Olivia Engel & Co. - Ines Köster - E-Book

Olivia Engel & Co. E-Book

Ines Köster

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Beschreibung

Emma findet im Wald ein geheimnisvolles schwarzes Bild. Ihr neugieriger Zwergseidenaffe Oskar springt plötzlich in das Bild und ist verschwunden. Trotz großer Angst stürzt sich Emma hinterher. Sie landet mit Oskar im Zauberreich Salomé. Aber wie kommt sie nun wieder nach Hause? Von der Hexe Aurelia erfährt sie, dass sie erst nach Hause reisen kann, wenn sie den Kristall der Hoffnung gefunden hat. Schweren Herzens macht sich Emma mit Oskar auf den langen abenteuerlichen Weg durch das Zauberreich. Es wird gefährlich, sehr gefährlich für Emma, denn ein mächtiger und grausamer Zauberer hat seine Hand im Spiel. Zu ihrem Glück braucht sie nicht allein gegen das Böse kämpfen…

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Seitenzahl: 225

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Inhalt

Geheimnisvolle Botschaften

Des Rätsels Lösung

Bei der Hexe Aurelia

Ankunft in Trollhausen

Aurelias Rückverwandlung

Emmas erstes Abenteuer

Das Wiedersehen

Die Kristallhöhle

Die Wirkung der Glückspaste

Die Geschäfte des Prinzen

Unterwegs nach Trollhausen

Emmas Verwandlung

Der Angriff aus der Luft

Der rote Stein

Die Falle

Die Ankunft in Glücksstadt

Eine folgenschwere Begegnung

Emmas Plan

Treffpunkt Schlosspark

Letzte Vorbereitungen

Aus Goldhand wird Goldfeder

Ein Festessen mit Überraschungen

Die Heimreise naht

Geheimnisvolle Botschaften

Die warme Oktobersonne schien durch das Fenster des Lehrerzimmers der Grundschule »Fleißige Bienchen«. Die Lehrerinnen saßen schwatzend im Lehrerzimmer und tranken Kaffee. Ihre Schüler tobten unterdessen auf dem Schulhof herum.

»Olivia, wie geht es Prinz Michael?«, fragte eine der Lehrerinnen. Plötzlich war es still. Alle Augen richteten sich gespannt auf die junge, braunhaarige Lehrerin Olivia Engel.

»Prinz Michael geht es wieder besser!« Olivia bekam rote Ohren. Sie hatte es gar nicht gern, wenn man sie nach dem Prinzen ausfragte. Aber ein echter Prinz aus einem Zauberreich, der sich für ein Leben fern von der Heimat entschieden hatte, war eben eine große Sensation.

»Der Prinz ist eben solch große Wetterumschwünge nicht gewöhnt. Im Zauberreich ist doch immer Sommer, nicht wahr?«, fragte eine andere Lehrerin wissbegierig.

»Ja. Im Zauberreich Salomè ist es immer warm«, antwortete Olivia leicht genervt. Sie hatte in den vergangenen Monaten ihre Abenteuer im Zauberreich Salomé mit ihrer damaligen vierten Klasse schon so oft erzählen müssen.

»Vielleicht hat der Prinz Heimweh und ist deshalb krank geworden«, sagte die Schulleiterin.

Die Ohren von Olivia verfärbten sich von hellrot zu dunkelrot. Genau das vermutete sie auch.

Zum Glück klingelte es. Olivia ging schnell zu ihren Erstklässlern, die sie vor ein paar Wochen eingeschult hatte.

Sie hörte schon von Weitem lautes Geschrei. Einer ihrer Schüler kam weinend mit roten Wangen auf sie zugerannt und schluchzte: »Emma hat mich hingeschubst. Und ich darf meine neue Hose nicht dreckig machen.« Er streckte sein schmutziges Hosenbein vor.

»Nun beruhige dich erst einmal.« Liebevoll strich Olivia über den erhitzten Kopf des Jungen. »Warum hat dich Emma denn hingeschubst?«

»Nur weil ich Angeberin zu ihr gesagt habe.«

»Emma, komm doch bitte mal zu mir!«, rief Olivia.

Erhobenen Hauptes und kein bisschen schuldbewusst kam Emma auf sie zu. »Da bin ich.« Keck guckte die Siebenjährige Olivia aus ihren großen braunen Augen an.

»Wie oft habe ich schon zu euch gesagt, das ihr euch nicht gegenseitig hinschubsen sollt. Einen Streit kann man auch mit Worten lösen.«

»Ja, aber der da hat nicht aufgehört, mich Angeberin zu rufen«, verteidigte sich Emma und zeigte auf den weinenden Jungen. »Er ist ja bloß neidisch, weil wir jetzt einen kleinen Affen aus dem Zoo zu Hause haben.«

»Bin ich nicht!«, rief der Junge beleidigt.

»Bist du doch, bäh!« Emma streckte ihre Zunge heraus.

»So, jetzt reicht es. Geht auf eure Plätze und setzt euch hin!«, forderte Olivia die Streithähne auf.

Emma ging selbstbewusst zu ihrer Schulbank ganz hinten in der Klasse. Dort saß sie allein, weil sie sich mit keinem Banknachbarn vertragen konnte. Olivia hatte sich am Anfang des Schuljahres sehr auf die kleine Schwester ihrer ehemaligen besten Schülerin Frederike gefreut. Aber Emma fand Lernen und Stillsitzen langweilig. Jeden Tag störte sie den Unterricht. In den Pausen raufte sie sich ständig mit ihren Mitschülern.

»Erzähle uns doch etwas über den kleinen Affen, den ihr zu Hause habt«, sagte Olivia zu Emma, als es still im Klassenraum geworden war.

Emmas Augen begannen zu leuchten und ihre Wangen zu glühen. »Also«, hub sie geheimnisvoll an. »Mein Papa, der Zoodirektor ist, hat gestern Abend einen Zwergseidenaffen mit nach Hause gebracht.«

»Warum hat denn dein Papa den Affen mit nach Hause gebracht?«, fragte Olivia interessiert.

»Oskar, so heißt der Affe übrigens«, antwortete Emma stolz, »soll von meiner Mama für einen Fernsehauftritt in einem Film trainiert werden. Er ist schon ganz zahm.«

Die Augen ihrer Mitschüler wurden immer größer. Das entging Emma natürlich nicht und so setzte sie noch prahlerisch hinzu: »Meine Mama ist nämlich Tiertrainerin, wisst ihr und da haben wir oft Tiere zu Hause. Wir hatten sogar schon einmal ein Hängebauchschwein bei uns, aber das hat immer in die Küche gemacht und weil das so gestunken hat, da …«

Weiter kam sie nicht, denn schallendes Gelächter unterbrach sie.

Schnell sagte Olivia: »So, Kinder, ich glaube das reicht. Wir wollen heute in Deutsch einen neuen Buchstaben kennen lernen.«

Nicht gerade begeistert drehten sich die Erstklässler um. Viel lieber hätten sie noch mehr spannende Tiergeschichten von Emma gehört.

Nach dem Unterricht stieg Olivia eilig in ihr Auto, um ins Krankenhaus zu Prinz Michael zu fahren. Seit zwei Wochen lag er dort mit einer Lungenentzündung im Bett und wirkte jeden Tag zerbrechlicher.

Olivia dachte wehmütig an die ersten unbeschwerten Wochen mit dem dunkelhaarigen Prinzen nach ihrer Ankunft aus dem Zauberreich Salomé. Alle Zeitungen und Fernsehsender hatten von den unglaublichen Erlebnissen der vierten Klasse der Grundschule »Fleißige Bienchen« und ihrer Lehrerin berichtet. Prinz Michael, der sich aus Liebe zu Olivia von seiner Heimat verabschiedet hatte, stand dabei immer im Mittelpunkt.

Aber irgendwann ließ das Interesse der Menschen an den Geschichten um die Abenteuer in Salomé und um den Prinzen nach. Er wurde immer lustloser. Als Olivia dann nach den Sommerferien wieder zur Arbeit gehen musste, langweilte sich der Prinz zusehends. Und plötzlich hatte er hohes Fieber und musste mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren werden.

Nach einer halben Stunde Fahrt parkte Olivia ihr Auto auf dem großen Krankenhausparkplatz. Den Weg zum Zimmer des Prinzen kannte sie schon im Schlaf. Aber heute sollte alles anders kommen.

Gerade wollte sie die Türklinke hinunterdrücken, als eine Krankenschwester angerannt kam und ihr atemlos zurief: »Frau Engel, warten Sie bitte. Der Doktor möchte Sie unbedingt sprechen.«

Olivias Magen zog sich zusammen. Ängstlich folgte sie der Krankenschwester ins Arztzimmer. Der grauhaarige Doktor begrüßte sie freundlich: »Guten Tag. Bitte nehmen Sie Platz!«

Olivia setzte sich nervös auf den schwarzen Lederstuhl.

»Also«, hub der Doktor an, »ich habe keine gute Nachricht für Sie.«

Olivia sackte in sich zusammen. War ihr Michael etwa gestorben?

»Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass der Prinz Michael seit heute früh um fünf Uhr vermisst wird. Er ist wie vom Erdboden verschwunden.«

Der Doktor in seinem blütenweißen Kittel begann sich vor Olivias grünen Augen im Kreis zu drehen. »Wie meinen Sie das?«, stammelte sie. »Er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.«

»Für mich gibt es nur eine Antwort auf das geheimnisvolle Verschwinden des Prinzen«, antwortete der Doktor streng. »Es ist Zauberei im Spiel.«

»Niemals!«, schrie Olivia entrüstet.

»Wir haben auf jeden Fall die Polizei eingeschaltet«, sagte der Doktor. »Sollten Sie ein Lebenszeichen von Prinz Michael erhalten, informieren Sie mich bitte unverzüglich.«

Er verabschiedete sich von Olivia, die mit weichen Knien aus dem Krankenhaus wankte.

Irgendwie schaffte es Oliva, trotz des Tränenschleiers vor ihren Augen, heil zu Hause anzukommen. Ihre Vermieterin schnitt gerade im Vorgarten verblühte Blumen ab, als sie ihr Auto vor der Garage abstellte.

Olivia stieg hastig aus und rannte, ohne die alte Frau zu beachten, ins Haus.

»Frau Engel! Halt!«, rief die Vermieterin. »Sie haben Besuch. Frederike und Timmi sitzen bei mir im Wohnzimmer und warten auf Sie.«

»Keine Zeit. Ich muss Prinz Michael suchen!«, schrie Olivia zurück.

Aber ihre ehemaligen Schüler, die nun die fünfte Klasse besuchten, kamen ihr schon aus der Wohnung der Vermieterin entgegen.

»Was ist mit Prinz Michael geschehen?«, fragte Timmi aufgeregt.

»Kommt mit«, antwortete Olivia, »dann erzähle ich euch alles.«

In Olivias Wohnzimmer machten es sich Timmi und Frederike auf dem weichen Sofa bequem.

»Möchtet ihr etwas trinken?«, fragte Olivia.

»Nein, danke!«, antwortete Timmi abwehrend. »Ich bin noch mit Eistee abgefüllt. Irgendwie hatte der so einen komischen Nachgeschmack.«

»Ja, stimmt«, fügte Frederike sich den Bauch reibend hinzu. »In meinem Bauch kollert es nur so.« Sie blickte gespannt auf Olivia. »Aber jetzt erklären Sie uns bitte, was los ist. Ich halte es vor Neugierde kaum aus.«

»Prinz Michael ist heute Morgen aus dem Krankenhaus spurlos verschwunden«, sagte Olivia leise.

Timmis Arme und Beine waren auf einmal bleischwer. Doch ein spitzer Schrei von der braunhaarigen Frederike, die statt ihrer Zöpfe nun einen schicken Kurzhaarschnitt trug, ließ ihn ruckartig zusammenfahren.

»Bist du verrückt geworden, mich so zu erschrecken!«, schrie Timmi aufgebracht. Seit den überstandenen Abenteuern in Salomé hatte der blonde, meist blasse Timmi mächtig an Selbstvertrauen zugelegt. Er ließ sich nicht mehr so leicht in die Ecke drängen, obwohl er auch in der fünften Klasse immer noch der Kleinste war.

»Das Obst! Es ist auf einmal bunt«, stotterte Frederike hilflos. Sie starrte entgeistert auf die Obstschale, die auf dem Tisch stand. Das Obst sah plötzlich aus, als hätte man es mit Eierfarben bunt gefärbt. Hellblaue Äpfel, lila Pfirsiche, sonnengelbe Weintrauben, orange Birnen leuchteten in der Obstschale. Ganz oben prangten drei rote Bananen.

»Das ist doch nicht möglich!« Olivia begann wie Espenlaub zu zittern. Timmi wurde so weiß wie die frisch gestrichene Tapete in dem großen Wohnzimmer.

»Also doch«, wisperte Olivia, »es ist Zauberei im Spiel.«

Genau dieses farbenfrohe und äußerst köstliche Obst wuchs im Zauberreich Salomè bei den liebenswerten Trollen in Trollhausen.

»Aber«, stammelte Frederike, »ich dachte immer, die Zaubereien erreichen unsere Welt nicht.«

»Anscheinend doch«, antwortete Olivia und sah sich mit bangem Blick um. »Wir müssen vorsichtig sein. Niemand darf davon erfahren. Sonst könnten die Menschen Angst bekommen. Geht jetzt bitte nach Hause. Und sagt niemandem ein Wort.«

»Frau Engel«, flüsterte Timmi auf einmal ganz leise. »Da ist noch etwas. Schauen Sie sich einmal das Bild von Trollhausen an.«

Trollhausen war eine farbenprächtige Stadt mit weiten Feldern, riesigen Obstplantagen und saftigen Wiesen. Dort waren die Viertklässler mit Olivia vor ein paar Monaten durch einen Zauber mit ihrem Bus gelandet und von den weisen Trollen und ihrer Herrscherin, der Fee Sardine, herzlich empfangen worden.

Olivia war fassungslos, als sie auf das Bild sah, welches sie zum Abschied von den Trollen geschenkt bekommen hatte. Statt des prunkvollen, farbenprächtigen Gemäldes von Trollhausen war nur noch eine schwarze Leinwand in dem goldenen, verschnörkelten Bilderrahmen zu sehen.

»Schnell, geht jetzt«, sagte Olivia zitternd, »wer weiß, was noch hier passiert. Zu Hause bei euern Eltern seid ihr in Sicherheit.«

Als Timmi und Frederike gegangen waren, ließ Olivia sich in ihren Sessel fallen. Sie starrte abwechselnd das bunte Obst und das schwarze Bild an. Obwohl ihr Herz vor Aufregung raste und sie keinen klaren Gedanken fassen konnte, dämmerte sie weg.

Des Rätsels Lösung

Hören Sie mich?«

Eine dünne Stimme drang an die Ohren der schlafenden Olivia. »Ja, ich höre Sie«, murmelte sie im Traum.

»Wir brauchen Ihre Hilfe. Wir sind sonst dem Untergang geweiht«, hauchte die Stimme.

»Ich soll helfen?«, wisperte Olivia mit geschlossenen Augen. »Wem soll ich helfen?«

»Das Bild, Olivia. Das schwarze Bild ist eine Tür ins …«

Ein lautes Klopfen an der Tür ließ Olivia ruckartig zusammenfahren. Verwundert schlug sie die Augen auf. Sie hatte sich doch tatsächlich eingebildet, eine Frauenstimme im Traum gehört zu haben, die den gleichen Klang gehabt hatte wie die der Fee Sardine aus Trollhausen.

Das Klopfen an der Tür wurde energischer. »Frau Engel, die Polizei ist da. Die Herren möchten Sie gern sprechen!«, rief ihre Vermieterin aufgelöst.

»Einen kleinen Moment bitte!« Olivia strich sich mit einer nervösen Handbewegung ihre gelockten Haare aus dem Gesicht.

Dann fiel ihr Blick auf das bunte Obst. Das durften die Polizisten auf keinen Fall sehen. Schnell wollte sie die Obstschale verstecken, aber sie rutschte ihr aus den Händen. Krachend fiel sie auf den Boden.

»Alles in Ordnung bei Ihnen?«, fragte eine Männerstimme.

»Ja, komme sofort.«

Hektisch las Olivia die verräterischen Früchte auf und brachte sie in die Küche. Dann öffnete sie die Tür. Zwei Polizisten standen davor, neben denen die besorgt dreinschauende Vermieterin wie eine Zwergin wirkte.

»Guten Tag. Wir haben einige Fragen an Sie«, sagte einer der Polizisten streng.

Olivia führte die Männer ins Wohnzimmer. »Bitte nehmen Sie Platz.«

»Das Krankenhaus hat uns das rätselhafte Verschwinden des Prinzen Michael gemeldet«, fuhr der Polizist fort. »Und wir sind beauftragt worden, herauszufinden, ob Zauberei im Spiel ist.«

Olivia wurde es abwechselnd heiß und kalt. Dann riss sie sich zusammen und antwortete: »Ich weiß von nichts. Als Polizisten glauben Sie hoffentlich nicht an Hexerei.«

»Und was ist das hier?« Ein Polizist hielt einen hellblauen Apfel in der Hand. Er hatte ihn unter dem Tisch entdeckt.

»Ich weiß nicht wie der Apfel hierher gekommen ist«, stotterte Olivia hilflos.

»Na dann werden wir Ihrem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge helfen«, erwiderte der Polizist barsch und erhob sich. »Wir nehmen Sie mit auf unser Revier. Dort können Sie in Ruhe noch einmal über alles nachdenken.«

Kreidebleich ging Olivia mit den Polizisten, die sie wie eine Schwerverbrecherin in ihre Mitte genommen hatten, die Treppe hinunter. In ihrem Kopf hörte sie plötzlich wieder die Frauenstimme aus ihrem Traum: »Helfen Sie uns! Wir sind sonst verloren. Das schwarze Bild ist eine Tür ins …«

»Steigen Sie bitte ins Auto ein!«, forderte einer der Polizisten Olivia auf und riss sie damit schlagartig aus ihren Gedanken.

Mittlerweile hatte sich die Kunde von Olivias Mitnahme ins Polizeirevier wie ein Lauffeuer im Dorf verbreitet. Die wildesten Gerüchte brodelten bereits. Böse Mächte hätten ihre Hände im Spiel, so hieß es. Und Olivia Engel sei einer üblen Zauberei durch die Polizei überführt wurden, erzählte man sich überall.

Frederike saß mit ihrer Schwester Emma und den Eltern am Abendbrottisch. Oskar, der Zwergseidenaffe aus dem Zoo, hatte es sich in seiner Spielecke gemütlich gemacht.

»Die arme Frau Engel«, sagte die Mutter. »Erst waren sie und der Prinz so glücklich hier. Und nun ist der Prinz verschwunden und Frau Engel ist verhaftet worden wie eine Kriminelle.«

»Was ist eine Kriminelle?«, fragte Emma.

»Das ist jemand, der etwas Unrechtes getan hat«, antwortete der Vater.

»Dann ist Frederike auch eine Kriminelle«, sagte Emma und schaute ihre Schwester herausfordernd an.

»Pass ja auf, was du sagst!«

»Und was macht das hässliche schwarze Bild in deinem Zimmer? Ich habe gesehen, wie du es heimlich in dein Zimmer gebracht und versteckt hast.«

Frederike wurde so rot wie die Tomaten auf dem Tisch. Sie funkelte Emma böse an und sagte: »Du träumst am helllichten Tag.«

»Nein, tue ich nicht«, schrie Emma beleidigt.

»Dann lügst du eben«, schrie Frederike.

»Jetzt reicht es aber«, mischte sich der Vater ein. »Ihr geht beide auf euer Zimmer. Wir sprechen uns nachher noch.«

Die beiden Mädchen rannten, ohne sich anzusehen, nach oben und knallten ihre Kinderzimmertüren hinter sich zu. Vor Schreck sprang Oskar auf den Schoß der Mutter.

»Na, die beiden können demnächst ihre Lieblingsserien im Fernsehen vergessen«, sagte die Mutter aufgebracht und streichelte beruhigend über die weiche Mähne am Kopf des Affen.

Frederike überlegte unterdessen fieberhaft. Sie musste das schwarze Bild aus ihrem Zimmer wieder verschwinden lassen. Ihre Eltern durften es auf keinen Fall entdecken.

Am späten Nachmittag hatte sie einen geheimnisvollen Anruf von einer Frau bekommen. Sie hatte ihr gesagt, wenn sie Frau Engel helfen wollte, müsste sie unbedingt das schwarze Bild aus der Wohnung der Lehrerin holen und es verstecken. Nun war das Bild dank ihrer geschwätzigen Schwester nicht mehr sicher unter ihrem Bett.

Leise öffnete Frederike die Kinderzimmertür. Die Eltern waren ins Wohnzimmer gegangen und hatten die Tür geschlossen. Das war die günstige Gelegenheit. Schnell zog sie sich eine Jacke an, nahm das Bild und schlich die Treppe hinunter. Sie bemerkte in ihrer Aufregung nicht, dass ihr jemand wie ein Schatten folgte.

Da das Haus ihrer Familie am Waldrand stand, hatte Frederike die Idee, das Bild an einer geschützten Stelle im Dickicht zu verstecken. Schnell fand sie unter einem Brombeerstrauch einen passenden Platz. Trotz der stachligen Zweige, die ihr einige unschöne Kratzer einbrachten, streute sie noch gelbes Laub auf die schwarze Leinwand. Nun war das Bild vom Waldboden nicht mehr zu unterscheiden. Eilig lief sie ins Haus zurück.

Am nächsten Tag stand eine andere Lehrerin vor Olivias erster Klasse. Emma konnte den Schulschluss kaum abwarten. Endlich war auch die letzte langweilige Schulstunde geschafft. Sie rannte schnell nach Hause und schmiss ihren Ranzen achtlos in den Flur. Dann ging sie in die Küche. Oskar saß dort auf einem Ast in seinem großen Käfig und schaute sie neugierig mit seinen braunen Knopfaugen an.

»Du kommst mit, Oskar«, sagte Emma mit leuchtenden Augen. »Wir gehen auf Schatzsuche.«

Obwohl es ihr ausdrücklich verboten war, den Affen aus dem Käfig zu lassen, wenn keiner daheim war, öffnete sie die Käfigtür.

Emma setzte sich das Leichtgewicht Oskar auf die Schulter. Der kleine Affe wog nicht mehr als eine Tafel Schokolade.

Zielstrebig lief Emma in den Wald. Bald hatte sie das Versteck des schwarzen Bildes erreicht. Sie war es gewesen, die Frederike gestern Abend beobachtet hatte. Sie musste unbedingt herausfinden, was an dem hässlichen schwarzen Bild so interessant war. Vor Neugier und Ungeduld verspürte sie schon den ganzen Tag ein starkes Ziehen im Bauch. Schnell zog sie ihre dicke Jacke aus und legte sie auf den Boden. Danach nahm sie Oskar von ihrer Schulter hinunter und setzte ihn auf ihre Jacke.

»Du bleibst schön da sitzen«, befahl sie. Aufgeregt zog sie nun das Bild unter den Brombeerzweigen hervor. »Aua«, schrie sie. »Doofe Stacheln.«

Aber schnell waren die Schmerzen vergessen, denn es geschah etwas Unglaubliches. Sie hatte die schwarze Leinwand berühren wollen, fasste jedoch in die Tiefe. Erschrocken zog sie die Hand zurück.

»Das kann doch nicht sein«, murmelte sie. Sie hievte das große Bild hoch, um darunter zu sehen. Kein Loch war im Erdboden. Sie legte das Bild auf eine andere Stelle des Waldweges und konnte wieder in die Tiefe fassen.

Oskar verfolgte neugierig jede Bewegung von Emma. Plötzlich sprang er mit einem Satz in die geheimnisvolle Tiefe und war sogleich vom Dunkel verschluckt.

»Oskar«, schrie Emma entsetzt, »bist du verrückt geworden?«

Hilflos sah sie sich um. Was sollte sie jetzt tun? Ihre Eltern würden sie schrecklich bestrafen, wenn sie erfahren würden, was sie angestellt hatte. Es gab nur eine Möglichkeit der Standpauke der Eltern zu entgehen. Sie musste auch in das Bild springen.

Sie stellte sich mit zittrigen Beinen vor den goldenen Bilderrahmen. Ihr war elend zumute. Ihre Beine schienen auf einmal aus Gummi zu sein. Nein, sie konnte nicht springen. Sie sackte zusammen. Sie kniete sich vor den Bilderrahmen und beugte sich weit vornüber. Vielleicht konnte sie doch etwas in der Dunkelheit erkennen. Doch auf einmal wurde sie von einer unsichtbaren Hand in die Tiefe gezogen.

Frederike hatte Timmi in der großen Hofpause alles, was am Vortag passiert war, erzählt. Sie beschlossen, gleich nach der Schule in den Wald zu gehen, um das schwarze Bild zu holen und es bei Timmi im Keller zu verstecken.

Ausgerechnet heute hatten sie noch eine langweilige Chorprobe nach dem Unterricht. Als die endlich vorbei war, rannten sie in den Wald. Frederike traute ihren Augen kaum, als sie das Bild mitten auf dem Waldweg liegen sah.

»Hier stimmt doch etwas nicht«, rief sie aufgeregt. Sie hatte ein mulmiges Gefühl.

Timmi und Frederike ließen ihre Ranzen auf die Erde fallen und stürzten zu dem Bild.

Sogleich entdeckten sie das Unfassbare. Die schwarze Leinwand war weg. Stattdessen klaffte ein dunkles Loch im goldenen Bilderrahmen. Sie hoben den Bilderrahmen hoch. Im selben Moment war im Bilderrahmen wieder die schwarze Leinwand.

»Komm, wir legen das Bild auf eine andere Stelle«, sagte Frederike. Kaum lag das Bild auf dem Waldweg, klaffte wieder das dunkle Loch im Erdboden.

»Verdammt noch mal! Es ist Zauberei im Spiel«, sagte Timmi fassungslos. »Das ist nun der sichere Beweis.« Eine kalte Hand schien ihm den Rücken hinauf zu krabbeln. Er schüttelte sich.

»Es muss aber jemand das Bild aus dem Versteck geholt haben«, sagte Frederike mit zittriger Stimme. »Wenn nun jemand in die Tiefe gestürzt ist?« Ihr wurde noch ein bisschen mulmiger.

»Hier!«, rief Timmi und stürzte zu der Jacke, die auf dem Waldboden lag. »Ich habe etwas gefunden.« Er hielt Emmas Jacke hoch.

Frederike stieß einen spitzen Schrei aus. »Das ist Emmas Jacke«, stammelte sie. »Was, wenn sie nun?« Sie wagte es sich nicht, den Satz zu beenden.

»Ich ahne nichts Gutes«, sagte Timmi, »deine Schwester ist da gewiss hineingefallen oder gesprungen.«

»Ich glaube es auch«, schluchzte Frederike. »Sie muss mir gestern gefolgt sein. Meine armen Eltern. Wie soll ich ihnen das nur erklären?«

Beide Kinder starrten ängstlich in das Loch. Plötzlich hörten sie eine Frauenstimme, die aus der Tiefe kam. »Wenn ihr Emma retten wollt, folgt ihr.«

»Timmi, hast du das gehört?«

»Klar, Mensch!«

»Das war die gleiche Stimme, die gestern am Telefon war.«

»Ich habe eine verdammte Angst«, stammelte Timmi kreidebleich. »Vielleicht sterben wir, wenn wir in dieses gruslige Loch springen.«

»Ich springe da hinein«, entgegnete Frederike, obwohl ein dicker Kloß in ihrem Hals zu sitzen schien. »Ich muss Emma retten. Du brauchst es nicht zu tun, wenn du Angst hast.«

»Ich mache mit«, sagte Timmi entschlossen, obwohl ihm vor Angst übel war. »Also los! Auf drei springen wir. Eins, zwei, drei!«

Mutig stürzten sie sich nacheinander in den dunklen Schlund, ohne im Geringsten zu wissen, was sie dort erwartete und ob sie je wieder nach Hause finden würden.

Olivia konnte am Nachmittag endlich wieder die Polizeistation verlassen. Kaum war sie zu Hause, klingelte es an der Tür. Die aufgeregten Eltern von Frederike und Emma standen davor.

»Unsere Kinder und Oskar sind wie vom Erdboden verschwunden«, sagte die Mutter mit Tränen in den Augen. »Sind sie vielleicht bei Ihnen?«

»Nein«, antwortete Olivia erschrocken.

»Bitte melden Sie sich bei uns, wenn Sie etwas hören«, sagte der Vater. »Wir suchen jetzt die Umgebung ab.«

Olivia ließ sich in ihren Sessel fallen. Ihre Gedanken wirbelten. Nun bemerkte sie, dass das Bild an der Wand fehlte. Überrascht sprang sie auf und hörte wieder die Frauenstimme. »Schnell, laufen Sie los. Ich führe Sie zu dem schwarzen Bild.«

Entschlossen schlug Olivia die Tür hinter sich zu. Plötzlich stand sie schon mitten im Wald, obwohl sie gerade erst losgelaufen war. Vor ihren Füßen lag das Bild. Sie wollte auf die schwarze Leinwand fassen und zog erschrocken die Hand zurück. Eiskalte Schauer durchdrangen ihren Körper.

»Springen Sie in das Bild!«, forderte sie die Frauenstimme auf. »Nur auf diesem Weg können Sie die Kinder retten.«

Olivia sah sich ängstlich um. Da entdeckte sie Emmas Jacke und die Ranzen von Frederike und Timmi. Ohne weitere Überlegungen stürzte sie sich tapfer in die Tiefe. Mit ihr verschwand auch das geheimnisvolle Bild.

Bei der Hexe Aurelia

Emma rieb sich die Augen und rümpfte die Nase. Sie war anscheinend in einem Kräutergarten gelandet. Aber die Pflanzen stanken so widerwärtig, dass sie würgen musste. Nun sah sie Oskar mitten im Pflanzengewirr liegen. Er hatte alle Viere von sich gestreckt und die Augen nach oben gedreht.

»Oskar«, schrie Emma entsetzt, »du darfst nicht tot sein.«

Sie nahm den Affen behutsam auf und streichelte ihm über das grünlich-graue Fell. Zum Glück atmete er noch. Mit wackligen Beinen stand sie auf. Ihr Blick fiel auf ein Schloss. Es schien schon sehr alt zu sein.

Hoffentlich wohnt noch jemand darin, dachte sie und lief los. Ihre Gedanken waren nur bei Oskar. Sie war noch nicht weit gekommen, da versperrten ihr ein schwarzer Kater und eine rundliche, weiß-orange gestreifte Katze den Weg.

»Halt!«, rief der schwarze Kater. »Wir dulden hier keine Eindringlinge, miau.«

Emma hätte fast Oskar fallengelassen, als der Kater zu sprechen anfing. »Ich brauche doch Hilfe«, wisperte sie, »meinem Affen geht es nicht gut.«

Die weiß-orange Katze, deren Vorderbeine bis zur Hälfte mit schwarzem Fell bewachsen waren, hatte Emma die ganze Zeit neugierig betrachtet. Das Gesicht des Mädchens und die langen braunen Zöpfe kamen ihr irgendwie bekannt vor. »Wie heißt du? Und wie bist du hierher gekommen?«, fragte sie und schlich um Emma herum.

»Ich heiße Emma. Ich bin meinem Affen gefolgt, der in ein schwarzes Loch im Waldboden gesprungen war. Aber was dann geschah, weiß ich nicht. Irgendwann bin ich da hinten in dem stinkenden Garten aufgewacht.«

»Aha«, sagte die Katze und flüsterte dem Kater etwas zu. Der schaute Emma prüfend an und forderte sie auf: »Komm, wir bringen dich zu unserer Herrin. Sie hilft deinem Affen bestimmt.«

Emma lief den Katzen hinterher. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Vielleicht träumte sie ja nur. Oder war sie etwa im Zauberreich Salomé gelandet, von dem ihr Frederike mit leuchtenden Augen so viel erzählt hatte? Wo die Tiere angeblich wie Menschen sprachen. Sie hatte ihrer Schwester kein Wort von den fantastischen Geschichten geglaubt.

Die Katzen führten Emma in das schon ziemlich verfallene Schloss. Putz bröckelte überall von den Wänden. Ganze Mauersteine versperrten den Weg. Emma musste aufpassen, dass sie nicht stolperte. Nachdem sie viele Schlosstreppen passiert hatten, kamen sie in einen großen Thronsaal. Auf einem verwitterten Thron saß eine alte, ungepflegte Frau mit langen grauen Haaren. Aber sie schien freundlich zu sein.

»Na, meine treuen Katzen«, sagte sie mit einem schiefen Lächeln, welches ihre Zahnlücken entblößte. »Wen bringt ihr denn da mit?«

»Das Mädchen erbittet Hilfe für ihren Affen, Herrin«, antwortete der Kater.

»Gib mir deinen Affen, liebes Kind«, wandte sich die Alte an Emma. »Ich will sehen, ob ich ihn wieder auf die Beine bringen kann.«

Weil die Alte so einen gutmütigen Eindruck machte, gab Emma ihr den leblosen Oskar. Sanft streichelte die runzlige Alte über das weiche Fell des Affen und murmelte dabei einige unverständliche Worte.

Oskar schlug auf einmal die Augen auf und schaute sich verwundert um. Mit piepsiger Stimme fragte er: »Wo bin ich? Warum brummt mein Schädel wie verrückt?« Er rieb sich den Kopf.

Emma war sprachlos, als Oskar plötzlich auch menschliche Worte von sich gab. Also musste sie doch im Zauberreich Salomé gelandet sein. Das ist ja der blanke Wahnsinn, dachte sie begeistert. Gleichzeitig schnürte ihr die Angst die Kehle zu.

»Dein Schädelbrummen kommt von den Kräutern, die du genascht hast«, erklärte die Alte dem Affen. »Ich koche dir einen Tee, der befreit dich von deinem Leiden.«

Sie überreichte Emma den noch schwachen Oskar und sagte: »Du bekommst auch Tee und eine heiße Suppe. Ich heiße übrigens Aurelia. Und wie heißt du?«

Emma wich erschrocken zurück, als sie den Namen der Alten hörte. Frederike hatte ihr von den Gräueltaten der bösen Hexe Aurelia erzählt. Aber nachdem sie von Frederike mit dem Schwert der Wahrheit besiegt wurde, war aus dem einstigen Scheusal eine fromme Alte geworden. Trotzdem fühlte sich Emma plötzlich in der Gesellschaft der Hexe unwohl.

»Ach, ich bin gar nicht durstig und hungrig«, antwortete sie deshalb. »Und Oskar scheint es auch schon wieder gut zu gehen. Ich werde jetzt lieber nach Hause gehen.«

»Und wo soll dein zu Hause sein?«, fragte Aurelia und zog ihre kaum noch vorhandenen Augenbrauen hoch.

Da wurde Emma erst richtig bewusst, dass sie sich im Zauberreich Salomé befand. Und von dort aus konnte sie nicht einfach nach Hause marschieren. Nur durch einen Zauber würde sie wieder in ihre Welt kommen. Das wusste sie auch von den Erzählungen ihrer Schwester.

»Oh, bitte, gute Hexe, zaubern Sie mich in meine Welt zurück«, rief Emma weinend. Sie warf sich vor der Hexe auf die Knie und schaute sie bettelnd an.

»Zuerst bekommen du und dein Affe etwas zur Stärkung«, ordnete Aurelia an und verließ schlurfend den Thronsaal. Aurelia ahnte, dass sie Emma nicht so einfach nach Hause zaubern konnte. Sie war zu schwach und alt für große Zaubereien.