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Ich war nicht immer ein Monster. Es gab einmal eine Zeit, da hatte ich eine Familie, ein Zuhause, Träume. Bis mir das alles genommen wurde und ich in eine Kreatur verwandelt wurde, die nur der Teufel lieben konnte – verflucht mit Blutdurst und Unsterblichkeit. Ich verbrachte ein Jahrhundert in einem isolierten Kloster, wo ich lernte, meine monströsesten Triebe zu kontrollieren. Es ging mir so gut. Ich war fast … menschlich. Bis ich sie traf. Larimar, die verführerische Sirene, die sich mir versprach, bevor sie aus meinen Fängen entkam. Jetzt bin ich besessen davon, Larimar aufzuspüren, und schließe mich einer berüchtigten Piratencrew auf ihrem Schiff, der Nightwind, an, um sie zu finden. Ich weiß nicht, was ich tun werde, wenn ich sie finde. Aber ich weiß, dass sie mir gehört. Und dass ich wieder zu einem Monster werde.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Karina Halle
Ocean of Sin and Starlight
Übersetzt von Lara Gathmann
Ocean of Sin and Starlight
Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel
»Ocean of Sin and Starlight«.
Copyright © 2024 by Karina Halle
Copyright © 2025 German translation by VAJONA Verlag GmbH
Published in agreement with the author,
c/o BAROR INTERNATIONAL, INC., Armonk, New York, U.S.A.
Übersetzung: Lara Gathmann
Korrektorat: Anne Masur und Dejana Fulurija
Umschlaggestaltung: Stefanie Saw
Satz: VAJONA Verlag GmbH, Oelsnitz
VAJONA Verlag GmbH
Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3
08606 Oelsnitz
Für die Leser*innen, die ihre Männer ungezähmt, ihre Frauen wild und ihre Fantasien dunkel mögen.
Playlist
»Grace« – (+++) Crosses
»Mermaids« - Hans Zimmer
»Goodnight, God Bless, I Love U, Delete« – (+++) Crosses
»Last Rites« – (+++) Crosses
»Holier« – (+++) Crosses
»Thholyghst« – (+++) Crosses
»Bitches Brew« – (+++) Crosses
»Cross« – (+++) Crosses
»Death Bell« – (+++) Crosses
»The Line Begins to Blur« – NIN
»Discipline« – NIN
»Right Where it Belongs« – NIN
»The Hand That Feeds« – NIN
»Various Methods of Escape« – NIN
»Find My Way« - NIN
»God Given« – NIN
»Capital G« – NIN
»Sanctified« – NIN
»Sin« – NIN
»Heresy« – NIN
»La Mer« – NIN
»Help Me I Am in Hell« – NIN
»The Albatross« – Taylor Swift
»Guilty as Sin?« – Taylor Swift
»Judas« – Banks
»Ocean Eyes« – Billie Eilish
»Hostage« – Billie Eilish
»No Time to Die« – Billie Eilish
»Should Be Higher« – Depeche Mode
»Heaven« – Depeche Mode
»Before We Drown« – Depeche Mode
»The Sinner in Me« – Depeche Mode
»Mercy in You« – Depeche Mode
»In Chains« – Depeche Mode
»Halo« – Depeche Mode
»Last Cup of Sorrow« – FNM
»Ashes to Ashes« – FNM
»King for a Day« – FNM
»The Tradition« – Halsey
»Bells in Santa Fe« – Halsey
»Devil in Me« – Halsey
»Way down We Go« – Kaleo
»Hallowed Ground« – How to Destroy Angels
»A Drowning« – How to Destroy Angels
»Going to Heaven« – The Kills
»Kingdom Come« – The Kills
»God Games« – The Kills
»Still Don’t Know My Name« – Labrinth
»Babel« – Massive Attack
»Angel« – Massive Attack
»Nocturne« – Mark Lanegan
»Spell« – Nick Cave and the Bad Seeds
»Messiah Ward« – Nick Cave and the Bad Seeds
»Lovely Creature« – Nick Cave and the Bad Seeds
»Do You Love Me?« – Nick Cave and the Bad Seeds
»I Let Love In« – Nick Cave and the Bad Seeds
»Loverman« – Nick Cave and the Bad Seeds
»The Vampyre of Time and Memory« – QOTSA
»I Appear Missing« – QOTSA
»Someone’s in the Wolf« – QOTSA
»Un-Reborn Again« – QOTSA
»Fortress« – QOTSA
»Villains of Circumstance« – QOTSA
»God Hates a Coward« – Tomahawk
»Somebody’s Sins« – Tricky
»Nothing Matters« – Tricky (feat. Nneka)
»Atlantic« – Sleep Token
»High Water« – Sleep Token
»The Night Does Not Belong to God« – Sleep Token
»Dark Signs« – Sleep Token
»Gods« – Sleep Token
»The Summoning« – Sleep Token
»Aqua Regia« – Sleep Token
»Take Me to Church« – Hozier
»Son of Nyx« – Hozier
»Foreigner’s God« – Hozier
»First Light« – Hozier
(Besucht mich auf Spotify!)
Anmerkung der Autorin
Dieses Buch ist ein eigenständiges Buch, aber gleichzeitig auch ein Spin-off von A Ship of Bones and Teeth. Wenn du dieses Buch liest, ohne ASOBAT gelesen zu haben, wirst du es trotzdem verstehen. Wenn du allerdings vorhast, A Ship of Bones and Teeth zu lesen, empfehle ich dir, es zuerst zu lesen und dann zu diesem Buch zurückzukehren, da Ocean of Sin and Starlight viele Spoiler für ASOBAT enthält (und du musst unbedingt blind in ASOBAT einsteigen!). Und nur damit du Bescheid weißt: A Ship of Bones and Teeth ist eine Nacherzählung von Die kleine Meerjungfrau. Dieses Buch ist keine Nacherzählung. Es handelt allerdings von Vampyren, Hexen, Piraten und Meerjungfrauen.
(Da wir gerade von Vampyren sprechen: Es hat einen vagen Bezug zu meinen Büchern Black Sunshine/The Blood is Love und Blood Orange/Black Rose. Vielleicht möchtest du diese Bücher auch vorher lesen, um mehr Kontext zu erhalten, du musst es aber nicht.)
Bitte lies weiter für eine wichtige inhaltliche Warnung.
Inhaltliche Warnung
Einstufung ab 17 für Blasphemie, zweifelhaften Konsens, Vergewaltigung und Folter
Ocean of Sin and Starlight gehört zum Dark Fantasy-Genre, das heißt, es handelt sich um Fantasy – oder Romantasy –, die erschreckende oder verstörende Themen enthält.
Bedeutet das, dass es sich um einen Dark Romance-Roman handelt?
Nicht ganz.
Meiner Meinung nach gibt es bei Dark Romance-Büchern viele Grautöne, und ich mag es, mich in allen auszuleben. Aber ich werde dieses Buch nicht als Dark Romance-Roman bezeichnen, denn dann werden Leser*innen von Dark Romance-Büchern denken, dass es bestimmte Stufen der Verdorbenheit erreicht, und das tut es meiner Meinung nach nicht. Wenn du also ein*e Leser*in von Dark Romance-Büchern bist, dann sage ich dir hier, dass es kein Dark Romance ist, weil ich dich nicht in die Irre führen möchte. Mit anderen Worten: Du kannst dann nicht sagen, du wärst enttäuscht, dass es nicht düster genug ist, denn ich sage dir jetzt, dass es für dich wahrscheinlich nicht dunkel genug ist.
ABER, und das ist ein großes Aber (hehe), wenn du kein*e Leser*in von Dark Romance bist, dann könnten einige Szenen in diesem Buch anstößig, schockierend oder unangenehm für dich sein. Abgesehen von Gewalt, Grausamkeiten, rauer Sprache (apropos Sprache, ich habe mir Freiheiten mit der Sprache genommen, damit sie nicht so gestelzt klingt wie damals in den 1700ern. Das wäre nicht wirklich angenehm zu lesen), Blasphemie in jeder Hinsicht und expliziten Sexszenen (einschließlich einer Vergewaltigung, in die die Hauptfiguren nicht verwickelt sind), gibt es Szenen, die fragwürdig sind, vor allem wenn es um den Missbrauch von Machtdynamiken und Nötigung geht. Die Heldin wird auch für eine gewisse Zeit gefangen gehalten und im Grunde genommen entführt und gefoltert. Habe ich erwähnt, dass sie gekreuzigt wird? Buchstäblich?
Es gibt auch einige BDSM-Elemente, wie zum Beispiel Bondage mit Ketten, jede Menge Spiele mit Blut, Gebeiße und Sperma sowie Analsex, das Einführen von Fremdkörpern und Würgespiele … Habe ich Spiele mit Blut schon erwähnt?
Und nicht zuletzt ist unser Antiheld ein Geistlicher. Ich behaupte nicht, dass er ein guter Priester ist, wenn man seine blutsaugende, mörderische und extrem lüsterne Natur bedenkt, aber es gibt einige religiöse Elemente, die in Szenen grafischer Natur, auch sexueller Art, eingesetzt werden, die dich beleidigen und als blasphemisch oder respektlos von denjenigen angesehen werden könnten, die gläubige Christen sind. Zur Hölle, sogar diejenigen, die nicht religiös sind, könnten sich beleidigt fühlen. Mein Ziel ist es nicht, irgendjemanden absichtlich zu beleidigen, aber ich tue einfach das, was die Figuren mir sagen.
BITTE, wenn du empfindlich auf Szenen dieser Art oder auf alles, was ich oben aufgeführt habe, reagierst, ist dies nicht das richtige Buch für dich. Ich gebe diese inhaltliche Warnung, damit du die richtige Wahl für dich treffen kannst! Lies keine Bücher, die dich wütend machen werden. Das ist es nicht wert!
Wenn du dich entschließt, weiterzulesen, hoffe ich, dass du die blutige Fahrt genießt.
Erster Teil
Die Kreatur war mit schweren rostigen Ketten gefesselt und wochenlang gefangen gehalten worden, bevor der Doktor sie fand. Die Dorfbewohner sagten, sie hätte mehrere von ihnen getötet, und es hätte ein Dutzend von ihnen gebraucht, um sie schließlich zu bändigen.
Der Doktor wollte sie für ihre Tapferkeit belohnen, aber zu diesem Zeitpunkt war keine Menschenseele mehr in Sicht, nur tiefe Furchen im getrockneten Schlamm, die von den Absätzen der Dorfbewohner stammen mussten, brutale Spuren am Stamm der nahen Eiche, deren Rinde von den Ketten abgeschabt worden war, und hier und da Blutspritzer, die der Szene Farbe verliehen.
An diesem warmen Sommermorgen, an dem der Tau bereits verdunstet war, standen nur der Doktor und das Wesen inmitten des mit gelben Blumen gesprenkelten Feldes.
Natürlich war die Kreatur ein Mann. Der Doktor machte einen zaghaften Schritt auf ihn zu und betrachtete die gequält aussehende Gestalt. Er war in der Fötusstellung zusammengerollt, hatte die Augen geschlossen, sein Haar hing verfilzt um sein Gesicht und sein nackter Körper war mit Schlamm bedeckt, aber trotz seines zerbrechlichen Zustands war er groß und breitschultrig, gebaut wie ein Ochse. Er hatte die geschmeidigen Muskeln, die auch so viele andere Kreaturen hatten, doch er hatte etwas Raues an sich, als wären die Muskeln durch harte Arbeit verdient und nicht natürlich gegeben worden.
Daran ist nichts natürlich, dachte sich der Doktor, schob sich sein langes, rotes Haar hinter die Ohren und rückte seinen Hut gegen die Sonne zurecht, die mit Voranschreiten des Tages langsam stärker wurde. An diesen Monstern ist nichts natürlich.
Es machte ihn traurig, von solchen Fällen zu erfahren, von diesen Monstern, die geschaffen wurden, um Wahnsinnige zu sein, aber das lag in letzter Zeit in der Natur seiner Arbeit. Er war fasziniert von diesen Abscheulichkeiten, die ihm in vielerlei Hinsicht so ähnlich und doch so anders waren. Er wollte sie aus nächster Nähe studieren. Er wollte beweisen, dass ihre Menschlichkeit freigelegt werden konnte.
Aber es lag ein langer Weg vor ihnen beiden. Der Doktor konnte selbst manchmal kaum als Mensch bezeichnet werden, und das Biest noch weniger.
Der Doktor seufzte, hockte sich neben die Kreatur und bemerkte, wie schwach ihr Atem war. Das arme Monster konnte nicht sterben, aber es wünschte sich zweifellos den Tod. Selbst wenn es jahrhundertelang an diesen Baum gekettet gewesen wäre, ohne einen einzigen Tropfen von Nahrung, wäre es nicht gestorben.
Und wenn ihm nicht gerade der Kopf abgerissen werden würde, würde der Doktor auch nicht sterben. Er hatte also keine große Angst, als er hinübergriff und der Kreatur sanft die Haare aus dem Gesicht strich.
Es war ein starkes Gesicht, und ein attraktives. Wäre das Wesen nicht so groß und bullig, wäre das Kinn nicht so kräftig, könnte man es schön nennen, eine zarte Form der Anmut mit langen schwarzen Wimpern, einer geraden Nase und vollen Lippen. Die meisten, die so waren wie der Doktor, hatten ihre eigene Art von übernatürlicher Anziehungskraft, aber er konnte sagen, dass diese Kreatur, als sie noch ein Mann gewesen war und bevor sie sich verwandelt hatte, von Gott gesegnet worden war.
Gesegnet, bevor er verflucht wurde.
Aber wenn die Bruderschaft des Klosters der Kreatur nicht helfen konnte, Gott – oder etwas, das ihm ähnelte – zu finden und ein Mensch zu werden, dann würde der Doktor zumindest alles tun, was er konnte, um ihr zu helfen.
Denn je mehr diese Monster auf der Erde umherstreiften, desto mehr waren der Doktor und seinesgleichen in Gefahr, dass ihre Geheimnisse von einer Welt entdeckt wurden, die nicht bereit war, sie zu verstehen.
»Können Sie mich hören?«, fragte der Doktor mit leiser Stimme. »Mein Name ist Abraham, aber Sie können mich Abe nennen.«
Die Kreatur regte sich, aber ihre Augen blieben geschlossen. Ihr Mund öffnete sich einen Spalt.
Die wenigen Kreaturen, mit denen Abe in Kontakt gekommen war, sprachen weder Englisch noch Spanisch oder irgendeine andere Sprache. Viele von ihnen befanden sich in einem noch früheren Zustand der Verkommenheit, ihre Körper waren mit verfilztem Fell bedeckt oder sie trugen ledrige Flügel. Einige hatten sogar Schwänze.
Aber diese Kreatur war über dieses Stadium hinaus, was sie jedoch nicht weniger gefährlich machte. Sie war immer noch ein Monster, und doch hatte sie das Potenzial, wieder ein Mensch zu werden.
Die Kreatur schnappte plötzlich nach Abe und versuchte, ihn zu beißen, erwischte aber nur Luft, bevor sie wieder kraftlos zu Boden fiel.
»Aber, aber«, sagte Abe zu ihr. »Wut ist manchmal überlebenswichtig, aber ich werde dich lehren, deine Wut zu kontrollieren. Ich werde dir beibringen, wie du dieses Monster für den Moment beiseiteschieben kannst. Ich werde dir deine Seele zurückholen, wenn du bereit bist, dafür zu arbeiten. Bist du bereit, dafür zu arbeiten, Mann aus Aragon?«
Das war immer der Test. Gib dem Menschen eine Wahl, und womöglich kommt der Mensch nach vorn. Wenn der Mann die Wahl traf und nicht die Bestie, wenn das Licht durch die Schatten brach, dann hatte die Kreatur eine Chance, gerettet zu werden.
Die Seele konnte erlöst werden.
Und diesmal gab die Kreatur auf Abes Aufforderung hin ein leises Zischen von sich.
Er verstand dies als ein Ja.
Zwei Jahrhunderte später
»Du hast genug Blut für einen Monat«, verkündet Abe, während er meine Kabine betritt. Der Wind heult wie ein tollwütiger Wolf durch den Spalt, als er die Tür schließt.
Ich drücke meine Finger auf die Papiere, damit sie nicht wegfliegen, und schaue vom Schreibtisch auf. Die Kerzen flackern und tauchen mein Cottage in Dunkelheit, aber ich kann den Doktor deutlich sehen.
»Einen Monat«, wiederhole ich, und die Panik hinterlässt einen sauren Geschmack in meinem Mund. Vier Wochen der Absolution, bis ich wieder sündigen muss.
Bis ich wieder töten muss.
Ich hoffe, dass meine Stimme die Verzweiflung in mir nicht verrät, die sich zu sauren Knoten verdichtet, aber Abes Gesichtsausdruck wird weicher, und ich weiß, dass er meine Angst riechen kann.
»Du wusstest, dass ich gehen muss«, sagt er sanft, während er langsam den Raum durchquert. »Ich kann dir nur eine bestimmte Zeit Gesellschaft leisten und deine … Drecksarbeit erledigen.«
Drecksarbeit. Das ist mein Begriff für meinen Appetit. Abe benutzt harmlosere Worte: unsere Instinkte. Unser Hunger. Unser Trieb. Als Doktor sieht er unser Leiden nur als das an: etwas, das uns befallen hat wie eine Krankheit, mit der man sachlich umgehen muss. Aber Abe ist nicht wie ich, nicht wirklich. Er wurde mit seinem Appetit auf Blut geboren. Ich nicht. Ich wurde als Mensch geboren. Ich hatte eine Familie, eine Zukunft.
Ich hatte eine Seele … bis sie mir genommen wurde.
»Es gibt noch andere«, sagt Abe, während er an meinem Schreibtisch steht und mit den Fingern über die mit Goldfolie überzogenen Buchstaben auf der Heiligen Schrift fährt. »In der letzten Korrespondenz des Klosters hieß es, es handele sich um eine Epidemie. In einer Woge der Gewalt sind noch mehr von deiner Art erschaffen worden. Einige von ihnen waren Hexer, so wie du.«
»Von ihm? Von Kaleid?«, flüstere ich. Seinen Namen auszusprechen, lässt mein Herz rasen, selbst nach all dieser Zeit.
Der Doktor starrt mich einen Moment lang an, als wöge er die Wahrheit ab, dann nickt er einmal. »Ich fürchte, es könnte schlimmer sein, als ich ursprünglich dachte, und meine Expertise wird gebraucht. Man kann sie nicht frei herumlaufen lassen. Sie müssen rehabilitiert werden. Sie müssen gerettet werden. Weißt du, dass es jetzt ein Wort für uns gibt? Die Menschen begreifen es langsam. Sie nennen uns Vampyre.«
»Vampyre«, wiederhole ich. Das Wort wirkt passend.
»Es gibt Leute im Kloster …«, beginne ich, breche aber ab, weil es niemanden wie den Doktor gibt. Ich wusste, dass er nicht für immer hier unten bei mir sein würde, aber als er vor acht Monaten das Schiff verließ, habe ich gehofft, er würde wenigstens ein paar Jahre bleiben.
Doch ich weiß, dass es hier nichts für ihn gibt, nichts außer mir, und ich bin keine gute Gesellschaft. Meine Aufgabe ist es, die Stimme Gottes in dieser kalten, kargen, windgepeitschten Region zu sein, den Siedlern, die auf Befehl des Gouverneurs von Chile hier in Nombre de Jesus stationiert sind, sowohl Glauben als auch Orientierung zu geben. Die Menschen sind hier, um zu verhindern, dass englische Freibeuter und Piraten die Magellanstraße erobern, und ich bin hier, um für Erlösung zu sorgen.
Dieser Ort sollte auch für mich die Erlösung sein.
Aber ich habe sie noch nicht gefunden.
»Wann kommst du zurück?«, frage ich.
»Ich weiß es nicht«, antwortet er und seufzt erneut. Der Doktor ist mein ältester Freund – mein einziger Freund. Abe ist derjenige, der mich davor bewahrt hat, für immer ein Monster zu bleiben. Durch seinen Glauben an mich und die strengen Lehren des Klosters habe ich die Bestie, zu der ich geworden bin, in den tiefen, schwarzen Abgründen meiner früheren Seele versteckt. Abe füttert mich, hält mich rein, hält meine Dämonen in Schach.
Aber obwohl ich der Grund dafür bin, dass er hier ist, bin ich nicht sein Lebensziel. Er hat sein Studium der Wissenschaft und der Medizin genau den Dingen gewidmet, die die Wissenschaft nicht erklären kann, die die Medizin nicht kontrollieren und die die Magie nicht retten kann. Mit seiner Hilfe, den Lehren des Herrn und der Disziplin der Glaubenslehre habe ich mich wieder in einen Mann zurückverwandelt. Vielleicht auch nur die Hülle eines Mannes, aber genug, damit die Menschen mich nicht mehr fürchten müssen.
Und es gibt andere wie mich, die seine Hilfe brauchen.
Ich weiß also, dass er gehen muss.
Dennoch sitzt das Gefühl des Schreckens und der Sinnlosigkeit dessen, was ich tun werde – zu was ich werden werde –, wenn ich wieder auf mich allein gestellt bin, in mir wie ein sich ausbreitender Fleck.
»Acht Monate waren nicht genug«, schaffe ich mit belegter Stimme zu sagen. Ich möchte ihm mehr sagen. Ich möchte ihn anflehen, mich nicht zu verlassen, mich seinem Lebenswerk, die Monster frei in der Welt herumlaufen zu lassen, vorzuziehen, solange er mich bei Verstand und in seiner Gesellschaft halten kann.
Leider habe ich auch nach all dieser Zeit noch meinen Stolz.
»Ich werde zurückkommen«, sagt Abe, legt mir die Hand auf die Schulter und drückt sie. »Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, aber was sind schon ein paar Jahre, wenn man unsterblich ist? Du wirst in der Zwischenzeit Besuch bekommen.«
Er nimmt seine Hand weg, und ich blicke zu ihm auf. »Von wem?«
»Von Männern wie uns«, sagt er und schaut sich in dem spärlich eingerichteten Cottage um, als würde er in den Bildern von Bergen und Kreuzen an den Wänden etwas Neues sehen.
»Männer wie du? Vampyre? Oder Ungeheuer wie ich?«
Er wirft mir einen strafenden Blick zu. »Du bist kein Ungeheuer, mein Priester. Du bist Vater Aragon. Du wurdest als Mensch geboren. Ich nicht.«
»Dieser Mensch starb zusammen mit seiner Familie«, sage ich verbittert. »Ich wurde verwandelt. Du hast immer von deiner wahren Natur gewusst, immer die Kontrolle gehabt.«
»Das mag sein, aber wir beide trinken Blut, um zu überleben, und wir tun es mit Bedacht, nicht wahr? Das macht uns in meinen Augen zu Gleichen. Aber ja, Männer wie ich, Bluttrinker, die sich die Brethren of the Blood nennen. Sie sind Piraten, die auf ihrem Schiff, der Nightwind, die unter den Sterblichen den Spitznamen »Schiff der Untoten« trägt, die hohe See befahren. Sie haben sich in allen Teilen der Welt einen Namen gemacht, plündern Handelsschiffe und Häfen und machen Jagd auf Syrenen, um deren Blut zu gewinnen. Das ist auch der Grund, warum sie eines Tages hier vorbeikommen werden.«
Ich nicke. »Die Kolonie.« Es gibt Gerüchte, dass unter den Eisbergen und kargen Klippen von Roche Island eine Kolonie von Syrenen lebt. Das Meer dazwischen, das Mar de Drake, ist tückisch, weshalb die Gerüchte größtenteils unbegründet sind und angeblich von schiffbrüchigen Besatzungen in die Welt gesetzt wurden, die vor Hunger halluzinierten. Aber ich weiß, dass es solche Kreaturen wirklich gibt – ich habe einmal eine gefunden, die an den Strand gespült worden war, nur noch geschundene Haut, getrocknete Schuppen und brüchige Knochen. Eine Abscheulichkeit, schlimmer als ich – halb Mensch, halb Fisch.
Ich weiß auch, dass schon ein Tropfen ihres Blutes uns Trinker für eine sehr lange Zeit am Leben erhält. Ich hatte dieses Gerücht gehört und wusste nicht, dass es wahr ist, bis ich in den verschrumpelten Hals der Leiche gebissen habe. Ich konnte nicht erkennen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte, und sie schmeckte nach purem Salz und Tod. Und doch genügte mir das getrocknete, pulverige Blut der Kreatur, um mich zu befriedigen, als hätte ich gerade von einem lebenden Menschen getrunken.
»Ja, die Kolonie«, sagt Abe. »Wie auch immer, diese Brethren werden durch die Meerenge kommen. Ich kann nicht sagen, wann. Vielleicht in zwei Jahren. Vielleicht auch in zehn Jahren. Aber im Herzen sind sie Piraten, und die chilenische Regierung wird Alarm schlagen, sobald sie in spanische Gewässer eindringen. Es wird einen Angriff von beiden Seiten geben. Man wird dich vor die Wahl stellen: bleiben und für Spanien kämpfen, auch als Mann Gottes, oder dich den Brethren anschließen.«
Ich runzle die Stirn. »Zehn Jahre? Aber wir sehen uns doch sicher vorher.«
»Das hoffe ich«, sagt er mit gesenktem Kopf und ballt die Hände in der Taille zu Fäusten. »Mit etwas Glück werde ich mit ihnen auf dem Schiff sein. Aber wenn nicht, bin ich sicher, dass ich dich finden werde. Die Erde ist nicht so groß, wenn man alle Zeit der Welt hat.«
Ich starre ihn an und blinzle langsam. Er wird vielleicht für so lange Zeit weg sein? Ich hatte höchstens zwei oder drei Jahre erwartet.
»Das gefällt mir nicht«, flüstere ich. Ich umfasse das Kreuz des Rosenkranzes um mein Handgelenk und drücke es so fest, dass das Gold in meine Haut schneidet und ein Blutstropfen hervorquillt, wie ich es schon so oft getan habe. Meine Haut wird sich in einer Minute selbst heilen.
»Es muss dir nicht gefallen, Aragon«, sagt Abe ernst. »Du musst es nur akzeptieren. Und ich muss akzeptieren, dass ich, obwohl du ein guter Freund von mir bist, anderswo von anderen mehr gebraucht werde. Es hat lange gedauert, aber du bist rehabilitiert. Du wurdest gerettet. Meine Arbeit hier ist getan.«
Er dreht sich um und geht zur Tür, und ich sehe ihm nach. Sein rotes Haar leuchtet sogar in der Dunkelheit, und er geht mit dem selbstbewussten Schritt eines Mannes, der akzeptiert hat, wer er ist, mit all seinen Sünden.
Plötzlich werde ich von einem Gefühl der Verzweiflung übermannt und springe auf. »Du bist mein moralischer Kompass, Abe«, rufe ich. »Ich verliere die Kontrolle, wenn ich dich nicht habe.«
Er schenkt mir ein mitfühlendes Lächeln, das Lächeln eines Doktors. Dann nickt er in Richtung des Jesus-Porträts an der Wand. »Er ist dein moralischer Kompass. Du bist jetzt seit über einem Jahrhundert Priester. Es sollte Gott sein, der dich leitet, nicht ich.«
»Du glaubst nicht einmal an Gott.«
»Und du auch nicht«, sagt er.
Dann nickt er, öffnet die Tür und wird von den eisigen Winden und der endlosen Nacht verschluckt.
Als ich noch ein Mensch war, konnte ich sofort einschlafen, wenn es nötig war. Meine Frau hat mir immer gesagt, sie wäre neidisch auf meine Fähigkeit. Egal, ob die Kinder schrien, wie es Kinder zu tun pflegen, oder ob die Katzen auf dem Hof kämpften und die Esel brüllten, nichts konnte mich aufwecken. Sobald mein Kopf das Kissen berührte, träumte ich – selbst wenn das Strohdach ein Leck hatte und dem Regen erlag.
Ich habe ihr gesagt, dass ich ihr jederzeit einen Schlaftrunk zubereiten könnte, denn das konnte sie nicht für sich selbst tun. Unsere Hexenkunst funktioniert selten bei uns selbst, doch bei anderen schon. Aber sie war stur und beschloss, es durchzuhalten.
Danach, nachdem ein Vampyr mich getötet und mich als Monster ins Leben zurückgeholt hatte, bin ich nie wieder vom süßen Zauber des Schlafes heimgesucht worden. Ich verbrachte hundert Jahre ohne Traum, hundert Jahre ohne Flucht, und ich war gezwungen, mich mit der abscheulichen Kreatur auseinanderzusetzen, zu der ich geworden war.
Erst im Kloster kam der Schlaf sporadisch.
Ein Schlaf, der zu Albträumen führte, die bis heute andauern.
Ich bete zu dem Gott, an den ich so sehr zu glauben versuche, und bitte darum, von den Schrecken befreit und von diesem sanften Schlummer heimgesucht zu werden, aber er gewährt mir nur, was ich fürchte.
Deshalb schlafe ich die meisten Nächte nicht.
Vor allem nicht heute Abend.
Es ist eine Woche her, dass Abe gegangen ist. Die Blutvorräte, die er in Fässern hinter der Kirche aufbewahrt – Fässer, von denen jeder, der darüber stolpert, annehmen würde, dass es sich um den Wein der sakramentalen Vereinigung handelt –, gehen langsam zur Neige. Ich habe nur noch genug für ein paar Wochen, bevor ich mich selbst versorgen muss.
Bevor ich zum ersten Mal seit acht Monaten wieder töten muss. Das Gewicht des Ganzen drückt auf mich nieder wie ein Schraubstock, der vom Himmel selbst heruntergedrückt wird.
Wen werde ich wählen? Einen der Eingeborenen in der Gegend, die unter sich bleiben und den Siedlern und mir gegenüber von Natur aus misstrauisch sind? Oder einen der Dorfbewohner, die jede Woche in meine Kirche kommen und die ich kennengelernt habe? Es gibt hier nur ein paar Hundert, die über die Siedlungen Nombre de Jesus und Primera Angostura verstreut sind, zusammen mit dem stationierten Militärpersonal. Oder muss ich mich weiter weg in die größere Stadt Ciudad del Rey Don Felipe begeben, wie es Abe getan hatte, und für ein oder zwei Nächte verschwinden, bis ich ein Opfer finde?
Und wenn ich eines wähle, zu was werde ich dann? Abe sagt, es ist nicht unsere Schuld, dass wir menschliches Blut brauchen, damit es uns gut geht, dass wir entweder so geboren oder geschaffen wurden. Er sagt, dass es nicht anders ist, als eine Kuh zu schlachten, und dass wir uns nicht für etwas schämen sollten, das von unserer Biologie bestimmt und entschieden wird. Aber der Akt des Mordens, der Gewalt gegen einen anderen Menschen, lässt das Monster zum Vorschein kommen, was ausreicht, um mich daran zu erinnern, wie verdammt gut es sich angefühlt hat, einem solchen Urwesen zu erliegen, dazu zu werden, zu existieren und ohne Moral oder Schuld zu leben.
Es ist das Monster in mir, das froh ist, dass Abe weg ist, damit ich wieder zu dieser Bestie zurückkehren kann, und deshalb habe ich Angst.
Und wage es nicht, zu schlafen.
Stattdessen trete ich hinaus in die dunkle Nacht. Ausnahmsweise hat sich der Wind gelegt und gibt der Landschaft das Gefühl eines langen Ausatmens, als ob sie endlich zur Ruhe kommen könnte. Mein Cottage ist von Büschelgras und verkümmerten Büschen und Kiefern umgeben, ein Pfarrhaus hinter der Kapelle nah am Wasser. In der Nacht plätschern die Wellen sanft an das felsige Ufer, und mein scharfer Blick kann die zerklüfteten Gipfel der Berge auf der anderen Seite der Meerenge ausmachen.
Es ist seltsam ruhig, während in meinem Innern ein Sturm tobt. Im Licht des abnehmenden Mondes gehe ich an der Kapelle vorbei und bleibe an dem kleinen Friedhof stehen, auf dem so viele Menschen begraben wurden. Diese Siedlung hat schon viel Leid erlebt, aber nichts, was mit meinem Appetit zu tun hätte. Die Hälfte der Zeit habe ich das Gefühl, zu verhungern, aber auch sie hungern. Die meisten Siedler stammen aus Andalusien, der Gegend, in der ich aufgewachsen bin. Sie sind an ein mediterranes Klima mit süßen Früchten, trockenen Sommern und sanften, warmen Brisen gewöhnt. Sie sind nicht dafür gemacht, der Feindseligkeit hier am Ende der Welt standzuhalten.
Einen Moment lang geht mir ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf. Ich denke an das getrocknete Blut der Syrene und frage mich, ob ich, wenn ich die Leichen der kürzlich Verstorbenen ausgraben würde, irgendeine Form des Nährwertes im toten Blut eines verwesenden menschlichen Körpers finden würde?
Doch bevor ich mich wegen dieses abscheulichen Gedankens schuldig fühlen kann, ertönt ein Schrei, der über die ganze Bucht zu hören ist.
Mein Kopf hebt sich von den Gräbern, und ich schaue hinüber, um einen kleinen Lichtpunkt zu sehen, der sich auf dem dunklen Wasser hin und her bewegt, und dann ein schaukelndes Boot auf spritzenden Wellen. Ich höre ein Knurren und schnappende Geräusche, dann weitere Schreie, als würde jemand zerfetzt werden.
»Hilfe!«, schreit jemand vom Boot aus. »Hilfe! Wir ertrinken! Herr, hilf uns!«
Ich kann mich schnell bewegen, wenn es sein muss, schneller als jedes andere Lebewesen. Ich laufe zu dem Ruderboot, das am Ufer festgemacht ist, und schiebe es ins Wasser. Es ist niemand da, der mich in der Dunkelheit sehen könnte, der sehen könnte, wie ich mich mit unnatürlicher, unmenschlicher Geschwindigkeit bewege. Ich bin in Sekunden im Boot und rudere schnell über das ruhige Wasser.
Als ich das sinkende Boot erreiche, eröffnet sich mir eine Szene des Grauens.
Es sind drei Männer. Zwei sind noch am Leben und zutiefst verängstigt, während der andere bereits tot ist, in der Mitte aufgeschlitzt und mit herausgezogenen Eingeweiden. Der blutige Stumpf eines Beins in der Ecke gibt Hinweise auf eine vierte Person.
Der Geruch des Blutes lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen, mein Blick wird scharf, und ich spüre, wie meine Zähne zu Reißzähnen werden.
Ich bekreuzige mich und bete, dass ich das Monster in Schach halten kann. Ich muss diese Männer retten.
»Vater Aragon!«, ruft einer von ihnen. »Bitte helft ihm.«
Die Dorfbewohner hier wissen, dass ich dank der Hilfe Gottes andere heilen kann. Sie verdächtigen mich nicht der Hexerei. Aber nicht einmal ich kann einen Mann heilen, dem Herz und Leber fehlen.
Ich schüttele den Kopf und schlucke schwer. »Was ist hier passiert?«
Die beiden Männer schauen sich an. Alonso und Jose Carlos sind ihre Namen, glaube ich. Ehrliche Fischer.
»Was ist passiert?«, wiederhole ich und will so schnell wie möglich von dem Blut und den Blutspuren wegkommen.
»Ihr werdet uns nicht glauben«, sagt Jose Carlos mit zitternder Stimme und großen Augen. »Aber wir haben nach dem Schwarzen Seehecht gefischt. Dann ist sie im Wasser aufgetaucht. Wir dachten, es sei eine ertrinkende Frau, die Hilfe braucht. Dass sie sich vielleicht in unserer Leine verfangen hat. Aber wir haben uns geirrt.« Er hält inne. »Es war eine Syrene.«
Die Nachricht von dem Angriff auf die Fischer verbreitete sich, bevor die Sonne über der Meerenge aufging. Bis zum Mittag trafen die in Primera Angostura stationierten Militärs ein, um gemeinsam mit denen von hier den Vorfall zu untersuchen und die Kanonen zu laden. Sie sprachen mit den überlebenden Fischern, um ihre Aussagen aufzunehmen, untersuchten die Überreste der Leichen und kamen dann zu mir.
Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits in der Kapelle und kehrte den Boden. Morgens gebe ich mich gerne unproduktiven Beschäftigungen hin, eine alte Gewohnheit aus meiner Zeit im Kloster. Müßige Arbeit heilt müßige Geister, und müßige Geister neigen zur Sünde. Das Ergebnis ist, dass die Kapelle und mein Haus immer blitzsauber sind. Jedenfalls habe ich dadurch etwas zu tun. Das Militär habe ich nie gemocht. Es gab ein paar Soldaten, die in meine Kirche kamen, um für die Menschen Buße zu tun, die sie im Auftrag ihres Landes getötet hatten, und ich hörte mir ihre Sorgen an, so wie ich mir die aller anderen anhörte, aber im Allgemeinen finde ich sie heuchlerischer als die meisten Gläubigen. Sie sollen das Volk schützen, aber wo waren sie, als eine Gruppe von Blutsaugern durch Spanien ritt? Wo waren sie, als mein Dorf belagert wurde? Sie waren nirgends zu finden – Feiglinge, die ganze Bande.
Die hier stationierten Soldaten scheinen mich auch nicht besonders zu mögen. Ich weiß, ich habe eine gewisse Art an mir – wie alle meine Artgenossen. Erschwerend kommt hinzu, dass ich ein Hexer war, bevor ich in einen Bluttrinker verwandelt wurde, und ich glaube, das spüren sie auch. Wie auch immer, sie sehen mein Anderssein nicht als heilig an, wie die anderen Dorfbewohner, sondern als eine Bedrohung, die sie nicht ganz verstehen.
Manchmal träume ich davon, sie alle zu töten, damit sie sehen, dass sie recht hatten, mich zu fürchten.
»Vater Aragon.« Der größte Soldat schreitet vor und neigt den Kopf leicht, um mir seinen Respekt zu zollen. Seine Augen sind dunkel und kalt. »Die Männer sagen, Ihr hättet sie letzte Nacht gerettet. Wir würden gerne hören, was Ihr uns zu den Ereignissen erzählen könnt.«
»Natürlich«, sage ich, lehne den Besen an die Kirchenbank und glätte dann das schwarze Gewand, das ich in der Kirche trage. Ich schaue dem Soldaten in die Augen, vielleicht ein bisschen zu tief, denn er wird ganz still. Ich kann hören, wie sich sein Herzschlag verlangsamt, wie seine Atemzüge flach und lang werden, wie sich seine Pupillen zu schwarzen Pfützen erweitern. Ich kann Menschen oft auf diese Weise zu Dingen zwingen, sie zu einem gewissen Grad unter meine Kontrolle bringen, aber Abe kann das besser als ich. Je mehr Macht ich über jemanden ausübe, desto eher verliere ich die Kontrolle über mich selbst, also versuche ich, es nicht zu oft zu tun.
Aber heute Morgen möchte ich, dass die Soldaten genau hören, was ich sage.
»Ich habe die Schreie vom Wasser gehört«, erzähle ich ihnen, wobei ich meinen Blick auf den Obersoldaten gerichtet halte. »Ich habe mein Boot geholt und bin so schnell ich konnte zu ihnen gerudert. Gott sei Dank hatten sie eine Lampe, sonst hätte ich sie in der Dunkelheit nie gefunden.«
»Die Männer sagten, es sei mitten in der Nacht passiert«, sagt einer der anderen Soldaten unwirsch. »Waren ihre Schreie so laut, dass sie Euch geweckt haben?«
Ich schaue ihn nicht an. »Ich habe nicht geschlafen. Ich war hier in der Kapelle und habe gebetet.«
Der Obersoldat nickt langsam. Selbst wenn er sich von meinen Augen lösen wollte, könnte er es nicht. Er ist hingerissen und beseelt. »Was habt Ihr gesehen, als Ihr auf ihr Boot gestoßen seid?«
»Genau das, was ihr auch gesehen habt. Einen Mann, der in der Mitte aufgerissen worden war, und einen anderen, von dem nur noch das Bein übrig war.«
»Und was haben Euch die Männer erzählt, was passiert ist?«
Ich schenke ihm ein kleines Lächeln, als würden wir einen geheimen Scherz teilen. »Sie sagten, sie hätten eine Frau im Wasser gesehen. Sie hätte ihnen vorgegaukelt, dass sie ertrinken würde. Sie sagten, es sei eine Syrene gewesen, die ihren Freund plötzlich unter Wasser zog und ihn in Stücke riss, bevor sie aus dem Wasser und auf das Boot sprang und den anderen angriff. Anscheinend hat sie sein Herz und seine Leber gegessen, bevor die Männer sie mit den Rudern abwehrten und ihr ein Messer in den Rücken stachen. Erst dann ließ sie los und sank unter die Wasseroberfläche.«
»Und das glaubt Ihr?«
Wieder ein beschwichtigendes Lächeln. »Natürlich tue ich das nicht. Ich bin ein Mann des Glaubens, ein Mann Gottes. Gott würde niemals so ein abdominales Geschöpf erschaffen. So etwas wie eine Syrene oder eine Meerjungfrau oder eine monströse Frau im Meer gibt es nicht.«
Der andere Soldat grunzt. »Was glaubt Ihr denn, was wirklich passiert ist?«
»Ich glaube, die Männer haben beim Fischen etwas zu viel getrunken und dabei ein anderes Meerestier angelockt. Wir wissen alle, dass in der Meerenge Haie schwimmen. Ich glaube, die beiden anderen Männer müssen als Folge ihrer Liebe zum Alkohol über Bord gefallen sein; ihr wisst ja, wie sehr sie dieses sündige Getränk hier lieben. Sie wurden angegriffen und getötet, und die anderen beiden haben versucht, zu retten, was sie konnten.«
Die Soldaten verstummen, und ich wende mich schließlich ab und schaue die anderen an. Sie scheinen mir gegenüber misstrauisch zu sein, obwohl das, was ich ihnen gerade erzählt habe, die logischste Erklärung ist.
»Darf ich fragen, was eurer Meinung nach passiert ist?«, frage ich sie.
Der Soldat, den ich überzeugt habe, blinzelt langsam und schüttelt dann den Kopf. Er sieht mich stirnrunzelnd an. »Ich denke, es muss so passiert sein, wie Ihr sagt. Es ist einfach nicht möglich, dass eine Frau einem Mann auf diese Art ein Bein abreißt.«
»Und so etwas wie Syrenen gibt es nicht«, erinnere ich ihn.
Er nickt. »Und so etwas wie Syrenen gibt es nicht.«
Dann räuspert er sich und nickt mir noch einmal zu, diesmal etwas höflicher. Er bedeutet seinen Männern, die Kapelle zu verlassen, und sie tun es so schnell, als würde ihnen dieser Ort plötzlich Angst machen.
Ich sehe ihnen nach und lächle, das erste echte Lächeln, seit Abe weg ist.
Sie wollen an Monster glauben, denn Monster sind real, und ein Teil von ihnen weiß es. Aber die Logik siegt immer.
Je weniger sie glauben, desto besser für mich.
Denn diese Syrene existiert wirklich.
Sie hat diese Männer angegriffen und gefressen.
Und sie ist jetzt irgendwo da draußen im Wasser, verletzt, vielleicht langsam am Verbluten.
Dieses Blut wird vergeudet.
Dieses Blut könnte mich für immer versorgen, wenn ich sofort handle.
Heute Nacht gehe ich fischen.
Der Angriff von letzter Nacht geschah gegen ein oder zwei Uhr morgens, also warte ich bis dahin ab, weil ich vermute, dass das die Jagdzeit der Syrenen sein könnte. Ich putze die Kirche und schreibe die Predigt für diesen Sonntag so um, dass sie sich darauf konzentriert, die Ängste der Menschen vor dem Unbekannten zu besänftigen. Unter dem Mond, der durch das Fenster hereinscheint, bete ich den Rosenkranz, wie es nur ein Heide tun würde, wobei jede Perle nicht an Gott, sondern an mich selbst gerichtet ist. Es ist ein Refrain, den ich immer wieder wiederhole, um mich daran zu erinnern, die Kontrolle zu behalten.
Und doch spüre ich, wie mir diese Kontrolle entgleitet, je weiter die Nacht voranschreitet.
Langsam heiße ich es willkommen.
Mein Puls beschleunigt sich, das Blut rast in meinen Schwanz, bis meine Hose eng wird. Ich frage mich, ob die Syrene so schön ist, wie man sagt, und werde immer härter bei dem Gedanken, sie zu finden, mich an ihr zu laben … sie zu entehren.
Der Gedanke durchzuckt mich wie ein brennender Blitz, und ich umklammere den Rosenkranz fester, während ich mich auf meinem Stuhl winde.
»Erlösung«, flüstere ich zu mir selbst, meine Stimme vermischt sich mit dem Wind vor den Fenstern. »Erlösung.«
Es ist Jahrhunderte her, dass ich mit jemandem zusammen war, egal ob Mann oder Frau. Manchmal war es mit Abe nah dran gewesen, aber er wusste besser als jeder andere, dass das Zölibat und die Einhaltung meines Gelübdes das Wichtigste waren, um menschlich zu bleiben. Wir sind von Natur aus sexuelle Wesen, und aufgrund meines monströsen Ursprungs ist mein Appetit wild, verdorben und unkontrollierbar. Blut und Sex sind meine beiden Schwächen, und da ich Blut konsumieren muss, um zu überleben, bedeutet das, dass ich dem anderen nicht nachgeben darf, sonst verliere ich mich völlig.
Aber heute Abend, während mein Körper mit der Energie pulsiert, die ich mir seit Ewigkeiten versagt habe, denke ich an die Syrene, die ich noch nie gesehen habe. Sie würde blondes, rotes oder schwarzes Haar haben. Ihr Schwanz würde schimmern wie Frost im Mondlicht. Ihre Brüste wären voll, ihre blassen Nippel rosa und hart in der kalten Luft, sie würden darum betteln, berührt zu werden, gebissen zu werden.
Ich stelle mir vor, wie ich sie aus dem Wasser ziehe, schwer und nass. Sie wird um Hilfe schreien, und ich werde ihre Laute mit meiner Hand ersticken. Ich werde sie für ihre Sünden bestrafen und hoffen, dass mich das irgendwie von meinen eigenen Sünden befreit.
Ich stelle mir vor, wie ich in ihren Hals beiße, wie meine Reißzähne die Arterie durchbohren, bevor das Blut in meinen Mund fließt. Ich stelle mir vor, wie das Blut schmecken wird – himmlischer, als Gott es mir je gönnen könnte – und wie heiß es sich anfühlen wird, die Geräusche, wenn es über ihre Brust spritzt, meine Kehle, die gierige Geräusche macht, während ich alles hinunterschlucke.
Wenn das pulverige Blut einer toten Syrene mir einen Tag lang Leben schenken kann, dann macht das pulsierende Blut einer lebenden Syrene die Unsterblichkeit umso süßer.
Bevor ich weiß, was ich tue, ziehe ich meinen Schwanz aus der Hose und streichle ihn hart. Ein paar heftige Bewegungen, und ich komme mit einem erstickten Keuchen, weiße Stränge spritzen über den schwarzen Stoff an meinen Oberschenkeln.
»Gott«, fluche ich und beiße die Zähne zusammen, während mein Kopf zurückfällt. Sofort legt sich ein Gefühl des Friedens wie ein warmer Dunst über mich, und ich spüre, wie die Welt entschwindet. Ich weiß, dass es nur vorübergehend ist – das ist es immer. Ich weiß, dass mein Hunger, wenn das Gefühl verschwindet, um das Zehnfache zurückkommen wird. Das Verlangen nach Blut, das Verlangen nach Sex. Es ist ein verdammter und sündiger Hang, auf dem ich mich befinde.
Doch jetzt schließe ich erst mal meine Augen und falle in einen sanften, traumlosen Schlummer, der meine müden Knochen ruhen lässt und meine eigensinnige Seele besänftigt.
Ich weiß nicht, wie lange ich weg war, und als ich aufwache, ist es, als wäre eine Kanone losgegangen. Ich setze mich aufrecht in meinem Stuhl hin, mein Herz klopft, mein halbharter Schwanz hängt noch aus meiner Hose. Ich betrachte das getrocknete Sperma mit Verachtung. Es sähe besser aus, wenn es auf einen runden, blassen Hintern gespritzt worden wäre, anstatt einen Fleck auf meiner heiligen Kleidung zu hinterlassen.
Es hat keinen Sinn, sie auszuziehen und im Waschbecken zu waschen. Es wird sich im Meer lösen.
Ich stehe auf, stecke meinen Schwanz wieder ein und schreite aus dem Cottage in die Nacht hinaus. Ein Mann würde eine Waffe mitbringen, um sich gegen ein so wildes Tier zu wehren, aber ich bin selbst ein wildes Tier, und man kann mich nicht besiegen. Es gibt auch keine Möglichkeit, mich zu töten. So tödlich diese Syrene auch sein mag, sie ist nicht unsterblich, und egal, wie sie versuchen wird, mich zu verletzen, ich werde vor ihren Augen heilen.
Der Wind ist beständig und bringt die scharfe, bittere Kälte der eisigen, südlichen Meere mit sich, aber er war nie unangenehm für mich. Stattdessen ist er belebend, gibt mir Kraft und verursacht einen bösen Stich des Hungers in meinem Bauch.
Ich schaue mich um und versuche mit meinen übernatürlichen Sinnen zu hören, ob jemand in der Nähe ist. Die Kanonen, die den Eingang zur Meerenge bewachen, sind eine Meile entfernt und außer Sichtweite, ebenso die stationierten Soldaten, und heute Nacht sind keine Fischer zu sehen. Ich glaube nicht, dass es jemals wieder jemand wagen wird, nach Einbruch der Dunkelheit zu fischen.
Ich lausche auch auf das Geräusch des Wassers – nicht nur auf die Wellen, die gegen das steinige Ufer schlagen, sondern auch auf das Spritzen in der Meerenge. Manche Geräusche kommen von den Schaumkronen, ein Spritzen kommt von einer Robbe, die auftaucht, um Luft zu holen, gefolgt von einem scharfen Schnauben, und eines ist ein planschendes Geräusch. Es könnte ein Delphin sein, ein Fisch oder sogar der Hai, den ich für den Angriff verantwortlich gemacht habe.
Was es auch ist, da drüben ist etwas.
Ich laufe über das Ufer und durch die tosende Brandung, bis ich die brechenden Wellen schwimmend hinter mir gelassen habe. Ich hätte das Boot nehmen können, aber das hätte nur unerwünschte Aufmerksamkeit erregt. Auf diese Weise kann ich mich schnell und unbemerkt fortbewegen.
Im Mondlicht wirken die schneebedeckten und zerklüfteten Berge auf der anderen Seite der Meerenge wie eine Reihe von gezackten Zähnen. Ich schwimme so schnell und so leise wie möglich und verbringe die meiste Zeit unter Wasser, ohne Luft holen zu müssen. Selbst in der Dunkelheit können meine Augen durch die trüben Tiefen klar sehen.
Ich rieche sie, bevor ich sie sehe.
Der Duft einer Frau, verstärkt und mit etwas Ursprünglichem kombiniert. Eine junge Frau. Ich rieche Sex und Energie.
Ich rieche ein Tier.
Ich öffne meinen Mund und probiere den zarten Geschmack des Ozeans.
Er schmeckt nach Salz, und nach Blut.
Ihr Blut. Meine Syrene blutet.
Ich tue so, als würde sie für mich bluten und lasse es durch mich hindurchfließen, die Lust, den Hunger, das Bedürfnis nach diesem Wesen, das ich noch nicht einmal kenne.
Erlösung, denke ich. So schmeckt sie. Nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was kommen wird.
Dann, in der Dunkelheit, sehe ich die schwachen Umrisse ihres Körpers. Blondes Haar windet sich um ihren Kopf wie Seetang und schimmert silbern im Mondlicht. Ihre Brüste sind voll, blass und entblößt, ihr Oberkörper wölbt sich hinunter zu einem weichen, runden Bauch, der in eine lange, dicke Schwanzflosse aus rosa schimmernden Schuppen übergeht.
Sie ist das atemberaubendste Geschöpf, das ich je gesehen habe. Sie strahlt in dieser wässrigen Dunkelheit wie ein Leuchtfeuer, ein Nordstern, ein Licht, das mich irgendwohin führen wird.
Ich weiß bereits, dass es die Hölle sein wird.
Trotzdem werde ich bereitwillig mitgehen.
Erlösung, denke ich wieder, während ich die Syrene anstarre. Oder ist es Verdammnis?
Ich beobachte, wie sie in der Strömung schwebt, ihr Körper so sündhaft weich und kurvenreich, dass es mir schwerfällt, sie mir als bösartige Kreatur vorzustellen. Dafür ist sie zu schön, zu zart.
Ich möchte ihre monströse Seite in Aktion sehen. Bis jetzt hat sie mich noch nicht entdeckt. Sie treibt nur ein paar Meter unter der Wasseroberfläche, und obwohl ich ihren Rücken nicht vollständig sehen kann, entdecke ich schwache Blutflecken, die das Wasser färben. Der Fischer muss sie tatsächlich gestochen haben.
Es kostet mich meine ganze Entschlossenheit, mich ihr nicht anzunähern. Ich könnte in Sekundenschnelle bei ihr sein und sie in Stücke reißen.
Stattdessen schieße ich an die Oberfläche. Ich atme die kalte Nachtluft ein und starre zum Mond hoch, während ich auf ihren Angriff warte.
Ich höre, wie sie sich nähert, ein knurrendes Geräusch aus den Tiefen unter mir, und mache mich bereit.
Sie packt mich zuerst an den Knöcheln, ihre scharfen Krallen graben sich durch mein Fleisch, meine Sehnen und Knochen. Sie ist überraschend stark. Wäre ich ein normaler Mann, hätte sie mir die Knochen gebrochen wie gesplitterte Zweige.
Ich könnte mich wehren und über Wasser bleiben, aber ich lasse mich von ihr nach unten ziehen.
Sie dreht mich mit sich, ihr silberblondes Haar wirbelt um uns herum.
Ich starre in zwei große halbgeöffnete Augen, die wie violette Flammen glühen, die Pupillen ein Diamant aus Kohle in der Mitte. Ihre Brauen umrahmen sie wie Bögen. Ihre Nase ist kurz und spitz, ihr Gesicht hat die Form eines Herzens, mit kleinen, vollen Lippen über einem zierlichen Kinn. Einen Moment lang bilde ich mir ein, eine schöne Frau vor mir zu haben, bis sich die Lippen öffnen und sie mir ihre Zähne zeigt. Ihr Lächeln ist rasiermesserscharf, als würde man in das Maul eines Hais schauen.
Ein Hai, der glaubt, dass er seine Beute ganz verschlingen wird.
Aber ich will meine Nase nicht verlieren, auch wenn sie irgendwann heilen würde, und ich habe keine Lust auf Schmerzen – die Furchen, die sie in meine Knöchel gegraben hat, pochen immer noch.
Ich weiche gerade rechtzeitig aus, als sie sich mit gefletschten Zähnen auf mich stürzt und ein Brüllen ausstößt, das wie eine Welle durch das Wasser schwappt.
Bevor sie die Gelegenheit hat, mich zu beißen, beiße ich zu.
Meine Reißzähne bohren sich in ihren Hals, ihre Haut ist erstaunlich zäh, und sie stößt einen Schrei aus. Ich lege meine Hand um ihren Hinterkopf und balle die Hand in ihren Haaren zu einer festen Faust, mit der anderen Hand fahre ich ihren Rücken hinunter, bis ich die Messerwunde ertaste.
Ich grabe meine Finger hinein, fest.
Ihr Rücken drückt sich durch, sie krümmt sich in meinem Griff, ihre Schmerzensschreie erfüllen das Wasser, aber zumindest habe ich sie dazu gebracht, nicht mehr gegen mich zu kämpfen. Der Schmerz hat sie betäubt.
Ich beginne zu trinken und sauge das Blut in meinen Mund.
In dem Moment, in dem es in einem Schwall von Salz und Lebendigkeit auf meine Zunge trifft, spüre ich, wie die Bestie in mir mit ihren Ketten rasselt. Wenn ich sie loslasse, wird sie diese Syrene in Stücke reißen, und obwohl es sich in diesem Moment gut anfühlt, genau dem zu erliegen, gegen das ich so hart gekämpft habe, und all die Menschlichkeit zu verlieren, die ich mir verdient habe, weiß ich, dass es das Dümmste wäre, was ich tun könnte.
Ich könnte sie verschlingen, und sie würde mir für eine lange Zeit Kraft spenden.
Aber nicht für immer.
Doch wenn ich sie an Land brächte, sie als Gefangene, als Haustier, halten würde, könnte ich ihr langsam das Blut aussaugen. Ich könnte so viel nehmen, wie möglich wäre, ohne sie zu töten, es zu dem Rest meines Vorrats in die Fässer tun, als Reserve für den Fall, dass ich sie versehentlich töte, und dann alle paar Tage mehr von ihr nehmen. Es müsste nicht viel sein, nur genug, um mich zu versorgen.
Ich weiß, was Abe sagen würde – dass es unmoralisch und unmenschlich ist.
Aber je mehr ich von dieser Syrene trinke, desto klarer wird mir, dass ich dem nie entkommen kann, egal, wie oft ich zu einem Gott bete, der mich nicht erhört, egal, ob die Welt mich als einen Mann Gottes ansieht.
Ich bin unmoralisch.
Ich bin unmenschlich.
Ich bin nicht einmal mehr ein Mensch.
Doch ich muss menschliches Blut trinken, um zu überleben. Und wenn es das Blut einer Syrene ist, ist das sogar noch besser. Ist es nicht gütiger, eine wilde Kreatur wie diese Fischfrau als meine Nahrungsquelle zu behalten, als jede Woche Menschen abzuschlachten? Ich würde der Welt einen Gefallen tun, indem ich die Leben rette, die sie getötet hätte, und auch die, die ich getötet hätte.
Ich tue Gott einen Gefallen.
Sie wird tatsächlich meine Rettung sein, denke ich.
Mit diesem Gedanken schaffe ich es, meine Zähne aus ihrem Hals zu ziehen, bevor ich die Kontrolle verliere. Das Blut fließt ungehindert ins Wasser, und sie verliert das Bewusstsein, ihre Augen flattern zu, während sie in meinen Armen erschlafft. Hoffentlich habe ich sie nicht schon umgebracht.
Ich möchte sie für immer am Leben erhalten.
Ich möchte sie behalten. Für immer.
Ich drehe mich im Wasser um, einen Arm unter ihrem eingeklemmt, und beginne, zum Ufer zu schwimmen. Es dauert nicht lange, bis ich die Steine unter meinen Füßen spüre und aus dem Wasser taumle, die Syrene in meinen Armen. Hier, in dem bitterkalten Wind, der einen dichten, wabernden Nebel heraufbeschwört, sieht sie verletzlich und nicht in ihrem Element aus. Wenn ich ihre Flosse ignoriere, könnte sie eine Jungfrau in Nöten sein, die ich gerade gerettet habe.
Aber ich bin nicht hier, um sie zu retten.
Ich bin hier, um sie bluten zu lassen.
Ich verschwende keine Zeit und bringe sie direkt zur Kapelle. Mein Haus ist klein, mit dünnen Wänden und zu vielen Fenstern, und während die Kirche selbst immer für alle offen steht, ist das Hinterzimmer verschlossen und hat keine Fenster.
Ich trete die schwere Haupttür auf und hoffe, dass nicht irgendeine verirrte Seele hineingekommen ist, um zu beten, während ich weg war. Die Kirche ist leer, still, als ob sie den Atem angehalten und auf mich gewartet hätte.
Ich schreite den Gang hinunter, ziehe eine Spur aus Wasser und Blut hinter uns her und gehe geradewegs zur Hintertür der Kapelle. Ich wage es nicht, einen Blick auf den Altar oder die Heiligenbilder an den Wänden zu werfen, deren Missbilligung auf ihren Gesichtern zu erkennen ist. Sie werden verstehen, dass ich das tun muss; sie werden verstehen, dass ich ihre Herde rette, indem ich einen weiteren Wolf töte.
Im Hinterzimmer riecht es nach gemischten Kräutern, Holz, alternden Leinen und altem Blut. Die Fässer stehen in einer Reihe an der hinteren Wand und es gibt einen kleinen Schreibtisch und einen Stuhl mit Stapeln von zusätzlichen Bibeln. Alles andere bewahre ich in geflochtenen Behältern auf, von denen die Hälfte in diesem Klima verschimmelt ist, egal, wie trocken der Raum zu sein scheint.
Dann ist da noch das schwere, lebensgroße Kreuz, das an der Wand lehnt. Als Abe mich hierhergebracht hat, war die Regierung gerade dabei, ihre Kirche zu renovieren, und hatte das abgenutzte Kreuz über dem Altar, das aus einer riesigen Eiche in Salamanca gefertigt worden war, abgenommen und ein kleineres, kunstvolleres silbernes Kreuz aufgehängt. Es soll eine würdigere Zukunft für das Dorf und vielleicht einen würdigeren Gott symbolisieren.
Ich empfinde es immer als eine kleine Beleidigung. Gott ist nicht im Reichtum zu finden, nein, er ist in den einfachen Dingen, wie in abgenutztem, rauem Holz aus der Heimat. Ein teures, aufwändiges Kreuz bedeutet nicht, dass dieses Dorf dem Himmel näher ist als mit einem alten Holzkreuz.
Aber das ist jetzt alles egal. Ich habe ein Kreuz zur Verfügung, und Gott möchte, dass ich es benutze.
Ich lege die Syrene vorsichtig auf den Boden. Sie ist völlig still, hat die Augen geschlossen, und ich starre sie einen Moment lang an, um zu sehen, ob sie atmet. Sie hat Kiemen am Hals, drei Linien, die versuchen, sich zu öffnen, dann aber aufgeben und zusammenkleben.
Vielleicht stirbt sie und mein Plan wird vereitelt, aber so oder so muss ich jetzt mehr Blut aus ihr herausholen, solange ich noch kann.
Obwohl ich in der Dunkelheit gut sehen kann, brauche ich Licht, um dies richtig zu tun. Ich zünde ein paar Kerzen im Raum an, dann gehe ich zum Kreuz und reiße die langen Nägel heraus, die aus morbider Verehrung in die Arme gebohrt worden waren. Ich schnappe mir ein Seil, das in der Ecke zusammengerollt ist, ziehe die Syrene mit einem Grunzen vom Boden hoch und lehne sie mit dem Rücken an das Kreuz, wobei ich das Seil schnell um einen Arm und dann um den anderen wickle, bis sie dranhängt.
Sie sackt nach vorne, ihr langes, nasses blondes Haar hängt ihr ins Gesicht und tropft auf den Boden. Das Gewicht ihres Oberkörpers zerrt an ihren Armen, bis sie sich mit einem Knacken auskugeln, also lasse ich ihre Flosse auf dem Boden ruhen, um sie zu stützen. Ich weiß gut genug, dass es nicht die Nägel waren, die diejenigen getötet haben, die gekreuzigt wurden. Nein, es war das Ersticken durch den Druck auf der Lunge. Ich weiß nicht, wie viel eine Syrene aushalten kann, aber ein Mensch am Kreuz würde in weniger als vierundzwanzig Stunden sterben.
Ich weiß nicht einmal, ob sie noch atmet.
Ich stelle mich nah vor sie und halte die Nägel in meinen Händen. Das Meerwasser tropft in einem gleichmäßigen Rhythmus von ihr herab, doch ansonsten bewegt sie sich nicht. Mein Blick verweilt auf ihren Brüsten, eine Versuchung, die ich ignorieren muss, obwohl mein Schwanz schon bei der kleinsten Provokation wild pocht.
Dann sehe ich es. Das leichteste Einatmen. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich, ihre Nasenlöcher blähen sich minimal. Sie atmet durch die Nase in die Lunge. Die Syrene kann sowohl unter als auch über Wasser atmen.
Zufrieden damit, dass sie noch am Leben ist, nehme ich zwei silberne Kelche und platziere sie unter ihren Handgelenken. Dann schnappe ich mir ein kleines leeres Fass und halte einen der Nägel direkt vor ihr Handgelenk. Mit einer schnellen Bewegung stoße ich den Boden des Fasses gegen die Spitze des Nagels und treibe ihn direkt durch ihren Arm ins Holz. Blut tritt aus der Wunde aus und ergießt sich in den Kelch darunter, während rote Spritzer den Boden bedecken.
Sie hebt den Kopf und starrt mich entsetzt an.
Dann zerreißt ein Schrei die Luft.
Der Schmerz explodiert aus meinem Handgelenk, zerbricht in mir und reißt mich aus der behaglichen Dunkelheit, bis ich in die Welt zurückgestoßen werde.
Eine furchtbare, trockene Welt.
Meine Augen öffnen sich, ein hoher Schrei explodiert aus meiner rauen Kehle, meine Lunge brennt, während sie damit kämpft, benutzt zu werden, Sauerstoff in der Luft zu finden. Es fühlt sich an, als hätte man Steine auf sie gelegt, und ich keuche und frage mich, warum ich von den Toten zurückgebracht wurde und solche Qualen erleide.
Direkt vor mir steht ein Mann, dessen seltsamer, weltfremder Geruch mir in die Nase steigt. Er zuckt bei dem Schrei, der aus meinem Mund dringt, zusammen, und irgendwo höre ich, wie von der Kraft meiner Stimme, Glas zerspringt.
Aber der Mann hört nicht mit dem auf, was er tut. Ich sehe einen langen, scharfen Nagel in seiner Hand, den er schnell an meinem anderen Handgelenk ansetzt, bevor er ihn mit einem runden Holzgegenstand in meinen Arm rammt. Er bewegt sich so schnell, dass meine Augen seine Bewegungen kaum verfolgen können; er ist nur ein verschwommener Fleck in der Luft.
Der Schmerz trifft mich sogar noch schneller.
Ich schreie wieder und wehre mich gegen die Nägel, die mich an ein Holzbrett pinnen. Dabei reißt mein Fleisch und Blut spritzt überall hin. Der Mann strafft die Seile um meine Arme, damit ich mir nicht noch mehr Schaden zufügen kann, und der Druck auf meiner Lunge lässt ein wenig nach. Meine Flosse unter mir schlägt wild auf den Boden, bis ich mich selbst stützen kann.
Dann nimmt der Mann das Ende des Seils und rammt es mir in den Mund, als wollte er mich am Schreien hindern.
Als ob das helfen würde. Dummkopf.
Ich schaue ihm direkt in die Augen und beiße auf das Seil, zerschneide es in ein paar Kieferschlägen mit meinen Zähnen, bis es ausgefranst ist und herunterfällt.
Seine Augenbrauen heben sich, und er wirkt mehr beeindruckt als alles andere.
Das ist der erste Moment, in dem ich ihn wirklich ansehe.
Weil er nicht wie die meisten Männer ist, richtig?
Als ich ihn im Meer sah, dachte ich, er sei vielleicht ein anderer Fischer, der nachforschen wollte, was ich den anderen angetan hatte. Einer, der sich rächen wollte.
Und ich habe es begrüßt. Aufgrund meiner Verletzung wusste ich, dass der Verzehr des Herzens und der Leber eines anderen mir bis zu meiner Genesung sehr helfen würde.
Es schien zu schön, um wahr zu sein, und genau so war es auch.
Ich habe ihn so fest an den Knöcheln gepackt, dass die Knochen hätten brechen sollen, aber sie sind nicht gebrochen. Ich habe ihn von der Oberfläche heruntergezogen und bin zum Angriff übergegangen.
Aber als ich einen Blick in sein Gesicht geworfen habe, ist mir klargeworden, dass dies kein gewöhnlicher Fischer ist.
Er war auf eine Weise schön, wie es die meisten Menschen nicht sind, mit einem kräftigen Kiefer und einer starken Nase, strahlend blauen Augen, die von langen schwarzen Wimpern umrahmt wurden, gepaart mit einem dunklen Bart und langem schwarzen Haar.