Notlüge mit Aussicht auf Gefühle - Finja Lindholm - E-Book

Notlüge mit Aussicht auf Gefühle E-Book

Finja Lindholm

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Beschreibung

Notlüge mit Aussicht auf Gefühle Ein Roman über Klangschalen, Kontrollverlust und echte Nähe von Finja Lindholm. Ein geliehener Name. Ein geplatzter Plan. Und ein Mann, der mehr sieht, als er zeigen will. Klara hat genug. Vom Journalismus, der längst nur noch Hetze ist. Von Männern, die Nähe versprechen und Kontrolle meinen. Und vor allem: von sich selbst. Als ein Artikel über eine mysteriöse Klinik in den Alpen auf ihrem Schreibtisch landet, greift sie zur Notlüge – und zum Espresso. Aus Klara wird „Mira“. Eine Recherche undercover beginnt. Was sie nicht erwartet: Ziegen, Klangschalen – und Julian. Der Therapeut, der mehr über sie zu wissen scheint, als sie selbst. Zwischen Schneesturm und Schweigeminuten beginnt eine Geschichte, die längst nicht mehr nur Klara gehört. Denn: Wer heilt hier eigentlich wen? Ein Roman über zweite Chancen, mutige Ehrlichkeit – und darüber, wie Liebe beginnt, wenn die Lügen enden.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Notlüge mit Aussicht auf Gefühle

Ein Roman über Klangschalen, Kontrollverlustund echte NähevonFinja Lindholm

Kapitel 1 – Eskapismus mit Espresso

Es war Montag, 9:42 Uhr, und ich hatte schon drei Entscheidungen bereut:

Den dritten Kaffee auf nüchternen Magen.

Das kurze Kleid trotz Sturmwarnung.

Die Affäre mit meinem verheirateten Ressortleiter.

Und das alles, bevor ich überhaupt im Büro angekommen war.

Ich saß in der U3, eingekeilt zwischen einer älteren Dame mit Rollator und einem Business-Yoga-Influencer, der sein selbstgepresstes Selleriewasser trank, als hinge sein Aktienportfolio davon ab. Mein Spiegelbild im verdreckten Fenster starrte mich an, als wüsste es mehr über mein Leben als ich selbst. Der Lidstrich hatte kapituliert – wahrscheinlich in einem Akt der Selbstfürsorge. Mein Gesicht wirkte wie ein Kunstprojekt unter erschwerten Bedingungen, irgendwo zwischen "Ich bin ready für ein Vorstellungsgespräch" und "Ich habe in einer Bahnhofstoilette geweint".

Hamburg rauschte vorbei, grau, nass, feindselig. Die Stadt war ein ständiges Versprechen von Aufbruch, das sich bei näherer Betrachtung als Zugverspätung entpuppte. Und ich war der lebende Beweis, dass man in einer Großstadt völlig verschwinden kann – und zwar in der eigenen Überforderung.

„Klara, du musst raus da.“

Die Stimme meiner besten Freundin hallte nach wie ein Mahnmal der Vernunft. Natürlich hatte sie recht. Aber Vernunft hatte bei mir ungefähr den Stellenwert von Steuerrückzahlungen – man wusste, sie war wichtig, aber irgendwie kam sie nie zum richtigen Zeitpunkt.

Ich steckte bis zum Hals in Deadline-Scheiße und Beziehungsmüll. Wobei „Beziehung“ ein zu großes Wort war für das, was Marc und ich geführt hatten – wenn man „geführt“ als euphemistische Umschreibung für „voneinander benutzt“ betrachten wollte. Er war mein Ressortleiter. Intelligent, charmant, verheiratet. Und damit genau das, was mein Bindungsverhalten mit einer inneren Standing Ovation begrüßte.

Er hatte heute Morgen Schluss gemacht. Per E-Mail. Betreffzeile: „Klarheit schaffen.“

Ich hatte die Mail gelöscht, ohne sie zu lesen. Natürlich hatte ich sie trotzdem auswendig gekannt. Mein Gehirn hatte offenbar eine neue Funktion entwickelt: ungewollte Daten archivieren mit Betonung auf Demütigung.

Mein Magen rebellierte. Entweder vom Espresso oder von der Kränkung. Wahrscheinlich beides. Ich spürte, wie sich in mir ein bekannter Druck aufbaute – dieser unbestimmte Mix aus Wut, Erschöpfung und dem leisen Wunsch, einfach vom Erdboden verschluckt zu werden. Oder wenigstens vom WLAN.

Die Redaktion roch wie immer nach Druckerschwärze, Wut und billigen Backwaren. Ich schmiss meine Tasche auf den Schreibtisch, startete den Rechner – und wurde fast gleichzeitig von unserem Chefredakteur mit einem Blick bedacht, den man sonst nur bei Steuerfahndern oder Scheidungsanwälten fand.

„Klara“, sagte er.

Ein Wort. Kein Gruß. Kein Lächeln. Nur das Geräusch, mit dem ein Urteil beginnt.

Ich schob meine Kaffeetasse demonstrativ zur Seite, als würde das irgendetwas an der Lage ändern. Vielleicht hatte er ja eine neue Art von Artikel im Sinn. Oder wollte mir das Ressort „Gesellschaft & Seele“ übertragen. Oder – realistischer – mich in die digitale Versenkung schieben, irgendwo zwischen Glossen über Hundeyoga und Rezensionen zu Müsli-Apps.

„Der Artikel über den Gentrifizierungsprotest in Eimsbüttel … ist tot.“

Ich blinzelte.

„Weil der Protest tot ist?“

„Weil der Ton nicht stimmt.“

Er verschränkte die Arme. Die Pose des Machtmenschen im mittleren Karriereknick.

„Zynisch, wertend, zu viel Ich.“

Ich öffnete den Mund. Und schloss ihn wieder. Ein Reflex, den ich in diesem Büro perfektioniert hatte.

In meinem Kopf sagte ich: Das ist mein Ton. Ich bin zynisch, wertend und zu viel Ich. Das ist kein Artikel. Das ist eine Selbstbeschreibung.

„Ich brauch was anderes von dir“, fuhr er fort, als würden wir nicht gerade über drei Wochen unbezahlte Überstunden sprechen. „Was mit Emotion. Hoffnung. Heilung. Du weißt schon.“

Nein. Ich wusste nicht. Ich kannte mich aus mit Skandalen, Korruption, Großstadtzerrissenheit. Mit Menschen, die ihren Hund in Kinderwägen durch die Schanze schoben und dabei Steueroasen bewohnten. Aber „Heilung“?

Ich nickte trotzdem. Wie man eben nickt, wenn man nicht kündigen, aber auch nicht kotzen will.

Der Rest des Tages verlief in einer Art Trance. Ich arbeitete mich durch das Online-Archiv wie durch die Alben eines Ex-Freundes, der jetzt glücklich ist. Alles war zu glatt, zu positiv, zu aufgesetzt.

Bis ich auf diesen Artikel stieß:

„Heile Welt auf 1200 Höhenmetern – Wie eine Klinik in den Alpen gebrochene Seelen wieder zusammenflickt.“

Ich scrollte weiter. Dann zurück. Las den Titel noch einmal. Und noch einmal. Mein innerer Zyniker schüttelte den Kopf. Mein Bauchgefühl streckte ein zögerliches Pfötchen aus.

Teaser:

In einem abgelegenen Bergdorf soll eine Klinik existieren, die mit Achtsamkeit, Naturtherapie und Klangschalen psychische Wunder vollbringt. Patienten berichten von tiefgreifender Heilung – Kritiker von gefährlichem Humbug.

Aha. Klangschalen. Chakren. Kuhglocken statt Klinikstandard. Das Ganze las sich wie ein Bewerbungsschreiben für eine Sekte – oder den perfekten Ort, um undercover zu recherchieren. Es war alles dabei: pseudowissenschaftliche Methoden, zweifelhafte Heilsversprechen, und vermutlich mindestens eine Person, die sich als energetischer Tiercoach ausgab.

Ich klickte auf den Link.

Die Bilder zeigten schneebedeckte Berggipfel, lachende Menschen in Leinenkleidung, eine Frau, die barfuß einen Ziegenpfad entlanglief, als wäre sie aus einem kitschigen Instagram-Account gefallen. Und irgendetwas in mir – vielleicht mein letzter funktionierender Instinkt – flüsterte:

Da musst du hin.

Nicht wegen der Story. Nicht wegen des Auftrags. Sondern weil sich mein Leben anfühlte wie ein kalter Espresso: bitter, leer und zu lange stehen gelassen.

Ich starrte auf das letzte Bild, das eine Hand zeigte, die eine Klangschale hielt, als wäre sie der Schlüssel zum Seelenheil. Mein Blick wanderte zur Fensterscheibe. Der Regen lief wie eine resignierte Pointe daran hinunter. Und plötzlich war da ein Gedanke, leise, aber beharrlich:

Was, wenn ich einfach verschwinde?

Nicht für immer. Nur kurz. Ein paar Wochen. Irgendwo, wo keiner mich kennt. Keine Deadlines, keine Männer mit Familien, keine Mails mit Betreffzeilen wie „Klarheit schaffen“. Nur Stille, Ziegen und vielleicht ein bisschen Selbstbetrug.

Um 18:04 Uhr rief ich bei der Klinik an.

Ich erwartete eine nüchterne Aufnahmeleitung. Stattdessen meldete sich eine Frau mit der Stimme einer Berghexe, die gerade einen Kräutertee auf einem Gletscher braute.

„Grüß Sie! Hier is’ die Resi.“

Ich hatte sofort das Bild einer resoluten Frau mit Dutt und Filzpantoffeln vor Augen. Sie sprach mit einem Ton, als würden wir uns schon ewig kennen – oder bald gemeinsam Kräuter in der Morgensonne sammeln.

„I hätt da noch a Platzerl frei ab Montag. Wär des für Sie in Ordnung, Frau Kramer?“

Ich zögerte. Und sagte dann den ersten Satz dieses Tages, der sich irgendwie… leicht anfühlte.

„Ja. Das passt sehr gut.“

---ENDE DER LESEPROBE---