0,99 €
Oma Gerda, ein Rollo voller Geld und das nächste Abenteuer – natürlich wieder mit Blaulicht.
Als Oma Gerda nach einem Besuch bei der Tafel plötzlich neben einem haltenden Geldtransporter steht, fällt wie durch ein Wunder eine Geldkassette direkt vor ihre Füße. Die Gelegenheit ist günstig – also wandert das gute Stück kurzerhand in ihren Einkaufsrolli. Zuhause versammelt sie ihre besten Freundinnen, um das mysteriöse Teil zu knacken. Doch weder Nagelfeilen noch Mixer bringen den gewünschten Erfolg. Als dann auch noch Enkel Tommy, Polizist mit Herz und Prinzipien, dazukommt, nimmt das Chaos seinen Lauf – und führt die Damen direkt dahin zurück, wo sie eigentlich nie wieder hinwollten: hinter Gittern.
Eine herrlich schräge Kurzgeschichte über Neugier, Gier und ganz viel (Un-)Verstand.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2022
Oma Gerda kannst nicht lassen
Oma Gerda war wieder früh aufgestanden, denn sie wollte mal wieder in die Stadt, um zur Tafel zu gehen. Der Monat war fast vorbei, und das Geld – also ihre Rente – ging allmählich zur Neige. Da sie aber etwas zu essen brauchte und nicht hungern wollte, musste sie dorthin – ob sie wollte oder nicht.
Bevor sie loszog, setzte sie sich an ihren Küchentisch und frühstückte erst einmal. Sie war der Meinung: Mit vollem Magen steht es sich dort besser. Nachdem sie gefrühstückt und alles abgeräumt hatte, schaute sie auf die Uhr und sagte:
„Gerda, nun wird’s auch für dich Zeit, sonst bekommst du nur noch die Reste!“
Oma Gerda machte sich langsam fertig und zog ihren alten Mantel an, der auch schon bessere Tage gesehen hatte. Anschließend kämmte sie sich noch einmal die Haare und machte sich schließlich auf den Weg. Doch kaum hatte sie die Haustür halb geschlossen, fiel ihr ein, dass sie ihren Rolli vergessen hatte. Also lief sie noch einmal in die Wohnung zurück, schnappte sich den Rollwagen, in den sie ihre Lebensmittel packte – denn so musste sie nichts in den Händen schleppen.
Nachdem sie die Haustür nun endgültig verschlossen hatte, ging sie los zur Tafel. Sie ließ sich viel Zeit, denn es war ihr jedes Mal unangenehm, dorthin zu müssen. Je näher sie dem Gebäude kam, desto mulmiger wurde ihr. Sie hatte immer Angst, jemanden von früher zu treffen – jemanden, der sie vielleicht aus Jugendzeiten kannte und nun mit dem Finger auf sie zeigen würde.
Das Haus, in dem sich die Tafel befand, hatte sie noch nicht ganz erreicht, da hörte sie schon eine Stimme rufen:
„Gerda! Hier bin ich – hallo! Hier hinten am Ende!“
Es war Renate, eine alte Freundin, die ebenfalls zur Tafel ging, um sich und ihren Mann zu versorgen. Gerda war es mehr als unangenehm, dass Renate wieder so laut ihren Namen rief – und das auch noch mitten auf der Straße! Sie wäre am liebsten im Erdboden versunken und rief ihr von Weitem zu:
„Mensch, schrei doch noch lauter! Muss denn jeder gleich mitbekommen, dass ich hierher gehe?“
Noch bevor Gerda das Ende der Schlange erreicht hatte, rief Renate zurück:
„Komm her, Gerda! Du musst dich nicht ganz hinten anstellen – ich habe dir einen Platz freigehalten!“
Das gefiel einem älteren Mann, der ebenfalls in der Reihe wartete, überhaupt nicht. Er meinte:
„Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Die anderen müssen sich hinten anstellen!“
„Ach, nun stellen Sie sich nicht so an! Sie ist meine Freundin. Außerdem ist sie auch schon alt“, entgegnete Renate.
„Na und? Ich bin auch alt und muss trotzdem warten“, erwiderte der Mann.
„Da muss ich dem Herrn recht geben – wir können uns ja auch nicht vordrängeln“, mischte sich nun auch eine andere Frau ein.
„Man kann sich auch anstellen! Was soll man denn von so einem erwarten?“, murmelte Renate noch, trat aus der Reihe und lief zu Gerda.
Als sie bei ihr ankam – Gerda hatte sich inzwischen ganz hinten angestellt – sagte Gerda:
„Weißt du was? Ich finde es nicht in Ordnung, wenn du meinen Namen laut auf der Straße herumschreist, sodass es jeder mitbekommt!“
„Ach Gerda, nun stell dich nicht so an – dich kennt hier doch keiner! Aber jetzt zu etwas anderem“, sagte Renate.
„Was kommt jetzt? Hast du im Lotto gewonnen?“, fragte Gerda ironisch.
„Nein, so ein Blödsinn! Ich bin unter die Dichter gegangen. Soll ich dir etwas vortragen?“
„Wenn es sich nicht vermeiden lässt, dann fang an – ich bin ganz Ohr.“
Renate räusperte sich kurz und trug vor:
„Also!Die kleine Tafel in unserer Straße,dort, wo die Armut zu Hause ist.In der Tafel in unserer Straßefragt dich keiner,was du hast oder bist.“
„Und? Wie hat es dir gefallen?“, fragte Renate gespannt.
„Und wie geht es weiter? Oder war das schon alles?“, fragte Gerda.
„Weiter hab ich noch nicht – aber wie fandst du’s?“
Gerda wollte gerade etwas sagen, da rief schon wieder jemand ihren Namen.
„Mensch, wer ist das denn jetzt schon wieder?“, sagte sie verärgert.
Renate drehte sich um: „Ich weiß, wer das ist – da kommt Gisela. Die braucht bestimmt auch wieder was.“
„Mag sein – aber muss sie denn auch meinen Namen rufen? Geht das nicht diskreter? Wenn das so weitergeht, komm ich hier nicht mehr her. Es ist doch so schon schlimm genug“, meinte Oma Gerda. Sie wollte noch etwas sagen, doch da stand Gisela auch schon vor ihnen und fragte:
„Na, ihr zwei Schnecken, habt ihr auch nichts mehr zum Knabbern und müsst hierher?“
„Mensch, geh ans Ende der Schlange und stell dich dort an, bis du dran bist!“, fauchte Gerda sie an.
„O-O, hat sie heute schlechte Laune? Ich hab ihr doch gar nichts getan“, meinte Gisela und stellte sich hinten an.
„Ich will mich ja nicht einmischen – aber könnten Sie mal aufrücken? Oder soll ich an Ihnen vorbeigehen?“, fragte ein älterer Herr hinter ihnen. Durch all das Gerede war eine große Lücke in der Schlange entstanden.
„Nein, Sie brauchen uns nicht zu überholen – wir gehen schon weiter“, antwortete Renate. „Man kann sich ja mal verplaudern – das kommt vor.“
„Ach Renate, musst du dich jetzt auch noch entschuldigen? Der kann doch warten! Und was hat es uns nun gebracht, dass wir aufgerückt sind – die drei Meter?“, sagte Gerda und warf dem Mann einen grimmigen Blick zu.
„Gerda, was ich dich noch fragen wollte: Bleibt es denn heute Nachmittag beim Kaffeetrinken bei dir?“, fragte Renate.
„Ja, oder hab ich was anderes gesagt?“
„Nein, hast du nicht. Ich wollte nur fragen, ob ich Gisela und Inge auch mitbringen kann.“
Gerda schaute sie mit großen Augen an und wusste im ersten Moment gar nicht, was sie antworten sollte. Das hatten sie so nicht abgemacht. Doch schließlich sagte sie:
„Na schön – wenn du sie unbedingt dabeihaben willst, dann bring die beiden mit. So viel Kaffee hab ich wohl noch.“
„Oh, das ist fein – ich sag es ihnen gleich!“, rief Renate und lief zu Gisela.
Da Renate nicht wiederkam, rückte Gerda Stück für Stück in der Reihe vor, bis sie schließlich an der Reihe war. Es dauerte nicht lange, und sie hatte ihre Lebensmittel im Rolli verstaut und machte sich auf den Heimweg. Als sie den Laden verließ, blickte sie noch einmal zu Renate und Gisela hinüber, die sich noch immer unterhielten. Die beiden merkten gar nicht, dass Gerda schon gegangen war.
Oma Gerda ließ sich nun Zeit – sie hatte es ja nicht mehr eilig. Irgendwann waren auch ihre Freundinnen an der Reihe, holten sich ihre Lebensmittel und machten sich ebenfalls auf den Heimweg. Bevor sie sich trennten, verabredeten sie sich noch, gemeinsam zu Gerda zu gehen – sie mussten schließlich auch noch Inge abholen.
Oma Gerda hingegen war schon fast zu Hause – und bald auch wieder daheim.
Als plötzlich ein Auto eine Vollbremsung auf der Straße machte, weil ein Hund über die Fahrbahn lief, erschrak sich Oma Gerda doch sehr. Der Schreck war so heftig, dass sich sogar die Hintertür des Fahrzeugs öffnete und ein Gegenstand herausrutschte, der auf der Straße landete.
Zunächst war Oma Gerda wie erstarrt. Doch nachdem sie sich etwas gefangen hatte, wollte sie dem Fahrer Bescheid sagen, was passiert war. Sie winkte und rief ihm nach – aber er hörte sie nicht und fuhr einfach weiter. Was Oma Gerda im ersten Moment gar nicht bewusst geworden war: Es handelte sich um einen Geldtransporter, der eine Geldkassette verloren hatte, weil die Tür offenbar nicht richtig geschlossen war.
Nun lag die Kassette mitten auf der Straße. Gerda ging langsam näher, um sich das Teil genauer anzusehen. Als ihr dämmerte, worum es sich handelte, schaute sie sich erschrocken um. Niemand war weit und breit zu sehen. Also schnappte sie sich die Kassette und zog sie hinter einen parkenden Wagen. Dort überlegte sie kurz und leerte dann ihren Rolli, um die Kassette darin zu verstauen. Weil sie noch ein Stück zu sehen war, deckte sie sie mit etwas Gemüse ab, das sie von der Tafel bekommen hatte. Den Rest der Lebensmittel ließ sie einfach am Straßenrand liegen und machte sich mit dem Rolli auf den Heimweg.
Zu Hause angekommen, zog sie den Rolli in die Küche, entleerte ihn, legte die Kassette auf den Küchentisch und setzte sich davor. Lange blickte sie nur auf das metallene Kästchen, während sie mit sich selbst sprach:
„Was mache ich bloß? Was mach ich bloß?“ Sie überlegte eine Weile und murmelte schließlich: „Gefunden ist gefunden – ich hab ja gerufen. Die wollten sie ja nicht mehr, sonst wären sie stehen geblieben. Aber wie bekomme ich dich nur auf? Da muss ich erst noch mal drüber nachdenken.“
Oma Gerda starrte weiter auf die Kassette und versank völlig in Gedanken. Sie bemerkte gar nicht, wie schnell die Zeit verging – und hatte ganz vergessen, dass ihre Freundinnen kommen wollten. Erst als es an der Haustür schellte, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen.
Sie öffnete die Tür und blickte überrascht in die Gesichter von Renate, Gisela und Inge.
„Was wollt ihr denn hier?“, fragte sie verdutzt.
„Was heißt hier was wollt ihr denn hier? Du hast uns eingeladen!“, entgegnete Renate.
Gerda überlegte kurz, dann sagte sie: „Ja, stimmt... aber das passt mir jetzt gar nicht. Könnt ihr nicht ein anderes Mal wiederkommen?“
„Von wegen! Geh zur Seite und lass uns rein“, sagte Renate und drängte sich an ihr vorbei in die Küche. Auch Gisela beschwerte sich:
„Wir sind doch nicht den ganzen Weg hergelaufen, nur um wieder weggeschickt zu werden!“
Zuerst hatte Renate die Kassette auf dem Tisch gar nicht bemerkt und setzte sich auf ihren Stammplatz. Auch Gisela und Inge drängelten sich an Gerda vorbei in die Küche.
„Hey, ihr könnt doch nicht einfach so reingehen!“, rief Gerda ihnen hinterher.
„Gerda, stell dich nicht so an. Mach lieber Kaffee, dafür sind wir doch gekommen“, rief Renate zurück.
„Mach ihn dir selbst – du weißt doch, wo alles steht“, erwiderte Gerda.
„Auch das noch!“, brummte Renate und stand auf, um Kaffee zu kochen.
Währenddessen schaute sie sich in der Küche um – und plötzlich fiel ihr doch die Kassette auf.
„Gerda, was ist das denn für eine komische Blechkiste?“
„Welche Kiste?“, fragte Gerda scheinheilig.
„Na die auf dem Tisch! Tu doch nicht so, als wüsstest du nicht, welche ich meine.“
„Ich weiß, was das ist“, mischte sich nun Gisela ein.
„Woher willst du das denn wissen?“, fuhr Gerda sie an.
„Ich hab so eine schon mal gesehen – beim Supermarkt. Da holen sie doch immer die Tageseinnahmen ab!“
Renate wurde hellhörig. „Gerda, woher hast du die? Etwa gestohlen?“
„Ich werde dir gleich was stehlen! Natürlich nicht!“, fauchte Oma Gerda zurück.
„Na, woher dann?“, fragte nun auch Inge neugierig.
„Ihr nervt! Es ist meine – und jetzt will ich nichts mehr davon hören.“
„Ha, ha. Hast du denn auch den Schlüssel dazu?“, fragte Gisela.
„Ja, genau – dann mach sie doch mal auf und zeig uns, was drin ist“, meinte Renate.
„Ich würde ja gern, aber ich weiß leider nicht, wo ich den Schlüssel hingetan habe“, sagte Gerda, um sich herauszureden.
„Gerda, willst du uns verarschen oder was? Entweder du sagst uns die Wahrheit, oder das war’s mit unserer Freundschaft“, drohte Renate.
„Man, man... darf man nicht mal ein Geheimnis haben?“, fluchte Oma Gerda.
„Nein, darf man nicht. Also raus mit der Sprache“, forderte Renate.
Gerda seufzte und erzählte schließlich, was passiert war – von Anfang bis Ende. Die drei hörten gespannt zu. Nachdem sie geendet hatte, fragte Inge:
„Hast du sie schon mal aufgemacht?“
„Nein, ich weiß ja nicht wie. Und womit?“
„Nimm doch einfach Hammer und Meißel!“, schlug Gisela vor.
„Ich weiß nicht... und wenn ich sie nur verbeule und sie geht trotzdem nicht auf?“
„Wir müssen es halt versuchen“, meinte Inge.
„Na schön, dann wollen wir mal“, sagte Gerda und griff zu Hammer und Meißel. Sie begann auf die Kassette einzuschlagen – doch ohne Erfolg. Sie rührte sich keinen Millimeter.
„Halt! Nicht weitermachen!“, rief Renate plötzlich. „Wir müssen erst mal klären, wie viel wir davon abbekommen.“
„Wie bitte? Ich glaube, ich höre nicht richtig! Da hört die Freundschaft aber auf!“, empörte sich Gerda, schnappte die Kassette und verschwand mit ihr im Schlafzimmer.
„Ich glaub, Gerda will uns nichts davon abgeben“, meinte Gisela leise.
„Nein, will sie auch nicht!“, rief Gerda zurück, als sie wiederkam. „Ich habe sie gefunden, ich habe sie hergeschleppt, und ich habe das Risiko getragen – nicht ihr. Vielleicht gebe ich euch was ab, aber erst, wenn ich sie aufbekomme. Und ich habe auch schon eine Idee.“
„Und was für eine Idee?“, fragte Gisela neugierig.
„Das ist meine Idee, nicht eure. Ich sag euch Bescheid, wenn es so weit ist. Und jetzt redet mal über was anderes – nicht immer nur über diese blöde Kiste“, sagte Oma Gerda und schnäuzte sich.
Da Oma Gerda nicht mehr über die Kassette reden wollte und ihre Freundinnen sie auch nicht verärgern wollten, wechselten sie das Thema und spielten gemeinsam Karten.
Als es draußen langsam dunkel wurde, sagte Gisela:
„So, nun wird es auch langsam Zeit, dass ich nach Hause komm. Sonst wird mein Alter wieder sauer.“
„Oh, so spät ist es schon? Dann wird’s auch für mich Zeit“, meinte Inge und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.
Und schließlich sagte auch Renate:
„Na schön, dann machen wir eben Schluss. Wir können ja morgen noch mal mit dir reden, Gerda.“
„Ja, das können wir machen“, sagte Oma Gerda – doch in ihrem Inneren hatte sie längst einen Plan gefasst.
Nachdem ihre Freundinnen fort waren und die Haustür verriegelt war, murmelte Gerda:
„Ich werd euch was erzählen… Mich einfach so ausnehmen wollen – wartet mal ab!“
Sie ging in ihre Stube, setzte sich in ihren Sessel und schlug die Tageszeitung auf, die sie immer vom Nachbarn bekam.
Auf den Straßen fuhren ungewöhnlich viele Polizeiwagen langsam vorbei.
„Renate, was glaubst du, wen oder was sie suchen?“, fragte Inge nervös.
„Doch nicht uns… oder vielleicht doch?“, fügte Gisela leise hinzu.
„Mensch, seid ihr ein paar Angsthasen! Warum sollten sie uns denn suchen? Wir haben doch nichts getan“, versuchte Renate sie zu beruhigen. „Kommt jetzt, lasst uns weiterlaufen.“
Doch Inge blieb stehen. „Ich komm morgen wohl doch nicht mehr zu Gerda. Das wird mir langsam zu gefährlich! Ich erinnere euch nur an das letzte Mal, als—“
„Pssst! Sei still. Wir bekommen Besuch“, unterbrach Renate sie plötzlich.
„Wieso Besuch?“, fragte Inge erschrocken.
„Na da vorne… da kommen zwei Polizisten auf uns zu.“
„Oh nein! Ich hab’s doch gesagt! Komm, lass uns auf die andere Straßenseite!“, flüsterte Inge panisch.
„Nein. Wir bleiben hier. Reiß dich zusammen“, herrschte Renate sie an.
Die Beamten kamen näher.
„Entschuldigen Sie, meine Damen – könnten Sie bitte kurz stehen bleiben? Wir hätten da ein paar Fragen.“
„O-o“, murmelte Inge, „ich hab’s doch gesagt…“
„Was gibt’s denn? Haben wir etwas falsch gemacht, Herr Polizist?“, fragte Renate betont ruhig.
„Nein, keine Sorge“, sagte einer der Beamten. „Wir suchen nach einem bestimmten Gegenstand. Haben Sie hier in der Gegend vielleicht eine größere Blechkiste gesehen? Oder besser gesagt – eine Geldkassette?“
„Nein, wieso? Und wo sollen wir die denn gesehen haben?“, fragte Renate gespielt überrascht.
Doch da platzte es aus Inge heraus: „Ich hab eine bei meiner Freundin gesehen…“
Renate reagierte schnell: „Ach das! Das ist doch nur Gerda ihre kleine Kassette für Haushaltsgeld oder so. So eine suchen Sie sicher nicht, oder?“
„Nein, nein, so eine nicht. Wir suchen nach einer größeren – aus einem Geldtransporter. Wenn Sie doch noch etwas sehen oder hören, melden Sie sich bitte.“
„Natürlich, machen wir!“, rief Renate, während die Polizisten weitergingen.
„Gott sei Dank, die sind weg“, seufzte Inge. „Ich hatte schon Angst, dass sie uns mitnehmen.“
„Ja, und das hätten sie auch beinahe getan, wenn du nicht endlich mal den Mund gehalten hättest“, schimpfte Renate.
„Wieso immer ich? Ich hab einfach Angst, ins Gefängnis zu kommen.“
„Ins Gefängnis?“, fragte Gisela erstaunt.
„Na klar! Da kommt man doch hin, wenn man etwas stiehlt. Stimmt’s nicht, Renate?“
„Stimmt schon. Aber Gerda hat ja nichts gestohlen – sie hat’s gefunden“, meinte Renate.
„Egal. Ich geh morgen nicht mehr zu ihr. Zu riskant. Und du, Gisela, solltest dir das auch überlegen“, sagte Inge bestimmt.
„Ihr könnt machen, was ihr wollt“, meinte Renate und sah die beiden streng an. „Aber kommt nachher nicht angekrochen, wenn ihr doch was abhaben wollt!“
Dann verabschiedete sie sich und bog in eine andere Straße ein.
Nachdem sie sich von ihren Freundinnen verabschiedet hatte, machte sie sich auf den Weg nach Hause, wo auch schon ihr Mann auf sie wartete. Oma Gerda las noch etwas in der Tageszeitung, bis sie schließlich der Meinung war, dass es für sie Zeit wurde, ins Bett zu gehen – denn sie hatte sich für den nächsten Tag so einiges vorgenommen.
Ganz früh stand sie auch schon wieder auf, es war noch stockdunkel draußen. Nachdem sie sich ihren Mantel übergezogen hatte, verließ sie das Haus. Die Geldkassette hatte sie wieder in ihrem Einkaufsrollator verstaut, sodass man sie nicht sehen konnte. Gerda machte sich auf den Weg zum Hochhaus in ihrer Stadt. Dort fuhr sie mit dem Fahrstuhl in die oberste Etage und lief zum Treppenhaus, von wo aus man auf einen Balkon kam. Dort holte sie die Kassette aus dem Rollator, wuchtete sie über die Brüstung des Balkons und ließ sie hinunterfallen.
Es krachte so laut, dass man hätte meinen können, alle Bewohner müssten aus dem Bett fallen – doch im ganzen Haus blieb es dunkel. Kein einziges Fenster wurde geöffnet, niemand schaute hinaus. Oma Gerda lief zurück zum Fahrstuhl, fuhr wieder nach unten und wollte nachsehen, ob die Kassette aufgegangen war. Doch zu ihrer Enttäuschung war sie noch immer verschlossen – nur ein wenig mehr verbeult.
Sie schnappte sich die Kassette, verstaute sie erneut im Rollator und fluchte vor sich hin:„Mensch, was soll ich denn noch mit dir machen, damit du aufgehst? Jetzt hab ich schon mal so ein Glück und finde dich, und du lässt mich im Stich!“
Unverrichteter Dinge machte sie sich auf den Heimweg, um sich etwas anderes auszudenken. Es wurde langsam Zeit, nach Hause zu kommen, denn die Sonne ging bereits auf und es wurde heller. Dort angekommen, stellte sie den Rollator neben den Küchentisch und überlegte erneut.
Nach einer Weile schrie sie plötzlich auf:„Ich hab’s! Warum bin ich nicht gleich daraufgekommen?“
Sie nahm ihr Handy und wollte schon die Nummer ihres Enkels Tommy wählen. Sie hatte bereits die ersten Ziffern eingegeben, als sie es sich anders überlegte:„Oh nein, noch nicht – er schläft vielleicht noch. Ich warte lieber ein wenig. Ich will ihn ja nicht aus dem Bett werfen“, murmelte sie und blickte zur Kassette hinunter. „Warte nur ab, dir geht’s nachher an den Kragen, du alte Blechdose.“
Sie stand auf, räumte noch etwas in ihrer Wohnung auf und las anschließend in der alten Zeitung vom Vortag. Als sie schließlich der Meinung war, dass es spät genug war, rief sie ihren Enkel Tommy an.
Als Tommy sah, wer ihn anrief, sagte er auch gleich:„Guten Morgen, Omi! Wie geht’s dir? Mit dir hab ich jetzt gar nicht gerechnet.“
„Ach Tommy, ich musste mal wieder deine Stimme hören“, log sie.
„Oma, was soll das? Du hast doch was auf dem Herzen. Sonst hättest du mich nicht angerufen. Komm, sag schon und mach’s kurz! Du weißt doch, ich bin im Dienst und hab nicht viel Zeit für Privates.“
„Wie soll ich’s dir sagen?“, fragte seine Oma zögerlich.
„Einfach anfangen!“, meinte Tommy.
„Na schön. Also, ich habe hier eine alte Büchse, die bekomme ich nicht auf. Ich habe schon alles versucht, aber wie gesagt – ich schaffe es nicht. Und nun bist du mir eingefallen. Vielleicht kannst du mir ja helfen?“
„Hast du denn keinen Öffner?“, fragte Tommy.
„Nein, den hab ich nicht“, antwortete sie.
„Na schön, Omi. Dann komme ich nach Dienstschluss bei dir vorbei und öffne dir die Büchse. Dann können wir auch noch ein bisschen plaudern.“
„Das ist lieb von dir – auf dich ist eben Verlass! Ich koche uns dann auch einen Kaffee.“
„Das kannst du machen. Aber jetzt muss ich Schluss machen – du weißt ja, ich bin noch im Dienst. Ich komm so gegen drei, okay?“
„Gut, mein Junge. Ich freu mich auf dich“, sagte Oma Gerda und legte lächelnd auf.
Nachdem das Gespräch beendet war, strahlte sie übers ganze Gesicht. Nun hatte sie jemanden, auf den sie sich verlassen konnte – jemand, der ihr half, die Geldkassette zu öffnen.
Sie überlegte, ob sie ihrem Enkel etwas abgeben sollte, falls genug Geld darin war. Schließlich war sie der Meinung, dass er als Polizist auch nicht viel verdiente. Die Kassette brachte sie vorerst ins Schlafzimmer, damit sie nicht gleich jemand sah, falls unerwartet Besuch kam.
Und der ließ nicht lange auf sich warten: Renate war unterwegs zu ihr. Die Kassette ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie hatte die ganze Nacht daran gedacht und war neugierig, was wohl darin war – und wie viel sie wohl davon abbekommen würde.
Als sie an Oma Gerdas Tür angekommen war, klopfte sie hastig. Es konnte ihr gar nicht schnell genug gehen.
Nachdem Gerda geöffnet hatte, stürmte Renate auch gleich durch bis in die Küche.„Guten Morgen, Renate! Hast du gut geschlafen?“, rief Gerda ihr nach.
„Ja doch, und du?“, stellte Renate die Gegenfrage.
„Mensch Renate, hast du jetzt schon keine Zeit mehr, mich ordentlich zu begrüßen?“, fragte Gerda.
„Ach Gerda, du weißt doch warum – ich bin einfach so aufgeregt!“
„Ich nicht. Mir ist’s egal, ob die alte Blechdose aufgeht oder nicht. Ich würd sie sogar wieder auf die Straße legen“, log Gerda.
„Ja? Willst du sie denn nicht mehr? Wenn du sie nicht willst, kann ich sie doch mitnehmen?“, bot Renate sich an.
„Was sagt denn dein Robert dazu, wenn du sie mit in eure Wohnung bringst?“
„Egal. Ist ja auch meine Wohnung“, entgegnete Renate.
„Ich glaub, das ist keine gute Idee. Ich behalte sie lieber, auch wenn wir sie nicht aufkriegen“, meinte Gerda – verschwieg dabei aber, dass Tommy heute kommen würde, um genau das zu tun.
„Wollen wir’s nicht doch noch mal probieren?“, fragte Renate.
„Lieber nicht – das ist doch Zeitverschwendung. Lass uns lieber noch einen Tee trinken und dann machst du dich wieder auf den Heimweg“, schlug Gerda vor.
„Na schön, dann machen wir das so“, sagte Renate, wunderte sich jedoch, dass ihre Freundin sie so schnell wieder loswerden wollte. Sie musste sich etwas einfallen lassen, um bleiben zu können.
Es dauerte nicht lange, und Gerda hatte den Tee fertig. Sie stellte ihn auf den Tisch.„So, lass uns den Tee schmecken“, sagte sie und nahm einen Schluck.
„Nicht so schnell, Gerda – der ist mir noch zu heiß. Ich warte lieber noch einen Augenblick“, meinte Renate, denn sie hatte einen Plan.
„Renate, trink ihn doch jetzt – kalt schmeckt er nicht mehr.“
„Ist ja gut, ich mach das gleich“, erwiderte Renate und fragte dann:„Was ist eigentlich mit der ollen Kassette? Bist du gar nicht neugierig, was da drin ist?“
„Ach, das alte Ding. Ich glaube, da ist eh nichts drin. Sonst hätten die sie ja mitgenommen. Ich werf sie vielleicht weg“, redete sich Gerda heraus.
„Ja, das glaub ich auch – du hast bestimmt recht“, sagte Renate scheinbar überzeugt.
„Na siehst du. Und nun trink mal deinen Tee, damit du wieder loskannst.“
Renate griff zur Tasse und hoffte, dass der Tee nun nicht mehr so heiß war – denn sie wollte ihn sich über die Hose kippen, um einen Vorwand zu haben, noch zu bleiben. Als Gerda kurz auf die Uhr schaute, nutzte Renate den Moment, kippte sich den Tee über die Hose und schrie laut:„Oh nein! Was hab ich da gemacht?!“
Gerda drehte sich sofort um, sah die Bescherung und rief:„Das war ja mal wieder klar – nicht mal Tee kannst du trinken! Jetzt musst du mit nasser Hose nach Hause laufen!“
„Du willst mich doch nicht so auf die Straße schicken? Das kommt gar nicht infrage“, erwiderte Renate und begann, sich die Hose auszuziehen.
„Hey! Was machst du da?“, rief Gerda entgeistert.
„Nach was sieht es denn aus, du Dummerchen?“, sagte Renate und zog weiter ihre Hose aus.„Das geht nicht, Tommy kommt doch noch! Da kannst du doch nicht einfach so hier sitzen“, schimpfte Gerda, denn sie wollte nicht, dass Renate da war, wenn Tommy kam.„Wieso nicht? Mir macht das nichts aus! Aber du kannst mir ja etwas von dir leihen, damit ich es überziehen kann“, schlug Renate ihrer Freundin vor und fuhr fort: „Und dann kannst du mir auch erzählen, warum du mich wieder loswerden willst. Das hat doch sicher einen Grund, Gerda. Ich kenne dich viel zu gut – ich habe dich durchschaut“, meinte sie noch und grinste.„Na schön! Ja, ich wollte dich wieder loswerden. Es ist doch meine Kassette und nicht eure, und Tommy kommt, um sie für mich zu öffnen“, gab Gerda schließlich zu.„Wie – Tommy kommt, um für dich die Geldkassette aufzumachen?“, fragte Renate erstaunt. „Weiß er denn überhaupt, was er da öffnen soll?“„Nein, nicht so richtig. Aber wenn er erst einmal hier ist, wird er es schon für seine Lieblingsoma machen“, antwortete Gerda.„O Gerda, das geht in die Hose – aber hoffentlich nicht in meiner!“, meinte Renate lachend.„Du kannst ja wieder gehen. Du musst ja nicht hierbleiben“, schlug Gerda vor.„Nein, das lasse ich mir nicht entgehen“, sagte Renate und fügte hinzu:„Gerda, nach dem Schreck kannst du mir noch einen Tee anbieten und mir etwas zum Anziehen geben. Ich kann ja nicht so hier sitzen, wenn dein Enkel kommt.“„Selbst schuld – du hättest dir den Tee ja nicht über die Hose schütten müssen“, meinte Oma Gerda.
Es dauerte auch gar nicht lange, da kam noch mehr Besuch: Inge und Gisela. Die beiden hatten es sich doch noch einmal überlegt und standen nun vor der Tür. Als Gerda öffnete, sagte sie gleich:„Das habe ich mir schon gedacht, dass ihr kommt!“Die beiden gingen wortlos an ihr vorbei und liefen in die Küche, wo Renate bereits saß. Diese begrüßte sie prompt:„Guten Morgen! Hat euch die Neugier hergetrieben, oder habt ihr Angst, dass ihr nichts abbekommt?“Inge und Gisela sagten nichts, sondern setzten sich schweigend an den Küchentisch. Nachdem auch Gerda wieder in der Küche war, sagte sie:„Dann wäre das Quartett ja wieder vollständig, und wir können gemeinsam auf meinen Enkel warten“, meinte sie und setzte noch einmal Wasser für Tee auf, damit die anderen beiden auch etwas bekamen.„Wieso kommt der denn?“, wollte Gisela wissen.„Warum nicht? Lass Gerda ihren Enkel doch kommen – er soll uns helfen, die Kassette zu öffnen“, meinte Renate.„Wieso denn er? Der ist doch bei der Polizei!“, sagte nun Inge ganz aufgeregt.„Genau! Und habt ihr schon vergessen, wo wir damals gelandet sind, als er uns bei der Bank geholfen hat?“, fragte Gisela.„Ja, in der grünen Mina“, antwortete Gerda lachend. „Ihr braucht ja nicht hierzubleiben. Aber dann bekommt ihr auch nichts ab!“Gisela rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her, unschlüssig, ob sie bleiben sollte. Doch es war ohnehin zu spät – es klingelte an der Haustür. Als Oma Gerda öffnete, stand Tommy dort.
„Hallo Oma, hier bin ich“, begrüßte Tommy sie.„Das ist schön, mein Junge. Komm erst mal rein! Ich habe auch Besuch – sie sind in der Küche.“„Wer ist es denn?“, fragte Tommy.„Ach, nur meine Freundinnen – du weißt schon: Renate, Inge und Gisela“, erklärte sie.Gemeinsam gingen sie in die Küche. Dort begrüßte Tommy die Freundinnen seiner Oma und sagte:„Schau Oma, ich habe dir einen Dosenöffner mitgebracht“, und hielt ihn hoch.„Das ist fein, mein Junge“, antwortete Oma Gerda, musste aber schlucken – so einen hatte sie doch selbst.Nicht nur sie war überrascht, auch die anderen waren sprachlos. Sie glaubten nicht, dass Tommy damit die Geldkassette öffnen konnte.„Oma, gib mir jetzt mal deine Dose, damit ich sie dir aufmachen kann“, sagte er.Oma Gerda schaute ihre Freundinnen an und ging dann ins Schlafzimmer.„Wo hast du denn die Dose?“, rief Tommy ihr nach, aber sie antwortete nicht.Gerda kam langsam rückwärts mit der Kassette in den Armen zurück in die Küche. Als sie sich umdrehte und Tommy sie sah, war er im ersten Moment sprachlos. Dann fragte er:„Oma, ist das die Dose, von der du gesprochen hast? Die ich für dich aufmachen soll?“„Ja, das ist sie! Schaffst du es, sie zu öffnen?“„Oma, was hast du schon wieder angestellt?“, fragte Tommy. Er wusste genau, um was für eine Kassette es sich handelte. „Und dass ihr auch wieder mitmischt, war mir natürlich sofort klar“, sagte er, und von Renate hörte er nur noch:„Komm Gisela, ich glaube, wir gehen lieber. Hier liegt dicke Luft in der Luft!“Gisela stand sofort auf, wollte gerade gehen, doch Tommy sagte streng:„Nichts da – ihr bleibt schön hier! Mitgegangen, mitgefangen.“„Ich habe doch gar nichts damit zu tun – es ist doch Gerdas Dose!“, versuchte Gisela sich herauszureden.„Ach nee? Hätte ich sie allein aufbekommen, hättet ihr aber euren Anteil gewollt!“, erwiderte Oma Gerda spitz. Das hatte sie Gisela nicht zugetraut.„Jetzt ist Schluss damit! Ihr erzählt mir jetzt, wie ihr an diese Geldkassette gekommen seid. Die ist doch nicht einfach hier reingeflogen! Oma, fang an – sonst rufe ich meine Kollegen, und ihr könnt das mit denen klären“, drohte Tommy.„Mensch Tommy! Könntest du sie nicht doch für uns öffnen?“, versuchte seine Oma es nochmal.„Oma, was soll das? Ich hab’s dir gesagt – red oder ich ruf Verstärkung.“„Gerda, fang an! Oder willst du ins Gefängnis? Ich jedenfalls nicht!“, versuchte Renate sie zu überreden.Als Gerda merkte, dass sie nicht mehr rauskommt, erzählte sie ihrem Enkel die ganze Geschichte. Als sie fertig war, fragte sie erneut:„Was ist, Tommy? Können wir sie nicht doch behalten? Die wollten sie ja nicht mehr haben – ich habe gewunken und gerufen!“„Oma, das geht nicht. Auch wenn es von dir kommt – gefunden ist nicht gleich behalten. Das Geld gehört trotzdem jemandem. Wir müssen jetzt sehen, wie wir das wieder geradebiegen“, schlug Tommy vor.„Dann hätte ich sie auch dort liegen lassen können“, grummelte Gerda.„Ja, hättest du mal sollen!“, meinte ihr Enkel. „Hättet ihr sie nicht davon abhalten können?“, fragte er Inge und Gisela.Die beiden hielten sich bedeckt, doch Renate antwortete schließlich:„Wir konnten sie nicht abhalten – wir haben doch gar nichts gewusst. Wir haben die Kassette erst gesehen, als sie schon auf dem Tisch lag.“„Na schön. Dann müssen wir sie jetzt zum Revier bringen. Aber ehrlich – Oma, wie sieht die denn aus? Was hast du bloß damit schon vorgehabt?“, fragte Tommy kopfschüttelnd.
„Ja, Gerda, was hast du denn mit der gemacht? Die sah doch gestern noch nicht so verbeult aus“, meinte nun Gisela.
Gerda antwortete überhaupt nicht darauf, sondern schaute nur zum Boden, und Tommy sagte:„Oma, weißt du überhaupt, was das für Geld gekostet hat – die ganzen Beamten, die nach der gesucht haben?“
„Dann hätten die eben besser auf sie aufpassen müssen“, kam es nun von Gerda.
„Ist jetzt auch egal, es ist zu spät! Doch was sagen wir – dass ihr jetzt erst mit der Geldkassette kommt und warum sie so ausschaut?“, fragte er die Vier, doch die zuckten nur mit den Schultern.
Tommy überlegte, was seine Oma und ihre Freundinnen sagen konnten, damit sie sauber da wieder herauskamen. Nachdem er es ihnen erklärt hatte, verfrachtete er die Geldkassette und die drei in sein Fahrzeug und machte sich mit ihnen auf zum Polizeirevier. Sie mussten auch gar nicht so lange fahren – nach einer Weile waren sie bereits dort – und Renate fragte:„Tommy, müssen wir denn damit hineinkommen?“
„Wolltet ihr nicht auch etwas davon abhaben?“, fragte Tommy.
„Nein, nein, wollten wir nicht“, antwortete Gisela.
„Ihr seid schon solche Freundinnen!“, meinte Tommy noch und öffnete die Tür zur Wache.
„Hallo Tommy, hast du noch was vergessen?“, begrüßte ihn ein Kollege. „Und hast du uns Damenbesuch mitgebracht?“
„Nein, ich habe nichts vergessen. Ist Lothar noch da? Ich habe hier noch etwas, das ich ihm gerne übergeben würde“, sagte Tommy und hielt die Geldkassette in die Höhe.
Als sein Kollege die Kassette sah, fragte er Tommy:„Wie kommst du denn an die? Warte, ich rufe ihn. Er ist oben bei der Kripo, dort sitzen auch die beiden Fahrer des Geldtransporters und machen ihre Aussage. Hast du die Diebe gleich mitgebracht? Das ist schon dreist, aus dem Fahrzeug eine Kassette zu stählen“, meinte Tommys Kollege.
„Wieso gestohlen?“, fragte Tommy ganz erstaunt und schaute seine Oma mit ernstem Blick an.
Die stand dort ganz sprachlos und bekam kein Wort mehr über die Lippen. Sie schüttelte nur den Kopf – denn gestohlen hatte sie die Kassette ja nicht. Nachdem Tommys Kollege seinen Vorgesetzten gerufen hatte, fragte Tommy ihn:„Wie kommt ihr denn darauf, dass sie gestohlen sei?“
„Das haben die beiden Fahrer doch erzählt“, antwortete sein Kollege.
„Und wieso haben sie es nicht gleich gesagt, sondern erst später?“, wollte Tommy nun wissen.
„Sie hatten Angst, dass sie ihren Job verlieren – sie hätten ja vorsichtiger sein müssen“, meinte der Kollege.
„Und das glaubt ihr doch nicht etwa?“, meinte Tommy noch, doch da stand auch schon sein Vorgesetzter hinter ihm.
„Na, was gibt es denn? Wie kommst du denn an diese Geldkassette?“, fragte der gleich, als er sie erblickte.
„Das ist eine längere Geschichte. Es wäre gut, wenn wir in einen Nebenraum gehen könnten“, schlug Tommy vor.
„Na dann komm mal mit“, erwiderte sein Chef und lief vor.
Tommy machte sich gleich auf und folgte ihm. Doch da seine Oma und die anderen beiden ihm nicht folgten, rief er:„Und was ist mit euch? Wollt ihr nicht – oder könnt ihr nicht?“
Doch die antworteten nur:„Doch, doch, wir kommen ja schon!“
Als sie nun alle im anderen Büro waren, fragte Tommys Chef, was die vier Frauen dort wollten. Tommy fing an zu erzählen und sagte auch, dass er seiner Oma glaubte. Als er fertig war und sein Chef alles gehört hatte, sagte er:
„Wenn das wahr ist, dann haben die beiden Fahrer gelogen, und sie wurden gar nicht überfallen und bestohlen. Doch was deine Oma gemacht hat, ist auch nicht korrekt – und wird bestraft. So etwas nennt man Unterschlagung, und dafür kommt man ins Gefängnis“, betonte Tommys Vorgesetzter und griff zum Telefon.
Er rief zwei andere Beamte, die die vier nach unten in den Keller bringen sollten – denn dort befanden sich die Zellen. Tommy wusste im ersten Augenblick gar nicht, was er sagen sollte, denn so hatte er es sich nicht gedacht. Doch sein Vorgesetzter zwinkerte ihm mit einem Auge zu und schmunzelte. Von Renate hörte man nur:
„Oh nein, nicht schon wieder! Was soll denn nur mein Robert von mir denken?“, kam es über ihre Lippen. Dabei fing sie an zu weinen, und von Gisela kam darauf nur:„Nun hör auf zu heulen – da haben wir doch selbst Schuld dran. Wir waren mal wieder zu gierig.“
„Ich aber nicht, ich wollte doch gar nichts“, kam es kleinlaut von Inge.
„Und das mir! Warum passiert mir das immer wieder?“, hörte man nur noch von Oma Gerda.
Nachdem die Frauen nicht mehr im Raum waren, sagte Tommy zu seinem Vorgesetzten:„Meine Oma hat sie ja nicht geklaut – nein, das hat sie nicht! Ich glaube meiner Oma, dass sie die Geldkassette gefunden hat“, versuchte Tommy, seinen Vorgesetzten zu überzeugen. „Es war nicht richtig, dass sie die Kassette nicht gleich hierhergebracht haben, doch die Gier, dass sie zu Geld kommen würden, war wohl zu groß. Wollen Sie tatsächlich die Sache zur Anzeige bringen?“, fragte er seinen Chef.
„Tommy, das kann doch nicht deine Entschuldigung dafür sein, dass man kriminell wird! Deine Oma hat sowieso eine Menge krimineller Energie – hast du das mit der Bank vergessen, wo wir ihr eine Lehre erteilt haben? Das mit der Anzeige kann ich nicht entscheiden, tut mir leid! Doch jetzt werde ich erst einmal den Chef dieses Unternehmens herbeirufen – und er soll bitte einen Schlüssel für die Geldkassette mitbringen. Die sieht ganz schön ramponiert aus, das muss ich schon sagen. Ich möchte gar nicht wissen, was die damit gemacht haben“, meinte sein Chef noch.
„Na schön, dann will ich mal nach unten gehen und den Frauen Bescheid geben“, erwiderte Tommy. „Sie können mich ja rufen, wenn der Chef von dem Unternehmen da ist.“Doch bevor er loslief, fragte er noch:„Wieso behaupten die eigentlich, dass jemand die Geldkassette gestohlen hat?“
„Tommy, da kann ich im Moment nichts zu sagen – aber ich verspreche dir, dass ich der Sache auf den Grund gehen werde. Ich werde auch noch mal mit Kommissar Luckas darüber reden. Geh du jetzt erst mal nach unten und beruhige deine Oma und ihre Freundinnen.“
Nachdem sein Chef das gesagt hatte, machte sich Tommy auf den Weg in den Keller zu seiner Oma. Er hatte sie noch nicht ganz erreicht, da schimpfte sie auch schon los:
„Tommy, das hätte ich nicht von dir gedacht – dass du uns hierherbringst, nur um uns einsperren zu lassen! Ich dachte, wir bekommen eine Belohnung, aber nicht das hier!“
„Ja, genau! Und was soll ich denn jetzt meinem Robert sagen?“, jammerte Renate und heulte weiter.
„Und das alles nur, weil Gerda so gierig war“, kam es nun über Giselas Lippen.
„Ach nee – jetzt ist es also meine Schuld? Und ihr seid alle unschuldig und wolltet gar nichts davon abhaben? Das hab ich gern“, fauchte Oma Gerda zurück.
„Tommy, wie viele Jahre gibt es denn dafür?“, fragte Inge kleinlaut.
„Das kann ich euch nicht genau sagen – aber es lohnt sich bestimmt nicht für euch! Wenn ihr dann irgendwann wieder freikommt, habt ihr wenigstens genug Rente angespart und müsst keine krummen Dinger mehr drehen“, machte Tommy ihnen ein bisschen Angst.
Tommy musste nicht lange unten warten, da rief ihn sein Chef wieder zu sich – es gab neue Entwicklungen in dem Fall. Als Tommy oben ankam, klopfte er an die Bürotür, und sein Chef rief:
„Herein!“
„Komm rein, Tommy, und setz dich“, forderte er ihn auf, als dieser in der Tür stand.
Im Büro saß auch der Mann von der Firma, die für die Geldtransporte zuständig war. Gemeinsam hatten sie die Geldkassette geöffnet – und festgestellt, dass kein Geld mehr darin war. Das erzählte Tommys Chef ihm nun:
„Wie, da ist kein Geld mehr drin? Wie kann das sein?“, fragte Tommy entsetzt.
„Das ist eine gute und berechtigte Frage – und genau das wollten wir auch wissen. Deshalb haben wir uns die beiden Fahrer noch einmal einzeln vorgenommen“, erklärte sein Chef.
„Na und? Was ist dabei rausgekommen?“, fragte Tommy neugierig.
„Nach mehreren Befragungen haben sie sich verplappert – und schließlich zugegeben, dass sie das Geld entwendet haben. Die Geldkassette war ihnen versehentlich aus dem Fahrzeug gefallen. Eigentlich wollten sie sie später entsorgen“, erzählte Tommys Chef weiter.
„Gott sei Dank ist das aufgeklärt! Doch was geschieht jetzt mit meiner Oma und den anderen drei im Keller?“, fragte Tommy besorgt.
„Ich habe mit Herrn Kühl von der Geldtransportfirma gesprochen. Er sieht von einer Anzeige ab – denn ohne deine Oma wäre das Ganze ja gar nicht aufgeflogen. Aber wir müssen uns etwas ausdenken, damit wir die vier nicht so bald wiedersehen.“
„Ich weiß, was sie als Strafe machen können. Und weißt du was?“, fragte sein Chef mit einem Grinsen.
„Nein – woher?“, fragte Tommy verwundert.
„Sie können ja jetzt mal für die Polizei arbeiten. Zwei Wochen lang sollen sie die Zellen sauber machen – von innen! Natürlich, während die Türen abgeschlossen sind. Dann haben sie eine schöne Erinnerung daran, dass sie beinahe dort gelandet wären“, meinte sein Chef.
Er gab Tommy den Auftrag, seine Oma und die anderen drei wieder freizulassen – und rauszuschmeißen.
Tommy war überglücklich, dass er seine Oma wieder freilassen durfte, und lief nach unten, um ihr alles zu erzählen. Doch bevor seine Oma ging, fragte sie noch einmal:
„Wie sieht’s aus – bekommen wir denn jetzt auch eine Belohnung?“
Da fiel Tommy nichts mehr ein – und er schmiss seine Oma aus dem Revier und rief ihr noch hinterher:„Oma, Oma – mit dir haben wir echt einen Fang gemacht!“
Ende