on the road - Gerry McAvoy - E-Book

on the road E-Book

Gerry McAvoy

4,7

Beschreibung

Gerry McAvoy war von 1971 bis 1991 der Bassist der irischen Blues-Legende Rory Gallagher - die einzige Konstante auf allen 14 Soloalben des Ausnahmegitarristen, die weltweit mehr als 30 Millionen Mal verkauft wurden. Kaum jemand kannte Rory Gallagher besser als er, denn er begleitete ihn in seiner kreativsten Phase seines Lebens, bis eine schwere Krankheit seine Karriere frühzeitig beendete. "on the road" ist die Geschichte von Gerry McAvoys Leben vor, mit und nach Rory Gallagher. Aber es ist auch die Geschichte einer Gruppe von jungen Musikern, die während der Unruhen in Belfast groß wurde und trotz Gewalt und Hass auszog, um die Welt im Sturm zu erobern und der irischen Musik zu Weltruhm zu verhelfen. Wie wurde aus dem schüchternen, leise sprechenden Jungen aus Cork im harten Musikbusiness eine Legende, die alle irischen Musiker von Bono bis Boyzone wesentlich beeinflusste? Basierend auf 100 Stunden persönlicher Recherche, Interviews mit vielen Freunden und Kollegen von Rory Gallagher in England und Irland und Dutzenden von einmaligen, teils unveröffentlichten Fotos aus Gerry McAvoys persönlicher Sammlung ist "on the road" ein teils schockierender, aber immer authentischer Einblick in das Leben eines Musikers, der in den 70er Jahren in einer der bekanntesten Rockbands spielte und eine Annäherung an einen der größten Gitarrenhelden unserer Zeit, der leider viel zu früh verstarb.

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on the road

Mein Leben mit RORY GALLAGHER und NINE BELOW ZERO

IMPRESSUM

HEEL Verlag GmbH

Gut Pottscheidt

53639 Königswinter

Tel.: (0 22 23) 92 30-0

Fax: (0 22 23) 92 30-13

E-Mail: [email protected]

Internet: www.heel-verlag.de

© 2007 HEEL Verlag GmbH, Königswinter

Englische Originalausgabe:

„Riding Shotgun“

2005 by SPG Triumph

PO Box 1060

Maidstone, Kent

ME15 OWT

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks, der Wiedergabe in jeder Form und der Übersetzung in andere Sprachen, behält sich der Herausgeber vor. Es ist ohne schriftliche Genehmigung des Verlages nicht erlaubt, das Buch und Teile daraus auf fotomechanischem Weg zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer bzw. mechanischer Systeme zu speichern, systematisch auszuwerten oder zu verbreiten.

Autoren:

© Gerry McAvoy und Pete Chrisp

Alle Rechte am Wort liegen bei den Autoren.

Umschlagfotos: Andy Ridder, Pierre Daviller

Übersetzung: Ralph Sander, Köln

Lektorat: Florian Hube, Petra Hundacker

Satz und Gestaltung: HEEL Verlag, Axel Mertens

– Alle Rechte vorbehalten –

ISBN 978-3-86852-675-2

Gerry McAvoy mit Pete Chrisp

on the road

Mein Leben mit RORY GALLAGHER und NINE BELOW ZERO

Ich möchte so lange Erfolg haben wie Muddy Waters. Ich bewundere Leute, die nicht einfach nur aufs schnelle Geld aus sind. Sie sind im Grunde Folkmusiker, die auf elektrisch verstärkten Instrumenten spielen – und das ihr ganzes Leben lang. Und ich möchte wetten, dass Muddy am Tag vor seinem Tod immer noch sauer darüber war, dass er nicht wusste, was es mit diesem ganzen Mysterium auf sich hatte. Wenn man eine Sache nicht beim Namen nennen kann, dann ist sie so richtig gut.

Rory Gallagher

Juli 1984

Inhalt

The Edge von U2 gewinnt den ersten Annual Rory Gallagher Rock Musician Award

Prolog: Can’t Believe it’s True

1. Kapitel: Cradle Rock

2. Kapitel: Wayward Child

3. Kapitel: Sinner Boy

4. Kapitel: Follow Me

5. Kapitel: Out on the Western Plain

6. Kapitel: Crest of a Wave

7. Kapitel: Goin’ to My Hometown

8. Kapitel: Messin’ with the Kid

9. Kapitel: Edged in Blue

10. Kapitel: Who’s that Coming?

11. Kapitel: Same Old Story

12. Kapitel: Wave Myself Goodbye

13. Kapitel: Road to Hell

14. Kapitel: Heaven’s Gate

Epilog: There’s a Light

Danksagung und Quellen

Diskografie

Stichwortregister

Für Regine, Ciarán und Niamh

Amy, Liam und Jamie

Im Gedenken an

Rory Gallagher

Wilgar Campbell

Marsha McDonnell

Sam Dillon

und unsere Eltern

Sean und Sarah McAvoy

sowie

Bill und Dora Chrisp

The Edge von U2 gewinnt den ersten

Annual Rory Gallagher Rock Musician Award

In seiner Dankesrede erklärte The Edge, wie viel ihm diese Auszeichnung bedeute, und er sagte, Rory sei für ihn eine Inspiration gewesen, die ihm half, sich für die Musik zu entscheiden. Er beschrieb, wie „ ich mit 15 mein erstes großes Rock ‘n’ Roll-Konzert in Macroom erlebte und sah, was drei Leute mit ein paar Gitarren und einem Schlagzeug alles machen können. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf möchte ich diese Auszeichnung im Namen aller jungen Männer und Frauen annehmen, die überall im Land in ihrem Zimmer sitzen und versuchen, diesen ersten Barré-A-Akkord hinzukriegen, und die davon träumen, in einer Rock ‘n’ Roll-Band zu spielen, auf der Bühne zu stehen und viel Krach zu machen. 1966 galt das auch für Rory daheim in Cork, und rund zehn Jahre nach ihm tat ich genau das Gleiche in Malahide.“

Hinter der Bühne zollte The Edge der von Rory Gallagher als erstem irischen Rockstar geleisteten Pionierarbeit Tribut: „Was seinen Beitrag zum Rock ‘n’ Roll in diesem Land angeht, wird er immer unvergessen bleiben. Er war der Erste. Er schaffte das zu einer Zeit, als so was in Irland völlig unbekannt war. Viele Bands und Künstler, die ihm nachfolgten, sollten ihm dafür dankbar sein, dass er ihnen den Weg geebnet hat.“

„Rory war in vieler Hinsicht eine Inspiration, zunächst natürlich, weil er Ire war. Für mich als 15 oder 16 Jahre alten Gitarristen war das eine gewaltige Sache. Mich machte es stolz, dass er so erfolgreich war. Als ich sah, was Rory und seine Band auf der Bühne alles anstellten, da war das ein Moment, der mir die Augen öffnete. Ich hatte schon mit den vier Mitgliedern unserer Band zu arbeiten begonnen, denn zu der Zeit war noch mein Bruder Dick dabei. Es war ein sehr entscheidender Punkt in meinem Leben als Musiker. Es baute mich moralisch auf, und es verlieh mir neue Entschlossenheit und Energie.“

Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für The Edge, der in seiner Karriere doch schon so gut wie jeden Musikpreis erhalten hat? Zum ersten Mal an diesem Abend lässt ihn seine übliche Wortgewandtheit ein wenig im Stich und es scheint, als hätte er einen Kloß im Hals, da die Gefühle zu überwältigend sind.

„Nun, es gibt solche und solche Auszeichnungen“, antwortet er bedächtig. „Dieser Preis ist etwas wirklich Besonderes, weil er zum allerersten Mal verliehen wird – vor allem, wenn man an die Umstände denkt, unter denen Rory letztes Jahr verstorben ist. Ich glaube, er hat für mich eine ganz besondere Bedeutung. Es ist für mich eine unglaubliche Ehre und eine große Freude, mit diesem Preis ausgezeichnet zu werden. Aber es macht einem natürlich auch sehr bewusst, dass Rory nicht mehr unter uns weilt. Deshalb sehe ich das Ganze mit gemischten Gefühlen.“

Hot Press,

3. April 1996

Prolog:

Can’t believe it’s True

14. Juni 1995. Ein schwarzer Tag für den Blues. Einer von diesen Tagen, die einem förmlich ins Gedächtnis eingebrannt sind und die durch nichts wieder gelöscht werden können. Auch rund zehn Jahre später ist mir noch jeder Augenblick so lebhaft im Gedächtnis, als hätte ich es erst gestern durchlebt.

Es war ohnehin schon ein ungewöhnlicher Tag für mich, da ich in meinem Haus im Osten Londons im Garten arbeitete. Ich habe auch so nicht den Ruf, ein großartiger Gärtner zu sein, aber ich war so sehr damit beschäftigt gewesen, mit Nine Below Zero unser Album Ice Station Zebro aufzunehmen, dass ich alle Hausarbeiten hatte zurückstellen müssen. Vor allem der Garten hatte darunter gelitten. Und so war ich damit beschäftigt, mich im frühsommerlichen Sonnenschein durch das Gestrüpp zu kämpfen, das überall wucherte, als meine Frau Coral mir zurief, da sei ein Anruf für mich. Froh darüber, eine Pause machen zu können, ging ich ins Haus und griff nach dem Hörer. Sofort erkannte ich die Stimme von Phil McDonnell, dem Tontechniker und Roadmanager der Rory Gallagher Band von 1977 bis 1986. Irgendetwas hatte ihn offenbar sehr in Aufregung versetzt.

„Gerry ... Gerry ... Phil hier.“ Er begann, fast unbeherrscht zu schluchzen.

„Phil? Was zum Teufel ist denn los?“

Phil atmete tief durch und brachte die Worte dann irgendwie heraus: „Gerry, Ute hat eben angerufen. Ihr Bruder Klaus hat sich bei ihr gemeldet und gesagt, dass er in Deutschland etwas davon gehört hat, dass Rory tot sein soll. Ich kann das überhaupt nicht fassen, Gerry. Rory ist tot.“

Ich gab mir alle Mühe, ihn zu beruhigen und seinen Worten einen Sinn zu geben, doch er befand sich in einem solchen Schockzustand, dass es mir einfach nicht gelingen wollte. Schließlich sagte ich, ich würde herumtelefonieren und mich bei ihm melden, wenn ich herausgefunden hätte, ob an der Geschichte etwas dran sei. Ich konnte es gar nicht glauben. Das konnte doch nicht stimmen, oder? Seit über zwei Jahren hatte ich mit Rory keinen richtigen Kontakt mehr, aber wir wussten alle, dass er krank war. Seine Gesundheit war schon Ende der 80er Jahre angegriffen gewesen, als ich mit ihm noch als sein Bassist auf Tour war. Lange Zeit war ich um ihn in Sorge gewesen, doch Rorys allgegenwärtiger Roadie Tom O’Driscoll hatte mich und Schlagzeuger Brendan O’Neill stets auf dem Laufenden gehalten. Brendan hatte zusammen mit mir 1990 Rorys Band verlassen, um bei Nine Below Zero einzusteigen. Tom kam oft auf ein Schwätzchen und ein Bier in die Matrix Studios, und bei einem seiner letzten Besuche ließ er uns wissen, dass es mit Rorys Gesundheit rasch bergab ging: Man hatte ihn für eine Lebertransplantation ins Krankenhaus gebracht, und es war nicht allzu gut um ihn bestellt. Ein paar Tage später schaute Tom dann aber wieder vorbei und berichtete, die Transplantation sei erfolgreich verlaufen. Rory müsse zur Beobachtung noch ein paar Tage im Krankenhaus bleiben, danach könne er dann nach Hause entlassen werden. Er sei auf dem Weg der Besserung und alles werde wieder gut. Was da in Deutschland als Meldung kursierte, konnte einfach nicht wahr sein.

Sofort versuchte ich, Rorys Bruder und Manager Donal zu erreichen, aber ich konnte ihn nicht erwischen. Über zwei Stunden bekam ich bei jedem Anruf nur ein Besetztzeichen, und je länger das anhielt, umso deutlicher wurde mir, dass wirklich etwas nicht stimmen konnte. Verrückt vor Sorge wählte ich alle paar Minuten wieder seine Nummer, bis sich endlich Donals Frau Cecilia meldete. Mit tränenerstickter Stimme bestätigte sie mir, dass Rory am Morgen im Londoner King’s College Hospital gestorben war. Alles schien bestens verlaufen zu sein, als überraschend eine Infektion auftrat und seine Leber versagte. Rory Gallagher war im Alter von gerade mal 47 Jahren gestorben.

Ich war am Boden zerstört. Es wollte mir einfach nicht in den Kopf, dass Rory nicht mehr da war. So ging es mir nicht bloß Tage, sondern viele Wochen nach dieser Nachricht. Der Verlust eines Freundes, eines Musikerkollegen, eines Landsmannes. Mir war, als sei ein Teil von mir selbst damit gestorben. Tränenüberströmt griff ich zum Hörer und rief Brendan an.

„Brendy, ich habe schreckliche Neuigkeiten.“ Er schien sofort zu wissen, was ich ihm sagen würde, und so saßen wir beide da, in Tränen aufgelöst, und sprachen darüber, wie unglaublich traurig Rorys Tod war. Jeder, der ihn gekannt und geliebt hatte, befand sich an diesem Tag in einer Art Schock.

Früh am nächsten Morgen erreichte mich ein Anruf von Tom O’Driscoll, den der Todesfall tief getroffen hatte. Er und Rory waren seit dessen Zeit bei der Fontana Showband Anfang der 60er Jahre praktisch unzertrennlich gewesen. Er erzählte mir, wie Rory gesundheitlich schon seit einer Weile immer mehr abgebaut hatte und wie schmerzhaft es gewesen war, ihn bei seinen letzten Auftritten auf der Bühne zu sehen. Bei einem seiner letzten Konzerte, das im Town & Country Club in London stattfand, begannen die Zuschauer ihn sogar auszubuhen, da er praktisch nicht mehr in der Lage war, die Songs zu spielen, die ihm doch eigentlich im Blut lagen. Es tat weh, sich vorzustellen, dass seine Karriere auf eine solche Weise zu Ende gegangen war. Ich war wütend auf das Publikum, das nicht begriffen hatte, dass da ein Mann auf der Bühne stand, der Hilfe und Mitgefühl brauchte, aber keine Buhrufe. Und ich war wütend auf die Menschen in seiner Nähe, die zugelassen hatten, dass er weiter auf die Bühne ging, obwohl er in ein Krankenhaus gehört hätte oder sich zumindest zu Hause hätte ausruhen und ärztlich versorgen lassen sollen. So wie ein alternder Boxer hatte Rory nicht erkannt, dass der Zeitpunkt zum Rückzug gekommen war. Stattdessen war er wieder und wieder in den Ring gestiegen. Es war einfach zu traurig.

Brendan und ich hatten gegen Ende unserer Zeit in seiner Band einige schlimme Tage miterlebt, aber nichts in dieser Art. Jeder von uns war bemüht, ihn dazu zu überreden, er solle sich helfen lassen, doch ich wusste nur zu gut, dass Rory Gallagher nicht der Typ war, der sich von irgendwem Ratschläge geben lassen wollte. Rückblickend kann man leicht sagen, dass irgendwer – ich eingeschlossen – mehr hätte tun sollen, um ihm zu helfen, als klar war, dass er große Probleme hatte. Ich weiß, Donal versuchte alles, um seinem Bruder zu helfen. Doch letztlich hing alles davon ab, dass Rory auch bereit war, sich helfen zu lassen – und das war genau das, was ihm immer am schwersten gefallen war.

Später an diesem Tag bekam ich endlich Donal ans Telefon, und wir versanken beide eine Weile in unserer Trauer. Donal war am Boden zerstört. „Das ist das Ende einer Ära, Gerry“, sagte er. Ich wusste, er hatte recht. Selbst heute kann ich kaum an diese Tage zurückdenken, ohne dass mir die Tränen kommen. Von 1971 bis 1991 war ich Rory Gallaghers Bassist und Freund – und von Rory selbst abgesehen die einzige Konstante auf all seinen 14 Erfolgsalben, die sich weltweit über 30 Millionen Mal verkauften. Rory und ich sind gemeinsam einige Male um die Welt gereist, und dank seines Einflusses und dem Respekt, den er als Musiker genoss, konnte ich mit einigen der besten Künstler in den größten und ruhmreichsten Hallen und Stadien spielen, die die Rockmusik kennt. Nicht schlecht für einen Jungen aus Belfast, dem offiziell nie gesagt wurde, dass er zur Band gehörte.

Aber so war Rory nun mal. Bis zum Schluss mochte er es, wenn die anderen im Dunkeln tappten. Es war gerade das, was ihn als Mensch und als Musiker so interessant machte. Und er war ein verdammt guter Musiker! Als Gitarristen sehe ich ihn immer in einer Reihe mit Jimi Hendrix, Eric Clapton und Jeff Beck zu ihren besten Zeiten. Dabei wich er niemals von seiner großen Liebe zum Blues ab, an den er genauso glaubte wie an alles, wofür der Blues stand. All seinen Erfolgen zum Trotz wurde ihm nie die Anerkennung und Wertschätzung zuteil, die ein Mann von seinem Talent mehr als verdient hatte. Er hätte viel größer sein können und sollen, als er es zu Lebzeiten war.

Mit ihm auf der Bühne zu stehen und zu spielen, war jedes Mal eine Lehrstunde. Wir gingen nie nach einer Setlist vor, es wurde nie darüber diskutiert, was wir spielen würden. Stattdessen setzte Rory ohne Vorwarnung zum nächsten Titel an, und Gnade einem Gott, wenn man nicht bereit war. Jeder Auftritt ging bis an die Grenzen, und oftmals bewegten wir uns dabei nahe an einem Desaster. Wenn wir schließlich nach der dritten oder vierten Zugabe die Bühne verließen, waren wir ausgepowert und schweißgebadet, begleitet vom tosenden Applaus seiner Fans, die ihn verehrten und nach dem Konzert mindestens so erledigt waren wie wir selber. Doch auch wenn wir diese Reaktionen überall auf der Welt erfuhren, war Rory mit seinem Auftritt nur selten wirklich zufrieden. Stattdessen trieb er uns und vor allem sich selbst zu immer neuen Höchstleistungen an, die sich am Rand zum Kollaps bewegten – und alles nur, weil er nach musikalischer Perfektion strebte.

Rory hatte nie den Führerschein gemacht und ließ sich praktisch ständig chauffieren, üblicherweise von seinem Bruder Donal oder von Tom O’Driscoll, während er auf dem Beifahrersitz saß. Manchmal, wenn er das Gefühl hatte, dass er etwas Ruhe brauchte, drehte er sich zu mir um und sagte: „Gerry, hast du Lust, für ein paar Stunden den Beifahrer zu spielen?“ Auch wenn er es als Frage formulierte, war es nie so gemeint. Viele Jahre vor Springsteen war Rory längst der Boss. Und wenn der Boss es sich auf der Rückbank gemütlich machen wollte, dann war man halt der Beifahrer.

Rory Gallaghers Beifahrer zu sein, war in jeder Hinsicht ein Privileg, und ich schätze mich sehr glücklich, der Musiker zu sein, der länger an seiner Seite spielte als jeder andere. In diesen 20 Jahren konnte ich ihn wohl besser kennenlernen als die meisten anderen Menschen. Einmal sagte er mir – in Gegenwart von Donal, was mir sehr peinlich war – ich sei für ihn mehr wie ein Bruder, als Donal es jemals für ihn gewesen war. Es entsprach bestimmt nicht den Tatsachen, und ich bin davon überzeugt, er sagte es nur, um seinen jüngeren Bruder zu verletzen, wenn er sich wieder einmal mit ihm wegen irgendeiner Kleinigkeit gestritten hatte – wie Geschwister das nun mal tun. Tatsache ist, dass ich Rory zwar wirklich gut kennenlernte, aber ich habe so meine Zweifel, dass ich ihn deshalb auch tatsächlich kannte. Ich weiß nicht mal, ob es überhaupt jemanden gab, der ihn richtig kannte. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb so wenig über Rory geschrieben wurde. In den ein, zwei Büchern, die in den letzten Jahren erschienen, wimmelt es von Ungenauigkeiten. Die Biographien erzählen eine Geschichte, die nur selten irgendetwas mit den Dingen zu tun hat, wie ich sie in Erinnerung habe. Ich weiß das, weil ich dabei war, vom Anfang bis zum Ende. Ich respektierte ihn und mochte ihn wirklich gern. Zwar wollen uns manche Leute glauben machen, Rory habe sich einen Platz zwischen unseren ehrwürdigen irischen Heiligen verdient, aber ich möchte dagegenhalten, dass er ein Mensch war, der einen vor Wut so sehr auf die Palme bringen konnte wie kein Zweiter. Aber genauso konnte er auch einer der nettesten Menschen der Welt sein. Ein wahrer Gentleman. Ein echtes Mysterium, verpackt in ein Rätsel.

In diesem Buch geht es nicht nur um Rory Gallagher, sondern auch um mich und mein Leben – an der Seite von Rory genauso wie in der Zeit davor und danach. Es ist eine erzählenswerte Geschichte, weil ich das Glück hatte, ein manchmal bizarres, oft verrücktes Leben zu führen, das eines nie war: langweilig. Indem ich meine Geschichte erzähle, kann ich gleichzeitig helfen, dieses komplexe Rätsel aufzulösen, das Rory Gallagher bis heute geblieben ist. Ich hoffe, dass Sie als mein Beifahrer genauso viel Spaß an dieser Geschichte haben werden wie ich.

Gerry McAvoy

März 2005

1. Kapitel:

Cradle Rock

Es scheint nur angemessen, dass ein Mann, der das Rätsel mit Namen Rory Gallagher entschlüsseln will, in eine Familie aus Privatdetektiven hinein geboren wird – und genau das geschah am 19. Dezember 1951 im Belfaster Mater Hospital. Mein Großvater Dan McAvoy gründete eine der ersten Privatdetekteien in Belfast, für die schließlich auch mein Vater Sean tätig wurde, nachdem er zuvor Milch und Brot ausgefahren und als Fototechniker gearbeitet hatte. Es war nicht annähernd so glamourös wie es klingen mag – vor allem gab es die üblichen schmutzigen Scheidungsfälle. Doch ich kann mich daran erinnern, dass mein Vater in einem Entführungsfall recherchierte, der sich in Liverpool zugetragen hatte. Ich war damals acht oder neun und fand das alles sehr aufregend. Aber aus nachvollziehbaren Gründen wurde ich nie wirklich in irgendwelche Details seiner Arbeit eingeweiht.

Meine Mutter Sarah zog nicht nur uns Kinder groß, sondern hatte fast ihr ganzes Leben lang immer irgendwelche Jobs, unter anderem leitete sie eine Wäscherei. Meine Eltern waren beide katholisch, mein Vater war politisch sehr stark motiviert, ein überzeugter Republikaner, der – wie ich später herausfand – in den 40er Jahren Mitglied der Irish Republican Army, der IRA, war und mit deren Geheimdienst zu tun hatte. Auch bei meinem Großvater gab es Verbindungen zur IRA. Meine Schwester Collette und ich kamen während eines Familienurlaubs in Cork dahinter, als wir auffallend viel Zeit damit verbrachten, Orte zu besuchen, die mit dem Republikanerführer Michael Collins in Zusammenhang standen – der Pub, in dem er sein letztes Pint trank, der Ort, an dem er erschossen wurde, und so weiter. Ich wollte wissen, was los ist, und meine Mum sah meinen Dad an und fragte: „Wird es nicht Zeit, dass du es ihnen sagst?“ Dann wandte sie sich uns zu und erklärte: „Euer Dad war in den 40er Jahren in der IRA.“ Ich fand das damals unglaublich aufregend. Bis zu seinem Tod blieb Dad ein überzeugter Anhänger der IRA.

In einem Punkt war ich auf meinen Vater allerdings gar nicht stolz, und der betraf die Tatsache, dass er seine Position als Privatdetektiv ausnutzte, um meine Mutter zu hintergehen, oft ausgerechnet mit den Ehefrauen jener untreuen Männer, die er beschatten sollte. Einmal war ich mit ein paar Freunden im Stadtzentrum von Belfast unterwegs, als wir um eine Ecke kamen und den Wagen meines Vaters entdeckten. Mein Dad saß mit einer drallen Blondine im geparkten Fahrzeug, wo sie ihm – na, sagen wir mal – bei seinen Recherchen behilflich war. Ich fühlte mich am Boden zerstört und gedemütigt, vor allem als der Ehemann dann auch noch bei uns zu Hause vor der Tür stand und darauf bestand, sich mit meinem Vater zu prügeln.

Soweit ich mich erinnern kann, schien meine Mum sein Verhalten einfach hinzunehmen. Begegnet waren sie sich Anfang der 40er Jahre während des Krieges. 1942 heirateten die beiden. Kurz nach der Heirat kam mein Vater nach England, wo er zusammen mit meinem Onkel Davy Giffen – er war mit Eileen verheiratet, der ältesten Schwester meines Vaters – ein eigenes Bauunternehmen gründete. Den Sitz hatte die Firma in Woodford im Norden von London. Die beiden holten sich irische Arbeiter, um eine Reihe von großen Projekten in Angriff zu nehmen, unter anderem die Renovierung des Hauses von Dorothy Paget, einer Dame aus der feinen Gesellschaft und Besitzerin eines erfolgreichen Rennpferds. Die beiden verdienten so viel Geld, dass mein Dad schon bald in der Lage war, sein eigenes Haus zu kaufen. Mein Großvater gewährte ihm dafür ein Darlehen, betrieb seine Detektei, war aber daneben auch noch ein wohlhabender Ladenbesitzer im Belfaster Bezirk Ardoyne. Das Haus, das ihm dabei vorschwebte, war ein großes, altes Bauwerk in South Woodford, das heute sicherlich ein Vermögen wert wäre. Als meine Schwester Collette 1946 zur Welt kam, versuchte mein Dad meine Mutter dazu zu überreden, dass sie dieses Haus kaufen sollten, damit sie mit dem Baby nachkommen und sie alle in London ein neues Leben beginnen konnten. Doch meine Mutter weigerte sich, ihre eigene Mutter zurückzulassen. Ein anderer Onkel von mir, Dick Storr – er war mit der anderen älteren Schwester meines Vaters verheiratet –, bedrängte meinen Vater, er solle meine Mum verlassen und in England leben, doch das wollte er nicht. Widerwillig kehrte er nach Belfast zurück und kaufte für £ 500 ein Haus in Ardoyne. Mein Glück, sonst hätte es mich nie gegeben.

Doch das Einlenken meines Vaters sorgte für wachsende Spannungen zwischen meinen Eltern, da er das Gefühl hatte, meine Mutter würde ihn fortwährend zurückhalten. Einmal kaufte er ein Grundstück in Ligoneil, um dort für uns ein neues Haus zu bauen. Doch als er meiner Mutter das Grundstück zeigte, rümpfte die nur die Nase und erklärte: „Das ist ja alles nur Morast und Dreck.“ Mehr Interesse an seinem Vorhaben zeigte sie nicht. Er war durch ihr Verhalten so desillusioniert, dass er eine Weile irgendwelche Gelegenheitsjobs annahm und schließlich bei der Detektei meines Großvaters einstieg, womit dann auch seine Techtelmechtel mit anderen Frauen begannen.

Großvater McAvoy und seine Frau Alice waren beide extrem religiös, auch wenn ihn das nicht davon abhalten konnte, sich für die republikanische Bewegung einzusetzen. Nachdem der Vertrag von 1921 unterzeichnet worden war, durch den die sechs Countys an Großbritannien zurückgegeben wurden, engagierte er sich so wie viele andere katholische Iren noch stärker für den Kampf gegen die Briten. Unter der Spüle versteckte er eine deutsche Luger, und als eines Nachts die britische Army kam und das Haus nach Waffen durchsuchte, übersahen sie die Luger wie durch ein Wunder.

Neben der Begeisterung für die Republikaner war es die Musik, der viele in meiner Familie zugetan waren. Mein anderer Großvater James Toal arbeitete in einer Flachsmühle in Belfast, aber er war auch ein semiprofessioneller Mandolinenspieler, der in den 20er und 30er Jahren durch Irland reiste und in Pubs und Clubs auftrat. Meine Mum liebte das Singen. Und mein Dad spielte gern mit ein paar Musikerfreunden in den Pubs von Belfast, um sich etwas Geld für ein paar Bier zu verdienen. Seine wahre Leidenschaft war aber das Snookerspiel. Er war ein wirklich guter Spieler und konnte sich rühmen, dass er tatsächlich den größten irischen Snooker-Champion, Alex Higgins, Ende der 60er Jahre besiegte. Er beteuerte immer, Higgins schulde ihm noch ein Pfund Wetteinsatz aus dieser Partie. Als ich vor Kurzem wieder in Belfast war, saß Higgins in der gleichen Hotelbar wie ich und trank etwas. Am liebsten wäre ich hingegangen, um ihn auf das Pfund anzusprechen, aber letztlich fand ich nicht den Mut dazu!

Meine früheste Kindheit war ereignislos, aber ich habe sie als eine glückliche Zeit in Erinnerung. Ich besuchte in einer unerschütterlich republikanischen Ecke von Ardoyne die dortige Holy Cross Primary School. Die modernisierte Schule gelangte 2001 zu trauriger Berühmtheit, als die katholischen Kinder gezwungen waren, ein Spießrutenlaufen durch Reihen von protestantischen Eltern über sich ergehen zu lassen, um ins Gebäude zu gelangen. Schon Anfang der 60er Jahre war mein Vater besorgt, was unsere Sicherheit in Ardoyne anging. Der nächste Park lag mitten in einem protestantischen Gebiet, das man durchqueren musste, wenn man zum Spielplatz wollte. Unsere Eltern warnten uns, wir sollten dort nicht hingehen, aber keiner von uns nahm diese Warnungen ernst. Schließlich entschied mein Dad, ein Haus in einem viel schöneren Viertel am Rand von Belfast zu kaufen, das aber ironischerweise auch mitten in einem protestantischen Bezirk lag. Die meisten meiner Freunde wurden Protestanten, aber mir war das ziemlich egal. Immerhin war Belfast zu der Zeit noch ein recht friedlicher Ort.

Jeden Tag besuchte ich die Holy Cross, bis ich auf die St. Gabriel’s Secondary School wechselte – die mich mit einer viel raueren Welt konfrontierte. Es gab eine Zeit, da galt St. Gabriel’s als die schlimmste Schule von ganz Nordirland, an der es so verheerend zuging, dass das Personal ständig wechselte. Für die Kinder gab es keinerlei Sicherheitsvorkehrungen. Eines Tages kam es zu einem berüchtigten Zwischenfall, als ein Berufssoldat der British Army die Schule besuchte und uns einen Vortrag hielt. Am nächsten Tag kamen sechs IRA-Sympathisanten mit Wollmützen über dem Kopf in die Schule und stießen allerlei Drohungen aus. Allerdings hatten sie die Rechnung ohne zwei unserer Lehrer gemacht – Pat Rice und ein anderer Mann namens Flanagan –, die sich den Jungs in den Weg stellten und sie nach Strich und Faden verprügelten.

In der Schule war ich ziemlich gut, und in den ersten Jahren gehörte ich zu den Besten meiner Klasse – bis die Musik mich in ihren Bann schlug. Überraschend war, dass viele Kinder aus meinem Jahrgang später in ihrem Leben sehr erfolgreich waren. Einer wurde Spitzen-Psychologe, andere bekleideten hochrangige Posten in der IRA. Einer der Jungs, mit denen ich zur Schule ging, war später der Commander in der IRA, der im Maze Prison landete und einen der aufsehenerregendsten Hungerstreiks organisierte. In der Schule war er immer sehr nett, äußerst intelligent, und er machte nie irgendwelchen Ärger.

Es war in meinem zweiten Jahr an der St. Gabriel’s und ich war so etwa 13, als ich mich für Musik zu interessieren begann, die schon bald mein ganzes Leben bestimmen sollte. Ich weiß noch, wie ich mir zu Weihnachten eine Snaredrum wünschte, weil ich Sandy Nelsons „Let there be Drums“ gehört hatte und davon überzeugt war, dass ich Schlagzeuger werden wollte. Nelson hatte nur ein Bein, und ich dachte mir, wenn er mit einem Bein solchen Lärm machen kann, was muss man dann erst mit zwei Beinen bewerkstelligen können? Mein Dad war aber wohl klug genug, darauf zu erwidern: „Kommt gar nicht in Frage. Ein Schlagzeug bekommst du nicht. Du kannst wählen zwischen einer Gitarre und einem Snookertisch.“

Ich sagte: „Okay, dann nehme ich die Gitarre.“ Ich habe noch heute seine enttäuschte Miene vor Augen. Es war das Ende meiner erhofften Snooker-Karriere, noch bevor sie überhaupt begonnen hatte. Gleichzeitig war es der Beginn einer Liebesbeziehung zur Musik, die bis heute anhält. Meine fünf Jahre ältere Schwester Collette ging zu der Zeit mit einem Kerl namens Gerry Osbourne aus, den sie später heiratete. Musikalisch hatte er großen Einfluss auf mich. Er stand auf Chuck Berry, Jerry Lee Lewis, Del Shannon, Buddy Holly, und er lieh mir regelmäßig seine Singles und LPs aus. Die erste Platte, die ich mir selbst kaufte, war Del Shannons „Runaway“. Dann kam „Beatles for Sale“ auf den Markt, und ich spielte die LP ohne Ende. Ich fand, dass sie einfach phantastisch war und bin seitdem ein großer Fan von Paul McCartneys Bass-Spiel.

Meine erste Gitarre war eine Futurama – eine E-Gitarre, für die man einen Verstärker benötigte, was mir aber erst klar wurde, als ich zu Hause ankam. Es war fast unmöglich, sie zu spielen, weil der Hals so gebogen war, dass es einfacher gewesen wäre, damit Pfeile abzuschießen. Zum Glück hatte mein Vater einen Freund, der Gitarrenlehrer war, ein Typ namens Jack Lowery, der wirklich phantastisch spielen konnte. Er sah die Futurama nur an, dann sagte er, die beste Lösung sei, das Ding loszuwerden und stattdessen eine Akustikgitarre zu kaufen. Also brachten wir die Futurama zurück zu Sharkey’s Music Store in Belfast und tauschten sie gegen eine kirschrote, halbakustische Bert Weedon Special ein – ebenfalls ein höllisches Instrument, aber zumindest berührten hier die Saiten das Griffbrett.

Eine Zeit lang bekam ich nun jeden Sonntag Gitarrenunterricht von Jack. Er stand völlig auf Swing – „Sunny Side of the Street“, „Three Coins in the Fountain“ ‘ und so weiter – also alles sehr vom Jazz beeinflusste Stücke. Rückblickend muss ich sagen, dass mich dieser Unterricht gut auf das vorbereitete, was ich später spielen würde. Aber zu der Zeit fand ich das alles sehr schnell todlangweilig. Es war das Jahr 1964 und ich wollte natürlich Rock ‘n’ Roll spielen – „Satisfaction“, „King Bee“ oder „Day Tripper“. Der Musikunterricht in der Schule wurde von irischer Musik dominiert, während Rock ‘n’ Roll praktisch kein Ansehen besaß. Allerdings entwickelte sich zu der Zeit in Belfast eine sehr starke Rhythm-&-Blues-Szene, angeführt von Van Morrison und Them. Überall schossen auf einmal R&B-Clubs wie Pilze aus dem Boden.

Manche Leute sind der Ansicht, dass der Blues mit dem Zweiten Weltkrieg nach Belfast kam. In der Stadt und in der näheren Umgebung waren zahlreiche schwarze Marines stationiert, von denen vor dem D-Day viele ihre Blues-LPs zu den Pfandleihern brachten. Auch nach dem Krieg blieben noch einige GIs in Belfast stationiert. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich in den 60er Jahren über den berühmten Smithfields-Markt in Belfast schlenderte, auf dem man eine Fülle von Blues-Alben kaufen konnte, die in Großbritannien normalerweise nicht erhältlich waren. Man konnte die Alben für einen Shilling leihen. Und genau das machten wir auch, weil wir es uns nicht leisten konnten, sie zu kaufen. Wir nahmen sie mit nach Hause, lernten jeden Song, und dann brachten wir sie zurück, um das nächste Album auszuleihen.

Meine Liebe zum Blues entwickelte sich zu der Zeit, als ich mich mit ein paar Jungs namens Tony Baird und Norman Wear anfreundete, die ganz in der Nähe in Newtownabbey wohnten. Wir waren alle Filmfans und gingen regelmäßig ins Alpha Cinema in Belfast. Normans Onkel war zudem der berühmte irische Schauspieler Stephen Boyd, der später durch Filme wie Ben Hur und Die phantastische Reise zu einem großen Hollywood-Star wurde. Tony und ich interessierten uns außerdem sehr für Kunst und Comic, und wir schufen sogar unsere eigenen Comicserien, für die die Kinoerfolge jener Zeit als Vorlage herhalten mussten. Unter anderem gehörten dazu die James Bond-Filme, und ganz besonders erinnere ich mich an einen Comic nach dem Epos Zulu, den wir „Natal“ nannten. Tony war ein hervorragender Zeichner, aber er war auch ein großer Blues-Fan. Als er mir eines Tages „San Francisco Bay Blues“ von Jesse Fuller auslieh, war es um mich geschehen. So etwas hatte ich noch nie zuvor gehört – echter Delta-Blues, mit dem das britische Publikum erst allmählich durch Musiker wie John Mayall, Alexis Korner und Eric Clapton vertraut gemacht wurde. Danach besuchte ich Tony regelmäßig und hörte mir seine Blues-Platten an. Ich kam zu dem Schluss, dass das genau die Art von Musik war, die ich selbst auch machen wollte. Also begann ich nach anderen Ausschau zu halten, die den gleichen musikalischen Geschmack hatten wie ich.

Später fand ich heraus, dass sich Rorys Liebe zum Blues etwa zur gleichen Zeit entwickelt hatte. Bis dahin begeisterte er sich für Eddie Cochran, Chuck Berry, Buddy Holly und den in Glasgow geborenen Lonnie Donegan. Donegans Blues-Interpretationen ließen bei ihm das Interesse an Leadbelly, Big Bill Broonzy und an Woody Guthrie erwachen, dem großen Mann des Countryblues. Ende 1966 hörte er dann eines Abends auf AFN, dem American Forces Network, wie der DJ einen Song von Muddy Waters spielte. Er war total begeistert. Ich kann gar nicht genug betonen, welche Wirkung das auf ihn hatte: Es veränderte buchstäblich sein Leben. Am nächsten Tag machte er sich auf die Suche nach dieser Platte. Er entdeckte sie, und von da an lebte und atmete er den Blues.

Einer meiner besten Schulfreunde war der ebenfalls aus Ardoyne stammende Brendan O’Neill. Er saß vor mir, und eines Tages drehte er sich zu mir um und sagte: „Hey, ich will mit ein paar Jungs eine Band zusammenstellen. Du spielst doch Gitarre, oder? Kannst du deinen kleinen Finger benutzen?“

Ich fragte mich, was er damit wohl meinte, trotzdem antwortete ich: „Klar kann ich das.“

„Okay“, meinte Brendy. „Du bist dabei.“

Erst später wurde mir klar, dass er wissen wollte, ob ich meinen kleinen Finger benutzen kann, um ein 12-bar Blues-Riff zu spielen, was ich zwar eigentlich gar nicht konnte, aber das war zu der Zeit auch egal. Brendy organisierte unsere erste Probe, die sich als eine völlige Farce entpuppen sollte. Wir trafen uns in einem Raum über Frankie Burns Süßwarengeschäft in Ligoneil, das einem Freund meines Dads gehörte, und voller Stolz sahen wir zu, wie ein Schlagzeug, ein Bassverstärker, ein Mikrofon, eine Bassgitarre und zwei Akustikgitarren auf der Ladefläche eines offenen Lastwagens eintrafen, den Brendans Dad sich ausgeliehen hatte.

Für mich war dies in vieler Hinsicht ein denkwürdiger Tag, da ich auch zum ersten Mal jemanden kennenlernte, der für den Rest meines Lebens eine wichtige Rolle spielen sollte. Ein Freund von Brendan und der selbst erklärte Bandleader (und das nur, weil er mehr Akkorde beherrschte als jeder andere): Jim Ferguson, den alle nur als Fergie kannten. Sie können mir glauben, dass Sie den Namen in diesem Buch noch einige Male lesen werden.

Es sagte eigentlich nicht viel über Fergie aus, dass er mehr Akkorde beherrschte als wir anderen, denn ich kannte zum Beispiel so gut wie keine, wenn man von einem schrägen Jazz-Griff absah. Der Bassist Don Donaghy konnte überhaupt nicht spielen. Er war nur in der Band, weil er Fergies Kumpel war. Don war Metzgerlehrling, aber darin schien er auch nicht besonders gut zu sein, weil er ständig Dutzende von Schnittwunden an den Fingern hatte. Sobald er den Bass zu spielen begann, war sofort alles voller Blut. Dazu kam die Tatsache, dass unser Sänger Francis Murphy (Spud) bei einem Fischhändler arbeitete und so sehr nach Fisch stank, dass man am liebsten umgefallen wäre. Weil lediglich unser Bassist einen Verstärker hatte, musste ich mit meiner Bert Weedon Special gegen eine Wand anspielen, die als Resonanzkörper diente, damit ich zumindest hören konnte, wie die Saiten vibrierten. Spätestens in diesem Moment wurde mir klar, dass mein Aufstieg zu Ruhm und Reichtum nicht so mühelos verlaufen würde, wie ich es zunächst erwartet hatte.

Brendan besaß ein kleines Broadway-Schlagzeug, auf dem er immerhin schon von klein auf gespielt hatte. Damit war er von uns fünf eindeutig der begabteste. In den nächsten Stunden kämpften wir uns durch ein wenig Otis Redding, Wilson Picketts „Midnight Hour“, ein bisschen Tamla, und das war es auch schon – von Blues keine Spur. Die meisten Songs, die wir spielten, hatten wir uns aus dem Radio angeeignet, was sehr frustrierend sein konnte. Hatte man das Stück beim ersten Mal versäumt, musste man manchmal eine Woche warten, ehe es wieder gespielt wurde. Ich weiß noch, wie ich „Get Back“ von den Beatles übte, das zehn Tage vor dem Erscheinen als Single in der John Peel Show gespielt wurde. Zu der Zeit hatte ich es geschafft, mir ein altmodisches Tonbandgerät zuzulegen, und ich nahm den Song auf. Wir spielten daraufhin das Stück bereits live, noch bevor man es kaufen konnte. Die meisten Bands in Belfast spielten Coverversionen von R&B- und Soul-Stücken. Darum dachten wir uns, dass wir am ehesten einen Auftritt bekommen würden, wenn wir genau das Gleiche machten. Ansprüche stellten wir in dieser Zeit fast keine. Es ging einfach darum, einen Gig zu bekommen und dann zu sehen, was passiert, wenn wir auf die Bühne gehen würden.

Wir entschieden uns – warum weiß ich nicht mehr – für den Namen Pride. Es erübrigt sich fast zu sagen, aber wir wurden für unseren ersten Auftritt gebucht, lange bevor wir dazu eigentlich bereit waren. Doch wir waren jung und dumm, und wir lechzten danach, auf der Bühne zu stehen. Gebucht wurden wir über einen anderen Freund von Brendan, Jim Clark (Clarkie), der in einem Club namens Clarkes Dance Studio als DJ tätig war. In der Woche war der Laden eine Tanzschule. Von freitags bis sonntags wurde der Saal für Live-Auftritte genutzt, wobei es an Samstagnachmittagen eine Matinee ohne Alkoholausschank gab. Clarkie trug auf der Bühne Zylinder und Frack und nannte sich Lord Jim! Auch wenn man es kaum glauben möchte, war es ein angesehener Veranstaltungsort. Im Lauf der Jahre erlebte ich dort Fleetwood Mac, Aynsley Dunbars Retaliation, und sogar Rory spielte dort einmal zusammen mit Taste.

Pride eröffnete den Samstagnachmittag mit Wilson Picketts „In the Midnight Hour“, und überraschenderweise schienen sich die Leute daran nicht zu stören. Ich dachte, wir sind auf dem richtigen Weg, doch je weiter wir unser Set spielten, umso mehr ging das Publikum auf Abstand zur Bühne. Ziemlich schnell kam ich dahinter, dass Spud direkt von seiner Schicht beim Fischhändler am Samstagmorgen zur Halle gekommen war. Je wärmer es auf der Bühne wurde, umso mehr erwärmten sich auch die Fischschuppen auf seiner Kleidung. Das Publikum war am Ende des ersten Sets gut fünf Meter von der Bühne entfernt. Für einen ersten Auftritt war das Ganze gar nicht mal so übel, auch wenn unser Sänger meilenweit gegen den Wind stank. Unsere Gage für unseren ersten „professionellen“ Auftritt bestand übrigens in einer Tüte Kartoffelchips und einem Orangensaft für jeden.

Von dem Tag an probten und spielten wir so oft live wie es nur ging, ganz gleich, welche Hürden wir dabei überwinden mussten. Eine solche Hürde war manchmal allein schon die Frage, wie wir zu einem Auftritt und von dort zurück nach Hause kommen sollten. Ich weiß noch gut, wie oft wir mit ein paar Taxis vor einem Club vorfuhren, die mit unserem Equipment vollgepackt waren. Bei anderen Gelegenheiten musste die Gepäckablage eines Belfaster Doppeldeckerbusses herhalten. Ein anderes Mal schoben wir einen Bassverstärker auf einem Handkarren über zehn Kilometer weit von der Schule bis zu einem Saal, um dort aufzutreten oder einfach nur zu proben. Ich glaube, das macht klar, wie sehr wir uns da bereits der Musik verschrieben hatten.

Um uns musikalisch weiterzubilden, sahen wir uns auch alle möglichen Bands bei ihren Auftritten in den Belfaster Clubs an. Wie ich bereits sagte, hatte Van Morrison in Belfast einen Run auf R&B ausgelöst, und er hatte enormen Einfluss auf jeden, der ihm nachfolgte. Ich schätze, seine Wirkung für den R&B war dort die gleiche wie die der Beatles für den Mersey Sound in Liverpool. Van verließ Belfast etwa 1964 und war ‘65 bereits ein bekannter Name in den Staaten. Wir alle schauten uns an, was er geschafft hatte, und wir sagten uns, wenn er es kann, dann können wir das auch.

Eine der besten Bands war zu der Zeit Just Five – eine unglaubliche Truppe. Ein Typ namens Sam Mahood war der Leadsänger – der erstaunlichste Kerl, den man sich nur vorstellen konnte: langes rotbraunes Haar bis auf die Schultern, weite karierte Hose und dazu ein weiter orangefarbener Cordmantel – er nannte ihn „Spielermantel“ –, den er sich von einem Schneider in Belfast speziell hatte anfertigen lassen und den die Band bezahlt hatte. Er kostete rund 50 Pfund, was zu der Zeit ein kleines Vermögen war. Er zog den Mantel nie aus. Aber er war auch ein wahnsinnig guter Sänger. Ich kann gar nicht so recht in Worte fassen, welche Wirkung Just Five auf mich hatte. Wir waren Mitte der 60er Jahre daran gewöhnt, Showbands zu sehen, die die Shadows und die Beatles coverten. Und auf einmal steht da 1966 oder ‘67 dieser Sam Mahood mit seinem langen Haar, den hohen Stiefeln und dem weiten Mantel, und diese phantastischen Musiker spielten in den winzigen Hallen einfach großartige Songs. Es war völlig atemberaubend. Ich weiß noch ganz genau, wie aufgeregt ich war, als ich mich fertigmachte, um zu einem ihrer Auftritte zu gehen. Vermutlich war das hier noch viel radikaler als die Rolling Stones in London, denn als die Stones anfingen, waren sie eigentlich noch gar nicht so gut. Just Five dagegen waren grandios, weil sie ihr Handwerk tatsächlich gelernt hatten und wirklich innovativ waren. Sie bewegten sich auf einem völlig anderen Level als jede andere Band, die ich bis dahin gesehen hatte. Etwas an ihrer Art sagte mir, dass es genau das war, was ich für den Rest meines Lebens tun wollte. Und ich war nicht der Einzige, der so dachte.

Wenn die Band in Dublin auftrat, kam jedes Mal ein junger Typ zum Konzert, der sich in die erste Reihe stellte und Sam einfach nur anstarrte. Sam verliebte sich in den Typen, weil er schwarz war – zu der Zeit in Irland eine Seltenheit –, und Sam verspürte dieses heimliche Verlangen, selbst ebenfalls schwarz zu sein. Der Junge hieß Phil Lynott und sang damals in einer Band namens Black Eagles. Ein anderer junger Mann, der mit Just Five herumhing, war ein Gitarrist mit Namen Eric Bell, der in der Band The Dreams spielte und später erster Gitarrist bei Thin Lizzy wurde. Der Gitarrist von Just Five hieß Billy McCoy – er beherrschte sein Instrument exzellent und spielte später eine Zeit lang für Van Morrison. Auch Billy war ein wichtiger Einfluss für Rory.

Billy McCoy ist auch überzeugt, dass der Film The Commitments mehr auf der Belfaster Musikszene im Allgemeinen und auf Just Five im Besonderen basiert:

Viele Szenen aus The Commitments waren identisch mit Dingen, die uns widerfuhren. Als zum Beispiel Sam Mahood die Band verließ, lernten wir diesen Typen namens Frankie Connolly kennen, einen Popsänger, der viel lieber Soul singen wollte. So wie die Figur im Film war er der biestigste Mistkerl, den man sich vorstellen konnte. Egal, was man tat, es war immer verkehrt. Am Ende war ich so sauer auf ihn, dass ich ihn eines Abends in der O’Connell Street in Dublin aus dem Van warf. Ich machte einfach die Tür auf und schmiss ihn raus. Wir ließen ihn da stehen und fuhren nach Hause, aber der Mistkerl ließ sich von irgendjemandem mitnehmen und war auch noch vor uns zu Hause!

Dazu kam die verheerende Stromversorgung in Irland. Sie war so unzuverlässig, dass man bloß die Lautstärke raufdrehen musste und schon ging der Verstärker in Flammen auf. Ich kann mich an einen Typen erinnern, der immer mit uns rumhing und Gitarrist sein wollte. Das muss so etwa 1964 gewesen sein, als wir anfingen. Seine Mum kaufte ihm eine E-Gitarre und ein Kabel, aber keinen Verstärker. Also ging er hin und schloss sie mit einem gewöhnlichen Stecker an die Steckdose an. Bis heute hat er diese Streifen auf der Hand, mit der er die Gitarre hochheben wollte – nur dass die Saiten unter Strom standen! Das ist ein typisches Beispiel dafür, wie unwissend wir alle noch waren. Als ich The Commitments sah, dachte ich sofort: „Das sind wir!“ Es gab nie eine große Soulband in Dublin – es gab nur eine solche Band in Irland, und das war Just Five.

Roddy Doyle muss von dieser Band gewusst haben. Kurios dabei ist nämlich auch, dass Roddy ein großer Fan von Rory war. Als sie The Commitments drehten, wollte er das Drehbuch so umarbeiten, dass Rory eine Rolle als Gitarrist bekam. (Im Film selbst trug dann der Saxophonspieler den Namen Rory Dean.) Die Produktionsgesellschaft schickte Rory sogar das Drehbuch, doch als der sah, wie heftig im Film geflucht werden sollte, lehnte er das Angebot ab. Es ist erstaunlich, aber wahr, dass Rory nur selten fluchte – jedenfalls nicht in den gut 20 Jahren, die ich an seiner Seite war. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ihm mehr als ein gelegentliches „verdammt“ über die Lippen gekommen wäre. Einmal wurde er sehr wütend, als wir mit ein paar Leuten von einer Plattenfirma in Hamburg zusammensaßen, die er daraufhin als „einen Haufen Ärsche“ beschimpfte, wofür er sich dann aber auch gleich wieder entschuldigte. Das war aber schon das Höchste der Gefühle. Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, wie die meisten Leute in dieser Branche in jeden Satz fünf „f... this“ und „f... that“ einbauen. Andererseits konnte er meist ganz gut damit leben, wenn die Leute um ihn herum fluchten, doch sobald die Wortwahl zu derb wurde – vor allem in der Gegenwart von Frauen –. dann sagte er mal lachend: „Kommt schon, Leute. Nicht so heftig.“ Er war ein sehr moralischer Mensch, und so etwas gefiel ihm nicht. Die Ironie dabei ist, dass Rory 1979 – also 12 Jahre vor The Commitments – zusammen mit Frankie Miller den Soundtrack zum Film A Sense of Freedom geschrieben hatte, der die Geschichte des berüchtigten Schotten Jimmy Boyle erzählte. Im Film wimmelte es von Flüchen, doch Rory hatte das Drehbuch nicht gelesen. Als wir die Titelmelodie und die Musik für einzelne Szenen in den Wembley Sound Studios aufnahmen, gab es zum Film keine Tonspur mit den Dialogen, sodass wir nicht wussten, was gesprochen wurde. Es war für uns eine interessante Erfahrung, vor allem weil Queen im Studio über uns die Musik zu Flash Gordon einspielten – einem Film mit einem minimal höheren Budget als unserer –, und weil Brian May und Roger Taylor uns einluden, damit wir hören konnten, wie sie mit ihrer Arbeit vorankamen.

Manche englische Bands, die in den 60er Jahren nach Belfast kamen, glaubten offenbar, sie würden musikalisches Entwicklungsland betreten und sie müssten uns erst mal zeigen, wie man es richtig macht. Ich weiß noch, wie die Pretty Things rüberkamen und Just Five als Vorgruppe für sie im Plaza auftrat – einer Halle, in der 3000 Leute Platz hatten. Just Five spielten so wild, dass die Menge ausflippte und den Laden in Trümmer legte. Dann kamen die Pretty Things auf die Bühne und standen einfach nur da, während sie ihre relaxten Songs spielen, womit sie im Grunde ihr Todesurteil unterschrieben. Es dauerte nicht lang, und die Zuschauer begannen, die Band mit allen möglichen Dingen zu bewerfen. Die englischen Bands lernten ziemlich schnell, dass sie gut sein mussten, wenn sie in Belfast ankommen wollten. Mag sein, dass es uns an Finesse mangelte, aber in Irland gab es Bands, die fast jede englische Combo in Grund und Boden spielen konnten. Bei einer anderen Gelegenheit waren die Kinks die Vorgruppe für die Tara Showband, die für ihre Coverversionen der Top-40-Hits bekannt waren. Zu der Zeit führte Dave Davies mit seinem Solohit „Death of a Clown“ die britischen Charts an, und das Publikum forderte während des ganzen Auftritts, dass der Song gespielt wurde. Aber wegen der Rivalität zwischen Dave Davies und seinem Bruder Ray gingen die Kinks nicht darauf ein. Als dann die Tara Showband auf die Bühne kam, spielte sie als Erstes „Death of a Clown“. Das Publikum war sofort völlig aus dem Häuschen!

Was da Ende der 60er Jahre in der Stadt ablief, war eine Frage des Stolzes. Es schien die unterschwellige Gewalt in der Stadt nur noch deutlicher zu zeigen, vor allem nach Beginn der Unruhen 1969. Billy McCoy kann aus dieser Zeit zahlreiche haarsträubende Geschichten erzählen, so zum Beispiel, als er in einer Showband in Derry spielte und die Band vor dem Auftritt in einem China-Restaurant saß. Auf einmal spazierte ein maskierter Schlägertrupp herein, kam an deren Tisch und fragte: „Seid ihr die Band?“ Die Bandmitglieder sahen sich an und überlegten krampfhaft, ob sie bejahen oder verneinen sollten. Schließlich fassten sie sich ein Herz und nickten bestätigend. „Gut“, sagte einer der Maskierten. „Wir sind hier, um euch zu eurem Auftritt zu bringen.“ Ein anderes Mal spielten sie im Greenan Lodge, als auf einmal durch eines der Fenster in den Saal geschossen wurde. Die Zuschauer warfen sich sofort auf den Boden, aber in der besten Musikertradition spielte die Band unbeirrt weiter. Ich schätze, das war mit ein Grund, warum der Blues in Belfast so beliebt war – man fühlte sich ein wenig so wie im Chicago der 20er und 30er Jahre.

Diese unterschwellige Gewalt hatte auch zur Folge, dass wir untereinander eine ziemlich eigenartige rücksichtslose Haltung in Bezug auf unsere Freundschaft entwickelten. Zu der Zeit waren Brendy, Fergie, Clarkie und ich praktisch unzertrennlich – die vier Musketiere, die alles gemeinsam unternahmen. Es war eine Freundschaft, die bis heute gehalten hat, auch wenn man sich rückblickend fragen muss, wie das möglich war. Wir spielten uns gegenseitig irgendwelche Streiche, allerdings war meistens der arme Clarkie der Leidtragende. Normalerweise waren es ganz harmlose Dinge. Ich weiß noch, wie Clarkie eines Tages im Bus nach Hause die Treppe hinaufstieg. Auf einmal sahen Fergie und Brendy sich an, als würde einer die Gedanken des anderen lesen. Dann packten sie Clarkies Jacke und zogen so fest, dass beide Ärmel abgerissen wurden. Kindisch, aber zum Totlachen, wenn man dabei war. Ein anderes Mal waren wir bei Brendy zu Hause und Clarkie präsentierte uns seinen neuen künstlichen Zahn, den er gerade erst bekommen hatte. Blitzschnell griff Fergie plötzlich zu, zog ihm den Zahn heraus und warf ihn in das Aquarium auf dem Tisch gleich neben ihm. Der Boden des Aquariums war mit weißem Kies bedeckt, und Clarkie musste sich gut eine Stunde lang durch den Kies und Fischdreck wühlen, bis er seinen Zahn wiederfand. Er war außer sich, aber wir wären vor Lachen fast gestorben.

Ein anderes Mal hatten wir wieder eine unserer regelmäßigen Probennächte im Marquee Club in Belfast. Hinter dem Club gab es einen Hof, der von vier- oder fünfstöckigen Gebäuden umgeben war. Manchmal, wenn uns langweilig war, kletterten wir einfach zum Spaß auf eines der Dächer. Eines Nachts waren Fergie und ich wieder nach oben geklettert und sahen nach unten, wo Clarkie im Hof auf einer Bank saß. Er sah zu uns nach oben und dachte sich: „Irgendwas wird gleich passieren.“ Aber er wusste nicht, was es sein würde. Wir beide konnten sehen, dass Brendy auf das schräge Dach hinter Clarkie kletterte, um vom fünften Stock auf ihn zu pinkeln. Er stand da mit seinem besten Stück in der Hand, musste aber so lachen, dass er nicht pinkeln konnte. Fergie und ich lachten uns halb tot. Schließlich riss sich Brendy am Riemen (im übertragenen Sinn), und er begann zu pinkeln. Clarkie sah aber noch rechtzeitig nach oben und konnte sich in letzter Sekunde mit einem Sprung zur Seite in Sicherheit bringen. Doch Brendy wusste nicht, dass Clarkie sich mit Brendys bestem Mantel auf die Bank gesetzt hatte – und dass Brendy vom Dach aus diesen nun voll pinkelte.

Und dann war da noch der Abend, als wir einen Auftritt im Tennisclub in Belfast hatten und Clarkie – der zu der Zeit als unser Road Manager agierte – in einem brandneuen Mohairanzug auftauchte. Wir benutzten die Umkleidekabine des Tennisclubs, und Fergie kam nach dem Gig auf die Idee, dass es witzig sein würde, Clarkie in seinem neuen Anzug unter die Dusche zu stellen. Gemeinschaftlich drängten wir ihn in Richtung Dusche, doch als er bemerkte, was wir vorhatten, griff er nach einem Abflussbolzen und schlug Brendy mit solcher Wucht auf den Kopf, dass er ihm eine klaffende Wunde zufügte. Alles war sofort voller Blut.

„Also gut, du kleiner Bastard“, rief Fergie daraufhin, packte Clarkie und zerrte ihn nach draußen zum Van. Er fand ein Seil, band es Clarkie um den Hals und machte es am Van fest. Dann rief er unserem Roadie Dino zu, er solle losfahren, während der arme Clarkie so schnell hinterherrannte, wie seine kurzen Beine ihn laufen ließen. Wir anderen sprangen alle in den Van und grölten vor Vergnügen, bis ich auf einmal vom Wagen fiel und zusehen musste, wie die Drecksäcke ohne mich davonfuhren. Keinem von ihnen war es in den Sinn gekommen, den Wagen umzudrehen und mich abzuholen. Ich durfte gut zehn Kilometer bis nach Hause marschieren. Armer Clarkie. Er musste wirklich eine Menge ertragen, aber offenbar härtete es ihn ab. Nach der Universität ließ er sich zum Lehrer ausbilden und wurde schließlich Rektor meiner alten Schule St. Gabriel’s. So viele Jahre war es her, dass ich dort zur Schule gegangen war, aber sie galt immer noch als die übelste Schule von ganz Nordirland. Die Lehrer kündigten nach wie vor fast schneller, als sie eingestellt wurden. Clarkie nahm die Herausforderung an und stellte die Schule komplett auf den Kopf. Er ist ein kleiner Mann, der erstaunliche Willenskraft besitzt. Auch wenn er völlig unscheinbar wirkt, habe ich vor ihm immer den größten Respekt gehabt. Heute arbeitet er als Konrektor an der Collaborated Catholic Maintained Schools (CCMS).

Der übelste Streich ging ebenfalls auf Fergies Konto, und zur Abwechslung war nicht Clarkie das Opfer, sondern ich. Mädchen spielten inzwischen in unserem Leben eine immer wichtigere Rolle. Fergie war damit beschäftigt, eine Nummer nach der anderen zu schieben, als würde sein Leben davon abhängen – und er nutzte absolut jede Gelegenheit, die sich ergab. Es war nichts Ungewöhnliches daran, dass er manchmal neben der Bühne unter einem Berg Mäntel seinen Spaß hatte, während wir darauf warteten, endlich weiterspielen zu können. Eines Abends waren wir auf einer Party, und Fergie war mit irgendeinem Mädchen ins Schlafzimmer verschwunden, um sich zu vergnügen. Ein anderer Freund namens Terry Canning und ich hatten nicht solches Glück, und wir waren sehr ungeduldig, weil wir noch woanders hinwollten. Zweimal gingen wir ins Schlafzimmer, um nachzusehen, ob Fergie endlich fertig war, und um ihn zu drängen, er solle sich beeilen, damit wir gehen konnten. Mit jeder Störung wurde er ungehaltener. Beim dritten Mal rastete er aus und griff uns an. Terry traf er mit einem Schlag am Hinterkopf, und ich bekam einen schmerzhaften Treffer in den Rücken ab. Ich taumelte ein paar Schritte nach vorn, bis ein anderer Freund mich von hinten sah und kreidebleich wurde. Als ich sein Gesicht sah, wurde ich ebenfalls schneeweiß, und im nächsten Moment ging es Fergie ganz genauso. Mein Hemd war blutgetränkt. Dieser verdammte Idiot hatte ein Messer aus der Tasche gezogen und es mir in den Rücken gejagt.

Fergie war zu Tode erschrocken, über das, was er da getan hatte, und geriet in Panik. Er rief seinen älteren Bruder an und erzählte ihm, was geschehen war. Unterdessen kümmerte sich ein junges Mädchen namens Frances Tomelty um mich, die Tochter des bekannten Belfaster Schauspielers Joseph Tomelty, die später auch Schauspielerin wurde und schließlich Sting heiratete! Allen Ernstes! Sie saß da und drückte einen Lappen auf meine Wunde, um die Blutung zu stoppen, bis Fergies Bruder eintraf und mich zu meinen Eltern fuhr. Wir wussten, mein Vater würde einen Tobsuchtsanfall bekommen, wenn er die Wahrheit erfuhr, also erzählten wir ihm, ich sei in der Innenstadt von Belfast von zwei Typen angegriffen worden. Mein Vater bekam trotzdem einen Tobsuchtsanfall, doch niemand schien zu bemerken, wie schwer meine Verletzung eigentlich war. Von Minute zu Minute fühlte ich mich schwächer. Doch ich wurde in Dads Auto gesetzt und erst mal zur Polizeiwache gefahren, damit ich dort eine Aussage machte. Erst danach ging es weiter ins Krankenhaus, als ich bereits kurz vor dem Kollaps stand. Man brachte mich sofort in den OP, wo sich herausstellte, dass Fergies Klinge meine Lunge um gerade mal einen Zentimeter verfehlt hatte. Die Klinge war zudem so schmal, dass man die Wunde erst noch weiter öffnen musste, bevor man sie richtig vernähen konnte. Eine Krankenschwester saß die ganze Nacht über neben meinem Bett, um die Blutung zu stillen. Ich musste über eine Woche im Krankenhaus bleiben. Seitdem hat sich Fergie bei jeder Gelegenheit für seinen Ausraster entschuldigt. Vermutlich kann niemand das wirklich nachvollziehen, wenn er es nicht selbst mitgemacht hat ab – aber so war Belfast in den 60er Jahren. Eine tolle Zeit!

2. Kapitel:

Wayward Child

Es war die ganze Atmosphäre rund um die Belfaster Blues-Szene, die den jungen Rory Gallagher aus seiner Heimatstadt Cork tief im Süden nach Nordirland lockte. Musikalisch unterschied sich damals der Norden ganz massiv vom Süden. Im Süden konnte man nur spielen, wenn das Programm aus Top-40-Songs bestand, da man alles mit Argwohn beobachtete, was zu sehr nach Rock oder Blues klang. Denn darin ging es nach Meinung der Iren nur um Sex und Drogen. Dort hatte auch die Tradition der Showbands oder Dancebands ihren Ursprung, bei denen Rory als junger Gitarrist eine Weile gespielt hatte und diese Arbeit mit gerade mal 15 Jahren zum Beruf machte. An einem beliebigen Sonntagabend an der Westküste konnten Showbands wie die Fontana Showband, zu der Rory gehörte (später umbenannt in Impact Showband), vor bis zu 1000 Leuten spielen. Ich glaube, in England hätte man sie wegen ihrer schicken kleinen Uniformen und dem ganzen Drumherum als Cabaretband bezeichnet. Rory weigerte sich aber oft, sich den Zwängen einer Showband unterzuordnen, wie der irische Autor Vincent Power es in seiner exzellenten Geschichte der Showbands Send ‘Em Home Sweatin’ darstellt. Es heißt, dass Rory für große Aufregung sorgte, als er bei Pickin’ The Pops, einer Samstagabendsendung von Radio Telefís Eireann, statt der zuvor verabredeten Nummer „Valley of Tears“ von Buddy Holly den R&B-Klassiker „Slow Down“ von Larry Williams spielte. So wie bei der alten BBC-Show Juke Box Jury wurden auch hier Gäste eingeladen, die ihre Einschätzung geben sollten, ob ein Song ein Hit oder eine Niete werden würde. Diese Jury zeigte sich geschockt, als Rory ganz auf R&B eingestimmt mit langen Haaren und in normaler Kleidung statt in Uniform auftrat. Das Publikum dagegen schien von ihm begeistert zu sein.

Donal Gallagher hat den Abend als Wendepunkt für die irische Musikszene in Erinnerung:

The Impact traten am gleichen Abend auf wie die Dubliner Band Young Shadows, eine Art Coverband der Shadows. Als Rory in letzter Sekunde zu „Slow Down“ wechselte, waren alle im ersten Moment etwas konsterniert, doch niemand konnte daran noch etwas ändern. Sie sagten: „So was kannst du nicht machen.“ Aber es war großartig für die Zuschauer, die im Fernsehen mal etwas Rockmusik erleben wollten. Anstatt sich den üblichen Einheitsbrei anhören zu müssen, riss Rory die Leute von ihren Plätzen und ließ sie rocken.

Rory spielte einmal mit Just Five, als die Band in Cork im Cavern Club auftrat und der zweite Gitarrist Tiger Taylor wegen Krankheit ausfiel. Billy McCoy ließ sofort nach einem Ersatzmann suchen und wandte sich an die bekannten Namen. Der erste Bekannte, den er fragte, hatte keine Zeit, empfahl ihm aber jemanden, der nur ein bisschen weiter weg wohnte und Rory Gallagher hieß. Ich lasse Billy den Rest dieser Story erzählen:

Ich ging zu der Adresse und klopfte an. Rory machte die Tür auf.

Ich fragte: „Spielst du Gitarre?“

„Ja.“

„Hast du Lust, heute Abend aufzutreten?“

„Keine Ahnung.“

„Hör zu, wir brauchen dringend einen Gitarristen, weil unser Mann krank ist.“

Er dachte kurz nach, dann erwiderte er: „Okay, ich mach’s.“

Ich nahm ihn mit, und wir hatten gerade noch genug Zeit, um ein paar Nummern durchzugehen, bevor der Gig begann. Rory war erstklassig, und er verstand sich auf Anhieb mit Sam Mahood, der den Blues über alles liebte. Also fragten wir Rory, ob er in der nächsten Woche wieder in Cork mit uns auftreten wollte. Damals machte es uns nichts aus, stundenlang zu fahren, nur um einen Auftritt zu bekommen. Rory war einverstanden. Das zweite Konzert verlief wieder so hervorragend, dass wir ihn fragten, ob er Lust habe, fest bei uns mitzuspielen. Aber er sagte, er habe gerade erst seine eigene Band namens Taste gegründet. Dazu gehörten auch die Musiker Norman Damery und Eric Kitteringham aus Cork, die zuvor in der Band Axils mitgespielt hatten. Ich sagte: „Das ist wirklich schade. Aber wenn du mal in Belfast auftreten willst, dann ruf mich an, und wir kümmern uns um dich. Unser Manager ist da nämlich ein ziemlich bekannter Name.“ Dann gab ich ihm meine Adresse.

Es dauerte nicht lang, da hatte sich Rory mit Taste in ganz Irland einen Namen gemacht. Dieser Erfolg und seine neu entdeckte Liebe zum Blues brachten Rory zu der Entscheidung, er sei in Belfast besser aufgehoben als in Cork, um von der dortigen blühenden R&B-Szene zu profitieren. Eine weitere Überlegung war die, dass man von Belfast viel leichter als von Cork aus nach England kam. Rory hatte mit Impact bereits kleinere Tourneen durch Spanien, England und Deutschland unternommen, doch die waren sehr unbefriedigend ausgefallen, da sie nur in weitgehend unbedeutenden Hallen auftreten konnten. Ihm war jedoch bewusst, wie wichtig für Taste der Sprung nach England war, um so bald wie möglich einem breiteren Publikum bekannt zu werden. Dazu wieder Billy McCoy: