Omega - Oscar Winter - E-Book

Omega E-Book

Oscar Winter

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Beschreibung

2188: Die Erde ist praktisch unbewohnbar, die Landmasse besteht nur noch aus glühenden Wüsten, in denen die Überreste menschlicher Millionenstädte wie ausgebleichte Gerippe aufragen. Die letzten Menschen ernähren sich von dem, was Sucher wie Ray noch in den Ruinen finden. Als dieser ein unbekanntes Signal aus der Wüste ortet, macht er sich mit Sarah von der Stadtwache und dem Aussteiger Logan auf die Suche. Gemeinsam stoßen sie auf ein Geheimnis, das ihre kühnsten Vorstellungen übersteigt und sie auf eine Reise schickt, die das Schicksal der Menschheit für immer verändern könnte.

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HYBRID VERLAG

Vollständige elektronische Ausgabe

12/2020

 

Omega – Das Erbe der Gottmaschine

 

© by Oscar Winter

© by Hybrid Verlag

Westring 1

66424 Homburg

 

Umschlaggestaltung: © 2020 by Creativ Work Design, Homburg

Lektorat: Lektorat Steigenberger UG, Matthias Schlicke

Korrektorat: Petra Schütze

Buchsatz: Lena Widmann

Autorenfoto: privat

 

Coverbild ›Planet Centronos‹

© 2019 by Creativ Work Design, Homburg

Coverbild ›Limes‹ © 2019 by Creativ Work Design, Homburg ›Colerianischer Herbst‹

© 2019 by Paul Lung, Artwork by Mika Jänisen

Coverbild ›Das Eden-Projekt‹

© 2016 by Creativ Work Design, Homburg

Coverbilder ›X-Reihe‹ © 2017 by tab visuelle kommunikation, Stuttgart & Creativ Work Design, Homburg

 

ISBN: 978-3-96741-089-1

 

www.hybridverlag.de

www.hybridverlagshop.de

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

 

Printed in Germany

 

 

Oscar Winter

 

Omega

-

Das Erbe der Gottmaschine

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Science Fiction

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

»Ernest Hemingway hat mal geschrieben: Die Welt ist so schön, und wert, dass man um sie kämpft. Dem zweiten Teil stimme ich zu.«

 

William Somerset

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

29.

30.

31.

32.

33.

34.

35.

36.

37.

38.

39.

40.

41.

42.

43.

44.

45.

46.

47.

48.

49.

50.

51.

52.

53.

54.

Danksagung

DER AUTOR

Hybrid Verlag …

Ω

Prolog

 

Ich weiß nicht, ob dich diese Botschaft je erreichen wird. Seit ich die Augen für den langen Schlaf geschlossen habe, sind neun Jahre vergangen.

Der Bordcomputer weckte uns dreißig Tage vor der Ankunft. Ich und die Besatzung wurden als erste geweckt und wir stellten voller Dankbarkeit fest, dass alle Reaktoren und Biosphären die Reise durch das Loch überdauert hatten, dass alle Systeme funktionierten. Die Stimmung in der Mannschaft war ausgelassen, bis wir uns schließlich den Passagieren zuwandten.

Von unseren achttausend Passagieren überlebten nicht einmal fünftausend den langen Schlaf. Wir wissen nicht, was passiert ist. Viele der besten Genetiker, Biologen, Terraformer, Physiker und Arbeiter sind in den Kältekammern elendig zugrunde gegangen; einige sind zu früh aufgewacht und haben sich im Wahn die Fingernägel an den Deckeln der Kammern abgekratzt. Ein albtraumhafter Anblick.

Nichts von dem hätte passieren dürfen, wir hatten höchstens mit ein paar Dutzend Verlusten gerechnet. Wie sollen wir eine neue Erde formen, wenn viele der wichtigsten Experten tot oder verrückt sind? Wie sollen wir so ein Terraforming durchführen? Als Kapitän der Fähre durfte ich mir nichts anmerken lassen. Und so machten wir einfach weiter.

Die Dädalus und die Crew verkrafteten den Bremsanflug auf Kepler 69 problemlos, wir konnten unsere neue Sonne schon deutlich erkennen. Kepler 69 ähnelt unserer Sonne; ein gelber Zwerg, an der Oberfläche unter 6000 Grad Celsius heiß, mit einer etwas stärkeren Leuchtkraft. Ich stelle mir vor, dass auch du gerade zu ihm hochblickst; wie er dir, 2700 Lichtjahre entfernt, in einer klaren Nacht aus dem Sternbild des Schwans entgegenleuchtet. Hier kreist der Planet, der uns alle retten muss: Kepler 69c — Ikarus.

Der Rat trifft bereits jetzt verzweifelte Maßnahmen. Da so viele Arbeitskräfte fehlen, erklärte er schweren Herzens einen Teil der Passagiere zu Freiwilligen. Gegen ihren Willen. Der Rat beraubte die jungen Männer und Frauen ihrer Rechte, steckte sie in lebenserhaltende Anzüge und schickte sie auf die noch unfertige Oberfläche des Planeten. Der Rat schuf Sklaven, nichts weniger.

Ich fürchte, dass diese Entscheidung uns eines Tages heimsuchen wird, doch jetzt sind verzweifelte Taten womöglich die einzige Chance, die Menschheit vor ihrem Untergang zu bewahren.

Wenn du mich empfängst, wisse, dass wir alles tun, um Ikarus vorzubereiten, bevor die Erde endgültig stirbt.

Ich werde mein Versprechen halten. Ich werde eine Arche bauen und zurückkehren, sollte es der Rat gutheißen oder nicht.

Haltet durch.

Meine Liebste, was auch immer passiert, haltet durch.

Ω

1.

 

Ray legte die Hände auf den kühlen Stein der Brüstung und überblickte das Kirchenschiff unter sich. Dort, wo lange Bänke hätten stehen sollen, reihten sich jetzt Schulpulte aneinander. Anstelle von Geistlichen schritten Lehrer unter den Kreuzbögen hindurch.

Sein Blick fiel auf eine Gruppe Kinder, denen eine Lehrerin gerade erklärte, wie sie die Filter ihrer Schutzmasken auswechseln mussten. Die meisten hörten aufmerksam zu und verfolgten jede ihrer Handbewegungen. Ein paar alberten herum und ließen die Riemen ihrer Masken wie Gummibänder durch die Luft fliegen.

Auch er hatte sich damals oft versteckt, wenn er wütend oder ängstlich gewesen war. Aber wo nur? Seine Augen wanderten zu den hohen Chorfenstern über den Emporen. Die Bilder auf den bunten Gläsern beschrieben biblische Szenen und tauchten den Boden unter ihnen in weiches Licht.

Er stieß sich von der Brüstung ab und stieg hinab zum Kirchenschiff. Ohne seine schweren Einsatzstiefel, nur in den Socken, waren seine Schritte leise. Trotzdem bemerkten ihn ein paar Kinder und winkten ihm zu, die Atemmasken hingen halb in den Gesichtern. Ray winkte zurück. Er stieg die Leiter hinauf zur anderen Empore und schwang sich oben flüssig wie ein Schatten über die Brüstung.

Hier oben roch es nach Staub. Hüfthohe Kisten aus dunklem, altem Holz standen überall verteilt. Er sah ihn sofort. Am anderen Ende der Empore saß der Junge zusammengekauert auf dem Sims des Fensters und umklammerte mit beiden Händen ein viel zu großes Buch. Sein dünner, braungebrannter Körper wirkte fast schon ausgemergelt. Sein Haar glich dem einer streunenden Katze.

»Du musst Matt sein.«

Der Junge schrak zusammen, erblickte ihn und sprang vom Sims. Ohne sich umzuschauen rannte er zur Tür und versuchte, sie mit einer Hand aufzuziehen. Sie klemmte. Er zog mit aller Kraft, rutschte ab, fiel zu Boden und rappelte sich sofort wieder auf.

Ray räusperte sich. »Sie hat schon immer ein wenig geklemmt. Du musst mit beiden Händen ziehen.«

Der Junge warf das Buch weg und zog beidhändig, bis die Tür aufschwang. Als er auf der Schwelle stand, hielt er inne. »Willst du mich nicht verfolgen?« Seine Stimme klang heiser.

»Du würdest ohnehin wieder weglaufen.« Ray sprang auf eine der Kisten und blieb mit gekreuzten Beinen im Licht der bunten Gläser sitzen. »Komm her und setz dich zu mir.«

Der Kleine zögerte. Er warf einen letzten Blick ans Ende der Treppe. Die Tür fiel zurück ins Schloss. Schließlich kam der Junge langsam zurück, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen.

Aus der Nähe konnte er den Jungen noch besser erkennen. Seine rissigen Lippen zeugten vom Wassermangel. Er sah die für Wüstenkinder typischen, linienförmigen Narben in seinem Gesicht. Narben, die entstanden, wenn die Haut immer und immer wieder von Sandstürmen aufgerissen wurde.

»Amma sagt, du heißt Matt. Gefällt er dir? Der Name, den sie dir gegeben haben?«

Der Kleine schüttelte stumm den Kopf.

Er reichte dem Jungen den Wasserbeutel und dieser trank schnell und in großen Schlucken, bis er husten musste.

»Mir mussten sie damals keinen neuen Namen geben«, sagte Ray. »Sie wussten schon, wie ich heiße.« Vorsichtig zog er ein kleines, in rotes Leder gebundenes Büchlein hervor und reichte es Matt. »Als sie mich fanden, trug ich das bei mir.«

Der Junge musterte das Büchlein, legte das Wasser weg und blätterte durch die vergilbten Seiten voller Zahlen und Formeln. Nach einer Weile blickte er auf. »Was bedeuten diese Zeichen?«

»Es sind Sternenkarten und Koordinaten; Zeichen, die uns ermöglichen, Orte zu finden. Einige dieser Orte sind in den Sternen, einige sind hier auf der Erde. Ich habe sie gesucht.«

Die Augen des Jungen blickten ihn neugierig an. »Hast du sie gefunden?«

Ray nickte. »Viele von ihnen, aber ich fand sie verlassen und zerstört. Lagerhallen und Fabriken, in denen Dinge gebaut wurden, die längst in Vergessenheit geraten sind. Dinge, von denen die meisten Menschen nichts wissen.« Er zuckte mit den Schultern und zeigte auf die Inschrift des ledernen Umschlags. »Und hier steht mein Name geschrieben.«

Für Raymond, unseren geliebten Sohn. Mögest du finden, was wir verloren haben.

Matt, scheinbar plötzlich befreit von jeglicher Furcht, lehnte sich weit nach vorne. »Bedeutet das, du sollst alle diese Orte finden?«

Ray richtete sich auf und sah zum Fenster hinüber. »Einen bestimmten Ort, denke ich. Ich glaube, dass sie einen Ort gesucht haben, der besser ist als unsere Stadt oder die Wüsten. Einen Ort, wo die Menschen Zuflucht finden könnten.«

»Und den suchst du?«

Er nickte und lächelte den Jungen an.

Für eine Weile schwiegen sie beide und nur das gelegentlich von der Lehrerin unterbrochene Geplapper der Kinder unter ihnen im Kirchenschiff war zu hören.

»Bist du auch ein … einWüstenkind?« Die Frage kam unerwartet. Das letzte Wort flüsterte Matt, als wäre seine bloße Erwähnung ein Vergehen.

Ray deutete auf die Sandnarben in seinem Gesicht, beugte sich nach vorne und zeigte ihm auch die längliche Narbe auf seinem Hinterkopf, die von seiner Gedankenlöschung stammte.

Sofort tastete Matt nach dem frisch genähten Schnitt am eigenen Kopf. »Ava aus meiner Klasse sagt, die Ärzte nehmen mir die Erinnerung, weil meine Eltern in der Wüste hausten und Menschen fraßen. Sie sagt, wenn ich noch wüsste, wie das ginge, würde ich die anderen in der Nacht auffressen.« Angst schlich sich in seinen Blick. »Essen wir wirklich andere Menschen?« Wieder das Flüstern.

Ray schüttelte den Kopf. »Die Überlebenden dort draußen leben von den Dingen, die sie in den Ruinen finden: Konserven, Getrocknetes und Verschweißtes. So wie wir. Trotzdem glauben die Stadtbewohner, dass alle aus den Ruinen Kannibalen sind. Es ist Unsinn.«

»Also bin ich gar kein Kannibale?«

»Nein. Du isst die gleichen Sachen wie alle anderen Kinder auch.«

Der Kleine atmete sichtbar erleichtert auf.

Ray nahm den Wasserbeutel, verstaute ihn sorgsam in seinem robusten Rucksack und sprang von der Kiste. »Und jetzt lass uns Amma suchen.«

 

Matt folgte ihm zuerst bereitwillig die Treppen hinab, doch unten angekommen verlangsamte er seine Schritte. »Wird Amma mich bestrafen, weil ich aus dem Schlafsaal abgehauen bin?«

Ray blickte ihn aus den Augenwinkeln an. »Vermutlich.«

»Ich will aber nicht bestraft werden.« Matt blieb stehen.

»Willst du dich für den Rest deines Lebens zwischen diesen Kisten verstecken?«

Matt kniff die Augen zusammen, schien die Möglichkeit in Gedanken abzuwägen, doch schließlich ging er weiter.

Eine Horde Kinder spielte zwischen den Bögen und Pfeilern, als sie unten in die Kreuzgänge traten. Die Kleinen spielten Wüstenfangen und trugen Kapuzen und dicke Sonnenschutzumhänge. Wenn ein Kind erwischt wurde, tat es so, als würde es verbrennen, kreischte und wand sich in gespielter Qual am Boden.

Amma saß an ihrem üblichen Platz unter einem zu dieser Tageszeit schattigen Kreuzbogen ganz hinten im Innenhof. Selbst nach all den Jahren rief sie mit ihrer großgewachsenen Statur und den streng nach hinten gebundenen, inzwischen ergrauten Locken immer noch den Respekt in ihm hervor, den er auch als Kind gefühlt hatte. Sie blickte von einem alten Tablet-Computer auf. Obwohl sich ihr Mund nicht bewegte, erkannte er ein Lächeln in ihren Augen. Wie beiläufig drückte sie ihm das Gerät in die Hand und wandte sich dann dem Jungen zu. »Komm her, lass dich ansehen.« Sie stützte die Hände auf die Knie.

Matt zögerte, dann trat er an sie heran.

Auf dem Bildschirm erkannte Ray sein eigenes Gesicht auf einem Steckbrief, den das Sucherkorps von ihm verbreitete. Das Gesicht eines jungen Mannes mit grünen Augen und wilden, braunen Haaren. Linienförmige Sandnarben wie die Kriegsbemalung eines Indianers zogen sich unter seinen Augen auseinander.

Amma fasste Matt ans Kinn, so dass er ihr in die Augen blicken musste. »Geh in die Küche und sag ihnen, sie sollen dir zu essen geben. Wir zwei unterhalten uns nachher noch über die Schulordnung.«

Matt nickte gehorsam und machte ein paar zögerliche Schritte zur Tür. Schon fast an der Schwelle drehte er sich nochmal um und rannte wieder zurück zu ihm. »Wenn du diesen Ort findest, nimmst du uns dann mit?«, flüsterte er ihm ins Ohr.

Ray nickte. »Das werde ich.«

Matt sah ihm direkt in die Augen. »Versprichst du es?«

»Ich verspreche es.«

Als der Junge zwischen den Kreuzbögen verschwunden war, wandte sich Amma an Ray. »Wir haben den ganzen Tag vergeblich nach ihm gesucht. Er ist erst seit wenigen Tagen in der Kathedrale. Danke, dass du uns dein Talent als Sucher geliehen hast.«

»Sie löschen ihnen immer noch das Gedächtnis?« Er schüttelte verächtlich den Kopf. »Ich dachte, die Stadt wäre mittlerweile darüber hinaus.« Er reichte ihr ein kleines Säckchen. Ein Dutzend oranger Röhrchen mit Pillen und einige Ampullen lagen sorgfältig eingeschlagen darin.

»Wenn du das glaubst, warst du offenbar lange nicht mehr in der Stadt.«

Sie sagte die Wahrheit. Er verbrachte dieser Tage viel Zeit in den Ruinen, ernährte sich von gefundenen Konserven und schlief in Wolkenkratzern. Mittlerweile fühlte er sich in den Ruinen fast wohler als in der Stadt, die mit jedem Monat leerer und trotzdem gewalttätiger wurde.

Amma sah sich die orangen Röhrchen genau an, öffnete ein paar und roch daran. »Gott sei Dank. Wenn wir dich nicht hätten, könnten wir bei den Kindern nicht mal mehr die einfachsten Infektionen kurieren.«

»Nächstes Mal gibt es wieder mehr. Ich fange bald einen neuen Sektor an«, sagte er und machte seinen Rucksack wieder zu.

Er wollte gehen, doch sie hielt ihn am Arm fest. »Da gibt es noch eine andere Sache. Du hast dich beim Sucherkorps gemeldet?« Amma zeigte auf das Tablet mit seinem Steckbrief. »Sie werden ohne Zweifel herausfinden, dass du ein Wüstenkind bist. Gnade dir Gott, was sie dann mit dir anstellen …«

Er wandte sich ab. Gerne hätte er dieses Thema vermieden. »Ich brauche eines ihrer Fahrzeuge. Ich bereite mich auf eine Strecke vor, die für mein Motorrad zu lang ist.« Und zu gefährlich.

»Sie werden einem Wüstenkind niemals eines ihrer Vehikel geben. Eher wachsen Geranien auf meiner Fensterbank. Ich weiß, dass dir das bewusst ist.«

»Dann muss ich mir eben eines … ausleihen.« Er bereute den Satz in dem Moment, als er ihn aussprach.

Ihre Nasenflügel blähten sich. »Was bringt dich dazu, so etwas Verrücktes zu sagen?«

»Amma«, sagte er achtsam. »Ich werde nichts Unvorsichtiges tun.«

»Ha! Dass ich nicht lache! Raymond Read, der Vorsichtige. Das ist, als würden die Händler auf dem Markt auf einmal kostenlos Trinkwasser verteilen. Wieder so ein Hirngespinst, das dich in die Wüste treibt und jedes Mal enttäuscht es dich von Neuem!« Ihre Stimme war jetzt lauter. »Eine weitere Gelegenheit zu sterben!«

Die Kinder im Innenhof verstummten und hörten auf zu spielen. Alle blickten zu ihnen hinüber.

Ihre Stimme wurde etwas leiser. »Wann lernst du endlich, dass es dort draußen nur Staub und Asche gibt?«

Er packte, ohne aufzublicken, seinen Rucksack. »Ich habe ein Signal aus den nördlichen Sektoren geortet. Vielleicht braucht jemand unsere Hilfe. Ich werde hingehen.«

Auf einmal legte sich Furcht in ihren Blick. »Dort draußen lebt niemand, Ray. Die letzten sind vor Jahren verhungert. Was du beschreibst, ist nicht möglich.«

»Diesmal ist es anders.«

»Wie damals, als Samson und du glaubten, es wäre anders? Als nur einer wieder zurückgekommen ist?«

Er erstarrte. Eine eisige Hand legte sich um sein Herz und er schwieg.

»Verzeih mir … das habe ich nicht so gemeint. Aber versteh doch, dass ich dich nur beschützen will, du bist eines meiner Kinder.« Amma fuhr sich über die Augen. »Ich werde mich mein Leben lang an die Nacht erinnern, als sie dich zu uns gebracht haben; ein ungewöhnliches Kind, getrieben von der Idee, dass sich auf den Seiten dieses Büchleins eine Wahrheit versteckt, ein Ort finden lässt, der uns alle rettet. Wir haben um dich gezittert, jedes Mal, wenn du ausgebüxt und nach dort draußen verschwunden bist.«

»Ihr hattet es nicht leicht mit mir.«

Sie legte ihre Hand an sein Gesicht. »Vergeude nicht dein Leben, indem du Hoffnungen nachhängst, die niemals in Erfüllung gehen können. Du musst deinen Frieden finden. Wir alle haben das Pech, zur letzten Generation der Menschheit zu gehören, aber das bedeutet nicht, dass wir unser Leben wegwerfen sollen. Finde deinen Frieden für die Zeit, die uns noch bleibt. Such dir ein Mädchen und ein Haus.«

Für einen Moment schwiegen beide.

Ray legte sachte ihre Hand zur Seite. »Ich bekomme meinen Frieden erst, wenn ich diesen Ort gefunden habe«, sagte er und ging zur Tür hinaus.

 

Ω

2.

 

Mit gestrecktem Arm wischte Sarah den Tisch frei. Etwas fiel klirrend zu Boden, doch sie achtete nicht darauf. Sie legte ihren Rucksack auf den Tisch und begann, ihre Ausrüstung zusammenzusuchen. Aus der Küche holte sie zwei Feldflaschen und ging damit hinüber zu den Spinden im Vorratsraum. Aus dem Ersten nahm sie eine Schutzmaske und eine Schutzweste. Aus dem Zweiten holte sie neue Sensoren für Strahlung, Chemie und Gifte. Aus dem Dritten nahm sie ihre Railgun, eine leichte Pistole, und sechs Magazine.

Sie legte alles fein säuberlich hin und drehte sich zum Spiegel. Ihre aschblonden Haare waren zu einem dicken Pferdeschwanz gebunden und ihre blauen Augen sahen sie ernst aus dem Spiegel an. Als sie die letzte Spange ihres plattenbesetzten Kampfanzugs schließen wollte, blitzte kurz die langgezogene Narbe auf, die über das ganze rechte Schlüsselbein und die Schulter reichte.

Sarah versuchte den Anblick ihrer Narben zu meiden, denn er erinnerte sie daran, woher sie stammten. Mit vierzehn hatte die Stadtwache sie aus dem Training nehmen lassen, um sie einer Reihe komplizierter Operationen zu unterziehen. Cybertech, künstliche Muskelstränge ließen sie von da an noch länger rennen, noch höher springen und den gewaltigen Rückschlag ihrer Railgun noch besser ertragen.

Doch seither lag sie oft nächtelang wach, wenn die Implantate sie vor Schmerz in ihrem Bett weinen ließen.

Sie wischte den Gedanken weg, packte alles in ihren Rucksack und verließ die Wohnung. Als sie die Treppen des Wohnhauses mit großen Schritten hinunterstieg, blinzelte sie zwei Mal und auf ihrer Netzhaut tauchte die Uhrzeit auf: 18:32 — sie konnte es immer noch schaffen. Sie tippte an ihr Ohr und aus dem Knopf in ihrem Gehörgang ertönte das Freizeichen.

»Wagen 76, ich höre«, meldete sich eine raue Stimme.

»Ich bin’s.«

Die Stimme wurde etwas sanfter. »Ah, Sarah. Wir haben uns schon gefragt, ob du dich nochmal meldest. Wir sollten ganz in deiner Nähe sein. Schaffst du es bis zum alten Bahnhof?«

»Wo genau soll ich warten?«

»Auf der Westseite. Du hörst uns dann schon kommen.«

»Verstanden. Ende und aus.«

Als sie ins Freie trat, hing die Sonne nur noch knapp über dem Horizont, die Temperaturen begannen langsam zu sinken und die Stadt erwachte zum Leben. Im Laufschritt ließ sie das Wohnquartier hinter sich und kletterte flink durch den Sand des ausgetrockneten Flussbetts. Auf halbem Weg begegnete sie einer kleinen Gruppe von Händlern, die Waren auf Karren in ihre Lager zogen. Sie grüßten mit übertriebener Unterwürfigkeit und sie salutierte höflich zurück.

Als sie den zerfallenen, alten Bahnhof betrat, fand sie ihn wie immer leer vor. Im Innern der Halle standen rostige Züge mit eingeschlagenen Fenstern in langen, stummen Reihen.

Sie ließ ihren Blick durch die weite Halle schweifen. Ihr Bruder hatte ihr früher immer erzählt, dass zur Zeit der Alten hunderttausende von Menschen jeden Tag mit den Zügen gefahren waren. Sarah konnte sich so viele Menschen nicht vorstellen, selbst wenn sie es versuchte. Und wo hätten all die Menschen überhaupt hinfahren sollen?

Sie setzte sich vor die Halle in den Schatten und trank einen Schluck Wasser. Nach einer Weile hörte sie ein Fahrzeug kommen. Ein gepanzerter Zwölftonner fuhr die Straße hoch; sechs Räder und genug Platz für zwanzig Soldaten. Als er vor ihren Füssen hielt, rollte ein Fenster herunter und das kantige Gesicht des Fahrers schob sich hindurch. »Ich hätte nicht gedacht, dass du vor uns ankommst. Alle Achtung«, sagte er und nahm eine Pilotenbrille von der Nase, die aussah, als wäre sie älter als ihr Besitzer.

Sie zwinkerte. »Ich reise nur mit Leichtgepäck.« Sie deutete auf ihren schweren Rucksack.

»Wir bringen ein paar Leute mit ihren Waren zum Stützpunkt. Die brauchen im Moment jede Hilfe. Aber hinten haben wir noch einen Platz frei. Ich hoffe, das reicht für dich und dein Gepäck.«

»Es wird reichen.«

»Sarah …« Das plötzliche Unbehagen im Gesicht des Fahrers ließ sie aufhorchen. »Ich weiß, die Angelegenheiten der Stadtwache gehen mich nichts an, aber es ist sehr ungewöhnlich, dass eine junge Offizierin zum Hauptquartier des Korps fährt. Ich meine … du willst doch nicht etwa nach dort draußen?«

Sie blickte auf ihre Füße. Der Fahrer war ein alter Freund und sie wollte ihn nicht anlügen. »Du hast recht, ich kann es dir nicht sagen, aber ich versichere dir, dass ich auf mich aufpassen werde.«

»Na gut, das muss mir dann wohl reichen.«

Sarah ging nach hinten, wo sich gerade die Heckklappe öffnete. Auf den vordersten der herunterklappbaren Sitze saß eine Gruppe Ingenieure mit einem Sack käferartiger Reparaturroboter. Ganz hinten drängten sich einige in gelbe Sonnentücher gehüllte Frauen, die Kisten mit Flaschen festhielten. Sie vermutete, dass es sich dabei um selbstgebrannten Alkohol für die Sucher handelte, denn die Frauen versuchten vergeblich, die Flaschen vor ihr zu verbergen.

Sarah stammte mütterlicherseits aus einer langen Linie von angesehenen Gesetzeshütern und ihre Freunde scherzten manchmal, dass sie trotz ihrer Jugend bereits strenger als damals ihr Großvater auftrat. An einem normalen Tag würden die Frauen bereits mit den Gesichtern am Boden liegen und Sarah würde sie durchsuchen.

Doch dies war kein normaler Tag.

Sie schnallte sich an und gleichzeitig erwachten die kräftigen Elektromotoren zum Leben. Der Transporter beschleunigte und erreichte zügig seine Reisegeschwindigkeit. Bei dem angenehmen Ruckeln des Transporters entspannte sich Sarah und ihre Gedanken begannen allmählich zu wandern.

»Spielen Sie es nochmals ab«, hatte Sarah erst vor wenigen Stunden mit kaum merklich zitternder Stimme zu der Gardistin gesagt.

Sie standen alleine in einer Halle voller Monitore, die aussah wie der Kontrollraum einer Weltraummission. Eine holografische Karte leuchtete senkrecht vor ihnen in der Luft. Die Gardistin wischte über den roten Punkt auf dem Hologramm. Er löste sich von der Karte, hing eine halbe Sekunde frei im Raum und verwandelte sich dann in eine Wellenlinie. Der Klang des Signals ähnelte dem Geräusch einer Gabel, die über einen Teller kratzt; es dauerte fast zwei Minuten lang und wechselte mehrmals die Tonlage.

Sarah kniff die Augen zusammen. »Es ist verschlüsselt. Könnte es eine Botschaft sein?«, fragte sie. »Ein Hilferuf?«

»Wir wissen es nicht, Hauptmann Beck. Unsere Scanner zeigen an, dass es ziemlich stark ist und der Sender daher über eine starke Energiequelle verfügen muss«, erklärte die Gardistin und wagte es dabei nicht, ihr in die Augen zu sehen. »Das ist aber auch schon alles, was wir mit Gewissheit sagen können.«

»Wann wurde es entdeckt?«

»Heute Morgen. Aber mit Sicherheit ist es schon länger da.«

»Laden Sie mir die genauen Koordinaten seines Ursprungs auf meinen Nexus«, sagte Sarah bestimmt. »Und Sie werden Ihrem Vorgesetzten keine Meldung machen, ich werde das übernehmen. Haben Sie das verstanden?«

»Verstanden, Hauptmann.«

Sarah drehte sich um und wollte gehen.

»Hauptmann Beck!«, rief ihr die Gardistin nach, als sie schon fast beim Ausgang stand.

Sarah nahm einen tiefen Atemzug und drehte sich wieder um.

»Das Gebiet um dieses Signal ist als unerforscht und extrem gefährlich eingestuft.« Die Soldatin sah ihr zum ersten Mal direkt in die Augen. »Ich weiß, dass das Sucherkorps heute eine Erkundungsmission dorthin aussendet. Das wäre eine hilfreiche Information, falls jemand vorhätte, das Signal zu suchen.«

Danke. Laut durfte sie es nicht aussprechen, um keinen Verdacht zu erregen.

Seit sie diesen Kontrollraum verlassen hatte, wusste sie, dass nur Samson der Quell dieses Signals sein konnte. Es handelte sich um einen Hilferuf, dessen war sich Sarah sicher und er kam aus dem Sektor, in dem ihr Bruder damals verschwunden war. Sie wollte verdammt sein, wenn sie ihn auch ein zweites Mal im Stich lassen würde.

Eine Bodenwelle schüttelte den Truppentransporter und holte sie wieder zurück in die Gegenwart. Eine der gelbgewandeten Frauen fluchte, weil die Flaschen gefährlich in ihren Kisten klirrten, dann schaute sie ängstlich zu ihr herüber. Sarah blickte am Fahrer vorbei und sah, dass sie bald an ihrem Ziel ankamen. Sie lehnte sich zurück und musste einige Male tief durchatmen, bevor ihre Hände zu zittern aufhörten. Sie hatte noch nie gegen das Gesetz verstoßen und bald würde sie so viele Regeln auf einmal brechen, dass es nur eine gebührende Strafe dafür geben konnte — den Tod durch den Strang.

 

Ω

3.

 

Ray trat aus dem Hauptportal in die erbarmungslose Hitze des Marktplatzes. Der Geruch von heißem Stein und sonnenverbrannter Haut schlug ihm entgegen. Trotz der Abenddämmerung herrschten noch fast sechzig Grad im Schatten und auf dem Marktplatz wimmelte es von schwitzenden Leibern. Dafür konnte es nur einen Grund geben: Die Sucher waren mit ihrer Beute zurückgekommen.

Die privilegierten Marktbesucher, die Köpfe von teurem Sonnentuch verhüllt, feilschten bereits lauthals mit den Händlern um Konserven, Trinkwasser und Artefakte, während die Armen am Rand des Marktes warteten und vergeblich um Almosen bettelten.

Die Stände, die Essen und Medikamente anboten, erfreuten sich größter Beliebtheit, da die Sucher mit jedem Mal weniger davon zurückbrachten. Fette Söldner mit noch fetteren Gewehren standen um sie herum und vertriebenen jeden, der nicht wie ein wohlhabender Käufer aussah. Schaffte es ein Händler nicht, seine Waren zu schützen, dauerte es meist nicht lange, bis er sich selbst zu den Bettlern gesellen musste. So überraschte es nicht, dass die noch überlebenden Händler zugleich die brutalsten waren.

Er drückte auf den Nexus, den kleinen Computer an seinem Arm, und sah nach dem Signal. Es erklang immer noch. Er konnte die Worte des Fremden noch deutlich hören, merkte aber, dass sie bereits schwächer wurden. Er musste sich beeilen. Er ging hinüber zu seinem Elektromotorrad, einem Ungetüm mit primitiven Akkus und breiten, abgewetzten Reifen, löste es aus seiner Ladestation und schob es rasch in den Markt hinein. Er wollte sich gerade auf seine Maschine schwingen und aus dem Getümmel fahren, als ein Schrei über den Platz hallte.

»Diebin! Haltet die Diebin!«

Gerade im Begriff sich umzudrehen rempelte ihn jemand an und fiel vor ihm in den Staub. Am Boden lag eine junge Frau; verschwitzt, abgemagert, ohne Schuhe, ohne Schutztuch oder Sonnenbrille. Mit ihren Fingern umklammerte sie verzweifelt eine Dose mit Bohnen.

Ray blickte über seine Schulter und sah, wie sich ein wütender Mob aus Händlern und Söldnern einen Weg durch die Menschen bahnte. Sie würden sie steinigen, das stand fest.

Es galt keine Zeit zu verlieren. Er schob das Motorrad zum nächsten Stand und drückte mit geübten Fingern auf das Display, bis sich die Solarsegel wie Stummelflügel aus der Seite der Maschine lösten. »Hier runter, schnell!«

Das Mädchen verstand. Sie kroch über den Boden und versteckte sich, ohne einen Laut von sich zu geben, unter der Maschine.

Ein glatzköpfiger Mann, in eine Händlerrobe gehüllt und mit schweren, goldenen Ringen an den Fingern, tauchte keine Sekunde später mit einer Meute Söldner auf. »Wo ist sie?«, keuchte er schwer atmend. Sein mechanischer Arm klickte bei jeder Bewegung. »Sie rannte doch eben noch hier entlang, ich habe sie gesehen. Wenn ich sie erwische …, wenn ich sie in meine Finger kriege!«

Ray schwieg.

»Sucht sie!«, blaffte der Händler seine Söldner an. Sie schwärmten aus wie gierige Bluthunde.

Um keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, ging Ray an den Stand neben ihm. Er gab sich gelangweilt, tat so, als würde er sich für die Atemmasken und bunten Sonnentücher interessieren — da bemerkte er zwei weit aufgerissene Augen. Die Händlerin hinter dem Tresen war vor Schreck erstarrt und fixierte ihn. Sie hatte es gesehen.

Ray hielt dem Blick stand. Die erschrockene Händlerin sah ihn quälend lange Sekunden an. Und er sie, bei dem Versuch abzuschätzen, was sie tun würde. Tu es nicht! Verrate uns nicht!, dachte er. Er trug keine Waffe. Verriet sie ihn, gäbe es keine andere Wahl. Er würde mit bloßen Händen kämpfen müssen. Er trug einen gepanzerten Anzug und er konnte sehr wohl kämpfen, aber die Söldner führten schweres Gerät mit sich und sahen nicht gerade wie Anfänger aus.

Etwas riss ihn von hinten an der Schulterplatte. »Der Bettler dort drüben erzählte mir, die Diebin sei über deinen Fuß gestolpert, genau hier!« Der Glatzkopf spuckte vor Zorn.

Rays Puls schnellte in die Höhe. Er fühlte, wie sich seine Kiefermuskeln und sein Nacken anspannten. Langsam atmete er aus, zwang sich, ruhig zu bleiben, unterdrückte das Adrenalin.

Dann fiel dem Glatzkopf die Händlerin auf. »Und was glotzt denn die so blöd? Hat sie ‘nen Geist gesehn, oder was?«

Ray räusperte sich. »Sie müssen sich irren«, sagte er gefasst. »Hier ist niemand vorbeigekommen und schon gar nicht über meinen Fuß gestolpert. Das hätte ich wohl gemerkt, nicht wahr?«

»Das Mädchen, die Diebin! Sie ist hier zu Boden gefallen, genau hier!«

Er sah zu Boden. Er sah die Spuren ihres Falls im Sand, war sich aber sicher, dass der Händler sie nicht zu deuten vermochte, nicht wusste, wie man sie von den alltäglichen Spuren der feilschenden Marktbesucher unterschied. Plötzlich kam ihm eine Idee.

Mit einer beiläufigen Geste zeigte er auf den Arm des Händlers. »Einen wunderschönen Arm haben sie da. Die Details in der Mechanik sind wirklich bemerkenswert. Eine Einzelanfertigung, nehme ich an?«

»Hä?« Der Dicke sah auf seine Prothese. »Das tut nichts zur Sache, Junge, ich habe verdammt nochmal gefragt, ob …«

Ray griff nach dem Arm des Händlers und streckte ihn. »Das ist ja fast alles reine Handarbeit!«, sagte er begeistert. »Silber und Aluminium höchster Güteklasse! Herrlich verzierte Details, alle hochglanzpoliert; Brillanten im Getriebe und sogar individuell verstellbare Zahnrad-Getriebestufen. Ich würde Ihnen einen ausgezeichneten Preis dafür bezahlen, würden Sie ihn mir hier auf der Stelle verkaufen!«

»Ich bin nicht zum Handeln hier! Ich fragte, ob Sie das Mädchen gesehen haben, das von meinem Stand gestohlen hat!« Der Händler, zu dessen Zorn jetzt noch Verwirrung kam, zog seinen Arm weg.

Ray fuhr ungehindert fort. »Hören Sie, guter Mann. Als passionierter Sammler von mechanischen Prothesen mache ich Ihnen ein Angebot, dem Sie garantiert nicht widerstehen können.«

»Zum letzten Mal. Mein Arm steht nicht zum Verkauf!«, schrie der Händler. Er sah ihn ein letztes Mal mit bebender Unterlippe an und drehte sich schließlich um. »Wir gehen weiter, hier ist sie nicht«, blaffte er. »Vorwärts! Ich bezahle euch nicht, um herumzustehen!«

Als der Mob sich verzog, blieb Ray noch eine Weile stehen, wiegte interessiert ein gelbes Sonnentuch in der Hand, wartete, bis die Männer endgültig verschwunden waren.

»Vor zwei Tagen haben sie gleich hier drüben zwei kleine Jungen gesteinigt«, sagte die Händlerin plötzlich. »Sie haben versucht, einen Wasserfilter zu stehlen für ihre Familie. Die armen, kleinen Kinder.«

Ray nickte. Er kannte die Geschichten.

»Mit jeder Sonnenwende wird es schlimmer. Die grünen Zonen gehen ein und mit jedem ausgedorrten Feld werden die Menschen mehr zu Tieren. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis wir alle …« Sie verstummte plötzlich wieder und begann mit bitterer Miene, ihre Tücher zu sortieren, als würde sie ihre Worte bereits wieder bereuen.

Er sah sie an. Alt, wohl über vierzig. Sie kam noch aus einer Zeit, in der doppelt so viele Menschen in der Stadt gelebt hatten. Damals gab es auch noch eine zweite Stadt mit Überlebenden, irgendwo dort draußen. Doch dies alles gehörte in die Vergangenheit. Sie zählten das Jahr 2188 nach Christus und sie alle genossen das zweifelhafte Privileg, in der letzten noch überlebenden Stadt auf den endgültigen Untergang warten zu dürfen.

Als er zurück zu seinem Motorrad kam, kauerte die Diebin immer noch unter dem Sonnensegel. Er bückte sich zu ihr hinunter »Sie sind weg. Ich bringe dich fort von hier.«

Das Mädchen reagierte zuerst nicht; benommen drückte sie immer noch die Dose an ihre Brust und wippte damit vor und zurück wie ein Kind, das gerade aus einem Albtraum aufgewacht ist. Dann sah sie ihn plötzlich an. »Kennst du das Viertel der gebrochenen Türme?«

 

Der Rumpf von Rays Maschine glühte fast, als sie im Viertel der gebrochenen Türme ankamen. Eigentlich hätten die Akkus nach so kurzer Distanz kaum warm werden dürfen. Etwas stimmte nicht. Er stoppte die Maschine vor einem verlassenen Einkaufszentrum und zog den Helm ab.

Das Viertel sah aus wie ein Feld, in dem ein Riese mit der Sense gewütet hatte. Fast die Hälfte der Hochhäuser waren im Krieg zerstört worden. Da die meisten aber noch standen und dazu noch zu den Höchsten der Stadt gehörten, lebten in den schattigen Tälern zwischen ihnen immer noch Menschen.

Als er in seinem Rucksack nach den beiden Akkus wühlte, die er seit seinem letzten Suchgang bei sich trug, fiel eine kleine Dose zu Boden und verteilte scheppernd Rays Bildersammlung auf dem Boden.

»Ich mache das schon.« Sie sprang vom Sattel und begann, die verstreuten Bilder aufzusammeln. Es schien ihr schon besser zu gehen.

»Was ist das?«, fragte sie neugierig und hob eines der Bilder vom Boden auf.

Er schaute kurz mit zusammengekniffenen Augen auf. »Ein Baum. Eine Tanne, glaube ich.«

»Ist echt schön, so ein Baum. Hast du einen gesehen, dort draußen?«

Ray zog die Abdeckung der Akkus ab. »Manchmal sehe ich ihre Skelette im Sand, aber dann ist alles Grüne längst weg.«

»Du bist ein Sucher«, stellte sie fest. »Erzähl mir, wie ist das Leben so als Sucher?«

Endlich fand er die beiden Akkus, wie üblich im allerletzten Fach. Er kniete sich hin und begann, die alten, überhitzten Akkus vorsichtig auszubauen. »Man sieht viel dort draußen. Die Ruinen der Alten, ihre Metropolen, die vergessenen Schlachtfelder und die Wüsten«, sagte Ray, doch sie wühlte bereits wieder in den Bildern.

»Was ist das hier?« Sie hielt ihm ein zweites Foto hin.

»Ein schwarzer Panther, ein Tier.«

»Dieses gefällt mir besonders gut.« Sie hielt es ehrfürchtig mit beiden Händen vor ihre Augen. »Kann ich es behalten?«

»Nein.«

Sie steckte es trotzdem ein.

Er schüttelte nur den Kopf.

»Ich kannte mal einen Sucher. Er meinte immer, die Sucher sind die einzigen, die wirklich wissen, was damals passiert ist. Aber die Wahrheit ist zu schrecklich, um sie zu erzählen. Die Alten sind einst sehr viele gewesen, zu viele, darum haben sie das Klima zerstört.« Sie griff sofort nach einem weiteren Foto. »Und was ist auf diesem Bild?«

»Der Dom von Florenz, ein Tempel, den die Alten gebaut haben.«

»Hast du den mal gesehen?«

»Die Kathedrale liegt zu weit im Süden, dort ist es noch heißer als hier hinter den Alpen in Mitteleuropa.«

»Wie konntest du eigentlich Sucher werden, so als Wüstenkind?«

Ray erstarrte.

Die Diebin löste ihren Blick von den Bildern und sah ihn direkt an.

Er versuchte zu erkennen, ob der Ausdruck von Hass in ihren Augen lag, den die Meisten ihm entgegenbrachten, sobald sie merkten, was er war. Die meisten Bürger hassten die Wüstenkinder, wilde Überlebende, die zwischen den Ruinen geboren worden waren. Als Kind hatte das frühzeitige Erkennen dieses Ausdrucks für ihn den Unterschied zwischen Freund und Feind, zwischen Leben oder Tod bedeutet. Aber der Diebin lag nur Neugier in den Augen und er fuhr mit seiner Arbeit fort. »Das ist einfach passiert«, erklärte er ruhig. »So wie du eine Diebin geworden bist.« Er rastete den letzten Akku ein und stand auf.

Sie strecke ihm die Dose entgegen. »Kannst du mich mitnehmen, nach dort draußen?« Sie sah ihn hoffnungsvoll an. »Hier in der Stadt wird es immer schlimmer, ich will fort von hier.«

»Du hast weder die Ausrüstung noch die Ausbildung dazu.« Er schwang sich in den Sattel und setzte den Helm wieder auf. »Dort draußen gibt es nur Asche und Staub, du würdest sterben, noch ehe die Sonne einmal den Himmel durchwandert hätte.«

Für einen Moment wich alles Fröhliche aus ihrem Gesicht. »Der Tod wartet auch hier auf uns. Nicht lange, bis es auch hier zu heiß ist. Nichts kann das aufhalten. Wir sind wie ein Kind, das den Daumen vor die Sonne schiebt und glaubt, dass es so im Schatten steht …«

Ray hielt inne. Er beugte sich zu ihr runter und öffnete das Visier, damit er sie besser sehen konnte. »Das ist wahr, aber solange wir unsere Daumen gegen die Sonne halten können, kämpfen wir dagegen an. Vielleicht sollten wir es mit der ganzen Hand versuchen.«

Zuerst sah sie ihn überrascht an, dann musste sie lachen und der traurige Ausdruck verschwand wieder. »Du bist ein komischer Kerl.«

»Auf Wiedersehen, Diebin. Pass auf, dass sie dich nicht erwischen.«

»Gute Reise, Sucher. Pass auf, dass du dir da draußen nicht noch mehr das Gehirn verbrennst.«

 

Ω

4.

 

Beim Hauptquartier des Sucherkorps handelte es sich um einen alten Frachtflughafen, von dem schon seit hundert Jahren kein Fluggerät mehr verkehrte. In der Mitte des von gestrandeten Maschinen übersäten Geländes ragten die gigantischen Hangars wie rostige Berge empor. Ray fuhr die rissige Straße hoch und versteckte sein Motorrad hinter einem Flugzeugwrack.

Er sah auf seinen Nexus und überprüfte das Signal, die Botschaft des Mannes, der von einer anderen Sonne und einem neuen Planeten sprach. Trotz seiner inneren Entschlossenheit zögerte er.

Er hatte wenig Zeit gehabt, einen Plan auszuhecken, um an ein Fahrzeug des Sucherkorps zu gelangen, und so waren seine Handflächen schon feucht, bevor er den Helm abzog. »Es wird funktionieren … sie werden es nicht merken«, sagte er immer wieder leise zu sich selbst, als er auf die Hangars zuging.

Am Eingang stand ein umgebauter Sattelschlepper, dem sein aufgespanntes Sonnensegel das Aussehen eines gestrandeten Katamarans gab. Eine Gruppe Sucher in gepanzerten Schutzanzügen lud gerade Kisten voller Konserven und Elektroteile ab. Es lagen auch ein paar Särge dabei.

»Wer sind Sie?«, ertönte plötzlich eine Stimme.

Als er sich umdrehte, stand ein Wachmann vor ihm, einen Kopf größer als er. Unter dessen Gesicht prangte ein Kinn breit wie ein Teekocher. »Weisen sie sich aus!«, bellte er knapp.

Ray hielt ihm die Ausweisdatei hin. Er hatte sie erst letzte Nacht gefälscht, nicht mal Amma hatte das erkannt. Er besaß Übung im Fälschen von Dokumenten, weil er seine Identität als Wüstenkind schon früh hatte verheimlichen müssen. Aber diesmal versuchte er in das Hauptquartier des Sucherkorps einzudringen, das besser gesichert war als alles andere in der Stadt.

Der Wachmann deutete auf Rays Unterarm. »Reicht ihnen ein Nexus alleine nicht?«, fragte er, ohne von der Identifikation aufzublicken. An Rays Arm befanden sich drei kleine flache Bildschirme, allesamt hochleistungsfähige Computer, die er mit Ausrüstung und Maschinen verbinden konnte.

»Ich brauche viel Speicherplatz für meinen Anzug.« Ray hoffte, dass der Gardist sich nicht mit Anzugtechnik auskannte.

»Führen Sie irgendwelche verbotenen Programme oder Waffen mit sich? Alkohol oder Rauschmittel?«

»Nein.«

»Zeigen sie mir ihren Einsatzbefehl.«

»Ich habe keinen.«

Der Wachmann blickte auf, seine Augen verengten sich. »Das Sucherkorps fordert sie an und hat Ihnen keinen Einsatzbefehl geschickt?« Er blieb kurz an den Narben in Rays Gesicht hängen. »Kommen Sie mal mit.« Er ging in den Hangar hinein.

Ray zögerte. Er sah zu der Stelle zurück, wo sein Motorrad stand. Mit wenigen Schritten konnte er die Maschine erreichen. Er wippte auf den Zehen, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, knackte mit seinen Fingern — und trat dann in den Hangar ein, entschlossen, sich dem Risiko zu stellen.

Metallene Trennwände unterteilten den Hangar in Areale und Parkfelder unterschiedlicher Größe. Er sah Sattelschlepper, vor die man Pflüge gespannt hatte, um draußen die Straßen zu räumen; Armeelastwagen für die Sucher und ein altes Löschfahrzeug, mit dem Trinkwasser transportiert werden konnte. Alle diese Vehikel waren zusammengeflickt, wie alte Steppdecken. Er versuchte im Vorbeigehen ein etwas kleineres Fahrzeug zu erspähen, welches ihm bei seiner Aufgabe helfen konnte, fand aber nichts.

Der Wachmann blieb vor einer Tür stehen.

Ray stand neben ihm, darauf bedacht, außerhalb seiner Reichweite zu bleiben.

»Da sind wir.« Der Wachmann verlagerte sein Gewicht auf einen Fuß und bewegte seine Hand in Richtung seiner Hüfte, wo die Pistole hing.

Ray rief sofort den Weg zum Ausgang in seinem Kopf ab. Wenn er es schaffte, den Wachmann rechtzeitig von den Füßen zu holen, würden ihm die kurvigen Gänge Deckung bieten. Er spannte seine Beine an, bereit, sich gegen ihn zu werfen.

Der Gardist holte Rays Identifikationsdatei hervor — seine Finger glitten an der Waffe vorbei. »Das ist der Warteraum für die neuen Rekruten.« Er deutete mit dem Kopf auf die Tür vor ihm. »Diesmal drücke ich ein Auge zu, aber das tue ich nur ein einziges Mal. Sollten Sie ihren Einsatzbefehl erneut verlieren, werde ich Ihnen höchstpersönlich in den Arsch treten. Haben Sie das verstanden?«

Ray nickte.

Er trat in den engen Warteraum und atmete erleichtert aus, als die Tür endlich hinter ihm zufiel. Er ließ ein paar Momente verstreichen. Diesmal habe ich Glück gehabt, dachte er, dann verließ er den Raum an der gegenüberliegenden Seite.

Mit gesenktem Kopf, immer darauf bedacht, dem Wachmann nicht erneut zu begegnen, schlich er auf der anderen Seite durch den Hangar. Mehrmals traf er auf Mechaniker, die mit ihren Werkzeugen gegen den unvermeidbaren Zerfall der uralten Fahrzeuge kämpften, auf Sucher, welche die nötigen Ersatzteile für diese sich auflösende Maschinerie beschafften. Kaum jemand hier war älter als Ray, was ihn einmal mehr daran erinnerte, wie jung die Menschen seiner Generation starben.

Er fand die Luke zum Wartungsgang bereits nach kurzer Suche und trat ein. Die Identifikationsdaten zu fälschen stellte keine Herausforderung dar, aber die alte Militärtechnologie aus dem Krieg hinderte ihn bisher, direkt an die Logins der Fahrzeuge zu gelangen. Dies konnte er nur von innen.

Den Blick auf den Fußboden geheftet, schritt er den Gang ab, bis er endlich auf eine Lücke im Muster der Bodenplatten stieß. Er holte ein kleines Stemmeisen aus seinem Anzug und versuchte, die Platte herauszuheben, doch sie war gesichert. Er zog einen Laser aus einer anderen Tasche, trennte mit geübten Schnitten die Sicherungen heraus und hob die Platte an.

»Bingo«, murmelte er, als der Backbone, ein Teil des alten Sicherheitssystems, zum Vorschein kam. Routiniert zog er ein dünnes Kabel aus seinem Nexus, befestigte die Schnittstelle am Backbone und loggte sich ein. Schnell hatte er einen praktischen, kleinen Bus mit einem fast neuen Sonnensegel gefunden und das Login auf seinen Nexus geladen. Jetzt konnte es losgehen.

 

Er fand den Bus am anderen Ende des Hangars. Er war hinten bereits mit Trinkwasser betankt worden und Ray fand noch genügend Rationen für eine Person. Als er sich in den gefederten Fahrersitz setzte, fühlte er sich sofort wohl. Alles passte. »Dann wollen wir mal eine kleine Tour machen.«

Vor dem Ausgang versperrte ihm eine Schranke den Weg, hinter der zwei junge Wachmänner standen. Sie schwatzten miteinander. Ray ließ das Fenster herunter, doch sie redeten einfach weiter. Er wartete eine Weile geduldig, bis es ihm zu blöd wurde. »Hey!«, rief er aus dem Fenster. »Ist das hier Selbstbedienung?«

Die Wachen unterbrachen ihr Gespräch und sahen hoch. »Schon gut«, sagte einer der Gardisten und scannte quälend langsam den Nexus. »Zielort?«, fragte er.

Ray schüttelte den Kopf. »Das unterliegt Geheimstufe zwei.« Nur noch wenige Meter und er hatte es geschafft.

Der Gardist fuhr mit schleppender Stimme fort. »Haben Sie das Fahrzeug vor der Abfahrt überprüfen lassen und führen Sie genug Trinkwasser?«

»An die hundert Liter.«

Der Wachmann beendete seine Befragung und schlurfte träge um das Fahrzeug herum. Er musterte die Außenhülle des Fahrzeugs und strich hie und da mit seiner Hand darüber. Beim rechten Vorderrad blieb er stehen und bückte sich.

Rays Fuß verharrte über dem Gaspedal. Er sah vor seinem inneren Auge, wie er endlich durch die Wüste bretterte — seinem Ziel entgegen.

Der Wachmann deutete auf das Rad. »Ihr Reifenprofil ist vorne abgewetzt.«

»Was?«

»So können wir Sie nicht rauslassen. Tut mir leid, so sind die Vorschriften.«

Ray öffnete die Tür, sprang hinaus und ging zu den Reifen. Er untersuchte sie und stellte fest, dass der Reifen einwandfrei aussah. »Diese Reifen sind in bestem Zustand.«

»Sie haben zu wenig Profil. Setzen Sie zurück und lassen Sie sich Neue geben.«

Er spürte, wie heißer Zorn seinen Rücken hinaufkroch. »Sie wissen, dass es kaum noch Ersatz gibt.«

»Das ist nicht meine Sorge. Machen sie den Weg frei.«

Ray wollte den Wachmann am Arm packen, ihn zurück zum Rad schleppen und sein Gesicht gegen das Profil des Reifens drücken, bis es sich an seiner Backe abzeichnete. Er war so kurz vor dem Ziel und jetzt scheiterte er an diesem verdammten Holzkopf. Da kam ihm plötzlich eine Idee.

Ray zog eine kleine Holzfigur aus seiner Weste. »Möglicherweise hilft Ihnen das, die Situation neu zu bewerten.«

Der Wachmann blickte zurück, seine Augen weiteten sich, als er das kostbare Holz sah. »Ist das … echt?«

»Ich habe es dort draußen gefunden«, flüsterte Ray. »Nur zu. Sie dürfen es ruhig anfassen.«

Der Wachmann zog den Handschuh aus und fuhr mit den Fingern über das Holz, als würde er ein Neugeborenes streicheln.

Ray zwang sich zu einem Lächeln. »Sie können es behalten, wenn Sie mich sofort durchlassen.« Er deutete zur Schranke. »Meine Mission ist zu wichtig, um an einem abgefahrenen Profil zu scheitern. Ich bin sicher, dass sie das verstehen.«

Sofort gab der Wachmann ein Zeichen. Die Schranke hob sich.

Ray stieg ein und fuhr an der Schranke vorbei. Er hatte es geschafft. Er sah auf seinen Nexus. Obwohl das Signal jetzt schwächer wirkte, konnte er es immer noch orten. Es ist noch nicht zu spät!

»Fahrer!«, hörte er eine Stimme durch das noch offene Fenster. Ein Sucher in der Uniform eines Majors trat vor den Bus.

Sie mussten herausgefunden haben, dass er sich in ihr System eingehackt hatte. Er machte sich bereit, den Wagen zu beschleunigen. Der Major stand genau im Fahrweg.

»Halten Sie sofort an. Steigen Sie aus ihrem Fahrzeug.«

Er bremste, stieg aber nicht aus. Er sah zum Ausgang hinüber. Die Karosserie seines Busses war kugelsicher, er konnte sich ducken, sobald sie schossen. Er konnte es immer noch schaffen.

»Haben Sie nicht gehört? Steigen Sie sofort aus dem Bus!«

Ray lehnte sich aus dem Fenster. »Ich habe einen wichtigen Auftrag. Ich kann mir keine Zeitverzögerung leisten.«

»Das ist mir egal. Steigen Sie aus!«

Zwei bewaffnete Sucher und eine junge Frau mit Offiziersabzeichen der Stadtgarde kamen heran. Die junge Frau strahlte eine enorme Entschlossenheit aus. Sie war blond, etwas älter als er und trug einen Kampfanzug.

Ihre blauen Augen kamen Ray irgendwie bekannt vor.

»Raus aus dem Vehikel!«, schrie der Major mit gerötetem Gesicht. »Ich werde es nicht nochmal sagen!«

Er bewegte sich keinen Millimeter. Eine angespannte Stille entstand, in der alle darauf warteten, dass etwas passierte. Die Sucher hoben ihre Waffen. Er wusste, dass er entkommen konnte, aber dafür musste er den Mann überfahren.

Er sah nochmals zum Ausgang hinüber.

---ENDE DER LESEPROBE---