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"(ORLANDO*) ist ein Stück über magische Transformationen und zwischenmenschliche Beziehungen, über Identitätssuche und Schwierigkeiten mit der eigenen Geschlechterrolle; in erster Linie aber ist es ein Stück über ein großes literarisches Vorbild, den Roman 'Orlando' von Virginia Woolf (...). Wir verfolgen zunächst den jungen Adeligen Robert von Balsa, der nach einer gescheiterten Romanze (...) nach siebentägigem Schlaf nicht nur, wie in Virginia Woolfs Original, in einem weiblich gewordenen Körper, sondern in einem völlig anderen Leben, nämlich dem Leben seiner besten Freundin, erwacht. Von hier an ist die Orientierung an der Vorlage eher marginaler Natur; unser Protagonist schlüpft nacheinander in die Körper einer Transsexuellen, eines braven Ehemanns mit geheimen Fantasien, einer Soldatin, eines erfolgreichen Intendanten und Regisseurs und daran anschließend noch in diverse andere Leben. Jede Episode bietet eine situativ gehaltene Erzählung mit dem gemeinsamen Thema Geschlecht und Geschlechtlichkeit, sodass wir es am Ende mit neun Theaterstücken in einem zu tun haben. ORLANDO* ist zudem ein sehr ausführliches Werk – dies möchte ich mit großem Verständnis für die Autorin, jedoch nicht ohne ein gewisses Seufzen bemerken." Prof. Dr. Harald Wiedukind, aus: ORLANDO* von Marisa Wendt Ein mystisch-groteskes Stück über das Finden der eigenen Identität.
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Seitenzahl: 128
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Marisa Wendt
ORLANDO*
*nach Motiven von Virginia Woolf
Besetzung ad libitum (Mind. 9 Spieler*innen)
„(ORLANDO*) ist ein Stück über magische Transformationen und zwischenmenschliche Beziehungen, über Identitätssuche und Schwierigkeiten mit der eigenen Geschlechterrolle; in erster Linie aber ist es ein Stück über ein großes literarisches Vorbild, den Roman 'Orlando' von Virginia Woolf (...). Wir verfolgen zunächst den jungen Adeligen Robert von Balsa, der nach einer gescheiterten Romanze (...) nach siebentägigem Schlaf nicht nur, wie in Virginia Woolfs Original, in einem weiblich gewordenen Körper, sondern in einem völlig anderen Leben, nämlich dem Leben seiner besten Freundin, erwacht. Von hier an ist die Orientierung an der Vorlage eher marginaler Natur; unser Protagonist schlüpft nacheinander in die Körper einer Transsexuellen, eines braven Ehemanns mit geheimen Fantasien, einer Soldatin, eines erfolgreichen Intendanten und Regisseurs und daran anschließend noch in diverse andere Leben. Jede Episode bietet eine situativ gehaltene Erzählung mit dem gemeinsamen Thema Geschlecht und Geschlechtlichkeit, sodass wir es am Ende mit neun Theaterstücken in einem zu tun haben. ORLANDO* ist zudem ein sehr ausführliches Werk – dies möchte ich mit großem Verständnis für die Autorin, jedoch nicht ohne ein gewisses Seufzen bemerken.“
Prof. Dr. Harald Wiedukind, aus: ORLANDO* von Marisa Wendt
Ein mystisch-groteskes Stück über das Finden der eigenen Identität.
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WIEDERERWACHEN (Sz. 0)
Erzählendes
Ich spür die Blicke, wissen Sie? So sehr blenden die Scheinwerfer nicht; ich spür das, ich spür das alles. Warum belegen Sie jetzt eigentlich ausgerechnet mich mit diesen Erwartungen? Liegt's an meinem Äußeren? Seh ich so aus wie ein Erzähler? – oder eine Erzählerin? - denn an meinem Geschlecht besteht kein Zweifel, auch wenn die Mode der Zeit dazu beiträgt, es zu verbergen. Vielen Dank, sag ich da. Ich hab nicht drum gebeten. Ich hab nicht gebeten um diesen Körper und dieses Wesen und dieses Leben, ich hab mich da nur eingefunden, weil mir nichts Anderes übrig blieb; wer weiß, wie lang ich dieses Leben habe, wie lang ich diese Rolle spiele und was danach kommt. Da ist es doch weitaus vernünftiger, das Beste draus zu machen ... das heißt aber noch lange nicht, dass ich hier den Erzählkasper geben muss, nur weil ich so aussehe.
Gut, vielleicht messe ich dem auch selbst zu viel Gewicht bei. Vielleicht liegt's auch nur an meiner zufälligen Position im Raum, dass jetzt alle so schauen.
Orlando!
Ja, da muss jetzt niemand die Augenbrauen hochziehen; das ist schließlich der kleinste gemeinsame Nenner, auf den wir uns hier alle geeinigt haben. Das ist schließlich die Geschichte, die hier von mir erwartet wird, also tun Sie mal nicht so, als wüssten Sie nicht, wo Sie hier gelandet sind.
Orlando!
Ich rufe nur.
Orlando!
Um genau zu sein: Ich rufe die Orlando, den Orlando, der in der Lage ist, diese Geschichte hier zu beginnen; den Orlando, der ein gewisses Verständnis hat für die hormonellen Abgründe im Körper sechzehnjähriger Jungen, die auf abgetrennte Köpfe von Afrikanern einschlagen, wie's der Orlando bei Virginia Woolf direkt innerhalb des ersten Satzes mit Leidenschaft tut, weiß der Geier, wo da der Trainingseffekt sein soll ... und wahrscheinlich kann ich wirklich niemanden herbeirufen, der den Reiz dieses Spiels nachvollziehen kann, aber vielleicht krieg ich zumindest einen sechzehnjährigen Jungen, denn außer sechzehnjährigen Jungen kann niemand ein tieferes Verständnis von den Innenwelten sechzehnjähriger Jungen haben, ich jedenfalls ganz bestimmt nicht, und nein, Sie auch nicht – vergessen Sie es, schminken Sie es sich ab, kein Erzähler kann das leisten ... deshalb müssen wir uns wohl damit abfinden, dass hier die Geschichte eines anderen erzählt wird,. Wenn ich nur zumindest für diese Erzählung einen kompetenten Ansprechpartner –
Orlando! Orlando ...!
Kein Grund für schiefe Blicke; bei Virginia Woolf funktioniert das auch.
Orlando!
Ola
Robert!
Erzählendes
Orlando!
Ola
Robert, hier drüben!
Erzählendes
Sechzehn Jahre alt. Weiblich. Zielstrebig, bescheiden, pragmatisch. Gute Schulnoten. Ist nicht mit sich im Reinen, verweigert aber den Kampf mit sich selbst. Kämpft stattdessen stellvertretend für die Rettung der Welt. Hält sich selbst nicht für wichtig. Würde im Leben nicht auf die abgehackten Köpfe unterprivilegierter Minderheiten einschlagen. Was schauen Sie so erwartungsvoll? Das ist nicht, was ich suche.
Robert gesellt sich zu Ola.
Ola
Da bist du ja, Robert! Ich hab dich gesucht.
Erzählendes
ROBERT VON BALSA (Sz. 1)
Ola
Mann, wo warst du? Ich such dich schon seit zwanzig Minuten. Ich hab nachher noch was vor.
Robert
Stopp!
Ola
Was?
Robert
Stopp! Zieh dir das erstmal rein: Wir haben Budget.
Ola
Budget? Was für ein Budget?
Robert
Na, für die Dramatisierung des Romans! Ich hab sie eben ergriffen, die Gelegenheit – beim Schopfe, sozusagen – und hab dem Walser unser Projekt erläutert. Die Transformation des Orlando in ein anderes Genre, von Mann zu Frau, von Roman zu Theater ... und er hat gesagt, das ist ihm selten begegnet, dass Schüler so viel Eigeninitiative zeigen, und dann hat er mir 200 Euro Budget versprochen. Er hat gesagt, das kann sich die Schule gerade noch leisten, ist ja schließlich Kulturzweig hier. Gut, oder?
Ola
Hä? Wir haben keine Idee, aber ein Budget?
Robert
Haben wir doch! Wir machen ein Theaterstück draus!
Ola
Und dafür hat er dir jetzt 200 Euro versprochen? Für was denn?
Robert
Für die Kostüme!
Ola
Kostüme?
Robert
Na, wenn wir den Orlando in ein Theaterstück verwandeln, brauchen wir doch Kostüme.
Ola
Aber von einer Aufführung hat doch überhaupt niemand was gesagt! Nur weil wir das schreiben – und das war ja bislang auch nur so eine Idee –
Robert
Aber ohne Aufführung bringt das ja alles nichts, das ist doch logisch. Und da hab ich ihm gesagt, dass wir die Geschichte über die Kostüme erzählen wollen, dass die Kostüme ein Spiegel des Textes sind, sozusagen. Verstehst du gerade nicht, oder? Warte, ich geb dir ein Beispiel. Frei assoziiert. Königin Elisabeth. Die Riesenspinne, die Orlando in ihrem Netz fängt. Die ihn benutzt, aussaugt, die kompensiert, die ihn, ja, irgendwie fast sexuell missbraucht. Und jetzt stell dir das mal so vor: Ein Reifrock, so breit wie die Bühne. Elisabeth steht auf einem Podest in der Mitte ihrer eigenen Kleidung. Eine fünf Meter lange Samtschleppe, in der sich Orlando verfängt. Na?
Ola
Na?
Robert
Na?
Ola
Und das hast du jetzt dem Walser erzählt?
Robert
Natürlich nicht im Detail. Das mit der Samtschleppe ist mir auch erst auf dem Weg hierhin eingefallen. Wenn die Kreativität erstmal fließt... – Na? Was denkst du?
Ola
Naja...
Robert
Na?
Ola
Also, eigentlich zwei Sachen, glaub ich.
Robert
Jetzt mach es nicht so spannend, ich bin gerade total im Flow, ich will weitermachen!
Ola
Naja, erstens ... bist du dir sicher? Mit der Interpretation? Mit der Riesenspinne? Elisabeth ist doch auch nur eine alte, einsame Frau ... und Missbrauch, das ist ein krasser Vorwurf – ich les das eigentlich als was Gegenseitiges.
Robert
Meinst du, Orlando ist auch in Elisabeth verliebt, oder wie?
Ola
Naja, schon.
Robert
Schwachsinn.
Ola
Warum?
Robert
Das ist doch nicht so eine Harold and Maude – Geschichte.
Ola
Hm.
Robert
Und?
Ola
Was, und?
Robert
Zweitens?
Ola
Ach so, ja: Wie willst du mit 200 Euro Budget so einen fetten Reifrock und eine fünf Meter lange Samtschleppe finanzieren? Weißt du eigentlich, was sowas kostet?
Robert
Mann, Ola! Jetzt sei nicht so kunstfeindlich! Damit das Mögliche entsteht, muss immer das Unmögliche versucht werden! Hermann Hesse.
Ola
Robert, ich mein nur – wir reden hier jetzt über Kostüme, aber sollten wir nicht erstmal den Text schreiben?
Robert
Wir können das ja aufteilen. Du machst den Text und ich mach das mit den Kostümen. Und das Bühnenbild noch dazu.
Ola
Ich weiß nicht ...
Robert
Ich mach auch die Besetzung.
Ola
Hm.
Robert
Jetzt komm, Ola! Deswegen wollte ich doch unbedingt mit dir zusammenarbeiten! Du bist der einzige Mensch in diesem Kurs, der was drauf hat!
Ola
Außer dir, meinst du?
Robert
Komm, du musst doch zugeben, dass man da sonst mit niemandem arbeiten kann. Bei den Jungs reicht der Horizont bis zum Fußballplatz und die Mädchen sagen sowieso immer nur zu allem Ja und Amen.
Ola
Da sind einige echt okay, du musst sie halt nur mal ausreden lassen.
Robert
Muss ich bei dir doch auch nicht! Du unterbrichst mich doch auch einfach selber! Und das ist auch richtig so, Gedanken müssen ja schließlich raus, sie sind sonst wieder über alle Berge, bevor man nach ihnen greifen kann. Warum können die anderen Mädchen nicht einfach auch so mit mir umgehen wie du?
Ola
Ach, Robert ...
Robert
Was?
Ola
Nichts. Ich muss gleich los. Vorschlag: Wir schreiben zuhause erstmal sowas wie eine Ereigniskette, und dann treffen wir uns morgen um Vier hier und gleichen das ab.
Robert
Du bist immer so pragmatisch. Wir sind Künstler.
Ola
Wir sind keine Künstler, Robert. Wir sind nur ein paar Schulkinder mit einem Schulprojekt.
Robert
Bedeutungslos, vergänglich ... mit der Einstellung können wir uns auch gleich erschießen.
Ola
Ich muss los.
Robert
Hab ich was Falsches gesagt?
Ola
Um sechs hab ich Plenum. Jeden Dienstag.
Robert
Was soll das denn überhaupt für ein Plenum sein?
Ola
Komm doch einfach mit, dann weißt du's.
Robert
Nein, ich möchte diese ganzen Ideen noch zu Papier bringen, nicht, dass davon was verloren geht ...
Ola
Wie du meinst. Bis morgen, Mylord. Um Vier. Nicht vergessen.
Erzählendes
Haben Sie das bemerkt? Diese Gruppe junger Mädchen, die sich vor ein paar Minuten am anderen Ende der Wiese niedergelassen hat?Nein? Nun, seien Sie versichert: Robert auch nicht. Übersehen hat er demnach auch ihre verstohlenen Blicke, die sie abgewendet haben, wann immer Roberts Begleiterin Ola einen davon zu fangen versucht hat. Wir wollen unsere Geduld jedoch nicht mit geistlosen Dialogen überstrapazieren, deshalb soll der Bericht aus zweiter Hand genügen: Das breite Lächeln, mit dem die heimliche Anführerin dieser Gruppe Ola bedenkt, als diese an den Mädchen vorbeigeht, ist hinterlistig und falsch; die Frage, wo Ola ihren Rock gekauft habe, der doch ein wenig nach Straßenstrich aussehe, ist zuckersüß dahergesäuselt und gleicht weniger einem Schlag ins Gesicht als einem schmerzhaften Ziepen in den Haaren; und Olas gepresste Antwort –
Ola
Second Hand, von deiner Mutter.
Erzählendes
– lässt der Widersacherin kaum eine andere Wahl, als Ola auf die Füße, die in hübschen, offenen Schuhen, passend zum Rock, stecken, in hohem Bogen zu spucken; und Ola schaut die Anführerin fassungslos an und diese lächelt wieder, breit und unschuldig –
Robert
Alles klar, Ola?
Ola
Was?
Robert
Oder ist noch was?
Ola
Nein. Nein, alles klar, Robert.
Erzählendes
– und das Lächeln der Anführerin wird noch breiter, und Ola sagt:
Ola
Nur, dass du es weißt – der hat nur nicht mitgekriegt, was hier abgeht. Deswegen sagt der nichts. Der ist manchmal ein bisschen dumm.
Erzählendes
Und mit erhobenem Kinn und zusammengepressten Lippen zieht sie von dannen, während Robert, der von dem Geschehen tatsächlich so gar nichts mitbekommen hat, Zeile um Zeile seines Notizbuches füllt.
Einen sechzehnjährigen Jüngling habe ich gewollt, einen wohlgestalteten, intellektuell verständigen sechzehnjährigen Jüngling mit umfassenden Kenntnissen der alten Meister – Hesse, Marx, Adorno; einen Träumer und Gedankenakrobaten. Diesen sechzehnjährigen Jüngling habe ich bekommen, der, so muss ich eingestehen, meine Kriterien samt und sonders erfüllt: Robert von Balsa. Wie sein Name vermuten lässt: Aus gutem Hause, jedoch bescheiden genug, damit nicht zu prahlen. Er verschwendet nicht einmal besonders viele Überlegungen an die soziale Stellung seiner Familie. Dadurch bleibt umso mehr Zeit für philosophische Gedanken, für sportliche Ertüchtigung und für den Erwerb schöner Kleidungsstücke, denn für ebenjene hat Robert ein Faible.
Sie schauen ja immer noch so. Warum? Da bekommen Sie doch jetzt Ihre Geschichte ...
Ach so. Natürlich. Woher ich das alles wissen will. Aber das liegt in der Macht einer auktorialen Erzählerfigur, wissen Sie? Ich sehe alles, ich weiß alles, und doch habe ich die Freiheit, mich an die Perspektive einer einzelnen Figur, eines Protagonisten, zu heften. Ich präsentiere: Robert von Balsa. Ein Protagonist. Unser Protagonist, dessen Geschichte hier erzählt werden soll. Und hier, an dieser Stelle, stehen wir bereits vor unserem ersten Dilemma.
Polina betritt die Szenerie.
Polina
Gehst du mal ein Stück zur Seite?
Robert
Klar.
Polina
Merci.
Ohne Polina anzusehen, rutscht Robert zur Seite, weiterhin in seine Notizen vertieft. Polina beginnt, ein Seil zwischen zwei Bäumen zu spannen.
Erzählendes
Die Gefühlswelten eines sechzehnjährigen Jungen mögen abgründig sein, dramatisch – bei Robert vermutlich noch dramatischer als bei anderen Jungen – jedoch bieten sie eines gewiss nicht: Das, was noch nie zuvor gewesen ist.
Polina
Was schreibst du denn da?
Robert
Ein Konzept.
Polina
Was für ein Konzept?
Robert
Ein Ausstattungskonzept für eine Theaterinszenierung von Virginia Woolfs Roman Orlando.
Polina
Wie unfassbar langweilig!
Robert hebt den Blick und sieht Polina an.
Erzählendes
Und so wirkt jede Beschreibung dessen, was Robert in diesem Moment, da er seinen Blick hebt, wie der Schlag trifft, abgenutzt; jeder freiwillige und unfreiwillige Gesichtsausdruck, den er angesichts dieses Gefühls präsentieren könnte, schon tausend Mal da gewesen. Jede Frucht, mit der man die Unbekannte mit dem russischen Akzent vergleichen könnte, haben wir schon unschön verpackt in Supermärkten verrotten sehen; jedes Tier, das ihr ähneln könnte, lag schon einmal gut durchgebraten auf unseren Tellern. Und so bleibt uns nur, blind zu glauben: Zu glauben, wenn ich sage, dass Robert in aller Unschuld in diesem Moment von einem sehr, sehr großen Gefühl überwältigt wird.
Polina
Jetzt schau nicht so beleidigt.
Robert
Ich bin nicht beleidigt, ich bin nur – was machst du da?
Polina
Dehnen. Ich dachte, um die Uhrzeit hätte ich hier ein bisschen Ruhe, aber nein.
Robert
Wer bist du?
Polina
Ich bin Polina Dawydow.
Robert
Nein, ich meine ... wer bist du?
Polina
Ich bin Artistin in einem Wanderzirkus, wir haben heute auf der Stadtwiese aufgebaut.
Robert
Aber wer bist du?
Polina
Weiß der Teufel, worauf du hinauswillst. Kannst du bitte mal meinen Oberkörper auf den Boden drücken? Danke. Schön, hier doch nochmal jemanden zu treffen, der zupacken kann.
Robert
Wofür trainierst du, Polina Dawydow, Zirkusartistin Polina Dawydow?
Polina
Eine neue Nummer, morgen ist sie fertig. Dafür muss ich üben. Ungestört. Ich zeige nicht gerne unfertige Nummern.
Robert
Du meinst ... ich soll gehen?
Polina
Du kannst sie dir gerne morgen anschauen. Als Erster. Willst du?
Erzählendes
Wie interessiert man also gestandene Zuschauer für die Liebesgeschichte von Jugendlichen? Durch blumige Poesie, durch präzise Sprache, durch starke Bilder?
Robert
Ja, ja, tausend Mal Ja, Polina Dawydow!
Polina
Na gut, dann morgen um Fünf, hier an dieser Stelle.
Robert
Ich werde da sein. Nirgendwo lieber.
Polina
Wenn du meinst. Wie heißt du überhaupt?
Robert
Robert. Robert von Balsa.