen Fär­bung, mit ei­ner bläu­li­chen Schat­tie­rung wie die Far­ben des Eis­vo­gels. Aber man hät­te sich auch ein­bil­den kön­nen, es sei­en die Schup­pen ei­nes drei­köp­fi­gen Dra­chens, der über ei­ner Her­de flie­hen­der und eng an­ein­an­der ge­dräng­ter Rin­der em­por­rag­te.

»Es tut mir sehr leid, dass dei­ne Toch­ter so krank ist«, sag­te Vane nicht sehr freund­lich. »Aber wirk­lich –«, und er schritt die stei­le Stra­ße in wie­gen­dem Gang bergab.

Das Boot war be­reits an dem klei­nen Stein­damm be­fes­tigt wor­den, und der Boots­mann ein jün­ge­res Ab­bild des Holz­hackers und wirk­lich auch ein Nef­fe die­ses nütz­li­chen Miss­ver­gnüg­ten – grüß­te sei­nen Lan­des­herrn in der mür­ri­schen Art der Fa­mi­lie. Der Squi­re merk­te es wohl im Vor­bei­ge­hen, hat­te es aber bald mit al­lem an­de­ren ver­ges­sen, so­bald er die Hand des jun­gen Be­su­chers ge­drückt hat­te, der ans Land ge­kom­men war. Es war ein lan­ger, läs­si­ger Mann, sehr ma­ger für sei­ne Ju­gend, des­sen lan­ge, fei­ne Züge ganz aus Kno­chen und Ner­ven zu­sam­men­ge­setzt zu sein schie­nen und ir­gend­wie im Wi­der­spruch zu sei­nen Haa­ren stan­den, die in hell­gel­ben Bü­scheln über den hoh­len Schlä­fen un­ter­halb der Krem­pe des wei­ßen Som­mer­hu­tes zu se­hen wa­ren. Er war sorg­fäl­tig und mit gu­tem Ge­schmack ge­klei­det, ob­wohl er ge­ra­de­wegs von ei­ner an­sehn­li­chen See­rei­se kam; in der Hand trug er et­was, das er wäh­rend sei­ner lan­gen Eu­ro­parei­sen und sei­ner so­gar noch län­ge­ren eu­ro­päi­schen Be­su­che bei­na­he ver­ges­sen hat­te, eine Hand­ta­sche zu nen­nen.

Herr Cy­pri­an Payn­ter war ein Ame­ri­ka­ner, der in Ita­li­en leb­te. Es gab noch viel mehr über ihn zu sa­gen, denn er war ein sehr klu­ger und kul­ti­vier­ter Herr; aber die­se bei­den Tat­sa­chen deck­ten sich viel­leicht mit den meis­ten an­de­ren. Wäh­rend er sei­nen Kopf wie ein Mu­se­um mit den Wun­dern der Al­ten Welt voll­stopf­te – die je­doch alle, wie durch ein Fens­ter, von den Wun­dern der Neu­en Welt er­hellt wa­ren – hat­te er et­was von der ein­zig­ar­ti­gen kri­ti­schen Hal­tung Rus­kins oder Pa­ters ge­erbt und war au­ßer­dem be­rühmt als Ent­de­cker ei­ni­ger klei­ne­rer Dich­ter. Er war ein ver­stän­di­ger Ent­de­cker und mach­te nicht alle sei­ne klei­ne­ren Dich­ter zu großen Pro­phe­ten. Wa­ren sei­ne Gän­se viel­leicht auch Schwä­ne, so wa­ren sie nicht alle dem Schwan von Avon3 gleich. Er hat­te sich so­gar der töd­li­chen Ver­däch­ti­gung des Klas­si­zis­mus aus­ge­setzt, da er von sei­nen jün­ge­ren Kol­le­gen, den »Punk­tie­ren­den Poe­ten«, ab­wich, als die­se Dich­tungs­ar­ten her­vor­brach­ten, die le­dig­lich aus Beistri­chen und Dop­pel­punk­ten be­stan­den. Er emp­fand eine mensch­li­che­re Sym­pa­thie für die neue Flam­me, die aus der glim­men­den Asche kel­ti­scher My­tho­lo­gie ent­facht wor­den war, und es war auch wirk­lich das jüngs­te Auftau­chen ei­nes kor­ni­schen Dich­ters eine Art Par­al­le­le zu den neu­en iri­schen Dich­tern, was ihn bei die­ser Ge­le­gen­heit nach Corn­wall ge­führt hat­te. Tat­säch­lich war er viel zu wohl­er­zo­gen, um sei­nen Gast­ge­ber ah­nen zu las­sen, dass ir­gend­ein an­de­res Ver­gnü­gen ge­sucht wer­den könn­te als das, des­sen Gast­freund­schaft zu ge­nie­ßen. Payn­ter war seit lan­gem von Vane ein­ge­la­den ge­we­sen, den er in Cy­pern in den letz­ten Ta­gen von Va­nes un­di­plo­ma­ti­scher Di­plo­ma­ten­lauf­bahn ge­trof­fen hat­te; doch Vane hat­te nicht be­merkt, dass die alte Be­zie­hung erst wie­der auf­ge­nom­men wur­de, nach­dem der Kri­ti­ker ›Mer­lin und an­de­re Ver­se‹ von ei­nem neu­en Schrift­stel­ler, na­mens John Tre­her­ne, ge­le­sen hat­te. Auch fing der Squi­re noch im­mer nicht an zu be­grei­fen, durch wel­che weit di­plo­ma­ti­sche­re Di­plo­ma­tie er ver­an­lasst wor­den war, den Sän­ger des Lan­des für den­sel­ben Tag, an dem der ame­ri­ka­ni­sche Kri­ti­ker an­kam, zu Tisch zu la­den.

Herr Payn­ter stand noch im­mer mit sei­ner Hand­ta­sche da und starr­te in auf­rich­ti­ger Be­wun­de­rung auf die aus­ge­wa­sche­nen Klip­pen, auf de­ren Spit­ze der graue, gro­tes­ke Wald stand, ge­krönt durch die drei höchs­ten Bäu­me.

»Es ist, als hät­te man an der Küs­te des Mär­chen­lan­des Schiff­bruch ge­lit­ten«, sag­te er.

»Ich hof­fe, Sie ha­ben nicht viel Schiff­bruch ge­lit­ten«, er­wi­der­te der Gast­ge­ber lä­chelnd. »Ich neh­me an, Jake wird gut auf Sie acht­ge­ge­ben ha­ben.«

Herr Payn­ter sah zum Boots­mann hin­über und lä­chel­te gleich­falls. »Ich fürch­te«, sag­te er, »un­ser Freund ist kein so lei­den­schaft­li­cher Be­wun­de­rer der Land­schaft wie ich.«

»Ach, die Bäu­me wohl!«, sag­te der Squi­re ge­lang­weilt.

Der Boots­mann war sei­nem ei­gent­li­chen Be­ruf nach Fi­scher; doch da sein Haus aus schwar­zem, ge­teer­tem Holz weit drau­ßen an der Küs­te nur we­ni­ge El­len vom Lan­dungs­platz ent­fernt stand, war er für sol­che Fäl­le als eine Art Fähr­mann an­ge­stellt. Er war ein großer, dun­kel­haa­ri­ger Bur­sche, meist schweig­sam, doch jetzt schi­en ihn et­was zum Re­den zu rei­zen.

»Na, Herr«, sag­te er, »je­der Mensch weiß, dass es da­mit nicht ge­heu­er ist. Je­der Mensch weiß, dass das Meer die Bäu­me zer­frisst und ver­nich­tet, wenn’s eben nur Bäu­me sind. Die­se Din­ger da trei­ben wie ir­gend­ei­ne gott­lo­se große Meeral­ge, die gar nicht zum Land ge­hört. Es ist ja wie – wie wenn die ver­damm­te See­schlan­ge ans Ufer ge­kom­men wäre, Squi­re, und al­les auf­frä­ße.«

»Es gibt hier eine dum­me Le­gen­de«, sag­te Squi­re Vane mür­risch. »Aber kom­men Sie in den Gar­ten hin­auf, ich möch­te Sie ger­ne mei­ner Toch­ter vor­stel­len.«

Als sie je­doch bei dem klei­nen Tisch un­ter dem Baum an­ge­langt wa­ren, hat­te die an­schei­nend be­we­gungs­lo­se jun­ge Dame sich schließ­lich doch fort­be­wegt, und es dau­er­te eine Wei­le, be­vor sie ihr auf die Spur ka­men. Sie hat­te sich, ob­wohl lang­sam und läs­sig, doch er­ho­ben, und war ge­mäch­lich den obe­ren Teil des Pfa­des wei­ter­ge­schlen­dert, der durch den ter­ras­sen­för­mi­gen Gar­ten hin­ab­führ­te und auf den un­te­ren Pfad her­ab­sah, dort, wo die­ser nä­her an den dich­teren Teil des klei­nen Wal­des am Ufer her­an­kam.

Ihre Läs­sig­keit kam nicht von ei­ner Schwä­che, eher von der Fül­le des Le­bens in ihr, wie bei ei­nem halb­er­wach­ten Kind. Sie schi­en sich zu deh­nen und al­les zu ge­nie­ßen, ohne ir­gend et­was zu be­mer­ken. Sie durch­kreuz­te das Wäld­chen, in des­sen grau­em Ge­strüpp ein ein­zi­ger wei­ßer Pfad wie in ei­nem schwar­zen Loch ver­schwand. Um die­sen Teil der Ter­ras­se lief eine Art nied­ri­ger Ba­lus­tra­de oder Ram­pe, die in Ab­stän­den von Blu­men be­deckt war. An die Brüs­tung die­ser Mau­er lehn­te sie sich und sah hin­ab auf das leuch­ten­de Meer und die Baum­grup­pe un­ten und auf den un­re­gel­mä­ßi­gen Pfad, der zu der Lan­dungs­brücke und dem Fi­scher­häus­chen un­ten am Stran­de führ­te.

Als sie ziem­lich schläf­rig so hin­ab­starr­te, sah sie, wie eine frem­de Ge­stalt, an­schei­nend vom Fi­scher­haus kom­mend, sehr schnell den Pfad her­auf­klet­ter­te; der Mann ging so schnell, dass er einen Au­gen­blick spä­ter schon zwi­schen den Bäu­men her­aus­kam und ge­ra­de auf dem Weg un­ter ihr stand. Es war nicht nur eine ihr frem­de, son­dern eine an sich et­was be­frem­den­de Ge­stalt. Es war ein noch jun­ger Mann, an­schei­nend so­gar auch jün­ger als sei­ne Klei­der, die nicht nur schä­big, son­dern al­ter­tü­melnd aus­sa­hen; Klei­der, ih­rer Art nach ganz ge­wöhn­lich, die er je­doch nur in un­ge­wöhn­li­cher Art trug. Er trug einen dem An­schein nach leich­ten Re­gen­man­tel, viel­leicht weil er übers Meer ge­kom­men war, aber die­ser wur­de am Hals von ei­nem ein­zi­gen Knopf fest­ge­hal­ten und hing samt Är­meln und al­lem mehr wie eine Pe­le­ri­ne als wie ein Man­tel um sei­ne Schul­tern. Er stütz­te eine sei­ner kno­chi­gen Hän­de auf einen schwar­zen Stock; un­ter dem Schat­ten des brei­ten Hu­tes hing sein schwar­zes Haar in ei­nem oder zwei Bü­scheln her­ab. Das Ge­sicht war schwarz­braun, doch eher hübsch zu nen­nen und trug den Aus­druck ei­nes ver­le­ge­nen Lä­chelns, das je­doch all­zu sehr ei­nem höh­ni­schen Grin­sen glich.

Ob nun die­se Er­schei­nung ein Wan­de­rer oder ein Land­strei­cher oder ein Freund oder ei­ner von den Fi­schern oder Holz­ha­ckern war, konn­te Bar­ba­ra Vane un­mög­lich her­aus­fin­den. Er lüf­te­te den Hut, noch im­mer mit dem­sel­ben düs­te­ren Lä­cheln, und sag­te höf­lich: »Ver­zei­hen Sie, bit­te, der Squi­re er­such­te mich, hier vor­zu­spre­chen.« Jetzt er­blick­te er Mar­tin, den Holz­ha­cker, der am Wege zu schaf­fen hat­te und das ma­ge­re Ge­hölz noch ma­ge­rer mach­te; der Frem­de grüß­te mit ei­ner fa­mi­li­ären Be­we­gung des einen Fin­gers.

Das Mäd­chen wuss­te nicht, was es sa­gen soll­te. »Kom­men Sie – kom­men Sie, um Holz zu ha­cken?«, frag­te sie schließ­lich.

»Ich woll­te, ich wäre ein so ehr­li­cher Mann«, er­wi­der­te der Frem­de. »Mar­tin ist, den­ke ich, ir­gend­ein ent­fern­ter Ver­wand­ter von mir; wir kor­ni­sches Volk hier aus der Um­ge­gend sind fast alle un­ter­ein­an­der ver­wandt, wis­sen Sie. Aber, ich schla­ge kei­ne Bäu­me. Ich schla­ge über­haupt nichts, aus­ge­nom­men viel­leicht Ka­prio­len. Ich bin, so­zu­sa­gen, ein ›Jong­leur‹.«

»Ein was?«, frag­te Bar­ba­ra.

»Ein Min­ne­sän­ger, wol­len wir sa­gen –«, ant­wor­te­te der neue An­kömm­ling und sah sie et­was schär­fer an. Wäh­rend ei­nes be­klem­men­den Schwei­gens ruh­ten ihre Bli­cke auf­ein­an­der. Was sie sah, ist schon ge­sagt wor­den; ob­wohl sie es je­den­falls nicht im ge­rings­ten be­griff. Was er sah, war eine ent­schie­den schö­ne Frau mit ei­nem sta­tu­en­haf­ten Ant­litz und mit Haa­ren, die in der Son­ne wie ein Helm aus Kup­fer leuch­te­ten.

»Wis­sen Sie«, fuhr er fort, »dass an die­sem ur­al­ten Platz vor vie­len hun­dert Jah­ren wirk­lich ein ›Jong­leur‹ ge­stan­den ha­ben mag, so wie ich nun hier ste­he, und eine Dame wirk­lich über die­se Mau­er ge­schaut ha­ben mag und ihm viel­leicht Geld zu­ge­wor­fen hat?«

»Brau­chen Sie Geld?«, frag­te sie ganz ins Blaue.

»Nun«, sag­te der Frem­de ge­dehnt, »in dem Sin­ne, dass ich nicht ge­nug da­von habe, viel­leicht; aber, ich fürch­te, es gibt jetzt kei­nen Platz mehr für Min­ne­sän­ger, nur mehr für Nig­ger­sän­ger. Ich muss um Ent­schul­di­gung bit­ten, weil ich mein Ge­sicht nicht ge­schwärzt habe.«

Sie lach­te ein we­nig in ih­rer Ver­wir­rung und sag­te: »Nun, ich glau­be, das brau­chen Sie nicht erst zu tun.«

»Sie mei­nen, dass die Ein­ge­bo­re­nen hier viel­leicht schon dun­kel ge­nug sind«, be­merk­te er ru­hig. »Schließ­lich sind wir ja Urein­woh­ner und wer­den auch da­nach be­han­delt.«

Sie warf ir­gend­ei­ne ver­zwei­fel­te Be­mer­kung über das Wet­ter und die Ge­gend hin und war neu­gie­rig, was jetzt wei­ter kom­men wer­de.

»Die Aus­sicht ist ge­wiss schön«, stimm­te er in der­sel­ben rät­sel­haf­ten Art zu. »Nur et­was ist da­bei, das mich zwei­feln macht.«

Wäh­rend er schwei­gend da­stand, hob er lang­sam sei­nen schwar­zen Stock wie einen lan­gen, schwar­zen Fin­ger und deu­te­te da­mit auf die Pfau­en­bäu­me oben im Wäld­chen. Und es über­kam das Mäd­chen ein selt­sa­mes Ge­fühl der Un­ru­he, als be­deu­te­te die­se blo­ße Ges­te schon Zer­stö­rung und wäre im­stan­de, einen Blitz­schlag über den Gar­ten zu sen­den.

Das drücken­de und pein­li­che Schwei­gen wur­de von der Stim­me des Squi­re Vane un­ter­bro­chen, die so­gar noch aus der Ent­fer­nung laut klang.

»Wir wuss­ten nicht, wo du steckst, Bar­ba­ra«, sag­te er. »Dies ist mein Freund, Herr Cy­pri­an Payn­ter.« Im nächs­ten Au­gen­blick sah er den Frem­den und hielt et­was ver­wirrt inne.

Nur Herr Cy­pri­an Payn­ter schi­en der Si­tua­ti­on ge­wach­sen. Er hat­te vor Mo­na­ten ein Bild des kor­ni­schen Dich­ters in ir­gend­ei­ner li­te­ra­ri­schen Zeit­schrift ge­se­hen, und so wur­de er, zu sei­ner Ver­wun­de­rung, plötz­lich der­je­ni­ge, der vor­stell­te, an­statt des­je­ni­gen, der vor­ge­stellt wur­de.

»Wie, Squi­re«, frag­te er voll Er­stau­nen, »ken­nen Sie Herrn Tre­her­ne nicht? Ich dach­te na­tür­lich, er sei ein Nach­bar.«

»Sehr er­freut, Ihre Be­kannt­schaft zu ma­chen, Herr Tre­her­ne«, sag­te der Squi­re, durch eine ge­wis­se Mun­ter­keit sei­ne Ver­wir­rung be­män­telnd. »Ich freue mich sehr, dass Sie kom­men konn­ten. Dies ist Herr Payn­ter – mei­ne Toch­ter«, und mit ei­ner ge­wis­sen pol­tern­den Ver­le­gen­heit führ­te er den Weg zu­rück zu dem Tisch un­term Baum.

Cy­pri­an Payn­ter folg­te, in­ner­lich da­mit be­schäf­tigt, ein Rät­sel zu lö­sen, das so­gar ihn mit all sei­ner rei­chen Er­fah­rung über­rascht hat­te. Der Ame­ri­ka­ner war, ob­wohl in in­tel­lek­tu­el­ler Be­zie­hung ein Ari­sto­krat, in sei­nem so­zia­len Emp­fin­den un­be­wusst noch ein De­mo­krat. Es war ihm nie­mals ein­ge­fal­len, dass es ein Glück für den Dich­ter sein könn­te, den Squi­re ken­nen zu ler­nen, eben­so we­nig wie für den Squi­re, den Dich­ter ken­nen zu ler­nen. Die auf­rich­ti­ge Gön­ner­schaft in Va­nes Gast­freund­lich­keit brach­te es ihm zum Be­wusst­sein, dass er in Eng­land schließ­lich doch ein Ver­bann­ter war.

Da der Squi­re vor­aus­sah, was für eine schwe­re Prü­fung ein Mit­ta­ges­sen mit ei­nem frem­den Li­te­ra­ten be­deu­ten wür­de, hat­te er die Sa­che von sei­nem Stand­punkt aus takt­voll zu be­han­deln ver­sucht. In der Ge­sell­schaft der be­nach­bar­ten Guts­be­sit­zer hät­te sich der Gast wie ein Fisch auf dem Tro­cke­nen vor­kom­men kön­nen; und so war, mit Aus­nah­me des ame­ri­ka­ni­schen Kri­ti­kers, des Rechts­ge­lehr­ten und des Arz­tes des Or­tes – bei­de ehr­ba­re Mit­tel­stands­leu­te, die vor­züg­lich dazu pass­ten – nur die engs­te Fa­mi­lie an­we­send. Der Squi­re war Wit­wer, und als das Es­sen im Gar­ten ser­viert wur­de, prä­si­dier­te Bar­ba­ra als Haus­frau.

Zu ih­rer Rech­ten saß der neue Dich­ter, was sie sehr ver­le­gen mach­te. Sie hat­te die­sem fälsch­li­chen ›Jong­leur‹ buch­stäb­lich Geld an­ge­bo­ten, und es mach­te die Sa­che um nichts leich­ter, ihm nun Es­sen an­zu­bie­ten.

»Der gan­ze Land­strich ist ver­rückt ge­wor­den«, ver­kün­dig­te der Squi­re, als mel­de­te er die neues­te Nach­richt. »Es ist al­les we­gen die­ser höl­li­schen Le­gen­de, die wir hier ha­ben.«

»Ich samm­le Le­gen­den«, sag­te Payn­ter lä­chelnd. »Sie müs­sen be­den­ken, dass ich bis­her kei­ne Ge­le­gen­heit hat­te, die Ihren zu sam­meln. Und dies hier«, füg­te er hin­zu und warf einen Blick auf die ro­man­ti­sche Küs­te rings um­her, »ist ein schö­ner Schau­platz für eine dra­ma­ti­sche Hand­lung.«

»Ach, es ist in sei­ner Art ganz dra­ma­tisch«, gab Vane, nicht ohne eine schwa­che Be­frie­di­gung, zu. »Es han­delt sich um jene Din­ge dort drü­ben, wir nen­nen sie die Pfau­en­bäu­me – ich ver­mu­te, we­gen der selt­sa­men Fär­bung der Blät­ter, wis­sen Sie, ob­wohl ich auch ge­hört habe, dass sie bei star­kem Wind einen grel­len Ton ge­ben sol­len, der an den Schrei des Pfaus er­in­nert. Nun, die­se Bäu­me sol­len aus der Ber­be­rei4 von mei­nem Vor­fah­ren, Sir Wal­ter Vane, her­über­ge­bracht wor­den sein, ei­nem je­ner eli­sa­be­tha­ni­schen Pa­trio­ten oder Pi­ra­ten oder wie im­mer man sie nen­nend will. Man er­zählt, dass am Ende sei­ner letz­ten Rei­se die Dorf­be­woh­ner sich dort un­ten am Strand ver­sam­melt hat­ten, um das Boot ein­lau­fen zu se­hen; und die neu­en Bäu­me rag­ten wie ein Mast im Boot em­por, ganz lus­tig mit un­zeit­ge­mäßem Laub­werk wie eine grü­ne Flag­ge. Und als sie ge­nau­er hin­sa­hen, kam es ih­nen vor, als wer­de das Schiff gar selt­sam ge­lenkt, und dann, als wer­de es über­haupt nicht ge­lenkt; und als es end­lich ans Land ge­trie­ben kam, wa­ren alle Män­ner in je­nem Boo­te tot, und Sir Wal­ter Vane lehn­te mit ge­zo­ge­nem Schwert ge­gen den Stamm ei­nes Bau­mes, so steif wie der Baum selbst.«

»Nun, das ist sehr merk­wür­dig«, be­merk­te Payn­ter nach­denk­lich. »Ich habe Ih­nen ja ge­sagt, dass ich Le­gen­den samm­le, und ich glau­be, ich kann Ih­nen den An­fang die­ser Ge­schich­te er­zäh­len, von der dies das Ende ist, ob­wohl er vie­le hun­dert Mei­len übers Meer kommt.«

Er klopf­te mit sei­nem ma­ge­ren, spitz zu­lau­fen­den Fin­ger auf den Tisch wie ei­ner, der sich eine Me­lo­die ins Ge­dächt­nis zu­rück­ru­fen will. Er hat­te der­lei Le­gen­den tat­säch­lich zu sei­nem Ste­cken­pferd ge­macht und war ein we­nig stolz auf die künst­le­ri­sche Wie­der­ga­be sei­ner Er­zäh­lung.

»Ach, er­zäh­len Sie uns, bit­te, Ihren Teil!«, rief Bar­ba­ra Vane, von wel­cher der Aus­druck son­ni­ger Ver­schla­fen­heit ir­gend­wie, zu­min­dest in ei­nem schwa­chen Grad, ab­ge­fal­len zu sein schi­en.

Der Ame­ri­ka­ner ver­beug­te sich mit erns­ter Höf­lich­keit über den Tisch hin und be­gann dann, wäh­rend er mit ei­nem selt­sa­men Ring an sei­nem Fin­ger spiel­te:

»Wenn man an der Küs­te der Ber­be­rei hin­un­ter­geht, bis da­hin, wo der letz­te Strei­fen Wal­des sich zwi­schen der Wüs­te und der großen, ge­zei­ten­lo­sen See ver­engt, so fin­det man dort Ein­ge­bo­re­ne, die im­mer noch eine selt­sa­me Ge­schich­te er­zäh­len von ei­nem Hei­li­gen aus dem ›dunklen Zeit­al­ter‹. Dort, an den däm­me­ri­gen Gren­zen ei­nes dunklen Welt­tei­les, fühlt man den Hauch des dunklen Zeit­al­ters. Ich habe den Ort nur ein­mal be­sucht, ob­wohl er, so­zu­sa­gen, ge­ra­de ge­gen­über der ita­lie­ni­schen Stadt liegt, in der ich jah­re­lang ge­wohnt habe; doch wür­de man es kaum für mög­lich hal­ten, um wie viel we­ni­ger ver­rückt das Durchein­an­der und die Ver­wir­run­gen die­ses My­thos ge­ra­de dort er­schie­nen, wo die Wäl­der des Nachts von dem Ge­brüll der Lö­wen wi­der­hall­ten und da­hin­ter sich die dunkle, rote Ein­sam­keit aus­dehn­te. Man er­zählt, dass der Ein­sied­ler St. Se­cu­ris, der ein­sam un­ter den Bäu­men leb­te, die­se all­mäh­lich wie Ka­me­ra­den lieb­te, sin­te­mal sie, ob­gleich mäch­ti­ge Rie­sen mit vie­len Ar­men wie Bria­reus,5 die sanf­tes­ten und un­schul­digs­ten Ge­schöp­fe wa­ren; sie ver­schlan­gen nie­man­den, wie die Lö­wen, son­dern öff­ne­ten viel­mehr al­len Vög­lein ihre Arme. Und er be­te­te, dass sie von Zeit zu Zeit er­löst wer­den möch­ten, um wie an­de­re Ge­schöp­fe frei um­her­ge­hen zu kön­nen. Und die Bäu­me be­weg­ten sich, auf die Ge­be­te des Se­cu­ris hin, wie durch Or­pheus’ Lie­der. Die Men­schen in der Wüs­te er­zit­ter­ten vor Schreck, als sie von wei­tem den Hei­li­gen ein­her­ge­hen sä­hen, in­mit­ten ei­nes wan­deln­den Hai­nes, wie einen Schul­leh­rer mit sei­nen Kna­ben. Denn nur so, un­ter stren­gen Re­geln und Be­din­gun­gen der Ord­nung, wa­ren die Bäu­me be­freit. Sie muss­ten zu­rück­keh­ren beim Klang der Glo­cke des Ein­sied­lers, und vor al­lem durf­ten sie die wil­den Tie­re nur nach­ah­men ins Ge­hen – nicht aber ir­gen­det­was zer­stö­ren oder ver­schlin­gen. Nun er­zählt man, dass ei­ner von den Bäu­men eine Stim­me hör­te, wel­che nicht die des Hei­li­gen war; dass er im war­men, grü­nen Zwie­licht ei­nes Som­mer­abends ei­nes We­sens ge­wahr wur­de, das in Ge­stalt ei­nes Vo­gels in sei­nen Zwei­gen saß und sprach, und es war das­sel­be, das einst in Ge­stalt ei­ner großen Schlan­ge aus dem Bau­me ge­spro­chen hat­te. Als die Stim­me im sanf­ten Rau­schen der Blät­ter lau­ter wur­de, er­griff den Baum ein großes Ver­lan­gen, sei­ne Zwei­ge aus­zu­stre­cken und nach den Vög­lein zu grei­fen, die arg­los um ihre Nes­ter flat­ter­ten, und sie zu zer­rei­ßen. End­lich er­füll­te der Ver­su­cher die Kro­ne des Bau­mes mit sei­nen Vö­geln des Hoch­mu­tes und des Stol­zes, mit der glit­zern­den Pracht des Pfau­en. Und der Geist des wil­den Tie­res über­kam den Geist des Bau­mes, und er zer­riss und ver­schlang die blau­grü­nen Vö­gel, dass auch nicht eine Fe­der üb­rig blieb, und dann kehr­te er heim zur stil­len Ge­mein­de der Bäu­me. Doch man sagt, dass, als der Früh­ling kam, alle an­de­ren Bäu­me Blät­ter tru­gen, doch die­sem wuch­sen Fe­dern von selt­sa­mer Ge­stalt und Art. Und durch die­se mons­trö­se Ver­bin­dung er­fuhr der Hei­li­ge von der Sün­de, und er ket­te­te die­sen einen Baum an den Bo­den mit dem Fluch, dass demje­ni­gen Bö­ses wi­der­fah­ren soll­te, der ihn je wie­der von sei­nem Plat­ze ent­fern­te. Das, Squi­re, ist der An­fang die­ser Ge­schich­te, die in der Wüs­te be­gann und hier en­dig­te, bei­na­he in die­sem Gar­ten hier.«

»Und das Ende ist, glau­be ich, eben­so zu­ver­läs­sig wie der An­fang«, sag­te Vane. »Sie ha­ben uns eine hüb­sche, ein­fa­che Ge­schich­te er­zählt, so recht ge­eig­net für eine klei­ne Ge­sell­schaft am Tee­tisch; ein stil­les, ru­hi­ges Stück­chen be­schau­li­chen Le­bens, wirk­lich wahr!«

»Was für eine selt­sa­me, ent­setz­li­che Ge­schich­te«, rief Bar­ba­ra aus. »Man hat das Ge­fühl, als wäre man un­ter Kan­ni­ba­len.«

»Ex Af­ri­ca«, sag­te der Ju­rist lä­chelnd. »Die Ge­schich­te kommt aus ei­nem Land der Kan­ni­ba­len. Ich glau­be, es ist das biss­chen Ne­ger­blut, das dar­in steckt, die­ses Ge­fühl des Alp­drucks, weil man nicht si­cher weiß, ob der Held eine Pflan­ze oder ein Mensch oder ein Teu­fel ist. Ha­ben Sie nicht auch man­ches Mal die­sel­be Emp­fin­dung bei ›On­kel Re­mus‹?«

»Ja, das ist wahr«, sag­te Payn­ter. »Voll­kom­men wahr.« Und er sah den Rechts­ge­lehr­ten mit neu­em In­ter­es­se an. Der Ju­rist, der als Herr Ashe vor­ge­stellt wor­den war, ge­hör­te zu je­nen Men­schen, die mehr Be­ach­tung ver­die­nen, als ih­nen die meis­ten Leu­te auf den ers­ten Ein­druck hin schen­ken. Wäre Na­po­le­on rot­haa­rig ge­we­sen, und hät­te er mit ei­ner ge­wis­sen Be­frie­di­gung alle sei­ne Kräf­te auf die klein­li­chen Rechts­fäl­le ei­nes Be­zirksum­krei­ses ge­rich­tet, so hät­te er auch nicht viel an­ders aus­ge­se­hen; die Er­schei­nung in den dunklen, un­schein­ba­ren Klei­dern war ver­hält­nis­mä­ßig un­be­deu­tend, eben­so wie die Na­po­le­ons. Er schi­en sich in der Ge­sell­schaft des Squi­re woh­ler zu füh­len als der Arzt, der, ob­wohl ein Gent­le­man, doch ein scheu­er Herr war und nur ein Schat­ten sei­nes aka­de­mi­schen Bru­ders.

»Wie Sie ganz rich­tig be­haup­ten«, be­merk­te Payn­ter, »scheint die Ge­schich­te ganz bar­ba­ri­sche, wahr­schein­lich auf Ne­ger­stäm­me zu­rück­zu­füh­ren­de Ele­men­te in sich zu ha­ben. Ur­sprüng­lich je­doch, glau­be ich, be­ruht sie auf der Le­bens­be­schrei­bung ir­gend­ei­nes Hei­li­gen oder Ein­sied­lers, ob­wohl ei­ni­ge Kri­ti­ker wie­der be­haup­ten, dass es einen St. Se­cu­ris nie­mals ge­ge­ben hat, son­dern dass dies nur eine Al­le­go­rie der Baum­zucht sei, da der Name la­tei­nisch ›die Axt‹ be­deu­tet.«

»Ach, wenn Sie so weit ge­hen«, be­merk­te der Dich­ter Tre­her­ne, »so könn­ten Sie eben­so gut be­haup­ten, dass der Squi­re Vane nicht exis­tie­re und nur eine Al­le­go­rie für einen Wet­ter­hahn sei, da sein Name eng­lisch ›Wet­ter­fah­ne‹ be­deu­tet.«

Der Ju­rist zog die Brau­en zu­sam­men, viel­leicht ein we­nig gar zu kühl, in Beant­wor­tung die­ses wit­zi­gen Aus­fal­les. Er blick­te über den Tisch hin und be­geg­ne­te dem et­was zwei­deu­ti­gen Lä­cheln des Dich­ters.

»Ver­ste­he ich Sie rich­tig, Herr Tre­her­ne«, frag­te Ashe, »wenn ich an­neh­me, dass Sie in die­sem Fall die An­sprü­che auf die Glaub­haf­tig­keit je­nes Mi­ra­kels des hei­li­gen Se­cu­ris un­ter­stüt­zen? Glau­ben Sie zu­fäl­li­ger­wei­se an die wan­deln­den Bäu­me?«

»Ich sehe Men­schen wie Bäu­me wan­deln«, ant­wor­te­te der Dich­ter, »wie der Mann aus der Bi­bel, der von Blind­heit ge­heilt wur­de. Ne­ben­bei ge­sagt, ver­ste­he ich Sie rich­tig, wenn ich an­neh­me, dass Sie die An­sprü­che auf die Glaub­haf­tig­keit des Mi­ra­kels die­ses – ›Wun­der­tä­ter­s‹ un­ter­stüt­zen?«

Payn­ter griff schnell und ge­schickt ein. »Nun, das klingt in­ter­essant, vom psy­cho­lo­gi­schen Stand­punkt aus näm­lich. Was heißt das: ›Sie se­hen Men­schen wie Bäu­me?‹«

»Da ich mir nicht vor­stel­len kann, warum die Men­schen wan­deln, kann ich mir auch nicht vor­stel­len, warum die Bäu­me es nicht soll­ten«, ant­wor­te­te Tre­her­ne.

»Es liegt of­fen­bar in der Na­tur des Or­ga­nis­mus«, warf der Me­di­zi­ner Dr. Bur­ton Brown ein; »es ist schon durch den Ty­pus der ve­ge­ta­bi­li­schen Struk­tur be­dingt.«

»Mit an­de­ren Wor­ten, ein Baum steckt vom An­fang bis zum Ende des Jah­res in der Erde«, ant­wor­te­te Tre­her­ne. »So blei­ben Sie von zehn bis elf je­den Tag in Ihrem Or­di­na­ti­ons­zim­mer. Glau­ben Sie nicht, dass eine Fee, die einen Au­gen­blick zu Ih­nen durchs Fens­ter hin­ein­ge­schaut hät­te, nach­dem sie über den Mond ge­sprun­gen ist und mit den Ple­ja­den Ver­ste­cken ge­spielt hat, dass die Sie für ve­ge­ta­bi­li­sche Struk­tur hiel­te und glau­ben müss­te, das Stil­sit­zen sei durch die Na­tur des Or­ga­nis­mus be­dingt?«

»Ich glau­be zu­fäl­lig nicht an Feen«, sag­te der Arzt ein we­nig ab­leh­nend, denn das ›ar­gu­men­tum ad ho­mi­nem‹6 wur­de zu all­ge­mein. Ein schwe­fel­ar­ti­ger, bei­na­he un­be­wus­s­ter Zorn schi­en von dem dunklen Dich­ter aus­zu­strah­len.

»Na, ich will es hof­fen, Dok­tor«, fing der Squi­re in sei­ner lau­ten, freund­li­chen Art an, hielt aber inne, als er die Auf­merk­sam­keit des an­de­ren in An­spruch ge­nom­men sah. Der schweig­sa­me Die­ner, der bei Tisch ser­viert hat­te, war hin­ter dem Stuhl des Arz­tes ste­hen ge­blie­ben und sag­te et­was in dem lei­sen, gleich­mä­ßi­gen Ton­fall ei­nes gut ab­ge­rich­te­ten Be­dien­ten. Er war ein so glat­tes Exem­plar des Ty­pus, dass man zu­erst gar nicht be­merk­te, wie sehr auch er eine, wenn­gleich über­tünch­te Wie­der­ho­lung des dunklen Bild­nis­ses war, das in die­ser be­son­de­ren Fa­mi­lie der kor­ni­schen Kel­ten so all­ge­mein ver­brei­tet schi­en. Sein Ge­sicht war gelb­lich, ja so­gar aus­ge­spro­chen gelb, und sein Haar in­di­goschwarz. Man nann­te ihn Mi­les. Ei­ni­ge fühl­ten sich durch die­sen ewig wie­der­keh­ren­den Stamm­ty­pus in die­sem win­zi­gen Win­kel Eng­lands be­drückt. Sie hat­ten das Ge­fühl, als wä­ren all die­se dunklen Ge­sich­ter Mas­ken ei­ner ge­hei­men Ge­sell­schaft.

Der Arzt er­hob sich mit ei­ner hal­b­en Ent­schul­di­gung. »Ich muss um Ver­zei­hung bit­ten, wenn ich die Ge­sell­schaft stö­re; ich wer­de dienst­lich ab­be­ru­fen. Es soll sich, bit­te, nie­mand stö­ren las­sen. Wir müs­sen für der­lei Un­ter­bre­chun­gen im­mer be­reit sein, wie Sie wis­sen. Vi­el­leicht wird Herr Tre­her­ne zu­ge­ben, dass mei­ne Ge­wohn­hei­ten schließ­lich nicht so aus­schließ­lich ve­ge­ta­bi­li­scher Na­tur sind.« Mit die­sem par­thi­schen7