Jack und der Seelensammler - Holly J. Black - E-Book

Jack und der Seelensammler E-Book

Holly J. Black

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Beschreibung

Jack lebte mit seiner Mutter am Waldrand in einer alten Hütte, sie hatten es nicht immer leicht. Jack machte sich als er größer war auf der Suche nach einer Einstellung, denn er wollte ein ehrbaren Beruf erlernen. Doch überall wo er angefangen war, hatte man ihn nur ausgenutzt. Bis er den Seelensammler begegnete und für ihn arbeitete und immer, wenn sie ihn den versprochenen Taler nicht gaben sog die Laterne ihre Seelen ein und sie verstarben.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Jack und der Seelensammler

Weit draußen vor der Stadt, in einem kleinen Wald, lebte eine Frau mit ihrem kleinen Sohn in einer armseligen Hütte. Die Hütte hatte ihr verstorbener Mann für sie und ihren Sohn erbaut. Dort wollten sie gemeinsam leben – doch es kam anders, als es sich die Eheleute gedacht hatten.

Als der Mann eines Tages wieder einmal in den Wald gegangen war, kam er am Abend nicht zurück. Er war verunglückt, als er einen Baum fällte und unter diesem eingeklemmt wurde.

Seit die Frau nun allein war, musste sie sich und ihren Sohn durchbringen – was für sie nicht immer einfach war. In der kleinen Stadt hatte sie mehrere Arbeitsstellen angenommen und arbeitete dort für die reichen und vornehmen Leute, die dort lebten.

Die Jahre vergingen, und der Junge wuchs allmählich heran. So konnte er seine Mutter unterstützen. Er machte sich jeden Tag auf den Weg in den Wald, um dort nach Bären oder anderen Tieren zu suchen. Doch nicht nur der Junge wurde älter – auch die Hütte kam in die Jahre. Sie fiel langsam auseinander, die Dachschindeln lösten sich, und es regnete durch das undichte Dach.

Jacks Mutter konnte sich jedoch weder einen Dachdecker noch einen anderen Handwerker leisten, also musste alles so bleiben, wie es war.

Doch es sollte noch schlimmer kommen: Die Mutter verlor nach und nach fast alle ihre Anstellungen in der Stadt. Zwar hatten sie gemeinsam einen kleinen Gemüsegarten angelegt, doch auch dort gingen – wegen der Witterung – fast alle Pflanzen ein. So hatten sie noch weniger zum Essen als zuvor.

Die Mutter versuchte immer wieder, neue Arbeit zu finden. Doch jedes Mal, wenn sie bei jemandem vorsprach, wurde sie an der Haustür abgewiesen und beschimpft.

„Was glauben Sie eigentlich? Glauben Sie, wir würden jede dahergelaufene und heruntergekommene Person einstellen?“, schrie eine Frau sie an und wies sie vom Hof.

„Ich wollte doch nur bei Ihnen arbeiten! Ich brauche dringend Arbeit – mein Sohn und ich haben nichts mehr zu essen!“, flehte sie.

Die andere Frau antwortete nur kalt:„Gute Frau, was geht mich das an, was mit Ihnen und Ihrem Kind geschieht? Wir alle haben es schwer genug. Sehen Sie zu, dass Sie verschwinden!“ Dann drohte sie ihr sogar mit dem Hund.

Da die Mutter keine unangenehme Begegnung mit dem Hund riskieren wollte, ging sie lieber und machte sich auf den Heimweg.

Dort wartete bereits ihr Sohn Jack auf sie – er hatte etwas zu essen besorgt und es zubereitet. Da er immer wieder aus dem Fenster geschaut hatte, sah er sie frühzeitig kommen. Er lief aus der Hütte und rief:

„Da bist du ja endlich! Ich habe schon auf dich gewartet. Warum kommst du erst jetzt zurück?“

„Ach, Jack... ich habe versucht, eine Arbeit zu finden – aber ohne Erfolg. Sie wollten mich nicht haben. So, wie es sich anhörte, bin ich nicht standesgemäß.“

„Mutter, mach dir keine Sorgen! Wir schaffen das schon. Komm erst mal rein, ich habe etwas zu essen gemacht.“

„Was? Du hast etwas zu essen gemacht?“

„Ja, habe ich!“, antwortete Jack, nahm ihre Hand und zog sie hinter sich her.

„Was gibt es denn?“, fragte sie neugierig.

„Mutter, setz dich erst einmal an den Tisch. Ich bin gleich soweit.“

In der Hütte setzte sich seine Mutter an den „Tisch“ – wobei dieses Wort fast übertrieben war. Sie besaßen nur einen größeren Holzklotz als Tisch und zwei kleinere Holzstücke als Hocker. Die Betten bestanden aus Tannenreisig, das direkt auf dem Boden lag. Ihre wenigen Habseligkeiten bewahrten sie in einer selbstgebauten Holzkiste auf.

Nachdem Jack das Essen auf zwei Blechteller verteilt hatte, trug er es zum Tisch, wo seine Mutter schon wartete.

„Jack, was hast du denn Feines gekocht?“, fragte sie neugierig.

„Ach, Mutter, nichts Besonderes. Ich habe nur ein paar Brennnesseln gepflückt und gekocht.“

„Das macht doch nichts, das wird uns schon schmecken“, beruhigte sie ihren Sohn. „Was soll man schon kochen, wenn man nichts hat.“

„Weißt du was, Mutter? Ich werde morgen losziehen und versuchen, einen Hasen oder ein Rebhuhn zu fangen. Davon laufen genug im Wald herum – ich muss nur eines erwischen.“

„Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist, Jack. Wenn dich jemand im Wald dabei sieht, sperren sie dich vielleicht ein – oder tun Schlimmeres mit dir“, sagte sie besorgt.

„Ach, Mutter, das wird schon niemand mitbekommen. Und dann hätten wir wenigstens mal etwas Fleisch! Immer nur diese grünen Blätter...“

„Nein, Jack. Lass uns lieber weiter die Blätter essen. Hauptsache, du bleibst bei mir. Versprich mir, dass du nicht in den Wald gehst.“

„Ist gut, ich geh nicht. Aber wovon sollen wir leben und satt werden?“

„Jack, du bist noch viel zu jung, um für uns zu sorgen. Du musst erst einmal älter werden. Wir schaffen das schon – wir haben es ja bis jetzt auch geschafft.“

„Ist gut, Mutter, ich lasse es. Kann ich später noch mal nach draußen gehen?“

„Ja, aber geh nicht so weit weg. Es wird bald dunkel, und dann kommen die wilden Tiere. Du weißt, wie gefährlich es sein kann.“

„Ja, ich weiß, Mutter. Mach dir keine Sorgen.“

Jacks Mutter sollte recht behalten – sie schafften es immer wieder, irgendwie durch diese schwere Zeit. Jack half seiner Mutter, so gut er konnte. Mit der Zeit wurde er älter. Hin und wieder begleitete er seine Mutter in die Stadt. Sie versuchte dort weiterhin Arbeit zu finden, doch alle Bemühungen blieben vergeblich. Ihre Kleidung war zu zerlumpt und schmutzig – niemand wollte sie einstellen.

Während sie sich bei jemandem vorstellte, lief Jack durch die Stadt und bestaunte die Auslagen in den Schaufenstern. Er merkte sofort, wenn sie zurückkam – und es wieder nichts geworden war. Dann machten sich beide gemeinsam auf den Heimweg.

Eines Tages sagte Jack:

„Mutter, ich habe mir etwas überlegt!“

„Was denn, Jack?“

„Ich werde versuchen, selbst Arbeit zu finden. Dann müssen wir nicht mehr hungern, und du kannst zu Hause bleiben.“

„Aber Jack, du bist doch noch viel zu jung!“, entgegnete sie.

„Warum denn? Meine Freunde arbeiten doch auch schon als Leibeigene auf dem Gut.“

„Und du willst dort auch arbeiten? Ich dachte, du wolltest einen ehrbaren Beruf lernen.“

„Ja, das will ich – und deshalb werde ich mich auch vorstellen.“

„Und was willst du arbeiten?“, fragte sie neugierig.

„Das weiß ich noch nicht. Ich muss nehmen, was ich bekommen kann. Aber jetzt muss ich los.“

„Wohin willst du denn?“

„Ich gehe zur Messe – um für mein Vorhaben zu beten.“

„Jack, das kannst du doch auch hier. Wir sind doch nie in die Kirche gegangen.“

„Eben deshalb. Vielleicht hilft er mir, wenn ich ihn in seinem Haus besuche“, sagte Jack, öffnete die Tür und ging hinaus.

Da seine Mutter merkte, dass sie ihn nicht aufhalten konnte, ließ sie ihn ziehen und wünschte ihm Glück.

Jack musste sich beeilen – er wollte nicht zu spät zur Messe kommen. Er lief den ganzen Weg schnell und erreichte bald das Stadttor. Gerade als er hindurchgehen wollte, hielten ihn zwei Wachsoldaten auf.

„Wohin des Weges?“, fragte einer.

„Ich will in die Stadt“, antwortete Jack höflich.

„Hast du einen Passierschein?“, wollte der andere wissen.

„Nein, habe ich nicht“, sagte Jack erstaunt.

„Das ist jetzt neu! Die Hohen Herren wollen keine dahergelaufenen Landstreicher oder Tunichtgute mehr hier sehen. Also – mach dich auf den Weg und lass dich nicht mehr blicken!“

„Aber... ich bin doch immer mit meiner Mutter hierher gekommen! Da hat nie jemand was gesagt.“

„Junge, hast du was mit den Ohren? Willst du uns nicht verstehen?“, sagte der eine Soldat scharf und griff nach seinem Gewehr.

„Schon gut, ich hab’s verstanden“, sagte Jack, obwohl er es nicht wirklich nachvollziehen konnte.

Gerade als er sich abwenden wollte, kam ein Offizier aus der Wachstube und rief:

„Was ist da los? Was macht ihr mit dem Jungen?“

Da die Soldaten nicht sofort reagierten, trat der Offizier zu ihnen.

„Herr Hauptmann, wir dürfen solche Gestalten nicht reinlassen“, sagte der eine Soldat und stand stramm.

„Genau, Herr Hauptmann. Sehen Sie sich den doch mal an – wie der herumläuft!“

Doch der Hauptmann erkannte Jack.

„Jack, du bist es! Was willst du denn so spät noch hier?“

„Ich wollte zur Messe, Herr Hauptmann“, antwortete Jack.

„Du brauchst es meinen Soldaten nicht übelzunehmen – sie haben nur Befehl. Hört zu, lasst den Jungen durch! Er ist kein Bettler, kein Landstreicher.“

Die Soldaten gehorchten. Als Jack ein paar Schritte weiter war, murmelte einer der beiden:

„Sollen sich doch die Offiziere um den Bengel kümmern.“

„Ja, hast recht“, antwortete der andere und stellte sich wieder auf seinen Posten.

Jack machte sich sofort wieder auf den Weg zur Kirche, wo der Gottesdienst bereits begonnen hatte. Als er die Tür erreicht hatte, wollte er gerade eintreten – doch dazu kam es nicht mehr. Bevor er einen Fuß über die Schwelle setzen konnte, stand schon der Kirchendiener vor ihm und fragte streng:

„Was soll das? Was willst du hier?“

„Ich wollte doch am Gottesdienst teilnehmen!“, antwortete Jack.

„Junge, ich glaube, du hast deinen Stand vergessen. Du weißt wohl nicht, wo dein Platz ist“, entgegnete der Kirchendiener scharf. „Wenn du irgendwann einmal in der Lage bist, einen Silbertaler in meinen Klingelbeutel zu werfen, dann hast du auch das Recht, hier hineinzukommen. Bis dahin kannst du draußen beten“, fügte er hinzu und verschloss hinter sich wieder die Tür.

Da Jack also nicht in die Kirche durfte, machte er sich enttäuscht und mit leeren Händen auf den Heimweg – wo seine Mutter bereits auf ihn wartete. Sie war überrascht, dass er schon zurück war, und fragte:

„Was ist los? Wieso bist du schon wieder da?“

„Mutter, ich bin nicht hineingekommen!“

„Ich habe es mir fast gedacht... wir sind eben nicht standesgemäß. Daran lässt sich wohl nichts ändern“, sagte sie und versuchte, ihn etwas zu trösten.

„Ist auch egal – ich kann ja auch hier beten“, meinte Jack.

„Das habe ich dir doch gleich gesagt. Und auch das mit der Arbeit wird nicht so einfach.“

„Ich weiß. Aber ich versuche es trotzdem – und du wirst sehen, dass es mir gelingt.“

Während sie noch sprachen, kam ein Reitersmann auf sie zu. Als er näher kam, erkannten sie ihn sofort – es war der Verwalter des Gutes. Als er sie erreicht hatte, hielt er sein Pferd an und sprach:

„Ich wünsche Euch einen angenehmen Abend.“

„Ihnen ebenfalls einen schönen Abend. Womit haben wir die Ehre, Herr Buchman?“, fragte Jacks Mutter höflich.

„Gute Frau, Euer Bursche hat die Ehre, für den Gutsherrn zu arbeiten. Er ist nun alt genug, um zu schaffen. Mein Gutsherr hofft, dass Euer Junge bei uns anfängt. Es wird Euch nicht zum Nachteil gereichen – und dasselbe gilt auch für Euch, gute Frau, falls Ihr wollt.“

„Es wäre sicher eine Ehre... aber der Junge, wie Sie ihn nennen, will einen ehrbaren Beruf erlernen. Und ich selbst habe auch schon etwas anderes gefunden“, erklärte Jacks Mutter.

Herr Buchman runzelte die Stirn. „Ihr solltet jedoch bedenken, dass Ihr in einer Hütte wohnt, die dem Gutsherrn gehört“, gab er zu bedenken.

„Die Hütte? Mein Mann hat sie doch selbst errichtet“, erwiderte sie.

„Das mag sein – doch das Holz stammt aus dem Wald des Gutsherrn. Und die Hütte steht auf dessen Grund. Ihr zahlt bis heute keinen Kupfertaler – oder täusche ich mich, gute Frau?“, fragte er kalt.

Jacks Mutter schwieg einen Moment. Sie wusste, dass er recht hatte, doch sie fand nicht sofort eine Antwort. Schließlich sagte sie:

„Mag sein – aber mein Junge wird eine andere Arbeit machen und kein Leibeigener sein!“

Herr Buchman blickte sie finster an. „Na schön – dann soll es so sein. Doch ab heute habt Ihr eine Pacht zu zahlen: zwei Kupfertaler, pünktlich. Sollte sie nicht rechtzeitig eingehen, könnt Ihr in den Wald ziehen oder ins Armenhaus.“

Nachdem er das gesagt hatte, wandte er sein Pferd und ritt davon.

„Mutter... und was jetzt?“, fragte Jack besorgt.

„Ich weiß es noch nicht“, antwortete sie. „Aber komm – lass uns erst mal hineingehen. Dann sehen wir weiter.“

„Ich werde morgen früh aufbrechen und mir Arbeit suchen“, sagte Jack entschlossen und ging mit seiner Mutter in die Hütte.

Am nächsten Morgen stand Jack noch vor seiner Mutter auf und machte sich heimlich auf den Weg in die Stadt. Am Stadttor standen diesmal zwei andere Wachsoldaten, die ihn freundlich begrüßten.

„Guten Morgen, Jack! So früh schon unterwegs?“

„Ja – ich will heute Arbeit suchen“, antwortete Jack und ging weiter.

„Und wo willst du dich bewerben?“, fragte der andere.

„Ich will mein Glück beim Bäcker versuchen. Vielleicht habe ich ja Erfolg“, rief Jack zurück.

„Dann viel Glück!“, wünschten ihm die Soldaten noch nach. Doch Jack war bereits um die nächste Hausecke verschwunden.

Als er schließlich vor der Backstube stand, atmete er tief durch und klopfte an. Ein etwas beleibter Mann öffnete ihm die Tür und fragte:

„Was gibt’s? Was kann ich für dich tun?“ Als Jack nicht sofort antwortete, wurde der Mann ungeduldig. „Glaubst du, ich hab nichts Besseres zu tun, als hier rumzustehen?“

Jack nahm schnell seine Kappe ab und antwortete höflich:

„Verzeihung, Meister. Ich bin gekommen, um um eine Anstellung zu bitten. Es wäre mir eine Ehre, bei Ihnen das Bäckerhandwerk zu erlernen.“

Der Bäcker musterte ihn von oben bis unten. Schließlich sagte er:

„Du willst bei mir anfangen? So wie du aussiehst?“

„Ja, Meister. Das würde ich gern.“

Der Bäcker überlegte lange und musterte ihn erneut. Dann sagte er:

„Na schön. Du darfst bei mir anfangen.“

„Wirklich, Meister? Ich darf?“, fragte Jack erfreut.

„Ja. Aber wir müssen uns noch über deinen Lohn einigen.“

Jack zuckte mit den Schultern. Er wusste nicht, was angemessen war. Schließlich schlug der Bäcker vor:

„Du bekommst drei Kupfertaler im Monat, wenn du einverstanden bist.“

„Drei Taler – das klingt gut! Wann soll ich anfangen?“

„Wenn du willst, komm morgen früh. Oder besser gesagt: heute Nacht um zwei Uhr.“

„So früh, Meister?“

„Wenn man Bäcker sein will, muss man früh anfangen!“, sagte der Meister.

„Schon gut – ich bin da!“, versicherte Jack und verabschiedete sich.

„Dann bis morgen. Und wir werden auch etwas gegen deine Kleidung tun müssen“, sagte der Bäcker noch und verschwand in der Backstube.

Jack lief freudestrahlend nach Hause, um seiner Mutter die gute Nachricht zu bringen. Ab diesem Tag stand er jeden Morgen sehr früh auf, um nicht zu spät zur Arbeit zu kommen. Der Meister war mit ihm zufrieden, Jack hatte nichts auszustehen.

Doch dann wurde seine Mutter krank und konnte kein Geld mehr verdienen. Jack fragte deshalb eines Tages seinen Meister:

„Meister, darf ich etwas fragen?“

„Na los – aber hör nicht auf zu arbeiten, nur weil du reden willst“, sagte der Meister.

„Verzeihung! Ich wollte nur fragen, ob ich vielleicht etwas von dem alten Brot mitnehmen dürfte. Meine Mutter ist krank, und wir haben nichts zu essen.“

„Das geht nicht!“, antwortete der Bäcker schroff.

„Aber... das Brot wird doch nicht mehr verkauft.“

„Ich habe es dem Bauern Marfort versprochen. Dafür bekomme ich von seiner Sau Schinken und Mettwürste – allein bei dem Gedanken läuft mir das Wasser im Mund zusammen!“

„Könnte ich nicht wenigstens ein paar Krümel haben?“

„Na gut. Wenn du willst, kannst du den Rest mit dem Reisigbesen zusammenfegen und mitnehmen.“

Jack überlegte kurz – und stimmte zu. Er musste schließlich irgendetwas zu essen beschaffen.

Nachdem Bauer Marfort das Brot abgeholt hatte, fegte Jack die Reste zusammen. Er breitete sein Halstuch aus, sammelte die Krümel ein, knotete das Tuch zu und steckte es unter seine Jacke.

Doch seine Mutter wurde nicht gesund. Und so fragte Jack seinen Meister mehrmals, ob er wieder etwas mitnehmen dürfe. Dieser wurde zunehmend unfreundlicher.

Eines Tages sagte der Bäcker: „Jack, wir müssen reden.“

„Ja, Meister?“

„So kann das nicht weitergehen. Du willst ständig Brot mitnehmen. Das wird mir auf Dauer zu teuer!“

„Aber das sind doch nur Abfälle – und außerdem habe ich nicht mal meinen Lohn bekommen!“

„Du hast deinen Lohn längst erhalten – in Brot! Eigentlich schuldest du mir noch etwas! Aber ich will mal nicht so sein. Trotzdem – ich kann dich nicht behalten. Du bist mir zu teuer. Denk nur an das ganze Mehl, das du verbrauchst!“

„Aber Meister – ich habe nur gemacht, was Sie mir gesagt haben!“

Doch der Bäcker ließ sich nicht umstimmen. Er verwies Jack der Backstube und sagte, er solle nicht wiederkommen. Dann begleitete er ihn zur Tür, schloss sie hinter sich – und rieb sich zufrieden die Hände.

Jack war wie vor den Kopf gestoßen. Er hatte gedacht, der Meister sei mit ihm zufrieden gewesen. Enttäuscht machte er sich auf den Heimweg.

Noch bevor er die Stadt verlassen hatte, begegnete er dem Schlachtermeister Märke. Dieser erkannte ihn sofort und sprach ihn an:

„Hallo Jack – wie geht’s dir?“

„Wie soll es einem gehen, der gerade seine Arbeit verloren hat?“

„Was? Du hast deine Stelle verloren? Ich dachte, Meister Marfort war mit dir zufrieden – so hat er es immer erzählt.“

„Das habe ich auch geglaubt… aber wie man sieht“, sagte Jack und ließ den Kopf hängen.

Der Schlachtermeister überlegte kurz – und machte Jack einen Vorschlag:

„Hör mal – wie würde es dir gefallen, wenn du für mich arbeiten würdest?“

„Ja, warum nicht? Ich backe zwar keine Brote und Brötchen, aber du könntest bei mir lernen, wie man Wurst und Schinken macht. Außerdem würde dein Teller nie leer bleiben“, machte ihm Schlachtermeister Märke das Angebot schmackhaft. „Natürlich kann ich dir nicht so viele Taler zahlen wie der Bäckermeister Marfort, aber zwei Taler könnte ich dir schon geben“, fügte er hinzu.

„Ich weiß nicht, ich muss es mir noch mal überlegen“, antwortete Jack.

„Das kann ich verstehen. Doch solltest du dir zu lange Zeit lassen, musst du damit rechnen, dass die Stelle weg ist. Da fackel ich nicht lang – dann bekommt ein anderer die Stelle“, versuchte Schlachtermeister Märke, ihn unter Druck zu setzen.

Jack überlegte kurz und sagte schließlich zu. Er vereinbarte, dass er am nächsten Tag im Schlachthof erscheinen würde. Anschließend verabschiedete er sich vom Schlachtermeister und machte sich weiter auf den Heimweg. Als er zu Hause ankam, erzählte er die Neuigkeiten sofort seiner Mutter, doch die war nicht begeistert und sagte:

„Jack, du kannst doch jetzt nicht woanders anfangen! Ich dachte, du wolltest Bäcker werden – und nun willst du Schlachter werden?“

„Ach, Mutter, was soll ich denn machen? Meister Marfort kann mich doch nicht bezahlen. Er hat doch gesagt, dass ich zu viel koste. Ich kann doch froh sein, dass ich gleich eine neue Stelle gefunden habe“, sagte Jack.

Jacks Mutter hielt überhaupt nichts davon. Sie war der Meinung, dass er es lieber in einer anderen Stadt versuchen sollte. Sie glaubte, die Leute in ihrer Stadt wollten ihn nur ausnutzen. Doch Jack hörte nicht auf sie und machte sich am nächsten Morgen wie verabredet auf den Weg zum Schlachtermeister. Jeden Tag war er pünktlich, zeigte sich von seiner besten Seite und erledigte die ihm aufgetragenen Arbeiten. Tage vergingen, Wochen auch – doch meist musste Jack dieselben Arbeiten verrichten: Den Schlachtraum und den Hof aufräumen. Von dem, was sein Meister ihm versprochen hatte, lernte er wenig. Auch seinen versprochenen Lohn bekam er nicht. Schließlich sprach er seinen Meister darauf an.

„Meister, ich hätte da mal eine Frage.“

„Was gibt es denn, was willst du wissen?“

„Ich wollte fragen, wann ich meinen Lohn bekomme.“

„Ach Jack, ich wollte dich sowieso schon darauf ansprechen!“, antwortete der Meister und fügte hinzu: „Ich muss dir leider kündigen. Du bist mir zu teuer geworden! Ich kann und will dir die zwei Taler nicht zahlen. Weißt du eigentlich, was du in der Zeit, die du hier warst, alles verputzt hast? Das sind mehr als vier Taler!“

„Aber Meister, du hast doch gesagt, dass ich zwei Taler für meine Arbeit bekomme!“, sagte Jack traurig.

„Jack, du brauchst morgen nicht mehr zu kommen. Und jetzt verschwinde vom Hof!“

„Meister, warum?“ fragte Jack und flehte, er dürfe bleiben.

„Nein, auf keinen Fall! Sieh zu, dass du loskommst! Wenn du gleich immer noch hier bist, wirst du meinen Knüppel zu spüren bekommen!“, schrie der Schlachtermeister, verschwand in seine Schlachtstube und verschloss die Tür hinter sich.

Jack stand allein da und wusste nicht, was er tun sollte. Er setzte sich auf den Sandweg vor der Schlachterei. Nach Hause traute er sich nicht – dort müsste er seiner Mutter beibringen, dass er die Stelle verloren hatte. Er wusste ja, was sie sagen würde, denn sie hatte ihn gewarnt. Als Jack noch immer dort saß, kam zufällig der Schneidermeister vorbei und sprach ihn an:

„Hallo Jack, wie geht es dir? Machst du schon Pause?“

„Schön wär’s. Nein, ich mache keine Pause – mein Meister hat mich rausgeworfen“, antwortete Jack. „Ich war ihm zu teuer. Ich habe zu viel gegessen, und nun darf ich nicht mehr kommen.“

„Hm, das hört sich nicht gut an“, meinte der Schneidermeister und musterte Jack. Dann fragte er schließlich: „Was hältst du davon, wenn du bei mir arbeitest? Du würdest lernen, wie man feine Röcke und Beinkleider näht!“

„Ich soll bei Ihnen lernen?“ fragte Jack erstaunt und schaute ihn mit großen Augen an.

„Ja, warum nicht? Ich kann so einen fleißigen Burschen wie dich gut gebrauchen“, versuchte der Schneidermeister, es ihm schmackhaft zu machen.

„Aber Meister, ich habe doch keine Ahnung vom Nähen!“

„Ach Jack, das lernt man schnell! Du würdest drei bis vier Taler verdienen, und außerdem bekämst du neue Beinkleider“, versicherte der Schneidermeister und hoffte auf eine Zusage.

Jack war skeptisch. Er dachte an die Versprechungen seiner früheren Meister, die sich nie erfüllt hatten. Doch da der Schneidermeister nicht locker ließ, sagte Jack schließlich zu. Seine Mutter war erneut nicht begeistert, dass ihr Sohn nun Schneider werden wollte. Sie verstand nicht, warum er nicht merkte, dass ihn alle nur ausnutzten. Sie war sich sicher, dass er wieder keinen Lohn bekommen würde. Aber Jack hörte nicht auf sie und fing beim Schneidermeister an.

Wie zuvor war Jack jeden Morgen pünktlich in der Schneiderei und erledigte seine Aufgaben. Die Zeit verging, doch auch diesmal wartete Jack vergeblich auf seinen Lohn – ebenso auf die versprochenen Beinkleider. Als er seinen Meister darauf ansprach, wurde dieser ungemütlich:

„Jack, wofür soll ich dich denn bezahlen? Du hast doch nichts geleistet! Oder wo sind die Röcke und Beinkleider, die du genäht hast? Du solltest mir eher Taler zahlen für das, was du bei mir gelernt hast.“

„Aber Meister, Sie haben…“, begann Jack, doch der Meister unterbrach ihn grob:

„Ich will gar nicht mit dir diskutieren! Sieh zu, dass du vom Hof kommst, bevor ich Hans, den Gesellen, auf dich hetze. Hast du mich verstanden? Und morgen brauchst du hier nicht mehr zu erscheinen! So einen wie dich kann ich nicht gebrauchen – so einen faulen Burschen!“

„Aber Meister, ich habe doch immer meine Arbeit getan, wie Sie es wollten“, flehte Jack.

Doch all sein Bitten nützte nichts. Der Meister rief seinen Gesellen, und Jack wurde aus der Schneiderei geworfen. Draußen stand er nun ratlos – damit hatte er nicht gerechnet. Er wollte nicht gleich nach Hause gehen, also verließ er die Stadt und setzte sich auf eine Bank unter einer alten Linde.

Er bemerkte nicht, dass sich ein alter Mann zu ihm gesetzt hatte. Der Mann trug einen langen Wanderstab, an dessen Ende eine hässliche Fratze eingeschnitzt war. Er war ebenso ärmlich gekleidet wie Jack. Da Jack den Kopf hängen ließ, sprach ihn der alte, grauhaarige Mann an:

„Na, Jack? Schon wieder die Arbeit verloren – und jetzt weißt du nicht, wie du es deiner Mutter beibringen sollst?“

Jack hob den Kopf, drehte sich zu dem Fremden und fragte:

„Kennen wir uns? Wer sind Sie?“

„Ich bin ein Freund, der es gut mit dir meint“, antwortete der alte Mann. „Hat dich der Schneider auch ausgenutzt? Wieder kein Taler, stimmt’s?“

Jack schaute ihn misstrauisch an. Woher wusste der Mann das alles?

„Wer sind Sie wirklich? Woher kennen Sie mich?“

„Ach Jack, ich kenne dich schon lange. Mein Name ist Selfun – und ich will dir helfen.“

Jack blickte ihn noch ungläubiger an. Doch bevor er weiter fragen konnte, sagte Selfun:

„Wenn du willst, kannst du für mich arbeiten.“

Jack musterte den Mann von unten bis oben. Zuerst sagte er nichts. Dann antwortete er:

„Ich für dich arbeiten? Hast du dich mal angesehen? Du kannst dich ja kaum selbst kleiden!“

„Lass dich nicht täuschen, Jack! Kleidung sagt nichts über einen Menschen aus – auch nicht, ob er reich oder arm ist. Wenn du für mich arbeitest, hast du und deine Mutter immer etwas auf dem Teller.“

Jack wusste nicht, was er sagen sollte. Schließlich fragte er:

„Was muss ich denn tun?“

„Nicht viel. Jetzt, wo die Zeit der Dunkelheit beginnt, sollst du den Menschen in der Nacht den Weg nach Hause leuchten.“

„Den Weg leuchten? Wie denn? Ich habe doch keine Laterne!“

Kaum hatte er das gesagt, stand plötzlich eine Laterne neben ihm auf der Bank.

„Schau – eine Laterne hast du schon. Was du noch brauchst, ist dieser Sack“, sagte der alte Mann und reichte ihm ein kleines Säckchen. „Wenn du jemandem den Weg geleuchtet hast, öffnest du das Säckchen und forderst deinen Lohn.“

„Und wenn sie mir keinen Lohn geben wollen – was dann?“, wollte Jack wissen.

„Dann hebst du das Säckchen hoch und sprichst:

   Schnick schnack,   kein Kupferpfennig ist im Sack,   der Sack ist noch leer,   der Weg doch schwer.

Dann gehst du weiter und kommst am nächsten Morgen wieder hierher. Dann bekommst du von mir einen Silbertaler.“

„Wie, ich bekomme von Ihnen einen Silbertaler?“, fragte Jack noch einmal nach, denn er hatte gedacht, er hätte sich verhört.

Doch Jack hatte sich nicht verhört – es sollte so sein, wie der alte Mann es gesagt hatte: Jack sollte für jeden, der ihm den Kupferpfennig nicht geben wollte, einen Silbertaler bekommen. Jack wusste gar nicht, was er sagen sollte, doch schließlich war er damit einverstanden. Der fremde Mann übergab ihm die Laterne und das Säcklein, und Jack machte sich auf den Weg zurück in die Stadt.

Nachdem Jack losgelaufen war, schaute ihm der alte Mann noch hinterher. Über sein Gesicht legte sich ein unheimliches Grinsen, und er rieb sich die Hände. „Gut gemacht. Ich habe jemanden gefunden, der meine Arbeit verrichtet“, sagte er. Nachdem er das gesagt hatte, war er plötzlich wieder verschwunden – so wie er zuvor erschienen war.

Jack machte sich gleich auf den Weg und fragte unterwegs jeden, den er traf, ob er ihm den Weg nach Hause leuchten solle. Doch alle lehnten ab – es war ja auch noch zu hell. Als Jack so dahinschlenderte, kam ihm eine alte Dame entgegen. Er fragte sie, ob er ihr den Heimweg leuchten dürfe. Sie stimmte zu, und gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Als sie das Haus erreicht hatten, verlangte Jack seinen Kupferpfennig.

Die alte Dame schaute ihn nur an und sagte:„Warum sollte ich dir denn einen Viertel-Kupferpfennig geben? Du kannst doch froh sein, dass du mir den Weg leuchten durftest. Und jetzt schere dich!“

Nachdem sie das gesagt hatte, holte Jack das Säcklein aus seiner Hosentasche, hielt es in die Höhe und sprach:

Schnick schnack,

kein Kupferpfennig ist im Sack,

der Sack ist doch leer,

der Weg doch schwer.

Als Jack fertig war, steckte er das Säcklein wieder in die Hosentasche. Doch als er sich nach der alten Dame umschaute, war sie verschwunden. Was Jack nicht mitbekommen hatte: Die alte Dame hatte sich wieder in den alten Mann verwandelt, von dem Jack die Laterne bekommen hatte. Der Alte wollte Jack nur prüfen – er wollte sehen, ob er alles richtig machte.

Da es inzwischen dunkler geworden war, wollte Jack es erneut versuchen. Er ging zur Taverne, in der Hoffnung, dort jemanden zu finden, dem er den Heimweg leuchten konnte. Als er die Taverne erreicht hatte, öffnete er die Tür und trat ein. An einem Tisch saßen all seine ehemaligen Meister, für die er gearbeitet hatte. Sie tranken Bier und unterhielten sich. Als sie Jack in der Tür stehen sahen, lachten sie laut und machten sich über ihn lustig.

Der Bäckermeister fragte:„Was willst du denn hier? Willst du jetzt in der Taverne arbeiten?“

Jack schaute ihn nur an – im ersten Moment wusste er nicht, was er antworten sollte. Doch schließlich sagte er:„Nein, ich will hier nicht arbeiten. Ich leuchte in der Dunkelheit den Menschen den Weg nach Hause. Es kostet einen Viertel-Kupferpfennig.“

Als die Männer das hörten, begannen sie noch lauter zu lachen. Leise flüsterten sie untereinander, sodass Jack es nicht hören konnte. Schließlich sagte der Verwalter vom Gutshof:„Hör zu, Jack. Wenn du willst, kannst du mir den Heimweg leuchten. Dann verlaufe ich mich nicht.“

Er wandte sich wieder an die anderen Meister, grinste, zwinkerte ihnen zu und sagte:„Jack, du musst draußen noch ein wenig warten. Ich trinke nur mein Bier aus, dann komme ich.“

„Ist gut“, antwortete Jack und verließ die Taverne, um draußen zu warten.

Jack merkte gar nicht, dass sie sich über ihn lustig machten. Er freute sich zu sehr darüber, einen Kunden gefunden zu haben. Ungeduldig lief er draußen hin und her – es dauerte doch länger, als er gedacht hatte. Schließlich kam der Verwalter heraus, setzte sich auf sein Pferd und sagte:„So, Jack, nun leuchte mir den Weg nach Hause.“

Jack nahm die Zügel in eine Hand und hielt mit der anderen die Laterne. Er führte den Verwalter samt Pferd nach Hause. Er musste sich beeilen, denn der Verwalter trieb sein Pferd immer mehr an. Doch schließlich kamen sie beim Gutshof an. Jack sagte:„So, Sie sind zu Hause angekommen. Jetzt bekomme ich von Ihnen einen Viertel-Kupferpfennig.“

„Habe ich mich verhört? Du willst einen Kupferpfennig? Wofür denn?“, fragte der Verwalter scheinheilig. „Du bekommst von mir keinen Pfennig. Das Pferd hätte den Weg doch allein gefunden. Und jetzt verschwinde, oder ich lasse dich auspeitschen!“

Da Jack keinen Ärger wollte, drehte er sich um und verließ den Hof. Noch bevor er das Tor erreicht hatte, holte er sein Säcklein heraus und sagte:

Schnick schnack,

kein Kupferpfennig ist im Sack,

der Sack ist noch leer,

und der Weg war schwer!

Er ging weiter, ohne zu bemerken, was mit dem Verwalter geschehen war. Der war nämlich plötzlich vom Pferd gefallen, sofort gestorben und blieb reglos vor dem Stall liegen. Auch bemerkte Jack nicht, dass die Kerze in seiner Laterne kurz flackerte, ausging und gleich wieder anging – dabei wurde die Seele des Verwalters vom Licht eingesogen. Danach leuchtete die Laterne heller als zuvor. All das geschah in einem Wimpernschlag – und Jack bekam nichts davon mit.

Am nächsten Morgen tat Jack, was der alte Mann ihm aufgetragen hatte. Er ging zu jener Bank unter der alten Linde, wo er ihn kennengelernt hatte. Er wartete eine ganze Weile, wollte schon wieder gehen – doch schließlich erschien der Alte, wie zuvor, plötzlich und lautlos.

„Wohin so schnell, mein Freund?“, fragte der Alte.

„Ich mache mich jetzt auf den Weg nach Hause, meine Mutter wartet bestimmt schon!“, antwortete Jack.

„Willst du denn ohne deinen Lohn gehen? Willst du den Silbertaler nicht haben?“

„Woher weißt du, dass ich keinen Kupferpfennig bekommen habe? Ich habe doch noch gar nichts erzählt“, entgegnete Jack verwundert.

„Das brauchst du auch nicht – das sehe ich dir an der Nasenspitze an“, sagte der Alte und reichte Jack den Silbertaler.

Jack wusste gar nicht, was er sagen sollte. Stattdessen streckte er einfach die Hand aus und nahm den Taler entgegen. Seine Augen strahlten und funkelten – man hätte fast meinen können, es wären Sterne, so sehr freute er sich. Er drehte sich um und wollte sich gerade auf den Heimweg machen, da rief der Alte:

„He, Jack! Willst du nicht deine Laterne mitnehmen? Wie willst du denn den Leuten den Weg nach Hause leuchten und Kupferpfennige verdienen?“

„Ach ja, stimmt! Es tut mir leid!“, rief Jack und lief zurück.

Er nahm die Laterne an sich, verabschiedete sich vom alten Mann und machte sich, so schnell er nur konnte, auf den Weg zu seiner Mutter. Kaum hatte er ihre Hütte erreicht, da rief er schon:

„Mutter! Mutter! Komm schnell raus, ich habe etwas für dich!“

Als seine Mutter es vernommen hatte, kam sie sofort nach draußen gelaufen.

„Was ist denn, Jack? Warum soll ich rauskommen?“

„Schau doch mal, was ich hier habe!“, sagte er, als er neben ihr stand, und hielt den Silbertaler in die Höhe.

Seine Mutter staunte nicht schlecht, als sie den Taler sah. Erst wusste sie gar nicht, was sie sagen oder fragen sollte. Doch nachdem sie sich ein wenig gefasst hatte, fragte sie:

„Jack, woher hast du den? Du hast ihn doch nicht gestohlen?“

„Aber nein, Mutter! Ich habe ihn von meinem neuen Meister bekommen!“

„Wie – von deinem neuen Meister?“

„Ach, Mutter, das erzähle ich dir später. Jetzt mach dich schnell fertig – wir wollen dir neue Kleider machen lassen. Und ich bekomme auch einen neuen Rock und Beinkleider!“

Es dauerte nicht lange, und Jack lief zusammen mit seiner Mutter los. Sie machten sich auf den Weg zum Schneidermeister. Der Schneider staunte ebenfalls, als Jack mit seiner Mutter den Laden betrat. Zuerst wollte er ihn gar nicht bedienen, doch als er den Silbertaler sah, wurde er plötzlich katzenfreundlich und höflich.

Nachdem sie mit dem Ausmessen für die neuen Kleidungsstücke fertig waren, gingen Jack und seine Mutter weiter – zuerst zum Schlachter, dann zum Bäcker, um einzukaufen. Als sie alles erledigt hatten, machten sie sich wieder auf den Heimweg.

Unterwegs erzählte Jack seiner Mutter, wie es zu allem gekommen war und was er nun tun musste, um Silbertaler zu bekommen. Seine Mutter wusste nicht recht, was sie davon halten sollte. Doch solange es nichts Kriminelles war, hatte sie nichts dagegen, dass Jack den Leuten den Weg nach Hause leuchtete – auch wenn ihr das Ganze nicht ganz geheuer war.

Die beiden kamen erst sehr spät wieder zu Hause an. Kaum angekommen, sagte Jack:

„Mutter, ich muss gleich wieder los. Ich möchte meinen Meister ja nicht enttäuschen!“

„Musst du schon wieder gehen?“

„Ja, es muss sein!“, antwortete Jack, schnappte sich die Laterne und das Säcklein – und machte sich erneut auf den Weg.

Er verabschiedete sich von seiner Mutter und machte sich auf den Weg in die Stadt, denn dort wollte er ja den Leuten den Weg nach Hause leuchten. Jacks Mutter schaute ihm noch eine Weile nach und dachte darüber nach, welcher Meister seinem Burschen einen Silbertaler gibt, ohne dafür eine Leistung zu erhalten. Sie konnte es nicht begreifen.Da Jack noch Zeit hatte, bummelte er noch ein wenig, da es außerdem noch zu hell war. Doch als die Dunkelheit hereingebrochen war, stand er wieder vor der Taverne.

Jack war nicht der Einzige, der dort war. In der Taverne befanden sich auch schon der Schneider sowie die anderen vom Stammtisch. Auf der anderen Seite saß an einem Tisch der Gutsherr, denn er war wegen des Todes seines Verwalters in der Stadt, um etwas zu erledigen. Als er dort so saß und sein Glas Wein trank, fragte ihn der Bäckermeister, ob er wisse, wann sein Verwalter käme.

„Meine Herren, auf ihn brauchen Sie nicht mehr zu warten. Der wird hier nicht mehr herkommen – mein Verwalter ist tot“, antwortete er.„Wie tot?“, fragte der Schlachtermeister und war ganz sprachlos.„Wie tot? Das kann doch gar nicht sein! Er war doch gestern noch hier!“, meinte der Schneider.

Als sie sich noch so darüber unterhielten, kam auch Jack in die Taverne und wollte gerade etwas sagen. Doch dazu kam er nicht mehr, denn der Schneider rief sofort, als er ihn erblickte:„Der hat die Schuld! Der hat ihm den Weg nach Hause geleuchtet – also hat er auch damit etwas zu tun!“

„So ein Unsinn! Wieso sollte der Junge damit etwas zu schaffen haben? Mein Verwalter ist vom Pferd abgeworfen worden. Mein Stalljunge hat es gesehen und mir erzählt, dass der Verwalter das Pferd mit der Peitsche geschlagen hat“, erklärte der Gutsherr ihnen.

Da er sein Glas Wein ausgetrunken hatte, verabschiedete er sich und lief hinüber zur Tür. Dort angekommen fragte er Jack, ob er ihm nicht den Weg nach Hause leuchten wolle, was dieser natürlich gleich bejahte.Als die beiden auf dem Weg zum Gut waren, unterhielten sich der Gutsherr und Jack.

„Ich habe mal eine Frage – ich wollte wissen, wer nun für die Pacht zuständig ist?“, fragte Jack.„Wie für die Pacht?“, wollte der Gutsherr wissen, denn er wusste nichts von einer Pacht.„Ja, meine Mutter musste doch eine Pacht verrichten!“, erzählte Jack.„Davon weiß ich nichts. Wieso sollte sie denn eine Pacht verrichten? Die Hütte habe ich doch nicht erbaut – das war dein Vater. Und der hat sein Leben gelassen, als er für mich gearbeitet hat. Also könnt ihr so lange dort bleiben, wie ihr wollt – und das auch ohne Pacht“, sagte der Gutsherr.

„Wir mussten ja nur Pacht verrichten, da ich nicht bei Ihnen als Leibeigener arbeiten wollte. Ich wollte doch nur einen anderen ehrbaren Beruf erlernen“, erklärte Jack.„Ach Jack, mach dir keine Gedanken. Ich würde auch nicht gern Leibeigener sein – das hast du schon richtig gemacht.“

Die beiden hatten gar nicht bemerkt, dass sie schon am Gut angekommen waren. Als der Gutsherr es merkte, sagte er:„Oh, wir sind ja schon da! Na, dann will ich dir mal deinen Lohn geben.“

Der Gutsherr holte einen Kupferpfennig aus seiner Geldbörse, überreichte ihn Jack und verabschiedete sich von ihm. Jack machte sich anschließend auf den Weg in die Stadt, denn er wollte versuchen, noch jemandem den Weg nach Hause zu leuchten.Da er auf den Straßen niemanden mehr fand, machte er sich erneut auf den Weg zur Taverne.

Als er schließlich wieder dort angekommen war, öffnete er die Tür, trat ein und rief in den Raum hinein:„Guten Abend! Ist hier jemand, dem ich den Weg nach Hause leuchten soll?“

Da die meisten Gäste betrunken waren, kam keine Antwort. Also rief Jack es noch einmal. Erst jetzt meldete sich der Bäckermeister, torkelte von seinem Platz zu Jack und lallte:„Ja, Jack – mir kannst du den Weg leuchten, jawohl!“„Ist gut!“, antwortete Jack und wollte sich schon auf den Weg machen. Doch da sagte der Bäckermeister:„Augenblick, ich muss noch was holen!“

Nachdem er das gesagt hatte, drehte er sich um, lief zu seinem Tisch, holte seine Sachen und machte sich mit Jack auf den Weg. Der Bäckermeister war so betrunken, dass er fast gar nicht mehr laufen konnte, und torkelte zusammen mit Jack die Straße entlang. Es dauerte länger, da der Bäckermeister alle paar Meter irgendwo anlehnte und Pausen machte.

Schließlich hatte Jack es geschafft, ihn nach Hause zu bringen. Doch als er ihn nach dem Kupferpfennig fragte, antwortete dieser:„Was willst du? Einen Kupferpfennig? Du hast mir doch gar nicht den Weg richtig geleuchtet! Hast du nicht gesehen, dass ich vorhin beinahe gestolpert bin und gefallen bin? Nein – von mir bekommst du keinen Pfennig. Verschwinde bloß, sonst setzt es was!“

Da Jack keinen Ärger wollte, machte er sich wieder auf den Weg. Doch er holte sein Säcklein aus der Hosentasche und sprach den Spruch, so wie sein Meister es verlangt hatte. Er bekam nicht mit, dass auch der Bäckermeister umfiel, verstarb und nun tot vor der Tür lag. Ebenso wenig bemerkte er, dass dessen Seele – wie schon die des Verwalters – in die Flamme der Laterne gesogen wurde, wodurch das Licht heller wurde.

Die Einzige, die etwas mitbekam, war die Frau des Bäckers. Sie hörte ein Geräusch vor der Tür, lief hinaus und fand ihren Mann. Ohne zu ahnen, dass er tot war, sagte sie:„Na, musstest du wieder so viel saufen, bis du nicht mehr stehen kannst? Wenn es dir dort unten so gut gefällt, kannst du auch dort liegen bleiben.“Sie verschloss die Tür hinter sich und ging ins Bett.

Am nächsten Morgen lief Jack wieder zu dem Baum, wo sein Meister schon auf ihn wartete, und rief, als er ihn erblickte:„Fleißig, fleißig – auf dich kann man sich verlassen! Ich habe mit dir schon den Richtigen gefunden. Komm, Jack, hier hast du deinen Lohn.“Er reichte ihm wieder einen Silbertaler.

„Wieso gibst du mir denn schon wieder einen Silbertaler?“, fragte Jack.„Abgemacht ist abgemacht – und du hast gute Arbeit geleistet!“, antwortete der alte Mann.„Ja schon, aber ich habe doch schon einen Kupferpfennig erhalten“, meinte Jack und zeigte den Pfennig.„Das stimmt, aber du hast zwei Leuten den Weg geleuchtet und nur von einem einen Kupferpfennig bekommen!“, wies ihn der Alte hin.„Meister, wenn du mir einen Silbertaler gibst, dann hast du doch gar nichts davon!“, wunderte sich Jack.„Jack, nun geh endlich, mach dich auf den Weg nach Hause und gib den Taler aus“, forderte ihn der Alte auf.

Nachdem er das gesagt hatte, machte Jack sich auf den Weg. Als er zu Hause ankam, fand er seine Mutter im Garten. Er ging zu ihr und erzählte, was er erlebt hatte. Er berichtete auch, was der Gutsherr gesagt hatte und dass er einen Kupferpfennig erhalten hatte. Anschließend zeigte Jack seiner Mutter erneut den Silbertaler. Als sie ihn sah, sagte sie:„Jack, wieso hast du denn schon wieder einen Silbertaler von ihm bekommen?“„Mutter, das weiß ich auch nicht. Er hat ihn mir gleich gegeben, als ich bei ihm war. Ich wollte ihn auch nicht nehmen, doch er bestand darauf.“„Jack, ich weiß nicht – wer gibt jemandem einfach so einen Silbertaler, ohne selbst etwas davon zu haben?“, fragte sie.

Jack sagte nichts mehr, dachte aber darüber nach und nahm sich vor, der Sache auf den Grund zu gehen. Nachdem seine Mutter mit der Gartenarbeit fertig war, machten sie sich auf den Weg zum Schneider, um ihre neue Kleidung abzuholen. Jack war aber mit den Gedanken woanders, denn er dachte immer wieder an die Worte seiner Mutter und an die Silbertaler.

Als sie beim Schneider ankamen, rief dieser sofort:„Ach, wer kommt denn da – traust du dich eigentlich noch hierher, du Mörder?“

Jack und seine Mutter waren sprachlos, denn sie hatten noch nichts vom Tod des Bäckers gehört und wussten nicht, was der Schneider meinte. Daher fragte Jack:„Wieso Mörder?“„Ja, ein Mörder ist er! Oder stimmt es nicht?“, fragte der Schneider.

Jack stand stumm da, denn er wusste nicht, was er sagen sollte – er war ja kein Mörder, dachte er.„Findest du nicht, dass es komisch ist, dass immer die sterben, denen du den Weg nach Hause leuchtest?“, fragte der Schneider.„Was hat mein Sohn denn damit zu tun? Woran ist der Bäckermeister denn gestorben?“, wollte Jacks Mutter wissen.

Darauf konnte der Schneider keine Antwort geben. Er holte die Kleidung, die er für die beiden genäht hatte, und händigte sie aus. Dann machten sie sich auf den Heimweg.

Unterwegs sprach Jacks Mutter das Thema erneut an:„Jack, ich möchte nicht mehr, dass du den Leuten den Weg leuchtest!“„Mutter, warum denn nicht?“, fragte Jack.„Weil ich nicht will, dass du als Mörder bezeichnet wirst, nur weil sie ihr Leben versaufen und dann umkippen!“„Ach, Mutter, lass mich doch – ich tue es doch gern. Außerdem bekomme ich auch Geld dafür“, meinte Jack, um sie zu beruhigen.

Da ihr nichts mehr einfiel, schwieg sie. Zu Hause angekommen, machte sie etwas zu essen. Den Nachmittag verbrachten sie im Garten. Als Jack seine Mutter ansah, bemerkte er, dass es ihr nicht gut ging, und fragte:„Was ist, Mutter? Bist du krank?“„Wie kommst du denn darauf? Wieso sollte ich krank sein?“„Es sieht ganz so aus!“, meinte Jack und sah sie weiter an.„Nein, Jack, mir geht es gut. Du brauchst dir keine Sorgen machen. Ich lege mich gleich ein wenig hin, dann geht es wieder“, beruhigte sie ihn.„Also hast du doch etwas?“, fragte er – doch sie antwortete nicht mehr.

Nachdem er das gesagt hatte, machte sie sich schließlich auf den Weg in die Hütte. Sie legte sich auf das Reisig und deckte sich mit einer alten Wolldecke zu.Da Jack nun allein war, wusste er nicht so recht, was er tun sollte. Schließlich legte er sich auf die Bank, die dort stand, und dachte über den toten Bäckermeister nach. Er konnte nicht verstehen, warum der Bäckermeister gestorben war – genauso wenig wie der Verwalter vom Gutshof.

Während er so dalag, überlegte er weiter. Es kam ihm alles seltsam vor. Doch da er keine Erklärung fand, verdrängte er die Sorgen und genoss den Nachmittag, bis er einschlief.

Als er spät am Nachmittag wieder erwachte, machte Jack sich auf den Weg. Er wollte seiner Arbeit nachgehen und den Leuten in der Dunkelheit den Weg leuchten. Dieses Mal brach er etwas früher auf, denn er wollte mit seinem Meister sprechen.

Als Jack die alte Linde erreichte, war er zunächst allein. Er setzte sich auf die Bank und wartete. Nicht lange darauf stand sein Meister plötzlich neben ihm.

„Jack, was machst du hier? Willst du nicht den Leuten den Weg leuchten? Es wird doch schon langsam dunkel.“„Doch, Meister, das will ich ja. Aber ich habe eine Frage.“„Und was willst du wissen?“„Meister, ich komme nicht damit zurecht, dass die Leute sterben, nachdem ich ihnen den Weg geleuchtet habe!“„Wieso denn? Was kannst du dafür, dass sie sterben? Jack, mach dir keine Sorgen. Dass Menschen sterben, ist nun mal so – irgendwann ist jeder von uns dran.“„Ja schon, Meister, aber… warum passiert es immer, nachdem ich ihnen den Weg geleuchtet habe?“„Jack, mach dich nicht verrückt! Sieh lieber zu, dass du an deine Arbeit gehst. Du musst doch noch deine Taler verdienen!“

Jack grübelte zwar noch einen Moment, aber schließlich machte er sich wieder auf den Weg zur Taverne. Als er dort ankam, blieb er vor der Tür stehen. Er zögerte, drehte sich um und ging weiter. Er wollte nicht schon wieder jemanden aus der Taverne den Weg leuchten – er hatte damit ja schlechte Erfahrungen gemacht.

So lief er weiter durch die Straßen, in der Hoffnung, jemanden zu finden. Doch es war bereits dunkel, und Jack traf niemanden. Schließlich kehrte er doch zur Taverne zurück. Kurz bevor er sie erreichte, taumelte ihm der Kirchendiener entgegen.

„He, Junge, bist du nicht der, der den Leuten den Weg nach Hause leuchtet?“, lallte er.„Ja, warum?“ Jack hob die Laterne, um sein Gegenüber besser zu sehen.„Dann leuchte mir den Weg, damit ich nicht falle!“

Jack packte ihn am Arm, und gemeinsam taumelten sie durch die dunklen Straßen. Sie überquerten eine Brücke über einen Bach, als der Kirchendiener plötzlich sagte:„So, jetzt kann ich allein weiter. Du musst mich nicht begleiten.“„Sind Sie sicher, dass Sie es schaffen?“„Ja, warum nicht?“ Der Kirchendiener wollte schon losgehen, da rief Jack:„Ich bekomme doch noch einen Viertel-Kupferpfennig!“„Was? Bist du denn kein Christ? Wenn du einer bist, musst du auch mal etwas Gutes tun – also keinen Pfennig von mir nehmen!“ Und damit torkelte er davon.

Jack seufzte, holte sein Säckchen hervor, sprach seinen Spruch und steckte es wieder ein. Was danach geschah, bekam er nicht mit: Der Kirchendiener war zu nah an die Böschung geraten, abgerutscht, mit dem Kopf auf einen Stein geschlagen und im Bach ertrunken.

In dieser Nacht leuchtete Jack noch mehreren Leuten den Weg – diese bezahlten jedoch alle.

Am nächsten Morgen ging Jack zu seinem Meister, um seinen Silbertaler zu holen. Unterwegs begegneten ihm immer wieder Leute, die vom Unglück des Kirchendieners erzählten. Jack konnte es kaum glauben – er war doch sicher, ihn über die Brücke gebracht zu haben!

Als er an der alten Linde ankam, war der Meister noch nicht da. Jack setzte sich auf die Bank und grübelte weiter. Da stand der Meister plötzlich neben ihm.

„Was ist los mit dir? Du schaust schon wieder so komisch.“„Es ist… merkwürdig“, murmelte Jack.„Was ist merkwürdig? Du sprichst in Rätseln.“„Wieder ist jemand gestorben, dem ich den Weg geleuchtet habe.“„Ach, Jack! Du kannst doch nichts dafür, wenn der Kirchendiener zu dumm ist, den Rest des Weges zu finden und dann in den Bach fällt und ertrinkt.“

Jack stutzte. Er hatte dem Meister gar nicht gesagt, um wen es ging. Woher wusste er das?„Meister… woher wissen Sie das? Sie sind doch gerade erst gekommen.“„Jack, das ist doch egal. Nimm lieber deinen Silbertaler – den hast du dir verdient.“„Was soll ich mit dem Taler, wenn ein Mensch umgekommen ist?“„Jack, strapaziere nicht meine Nerven! Heute Abend gehst du wieder an die Arbeit – abgemacht ist abgemacht.“

Wortlos nahm Jack den Taler und machte sich auf den Heimweg. Nach ein paar Metern rief der Meister ihn zurück.„Jack, lass heute mal deine Laterne bei mir. Du kannst sie heute Abend abholen.“„Warum das?“„Ich will dir eine neue Kerze einsetzen – dann leuchtet sie heller.“

Jack zögerte, stimmte dann aber zu. Kurz vor seinem Haus fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, zu fragen, wann er die Laterne abholen sollte. Fluchend machte er sich wieder auf den Rückweg.

Als er die Linde fast erreicht hatte, bemerkte er, dass sein Schuh offen war. Er bückte sich – und sah, wie der Meister vor der Bank kniete, in die Laterne schaute und leise murmelte. In der Laterne schwebten helle Lichtgestalten um die Kerzenflamme – sie sahen aus wie der Bäckermeister, der Gutshofverwalter und die anderen, die Jack keinen Kupferpfennig gegeben hatten.

Jack blieb hinter einem Strauch verborgen und beobachtete die Szene, bis er sich laut bemerkbar machte und rief:„Meister, sind Sie noch hier?“

Sein Meister fuhr schlagartig hoch und schaute in die Richtung, aus der Jacks Rufen kam. Blitzschnell erloschen die Lichter in der Laterne, die zuvor gebrannt hatten – nun brannte nur noch die Kerze wie gewohnt. Da Jack sein Meister ihn nicht gleich sah, rief dieser:„Hier bin ich, Jack! Was willst du denn noch? Ich dachte, du bist auf dem Weg nach Hause?“

Als Jack wieder neben ihm stand, schaute er seinen Meister sprachlos an. Anschließend blickte er auf die Laterne, die auf der Bank stand, sagte jedoch nichts.„Was ist mit dir, kannst du nicht antworten?“, fragte sein Meister und musterte Jack.

Er ahnte bereits, dass Jack etwas mitbekommen hatte. Schließlich sagte Jack:„Doch, Meister, das kann ich.“„Und was willst du jetzt hier?“„Ach Meister, ich wollte nur mal fragen, wann ich die Laterne wieder abholen soll.“„Was ist das für eine dumme Frage! Das weißt du doch – bevor es dunkel wird, musst du sie wieder abholen. Oder wie willst du den Leuten sonst den Weg leuchten? Es ist aber gut, dass du gekommen bist. Ich wollte dir sowieso noch etwas sagen: Du musst dich mehr beeilen, um mehr Leuten den Weg zu leuchten. Du weißt doch, bald wird es wieder früher hell, und dann brauchen sie dich nicht mehr. Also sieh zu, dass du welche findest, die dir den Kupferpfennig nicht geben wollen.“„Wieso denn das?“, wollte Jack wissen.„Frag nicht, du Dummkopf! Tu einfach, was ich dir sage, und nimm deine Laterne. Zieh los – abgemacht ist abgemacht!“, fuhr ihn sein Meister zornig an.

Jack sagte nichts mehr, nahm die Laterne und machte sich auf den Weg. Unterwegs dachte er über das nach, was er gesehen und mitbekommen hatte. Er beschloss, niemandem mehr den Weg zu leuchten, der ihm nicht vorher den Kupferpfennig gab. Das funktionierte eine ganze Weile gut, doch sein Meister wurde immer zorniger, weil er keine Seelen mehr bekam und Jack auch nicht mehr zur alten Linde kam, um seinen Silbertaler zu holen.

Wenn Jack seine Arbeit beendet hatte, ging er nach Hause und schlief. Doch in seinen Träumen erschien ihm immer wieder sein Meister, der die Laterne und das Säcklein zurückverlangte. In einem Traum sah er sogar, wie sein Meister seine Mutter mitnahm und auch sie in der Laterne gefangen war. Jack wachte jedes Mal schweißgebadet auf.

Er wusste, dass er sich etwas einfallen lassen musste, um sich und seine Mutter von seinem Meister zu befreien. Mittlerweile war ihm klar, dass sein Meister nicht von dieser Welt war.

Eines Tages fasste Jack einen Plan. Er machte sich auf den Weg zur alten Linde. Zunächst war er allein dort, doch plötzlich rief eine Stimme:„Wo willst du hin? Hast du unsere Abmachung vergessen? War ich nicht immer ein guter Meister für dich? Habe ich nicht mein Wort gehalten? Ich sollte dich in die Laterne verdammen, du undankbare Kreatur!“„Meister, ich bin dir nicht undankbar, aber ich kann keinen Menschen vom Leben in den Tod bringen.“„Wir hatten eine Abmachung!“, schrie sein Meister und stampfte mit dem Fuß auf, sodass die alte Linde erzitterte.„Meister, ich weiß. Aber ich kann nicht anders.“„Was bist du nur für einer? Waren dir meine Taler etwa nicht gut genug?“„Doch, waren sie. Aber …“, begann Jack, doch sein Meister fiel ihm ins Wort:„Jack, gib mir meine Laterne und das Säcklein zurück, du unnützer Bengel!“

Jack hatte jedoch nur die Laterne bei sich – genau so, wie er es geplant hatte.„Ich kann dir nur die Laterne geben. Das Säcklein habe ich zu Hause vergessen. Es tut mir leid, Meister.“„Wie, du hast das Säcklein nicht bei dir? Verdammt, es gehört mir!“, schrie er und stampfte erneut, sodass der Boden bebte.„Meister, wenn du willst, kann ich dir den Weg zu meinem Haus leuchten, und dort bekommst du sowohl das Säcklein als auch die Laterne“, schlug Jack vor.

Der Meister überlegte kurz und stimmte zu. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg, während Jack mit der Laterne leuchtete.

Bald erreichten sie die Hütte. Sofort schrie sein Meister:„So, und nun hol mir mein Säcklein, dann bekommst du deinen Lohn!“

Jack holte das Säcklein und trat wieder hinaus. Bevor sein Meister etwas sagen konnte, fragte Jack:„Meister, bekomme ich jetzt noch einen Kupferpfennig von dir?“„Was soll das? Du weißt doch, dass ich keinen habe! Du bekommst keinen!“, brüllte er.

Blitzschnell schüttelte Jack das Säcklein, sprach seinen Spruch – und ehe sich der Meister versah, war er im Licht der Laterne gefangen. Zurück blieben nur seine Kleider.

Jack stellte die Laterne vor sich, blickte ins Licht und sagte:„So ist es – jeder bekommt am Ende, was er verdient. Ab heute kommen alle gesund nach Hause.“

Dann öffnete er ein Stück die Laterne, pustete das Licht aus und verschloss sie. Als er die Kleidung seines Meisters wegräumen wollte, entdeckte er darunter einen großen Haufen Silbertaler. Jack behielt das Geld nicht, sondern verschenkte es in der Stadt an die Armen. Danach begann er auf dem Gut zu arbeiten und lebte mit seiner Mutter weiterhin in der kleinen Hütte am Waldrand.