Nur der Tod kennt kein Erbarmen - Holly J. Black - E-Book

Nur der Tod kennt kein Erbarmen E-Book

Holly J. Black

0,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Immer wenn Dr. Körner jetzt in die Dunkelheit hinausging, war er noch vorsichtiger und wachsamer geworden, als er es ohnehin schon immer gewesen war, seit so viele Anwälte ermordet wurden. Denn er vermutete nun, dass hinter jeder Ecke der Tod lauerte. Dr. Körner wusste jetzt, dass nicht nur der Tod Schwarz trug. Sobald er nur einen Schatten dort draußen in der Dunkelheit sah, schluckte er, sein Atem wurde leiser, sein Herz schlug lauter, und Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn. Er spürte, dass der Tod ihm im Nacken saß, doch er kannte nicht den Grund, warum seine Kollegen sterben mussten. Aber nicht nur die Anwälte waren in Gefahr – nein, auch auf seine Familie hatte man es abgesehen. Ein packender Thriller voller Nervenkitzel, düsterer Atmosphäre und überraschender Wendungen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2014

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

Im Gericht

 

 

Mit Mühe öffnete Doktor Körner die Eingangstür, die in das Gerichtsgebäude führte, denn er war über und über mit Aktenordnern bepackt, die er für seinen nächsten Prozess brauchte. Doktor Körner war noch nicht ganz im Gebäude, da hörte er schon, wie jemand seinen Namen rief.

„Doktor Körner, warten Sie bitte einmal! Ich muss Ihnen etwas mitteilen!“

Er schaute sich im Flur um. Da er jedoch nicht feststellen konnte, wer ihn gerufen hatte, wollte er schon weiterlaufen und murmelte vor sich hin:

„Wenn jemand etwas von mir will, kann er später zu mir kommen. Jetzt bin ich in Eile!“

Doktor Körner war nur ein paar Schritte weitergegangen, da hörte er wieder diese Stimme:

„Doktor Körner, nun warten Sie doch endlich einmal und laufen Sie nicht von mir davon!“

Er blieb stehen, drehte sich um – und entdeckte endlich die Person, die ihn gerufen hatte.

„Ach, Sie sind es! Was gibt es denn so Wichtiges? Hätte es nicht Zeit bis nach der Verhandlung gehabt? Wir hätten uns doch sowieso gesehen, Herr Vorsitzender.“

„Das ist es ja: Die Verhandlung findet nicht statt!“

„Wie, die Verhandlung findet nicht statt?“, fragte Doktor Körner erstaunt.

„Nein, wir müssen sie verschieben! Haben Sie es denn noch nicht mitbekommen? Ihr Kollege, Herr Doktor Kulmbach, ist tot!“

„Wie – tot? Wie kann das sein?“

„Genaues kann ich Ihnen jetzt auch nicht sagen. So wie es aussieht, hat man den Kollegen umgebracht.“

„Weiß man schon, wer es war? Hat man den Täter?“

„Nein, dazu kann ich Ihnen auch noch nichts sagen. Die Polizei tappt noch im Dunkeln. Ich hoffe nur, dass sie den Täter bald fasst und zur Rechenschaft zieht. Das ist in so kurzer Zeit schon der zweite Anwalt, den man umgebracht hat – und auf welch grausame Weise!“, meinte der Vorsitzende Richter, Doktor Lorenz.

„Ja, das stimmt. Ich hoffe auch, dass sie den Täter bald haben“, stimmte Doktor Körner zu.

„Wenn man sieht, wie der Mörder Kollege Kirschner zugerichtet hat, könnte man glauben, dass wir es mit einem Wahnsinnigen zu tun haben.“

„Meinen Sie, dass es ein Verrückter war?“, fragte Doktor Körner.

„Ich gehe davon aus – und wenn Sie meine Meinung hören wollen …“, antwortete Richter Lorenz.

„Na schön! Dann bringe ich erst einmal die Unterlagen zurück in meine Kanzlei und sehe nach, was sonst noch anliegt“, meinte Doktor Körner.

„Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen noch einen Kaffee in der Cafeteria aus“, sagte Richter Lorenz und sah ihn dabei an.

Doktor Körner hob den Arm und schaute auf seine neue Armbanduhr. Dann antwortete er:

„Das können Sie gerne machen. Für einen Kaffee habe ich immer Zeit“, sagte er lächelnd.

Zusammen machten sie sich auf den Weg nach unten in die Cafeteria. Auf dem Weg dorthin unterhielten sie sich weiter über den toten Kollegen.

„Hatte er nicht auch Kinder?“, fragte Doktor Körner.

„Ja, die hatte er. Die armen Kinder – nun haben sie keinen Vater und keine Mutter mehr!“

„Wieso? Haben sie denn keine Mutter mehr?“

„Nein, haben sie nicht. Sie ist schon vor Jahren gestorben. Das war damals ein tragischer Verkehrsunfall – wirklich schrecklich!“

„Das ist wirklich traurig … arme Kinder“, war das Letzte, was man von Doktor Körner hörte, bevor die Tür zur Cafeteria hinter ihnen zufiel.

 

Die Ankunft

 

Sehr spät am Abend kam mit der letzten Maschine ein graumelierter, älterer Herr aus Italien in Berlin-Tempelhof an. Er wurde schon ungeduldig von einer älteren Frau erwartet – seiner Schwägerin, die ihn vom Flughafen abholen wollte. Sein Name lautete Renaldo Falletti. Zusammen mit seiner Schwägerin wollte er in Berlin eine riesige Pizzeria eröffnen. Zusätzlich sollte darin eine Bowlingbahn für ungefähr tausend Menschen errichtet werden. Falls das Projekt gut lief, planten die beiden, solche Läden in ganz Deutschland zu eröffnen.

Vor Jahren hatte auch sein Bruder in Berlin gelebt, bis er starb. Der Bruder besaß zusammen mit seiner Frau und seinen Töchtern ein Eiscafé. Doch nach einem tragischen Zwischenfall zerbrach die Familie, und die Frau kehrte mit ihren Töchtern nach Italien zurück. Ihr Mann blieb in Berlin, doch da er nicht mit dem, was geschehen war, fertig wurde, nahm er sich das Leben.

Erst jetzt, nach Jahren, kam Herr Falletti mit seiner Schwägerin und einer ihrer Töchter wieder zurück nach Berlin. Sie wollten den Traum ihres Mannes und Bruders verwirklichen. Dabei sollte ihnen Karla Meifort helfen, die einen guten Ruf als Innenarchitektin hatte. Aus diesem Grund wollte Herr Falletti sie mit ins Boot holen. Sie sollte für ihn das passende Grundstück oder Gebäude finden, die Innenausstattung planen und die Firmen koordinieren, die den Bau ausführen würden.

Noch bevor sie die Abfertigungshalle des Flughafens ganz verlassen hatten, versuchte Herr Falletti, Karla Meifort über sein Handy zu erreichen. Es war jedoch schon sehr spät, als das Telefon im Hause Körner-Meifort klingelte. Deshalb ging Karla nicht mehr ran und ließ es weiterläuten.

„Karla, was ist? Willst du nicht an dein Handy gehen?“, fragte ihr Mann, Doktor Körner, der mit ihr und der gemeinsamen Tochter am Tisch saß und aß.

Es war heute ziemlich spät geworden, bis er nach Hause kam, und so hatten sie mit dem Essen auf ihn gewartet.

„Warum sollte ich jetzt noch an mein Handy gehen? Hast du schon auf die Uhr gesehen, wie spät es ist?“

„Ist doch egal! Wer weiß, wer so spät noch etwas will“, meinte ihr Mann Jan nur.

Er hob den Arm, schaute auf seine goldene Armbanduhr, schmunzelte und sagte:„Ich weiß gar nicht, was du hast! Es ist doch noch gar nicht so spät. Schau doch selbst mal auf die Uhr.“

„Jan, nun werd nicht albern. Es ist schon halb elf – und für Marina ist es auch spät genug!“, erwiderte seine Frau, die ebenfalls auf ihre Uhr geschaut hatte.

„Na und! Der späte Vogel fängt den Wurm. Doch so wie es aussieht, hat sich das wohl erledigt – dein Anrufer hat schon wieder aufgegeben.“

„Von mir aus. Er wird sich schon wieder melden, wenn es wichtig war. Und außerdem heißt es: Der frühe Vogel fängt den Wurm“, verbesserte Karla ihn und grinste.

Sie nahm ihre Tasse in die Hand und wollte gerade einen Schluck trinken, als Jan meinte:„Vielleicht war es doch wichtig! Vielleicht war es ja dein Freund, Jochen Kaufmann.“ Dabei lächelte er sie spöttisch an.

„Jan, nun sei nicht albern! Herr Kaufmann ist nur ein Mitarbeiter – nicht mehr und nicht weniger“, erwiderte Karla und nahm wieder einen Schluck.

„Na, das hörte sich vor nicht allzu langer Zeit noch anders an!“

„Jan, kannst du nicht mal das Thema wechseln? Langsam geht mir das auf die Nerven. Denk lieber an deine eigenen Liebschaften. Und außerdem möchte ich das nicht in Marinas Gegenwart mit dir diskutieren! Hast du mich verstanden?“

„Ist ja gut, meine Liebe. Ich muss mich sowieso fertig machen. Auf mich wartet noch ein Kollege, wir müssen vor dem Termin morgen noch etwas besprechen“, sagte Jan und stand vom Tisch auf.

„So spät noch? Ich glaube eher, das ist eine andere Art von Besprechung. Aber weißt du was? Mach, was du willst – bei mir brauchst du dann nicht mehr anzukommen. Ich hoffe, du hast mich verstanden!“

„Karla, was hast du schon wieder? Du kannst mir glauben, da ist keine andere Frau! Mein Kollege kommt erst spät aus München zurück. Und da morgen der Termin ansteht, müssen wir alles noch einmal durchgehen und besprechen.“

Jan stand vom Tisch auf, ging zur Garderobe, nahm seinen Mantel und zog ihn langsam an.„Oh, fast hätte ich es vergessen!“

„Na, was kommt jetzt noch?“

„Ich wollte dir nur sagen, dass es etwas später werden kann – du brauchst also nicht auf mich zu warten.“

„Seit wann sagen wir uns Bescheid, wenn wir nach Hause kommen? Führst du jetzt neue Sitten ein?“

„Nein, aber es könnte ja sein, dass du dir Sorgen um mich machst“, meinte Jan, während er zur Treppe ging.

„Aha! Und das glaubst du?“

„Oh, da wäre noch etwas: Könntest du dafür sorgen, dass mein heller Anzug in die Reinigung kommt?“

„Jan, bin ich jetzt deine Putzfrau – oder deine Garderobenfrau?“

„Nein, das nicht. Aber du bist doch meine Frau.“

„Ja, schon – aber nur auf dem Papier! Hast du das vergessen?“

„Karla, was soll das? Du musst ja nicht nur auf dem Papier meine Frau sein – du könntest es auch im Bett sein.“

„Jan, du vergisst wohl, dass wir nur eine Zweckehe führen. Hast du das schon vergessen?“

„Und was ist mit Marina? Wie ist sie entstanden? War da nicht doch ein wenig Liebe im Spiel?“, fragte er seine Frau.

„Werde jetzt nicht sentimental! Marina war nicht geplant – sie war sozusagen ein Unfall.“

„Willst du damit sagen, dass Marina nicht gewollt war?“, fuhr Jan dazwischen.

„Das habe ich nicht gesagt, Jan! Setz so etwas nicht in die Welt. Und jetzt will ich nicht mehr darüber reden. Wolltest du nicht längst weg sein?“

„Und was ist mit meinem Anzug?“

„Du kommst auf Ideen! Erst redest du über unsere Ehe und über Marina – und am Ende landest du wieder bei deinem Anzug. Aus dir soll einer schlau werden … Na gut, ich kümmere mich darum. Aber erst morgen Mittag – mach bloß nicht, dass das zur Gewohnheit wird. Hast du mich verstanden?“

„Danke dir, meine Liebe. Ja, danke dir!“, sagte Jan.

Er wollte gerade losgehen, doch da fiel ihm noch etwas ein.„Oh nein! Ich weiß nicht, wo ich heute meinen Kopf habe – das Wichtigste hätte ich fast vergessen.“

Jan ging zu seiner Tochter, die noch am Tisch saß, und sagte:„Tschüss, meine kleine Prinzessin. Dein Papa kommt bald zurück. Schlaf schön, träum was Schönes – und ärgere deine Mama heute nicht mehr.“

Er beugte sich zu Marina, gab ihr einen Kuss auf den Hinterkopf, strich ihr sanft über die Haare und fügte hinzu:„Karla, warum gehst du morgen nicht mit Marina in den Zoo? Es soll doch gar nicht so schlechtes Wetter werden.“

„Jan, hast du vergessen, dass ich eine Firma leite? Meinst du, die Arbeit erledigt sich von allein?“

„Und glaubst du nicht, dass sie auch mal ohne dich auskommen?“

„Gegenfrage: Kommen deine Klienten ohne dich aus?“

„Natürlich nicht! Das kannst du nicht vergleichen – das ist etwas ganz anderes“, verteidigte sich Jan.

Er hob wieder den Arm, schaute auf seine Armbanduhr und sagte:„Verdammt, es wird höchste Zeit, dass ich loskomme. Ich trödele hier herum und vergesse fast meinen Kollegen!“

„Daran habe ich keine Schuld! Ich habe dich nicht aufgehalten!“, rief Karla ihm nach.

Jan lief zurück zur Garderobe, schnappte sich seinen Hut, setzte ihn auf und meinte:„Wer weiß, wie das Wetter noch wird.“ Dann verließ er das Haus.

Nachdem Jan die Wohnung verlassen hatte, holte sich Karla einen Cognac aus der Bar, nahm anschließend noch eine Tasse Kaffee, setzte sich neben ihre Tochter Marina, sah sie eine Weile an und sagte:

 

„Weißt du was? Irgendwie hat dein Vater ja recht – wir beide sollten morgen in den Zoo gehen. So, wie dein Papa es vorgeschlagen hat. Das Wetter soll gar nicht so schlecht werden, das habe ich auch im Radio gehört. Was hältst du davon, meine Kleine?“, fragte sie Marina.

„Fein, in den Zoo gehen, oh ja, in den Zoo gehen!“, rief Marina und klatschte vor Freude in die Hände.

„Na schön! Dann machen wir das so. Ich werde mir für morgen freinehmen“, sagte Karla.

Karla stand vom Stuhl auf, ging zum Stubentisch, wo noch ihr Handy lag, nahm es und wählte eine Nummer. Dabei blickte sie zum Fenster hinaus.

In der Zwischenzeit stand Jan draußen vor seinem Wagen. Er griff in die Hosentasche und holte seinen Autoschlüssel heraus. Doch bevor er ihn ins Schloss stecken konnte, glitt er ihm aus der Hand und rutschte unter ein anderes Auto.

„Oh nein, das auch noch! Verdammt!“, fluchte Jan.

Er bückte sich, holte den Schlüssel mit der rechten Hand wieder hervor und richtete sich langsam auf. Dabei klopfte er sich die Hose ab, weil er gekniet hatte. Als er wieder stand, sah er auf dem Gehweg Tommy Krüger, der auf der Bordsteinkante saß und bedrückt dreinschaute.

Doktor Körner runzelte die Stirn, sodass sich Falten bildeten, und ging zu Tommy hinüber, da dieser ein guter Freund seines Sohnes Peter war.

„Einen schönen guten Abend, Herr… ach was, Tommy! Wie geht es dir? Hast du Kummer?“

„Nein, habe ich nicht. Ich habe nichts!“, antwortete Tommy mit grimmiger Stimme.

„Bestimmt nicht. Du siehst aber so aus, als würde dich etwas bedrücken.“

„Es ist nichts, Herr Doktor Körner!“, entgegnete Tommy.

„Brauchst du vielleicht Geld? Sag es mir nur, dann helfe ich dir. Du kümmerst dich doch auch immer um meinen Sohn.“

„Nein danke! Ich will von Ihnen kein Geld. Außerdem ist Peter mein Freund – und Freunden hilft man auch so!“

„Dann ist es mir auch egal. Dann kann ich dir nicht helfen, wenn du es nicht zulässt.“

„Was ich habe, dabei können Sie mir doch nicht helfen“, murmelte Tommy nur.

„Wenn du meinst“, sagte Jan und kniff die Augen etwas zusammen.

Er merkte zwar, dass mit Tommy etwas nicht stimmte, aber wie sollte er ihm helfen, wenn der nichts sagen wollte?

„Sag mal, Tommy, weißt du vielleicht, wo mein Sohn Peter ist? Ich habe ihn heute noch gar nicht gesehen, zum Essen ist er auch nicht gekommen.“

„Soweit ich weiß, wollte er mit Susen und Brina Kaufmann die Nacht durchmachen.“

„Wie durchmachen? Und wo?“

„Na, im Club, wo denn sonst!“, antwortete Tommy und wedelte dabei mit einem Briefumschlag.

„Falls du Peter siehst – richte ihm bitte aus, dass er sich bei mir melden soll. Hast du das verstanden, Tommy?“, sagte Dr. Körner, wobei er vom „Du“ wieder ins „Sie“ wechselte.

Da es so wirkte, als hätte Tommy es nicht richtig mitbekommen, fragte Körner noch einmal nach. Schließlich antwortete Tommy:

„Ja, mache ich, Doktor Körner. Wenn ich Peter sehe, richte ich es ihm aus.“

Dr. Körner nickte, wandte sich ab, stieg in sein Auto und fuhr davon.

Tommy blieb allein in der Dunkelheit zurück, warf den Brief in die Luft, fing ihn wieder auf und murmelte:„So ein Mist! Warum muss mir so etwas passieren? Warum ausgerechnet mir?“

So vertieft war er in den Brief, dass er gar nicht bemerkte, wie Peter plötzlich neben ihm stand.

„Was ist los, Alter? Was ist so ein Mist? Du hättest lieber bei Brina bleiben sollen – das war da drin noch richtig geil!“, sagte Peter begeistert und setzte sich zu ihm auf die Bordsteinkante.

„Nee, mir ist nicht nach Feiern.“

„Wieso nicht?“, fragte Peter.

„Hier, nimm den Brief und lies den Grund selbst!“, sagte Tommy und reichte ihm das Schreiben.

„Hm… vom Jugendamt?“, murmelte Peter, nachdem er den Absender gelesen hatte.

„Ja, vom Jugendamt!“, bestätigte Tommy.

„Aber was wollen die von dir? Du bist doch schon alt genug, du stehst doch nicht mehr unter deren Obhut“, spottete Peter.

„Nee, das nicht. Lese erst mal weiter – aber fall nicht gleich um!“, meinte Tommy und verzog das Gesicht.

Peter las neugierig und rief dann laut:„Geil, du wirst Vater! He Alter, wie krass ist das denn?“

„He, Peter! Schrei es noch lauter, damit es gleich meine Mutter hört! Dann brauche ich es ihr gar nicht mehr zu erzählen!“

„Oh, sorry, das wollte ich nicht.“

„Dann schießt sie mich gleich zum Mond – wenn nicht noch weiter!“, seufzte Tommy.

„Trotzdem voll geil“, wiederholte Peter, während er noch einmal in den Brief schaute.

„Was soll daran geil sein? Ich und Vater? Da kann ich nur lachen – ha, ha…“, doch sein Lachen blieb ihm im Hals stecken.

Peter faltete den Brief wieder ordentlich zusammen, gab ihn Tommy zurück und fragte:„Na, wer ist die Glückliche?“

„Hast du es nicht gelesen?“

„Nee, das habe ich in der Aufregung übersehen. Sorry.“

„Na gut, dann schauen wir noch mal nach.“

„Wieso nachschauen? Du musst doch wissen, mit wem du geschlafen hast! Wie heißt sie?“, hakte Peter ungläubig nach.

„Das weiß ich eben nicht, und deshalb muss ich noch mal nachsehen!“, antwortete Tommy verärgert.

Er holte das Schreiben erneut hervor und las den Namen laut vor. Danach ließ er den Kopf hängen.„Oh Mann, wenn meine Mutter das erfährt, schießt sie mich ins All, nicht nur zum Mond – das ist sicher.“

„Meinst du wirklich, sie würde so reagieren?“

„Na klar, Alter. Du kennst meine Mutter nicht.“

„Und was willst du jetzt machen?“

„Keine Ahnung. Ich weiß ja noch nicht mal, ob ich wirklich der Vater bin. Ich kann mich gar nicht erinnern, überhaupt mit jemandem geschlafen zu haben. Du weißt doch, dass mein Herz nur für Susen schlägt!“

„Ja, das weiß ich. Soll ich dir mal einen Tipp geben?“, fragte Peter und legte den Arm um Tommys Schulter.

„Na, was denn für einen Tipp?“

„Komm mit zu meinem Vater – der kann dir bestimmt helfen. Der kennt sich mit sowas aus.“

„Meinst du wirklich?“

„Na klar, das macht Jan schon.“

„Na gut, dann lass uns gehen“, willigte Tommy ein. „Aber sag mal, kannst du mir noch einen Gefallen tun?“

„Klar, welchen?“

„Behalte die Sache mit dem Baby bitte für dich. Mir ist das peinlich, verstehst du?“

„Mach dir keine Sorgen. Mein Mund ist versiegelt!“, versprach Peter.

Tommy stand auf, reichte Peter die Hand und zog ihn hoch. Gerade wollten sie losgehen, da rief Brina von der anderen Straßenseite:

„Hey Peter, wo wollt ihr hin?“

„Hallo Brina! Willst du schon schlafen gehen?“, rief Peter zurück.

„Wartet, ich komme rüber!“, antwortete sie und überquerte die Straße.

„Na, Tommy, alles gut bei dir?“, fragte sie.

„Ja, warum nicht“, murmelte er kleinlaut, obwohl es nicht stimmte.

„Wieso bist du vorhin so plötzlich verschwunden? Wir hatten alle noch so viel Spaß!“, erzählte Brina.

„Mir ging’s nicht so gut, deshalb bin ich gegangen. Und dir, wie geht’s?“, lenkte Tommy ab.

„Mir geht’s fantastisch!“, lachte sie und tanzte auf dem Gehweg weiter, während sie Musik über ihre Kopfhörer hörte.

„Na, was liegt an, und was habt ihr noch so vor?“, fragte Brina die beiden.

„Wir haben nichts vor“, antwortete Peter.„Nein, nichts Besonderes“, fügte auch Tommy hinzu.

„Fein! Wie sieht’s aus, habt ihr nicht Lust, mit mir ein wenig joggen zu gehen?“, fragte Brina.

„Wie bitte? Drehst du jetzt durch? Meinst du nicht, dass es dafür schon zu spät ist?“, entgegnete Tommy.

„Oh, das ist eine gute Idee! Ich bin schon lange nicht mehr gelaufen, und ein bisschen Sport wäre nicht schlecht“, stimmte Peter begeistert zu. Es war ihm egal, wie spät es war – es war mal etwas anderes, und so spät war er noch nie joggen gewesen.

„Und was ist mit dir?“, fragte Brina noch einmal an Tommy gewandt.

„Nee, nicht so spät in der Nacht. So ein Stress fehlt mir gerade noch! Nein, ich bleibe hier. Außerdem hatten wir doch noch was vor“, sagte Tommy und blickte zu Peter.

Doch Peter hörte gar nicht mehr zu. In Gedanken war er schon beim Laufen mit Brina. Gemeinsam mit ihr wandte er sich von Tommy ab, und beide überquerten die Straße.

„He, Alter, und was wird jetzt aus mir?“, rief Tommy ihnen noch hinterher, doch er bekam keine Antwort. „Ich dachte, du wolltest mir helfen? Ein schöner Freund bist du!“, murmelte er leise und schoss mit dem Fuß eine leere Bierdose davon. Anschließend setzte er sich wieder auf den Bordstein und starrte auf den Briefumschlag. „Nichts als Ärger bringst du mir“, flüsterte er.

Oben in der Wohnung der Körners klingelte wieder Karlas Handy. Dieses Mal nahm sie genervt ab.„Karla Körner-Meifort am Apparat. Wer stört denn um diese Zeit?“

„Einen schönen guten Abend, Frau Meifort. Hier ist Renaldo Falletti, aus Italien.“

„Wie, aus Italien?“

„Nein, nein – ich rufe nicht aus Italien an! Ich bin derzeit in Berlin und wollte Sie gern sprechen.“

„Und was haben Sie mit mir zu besprechen – und das noch so spät? Haben Sie mal auf die Uhr gesehen?“, fragte Karla ungeduldig.

„Es tut mir leid, aber ich wollte, dass Sie für mich arbeiten, Frau Meifort!“