Notärztin Andrea Bergen 1459 - Michaela Hansen - E-Book

Notärztin Andrea Bergen 1459 E-Book

Michaela Hansen

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Beschreibung

In der Nacht wird die Notärztin zu Tobias Kampmann gerufen. Selbstmordversuch. Der Achtzehnjährige fühlt sich schuldig daran, dass seine Freundin beim Baden in einem Baggersee verunglückt ist. Mareike liegt seitdem im Elisabeth-Krankenhaus - mit dem Verdacht auf Querschnittslähmung. Die Ärzte wollen jedoch noch eine riskante Operation wagen, auch wenn die Chancen, dass sie anschließend wieder laufen kann, äußerst gering sind.
Tobias ist zum Glück außer Lebensgefahr. Aber was geschieht, wenn die OP bei Mareike nicht erfolgreich verläuft? Die Notärztin macht sich große Sorgen ...


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Inhalt

Cover

Die beste Therapie der Welt

Vorschau

Impressum

Die beste Therapie der Welt

Letzte Nacht wurde ich zu Tobias Kampmann gerufen. Selbstmordversuch. Der Achtzehnjährige hat eine Überdosis Schlaftabletten genommen. Der Grund: Er fühlt sich schuldig, dass seine Freundin beim Baden in einem Baggersee schwer verunglückt ist. Mareike liegt seitdem im Elisabeth-Krankenhaus – mit dem Verdacht auf Querschnittslähmung. Dr. Meurer will zwar eine riskante Operation am Rückenmark wagen, aber die Chancen, dass sie ihre Beine danach wieder spürt, stehen 20:80.

Tobias ist zum Glück inzwischen außer Lebensgefahr. Aber was geschieht, wenn die OP bei Mareike nicht erfolgreich verläuft? Ich mache mir große Sorgen ...

Und dann haben wir noch einen neuen, sehr netten Kollegen auf der Chirurgie. Dr. Niklas Vorstädt heißt er. Ob ich ihn um einen großen, etwas ungewöhnlichen Gefallen bitten darf?

Im Operationssaal war es totenstill. Nur das durchdringende Pfeifen des Monitors war noch zu hören. Das Wort Exitus lag unausgesprochen im Raum.

Resignation lag in den blaugrauen Augen der Notärztin Dr. Andrea Bergen, als sie jetzt mit monotoner Stimme bat, die Apparate auszuschalten. Es gab Momente in ihrem Leben, denen sie sich hilflos ausgeliefert fühlte. Dies war so ein schwerer Moment.

Andrea Bergen riss sich den Mundschutz ab und ließ sich im Vorbereitungsraum zum OP von einer Schwester Kittel und Handschuhe abnehmen. Dann trat sie ans Waschbecken, stützte sich ab und blickte in den Spiegel. Blass sah sie aus und mitgenommen, irgendwie verstört.

Ihr Kollege Dr. Rudolf Benrath, ein kräftiger Typ mit dunklen Locken, trat zu ihr. Der immer fröhliche Mann sah in diesem Moment gar nicht fröhlich aus. Aber dennoch versuchte er, Andrea Mut zu machen.

»Es war nicht deine Schuld, Andrea«, sagte er. »Du hast den Patienten ja schon nach einem Herzstillstand hergebracht. Meine Güte, muss das ein Unfall gewesen sein!«

»Das Herz«, murmelte Andrea. »Das Herz hat nicht mitgemacht. Und die inneren Blutungen ...« Sie schlug mit der Faust auf den Beckenrand. »Es ist immer dasselbe! Warum müssen diese jungen Kerle so rasen? Gibt es wirklich Mädchen, denen man damit imponieren kann? Seine kleine Freundin wird einen gehörigen Schock haben, wenn sie wieder zu sich kommt.«

»Aber sie lebt wenigstens«, meinte Dr. Benrath. »Jedenfalls sie haben wir retten können.«

Andrea wandte ihm ihr blasses Gesicht zu.

»Der Junge war erst dreiundzwanzig«, murmelte sie tonlos. »Es ist zum Verzweifeln! Wie sollen wir das seinen Eltern beibringen? Sie müssen jeden Moment hier sein. Die Polizei hat sie doch längst benachrichtigt.«

Beruhigend legte Rudolf Benrath ihr die Hand auf die Schulter.

»Ich übernehme das für dich«, erklärte er. »Ich werde den Eltern die Hiobsbotschaft überbringen.«

Andrea begann sich zu waschen, ließ heißes Wasser über Hände und Unterarme fließen.

»Dafür bin ich dir sehr dankbar, Rudolf«, meinte sie. »Es fällt mir immer so schwer, eine solche Nachricht zu überbringen. Der weiße Jaguar, mit dem der junge Mann verunglückt ist, gehörte sicherlich seinem Vater. Aber ein Wagen ist schließlich zu ersetzen, selbst ein so teurer.«

Rudolf Benrath nickte. Auch er war dabei, sich zu waschen.

»Es ist spät geworden«, sagte Andrea, als sie sich abtrocknete. »Dies war mein letzter Einsatz für heute und meine letzte Operation.« Sie warf einen Blick auf die Uhr über dem Eingang zum OP. »Fast halb elf. Werner ist sicherlich schon ins Bett gegangen. Und Kollege Stellmacher wartet im Bereitschaftszimmer. Dass dieser Tag so enden musste ...«

»Es kommen auch wieder andere Tage«, tröstete ihr Kollege sie. »Dann gehst du glücklich nach Hause, weil du einem Menschen das Leben gerettet hast.«

Andrea Bergen nickte zerstreut und schwieg dazu.

Der Tod des jungen Mannes ging ihr sehr nahe. Von Anfang an hatte sie ja gewusst, dass sie in ihrem Beruf auch oft mit dem Tod Bekanntschaft machen würde. Und sie hatte sich darauf eingestellt. Doch jedes Mal, wenn es zu einem Exitus auf dem Operationstisch kam, war sie so niedergeschlagen, als habe es sich um einen nahestehenden Verwandten gehandelt.

Auch an das junge Mädchen musste sie denken, das mit dem Verunglückten im Wagen gesessen hatte. Abgesehen von einigen Frakturen und Prellungen, hatte das Gesicht des Mädchens beträchtliche Schnittwunden aufgewiesen. Da würde nur mit plastischer Chirurgie noch etwas zu retten sein. Bestimmt war die Kleine früher sehr hübsch gewesen, und jetzt das ...

Es gab Tage, da hätte Andrea am liebsten das Handtuch geworfen und etwas ganz anderes gemacht. Aber sie wusste, dass sie auch schlimme Zeiten durchstehen musste und dass sie nicht immer fähig war, zu helfen. Jedenfalls würde das junge Mädchen überleben, und eines Tages würde auch ihr Gesicht wieder vorzeigbar sein. Ihren Freund hatte es schlimmer getroffen.

***

Dr. Werner Bergen war noch nicht zu Bett gegangen, als seine Frau eine halbe Stunde später nach Hause kam. Er saß in dem geräumigen Wohnraum der Jugendstilvilla in seinem Lieblingssessel und las in einem Buch.

»Du siehst müde aus, mein Liebling«, stellte Werner Bergen fest und stand auf, um seine Frau zu begrüßen. Zärtlich nahm er sie in den Arm und küsste sie. »Du hattest einen anstrengenden Tag, nicht wahr?«

Für Sekunden lehnte Andrea ihren Kopf an seine Schulter.

»Ich bin vorhin zu einem schweren Unfall gerufen worden. Ein Jaguar ist mit hoher Geschwindigkeit gegen einen Baum geprallt. Ich möchte dir lieber nicht beschreiben, wie die beiden Insassen aussahen, die wir in die Klinik gebracht haben. Die junge Frau wird überleben. Aber der Fahrer des Wagens ...« Sie schluckte.

Beruhigend streichelte Werner Bergen die Schultern seiner Frau.

»Du hast sicherlich alles getan, was nötig war«, meinte er. »Komm, setz dich zu mir. Trinken wir ein Glas Rotwein. Das wird dich beruhigen, und du kannst dann gut schlafen.«

Andrea hob den Kopf und lächelte ihrem Mann zu.

»Willst du mich zur Alkoholikerin machen?«

Werner Bergen lachte leise. »Ein Glas Rotwein macht dich nicht gleich zur Alkoholikerin«, erwiderte er. »Außerdem ist Rotwein, in Maßen getrunken, äußerst vorteilhaft für die Gesundheit. Das enthaltene Resveratrol beugt einem Herzinfarkt vor und soll sogar bei Venenleiden gut sein.«

Empört sah Andrea ihren Mann an. »Meine Venen sind in Ordnung.«

»Weiß ich doch, mein Schatz«, entgegnete er. »Ich habe ja nur ganz allgemein gesprochen. Komm, mach es dir bequem. Ich hole eine Flasche Wein aus dem Keller, und dann erzählst du mir in Ruhe, was der Tag gebracht hat.«

***

Die Sommersonne schien vom wolkenlosen Abendhimmel, als Lena Bernicke nach Hause kam. Pünktlich hatte sie ihr Antiquitätengeschäft geschlossen, und als sie ihren Wagen jetzt in die Garage fuhr, die zu dem hübschen Zweifamilienhaus am Stadtrand gehörte, sah sie ihren Vater bei den Rosenstöcken stehen. Ihre verstorbene Mutter hatte die Rosen gepflanzt, und ihr Vater hatte jetzt die Pflege übernommen.

Rudolf Sander bewohnte allein das Erdgeschoss des Hauses. Die obere Etage hatte sich Lena ganz nach ihrem Belieben ausgebaut. Sie hatte Wände einreißen lassen, Räume vergrößert, und eine kleine Wendeltreppe führte in das ausgebaute Dachgeschoss hinauf, wo der achtjährige Florian sein Reich hatte.

An diesem Abend war Florian bei einem Schulfreund zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Lena wollte ihn gegen neun Uhr abholen. Florian hatte gebettelt, so lange aufbleiben zu dürfen. Und Lena hatte es nicht fertiggebracht, ihm den Wunsch abzuschlagen. Schließlich war der nächste Tag ein Samstag und schulfrei.

Lena, eine hübsche achtundzwanzigjährige Frau mit sandfarbenem Blondhaar und aufregenden dunkelblauen Augen, ging jetzt auf ihren Vater zu, der ihr entgegenblickte und sich über die Stirn wischte.

»Es ist so schwül heute«, klagte er. »Findest du nicht auch?«

»Ja, es ist etwas drückend«, bestätigte Lena. »Vielleicht bekommen wir ein Gewitter. Obwohl es eigentlich nicht danach aussieht.«

»Ich kann gar nicht richtig durchatmen«, bemerkte Rudolf Sander. »Aber das gibt sich schon wieder.« Er sah zu den Rosenstöcken hin. »Die gelben wollen in diesem Jahr gar nicht kommen. Ich weiß nicht, was mit ihnen los ist. Vielleicht liegt es an den Blattläusen. Ich müsste mal wieder Brennnesselsaft aufsetzen.« Von chemischen Schädlingsbekämpfungsmitteln hielt Rudolf Sander gar nichts. Er versuchte, der Natur auf natürliche Weise zu helfen.

Lena, die nur wenig an der Botanik interessiert war, nickte zerstreut.

»Ja, das solltest du wahrscheinlich versuchen, Vater«, bemerkte sie. »Gerade die gelben Rosen waren immer Mutters ganzer Stolz.«

Der Vater nickte. »Ich wollte einen Strauß auf ihr Grab bringen. Aber wie es jetzt aussieht ...«

Lena lächelte ihrem Vater zu. »Du kriegst das schon hin«, sagte sie. »Ich werde jetzt duschen und mich umziehen, und dann mach' ich mich auf den Weg, um Florian abzuholen.«

»Ja, tu das, Kind.« Der Vater atmete schwer und wandte sich wieder den Rosenstöcken zu, während Lena ins Haus ging.

Oben im Wohnzimmer öffnete sie weit die Fenster, um frische Luft hereinzulassen. Auch hier im Raum war es drückend und schwül. Plötzlich, als Lena am Fenster stand, hörte sie von unten ein gequältes Stöhnen, und dann klang es, als würde jemand zu Boden stürzen.

Entsetzt lehnte sie sich aus dem Fenster.

»Vater!«, rief sie. Im nächsten Moment hastete sie die Treppe hinunter und lief auf den Vater zu, der zwischen den Rosen lag.

»Keine Luft ... mein Herz ... Schmerzen im linken Arm.«

»Bleib ganz ruhig liegen, Vater«, sagte Lena zu Tode erschrocken. »Ich rufe den Notarzt. Ich bin sofort wieder da.« Und sie stürzte ins Haus.

Mit zitternden Händen wählte sie die 112 und erklärte, was passiert war.

»Es sieht nach einem Herzinfarkt aus. Bitte, kommen Sie schnell.« Lena nannte Namen und die Adresse. Dann stellte sie den Hörer zurück ins Ladegerät und rannte zurück in den Garten. Ihr Vater hatte die Augen geschlossen. Sein Atem ging keuchend und schwer.

O Gott, wenn nur der Notarzt bald kommt, dachte Lena verzweifelt. Sie spürte, wie ihr der kalte Schweiß ausbrach. Ihr Vater durfte nicht sterben!

Sie wusste nicht, wie viele Minuten vergangen waren, als sie aus der Ferne die Sirene des Notarztwagens hörte. Wenig später hielt er vor dem Haus. Zwei Sanitäter mit einer Trage sprangen heraus, gefolgt von einer blonden Frau mit der Arzttasche. Die drei kamen schnell näher, als Lena ihnen zuwinkte.

»Andrea, du?«, entfuhr es Lena überrascht. Aber es blieb keine Zeit zur Begrüßung mit ihrer ehemaligen Studienkollegin. Schnell erzählte Lena, wie sie den Vater gefunden hatte.

Andrea Bergen öffnete ihre Arzttasche, zog eine Spritze auf und injizierte das Mittel in Rudolf Sanders Armvene.

»Gut, dass du sofort angerufen hast, Lena«, wandte sie sich dann an die junge Frau. »Bei einem Infarkt ist es immens wichtig, dass sofort gehandelt wird.« Sie bedeutete den Sanitätern, den älteren Mann auf die Trage zu legen, und vorsichtig brachten die beiden ihn in den Rettungswagen.

Lena blickte ihrem Vater nach.

»Glaubst du, dass er es schafft?«, fragte sie. »Ich hab solche Angst, Andrea.«

»Wir tun alles für ihn«, versprach die Ärztin. »Mein Gott, Lena, wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen!«

»Es sind bestimmt vier oder fünf Jahre vergangen«, antwortete Lena. »Ich fahre sofort ins Elisabeth-Krankenhaus. Ich muss wissen, wie es Vater geht.«

»Ja, tu das.« Andrea beeilte sich, den Sanitätern zu folgen. Jetzt war keine Zeit für ein persönliches Gespräch. Das musste auf später verschoben werden.

Man brachte Rudolf Sander sofort auf die Intensivstation, wo er an alle notwendigen Überwachungsapparate und Infusionen angeschlossen wurde. Andrea Bergen kümmerte sich persönlich um ihren Patienten. Draußen wurde es schon dämmerig, als sie schließlich zu Lena zurückkehrte, die im Gang vor der Intensivstation gewartet hatte.

»Ich weiß, was du mich jetzt fragen willst«, meinte Andrea, als sie zu der Freundin trat. »Dein Vater ist stabil momentan. Ich kann nur wiederholen, wie gut es war, dass du sofort angerufen hast, weil du die Situation richtig erkannt hast.«

»Schließlich habe ich ja auch ein paar Semester Medizin studiert«, erwiderte Lena, »ehe ich mein Studium an den Nagel gehängt habe. Darf ich zu ihm? Kann ich mit Vater sprechen?«

»Jetzt besser nicht.« Andrea Bergen schüttelte den Kopf. »Morgen früh sieht bestimmt alles schon wieder anders aus. Lass ihn jetzt schlafen. – Der Infarkt kam ganz plötzlich, ohne Vorzeichen?«

»Er sagte, dass er schlecht Luft bekäme«, gestand Lena. »Aber ich habe doch nicht daran gedacht, dass so etwas passieren könnte.«

»Komm mit ins Bereitschaftszimmer«, bat Andrea. »Ich habe ein paar Minuten Zeit für dich, wenn ich nicht zu einem Einsatz gerufen werde. Dann muss ich dich natürlich sofort verlassen.«

Lena nickte. »Das versteh' ich doch, Andrea«, sagte sie und folgte der Notärztin. »Ich bin noch völlig durcheinander. Damals, als Mutter nach der Gallenblasenoperation im Krankenhaus lag, war ich so zuversichtlich, dass alles gutgehen würde, und dann bekam sie diese Embolie ...«

»Sie war nicht im Elisabeth-Krankenhaus, nicht wahr?«

»Nein, im Franziskus-Hospital«, antwortete Lena. »Dort ist sie dann auch gestorben.«

»Es tut mir so leid«, sagte Andrea. »Setz dich doch. Soll ich uns einen Kaffee bringen lassen?«

»Nein, bitte nicht, der würde mich nur noch mehr aufregen«, erwiderte Lena. »Darf ich kurz telefonieren? In der Aufregung habe ich mein Handy zu Hause vergessen. Eigentlich müsste ich meinen kleinen Sohn abholen, aber das wird sich nun etwas verzögern. Ich will wenigstens Bescheid sagen, dass ich später komme.«

»Dort ist der Apparat«, sagte Andrea freundlich, und Lena führte das Telefonat. Dann legte sie den Hörer zurück und sah die Notärztin an.

»Du hast dich fast gar nicht verändert«, stellte sie fest. »Du bist immer noch so schlank wie damals.«

»Ich versuche, mich bewusst zu ernähren«, erklärte Andrea. »Möglichst wenig Industriezucker. Aber in punkto Figur kannst du dich auch nicht beklagen.«

»Mein Geschäft hält mich auf Trab«, antwortete Lena. »Und dann ist da noch Florian ... Du glaubst nicht, was ein achtjähriger Junge für einen Wirbel veranstalten kann. Da kommst du gar nicht dazu, Fett anzusetzen.«

Andrea musste lächeln. »Florian heißt also dein kleiner Sprössling«, stellte sie fest. »Ich erinnere mich, dass du bei unserer letzten Begegnung von ihm erzählt hast. Wir trafen uns zufällig auf dem Flughafen, weißt du noch?«

»Und ob ich das weiß«, entgegnete Lena. Plötzlich flog ein Schatten über ihr Gesicht. »Damals war meine Welt noch in Ordnung. Inzwischen hat sich Entscheidendes verändert.«

Andrea hatte hinter ihrem Schreibtisch Platz genommen, und Lena saß auf dem Stuhl davor.

»Was ist in deiner Welt nicht mehr in Ordnung?«, fragte sie interessiert. »Läuft deine Ehe nicht gut?«

»So könnte man es ausdrücken«, erwiderte Lena resigniert. »Martin lebt seit vier Jahren in Melbourne. Er arbeitet als Chemiker für einen internationalen Pharmakonzern. Von einem großartigen finanziellen Aufstieg hat er damals erzählt und dass er diese neue Aufgabe brauche. Wie hätte ich ihn zurückhalten können? Aber offenbar fühlt er sich in Melbourne sehr wohl, und es sieht nicht so aus, als würde er bald zurückkommen.«

»Und warum gehst du nicht zu ihm?«, erkundigte sich Andrea Bergen.

»Ich kann hier doch nicht weg, Andrea. Da ist das Antiquitätengeschäft, das ich nach dem Tod meines Onkels weiterführe, und Florian geht hier zur Schule. Ich kann den Kleinen doch nicht aus allem herausreißen. Er hat hier seine Freunde, seine gewohnte Umgebung.«

»Dann siehst du deinen Mann überhaupt nicht mehr?«

»Einmal im Jahr fahre ich mit Florian zu ihm. Martin hängt sehr an seinem Sohn, und gewöhnlich verbringt er die Sommerferien in Melbourne. In der nächsten Woche ist es wieder so weit. Aber ich weiß nicht, ob ich jetzt nach Australien fliegen kann, wo es Vater so schlecht geht.«

»Das ist allerdings wirklich ein Problem«, stellte Andrea fest. »Du solltest die Reise verschieben, Lena.«

»Aber das kann ich nicht. Es sind doch nur ein paar Wochen, bis die Schule wieder beginnt, und Martin drängt darauf, dass Florian zu ihm kommt.«

»Und wenn dein Mann ausnahmsweise einmal hierher kommt?«, schlug Andrea vor.

Lena schüttelte resigniert den Kopf. »Das würde er nie tun. Er behauptet, dort nicht abkömmlich zu sein, und wahrscheinlich hat er Angst, dass ich ihn überreden könnte, hierzubleiben. Was ist das noch für eine Ehe? Manchmal fühle ich mich wie eine Witwe – oder zumindest wie eine geschiedene Frau. Aber dann sage ich mir, dass ich meine Ehe aufrechterhalten muss – wegen Florian. Er hängt zwar nicht sonderlich an seinem Vater, aber Martin beteuert immer wieder, dass er auf den Jungen nicht verzichten will. In eine Scheidung würde er nie einwilligen.«

»Das ist heutzutage keine Frage der Einwilligung mehr«, entgegnete Andrea ernst. »Schließlich lebt ihr ja schon Jahre getrennt.«

»Bis auf die Zeit, wo ich in Australien bin«, erklärte Lena. »Also so ganz getrennt leben wir nicht. Wir telefonieren auch häufig miteinander.«

Andrea schüttelte nachdenklich den Kopf.

»Eine solche Ehe wäre nichts für mich«, meinte sie. »Wie lange soll denn das noch so weitergehen?«

»Wenn ich das wüsste!« Lena hob ratlos die Schultern. »Manchmal bin ich so unglücklich, dass ich alles hinwerfen möchte.«

»Das kann ich gut verstehen. Du kannst doch nicht nur auf Florian Rücksicht nehmen. Du hast doch ein Recht auf ein eigenes Leben.«

»Aber was soll ich denn machen? Ich kann Martin doch nicht zwingen, zurückzukommen. Er fühlt sich wohl in Melbourne, und er ist auf der Karriereleiter schon ein ganzes Stück nach oben geklettert. Er hat dort wirklich die besten Aufstiegschancen, und du weißt doch, wie sehr Männer so etwas brauchen. Wenn ich nur wüsste, was ich jetzt machen soll!«

»Ruf deinen Martin an und erzähl ihm, was passiert ist«, schlug Andrea vor. »Er wird einsehen, dass Florian diesmal auf seinen Besuch verzichten muss.«