Opferfest im Frau-Holle-Land - Holger Bruns - E-Book

Opferfest im Frau-Holle-Land E-Book

Holger Brüns

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Beschreibung

Ein Mord im beschaulichen Werra-Meißner-Kreis ist eher ein seltenes Ereignis. Jedoch ist dem Täter ein Opfer nicht genug. Auf seiner Liste stehen mehrere Namen ... Er lässt den ermittelten Beamten, Kriminalhauptkommissar Florian Müller und seiner Kollegin Viktoria von Salsdorf, eine winzige Chance, weitere Tote zu verhindern. Während die beiden Beamten alles nur Erdenkliche unternehmen, um das "Opferfest" zu beenden, taucht plötzlich eine außergewöhnliche Zeugin auf: "Frau Holle".

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Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Vervielfältigung des Werkes oder Teilen daraus, sind vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne meine schriftliche Genehmigung in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren), auch nicht für Zwecke der Unterrichtsgestaltung, reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Die Orte und Institutionen existieren wirklich.

Wir sollten unseren Feinden verzeihen, aber nicht bevor sie gehängt werden.

Heinrich Heine

Inhaltsverzeichnis

Teil EINS

I - Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Teil ZWEI

II

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Teil DREI

III

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Teil VIER

IV

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Teil FÜNF

V

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Teil EINS

I - Prolog

Wutentbrannt verließ Christoph Bambeck das Besprechungszimmer. Das Personalgespräch mit dem Personalvorstand Severin Frost, der Personalleiterin und Sekretärin Frosts Doris Geitz und seinem direkten Vorgesetzten Gerrit Knobloch war eine Farce gewesen. Sie hatten ihn gedemütigt und erniedrigt, kein Verständnis für seine Situation aufgebracht und schlussendlich haben sie ihm sogar mit Kündigung gedroht, sollte er seinen alten Arbeitsplatz nicht wieder einnehmen. Rauswurf war damit gemeint und nichts anderes.

Orientierungslos rannte Bambeck über den Flur, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen. Er nahm den Fahrstuhl ins Erdgeschoss und verließ tief enttäuscht und gekränkt das Bankgebäude. Die Kollegen, die er eigentlich nach seinem Gespräch noch besuchen wollte, hatte er vergessen. Genauso wie seine Gesprächspartner seine Verdienste für die Bank vergessen hatten.

Christoph spürte nur noch Wut, eine allumfassende, unbändige, abgrundtiefe und kaum auszuhaltende Wut gegen Frost, gegen Knobloch, gegen Geitz und gegen den ganzen verfickten Laden … Seine Wut begann ihn urplötzlich innerlich aufzufressen …

Kapitel 1

Geschafft! Die Staubsauger standen wieder an ihrem angestammten Platz und alle Putzlappen hingen zum Trocknen auf einem Wäscheständer. Alle Büros waren blitzeblank und die Kundenbereiche aufgeräumt. Bea und Heidi hatten ihren Arbeitstag hinter sich gebracht. Beide waren mit Leib und Seele Reinigungskräfte der hiesigen Regio-Bank. Bea seit nunmehr zwölf und Heidi sogar seit sechzehn Jahren. Sie gehörten sozusagen schon fast zum Inventar. Diesen Freitagabend frönten sie mal wieder einer lieb gewonnenen Tradition. Am heutigen Tag war Heidi an der Reihe und hatte eine Flasche Rotkäppchen Sekt mitgebracht. Jetzt saßen die beiden Frauen in einem kleinen Raum im Kellergeschoss der Bank und prosteten sich zu. Die letzten Angestellten hatten das Haus bereits vor einigen Minuten verlassen. Der letzte war wie so oft einer der beiden Vorstände gewesen, Severin Frost. Das Unternehmen war durch eine große Fusion um die Jahrtausendwende entstanden. Der Standort in Hessisch Lichtenau war früher die Hauptstelle der Bank gewesen. Nach der Fusion wechselte der Sitz des Instituts nach Eschwege. Doch das Gebäude im Zentrum von Hessisch Lichtenau blieb der Verwaltungssitz und der Standort des Vorstandes.

››Wir können doch wirklich froh sein, hier zu arbeiten‹‹, stellte Bea mit einem Grinsen fest. Sie hatte ein paar Kilo zu viel auf den Rippen, jedoch die meisten davon an den richtigen Stellen. Bea hatte ein fröhliches, einnehmendes Wesen und jeder hier kam gut mit ihr zurecht. Sie war nicht sehr groß und hatte kurz geschnittenes schwarzes Haar. Mit ihren mittlerweile einundfünfzig Jahren wirkte sie auf die meisten Menschen eher jünger, was an ihrer offenen Art und ihrem frechen Haarschnitt lag. Heidi war dreiundfünfzig und genau das Gegenteil, obwohl sie eine ähnliche Figur hatte. Doch sie machte auf die meisten Menschen einen ruhigen, zurückhaltenden Eindruck. Ihre halblangen blonden Haare trug sie leicht gewellt. Auch die streng aussehende Brille ließ sie alles andere als annähernd so verrückt wirken wie ihre beste Freundin Bea. Doch zusammen waren sie bekannt für ihre Späße und ihre Albernheiten. Ihren Dienstbeginn bemerkten alle anderen an der ständigen Kicherei.

››Wie meinst du das?‹‹, hakte Heidi nach.

››Na, schau dich doch mal um. Kein Mensch, der uns auf die Finger schaut. Keine schlecht gelaunten und meckernden Vorgesetzten. Und wo sonst dürften wir nach Feierabend noch ein gepflegtes Gläschen Sekt trinken? Alkoholfrei natürlich.‹‹

››Da hast du wohl recht. Solange wir unsere Arbeit anständig machen, lässt uns hier jeder in Ruhe. Doch wer weiß, wie lange noch.‹‹

››Meinst du wegen deines Gesprächs mit Sven?‹‹

››Ja, mein Personalgespräch und da ging es auch um Outsourcing unserer Stellen an eine Reinigungsfirma.‹‹

››Glaubst du das wirklich? Die sind doch nicht billiger als wir. Niemals.‹‹

››Hoffentlich behältst du recht. Ich würde das hier echt vermissen und einige Kollegen auch.‹‹

››Das stimmt. Mit einigen können wir sogar unsere Späßchen machen. Aber um auf deine Sorge zurückzukommen, glaub mir, die brauchen uns noch.‹‹

››Darauf trinken wir.‹‹

Sie prosteten einander zu und es dauerte nicht sehr lange und der Sekt war ausgetrunken. Das hieß für die beiden Frauen: Ab nach Hause.

Bea und Heidi packten ihre Sachen zusammen und stiegen gemeinsam die Treppe zum Erdgeschoss hinauf. Bea machte das Licht aus und dann verließen sie das Bankgebäude durch den Seiteneingang. So wie schon so oft in den letzten Jahren. Heidi schloss die Tür ab und zusammen schlenderten sie über den Parkplatz zu ihren Autos, die nebeneinander in der Nähe des Haupteingangs standen. Sie betrachteten das im Stadtzentrum gelegene Bankgebäude und beiden wurde mal wieder bewusst, wie deplatziert dieser Betonklotz hier mitten in der Altstadt wirkte. Zwischen all den liebevoll restaurierten Fachwerkhäuschen, der Evangelischen Kirche, dessen unteren Geschosse des Kirchturms bereits Ende des 13. Jahrhunderts errichtet wurden, und dem Kanzler-Feige-Brunnen von 1910 machte der Neubau der Bank einen ziemlich fremdartigen Eindruck. Er passte sich überhaupt nicht in seine Umgebung ein und man fragte sich, welche wirtschaftlichen Interessen damals zu der Baugenehmigung geführt haben mögen. Aber Geld regiert die Welt, auch in einer Kleinstadt wie Hessisch Lichtenau.

Plötzlich blieb Bea stehen und stutzte, als sie in Richtung der überdachten Fläche neben dem Bankgebäude schaute. Hier verband sich der Hauptbau mit dem danebenliegenden Straßenzug der Altstadt Hess. Lichtenaus. Über dem breiten Durchgang befand sich die Vorstandsetage und darunter parkten normalerweise die Fahrzeuge der Chefs und gelegentlich des Hausmeisters. Doch um diese Zeit sollte der Platz eigentlich verlassen sein, aber das war er nicht.

››Hm, hatte Herr Frost nicht bereits vor einiger Zeit Feierabend gemacht und die Bank verlassen?‹‹, fragte Bea nachdenklich.

››Na klar, er hat uns doch noch ein schönes Wochenende zugerufen.‹‹

››Eben! Und warum steht sein Bus dann noch dort?‹‹

››Vielleicht ist er noch was einkaufen gegangen.‹‹

››Um diese Uhrzeit? Alle Läden sind bereits geschlossen.‹‹

Neugierig näherten die beiden Frauen sich dem VW-Bus ihres Chefs. Er stand immer an derselben Stelle. So auch heute. Doch irgendwas stimmte nicht. Als Erstes bemerkte Heidi, dass die Fahrertür nicht richtig verschlossen war, sondern nur leicht angelehnt. Heidi blickte durch das Seitenfenster und entdeckte auf dem Beifahrersitz den Koffer des Vorstandes.

››Sein Koffer liegt auf dem Sitz. Doch wo ist Herr Frost?‹‹

››Merkwürdig‹‹, bemerkte Bea mit einem Stirnrunzeln.

››Der Schlüssel steckt auch …‹‹, ergänzte Heidi ihre Beobachtung.

››Da stimmt doch was ganz und gar nicht.‹‹

Bea raufte sich die Haare und machte ein paar Schritte nach vorne. Der Bus stand mit seiner Schnauze direkt vor einem Stützpfeiler des darüberliegenden Gebäudeteils.

Als Bea endlich die schmale Lücke zwischen Pfeiler und Auto einsehen konnte, schreckte sie plötzlich mit einem lauten Aufschrei zurück.

››Nein …!‹‹

››Was ist los?‹‹, fragte Heidi sofort nach.

››S-S-Severin F-Frost … Er liegt hier …‹‹

››Was? Wo liegt er?‹‹

››V-V-Vor seinem Bus …‹‹

Heidi näherte sich ihrer Freundin und fasste sie von hinten an die Schultern. Vorsichtig blickte sie an Bea vorbei zu der Stelle, auf die ihre Kollegin noch immer starrte. Der Schock hatte ihr alle Lebensenergie entzogen. Wie versteinert stand sie da, zu keiner Bewegung fähig und blass wie ein weißes Blatt Papier.

››Mein Gott …‹‹, entfuhr es Heidi, als sie ebenfalls den Mann dort liegen sah, ››… da hat wohl jemand seine gerechte Strafe bekommen …‹‹, beendete sie den Satz deutlich leiser, sodass selbst Bea es nicht mitbekam.

Doch er lag nicht einfach nur da, er war offensichtlich zwischen seinem Auto und dem Betonpfeiler eingeklemmt worden. Sein Kopf hing leblos auf der Seite. Blut war aus den Mundwinkeln getropft. Ein Auge weit aufgerissen, das andere konnten sie nicht erkennen. Schluchzend und einer Panik nahe wandten sich die beiden Frauen von der Leiche ab …

Kapitel 2

Es war mal wieder einer dieser auserlesenen Tage, an denen Florian seinen Schweinehund besiegen konnte, sich die Sportschuhe schnürte, in seinen Mazda 3 setzte und in Richtung Leuchtberge fuhr. Trotz einer langen, arbeitsreichen Woche hatte er sich auf den Weg gemacht und parkte seinen Wagen in der Leuchtbergstraße in der Nähe der Fußgängerbrücke über die Werra. Florian stieg aus, steckte seinen Schlüssel und natürlich sein Handy ein. Als Kriminalhauptkommissar war er eben immer im Dienst und musste Tag und Nacht erreichbar sein. Selbstverständlich auch am Wochenende. Und sogar beim seltenen Sport.

An diesem Freitagnachmittag hatte er bereits gegen fünfzehn Uhr Feierabend gemacht. Ebenso wie Vic, seine direkte Kollegin. Kriminalhauptkommissarin Viktoria von Salsdorf war seine Partnerin bei der Kriminaldirektion E-schwege und seine beste Freundin. Sie lernten sich erst vor zwei Jahren kennen, als Vic von Baunatal hierher versetzt wurde und anschließend auch ihren Lebensmittelpunkt in die Kreisstadt verlegt hatte. Heute Abend waren sie zum Grillen bei Vic verabredet. Gemeinsam mit einigen Kollegen. Ein paar Freundinnen von ihr waren ebenfalls eingeladen, davon mindestens zwei, die solo waren.

Wahrscheinlich würde Vic wieder mal versuchen, ihn zu verkuppeln. Doch auch dieses Mal würde sie damit keinen Erfolg haben, denn Florian war mit seinem Leben als Single sehr zufrieden und hatte nicht vor, das kurzfristig zu ändern. Schon gar nicht seiner Kollegin zuliebe.

Und bei der anstehenden Vernichtung von Kalorien in Form von Bratwurst, Steak, Salaten und eines kühlen E-schwegers lag der Gedanke nahe, dem Körper vorher was Gutes zu tun. Also hatte Florian das kleine Teufelchen von der Schulter geschubst, was ihn regelmäßig an seiner sportlichen Betätigung hinderte, und schlenderte am späten Freitagnachmittag über die Werrabrücke, um an den Werratalsee zu gelangen. Wenn dann richtig, war seine Maxime und so begann er, nach dem kurzen Aufwärmtraining, sich auf den sieben Kilometer langen Weg rund um den See zu machen.

Den Blick auf den traumhaft schönen Werratalsee genoss er sehr, doch bereits nach wenigen Minuten machte sich seine nicht vorhandene Muskulatur in den Beinen bemerkbar und auch das Atmen fiel ihm immer schwerer. Er wusste genau, dass er diese Phase nur überstehen musste, danach lief es dann besser. Florian hatte das Gefühl, dass er zuerst die Kontrolle über seine Bewegungen und seine Atmung bekommen musste. Vorher war es ein Kampf gegen seinen eigenen Körper. Danach hieß es einfach nur: durchhalten.

Hierbei halfen ihm auch die vielen Jogger, Radfahrer oder Spaziergänger, die mit ihren Hunden unterwegs waren, denn sie alle hatten eins gemeinsam. Sie lächelten bei ihrer Begegnung oder trugen zumindest einen zufriedenen Gesichtsausdruck zur Schau. Zwei Punkte, an denen er selbst definitiv noch arbeiten musste. Florian war mehr so der Typ der angestrengten und verkniffenen Mimik. Jedenfalls beim Joggen. Vielleicht sollte er mal einen Spiegel mitnehmen.

Urplötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen und seine müden Knochen erhielten eine ungewollte Verschnaufpause, als das Handy in seiner Tasche vibrierte. Ein kurzer Blick auf das Display sagte ihm, dass der Anruf aus seiner Einsatzzentrale kam. Noch bevor er das Gespräch annahm, gingen ihm zwei Gedanken durch den Kopf und er konnte sich auf die Schnelle nicht entscheiden, welcher die Überhand gewann: Shit! Die Arbeit ruft! – Super! Joggen beendet!

››Ian Rolf Miller, Scotland Yard‹‹, meldete sich Florian noch schwer atmend, aber mit einem Lächeln im Gesicht.

››Einsatzzentrale an Kriminalhauptkommissar Florian Müller, lass deine Scherze, mein Lieber, ungeklärter Todesfall in Hessisch Lichtenau. Kollegen aus HeLi sind bereits vor Ort. Alles Weitere liegt in deiner Hand‹‹, meldete sich eine vertraute Stimme aus der Niederhoner Straße.

››Danke für die Info, Annika, hast du Vic auch schon informiert?‹‹

››Nein, das wollte ich dir überlassen. Reicht doch, wenn ich einen Kollegen aus seinem Wochenende hole.‹‹

››Is klar. Und ich darf jetzt der Frau von Salsdorf unser gemeinsames Grillen versauen. Danke dafür, liebe Frau Schütze.‹‹

››Sehr gerne, lieber Kollege, das bringt unser Job nun mal so mit sich.‹‹

››Ich weiß … Was ist denn eigentlich passiert?‹‹

››Wie gesagt: ungeklärter Todesfall. Der Chef der hiesigen Regio-Bank liegt tot vor seinem Auto.‹‹

››Vor seinem eigenen Wagen?‹‹

››Na ja, er liegt wohl zwischen seinem VW-Bus und einem Betonpfeiler. Mehr erfährst du von den Kollegen vor Ort.‹‹

››Okay. Dann mache ich mich mal auf den Weg und sammele unterwegs meine allerliebste Kollegin noch ein. Bis später.‹‹

››Bis dann und viel Erfolg.‹‹

››Danke.‹‹

Während des Gesprächs mit seiner Kollegin Annika Schütze hatte Florian bereits kehrtgemacht und befand sich auf dem Weg zu seinem Auto. Die Zeit nutzte er jetzt für einen kurzen Anruf bei Vic:

››Flo? Hast du deine Runde schon beendet?‹‹, meldete sich Vic sogleich.

››Sozusagen. Wir haben einen Einsatz. Mach dich fertig.

Ich hole dich in fünf Minuten ab.‹‹

››Jetzt? Gut, dass der Grill noch nicht an ist. Okay, bin gleich unten.‹‹

Exakt sechs Minuten später hielt Florian seinen satinweißen Mazda in der Brückenstraße an und Vic stand tatsächlich schon bereit. Sie trug eine eng anliegende blaue Jeans und eine dazu passende hellblaue Bluse. Er konnte sofort erkennen, dass sie die obersten drei Knöpfe mal wieder nicht geschlossen hatte und Florian beim Begrüßungskuss auf die Wange einen einwandfreien Blick auf ihren Brustansatz ermöglichen würde. Noch bevor sich die Beifahrertür öffnete, schüttelte er sich kurz und war festen Willens, seinen Blick dieses Mal nicht zu senken, sondern vorschriftsmäßig den Schönheiten dieser Welt zu trotzen.

››Hey Flo, die Joggingsachen stehen dir echt gut‹‹, bekundete Vic, als sie sich tief in den Wagen hineinbeugte, um ihren Kollegen zu begutachten. Damit war natürlich auch Florians guter Wille hinfällig, denn diesem Einblick, der sich ihm gerade bot, konnte er keinesfalls entgehen, und da war er auch froh drüber, denn sonst wäre ihm Vics weißer Spitzen-BH doch tatsächlich durch die Lappen gegangen.

››Zum Umziehen hatte ich jetzt wirklich keine Zeit mehr, aber es reicht ja vollkommen aus, wenn du heute ansehnlich bist‹‹, begrüßte Florian seine Kollegin mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

››Ich finde es aber klasse, dass du endlich mal deinen Plan umgesetzt hast und joggen warst‹‹, erwiderte Vic, als sie sich in den Sitz fallen ließ.

››Na ja, es war mal wieder ein Anfang und ich werde es auf jeden Fall fortsetzen oder glaubst du, dass ich mich auf dem nächsten Betriebssportfest erneut blamieren möchte‹‹,

gab Florian zu und steuerte den Mazda zurück über die Werrabrücke, durch die Innenstadt und über die Reichensächser Straße in Richtung Ortsausgang. Er wollte jetzt ganz sicher nicht über diesen Fauxpas sprechen und tat alles dafür, dass Vic auch nicht weiter auf diesem Thema beharrte.

Also gab er Gas, schaltete das Blaulicht und bei Bedarf das Martinshorn ein, raste über die B27, die B7 und den bisher fertiggestellten Teilbereich der A44 nach Hessisch Lichtenau. Nach etwas mehr als zwanzig Minuten erreichten sie das Tor zum Frau-Holle-Land an der Westseite des Meißners, wie die Kleinstadt liebevoll genannt wurde. Kurz darauf hielt Florian seinen Wagen hinter der Polizeiabsperrung aus einem rot-weißen Flatterband. Sie stiegen aus und schauten sich um, während das Blaulicht ihres Fahrzeugs sich mit den vielen anderen Blinklichtern vor Ort vermischte. Schnellen Schrittes näherten sich Vic und Flo der Absperrung, hielten ihre Dienstausweise hoch und durften ungehindert passieren. Die Kollegen hatten den Fundort und den kompletten Parkplatz rund um das Bankgebäude bereits weiträumig abgeriegelt.

Kapitel 3

Viktoria und Florian näherten sich dem vermutlichen Standort der Leiche, denn hierauf konzentrierte sich definitiv die Aufmerksamkeit der bereits anwesenden Streifenpolizisten. Ein Beamter, der sie schon von Weitem zu erkennen schien, kam mit einem offenen Lächeln auf sie zu.

Sein gepflegter Vollbart und die Brille mit den kleinen runden Gläsern gaben ihm ein sehr sympathisches Äußeres und der erste Eindruck sollte sich auch sofort bestätigen, als der Polizist sein Wort an die Ankömmlinge richtete.

››Willkommen, liebe Kollegin, lieber Kollege, ich bin Erster Polizeihauptkommissar Karl-Heinz Schlierbach. Ich leite die Polizeistation Hessisch Lichtenau. Leider hatten wir noch nicht das Vergnügen. Oder besser gesagt: Gott-sei-Dank‹‹, begrüßte der Kollege die beiden Beamten überschwänglich.

››Guten Tag Herr Kollege Schlierbach. Ich bin Kriminalhauptkommissar Florian Müller und das ist meine Kollegin Kriminalhauptkommissarin Viktoria von Salsdorf.‹‹

››Guten Tag Herr Schlierbach.‹‹

››Guten Tag Frau von Salsdorf. Bitte folgen Sie mir. Unterwegs berichte ich Ihnen vorab in Kürze, was wir haben.‹‹

››Sehr gerne‹‹, erwiderte Florian sogleich.

››Okay. Gegen neunzehn Uhr vierunddreißig erhielten wir einen Notruf von einer Frau Bea Sandmann. Nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hatte, berichtete sie von ihrem Chef, Herrn Severin Frost, einer der Vorstände der Regio-Bank, der leblos vor seinem VW-Bus liegen würde. Ihrer Meinung nach wäre er eindeutig tot. Dies könnte ihre Freundin und Kollegin Heidi Zoller bestätigen. Sie hatten ihren Chef dort nach Feierabend vorgefunden. Beide werden im Moment ärztlich versorgt. Nur wenige Minuten später kamen meine Kollegen hier an und bestätigten die Aussage der Dame, also machte ich mich auch sofort auf den Weg. Vorher informierte ich noch Ihre Dienststelle und bat um Unterstützung, da es sich in diesem Fall um einen ungeklärten Todesfall handelt. So viel zu der Theorie. Wollen Sie sich die Leiche jetzt anschauen?‹‹

››Auf jeden Fall‹‹, stimmte Florian zu.

››Gleich da vorne ist es. Sehen Sie den schwarzen Bus? Vor dem Kühlergrill befindet sich der Tote‹‹, entgegnete der 1.

PHK und führte die beiden Beamten an der Seite des Bankgebäudes entlang zu einer Art Unterführung. Hier stand der angesprochene VW-Bus und als sie den Wagen umrundet hatten, erkannten sie die leblose Person, die zwischen dem Bus und einer Betonsäule lag.

››Mein Gott‹‹, sagte Vic mit entsetzter Stimme. ››Was ist mit dem Mann passiert?‹‹

››Na ja‹‹, antwortete Schlierbach. ››Er wurde förmlich zwischen seinem Bus und dem Pfeiler zerquetscht, würde ich sagen.‹‹

››Sieht wohl so aus‹‹, bestätigte Vic den Gedanken des 1.

PHK.

Währenddessen schwieg Florian Müller, machte ein paar Schritte rückwärts und betrachtete den Toten von allen Seiten. Dann drehte er eine Runde um den VW-Bus, schaute in das Innere des Wagens und kam stirnrunzelnd wieder zurück zu seinen Kollegen.

››Irgendwas stimmt hier nicht. Die ganze Sache gefällt mir ganz und gar nicht. Was ist hier wirklich passiert?‹‹, philosophierte Florian vor sich her, ohne die anderen zu beachten.

Erneut ging er einige Schritte zur Seite und schaute sich das Opfer erst von rechts und dann von links an. Er begutachtete angestrengt den Freiraum, der zwischen dem Banker und seinem Auto zu sehen war. Dann widmete er sich der Vorderfront des Busses und registrierte gedanklich jeden kleinen Kratzer. Um alles noch besser erkennen zu können, zog er seine Brille ab und steckte sie in sein Joggingoberteil. Florian hasste seine neue Gleitsichtbrille.

Sie zeigte ihm nie das, was er gerade sehen wollte. Im Gegenteil, jedes Mal hatte er das Gefühl, sie würde etwas vor ihm verbergen oder ihm einfach nur die Sicht verschleiern und verschlechtern. Das konnte er jetzt gar nicht gebrauchen.

››Kollege Schlierbach? Ich gehe davon aus, dass an dem Fundort nichts verändert wurde, richtig?‹‹

››Wo denken Sie hin? Natürlich nicht. Alles ist noch so, wie wir es vorgefunden haben. Lediglich den Toten haben die Kollegen angefasst, um definitiv den Exodus festzustellen.‹‹

››Okay. Danke. Gute Arbeit. Dann werde ich jetzt mal die Spurensicherung rufen.‹‹

Florian zog sein Handy umständlich aus seiner Hosentasche, drückte die entsprechende Kurzwahltaste und versaute damit auch seinen Kollegen und Kolleginnen der Spusi ihr verdientes Wochenende.

Kapitel 4

Während der Wartezeit betrachtete Florian erneut den Fundort aus verschiedenen Perspektiven und wurde dabei von Vic neugierig beobachtet. Der Erste Polizeihauptkommissar Schlierbach hatte sich mittlerweile zurückgezogen und diskutierte lautstark mit seinen Kollegen. Florian warf erneut einen Blick ins Innere des Busses und runzelte die Stirn. Kopfschüttelnd machte er erneut eine Runde um den Bus herum. Am Heck blieb er stehen, ging in die Knie und begutachtete einen bestimmten Bereich ausgiebig.

Schließlich holte er seine Brille aus der Tasche, näherte sich den auffälligen Stellen und inspizierte noch mal den Heckbereich des Busses intensiv. Anschließend stand er auf und bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen. Das machte Florian immer dann, wenn er scharf nachdachte oder ihm etwas aufgefallen war, er aber nicht wusste, was es war. In der Position blieb er eine ganze Weile bewegungslos stehen. Vic kannte das von ihrem Kollegen bereits und wusste, dass sie ihn jetzt keinesfalls stören durfte. Um nicht vollkommen untätig rumzustehen, versuchte sie sich in der Zeit ihr eigenes Bild vom Tatort und vom Tathergang zu machen. Denn über einen Aspekt war sie sich mittlerweile ganz sicher: dass das hier ein Tatort war. Denn wie hätte sich das Opfer selbst zerquetschen können? Er konnte ja nicht gleichzeitig den Bus starten und Gas geben, während er an dem Pfeiler lehnte. Unmöglich! Andererseits war es auch schwer vorstellbar, dass er sich freiwillig an den Pfeiler lehnte, während eine andere Person ihn mit dem Wagen zu Brei drückte. Vic begab sich nun zum Heck des VWs und gesellte sich zu Florian, ohne ihn jedoch in seinen Überlegungen zu stören. Sie betrachtete jetzt ebenfalls die Heckpartie des Busses, konnte aber bis auf ein paar kleinen Kratzern nichts erkennen. Hatten die etwas mit dem Tod des Bankers zu tun? Wohl kaum! Während sie noch weiter grübelte, nahm Florian die Hände vom Gesicht und schaute Vic in die Augen.

››Ich habe da so eine Idee. Willst du sie hören?‹‹, fragte er seine Kollegin, die ihn bereits neugierig anstarrte.

››Natürlich. Schieß los.‹‹

››Also, pass auf. Punkt 1‹‹, begann Florian seinen Bericht, während er zusammen mit seiner Kollegin den VW-Bus umrundete, sodass sie freie Sicht auf den Toten hatten.

››Die Leiche lehnt an dem Betonpfeiler. Vermutlich wurde er von seinem eigenen Wagen erdrückt. Jedoch befindet sich zwischen Frost und seinem Bus ein freier Raum. Also wurde der VW nach dem tödlichen Angriff noch mal bewegt. Punkt 2. Die Fahrertür war offen und der Koffer des Bankers lag bereits auf dem Beifahrersitz. Daraus schließe ich, dass der Mann bereits in seinem Wagen gesessen hat.

Doch aus irgendeinem Grund stieg er wieder aus. Punkt 3.

Für mich der wichtigste Punkt. Der VW-Bus weist an seinem Heck Kratzspuren auf und bei genauerem Hinsehen erkennt man obendrein noch leichte Dellen. Der Wagen wurde also nicht nur an der Frontseite beschädigt, sondern auch am Heck. Ob und inwieweit beide Schäden mit der Tat zu tun haben, muss die Spurensicherung klären. Jedenfalls ergibt sich für mich folgender vorläufiger Tathergang‹‹, betonte Florian, nachdem sie zusammen noch mal die Heckpartie des VW-Busses in Augenschein genommen hatten. ››Severin Frost kommt aus dem Bankgebäude, öffnet seinen Wagen, legt seinen Koffer auf der Beifahrerseite ab und setzt sich an das Steuer. Doch er fährt nicht los.

Warum? Vielleicht, weil ein anderer Wagen direkt hinter ihm parkte, nachdem er eingestiegen war. Frost wartet, aber der Wagen fährt nicht wieder weg. Also steigt er aus und schaut nach. Komischerweise kann er aber den anderen Fahrer nicht entdecken. Er bückt sich zwischen den Autos, um auf das Nummernschild des Fremden zu schauen und dann passiert es. Der Wagen des anderen gibt Gas, ruckt ein Stück nach vorne und tötet Frost. Dann setzt der Fremde seinen Wagen wieder zurück. Der Banker rutscht zu Boden und wird von seinem Angreifer vor seinen eigenen Bus gezogen, dort an den Pfeiler gelehnt und ein zweites Mal zerquetscht, indem der Fremde den Bus startet, der Schlüssel steckte ja noch, und Frost erneut einklemmt. Zuletzt setzt er den Bus noch ein wenig zurück, steigt in seinen eigenen Wagen und verschwindet. Ich schätze, das Ganze dauerte nicht länger als zehn Minuten, eher sogar noch weniger.‹‹

››Klingt plausibel, Mr. Superhirn. Genauso könnte es sich zugetragen haben.‹‹

››Die Spurensicherung ist inzwischen eingetroffen und hat ihre Untersuchungen begonnen. Mal sehen, ob die Kollegen unsere Vermutungen bestätigen können oder ob sie was ganz anderes zutage fördern. Jetzt können wir nur noch auf die endgültigen Ergebnisse warten und das wahrscheinlich bis Montagmorgen.‹‹

››Dann lass uns jetzt die beiden Damen vernehmen, die den Toten gefunden haben.‹‹

››Das machen wir, aber vorher begrüßen wir kurz die Kollegen der Spusi, okay?‹‹

››Na klar, das machen wir.‹‹

Bereits von Weitem erkannten die beiden Ermittler Martin Sommer, den Leiter der Spurensicherung, an seinem auffälligen Schnauzbart, wobei die Enden seines Bartes sich nicht nach oben aufrollten, sondern ganz akkurat und waagerecht nach außen zeigten.

››Hey, Kaiser‹‹, rief Florian ihm zu, denn diesen Spitznamen hatten ihm die Kollegen aufgrund seines Bartes gegeben und Sommer hatte es mittlerweile akzeptiert und genoss diese Ansprache sogar.

››Ein bisschen mehr Respekt, meine lieben Untertanen‹‹,

entgegnete Martin Sommer auf Flos Begrüßung. ››Guten Tag Vic. Hallo Flo. Schön, dass wir uns gemeinsam das Wochenende um die Ohren schlagen dürfen. Aber das ist halt unser Job. Na ja, komischerweise geschehen die meisten Personendelikte tatsächlich am heiligen Wochenende.

Da wird noch nicht einmal Rücksicht auf den Kaiser genommen.‹‹

››Tja, egal ob Kaiser oder Superhirn. Da müsst ihr alle in den gleichen sauren Apfel beißen wie das einfache Girlie von nebenan‹‹, erwiderte Vic lachend.

Martin Sommer schlug die Hände vors Gesicht und wendete sich kopfschüttelnd ab, um weiter seiner Arbeit nachzugehen.

Viktoria und Florian verständigten sich kurz und gingen zu dem nur einige Meter entfernt stehenden Rettungswagen.

Dort plauderten zwei Frauen mittleren Alters angeregt mit einem Sanitäter und dem anwesenden Arzt. Augenscheinlich hatten die beiden sich von dem ersten Schock erholt und waren wieder ansprechbar.

››Mein Name ist Florian Müller, ich bin Kriminalhauptkommissar bei der Kripo in Eschwege, das ist meine Kollegin, Kriminalhauptkommissarin Viktoria von Salsdorf‹‹, begrüßte Flo die Zeuginnen, die sich sofort erhoben und drauflos plappern wollten.

››Wir sind …‹‹

››Bleiben Sie doch sitzen‹‹, unterbrach Florian die Dame mit den kurzen, schwarzen Haaren. ››Wir setzen uns zu Ihnen und dann können wir uns in Ruhe unterhalten.‹‹

Die beiden Frauen nahmen wieder auf der Ladekante des Rettungswagens Platz und schauten die beiden Ermittler schweigend an. Vic und Flo lehnten sich an die geöffneten Türen und erteilten den Zeuginnen das Wort.

››Also ich bin Bea, Bea Sandmann, jaja, nicht lachen, ich heiße tatsächlich so, jedenfalls seit meiner Hochzeit. Ich arbeite als Reinigungskraft hier bei der Bank, bereits seit vielen Jahren und seitdem kenne ich auch Herrn Frost …‹‹

Bea schluchzte. Heidi reichte ihr geistesgegenwärtig ein Taschentuch, sodass ihre Freundin kräftig schniefen konnte. Danach ging es wieder etwas besser. Vic und Flo warteten geduldig ab.

››Nehmen Sie sich Zeit und berichten Sie bitte von Anfang an. Am besten seit Beginn Ihres Dienstes‹‹, ermunterte Vic Bea zum Weiterreden.

››Na ja, gegen sechzehn Uhr hat unser Dienst begonnen, doch wir sind immer schon mindestens fünfzehn Minuten vorher da, um noch eine Runde zu quatschen. So auch heute. Kurz vor neunzehn Uhr waren wir fertig. Dann sind wir in unser kleines Kämmerchen gegangen und haben mit einem Gläschen alkoholfreiem Sekt angestoßen. Das machen wir freitags gerne mal, wenn wir wieder eine Woche geschafft haben …‹‹

››Meistens auch wirklich nur ein Gläschen …‹‹, wurde Bea von Heidi unterbrochen.

››Heute waren wir jedoch so gut drauf‹‹, setzte Bea ihren Bericht fort, ››da haben wir die Flasche ausgetrunken.

Dann haben wir unsere Sachen zusammengepackt und haben das Gebäude hintenraus verlassen. Mittlerweile muss es so gegen halb acht gewesen sein. Dann fiel uns auf, dass das Auto vom Chef noch da stand, obwohl er die Bank bereits vor neunzehn Uhr verlassen hatte. Außerdem war die Fahrertür nicht richtig geschlossen. Also schauten wir uns ein wenig um und fanden schließlich Herrn Frost vor seinem Wagen an dem Pfeiler lehnen. Er war tot …‹‹

››Wie haben Sie seinen Tod festgestellt?‹‹, hakte Florian nach.

››Wie? Na, eigentlich gar nicht … Das hat man einfach gesehen. Oder Heidi?‹‹, entgegnete Bea.

››Ja. Auf jeden Fall. Der Mann war tot. Da gab es keinen Zweifel.‹‹

››Okay. Noch eine Frage? Herr Frost hat die Bank vor neunzehn Uhr verlassen? Da sind Sie sich sicher? Wie lange vor neunzehn Uhr?‹‹, fragte Florian.

››Kurz vor neunzehn Uhr haben wir Feierabend gemacht und einige Minuten vorher hatte Herr Frost sich noch von uns verabschiedet. Das macht er immer so. Machte er immer so. Entschuldigung.‹‹

››Kein Problem. Um neunzehn Uhr vierunddreißig haben Sie den Notruf gewählt. Dann haben Sie ihn kurz vorher gefunden. Richtig?‹‹, fragte Vic noch mal nach.

››Genau. Höchstens zwei bis drei Minuten vor unserem Anruf‹‹, bestätigte Heidi Vics Annahme.

Florian Müller runzelte die Stirn.

››Dann haben wir ein Zeitfenster von – sagen wir mal – zwischen achtzehn Uhr fünfzig und neunzehn Uhr dreißig.

In diesen vierzig Minuten muss die Tat geschehen sein.

Danke sehr. Sie können jetzt gehen. Die Kollegen haben Ihre Personalien sicherlich schon aufgenommen, oder?‹‹

››Ja.‹‹

››Dann Ihnen beiden alles Gute. Bei Bedarf melden wir uns noch mal bei Ihnen. Können Sie selbst fahren? Oder sollen die Kollegen Sie nach Hause bringen?‹‹, verabschiedete Florian Bea Sandmann und Heidi Zoller.

››Das schaffen wir schon. Vielen Dank und auf Wiedersehen!‹‹

››Auf Wiedersehen die Damen.‹‹

Kapitel 5

Viktoria und Florian schauten sich nach dem Leiter der Spurensicherung um. Sie wollten in Erfahrung bringen, ob es bereits erste Erkenntnisse gab. Florian war neugierig, inwieweit sich seine Vermutungen bestätigen ließen oder das Spusi-Team vielleicht ganz neue Details zutage gefördert hatte. Schließlich fanden sie Martin Sommer am Heck des VW-Busses auf dem Boden hockend. Er wirkte ein wenig ratlos.

››Kaiser! Was ist los? Du wirkst etwas zerknirscht‹‹, bemerkte Florian und riss Sommer aus seinen Gedanken.

››Hm, wenn ich es wüsste. Irgendwas passt hier nicht zusammen, – jedenfalls noch nicht. Ich würde euch gerne mehr über den genauen Hergang sagen, aber ich kriege es nicht rund.‹‹

Der Leiter der Spurensicherung richtete sich auf, reckte und streckte sich kurz und berichtete dann weiter.

››Fangen wir mit den offensichtlichen Dingen an. Der Mann ist tot. Er wurde definitiv zwischen seinem Bus und dem Betonpfeiler erdrückt. Falls Ihr jetzt fragen wollt, warum ich nicht ›zerquetscht‹ sage. Der Grund ist ganz einfach. Es trifft nicht zu. Das Opfer wurde tatsächlich ganz langsam erdrückt. Also kein Unfall und auch keine Kurzschlussreaktion meiner Meinung nach. Der Mann sollte langsam sterben, er sollte noch leiden, seinen Tod spüren.

So hat es der Arzt dargestellt und ich gebe ihm vollkommen recht.‹‹

››Krass!‹‹, warf Vic ein. ››Dann haben wir es hier mit einem kaltblütigen Mord zu tun, richtig?‹‹

››Ich denke, davon können wir ausgehen. Kaltblütig, gefühllos, erbarmungslos. Sucht es euch aus.‹‹

››Habt ihr sonst noch was für uns?‹‹, fragte Florian nach.

››Bis auf noch einige Ungereimtheiten … nein, den ausführlichen Bericht bekommt ihr morgen im Laufe des Tages.‹‹

››Komm schon, Sommer. Da ist doch noch was. Die Sache mit dem Heck lässt dir keine Ruhe, oder‹‹, hakte Flo nach.

››Du hast es also auch gesehen? Ja, du hast recht. Am Heck befinden sich ebenfalls kleinste Lackschäden und winzige Beulen. Und ja, ich kann sie nicht wirklich zuordnen …‹‹

››Ich habe eine Theorie dazu, aber die würde ich gerne für mich behalten, bis du dir deine eigene zurechtgelegt hast.

Wir können uns morgen darüber austauschen. Ist das okay? Meldest du dich bei uns, wenn du so weit bist. Vic und ich sind jederzeit erreichbar.‹‹

››Jaja, lass mich nur dumm sterben‹‹, erwiderte Martin Sommer lachend. ››Aber ist schon in Ordnung. Dann kann ich weiterhin unvoreingenommen an die Sache herangehen.

Ich rufe euch morgen an, wenn der Bericht fertig ist.

Machts gut, ihr zwei.‹‹

››Addio imperatore mio‹‹, verabschiedete sich Florian mit einem breiten Grinsen.