Nur ein Hauch Glückseligkeit - Diane von Hohenberg - E-Book

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Diane von Hohenberg

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. In den Straßen der Leinenstadt am Teutoburger Wald setzte bereits der übliche Autoverkehr ein, als sich die hübsche, junge Krankenschwester Gisela Lühnen auf den Tagdienst vorbereitete. Während sie ihr frisch gestärktes blütenweißes Häubchen auf dem goldblonden Lockenkopf befestigte, wanderten ihre Gedanken zu der liebenswürdigen Komteß von Reedberg. Wie oft hatte Schwester Gisela in den letzten Wochen am Bett der Siebzehnjährigen gesessen und ihr über die langen Nachtstunden hinweggeholfen. Auf den besonderen Wunsch des Professors, der ein alter Freund der gräflichen Familie von Reedberg war, hatte man Gisela mit der Nachtwache beauftragt. Ihres schwachen Herzens wegen, das die zarte Komteß Ariane mit auf die Welt gebracht hatte, mußte man auf Schlafmittel jeder Art verzichten. Es gab so vieles, worauf die junge Komteß mit den langen kastanienbraunen Haaren verzichten mußte. Da Arianes Mutter bei ihrer Geburt gestorben war und auch ihr Vater vor fünf Jahren das Zeitliche gesegnet hatte, wachte ihr weitaus älterer Bruder Peter mit fürsorglicher Liebe über das Leben seiner jungen Schwester. Doch als er an einem strahlendschönen Julimorgen in Bielefeld zu tun hatte, war es der zierlichen Komteß gelungen, ihres Bruders Reitpferd aus dem Stall zu holen und nach langer Zeit durch den Wald zu reiten. Den Reitunterricht hatte ihr noch der verstorbene Vater erteilt, der auf dem Standpunkt stand, daß Reiten nun einmal zum guten Ton gehörte. Graf Peter hatte es seiner Schwester später nur noch ganz selten erlaubt und nur in seiner Begleitung. Ihren Ungehorsam mußte Komteß Ariane auch prompt mit einem komplizierten Beinbruch und einigen Blutergüssen, die sie sich bei dem Sturz vom Pferd zugezogen

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Fürstenkrone – 109–

Nur ein Hauch Glückseligkeit

Graf Peters Liebe stand unter keinem guten Stern

Diane von Hohenberg

In den Straßen der Leinenstadt am Teutoburger Wald setzte bereits der übliche Autoverkehr ein, als sich die hübsche, junge Krankenschwester Gisela Lühnen auf den Tagdienst vorbereitete.

Während sie ihr frisch gestärktes blütenweißes Häubchen auf dem goldblonden Lockenkopf befestigte, wanderten ihre Gedanken zu der liebenswürdigen Komteß von Reedberg.

Wie oft hatte Schwester Gisela in den letzten Wochen am Bett der Siebzehnjährigen gesessen und ihr über die langen Nachtstunden hinweggeholfen.

Auf den besonderen Wunsch des Professors, der ein alter Freund der gräflichen Familie von Reedberg war, hatte man Gisela mit der Nachtwache beauftragt.

Ihres schwachen Herzens wegen, das die zarte Komteß Ariane mit auf die Welt gebracht hatte, mußte man auf Schlafmittel jeder Art verzichten.

Es gab so vieles, worauf die junge Komteß mit den langen kastanienbraunen Haaren verzichten mußte.

Da Arianes Mutter bei ihrer Geburt gestorben war und auch ihr Vater vor fünf Jahren das Zeitliche gesegnet hatte, wachte ihr weitaus älterer Bruder Peter mit fürsorglicher Liebe über das Leben seiner jungen Schwester.

Doch als er an einem strahlendschönen Julimorgen in Bielefeld zu tun hatte, war es der zierlichen Komteß gelungen, ihres Bruders Reitpferd aus dem Stall zu holen und nach langer Zeit durch den Wald zu reiten.

Den Reitunterricht hatte ihr noch der verstorbene Vater erteilt, der auf dem Standpunkt stand, daß Reiten nun einmal zum guten Ton gehörte. Graf Peter hatte es seiner Schwester später nur noch ganz selten erlaubt und nur in seiner Begleitung.

Ihren Ungehorsam mußte Komteß Ariane auch prompt mit einem komplizierten Beinbruch und einigen Blutergüssen, die sie sich bei dem Sturz vom Pferd zugezogen hatte, bezahlen.

Das und vieles, was mit dem Gut, auf dem die junge Komteß aufgewachsen war, zu tun hatte, erzählte sie der aufmerksamen Schwester Gisela in den warmen Sommernächten, in denen Komteß Ariane oft erst in den letzten Morgenstunden ein klein wenig Schlaf fand.

Die Gespräche der einen und die Hilfsbereitschaft der anderen hatten die Standesunterschiede zwischen den jungen Mädchen verwischt.

Nachdenklich blickte Schwester Gisela, die heute zum ersten Mal wieder zum Tagdienst eingeteilt worden war, ihr Spiegelbild an.

Die Schwesterntracht, auf die sie so stolz war, sah sie heute gar nicht.

Gisela Lühnen dachte an den Grafen Peter von Reedberg, der ihr mit Blumen und Konfekt seine Dankbarkeit bewies, den sie aber noch nie gesehen hatte. Sie hörte nur, wie die anderen Schwestern von dem blendend aussehenden Bruder der kleinen Komteß schwärmten.

Doch dann schüttelte die junge Schwester die Gedanken von sich ab, strich eine vorwitzige Locke aus der hohen Stirn und trank im Vorübergehen von dem inzwischen ein wenig abgekühlten starken Kaffee.

Während sie zum Haus 5 hinüberging, versuchte sie, sich auf ihre Pflichten zu konzentrieren.

Mit schnellen Schritten eilte sie die frisch gebohnerten Treppen hinauf.

Gisela erkundigte sich, wie die Patientinnen die Nacht verbracht hatten.

»Und wie geht es der Komteß von Reedberg?« wollte Schwester Gisela wissen. »Ist der Streckverband noch in Ordnung?«

»Die Komteß erträgt ihr Leiden mit bewundernswerter Geduld«, antwortete die Gefragte versonnen. »Wenn ich dagegen an meine anderen Patientinnen denke, die wegen jeder Kleinigkeit klagen…«

»Sie haben meine Frage nicht beantwortet, Schwester Erika«, sagte Gisela ungeduldig und wiederholte sie.

»Komteß von Reedberg fühlt sich den Umständen entsprechend gut«, erklärte Schwester Erika, die sich nach ihrem Bett sehnte. »Sooft ich zu ihr ins Zimmer trat, fand ich sie schlafend.«

Danach klärte sie Gisela noch kurz über die anderen Patientinnen auf und überreichte ihr deren Krankenberichte.

*

Während sich die jungen Mädchen im Schwesternzimmer unterhielten, gelangte Peter Graf von Reedberg mit weit ausholenden Schritten ungesehen durch die Abteilung und klopfte leise an die Tür mit der Nummer 7.

Auf das leise »Herein«, das ein wenig erstaunt klang, betrat der ungewöhnlich große Mann das Zimmer seiner Schwester.

Ehe die junge Komteß etwas sagen konnte, legte ihr Graf Peter einen Strauß taufrischer leuchtendroter Rosen auf die Bettdecke.

»Die gesamte Dienerschaft von Gut Reedberg entbietet dir hiermit ihre besten Genesungswünsche«, erklärte er humorvoll. »Denen ich mich von ganzem Herzen anschließe.«

Damit beugte sich Graf Peter über das blasse schmale Gesicht seiner kleinen Schwester und küßte behutsam ihre Stirn.

»Bestell der Belegschaft«, entgegnete Ariane mit schelmischem Lächeln, »daß ich mich sehr über die herrlichen Rosen und die Grüße gefreut habe.«

Obgleich beide wußten, daß das Ganze nur ein Scherz war – denn eine Dienerschaft gab es schon lange nicht mehr im Herrenhaus –, spielten sie dieses Spiel immer wieder.

Außer den drei Getreuen – Luise, Arianes früherem Kindermädchen, das jetzt sozusagen Mädchen für alles war, dem Diener Theo und dem alten Gärtner Florian – hatten alle anderen das Gut längst verlassen.

Es stand schlecht um Gut Reedberg, das wußten die Geschwister.

Es schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein, wie lange der tatkräftige Peter, dem keine Arbeit zuviel wurde, den uralten Familienbesitz noch halten konnte.

Trotz seiner Sorgenlast versuchte er seiner Schwester das Leben so schön wie möglich zu gestalten und ihr stets mit frohem Gesicht zu begegnen.

»Wunderst du dich gar nicht, daß ich so früh hier bei dir eingedrungen bin?« Graf Peter hatte sich inzwischen neben dem Bett niedergelassen und ein Paket ausgewickelt. »Luise hat mir frische Wäsche für dich mitgegeben«, fügte er erklärend hinzu und verstaute sie in Arianes Nachtschränkchen.

»Die gute Luise«, meinte sie versonnen. »Sag ihr, daß ich mich gefreut habe, Peter. Jetzt aber zu dir. Weshalb bist du so früh hergekommen?«

Fragend blickten die braunen Augen mit den Goldpünktchen zu ihrem großen Bruder auf, der ganz zart die durchscheinend blassen Hände seiner kleinen Schwester streichelte.

»Weil ich am Tage nicht mehr dazu komme, nach meinem kranken Spätzchen zu sehen«, sagte Peter zärtlich. »Wir stecken doch mitten in der Ernte.«

»Du sagst wir?« unterbrach ihn Komteß Ariane. »Hast du denn Hilfskräfte organisieren können?«

»Gewiß, du kleines Dummchen«, lächelte ihr Bruder. »Allein würde ich die Arbeit wohl kaum schaffen. Das mußt du doch noch vom letzten Jahr wissen. Einige unserer früheren Leute haben…«

In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet, und eine klare Stimme sagte freundlich: »Guten Morgen, Komteß Ariane… Oh, Verzeihung! Ich wußte nicht, daß Sie schon so früh Besuch…«

Vor dem Blick der aufleuchtenden grauen Augen stockte Schwester Gisela und hätte fast ihren Stapel Bettwäsche fallen lassen, doch da sprang der große Mann mit dem vollen dunklen Haar und dem markanten Gesicht schon auf, nahm ihr den Wäschestapel ab und legte ihn auf einen abseits stehenden Tisch.

»Vielen Dank.« Sekundenlang ruhte Blick in Blick. Das sonst so beherzte junge Mädchen senkte verlegen die langen dunklen Wimpern, als sich Peter Graf von Reedberg ihr rasch wieder zuwandte.

Ein verzaubertes Schweigen umgab die beiden.

Bis Komteß Ariane, der die ineinanderversunkenen Blicke nicht entgangen waren, das Schweigen brach.

»Jetzt kann ich dir endlich meinen guten Engel vorstellen«, wandte sie sich an ihren Bruder, der leicht zusammenfuhr. »Das ist Schwester Gisela. Ich habe dir ja so viel von ihr erzählt, daß du sie wohl auch ohne meinen Hinweis erkannt hast.« Und zu dem jungen Mädchen gewandt, meinte Ariane lächelnd: »Mein lieber Bruder Peter ist wohl kaum zu übersehen.«

Spontan drückte dieser die kleine feste Mädchenhand.

»Ich freue mich, Sie endlich kennenzulernen, Schwester Gisela.« Der sonore Klang seiner Stimme ließ Giselas Herz höher schlagen. »Ich danke Ihnen, daß Sie meiner kleinen Ariane so liebevoll zur Seite stehen.«

»Ich tu doch nur meine Pflicht«, erwiderte Gisela. »Allerdings muß ich gestehen, daß ich Ihre Schwester sehr ins Herz geschlossen habe. Im übrigen bedanke ich mich für Ihre Geschenke, Herr Graf.«

»Ach, keine Ursache«, wehrte dieser ab. »Ich bedaure nur, daß ich Ihnen heute keine Blumen mitgebracht habe. Aber es mußte vorhin alles so schnell…«

»Mach dir keine Sorgen, Peter«, fiel ihm Komteß Ariane ins Wort. »Die Hälfte von den Rosen bekommt Schwester Gisela.«

Da half kein noch so heftiges Sträuben. Was sich die junge Komteß in den Kopf setzte, das wurde auch ausgeführt.

Schwester Gisela stellte zunächst die Rosen ins Wasser. Dann meinte sie: »So leid es mir tut, Herr Graf, aber ich muß Sie jetzt bitten, das Feld zu räumen. Ich nehme an, daß Sie Verständnis dafür haben.«

»Aber natürlich.« Graf Peter wachte aus seiner Versunkenheit und verabschiedete sich mit einem Kuß von Ariane. Die Hand der jungen Schwester hielt er länger als üblich in der seinen. »Ich hoffe, Sie jetzt öfter zu sehen, Schwester Gisela«, sagte er leise und blickte ihr noch einmal in die klaren blauen Augen.

*

Als die Winterstürme an den grünen Fensterläden des alten Herrenhauses rüttelten und das Weihnachtsfest nicht mehr fern lag, ließ Professor von Selchmann den Grafen zu sich bitten.

Komteß Ariane, die jetzt schon an Krücken humpeln konnte, saß in einem bequemen Sessel und sah ihren Bruder fragend an.

»Was mag der Professor von dir wollen?« meinte sie verwundert, als Schwester Gisela die Tür hinter sich zugezogen hatten. »Ob ich zu Weihnachten nach Haus kommen darf?«

»Darüber wird er sicher mit mir sprechen wollen«, gab Graf Peter zu.

»Ein schöneres Weihnachtsgeschenk kann mir niemand machen. Gut, daß Schwester Gisela mir gleich Gesellschaft leistet. Dann fällt mir das Warten auf deine frohe Botschaft nicht so schwer.«

»Tu mir den Gefallen, Kleines«, bat ihr Bruder, »versteif dich nicht allzu sehr darauf, daß du zu Weihnachten entlassen wirst. Die Enttäuschung würde deinem Herzen schaden.«

»Ich verstehe nicht«, antwortete Komteß Ariane siegessicher, »daß du plötzlich ein solch großer Pessimist geworden bist. Du wirst sehen, daß ich recht habe. Professor von Selchmann hat sich diese Überraschung für dich aufgehoben.«

Übermütig schwenkte sie eine ihrer Krücken.

In diesem Augenblick betrat Schwester Gisela wieder das Zimmer.

Verwundert sah sie von einem zum anderen.

»Ich freue mich, Sie so glücklich zu sehen, Komteß«, wandte sich Schwester Gisela an Ariane. Ihre Stimme hat heute abend aber einen seltsam rauhen Klang, überlegte Graf Peter nachdenklich. Ob sie weiß, weshalb der Professor mit mir sprechen will?

Aus einem unerfindlichen Grund war ihm nicht wohl bei dem Gedanken an das bevorstehende Gespräch.

Er war so mit dem, was auf ihn zukommen würde, beschäftigt, daß er gar nicht zuhörte, was die jungen Mädchen sich zu erzählen hatten.

»Das findest du doch auch, nicht wahr, Peter?« klang plötzlich die fröhliche Stimme Arianes an sein Ohr.

»Entschuldige Kleines«, bat er verstört, »aber ich weiß nicht, wovon du sprichst.«

»Lassen Sie nur, Komteß Ariane«, sagte Schwester Gisela reserviert. »Ich habe an den Weihnachtstagen sowieso Dienst.«

Jetzt ging dem Grafen ein Licht auf.

Ariane hatte die junge Schwester Gisela zum Fest eingeladen. Und da Peter keine Ahnung hatte, wovon sie sprachen, und das auch noch zum Ausdruck brachte, fühlte er, wie enttäuscht Gisela sein mußte.

»Wenn ich Sie herzlich bitte, Schwester Gisela«, versuchte er seine Unachtsamkeit wiedergutzumachen, »würden Sie es auch dann nicht möglich machen können, uns an einem der Feiertage zu besuchen?«

Der innige Blick seiner grauen Augen verwirrte die junge Schwester so sehr, daß sie schließlich sagte: »Ihrer Schwester zuliebe, Herr Graf, werde ich versuchen, für den zweiten Feiertag eine Vertretung zu finden. Vorausgesetzt, daß Herr Professor Selchmann Ihre Schwester nach Hause schickt. So«, meinte sie mit einem Blick auf ihre Armbanduhr, »ich glaube, Professor von Selchmann erwartet Sie, Herr Graf.«

»O ja, Sie haben recht«, sagte er. »Ich möchte unseren guten Professor nicht warten lassen.«

*

Die große wuchtige Gestalt mit dem schlohweißen Haar erkannte Graf Peter schon von weitem.

»Sorgen Sie dafür«, hörte er den Professor zu einer älteren Schwester sagen, »daß ich in der nächsten Stunde nicht gestört werde. Ist das klar, Schwester Mechthild?«

»Selbstverständlich, Herr Professor«, antwortete die Schwester ein wenig unsicher. »Aber Frau Direktor Adenberg möchte mit Ihnen noch über Ihre Entlassung sprechen.«

»Das hat Zeit«, entgegnete der Arzt unmutig. »Haben Sie sonst noch etwas? – Ah, da sind Sie ja schon«, wandte er sich dem jungen Gutsbesitzer zu und reichte ihm die Hand. »Kommen Sie, Graf von

Reedberg, machen wir es uns bequem.«

Der Ältere führte den Grafen in einen behaglich eingerichteten Nebenraum, in dem nichts von der üblichen Krankenhausatmosphäre zu spüren war.

»Ich bin sehr gespannt, warum Sie mich herbestellt haben, Herr Professor«, sagte er freundlich. »Kann ich meine Schwester zu Weihnachten nach Hause holen?«

Professor von Selchmann nahm seine Hornbrille ab, legte sie vor sich auf die Tischplatte und rieb sich die Augen.

»Natürlich dürfen Sie die kleine Komteß Weihnachten nach Hause haben, mein junger Freund«, entgegnete der Professor.

»Sie sehen mich so ernst an, Herr Professor«, unterbrach Graf Peter ihn irritiert. »Ist mit Ariane etwas nicht in Ordnung?«

Voll innerer Unruhe wartete Graf Peter auf das, was ihm der Professor zu sagen hatte.

»Bitte, Herr Professor«, seine Stimme klang rauh, »Sie brauchen mich nicht zu schonen. Wie Sie wissen, lasten schon so viele Sorgen auf meinen Schultern, daß…«

»Eben«, fiel ihm der weißhaarige Professor ins Wort und stellte sein Glas behutsam auf den Tisch. »Darum fällt es mir so schwer, Ihnen noch mehr aufzuladen.« Nachdenklich blickte er auf seine Schuhspitzen.

Peter Graf von Reedberg schlug seine langen Beine übereinander und beugte sich vor.

Jeder Muskel seines Gesichtes war gespannt.

»Ist es denn etwas so Schlimmes?« Nur mühsam kam die Frage über seine Lippen.

Professor Rudolf von Selchmann richtete sich auf und schob die Fingerspitzen seiner schmalen Hände über seine Lippen.

»Wie man es nimmt«, erwiderte er zögernd. »Für ein so hübsches junges Mädchen wie Ihre Schwester ist es schlimm genug.«

»Sie sprechen in Rätseln, Herr Professor«, antwortete Graf Peter ungeduldig.

»Um es deutlicher zu sagen«, erklärte der Ältere, »es ist uns leider nicht gelungen, dem Bein Ihrer Schwester die gleiche Länge wie dem des anderen zurückzugeben. Es wird drei Zentimeter kürzer bleiben, als es früher war. Der Bruch war so kompliziert. Ich werde es Ihnen nachher auf dem Röntgenbild erklären. Aber vorher lassen Sie uns noch einen Kognak trinken, mein Junge.«

Niedergeschlagen hatte der junge Gutsbesitzer dem Professor zugehört.

Ein Krüppel also, dachte er. Sie hat doch ohnehin nicht viel vom Leben.

Auf all das, was andere Mädchen ihres Alters glücklich macht, muß mein kleiner Spatz verzichten. Wie soll ich ihr dieses Unfaßliche nur beibringen?

»Sind Sie sicher, daß sich daran nichts mehr ändern läßt?« Fragend blickten seine grauen Augen zu dem Professor auf.

Nachdenklich stellte dieser den Kognakschwenker auf den Tisch. »Ich glaube kaum«, meinte er, »daß ich Ihnen Hoffnung machen kann. Vergessen Sie nicht, wie schwach das Herz Ihrer Schwester ist. Eine erneute Operation könnte lebensgefährlich sein.«

Schweigend tranken sie einander zu.

»Kann man denn gar nichts tun, um zunächst einmal Arianes Herz zu kräftigen?« fragte Graf Peter verzweifelt.