On the Road - Rick Zabel - E-Book

On the Road E-Book

Rick Zabel

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Beschreibung

Wieso fährt ein Mensch mit der eigenen Muskelkraft Berge hinauf – auch mit mäßigen Erfolgsaussichten und unter allergrößten Qualen? Und wieso setzt er sich am nächsten Tag aufs Rad und beginnt von vorn? Was ist das Geheimnis dieses Sports, der das größte Opfer und das größte Glück vereint? Rick Zabel kennt die Antwort.  Als Sohn eines erfolgreichen Sprinters wurde er selbst Profi, fuhr alle großen Rennen – mit deutlich weniger Siegen, aber mit derselben Hingabe und Leidenschaft. Das Gefühl, sich für den Teamerfolg zu schinden, hat ihn in den letzten Jahren ebenso begleitet wie das tiefe Glück, fürs Radfahren bezahlt zu werden. Rick Zabel hat die Schattenseiten des Rennradfahrens kennengelernt – Druck, Konkurrenzkampf und körperliche Grenzerfahrungen –, und die Sonnenseiten: ›On the road‹ hat er einige der schönsten Orte der Welt gesehen, hat ganz allein die höchsten Pässe Europas bezwungen, auf der Abfahrt den kühlen Wind und die spektakuläre Aussicht genossen. Davon schreibt er klug, eindringlich und lustvoll – und so, dass man selbst sofort in die Pedale treten möchte.

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Seitenzahl: 270

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Rick Zabel

mit Harald Braun

On the Road

Von der Freiheit auf dem Rennrad

Kurzübersicht

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Titelseite

Über Rick Zabel

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

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Über Rick Zabel

Rick Zabel, geboren am 1993 in Unna, ging mit 13 Jahren nach Erfurt auf ein Sportinternat. Er brach mit 17 Jahren die Schule ab, um Radprofi zu werden. Er nahm viermal an Tour de France, viermal am Giro d’Italia und sechsmal am Straßenrennen Paris-Roubaix teil. Er beendete seine Karriereende im Mai 2024 und ist seither erfolgreicher Podcaster, Influencer, Kommentator und Radsportexperte. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Köln.

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Über dieses Buch

Wieso fährt ein Mensch mit der eigenen Muskelkraft Berge hinauf – auch mit mäßigen Erfolgsaussichten und unter allergrößten Qualen? Und wieso setzt er sich am nächsten Tag aufs Rad und beginnt von vorn? Was ist das Geheimnis dieses Sports, der das größte Opfer und das größte Glück vereint? Rick Zabel kennt die Antwort.

Als Sohn eines erfolgreichen Sprinters wurde er selbst Profi, fuhr alle großen Rennen – mit deutlich weniger Siegen, aber mit derselben Hingabe und Leidenschaft. Das Gefühl, sich für den Teamerfolg zu schinden, hat ihn in den letzten Jahren ebenso begleitet wie das tiefe Glück, fürs Radfahren bezahlt zu werden.

Rick Zabel hat die Schattenseiten des Rennradfahrens kennengelernt – Druck, Konkurrenzkampf und körperliche Grenzerfahrungen –, und die Sonnenseiten: ›On the road‹ hat er einige der schönsten Orte der Welt gesehen, hat ganz allein die höchsten Pässe Europas bezwungen, auf der Abfahrt den kühlen Wind und die spektakuläre Aussicht genossen.

Davon schreibt er klug, eindringlich und lustvoll – und so, dass man selbst sofort in die Pedale treten möchte.

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Impressum

Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KGBahnhofsvorplatz 150667 Köln

© 2025, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung:Miriam Bröckel

Covermotiv: Rick Zabel © Felix Goergens

 

ISBN978-3-462-31383-3

 

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 1

Prolog

»Das Rennrad hat eine Seele. Wenn es dir gelingt, es zu lieben, wird es dir Emotionen schenken, die du nie vergessen wirst.«

Mario Cipollini

6,5 Kilometer stille Ekstase. 6,5 Kilometer chaotischer Wirbelsturm der unterschiedlichsten Erinnerungen und Gefühle. 6,5 Kilometer pure Freude.

Am 23. Juli 2017 erfüllte sich in Paris auf den Champs-Élysées für mich der Traum, den wohl jeder Radsportler hegt, wenn er zum ersten Mal auf ein Rennrad steigt. Ich durfte in diesem Jahr meine Tour-de-France-Premiere erleben. Ich war einer von 198 Fahrern, die bei der 104. Tour starteten, nur 167 erreichten das Ziel in Paris. Ich war einer davon und überstand alle 21 Etappen, blieb selbst auf den härtesten Bergetappen auf dem Rad und ging mörderische drei Wochen lang ständig an meine körperlichen und emotionalen Grenzen. Das heute in Paris, das war der Lohn der Qualen. Platz 145 in der Gesamtwertung? So what? Ich hatte mich endlich eingereiht in die Riege der so wenigen Radliebhaber auf der Welt, die eine Tour de France nicht nur aus dem Fernsehen kannten.

Auf der letzten der acht Runden, die auf dieser finalen Etappe der Tour de France rund um den Arc de Triomphe führten, hatte ich Tränen in den Augen. Träumte ich, geschah das gerade wirklich? Ich dachte, das kann doch nicht wahr sein, dass ich, Rick Zabel, hier in Paris tatsächlich auf der Tour noch mit dabei bin.

Für mich schloss sich an diesem Tag ein Kreis. Ich war schon einige Jahre vorher mit meinem Vater in Paris bei der Tour de France gewesen. Sogar auf dem Siegerpodest. Allerdings nur in einer Nebenrolle. Mein Vater Erik Zabel erhielt damals als bester Sprinter der Tour das grüne Trikot, ich stand als Steppke mit grün gefärbten Haaren daneben und träumte insgeheim davon, irgendwann einmal selbst bei diesem berühmtesten aller Radrennen am Start zu sein. Aber ich wusste schon damals: Sehr wahrscheinlich würde es nicht sein, dass ich meinem Vater nacheifern konnte – und ganz sicher nicht einfach. Und jetzt war es wirklich so gekommen!

Achtmal rollte das Peloton an diesem 23. Juli 2017 bei herrlichem Wetter auf einem der berühmtesten Boulevards der Welt entlang, jede Runde exakt 6,5 Kilometer lang, begleitet vom begeisterten Beifall der Zuschauer, die sich zu Tausenden an der Strecke versammelt hatten. Und was war das für eine Strecke? Unwirklich prächtige Kulissen wie der Obelisk am Place de la Concorde, der Place Charles de Gaulle und der Arc de Triomphe rauschten im Sekundentakt an mir vorbei. Plätze, Gebäude, Monumente, die viele Menschen nur von Postkarten oder aus Filmen kennen.

Beim ersten Anblick dieser legendären Straße ließ ich meinen Gefühlen freien Lauf, ich vergaß sogar für einen Moment, dass ich seit Tagen mit einem lädierten Hintern auf meinem Sattel herumrutschte und mein Rennen von einem schrecklichen, nicht enden wollenden Schmerzfilm begleitet wurde. Stattdessen dachte ich daran, wie sehr mich die letzten Wochen herausgefordert, aber auch belohnt hatten für all die langen, aufreibenden Trainingsstunden meines Lebens. Bilder ploppten auf. Schon beim Tour-Start in Düsseldorf war ich gestürzt und hatte mich so seit Etappe eins mit einem doppelten Bänderriss in der Schulter über die Runden schleppen müssen. Ich war in den Vogesen auf die herrliche Planche des Belles Filles hinaufgefahren und im Jura durch den wunderschönen Ski-Ort Les Rousses, nur ein paar Kilometer von Genf entfernt. Eine Tour, die mich daran erinnert hatte, warum das Radfahren zu den schönsten Dingen gehört, durch die ein Mensch die Welt kennenlernen kann. Ich dachte aber auch an die tragische Geschichte von Marcel Kittel, der im folgenden Jahr mein Teamkollege werden sollte. 2017 hatte er schon fünf Etappen der Tour gewonnen, als er auf der 17. Etappe zwischen La Mure und Serre Chevalier schwer stürzte und aufgeben musste. Und ich dachte natürlich auch daran, wie knapp ich diesem Schicksal auf der gleichen Etappe entronnen war. Allerdings nicht, weil ich gestürzt wäre … Tatsächlich war die 17. Etappe eine der schwersten Bergetappen überhaupt. Drei Anstiege mit einer Länge von insgesamt 50 Kilometern. Fernsehzuschauer werden mit der Zunge schnalzen, erfahrene Profis leise aufstöhnen: Col de la Croix de Fer. Col du Telegraphe. Col du Galibier. Mörderisch.

Ich kannte den Col de la Croix de Fer damals noch nicht, wofür ich im Nachhinein dankbar war, sonst hätte ich mich schon vor der Etappe gegruselt und nicht erst, als ich auf der Strecke war und erkannte, was sich da vor mir auftürmte. Der Berg ist über 20 Kilometer lang und es geht steil, wirklich steil hinauf. An diesem Tag hatte ich ohnehin keine guten Beine, da half es wenig, dass für viele ambitionierte Fahrer ausgerechnet diese Etappe so etwas wie ein Großkampftag war, an dem sie entweder Zeit in der Gesamtwertung aufholen oder sich mit einem Sieg auf einer monströsen Alpenetappe in die Geschichtsbücher eintragen wollten. Allen voran der Spanier Alberto Contador, der eigentlich bereits abgeschlagen hier seine letzte Chance witterte, noch Boden auf den führenden Christopher Froome gutzumachen. Das hieß, dass im Feld vom ersten Moment an Vollgas gefahren wurde, soweit das an einem Berg wie dem Col de la Croix de Fer überhaupt möglich war. Es ging sofort zur Sache, was für mich das schlimmste Szenario war, denn ich hatte gehofft, so lange wie möglich irgendwie mitzukommen. So weit es geht beim Hauptfeld zu bleiben, das war für alle, die keine Bergspezialisten waren, heute das Ziel. Auf der nächsten flachen Etappe würden meine Stärken wieder zur Geltung kommen – das hier war kein Tag, an dem ich etwas ausrichten konnte, es ging nur ums Überleben. Aber daran war schon bald nach dem Start nicht mehr zu denken. Ich hing mit einer Gruppe von etwa 10 Fahrern am Ende des Rennens fest. Ich fühlte mich total kraftlos, irgendwann fuhr dann auch schon die Panik mit: Verspiele ich an diesem Tag womöglich alles, schaffe ich das Zeitlimit nicht und falle aus der Tour?

Mein sportlicher Leiter damals im Team Katusha hieß Torsten Schmidt, er hatte immer an mich geglaubt und mich stets nach Kräften unterstützt. Ihm verdanke ich, dass ich diese Etappe am Ende zwar mit großem Rückstand auf den Sieger Primož Roglič beendete, aber noch innerhalb des erlaubten Zeitlimits blieb. Die Rennleiter der jeweiligen Teams – 2017 waren es insgesamt 22 – sitzen bei jeder Etappe im Auto und begleiten ihre Fahrer. Aus dem Auto teilte mir Schmidt mit, dass ich mich aus der Gruppe der abgeschlagenen Fahrer schnellstens lösen sollte, sonst könne es sein, dass das heute mein letztes Rennen auf der Tour wäre. Eine Motivation-Info gabs obendrauf: »Rick, das Hauptfeld ist nur eine Minute weg – wenn du jetzt losfährst, bist du bald wieder dran.« Ich raffte all meine Kräfte und meinen Mut zusammen und fuhr, fuhr, fuhr wie ein Berserker, mit übersäuerten, brennenden Beinen und der Hoffnung, wenigstens bald die Rücklichter der Autos zu entdecken, die dem Hauptfeld hinterherjagten. Ich hoffte, allein das würde mich motivieren, noch näher an das Feld heranzufahren und nicht aufzugeben. Doch je länger ich mich diesen endlos erscheinenden Berg hinaufquälte, umso verzweifelter wurde ich: Keine Spur vom Hauptfeld vor mir. Ich bin dann wieder zum Auto, »Hey Schmitti, ich kann nicht mehr, wo sind die denn?«. Und er meint ganz lässig, »Okay, Rick, ich habe dich angelogen, du hattest drei Minuten Rückstand. Aber jetzt ist es wirklich nur noch eine.«

Na vielen Dank. Ich habe meinen Teamleiter aufs Übelste beschimpft – mehr so innerlich, versteht sich – und bin trotzig, wütend und entschlossen weitergefahren. Hätte ja sonst auch keinen Sinn gemacht. Irgendwann hatte ich das Feld dann wirklich wieder erreicht und irgendwie habe ich es auch geschafft, bis zum Ende der Etappe dranzubleiben und nicht abreißen zu lassen. Damit war Paris und die Zieleinfahrt auf den Champs-Élysées sicher. Aber dieser Kampf am Col de la Croix de Fer – und daran erinnerte ich mich sehr deutlich, als ich im Pulk mit Tränen in den Augen zum ersten Mal auf den Arc de Triomphe zurollte – war mein furchtbarster, schmerzhaftester und mental herausforderndster Moment auf der gesamten Tour. Doch ohne diesen Moment wären meine Genugtuung und meine Glücksgefühle an diesem 23. Juli 2017 in Paris wohl kaum so überwältigend ausgefallen. Diesen Tag hatte ich mir hart erarbeitet. Und das genoss ich nun in vollen Zügen auf meiner letzten Runde auf den Champs-Élysées.

6,5 Kilometer stille Ekstase. 6,5 Kilometer chaotischer Wirbelsturm der unterschiedlichsten Erinnerungen und Gefühle. 6,5 Kilometer pure Freude.

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Mein Name ist Zabel. Den Namen hast du schon mal gehört? Mag sein – ich war Radprofi und bin jetzt Content Creator, Spezialgebiet Radsport. Mein Vater Erik gehörte zu den bekanntesten Radprofis in Deutschland – vermutlich hast du diesen Namen schon einmal wahrgenommen. Von ihm habe ich die Leidenschaft fürs Radfahren geerbt – und dem Rest meiner radsportverrückten Familie. Ich habe seit 2010 genau 441>361 Kilometer auf meinem Rad zurückgelegt. Man könnte auch sagen, dass ich rund elfmal um die Welt gefahren bin. Warum macht man das?

Gute Frage, aber nicht so leicht zu beantworten. Vielleicht weil mein Vater Erik Zabel ein erfolgreicher Radrennfahrer war und mir ein Leben auf dem Sattel buchstäblich in die Wiege gelegt wurde? Weil es nichts Schöneres gibt, als sich den Wind um die Nase wehen zu lassen und dabei zu denken, dass andere Leute viel härter für ihr Geld arbeiten müssen? Weil ich Wettbewerb mag und ein Sieg in einem Rennen sich so übertrieben gut anfühlt? Oder war es schlicht, weil ich das Radfahren an sich liebe, dieses Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit, diese tägliche Meditation auf Rädern?

»Man kann kein Glück kaufen, aber man kann ein Fahrrad kaufen, und das ist ziemlich nah dran«, hat mal ein smarter Mensch behauptet. Ich bin sicher, dass er sehr viel Zeit »on the road« verbracht hat. Und es stimmt ja auch. Meistens hat Fahrradfahren mir Spaß gemacht und das Gefühl vermittelt, zur richtigen Zeit am rechten Ort zu sein. Es gibt noch ein anderes Zitat, das mir immer wieder in den Sinn kommt, wenn ich darüber nachdenke, wie meine Liebe zum Rad begonnen hat. Es stammt von dem Amerikaner James Hibbard, dem ehemaligen Radprofi und Philosophen, der in seinem Buch »Die Kunst des Radfahrens« über sein erstes richtiges Rennrad schrieb: »Als ich auf ihm dahinraste, spürte ich Freiheit, ein Gefühl, als könnte ich fliegen. Ich hatte noch nie etwas Beglückenderes erlebt.«

So hat es bei mir auch angefangen. Dieses Glücksgefühl, das mir die täglichen Fahrten mit meinen Cousins in meinem kleinen Örtchen im Ruhrgebiet bescherten, war durch nichts zu ersetzen. Ich verliebte mich schon früh in die Idee, das und nichts anderes mein ganzes Leben lang zu machen. Kann sein, dass die Erfolge meines Vaters dabei intuitiv eine Rolle spielten. Immerhin zeigte er mir, dass Radfahren eine Sache war, mit der man sich 24/7 beschäftigen durfte, wenn man nur gut genug darin war. Er hat mich aber nie dazu gedrängt, ihm nachzueifern. Im Gegenteil. Als ich mit 13 Jahren, im Herbst 2007, den Wunsch äußerte, mein Elternhaus und meine Familie zu verlassen, um mich in Thüringen in einem Sportinternat anzumelden, waren meine Eltern beide erstaunt und auch ein wenig beunruhigt. Ich war 13! Und Erfurt liegt rund 300 Kilometer von Unna entfernt. Meine Kindheit bis dahin war behütet, liebevoll, ja, ich würde sagen, ungetrübt glücklich gewesen. Es fehlte mir an nichts. Trotzdem wollte ich weg, so schnell wie möglich, wollte professioneller Radfahrer werden. Da gab es keinen Zweifel. Für meine Mutter war das kein einfacher Moment. Aber ich habe meinen Kopf durchgesetzt. Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Mutig. Damals erschien mir dieser Weg nur logisch. Erfurt hatte damals das beste Sportinternat, also musste ich dahin. Dabei nahm ich in Kauf, dass meine Eltern und meine Freunde zurückblieben.

Das Ergebnis ist bekannt. Ich verbrachte viereinhalb Jahre in Erfurt und wurde tatsächlich Radprofi. Das blieb ich 13 Jahre lang. Ich fuhr für renommierte Teams auf fünf Kontinenten. Dabei habe ich 27 Länder kennengelernt. Ich durfte viermal bei der Tour de France dabei sein, viermal beim Giro d’Italia und startete bei 13 großen Klassikern, den Monumenten. Mailand–Sanremo, Paris–Roubaix, Flandern-Rundfahrt – alles dabei. Ich stand insgesamt 62-mal auf einem Siegertreppchen, wenn man meine Nachwuchsrennen mitzählt. Im Mai 2024 habe ich meine Karriere als Radprofi in meiner Wahlheimat Köln beendet. Mit 30 Jahren. Seitdem werde ich immer wieder gefragt, warum ich so früh mit den Rennen aufgehört habe. Warum ich die aktive Zeit als Radprofi nicht noch ein wenig weiter ausgedehnt habe. Möglichkeiten dazu hätte es schließlich gegeben, an Angeboten mangelte es nicht, es wäre doch leicht verdientes Geld gewesen. Und mein Körper hätte ja auch noch mitgespielt. Vielleicht nicht mehr auf dem allerhöchsten Niveau, aber auf jeden Fall noch auf einem Level, das mir Startplätze bei vielen wichtigen Rennen auf der Welt gesichert hätte. Warum also?

Die Antwort auf diese Frage klingt einerseits sehr einfach. Mein Leben als Radprofi brachte mir immer weniger Spaß. Dieses Feuer, oder wie es der Sportpsychologe ausdrücken würde, diese intrinsische Motivation, die notwendig ist, um weiter Rennen zu fahren und seinen Körper zu schinden, war erloschen. Die bedeutendsten Rennen der Welt, die Tour de France, die »Tour Down Under« in Australien zum Saisonstart, selbst mein Lieblingsrennen Paris–Roubaix hatten ihren Glanz für mich verloren. Als mir mein Teamchef in meinem letzten Jahr als Profi mitteilte, dass er mich nicht für die Tour de France nominieren würde, war ich nicht enttäuscht. Nicht mal ein bisschen. Nein, ich war erleichtert und freute mich, dass ich stattdessen mit meiner Familie Urlaub machen konnte. Heißt das, dass mir das Radfahren keinen Spaß mehr machte?

Könnte man meinen. Doch das ist falsch. Und damit wären wir beim andererseits und bei dem Umstand, dass die Frage, warum ich so früh mit dem Profisport aufgehört habe, wohl doch nicht so einfach zu beantworten ist. Sagen wir so: Ich habe meine Laufbahn als Rennradprofi beendet, um nicht den Spaß an dem zu verlieren, was mir im Leben am meisten bedeutet hat. Ich war 13 Jahre Rennradprofi, aber ich bin seit mehr als 25 Jahren Radfahrer. Ich liebe fast alles, was mit dem Radsport zu tun hat. Um mir dieses Gefühl zu bewahren, musste ich meine Profikarriere aufgeben.

Möglicherweise klingt das ein wenig rätselhaft. Vielleicht hilft es, wenn ich einen meiner Kollegen in den Zeugenstand rufe, der Folgendes über unseren Job und die ursprüngliche Freude am Radfahren gesagt hat: »Genieße es, so viel du kannst. Als Profi kannst du keine Sekunde genießen. Das ist ein Privileg der Hobbyfahrer.«

Ich würde zwar nicht ganz so weit gehen. Doch es ist schon etwas Wahres dran: Radprofi zu sein, das setzt einen Lifestyle voraus, der Leiden und Lust verbindet. Nicht immer in der gewünschten Balance. Radprofi sein setzt voraus, sich jeden Tag im Training zu quälen, akribisch auf seine Ernährung zu achten, sich rund um die Uhr überwachen zu lassen und immer dann, wenn Familie und Freunde fröhlich zusammenkommen, irgendwo auf der Welt in einem Trainingslager zu hocken – oder in einem kargen Dreisternehotel an irgendeiner Strecke in den Alpen oder auf Mallorca. Wenn du Glück hast, wirst du nach einem langen Trainingswinter und einem guten Frühjahr mit einem Startplatz bei der Tour de France belohnt. Natürlich ist es ein Traum für jeden Radfahrer, einmal im Leben bei der Tour dabei zu sein, dem berühmtesten Rennen der Welt, dem Wimbledon des Radsports. Doch drei Wochen lang am körperlichen und mentalen Limit zu fahren, unter Druck gesetzt vom eigenen Team und von den hiesigen Medien, ist höchstens von außen betrachtet ein Vergnügen. Als Fahrer ist es der reinste Stress. Nicht zufällig heißt der bekannteste Film über die Tour de France »Höllentour«.

Ich lasse mit diesem Buch meine ersten 30 Jahre »On the road« noch einmal aufleben. Meine Hoffnungen, meine Kämpfe, meine Siege und Niederlagen. Ich habe grandiose Momente erlebt, großartige Menschen kennengelernt, die Welt bereist. Das ist die eine Seite. Ich hoffe allerdings, auch die schattigen Momente meiner Karriere nicht aus den Augen zu verlieren. Unter dem Strich dominieren allerdings die faszinierenden Facetten meines Sports. Ich versuche, sie so schillernd auszumalen, dass auch du schon während des Lesens Lust haben wirst, dein Rad aus der Garage zu holen. Das wäre der Plan. Vielleicht verstehst du nach der Lektüre des Buches ein wenig besser, was so viele Menschen am Radsport begeistert. Vielleicht wirst du auch verstehen, warum ich nach dem Ende meiner Profilaufbahn dem Radsport verbunden bleiben möchte. Nicht mehr als Rennfahrer, aber als Podcaster, Youtuber, TV-Experte oder als Gast bei Amateur-Rennen auf der ganzen Welt. Ich bin sicher: Mit mir und dem Rad, das war’s noch nicht!

Begriffe aus der Welt des Radsports (1)

Das Gelbe Trikot ist eine weithin auffällige Garderobe, die nur der führende Fahrer bei der Tour de France tragen darf. Bei anderen Rundfahrten gibt es auch andere Farben. Tour-Erfinder Henri Desgrange wollte damit sicherstellen, dass das Publikum den momentan Erstplazierten bereits von Weitem erkennt. Und wohl auch, weil seine Zeitung »L’Auto« in gelber Schrift gedruckt wurde.

Kapitel 2

Das erste Mal vergisst man nicht. Vor allem, wenn es so glamourös ausfällt wie in meinem Fall. Ich sage nur: »Rund um den Bramscher Berg«, Samstag, 19. März 2005. Mein allererstes offizielles Radrennen, Kategorie Schüler U 13. Der Sieger an diesem Tag hieß Max Bok und benötigte rund 21 Minuten für die sechs Runden. Rund 40 Teilnehmer waren damals zusammen mit mir in Bramsche am Start. Das ist irgendwo in Niedersachsen im Landkreis Osnabrück, ich war vorher noch nie in meinem Leben dort. Hinterher auch nicht mehr, glaube ich … Das Rennen lief so na ja. Auf die Plätze, fertig, los – schon war ich abgehängt. Ich wurde am Ende 16., wenn ich mich richtig erinnere. Aber das spielte keine Rolle. Ich startete für meinen Heimatverein, den RSV Unna, in einem grau-roten Trikot auf einem Rad, das der Verein mir zur Verfügung gestellt hatte. Ich war gemeinsam mit meinem Opa Manni angereist, die meisten anderen Sportler des RSV Unna rückten gemeinsam in einem großen Bus an. Laute Musik, ausgelassenes Lachen, rings um mich herum fröhliche Klassenfahrt-Atmosphäre. Ich werde nie vergessen, wie nervös ich dagegen war und wie mich die Anspannung keinen klaren Gedanken fassen ließ, bis es endlich losging. Nach dem Rennen war ich wie in Trance. 16? Egal. Ich war Radfahrer, ich fuhr jetzt Rennen! Ich bin am 7. Dezember 1993 geboren, war also zu diesem Zeitpunkt gerade mal elf Jahre alt. Und wusste bereits: Das isses!

War ja klar, könnte man denken. Dass der Sohn von Erik Zabel schon als Dreijähriger auf dem Fahrrad festgebunden wurde, um sich alle Kniffe für die spätere Karriere angedeihen zu lassen, liegt ja auf der Hand. Zumal auch mein Opa Detlef, der Vater meines Vaters, ein ehemaliger Radrennfahrer war, der es bis in die DDR-Nationalmannschaft geschafft hatte. Er wurde in den fünfziger Jahren sogar zweimal Studentenweltmeister, das war 1951 und 1953. Zwei Dinge in diesem Zusammenhang erheitern mich noch heute: Zum einen bekam Opa Detlef als Preis für seine sportlichen Leistungen von der IG Nahrung und Genuss Zwickau einmal ein schmuckes Akkordeon geschenkt. Das Musikgerät ist inzwischen im Radsportmuseum in Kleinmühlingen zu bewundern. Viel darauf gespielt wurde im Hause Zabel allerdings nicht … (Ich frage mich, ob Opernsänger in der ehemaligen DDR mit Boxhandschuhen oder anderen Sportgeräten beschenkt wurden, möglich schien das offenbar.) Meine zweite Information zu Opa Detlef: Er wurde im Laufe der fünfziger Jahre von DDR-Medizinern sehr, sehr ausgiebig untersucht, weil er über ein abnorm großes Herz verfügte. Mehrere Wissenschaftler bezogen sich auf ihn, wenn sie sich zum Thema »Sportlerherz« äußerten. Vererbt worden ist diese für den Radsport sicherlich nicht direkt nachteilige anatomische Kuriosität leider nicht …

Auch meine Mutter Cordula stammt aus einer Radfahrer-Familie, ihr Vater und ihr Bruder fuhren beide begeistert Rennrad im Verein. Aus diesem Grund war meine Mutter auch regelmäßig bei Rennen in der Umgebung im Publikum. Dass sie meinen Vater an der Rennstrecke kennenlernte, war also kein großer Zufall. Die Szene spielte sich in Dortmund-Brakel ab, übrigens nicht weit vom heutigen Trainingszentrum von Borussia Dortmund entfernt. Aber ich schweife ab: Fakt ist, dass es bei solch einer großen Ansammlung von erfolgreichen Rad-Enthusiasten in meiner Familie niemanden überraschte, dass 2005 in den Ergebnislisten von U-13-Schüler-Rennen plötzlich der nächste Zabel auftauchte.

Das heißt, mit einer Ausnahme – mich selbst. Tatsächlich nahm ich einen sehr langen Anlauf, um mit dem Radsport zu beginnen. Ein systematischer Plan steckte jedenfalls nicht dahinter. Und auch keine Sippenhaft. Mein Vater fand es völlig in Ordnung, dass ich im Grundschulalter noch nicht unter Anleitung auf einem Rad trainierte. Stattdessen spielte ich zuerst ein paar Jahre Fußball. Bei den Bambinis ging das los, da war ich in der ersten, zweiten Klasse. Zugegeben, ich war nicht gerade besessen vom Fußballspielen, aber da meine Freunde mehr oder weniger alle beim SSV 1949 Mühlhausen-Uelzen kickten, einem kleinen Verein in Unna, ging ich da halt auch hin. Ich erinnere mich an zwei maximal mittelmäßige Jahre als Verteidiger. Besonders gut war ich nicht darin, andere Kinder abzugrätschen. Erstaunlicherweise verließ ich den SSV Mühlhausen und den aktiven Fußball schon nach drei Jahren wieder, gerade als ich begann, besser zu werden. Ich war zum Stürmer umfunktioniert worden und erzielte plötzlich sogar einige Tore, zu meiner und der Überraschung meiner Mitspieler. Half aber nichts. Bevor es richtig losging mit dem seriösen Fußball, war ich auch schon wieder draußen. Ich weiß heute gar nicht mehr so genau, warum ich eigentlich meine Fußballschuhe so früh an den Nagel hängte. Ich verlor wohl einfach die Lust.

Meine Eltern lebten lange mit meinen Großeltern in Strickherdicke in einem Haus zusammen, in dem außer ihnen noch mein Onkel mit seiner Frau und meinen beiden Cousins Jan und Timo wohnten. Eine richtige Großfamilie. Strickherdicke war ein Dorf mit nicht mal 1000 Einwohnern zwischen Fröndenberg und Unna. Als ich älter wurde, zogen wir ins sechs Kilometer entfernte Kessebüren. (Da leben meine Eltern heute noch.) In Kessebüren wohnen noch einmal 300 Leute weniger als in Strickherdicke. Diese beiden Ruhrpott-Metropolen waren in jungen Jahren die Eckpfeiler meiner Existenz. War mein Vater unterwegs – und das geschah nicht so selten, denn seine Renn-Karriere führte ihn ja ständig an weit entfernte Ecken auf der Welt –, durfte ich häufiger mal auch zu Oma Ulla und Opa Manni, wenn meine Mutter mich mal aus den Augen ließ. Zu den Ritualen unseres Familienlebens gehörten schon damals ausgiebige Fahrradtouren am Wochenende, allerdings ohne jeden Ehrgeiz. Opa Manni und Oma Ulla waren ziemlich sportlich und zudem einfach gern unterwegs, noch heute cruisen die beiden mit ihrem Wohnmobil durchs ganze Land. Ich hatte damals von meinen Eltern ein Kinderfahrrad bekommen, Marke VETO, das weiß ich noch. Von diesem Fabrikat habe ich danach nie wieder etwas gehört. Wir pflügten an jedem schönen Wochenende im Familienverbund an der Ruhr entlang, Opa Manni vorneweg, manchmal waren auch meine Cousins dabei. Wickede, Aplerbeck, Kamen oder Neheim-Hüsten hießen unsere Ziele – oft überredete ich Opa Manni, ganz zufällig auch an der Eisdiele in Schwerte vorbeizukommen. Ohnehin waren die Pausen unserer Touren die Höhepunkte. Da fand sich immer ein Café auf der Strecke, wo unsere angegriffenen Energiespeicher mit sehr viel Kuchen aufgefüllt wurden.

In der Woche traf ich mich häufig mit Timo und Jan, die zwei und vier Jahre älter als ich waren. Wir haben stundenlang »Radrennen« gespielt, in den bunten Trikots echter Rennställe, die mein Vater uns von seinen Profi-Rennen in Kindergröße mitbrachte. Wir strampelten mit unseren Rädern über die Dorfstraße und scheuchten die wenigen Passanten auf, die sich hier von Zeit zu Zeit sehen ließen. Das Ortsschild diente als Ziel, und da meine beiden Cousins körperlich schon weiter waren als ich, fuhr ich in der Regel als Dritter über die Ziellinie. Mein erster Sieg im Sprint auf der Dorfstraße sollte aber bald folgen – wenn auch der Preis dafür ziemlich hoch war.

Wichtig war, dass wir nicht einfach Jan, Timo und Rick waren, die gegeneinander Rennen fuhren, sondern dass jeder ein berühmter Fahrer aus dem professionellen Radsport sein wollte. Wie kleine Fußballer, die Messi oder Ronaldo nachspielten, wollten wir eben Eddie Merckx, Lance Armstrong oder Jan Ullrich sein, je nach Temperament. Dann traten auf Strickherdickes staubigen Straßen Radsport-Legenden gegeneinander an, kommentiert von uns selbst, die jubelnden Zuschauer dachten wir uns dazu. Wer ich sein wollte, war eigentlich immer klar, denn er war mein Held damals: Mario Cipollini!

Das war eine interessante Wahl, aus gleich zwei Gründen. Mario Cipollini galt zur damaligen Zeit als eine Art Ronaldo des Radsports. Gut aussehend, mit langen Haaren und extravagantem Auftreten, groß und muskulös. Ein Popstar unter den Radprofis, der aus der überwiegend konservativen und braven Masse der Radprofis herausstach. Seine Spitznamen lauteten »König der Löwen« und »Supermario«. Später gab er mal in einem Interview zu Protokoll, dass er morgens beim Ankleiden aus 180 Anzügen, rund 700 Hemden und 400 Paar Schuhen wählen würde. Da versteht man vielleicht ein wenig besser, mit wem man es hier zu tun hatte. Typisch auch das Zitat aus einem Interview mit einer Radsport-Zeitung: »Beim Sprinten muss man eigentlich immer cool bleiben. Ich habe nie Angst. Ich schmiere mir höchstens nur ein bisschen mehr Gel in die Haare.« Na dann.

Andererseits war er Straßenweltmeister geworden, hatte bei den drei großen Landesrundfahrten insgesamt 57 Etappen gewonnen, außerdem den Klassiker Mailand–Sanremo. Er galt zu seiner Zeit als einer der besten Sprinter der Welt. Er konnte es sich erlauben, oft schon zehn Meter vor dem Ziel die Arme in die Luft zu strecken und freihändig die Ziellinie zu überqueren. Auch das gefiel im Radsport nicht jedem. Und hier wird’s ein wenig heikel. Sein größter sportlicher Gegenspieler zu dieser Zeit war nämlich niemand anderer als mein Vater. Beide bekämpften sich sportlich auf allerhöchstem Niveau. Abseits der Strecken überließ ihm mein Vater die Bühne. Er war immer ein eher bodenständiger Typ, ein harter Arbeiter, der sich nichts aus PR-Auftritten machte. Cipollini war das genaue Gegenteil. Immer extravagant, Sonnenbrillen im langen Haar, auffallend modisch gekleidet, ein Showman im allerbesten Sinne. Und genau dieser Fahrer wollte ich sein, wenn ich in Rennen gegen meine Cousins antrat? Was sagt uns das über den jungen Rick Zabel?

Ich kann mich nicht erinnern, dass mein Vater jemals irgendwas zu meiner Schwärmerei für Cipollini gesagt hätte. Vermutlich hat er innerlich eher darüber geschmunzelt, als sich über seinen vermeintlich illoyalen Sohn zu ärgern. Aber es wäre für einen kleinen Jungen ja doch auch ungewöhnlich gewesen, wenn er im Trikot seines eigenen Vaters die Tour de Strickherdicke gefahren wäre und dabei laut gerufen hätte: »Ich bin Erik Zabel!«

Ich habe in der Pubertät und auch später während meiner Karriere noch den ein oder anderen Konflikt mit meinem Vater ausgetragen. Gerade meine Einstellung zum Radsport gefiel ihm nicht immer. Darauf komme ich an anderer Stelle noch ausführlicher zu sprechen. Doch ich bin sicher, dass sich schon früh in der Wahl meines persönlichen »Helden« Cipollini abzeichnete, dass wir in einigen Dingen unterschiedlich auf »unseren« Sport blickten. Küchenpsychologen würden vielleicht sogar behaupten, das seien womöglich erste Vorboten einer Rebellion gegen eine übergroße Vaterfigur gewesen. Was weiß ich schon. Ich war noch sehr klein. Vermutlich wollte ich einfach bloß so cool sein wie Cipollini …

Ganz ohne sportlichen Ehrgeiz schien ich aber schon damals nicht gewesen zu sein. Gegen meine älteren Cousins zu gewinnen, konnte ich mir lange Zeit abschminken, auch wenn ich den Eindruck hatte, dass ich stetig schneller wurde. Es kam der Tag, an dem wir wieder einmal unsere Runden drehten, diesmal um die Parkplätze vor dem Haus meiner Großeltern. Ich weiß heute nicht mehr genau, wie es dazu kam, aber ich gewann an diesem Tag zum allerersten Mal gegen Timo und Jan – um danach ein paar Wochen gar nicht mehr aufs Rad zu steigen. Warum das? Weil ich bei der Zieleinfahrt meinem Idol Cipollini nacheifern wollte und wie er beide Arme jubelnd hochriss. Kann sein, dass das wirklich so gut ausgesehen hat, wie ich hoffte. Leider unterschätzte ich aber die Distanz zu dem Zaun, der unsere »Rennstrecke« begrenzte. Ungebremst schoss ich in die Barriere und noch bevor ich den Schmerz spürte, hörte ich, wie mit einem trockenen Knirschen eine Holzlatte zerbrach. Wie sich herausstellte, war es keine Holzlatte, sondern mein rechter Arm. Mein Verhältnis zu Cipollini war danach nie mehr dasselbe.

Letzten Endes hat meine Mutter mit einer frechen Bemerkung dafür gesorgt, dass ich mit dem richtigen Radsport im Verein begonnen habe. Nach dem Fußball-Aus beim SSV Mühlhausen trieb ich längere Zeit überhaupt keinen Sport mehr. Das blieb nicht ohne sichtbare Folgen. »Du könntest dich auch mal bewegen«, meinte meine Mutter irgendwann mit einem skeptischen Blick auf die verdächtigen Ausformungen meines Körpers, »mach doch mal wieder was.« Nach einem prüfenden Blick in den Spiegel konnte ich ihr nur beipflichten. Ich war ein richtiger Pummel geworden. Besser, ich unternahm was dagegen, bevor das noch zum Problem wurde. Aber was sollte ich machen? Fußball war durch, Handball, Tennis oder Leichtathletik schienen in Kessebüren und Strickherdicke entweder logistisch nur schwer umsetzbar oder langweilten mich schon beim Gedanken daran. Was also blieb in einem Haushalt, in dem der Vater in der Weltspitze des Radsports mitfuhr und in der sich nahezu alles ums Rad drehte? Es war einfach naheliegend. Ich dachte mir, okay, das probierst du jetzt einfach auch mal aus. Kann doch nicht so schwer sein. Zumal mein Cousin Jan, zwei Jahre älter als ich, ebenfalls Lust darauf hatte, den Radsport ein wenig organisierter zu betreiben. Wir meldeten uns beim RSV Unna an, einem Club ganz in der Nähe, der praktischerweise zu den besten Radsport-Vereinen des Landes zählte. Mit uns beiden waren noch vier oder fünf andere gute Jungs in meinem Alter im Verein, Daniel Lassahn oder Marcel Weber zum Beispiel, die es später beim RSC Rheinbach bis in die Eliteklasse (Lassahn) und beim RSC