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In "Organon der Heilkunst" präsentiert Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, sein revolutionäres Konzept der Medizin, das auf dem Prinzip der Ähnlichkeit basiert. In diesem wegweisenden Werk analysiert Hahnemann die Grundlagen der Krankheit und entwickelt ein systematisches Verfahren zur Heilung, das sich von der konventionellen Medizin seiner Zeit stark abhebt. Mit klarer, präziser Sprache und einem analytischen Ansatz stellt er die Bedeutung der Individualisierung in der Behandlung hervor und definiert die Prinzipien der homöopathischen Verfahren. Hahnemanns Schrift ist nicht nur ein medizinisches Manual, sondern auch ein Manifest für eine neue Sichtweise auf Gesundheit und Krankheit, das in einem historischen Kontext des 18. und 19. Jahrhunderts verankert ist. Samuel Hahnemann (1755-1843) war ein deutscher Arzt, der durch seine Unzufriedenheit mit der damaligen schulmedizinischen Praxis zur Entwicklung der Homöopathie angeregt wurde. Sein umfangreicher medizinischer Hintergrund und seine kritische Haltung gegenüber den üblichen Behandlungsmethoden führten ihn dazu, eigene, sanftere Heilmethoden zu erforschen und zu entwickeln. Hahnemann war ein Pionier und Innovator, dessen Studien und Übertragungen von klassischen griechischen und römischen Texten ihm halfen, die Prinzipien seiner neuen medizinischen Praktiken zu formulieren. "Organon der Heilkunst" ist ein unerlässliches Werk für alle, die sich für alternative Heilmethoden interessieren oder ein tieferes Verständnis für die Entwicklung der modernen Medizin gewinnen möchten. Hahnemanns klar strukturierte Argumentation und seine tiefgreifenden Einsichten sind zeitlos und regen zum Nachdenken an. Dieses Buch ist sowohl für Laien als auch für Fachleute ein unverzichtbarer Beitrag zur Diskussion über gesundheitsfördernde Ansätze in der Medizin. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine prägnante Einführung verortet die zeitlose Anziehungskraft und Themen des Werkes. - Die Synopsis skizziert die Haupthandlung und hebt wichtige Entwicklungen hervor, ohne entscheidende Wendungen zu verraten. - Ein ausführlicher historischer Kontext versetzt Sie in die Ereignisse und Einflüsse der Epoche, die das Schreiben geprägt haben. - Eine gründliche Analyse seziert Symbole, Motive und Charakterentwicklungen, um tiefere Bedeutungen offenzulegen. - Reflexionsfragen laden Sie dazu ein, sich persönlich mit den Botschaften des Werkes auseinanderzusetzen und sie mit dem modernen Leben in Verbindung zu bringen. - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor. - Interaktive Fußnoten erklären ungewöhnliche Referenzen, historische Anspielungen und veraltete Ausdrücke für eine mühelose, besser informierte Lektüre.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Im Organon der Heilkunst kulminiert die Spannung zwischen dem Anspruch, Heilung auf eine strenge Basis von Beobachtung und Erfahrung zu stellen, und dem Mut, gegen die medizinischen Dogmen seiner Zeit eine radikal andere, auf Ähnlichkeit, Prüfungen am Gesunden und maßvolle Intervention gegründete Methode zu behaupten, die Einfachheit und System zugleich verspricht und die Beziehung zwischen Arzt, Patient und Arznei neu ordnet, indem sie das individuelle Leiden in den Mittelpunkt rückt und mit methodischer Disziplin zu erfassen sucht, ohne sich von überlieferten Autoritäten oder spekulativen Systemen abhängig zu machen, sondern durch klare Regeln und überprüfbare Schritte Orientierung zu geben.
Das Werk ist eine medizinische Programmschrift und methodische Abhandlung, verfasst im deutschsprachigen Raum zu Beginn des 19. Jahrhunderts und erstmals 1810 veröffentlicht; es wurde von Samuel Hahnemann in mehreren überarbeiteten Auflagen fortentwickelt. Es steht im Umfeld einer Medizin, die von gelehrten Systemen, drastischen Eingriffen und rasch wachsenden naturwissenschaftlichen Ansprüchen geprägt war. Das Organon positioniert sich als Instrumentarium für die Heilkunst, nicht als Lehrbuch einzelner Krankheiten, und spricht eine Leserschaft aus praktizierenden Ärzten, Studierenden und kritischen Beobachtern an. Der historische Kontext sensibilisiert für die Polemik des Textes und seine konsequente Forderung nach methodischer Rechtfertigung therapeutischer Schritte.
Wer das Organon liest, begegnet einem streng gegliederten Text in nummerierten Aphorismen, deren jeweils kurzer Hauptsatz oft von erläuternden Anmerkungen begleitet wird. Die Stimme ist lehrhaft, bisweilen streitbar, zugleich bemüht, Begriffe zu definieren und Verfahren nachvollziehbar zu machen. Der Stil wirkt konzentriert, mit wiederholten Setzungen zentraler Prinzipien, die schrittweise entfaltet werden. Der Ton bleibt ernst und normativ: Es geht um Regeln der Heilkunst, um Prüfsteine der Erfahrung und um Grenzen ärztlicher Eingriffe. Das Leseerlebnis ist entsprechend methodisch, weniger erzählerisch, und fordert langsames, prüfendes Mitgehen sowie die Bereitschaft, historische Fachsprache in ihrem damaligen Bedeutungsrahmen zu verstehen.
Ausgangspunkt ist eine entschiedene Kritik an den therapeutischen Gepflogenheiten der Zeit, etwa an ausgedehntem Aderlass, kräftigen Brech- und Abführmitteln oder schwer überschaubaren Mischrezepturen. Dem stellt Hahnemann ein Verfahren gegenüber, das sich auf die genaue Beobachtung individueller Symptome, auf systematische Arzneimittelprüfungen an Gesunden und auf die Anwendung des Ähnlichkeitsprinzips stützt, ergänzt durch Überlegungen zu Dosis, Verlaufskontrolle und ärztlicher Verantwortung. Das Organon versteht Krankheit nicht nur als Störung einzelner Teile, sondern als Herausforderung für die gesamte Heilkunst. So entsteht ein Programm, das Behandeln als geregeltes, schrittweise zu rechtfertigendes Handeln konzipiert und die Rolle des Arztes als sorgfältigen Prüfer betont.
Zentrale Themen durchziehen das Werk: die Priorität geordneter Erfahrung vor Autorität, die Individualisierung jeder Behandlung, die Zurückhaltung in der Dosis, die kritische Beobachtung des Verlaufs und die Idee einer die Gesamtheit des Organismus betreffenden Lebenskraft. Die Methodik der Prüfungen soll, so der Anspruch, Arzneiwirkungen beschreibbar und vergleichbar machen und dadurch Regeln des Handelns erzeugen. Gleichzeitig wahrt das Buch Distanz zu spekulativen Erklärungsmodellen, indem es auf beschreibbare Phänomene und reproduzierbare Schritte verweist. Diese Mischung aus Regelstrenge und Empirie, aus Skepsis gegenüber Überlieferung und Vertrauen in genaue Beobachtung, verleiht dem Organon seine anhaltende intellektuelle Spannung.
Heutige Leserinnen und Leser finden im Organon weniger ein unmittelbares Praxismanual als eine Quelle zur Geschichte medizinischer Methodik und Ethik, die Debatten um Evidenz, Risiko, Nebenwirkungen und Patientenzentrierung anstößt. Unabhängig von der Bewertung der Homöopathie als Therapieform eröffnet der Text Einblicke in Reformimpulse gegen iatrogene Schäden, in die Idee sparsamer Intervention und in die Verantwortung, Behandlungen nachvollziehbar zu begründen. Er fordert dazu auf, Begriffe zu klären, Beobachtungen sauber zu dokumentieren und therapeutische Schritte vor der Erfahrung zu rechtfertigen. Damit bleibt das Buch relevant als Anstoß zur Reflexion über Regeln, Grenzen und Begründungen ärztlichen Handelns.
Eine gewinnbringende Lektüre setzt daher historische Aufmerksamkeit und kritische Distanz voraus: Begriffe sind im damaligen Sinn zu nehmen, Argumente am inneren Aufbau zu prüfen und Beispiele als Bausteine eines methodischen Entwurfs zu verstehen. Hilfreich ist, das Organon als Einladung zur Debatte zu lesen, nicht als abgeschlossene Doktrin: als Versuch, Heilen regelhaft zu denken und Verantwortung im Tun zu verankern. Wer sich darauf einlässt, entdeckt ein Dokument, das die Medizingeschichte erhellt und zugleich Fragen an die Gegenwart richtet, wie sorgfältig, nachvollziehbar und maßvoll Therapie heute begründet und durchgeführt werden sollte und kann.
Das Organon der Heilkunst, erstmals 1810 veröffentlicht und von Samuel Hahnemann in mehreren Auflagen überarbeitet, legt in knappen Aphorismen ein Programm für eine reformierte Heilkunde vor. Ziel ist es, die ärztliche Praxis auf nachvollziehbare Grundsätze zu stützen und eine konsistente Methode zu etablieren, die Erfahrungen systematisch auswertet. Hahnemann wendet sich an praktizierende Ärztinnen und Ärzte und strukturiert sein Werk vom Zweck des Heilens über Begriffsbestimmungen bis zu konkreten Regeln der Behandlung. Die Abfolge der Argumentation führt den Leser von einer Grundsatzkritik über methodische Forderungen hin zu Handlungsanleitungen, die den gesamten therapeutischen Prozess betreffen.
Ausgangspunkt ist eine scharfe Kritik an damals verbreiteten Verfahren wie blutentziehenden und polypathischen Maßnahmen, die aus seiner Sicht krankheitsverschlimmernd wirken und auf spekulativen Theorien beruhen. Dem setzt Hahnemann ein Erfahrungsprinzip entgegen: Krankheiten sind für die praktische Medizin nicht verborgene Wesenheiten, sondern erfassbare Symptomgesamtheiten. Sie spiegeln Störungen einer Lebenskraft wider, die sich an Zeichen und Veränderungen des Organismus erkennen lassen. Daraus folge, dass die Heilkunde jene Veränderungen zuverlässig reproduzieren und wenden müsse, die eine geordnete Wiederherstellung bewirken. Die methodische Konsequenz ist eine empirische Umkehr vom Krankheitsnamen zur präzisen Beobachtung der individuellen Erscheinungen.
Kernstück des Organon ist das Ähnlichkeitsprinzip, nach dem ein Arzneimittel heilen soll, was es beim Gesunden hervorzurufen vermag. Um diese Beziehung zu begründen, fordert Hahnemann sogenannte Arzneiprüfungen an Gesunden, bei denen alle durch ein Mittel ausgelösten Symptome systematisch aufgezeichnet werden. Aus der Gesamtheit solcher Beobachtungen entsteht eine geordnete Materia medica, die es erlaubt, für jeden Krankheitsfall ein passendes Mittel nach dem Gleichnis der Symptome auszuwählen. Die therapeutische Entscheidung beruht damit nicht auf Krankheitskategorien, sondern auf der Übereinstimmung zwischen geprüfter Arzneiwirkung und der konkreten Symptomatik des einzelnen Patienten. Besondere, auffällige, eigenartige Zeichen erhalten dabei größeres Gewicht als allgemeine Beschwerden. So entsteht ein Kriterienkatalog für die feine Unterscheidung zwischen ähnlichen Mitteln.
Die Anamnese erhält im Organon einen zentralen Rang. Hahnemann beschreibt detailliert, wie die vollständige Symptomen-Totalität zu erheben ist: zeitliche Abfolge, Modalitäten der Beschwerden, Begleitphänomene, Gemüts- und Allgemeinsymptome sowie auffällige Eigenheiten. Beobachtungsdisziplin und Genauigkeit sollen subjektive Eindrücke zügeln und Wiederholbarkeit erlauben. Die ärztliche Aufgabe besteht darin, das Wesentliche von Zufälligem zu trennen und ein charakteristisches Profil zu gewinnen, das als Schlüssel zur Mittelwahl dient. Daraus erwächst ein Konflikt mit schablonenhaften Routinen: Nicht das gängige Schema, sondern die individuelle Nuance entscheidet. Die Dokumentation bildet die Grundlage für spätere Überprüfung und Lehre. Der Patient wird als wichtigste Quelle der Daten ernst genommen, doch Beobachtungsfehler sollen durch strukturierte Befragung minimiert werden.
Konsequent fordert Hahnemann die Gabe eines einzelnen, einfachen Mittels in der kleinstmöglichen wirksamen Dosis. Die Herstellung durch Verdünnung und kräftiges Verschütteln soll die dynamische Arzneikraft entfalten und Nebenwirkungen mindern. Er legt Regeln zur Dosierung, zur Beobachtung möglicher Erstreaktionen und zur Wiederholung der Gabe fest, mit dem Ziel, die Heilung sanft, schnell und dauerhaft zu fördern. Mehrere Mittel gleichzeitig gelten als störend für die Beurteilung des Verlaufs. Die Dosologie wird als Kunst der Feinabstimmung verstanden, bei der jede Veränderung der Symptome Anlass zur vorsichtigen Anpassung, nicht zur übereilten Umsteuerung sein soll.
Auf die Methodik folgen Ausführungen zur Führung von Krankheitsfällen. Hahnemann unterscheidet akute von langwierigen Leiden, warnt vor bloß palliativem Unterdrücken von Symptomen und beschreibt, wie Diätetik, Lebensordnung und Umgebungsfaktoren als Heilungshindernisse oder -förderer wirken können. Für kollektive Erkrankungen empfiehlt er, das gemeinsame Bild einer Epidemie zu erfassen und daran orientiert auszuwählen. Er betont die Kontinuität der Beobachtung zwischen den Konsultationen und die Pflicht, falsche Einflüsse zu minimieren, um den Arzneieffekt klar beurteilen zu können. Die Praxis wird somit als gesteuerter Lernprozess dargestellt, in dem jede Intervention rückgekoppelt wird. Therapeutische Pausen und Veränderungen des Regimes werden nur nach nachvollziehbaren Kriterien eingeleitet.
Spätere Auflagen präzisieren zahlreiche Anweisungen, doch der Kern bleibt: Heilung erfolgt durch individuelle Ähnlichkeit, geprüfte Mittel und maßvolle Dosierung. Das Organon wirkt als Grundlagenschrift der Homöopathie und prägte Debatten über Empirie, Patientenzentrierung und medizinische Methodik. Befürworter sehen darin eine kohärente Alternative zur damaligen Schulmedizin, Kritiker bemängeln Theorie und Evidenzbasis. Unabhängig von der Position markiert das Werk eine nachhaltige Verschiebung des Blicks auf Krankheitsbeobachtung und therapeutische Entscheidungsfindung. Seine übergeordnete Aussage ist die Forderung nach einer regelgeleiteten, erfahrungsfundierten und möglichst schonenden Heilkunst, deren Anspruch auf Prüfbarkeit den klinischen Alltag normieren soll. Diese Wirkung reicht über den engeren Kontext der Homöopathie hinaus.
Das Organon der Heilkunst entstand im deutschsprachigen Raum der Jahrzehnte um 1800, einer Epoche politischer Zersplitterung, napoleonischer Kriege und akademischer Reformen. Prägend waren Universitäten wie Leipzig, Erlangen und Wien, medizinische Fakultäten mit staatlicher Aufsicht sowie Zünfte und Kollegien der Apotheker. Die Medizinalpolizei nach Johann Peter Frank regelte Ausbildung, Praxis und Arzneiherstellung. Druckereien, gelehrte Zeitschriften und neue Verlagsnetze beschleunigten den Austausch medizinischer Kontroversen. Vor diesem Hintergrund suchten Ärzte nach verlässlichen Regeln der Therapie, stritten über Autorität und Erfahrung und verhandelten das Verhältnis zwischen universitärer Medizin, Apothekenwesen und dem wachsenden Markt für Heilmittel.
Die Medizin der Zeit war von sogenannten heroischen Maßnahmen wie Aderlass, Brech- und Abführmitteln geprägt, zugleich von Bemühungen um Systematik. Nosologen wie William Cullen ordneten Krankheiten, während John Brown Reiztheorien verbreitete. Die Chemie erlebte seit Lavoisier eine methodische Neuorientierung; Pharmakopöen sollten Zusammensetzungen vereinheitlichen. 1796 führte Edward Jenner die Pockenimpfung ein, die europaweit diskutiert und sukzessive eingeführt wurde. Epidemien, Kriegsverwundungen und städtisches Wachstum forderten das Gesundheitswesen heraus. Viele Ärzte bemängelten unklare Wirkungen gebräuchlicher Arzneien. In diesem Feld aus therapeutischer Unsicherheit, Reformansprüchen und wachsendem Datenverkehr positionierte sich Samuel Hahnemann mit einer konsequenten Methodenforderung.
Samuel Hahnemann, 1755 in Meißen geboren, studierte Medizin in Leipzig und zeitweise in Wien und promovierte 1779 in Erlangen. Früh arbeitete er als Übersetzer medizinischer und chemischer Werke und publizierte eigene Beiträge zur Pharmazie. 1790 beschrieb er in Leipzig bei der Übersetzung von Cullens Lehrbuch eine Selbstbeobachtung mit Chinarinde, die ihn zum Ähnlichkeitsgedanken führte. 1796 formulierte er diesen Ansatz im Hufeland’schen Journal. 1805 legte er mit den Fragmenta de viribus medicamentorum erste systematische Prüfungen am Gesunden vor. Ab 1811 erschien seine Reine Arzneimittellehre, die Beobachtungen aus Prüfungen und Kasuistik sammelte und die Grundlage für spätere Lehrsätze bildete.
1810 veröffentlichte Hahnemann in Torgau die erste Auflage des Organon (anfangs: Organon der rationellen Heilkunde). Der Titel knüpfte bewusst an methodische Werkzeuge der Erkenntnis an. Das Buch ordnete seine Lehre systematisch: die Regel Similia similibus curentur, Arzneimittelprüfungen am Gesunden, die Gabe eines einzelnen, möglichst niedrig dosierten Mittels, sorgfältige Anamnese und Beobachtung. Zugleich übte es scharfe Kritik an verbreiteten Eingriffen wie Aderlass und Mischrezepturen. Das Organon verstand sich als Anleitung zur ärztlichen Praxis, die Regelhaftigkeit und Erfahrung verbinden wollte und damit an Debatten über Empirie, Normierung und Verantwortung im Heilswesen anschloss.
Die Etablierung der neuen Lehre traf auf bestehende Ordnungen. 1812 erhielt Hahnemann die Lehrbefugnis in Leipzig und unterrichtete dort bis zum Konflikt mit der Apothekerschaft. Ein sächsisches Urteil von 1820 untersagte ihm die eigenständige Arzneibereitung, worauf er 1821 nach Köthen wechselte; ein landesherrliches Privileg erlaubte ihm dort die Praxis samt Dispensation. In dieser Phase erschienen weitere Organon-Auflagen: 1819, 1824, 1829 und 1833, jeweils erweitert und kommentiert. Mit Zeitschriften wie dem seit 1822 von Ernst Stapf herausgegebenen Archiv für die homöopathische Heilkunst bildete sich ein Netzwerk von Schülern, Korrespondenten und klinischen Fallberichten.
Europa erlebte zugleich dramatische Gesundheitskrisen. Nach den Napoleonischen Kriegen grassierte 1813 Typhus, und 1831 erreichte die erste Cholerapandemie Mitteleuropa. Hahnemann reagierte mit Broschüren und Rundschreiben, etwa 1831 mit Empfehlungen zu Kampfer sowie weiteren Mitteln, und verwies auf kasuistische Beobachtungen. Behörden experimentierten mit Quarantänen, Desinfektionsmaßnahmen und Meldepflichten; Debatten über Miasmen und Ansteckung bestimmten die Öffentlichkeit. Das Organon bot in diesem Kontext ein streng gegliedertes therapeutisches Verfahren, das Individualisierung und systematisches Vorgehen propagierte. Es spiegelte damit die Suche der Zeit nach verlässlichen Regeln inmitten unvollständiger wissenschaftlicher Erklärungen und administrativer Reformen. Zeitgenössische Ärzte diskutierten Wirksamkeitsnachweise in Kliniken und Armenanstalten.
1835 zog Hahnemann nach Paris, wo er mit behördlicher Genehmigung praktizierte und bis zu seinem Tod 1843 wirkte. Von Köthen und Paris aus pflegte er europaweite Korrespondenzen. Das Organon wurde früh ins Französische übersetzt (Organon de l’art de guérir, 1824) und fand in den 1830er und 1840er Jahren Aufnahme in Vereinen, Hospitälern auf Probe und Zeitschriften in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Debatten in medizinischen Gesellschaften, Gutachten von Behörden und Kontroversen in Tageszeitungen begleiteten die Ausbreitung. Die Schrift fungierte als verbindlicher Referenztext, an dem sich Anhänger wie Kritiker gleichermaßen abarbeiteten.
Als zeitgenössischer Kommentar bündelte das Organon Zweifel an überlieferten Eingriffen, das Bedürfnis nach methodischer Disziplin und den Anspruch auf ärztliche Verantwortung gegenüber dem Einzelnen. Es trug zur Professionalisierung einer dissidenten Strömung bei, indem es Lehrsätze, Fallführung und Praxisregeln kodifizierte. Hahnemann überarbeitete den Text fortlaufend; die sechste Auflage, 1842 abgeschlossen und 1921 postum veröffentlicht, führte unter anderem die sogenannten Q- bzw. LM‑Potenzen aus. Unabhängig von Bewertungen seiner Wirksamkeitslehre markiert das Werk eine prägnante Setzung in der Medizin der Moderne: die Forderung nach klaren Prinzipien inmitten pluraler, konkurrierender therapeutischer Programme. Damit wurde es zu einem identitätsstiftenden Bezugspunkt der entstehenden Homöopathiebewegung.
»Organon der rationellen Heilkunde«.
Kein Geschäft ist nach dem Geständnisse aller Zeitalter einmüthiger für eine Vermuthungskunst (ars conjecturalis[1]) erklärt worden, als die Arzneikunst; keine kann sich daher einer prüfenden Untersuchung, ob sie Grund habe, weniger entziehen, als sie, auf welcher das theuerste Gut im Erdenleben, Menschengesundheit sich stützt.
Ich rechne mirs zur Ehre, in neuern Zeiten der einzige gewesen zu seyn, welcher eine ernstliche, redliche Revision derselben angestellt, und die Folgen seiner Ueberzeugung theils in namenlosen, theils in namentlichen Schriften dem Auge der Welt vorgelegt hat.
Bei diesen Untersuchungen fand ich den Weg zur Wahrheit, den ich allein gehen mußte, sehr weit von der allgemeinen Heerstraße der ärztlichen Observanz abgelegen. Je weiter ich von Wahrheit zu Wahrheit vorschritt, destomehr entfernten sich meine Sätze, deren keinen ich ohne Erfahrungsüberzeugung gelten ließ, von dem alten Gebäude, was aus Meinungen zusammengesetzt, sich nur noch durch Meinungen erhielt.
Die Resultate meiner Ueberzeugungen liegen in diesem Buche[1q].
Es wird sich zeigen, ob Aerzte, die es redlich mit ihrem Gewissen und der Menschheit meinen, nun noch ferner dem heillosen Gewebe der Vermuthungen und Willkürlichkeiten anhängen, oder der heilbringenden Wahrheit die Augen öffnen können.
Soviel warne ich im Voraus, daß Indolenz, Gemächlichkeit und Starrsinn vom Dienste am Altare der Wahrheit ausschließt, und nur Unbefangenheit und unermüdeter Eifer zur heiligsten aller menschlichen Arbeiten fähigt, zur Ausübung der wahren Heilkunde. Der Heilkünstler in diesem Geiste aber schließt sich unmittelbar an die Gottheit, an den Weltenschöpfer an, dessen Menschen er erhalten hilft, und dessen Beifall sein Herz dreimal beseligt.
Die alte Medicin (Allöopathie[5]), um Etwas im Allgemeinen über dieselbe zu sagen, setzt bei Behandlung der Krankheiten theils (nie vorhandne) Blut-Uebermenge (plethora[2]), theils Krankheits-Stoffe und Schärfen voraus, läßt daher das Lebens-Blut abzapfen und bemüht sich die eingebildete Krankheits-Materie theils auszufegen, theils anderswohin zu leiten (durch Brechmittel, Abführungen, Speichelfluß, Schweiß und Harn treibende Mittel, Ziehpflaster, Vereiterungs-Mittel, Fontanelle, u.s.w.), in dem Wahne die Krankheit dadurch schwächen und materiell austilgen zu können, vermehrt aber dadurch die Leiden des Kranken und entzieht so, wie auch durch ihre Schmerzmittel, dem Organism die zum Heilen unentbehrlichen Kräfte und Nahrungs-Säfte. Sie greift den Körper mit großen, oft lange und schnell wiederholten Gaben starker Arznei an, deren langdauernde, nicht selten fürchterliche Wirkungen sie nicht kennt, und die sie, wie es scheint, geflissentlich unerkennbar macht durch Zusammenmischung mehrer solcher ungekannter Substanzen in eine Arzneiformel, und bringt so, durch langwierigen Gebrauch derselben neue, noch zum Theil unaustilgbare Arznei-Krankheiten dem kranken Körper bei. Sie verfährt auch, wo sie nur kann, um sich bei dem Kranken beliebt zu erhalten1, mit Mitteln, welche die Krankheits-Beschwerden durch Gegensatz (contraria contrariis[3]) zwar sogleich auf kurze Zeit unterdrücken und bemänteln (Palliative) aber den Grund zu diesen Beschwerden (die Krankheit selbst) verstärkt und verschlimmert hinterlassen. Sie hält die, an den Außentheilen des Körpers befindlichen Uebel, fälschlich für bloß örtlich, und da allein für sich bestehend, und wähnt sie geheilt zu haben, wenn sie dieselben durch äußere Mittel weggetrieben, so daß das innere Uebel nun schlimmer an einer edlern und bedenklichern Stelle auszubrechen genöthigt wird. Wenn sie weiter nicht weiß, was sie mit der nicht weichenden oder sich verschlimmernden Krankheit anfangen soll, unternimmt die alte Arzneischule wenigstens, dieselbe blindhin durch ein von ihr so genanntes alterans zu verändern, z.B. mit dem das Leben unterminirenden Calomel, Aetzsublimat, und mit andern heftigen Mitteln in großen Gaben.
Es scheint das unselige Hauptgeschäft der alten Medicin zu sein, die Mehrzahl der Krankheiten, die langwierigen, durch fortwährendes Schwächen und Quälen des ohnehin schon an seiner Krankheitsplage leidenden, schwachen Kranken und durch Hinzufügung neuer, zerstörender Arzneikrankheiten, wo nicht tödtlich, doch wenigstens unheilbar zu machen, – und, wenn man dies verderbliche Verfahren einmal am Griffe hat, und gegen die Mahnungen des Gewissens gehörig unempfindlich geworden, ist dieß ein sehr leichtes Geschäft!
Und doch hat für alle diese schädlichen Operationen, der gewöhnliche Arzt alter Schule seine Gründe vorzubringen, die aber nur auf Vorurtheilen seiner Bücher und Lehrer beruhen, und auf Autorität dieses oder jenes gepriesenen Arztes alter Schule. Auch die entgegengesetztesten und widersinnigsten Verfahrungs-Arten, finden da ihre Vertheidigung, ihre Autorität – der verderbliche Erfolg mag auch noch so sehr dagegen sprechen. Nur dem, von der Verderblichkeit seiner sogenannten Kunst, nach vieljährigen Uebelthaten, im Stillen endlich überzeugten, alten Arzte, der nur noch mit, zu Wegbreit-Wasser gemischtem Erdbeer-Sirup (d.i. mit Nichts) selbst die schwersten Krankheiten behandelt, verderben und sterben noch die Wenigsten.
Diese Unheilkunst, welche seit einer langen Reihe von Jahrhunderten in dem Vorrechte und der Macht, über Leben und Tod der Kranken nach Willkühr und Gutdünken zu verfügen, wie eingemauert fest sitzt und seitdem einer, wohl zehnmal größeren Anzahl von Menschen das Lebensziel verkürzte, als es je die verderblichsten Kriege gethan, und viele Millionen Kranke kränker und elender machte, als sie ursprünglich waren – diese Allöopathie habe ich in der Einleitung zu den vorigen Ausgaben dieses Buches näher beleuchtet. Jetzt werde ich bloß ihren geraden Gegensatz, die von mir entdeckte (nun etwas mehr vervollkommnete), wahre Heilkunst vortragen2. Mit dieser (der Homöopathik[6]) ist es ganz anders[2q]. Sie kann jeden Nachdenkenden leicht überzeugen, daß die Krankheiten der Menschen auf keinem Stoffe, keiner Schärfe, d.i. auf keiner Krankheits-Materie beruhen, sondern daß sie einzig geistartige (dynamische) Verstimmungen der geistartigen, den Körper des Menschen belebenden Kraft (des Lebensprincips, der Lebenskraft) sind. Die Homöopathik weiß, daß Heilung nur durch Gegenwirkung der Lebenskraft gegen die eingenommene, richtige Arznei erfolgen kann, eine um desto gewissere und schnellere Heilung, je kräftiger noch beim Kranken seine Lebenskraft vorwaltet. Die Homöopathik vermeidet daher selbst die mindeste Schwächung3, auch möglichst jede Schmerz-Erregung, weil auch Schmerz die Kräfte raubt, und daher bedient sie sich zum Heilen bloß solcher Arzneien, deren Vermögen das Befinden (dynamisch) zu verändern und umzustimmen, sie genau kennt und sucht dann eine solche heraus, deren Befinden verändernde Kräfte (Arzneikrankheit) die vorliegende natürliche Krankheit durch Aehnlichkeit (similia similibus[4]) aufzuheben im Stande sind, und giebt dieselbe einfach, in feinen Gaben (so klein, daß sie, ohne Schmerz oder Schwächung zu verursachen, eben zureichen, das natürliche Uebel aufzuheben) dem Kranken ein; wovon die Folge: daß ohne ihn im Mindesten zu schwächen oder zu peinigen und zu quälen, die natürliche Krankheit ausgelöscht wird und der Kranke schon während der Besserung von selbst bald erstarkt und so geheilt ist – ein zwar leicht scheinendes, doch sehr nachdenkliches, mühsames, schweres Geschäft, was aber die Kranken in kurzer Zeit, ohne Beschwerde und völlig zur Gesundheit herstellt – und so ein heilbringendes und beseeligendes Geschäft wird.
Hienach ist die Homöopathik eine ganz einfache, sich stets in ihren Grundsätzen so wie in ihrem Verfahren gleichbleibende Heilkunst. Wie die Lehre auf der sie beruht, erscheint sie, wohl begriffen, in sich völlig abgeschlossen und dadurch allein hülfreich. Gleiche Reinheit in der Lehre wie in der Ausübung, sollten sich von selbst verstehn und jede Rückverirrung in den verderblichen Schlendrian der alten Schule, (deren Gegensatz sie, wie die Nacht der Gegensatz des Tages ist) völlig aufhören, sich mit dem ehrwürdigen Namen Homöopathik zu brüsten.
Paris, Ende Februar 1842.
Samuel Hahnemann.
Fußnoten:
1 Zu gleicher Absicht erdichtet der gewandte Allöopath vor allen Dingen einen bestimmten, am liebsten griechischen Namen für das Uebel des Kranken, um ihn glauben zu machen, er kenne diese Krankheit schon lange, wie einen alten Bekannten, und sey daher am besten im Stande sie zu heilen.
2 Vorher wird man Beispiele angeführt finden, zum Beweise, daß wenn man in ältern Zeiten hie und da auffallende Heilungen verrichtete, es immer durch Mittel geschah, die der damals eingeführten Therapie zuwider, dem Arzte von ungefähr in die Hände gerathen, im Grunde aber homöopathisch waren.
3 Homöopathik vergießt nie einen Tropfen Blutes, giebt nicht zu brechen, purgiren, laxiren oder Schwitzen, vertreibt kein äußeres Uebel durch äußere Mittel, verordnet keine heiße oder ungekannte Mineral-Bäder oder Arznei enthaltende Klystiere, setzt keine spanischen Fliegen oder Senfpflaster, keine Haarseile, keine Fontanelle, erregt keinen Speichelfluß, brennt nicht mit Moxa oder Glüheisen bis auf die Knochen u. dgl., sondern sie giebt mit eigner Hand nur selbst bereitete, einfache Arznei, die sie genau kennt und keine Gemische, stillt nie Schmerz mit Opium, u.s.w.
Hinblick auf das bisherige Mediciniren, Allöopathie und Palliativ-Curen der bisherigen alten Arzneischule.
So lange es Menschen gab, waren sie auch einzeln, oder in Menge Erkrankungen ausgesetzt von physischen oder moralischen Ursachen her. Im noch rohen Naturzustande bedurfte man der Hülfsmittel wenige, da die einfache Lebensweise wenige Krankheiten zuließ; mit der Bildung der Menschen im Staate wuchsen die Veranlassungen zum Erkranken und das Bedürfniß von Hülfe dagegen, in gleichem Maße. Aber von da an (bald nach Hippokrates, also seit drittehalb Tausend Jahren) gaben sich Menschen mit Behandlung der sich mehr und mehr vervielfältigten Krankheiten ab, die diese Hülfe mit dem Verstande und mit Vermuthungen auszuklügeln sich von ihrer Eitelkeit verführen ließen. Unzählige, verschiedene Ansichten über die Natur der Krankheiten und ihrer Abhülfe entsprangen aus den so verschiedenen Köpfen und das theoretisch von ihnen Ausgeheckte hießen sie Systeme (Gebäude) wovon jedes den übrigen und sich selbst widersprach. Jede dieser spitzfindigen Darstellungen setzte Anfangs die Leser in ein betäubendes Erstaunen ob der unverständlichen Weisheit drin und zog dem System-Erbauer eine Menge, die naturwidrige Klügelei nachbetender Anhänger zu, deren keiner jedoch etwas davon zum bessern Heilen brauchen konnte, bis ein neues, dem erstem oft ganz entgegengesetztes System jenes verdrängte und sich wieder auf kurze Zeit, Ruf verschaffte. Keines aber war mit Natur und Erfahrung im Einklange; es waren theoretische Gewebe feiner Köpfe aus angeblichen Consequenzen, die in der Ausübung, im Handeln am Krankenbette, ihrer Subtilität und Naturwidrigkeit wegen nicht gebraucht werden konnten und nur zu leeren Disputir-Uebungen taugten.
Nebenbei bildete sich, von allen diesen Theorien unabhängig, ein Cur-Wesen mit ungekannten, gemischten Arzneisubstanzen gegen willkührlich aufgestellte Krankheits-Formen, nach materiellen Hinsichten eingerichtet, mit Natur und Erfahrung im Widerspruche, begreiflich daher schlechten Erfolgs – alte Medicin, Allöopathie genannt.
Ohne die Verdienste zu verkennen, welche viele Aerzte um die Hülfswissenschaft der Medicin, um die Naturkenntnisse in der Physik und der Chemie, um die Naturgeschichte in ihren verschiedenen Zweigen und der des Menschen im Besondern, um die Anthropologie, Physiologie und Anatomie u.s.w. sich erwarben, habe ich es hier nur mit dem praktischen Theile der Medicin, mit dem Heilen selbst zu thun, um zu zeigen, wie die Krankheiten bisher so unvollkommen behandelt wurden.
Tief jedoch liegt unter mir jener handwerksmäßige Schlendrian, das kostbare Menschenleben nach Recepttaschenbüchern zu kuriren, deren noch fortwährende Erscheinung im Publikum, leider, noch immer ihren häufigen Gebrauch erweiset. Ich lasse sie als Skandale der Hefe des gemeinen Arztvolkes ganz unberücksichtigt. Ich rede bloß von der bisherigen Arzneikunst, die sich wissenschaftlich dünkt, eingebildet auf ihre Alterthümlichkeit.
Diese alte Arzneischule bildete sich viel darauf ein, vorgeben zu können, daß sie allein den Namen »rationelle Heilkunst« verdiene, weil sie allein die Ursache der Krankheit aufsuche und hinwegzuräumen sich bemühe, auch nach dem Vorgange der Natur in Krankheiten verfahre.
Tolle causam! ruft sie wiederholt. Aber bei diesem leeren Rufe blieb es. Sie wähnten nur, die Krankheits-Ursache finden zu können, fanden sie aber nicht, da sie nicht erkennbar und nicht zu finden ist. Denn da die meisten, ja die allermeisten Krankheiten dynamischen (geistartigen) Ursprungs und dynamischer (geistartiger) Natur sind, ihre Ursache also nicht sinnlich zu erkennen ist, so waren sie beflissen, sich eine zu erdenken, und aus der Ansicht der Theile des normalen, todten, menschlichen Körpers (Anatomie), verglichen mit den sichtbaren Veränderungen dieser inneren Theile an Krankheiten verstorbener Menschen (pathologische Anatomie), so wie aus dem, was aus der Vergleichung der Erscheinungen und Funktionen im gesunden Leben (Physiologie) mit den unendlichen Abweichungen derselben in den unzählichen Krankheitszuständen (Pathologie, Semiotik) sich zu ergeben schien, Schlüsse auf den unsichtbaren Vorgang der Veränderungen im innern Wesen des Menschen bei Krankheiten zu ziehen – ein dunkles Phantasiebild, was die theoretische Medicin für ihre prima causa morbi1 hielt, die dann die nächste Ursache der Krankheit und auch zugleich das innere Wesen der Krankheit, die Krankheit selbst, sein sollte – obgleich, nach dem gesunden Menschenverstande, die Ursache eines Dinges oder eines Ereignisses nie zugleich das Ding oder das Ereigniß selbst sein kann. Wie konnten sie nun, ohne Selbsttäuschung, dieß unerkennbare, innere Wesen zum Heilgegenstande machen und dagegen Arzneien verordnen, deren Heiltendenz ihnen ebenfalls grösstentheils unbekannt war, und zwar mehre solch ungekannte Arzneien zusammen gemischt in sogenannten Recepten?
Doch lösete sich dieß sublime Projekt, eine innere, unsichtbare, apriorische Krankheitsursache zu finden, wenigstens bei den sich klüger dünkenden Aerzten alter Schule, in ein, freilich auch aus den Symptomen hergeleitetes Aufsuchen derselben auf, was etwa muthmaßlich als der generelle Charakter des gegenwärtigen Krankheitsfalles anzunehmen sei2? ob Krampf? oder Schwäche? oder Lähmung? oder Fieber? oder Entzündung? oder Verhärtung? oder Infarkten dieses oder jenes Theils? oder Blut-Uebermenge (Plethora)? Mangel oder Uebermaß an Sauer-, Kohlen-, Wasser- oder Stickstoff in den Säften? gesteigerte oder gesunkene Arteriollität, oder Venosität, oder Capillarität? relatives Verhältniß der Faktoren der Sensibilität, Irritabilität, oder Reproduktion? – Muthmaßungen, welche, von der bisherigen Schule mit dem Namen: Causal-Indication beehrt und für die einzig mögliche Rationalität in der Medicin gehalten, allzu trügliche, hypothetische Annahmen waren, als daß sie sich praktisch brauchbar hätten bewähren können – unfähig, selbst wenn sie gegründet hätten sein können, oder gewesen wären, das treffendste Heilmittel für den Krankheits-Fall anzuzeigen, zwar der Eigenliebe des gelehrten Erdenkers wohl schmeichelnd, im darnach Handeln aber meist irre führend, und womit es mehr auf Ostentation, als auf ernstliche Findung der Heil-Indication angelegt war.
Und wie oft schien nicht z.B. in dem einen Theile des Organismus Krampf oder Lähmung zu sein, während in einem andern Theile anscheinend Entzündung statt fand!
Oder wo sollten, auf der andern Seite, die für jeden dieser angeblichen, allgemeinen Charaktere sicher helfenden Arzneien herkommen? Die sicher helfenden hätten doch wohl keine andern als die specifischen sein können, d.i. dem Krankheits-Reize in ihrer Wirkung homogene3 Arzneien, deren Gebrauch aber von der alten Schule als höchst schädlich verboten4 und verpönt war, weil die Beobachtung gelehrt hatte, daß, bei der in Krankheiten so hoch gesteigerten Receptivität für homogene Reize, solche Arzneien in den hergebrachten, großen Gaben lebensgefährlich sich erwiesen hatten. Von kleinern Gaben aber und höchst kleinen hatte die alte Schule keine Ahnung. Also auf geradem (natürlichstem Wege durch homogene, specifische Arzneien durfte nicht geheilt werden, konnte auch nicht, da die meisten Wirkungen der Arzneien unbekannt waren und blieben, und wären sie auch bekannt, doch nie bei solchen generalisirenden Ansichten das treffende Heilmittel zu errathen möglich wäre.
Doch glaubte die bisherige Arzneischule, weil's ihr doch wohl verständiger deuchtete, wo möglich einen andern, geraden Weg zu suchen, als Umwege einzuschlagen schlagen, noch Krankheiten direkt aufzuheben durch Wegschaffung der (angeblichen) materiellen Krankheits-Ursache – denn der gewöhnlichen Arzt-Schule war es fast unmöglich, sich bei Ansicht und Beurtheilung einer Krankheit und eben so wenig bei Aufsuchung der Cur-Indication von diesen materiellen Begriffen loszumachen und die Natur des geistig-körperlichen Organism's für ein so hoch potenzirtes Wesen anzuerkennen, daß die Abänderungen seines Lebens in Gefühlen und Thätigkeiten, die man Krankheiten nennt, hauptsächlich, ja fast einzig durch dynamische (geistartige) Einwirkungen bedingt und bewirkt werden könnten.
Durchaus sah die bisherige Schule jene durch die Krankheit veränderten Stoffe, die turgescirenden sowohl, als die sich absondernden, innormalen Stoffe für Krankheits-Erreger, wenigstens, wegen ihrer angeblichen Rückwirkung, als Krankheits-Unterhalter an und thut letzteres bis auf diese Stunde noch.
Daher wähnte sie Causal-Curen zu verrichten, indem sie diese eingebildeten und vorausgesetzten, materiellen Ursachen der Krankheit hinwegzuschaffen sich bemühte. Daher ihr emsiges Fortschaffen der Galle durch Erbrechen bei gallichten Fiebern, ihre Brechmittel bei sogenannten Magen-Verderbnissen5, ihr fleißiges Auspurgiren des Schleims, der Spul- und Madenwürmer bei der Gesichts-Blässe, der Eß-Gier, dem Leibweh und den dicken Bäuchen der Kinder6 ihr Aderlassen bei Blutflüssen7, und vorzüglich alle Arten der Blut-Entziehungen8 als ihres Haupt-Indikats bei Entzündungen, die sie jetzt, eines bekannten Pariser blutgierigen Arztes Vorgange (wie die Schafe dem Leithammel selbst in die Hände des Schlächters) folgend, fast in jedem krankhaft afficirten Theile des Körpers anzutreffen und durch eine oft tödtliche Zahl Blutegel entfernen zu müssen wähnt. Auf diese Weise glaubt sie ächte Causal-Indicationen zu befolgen und rationell zu kuriren. Ferner glaubt auch die alte, bisherige Arzneischule durch Abbindung von Polypen, durch Ausschneidung, oder mittels erhitzender Local-Mittel erkünstelte Vereiterung der kalten Drüsen-Geschwülste, durch Ausschälung der Balg-(Speck-Honig-)Geschwülste, durch Operationen der Pulsader-Geschwülste, der Thränen- und Mastdarm-Fisteln, durch Entfernung der skirrhösen Brust mittels des Schnitts, der Amputation eines knochenfräßigen Gliedes, u.s.w., den Kranken gründlich geheilt und Causal-Curen verrichtet zu haben, und glaubt es auch, wenn sie ihre Repellentia in Anwendung bringt, die alten, jauchenden Schenkel-Geschwüre (allenfalls mit Beihülfe gleichzeitiger, das Grund-Siechthum nicht mindernder, bloß schwächender Abführungs-Mittel) durch adstringende Umschläge, durch Blei-, Kupfer- und Zink-Oxyde austrocknet, den Schanker wegbeizt, die Feigwarzen örtlich zerstört, die Krätze mit Salben von Schwefel, Blei-, Quecksilber- oder Zink-Oxyden von der Haut vertreibt, die Augen-Entzündungen mit Auflösungen von Blei oder Zink unterdrückt und durch Opodeldok, flüchtige Salbe, oder Räucherungen mit Zinnober oder Bernstein die ziehenden Schmerzen aus den Gliedmaßen verjagt; sie glaubt da überall das Uebel gehoben, die Krankheit besiegt und rationelle Causal-Curen ausgeführt zu haben. Aber der Erfolg! die darauf, bald oder spät, doch unausbleiblich erscheinenden Metaschematismen, die sie dadurch veranlaßt (doch dann für neue Krankheiten ausgiebt), welche allemal schlimmer, als das erstere Uebel sind, widerlegen sie zur Genüge und könnten und sollten ihr die Augen öffnen über die tiefer liegende, immaterielle Natur des Uebels und seinen dynamischen (geistartigen), bloß dynamisch zu hebenden Ursprung.
Ueberhaupt setzte die gewöhnliche Schule bis in die neuern (möchte ich doch nicht sagen dürfen, neuesten!) Zeiten bei Krankheiten am liebsten, wenn auch noch so fein gedachte, Krankheits-Stoffe (und Schärfen) voraus, welche durch Ausdünstung und Schweiß, durch die Harn-Werkzeuge, oder auch durch die Speichel-Drüsen aus den Blut- und Lymphgefäßen, durch die Luftröhr- und Bronchial-Drüsen als Brust-Auswurf, aus dem Magen und dem Darm-Kanale durch Erbrechungen und Abführungen fortgeschafft werden müßten, damit der Körper von der materiellen, Krankheit erregenden Ursache gereinigt und so eine gründliche Causal-Cur vollführt werden könne.
Durch eingeschnittene Oeffnungen am kranken Körper, die sie Jahre lang durch eingelegte fremde Substanzen in langwierige Geschwüre verwandelte, (Fontanelle, Haarseile), wollte sie die materia peccans[7] aus dem (stets nur dynamisch) siechen Körper abzapfen, wie man aus Fässern schmutzige Feuchtigkeit aus dem Zapfloche laufen läßt. Auch durch perpetuirliche Canthariden-Pflaster und Seidelbast beabsichtigte sie, die bösen Säfte abzuziehen und von allem Krankheitsstoffe zu reinigen – schwächte aber nur durch alle diese unbesonnenen, naturwidrigen Veranstaltungen den kranken Körper gewöhnlich bis zur Unheilbarkeit.
Ich gebe zu, daß es der menschlichen Schwäche bequemer war, bei den zu heilenden Krankheiten einen sinnlich denkbaren Krankheitsstoff anzunehmen (zumal da auch die Patienten selbst sich leicht einer solchen Vorstellung hingaben), weil man dann auf nichts weiter Bedacht zu nehmen hatte, als wo man genug, Blut und Säfte reinigende, Harn und Schweiß treibende, Brust-Auswurf befördernde und Magen und Darm ausscheuernde Mittel hernähme. Daher steht vom Dioscorides an, in allen materiis medicis bis auf die neuern Bücher dieser Art, fast nichts von den einzelnen Arzneien angemerkt, was jeder ihre specielle, eigentliche Wirkung sei, sondern, außer den Angaben von ihrem vermeintlichen Nutzen gegen diesen oder jenen Krankheits-Namen der Pathologie, bloß: ob sie Harn, Schweiß, Brust-Auswurf oder Monat-Reinigung befördere, und vorzüglich, ob sie Ausleerung aus dem Speise- und Darm-Kanale von oben oder unten bewirke, weil alles Dichten und Trachten der praktischen Aerzte von jeher vorzüglich auf Ausleerung eines materiellen Krankheits-Stoffs und mehrer, den Krankheiten zum Grunde liegen sollender, (fingirter) Schärfen gerichtet war.
Dieß waren aber alles eitel Träume, ungegründete Voraussetzungen und Hypothesen, klüglich ersonnen zur Bequemlichkeit der Therapie, welche am leichtesten mit der Heilung durch Hinwegschaffung materieller Krankheits-Stoffe (si modo essent!) fertig zu werden hoffte.
Nun kann sich aber das Wesen der Krankheiten und ihre Heilung nicht nach solchen Träumen oder nach der Aerzte Bequemlichkeit richten; die Krankheiten können jenen thörichten, auf Nichts gegründeten Hypothesen zu gefallen nicht aufhören, (geistige) dynamische Verstimmungen unseres geistartigen Lebens in Gefühlen und Thätigkeiten, das ist, immaterielle Verstimmungen unsers Befindens zu sein.
Materiell können die Ursachen unserer Krankheiten nicht seyn, da die mindeste fremdartige materielle Substanz9, sie scheine uns auch noch so mild, in unsere Blutgefäße gebracht, plötzlich, wie ein Gift, von der Lebenskraft ausgestoßen wird, oder, wo dieß nicht angeht, den Tod zur Folge hat. Selbst wenn der mindeste Splitter in unsere empfindlichen Teile geräth, so ruht das in unserm Körper allgegenwärtige Lebensprincip nicht eher, bis er durch Schmerz, Fieber, Eiterung oder Brand wieder herausgeschafft worden ist. Und dieß unermüdlich thätige Lebensprincip sollte, z.B. bei einer zwanzig Jahr alten Ausschlags-Krankheit zwanzig Jahre lang einen fremdartigen, so feindseligen, materiellen Ausschlags-Stoff, eine Flechten-, eine Skrofel-, eine Gicht-Schärfe, u.s.w. in den Säften gutmüthig dulden? Welcher Nosologe sah je mit leiblichen Augen einen solchen Krankheits-Stoff, daß er so zuversichtlich davon sprechen und ein medicinisches Verfahren darauf bauen will? Wer hat je einen Gicht-Stoff, ein Skrofel-Gift den Augen darlegen können?
Auch wenn die Anbringung einer materiellen Substanz an die Haut oder in eine Wunde Krankheiten durch Ansteckung fortgepflanzt hat, wer kann (wie so oft in unsern Pathogenien behauptet worden) beweisen, daß von dieser Substanz etwas Materielles in unsere Säfte eingedrungen oder eingesaugt worden sei10? Kein, auch noch so sorgfältiges, alsbaldiges Abwaschen der Zeugungstheile schützt vor der Ansteckung mit der venerischen Schanker-Krankheit. Schon ein Lüftchen, was von einem Menschenpocken-Kranken herüberweht, kann in dem gesunden Kinde diese fürchterliche Krankheit hervorbringen.
Wie viel materieller Stoff an Gewichte mag wohl auf diese Weise in die Säfte eingesaugt worden sein, um im erstern Falle ein ungeheilt, erst mit dem entferntesten Lebensende, erst mit dem Tode erlöschendes, peinliches Siechthum (Lustseuche), im letztern Falle aber eine mit fast allgemeiner Vereiterung11 oft schnell tödtende Krankheit (Menschen-Pocken) hervorzubringen? Ist hier und in allen diesen Fällen wohl an einen materiellen, in das Blut übergegangenen Krankheits-Stoff zu denken? Ein im Krankenzimmer geschriebener Brief aus weiter Entfernung theilte schon oft dem Lesenden dieselbe miasmatische Krankheit mit[3q]. Ist wohl hier an einen materiellen, in die Säfte eingedrungenen Krankheits-Stoff zu denken? Doch, wozu alle diese Beweise? Wie oft hat nicht schon ein kränkendes Wort, ein gefährliches Gallenfieber, eine abergläubige Todes-Prophezeiung, ein Absterben zur angekündigten Zeit, und eine jählinge, traurige oder höchst freudige Nachricht den plötzlichen Tod zuwege gebracht? Wo ist hier der materielle Krankheits-Stoff, der in den Körper leibhaftig übergegangen sein, die Krankheit erzeugt und unterhalten haben und ohne dessen materielle Hinwegschaffung und Ausführung keine gründliche Cur möglich sein sollte?
Die Verfechter so grobsinnlich angenommener Krankheits-Stoffe mögen sich schämen, die geistige Natur unseres Lebens und die geistig dynamische Kraft-Krankheit erregender Ursachen so unüberlegt übersehen und verkannt und sich so zu Fege-Aerzten herabgewürdigt zu haben, welche durch ihr Bemühen, Krankheits-Stoffe, die nie existirten, aus dem kranken Körper zu treiben, statt zu heilen, das Leben zerstören.
Sind denn die übelartigen, oft sehr ekelhaften Auswürfe in Krankheiten gerade der sie erzeugende und unterhaltende Stoff12, und nicht dagegen jederzeit Auswurfs-Producte der Krankheit selbst, das ist, des bloß dynamisch gestörten und verstimmten Lebens?
Bei solchen falschen, materiellen Ansichten von der Entstehung und dem Wesen der Krankheiten war es freilich nicht zu verwundern, daß in allen Jahrhunderten von den geringen, wie von den vornehmen Praktikern, ja selbst von den Erdichtern der sublimsten, medicinischen Systeme immer hauptsächlich nur auf Ausscheidung und Abführung einer eingebildeten, krankmachenden Materie hingearbeitet und die häufigste Indication gestellt ward auf Zertheilung und Beweglich-Machung des Krankheits-Stoffs und seine Ausführung durch Speichel, Luftröhr-Drüsen, Schweiß und Harn, auf eine durch die Verständigkeit der Wurzel- und Holztränke treugehorsam zu bewirkende Reinigung des Blutes von (Schärfen und Unreinigkeiten) Krankheits-Stoffen, die es nie gab, auf mechanische Abzapfung der erdichteten Krankheits-Materie durch Haarseile, Fontanelle, durch von immerwährendem Canthariden-Pflaster oder Seidelbast-Rinde offen und triefend erhaltene Haut-Stellen, vorzüglich aber auf Abführung und Auspurgirung der Materia peccans, oder der schadhaften Stoffe, wie sie sie nannten, durch den Darmkanal mittels laxirender und purgirender Arzneien, die sie gern, um ihnen eine tiefsinnigere Bedeutung und ein schmeichelhafteres Ansehen zu geben (die Infarkten?), auflösende und gelind eröffnende benannten – lauter Veranstaltungen zur Fortschaffung feindseliger Krankheits-Stoffe, die es nie geben konnte und nie gegeben hat bei Erzeugung und Unterhaltung der Krankheiten des durch ein geistiges Princip lebenden, menschlichen Organisms – der Krankheiten, welche nie etwas Anderes waren, als geistig dynamische Verstimmungen seines an Gefühl und Thätigkeit geänderten Lebens.
Vorausgesetzt nun, wie nicht zu zweifeln ist, daß keine der Krankheiten – wenn sie nicht von verschluckten, gänzlich unverdaulichen oder sonst sehr schädlichen, in die ersten Wege oder in andere Oeffnungen und Höhlungen des Körpers gerathenen Substanzen, von durch die Haut gedrungenen, fremden Körpern, u.s.w. herrühren – daß, mit einem Worte, keine Krankheit irgend einen materiellen Stoff zum Grunde hat, sondern daß jede bloß und stets eine besondere virtuelle, dynamische Verstimmung des Befindens ist; wie zweckwidrig muß da nicht ein auf Ausführung13 jener erdichteten Stoffe gerichtetes Cur-Verfahren in den Augen jedes verständigen Mannes erscheinen, da nichts in den Hauptkrankheiten des Menschen, den chronischen, damit gewonnen werden kann, sondern stets ungeheuer damit geschadet wird!
Die in Krankheiten sichtbar werdenden, entarteten Stoffe und Unreinigkeiten sind, mit einem Worte, wie nicht zu leugnen ist, nichts Anderes, als Erzeugnisse der Krankheit des in innormale Verstimmung gesetzten Organisms selbst, welche von diesen selbst oft heftig genug – oft allzu heftig – fortgeschafft werden, ohne die Hülfe der Ausleerungs-Kunst zu bedürfen, deren er auch immer wieder neue erzeugt, so lange er an dieser Krankheit leidet. Diese Stoffe bieten sich dem ächten Arzte selbst als Krankheits-Symptome dar und helfen ihm, die Beschaffenheit und das Bild der Krankheit erkennen, um sie mit einer ähnlichen, arzneilichen Krankheits-Potenz heilen zu können.
Doch die neuern Anhänger der alten Schule wollen nicht mehr dafür angesehen sein, als ob sie bei ihren Curen auf Abführung von materiellen Krankheits-Stoffen ausgingen. Sie erklären ihre vielen und mancherlei Ausleerungen für eine durch Ableitung helfende Cur-Methode, worin ihnen die Natur des kranken Organisms in ihren Bestrebungen, sich zu helfen, mit ihrem Beispiele vorangehe, Fieber durch Schweiß und Urin entscheide, Seitenstiche durch Nasenbluten, Schweiß und Schleim-Auswurf – andere Krankheiten durch Erbrechen, Durchfälle und After-Blutfluß, Gelenk-Schmerzen durch jauchende Schenkel-Geschwüre, Hals-Entzündung durch Speichelfluß, u.s.w. oder durch Metastasen und Abcesse entferne, die die Natur in, vom Sitze des Uebels entfernten Theilen veranstalte. –
Sie glaubten daher am besten zu thun, wenn sie dieselbe nachahmten, indem auch sie in der Cur der meisten Krankheiten auf Umwegen, wie die kranke, sich selbst überlassene Lebenskraft, zu Werke gingen und daher indirect14, durch Anbringung stärkerer, heterogener Reize in den vom Krankheits-Sitze entfernten, und den kranken Gebilden am wenigsten verwandten (dissimilären) Organen Ausleerungen veranstalteten, gewöhnlich auch unterhielten, um das Uebel gleichsam dahin abzuleiten.
Diese sogenannte Ableitung war und blieb eine der Haupt-Curmethoden der bisherigen Arzneischule.
Sie suchten bei dieser Nachahmung der sich selbst helfenden Natur, wie sich Andre ausdrücken, in den Gebilden, welche am wenigsten krank sind und am besten die Arznei-Krankheit vertragen könnten, gewaltsam neue Symptome rege zu machen, welche unter dem Scheine von Crisen und unter der Form von Abscheidungen die erste Krankheit ableiten15 sollten, um so den Heilkräften der Natur eine allmälige Lysis zu erlauben16.
Dieß führten sie aus durch Schweiß und Harn treibende Mittel, durch Blut-Entziehungen, durch Haarseile und Fontanelle, am meisten jedoch durch Ausleerungs-Reizungen des Speise- und Darm-Kanals, theils von oben durch Brechmittel, theils aber, und am liebsten, durch Abführungen von unten, die man auch eröffnende und auflösende17 Mittel nannte.
Dieser Ableitungs-Methode zur Beihülfe wurden die mit ihr verschwisterten, antagonistischen Reizmittel in Anwendung gesetzt: Schaafwolle auf bloßer Haut, Fußbäder, Ekel-Cur, durch Hunger gepeinigter Magen und Darm (Hunger-Cur), Schmerz, Entzündung und Eiterung in nahen und entfernten Theilen bewirkende Mittel, wie aufgelegter Märrettig, Senf-Teig, Canthariden-Pflaster, Seidelbast, Haarseile (Fontanelle), Autenriethsche Salbe, Moxa, glühendes Eisen, Akupunktur, u.s.w., ebenfalls nach dem Vorgange der in Krankheiten sich zur Hülfe selbst überlassenen, rohen Natur, welche sich durch Schmerz-Erregung an entfernten Körpertheilen, durch Metastasen und Abscesse, durch erregte Ausschläge und jauchende Geschwüre von der dynamischen Krankheit (und ist diese eine chronische, vergeblich) loszuwinden sucht.
Offenbar also nicht verständige Gründe, sondern einzig die sich das Curiren bequem machen wollende Nachahmung verleitete die alte Schule zu diesen unhülfreichen und verderblichen, indirecten Curmethoden, der ableitenden sowohl, als der antagonistischen – bewogen sie zu dieser so wenig dienlichen, so schwächenden, und so angreifenden Verfahrungsart, Krankheiten auf einige Zeit anscheinend zu mindern oder zu beseitigen, daß ein anderes schlimmeres Uebel dafür erweckt wurde, an des erstern Stelle zu treten. Heilung kann man doch wohl so eine Verderbung nicht nennen?
