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Einige Jahre sind vergangen, seit sich Sammy, Theo und Philipp das letzte Mal gesehen haben. Damals waren sie noch Schüler, Teenager auf der Suche nach ihrem Platz im Leben, auf der Suche nach einer Aufgabe, nach Sinn. Nun begegnen sie sich bei einem Klassentreffen in ihrer alten Schule wieder. Sie sind Mitte 20 und ihr Leben hat sich durch Beruf und erste Familiengründungen verändert. Und sie selber haben sich verändert. Aber eines ist den dreien gemeinsam: ihnen fehlt der Vierte aus ihrer damaligen Clique, der seinerzeit verunglückte Rico. Rico war für sie der Leitstern, ihr Held, den sie verehrten und begehrten. Doch Rico war auch Neonazi und ihre Clique eine rechtsradikale Gruppe. Marisa Wendt untersucht in RICO, wie persönliche Faszination, sei sie emotionaler, erotischer oder intellektueller Natur, zu Mitläufertum werden kann.
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Seitenzahl: 75
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Marisa Wendt
RICO
Ein Vierpersonenstück für eine Schauspielerin und zwei Schauspieler
1 D | 2 H
Einige Jahre sind vergangen, seit sich Sammy, Theo und Philipp das letzte Mal gesehen haben. Damals waren sie noch Schüler, Teenager auf der Suche nach ihrem Platz im Leben, auf der Suche nach einer Aufgabe, nach Sinn. Nun begegnen sie sich bei einem Klassentreffen in ihrer alten Schule wieder. Sie sind Mitte 20 und ihr Leben hat sich durch Beruf und erste Familiengründungen verändert. Und sie selber haben sich verändert. Aber eines ist den dreien gemeinsam: ihnen fehlt der Vierte aus ihrer damaligen Clique, der seinerzeit verunglückte Rico.Rico war für sie der Leitstern, ihr Held, den sie verehrten und begehrten. Doch Rico war auch Neonazi und ihre Clique eine rechtsradikale Gruppe.
Marisa Wendt untersucht in RICO, wie persönliche Faszination, sei sie emotionaler, erotischer oder intellektueller Natur, zu Mitläufertum werden kann.
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PERSONEN
Theo
Sammy
Philipp
PROLOG
Theo
Sammy!
Sammy
Da bist du ja.
Theo
Hä? Wie meinst du das?
Sammy
Ich hab dich gesucht.
Theo
Echt? Ich hab dich auch gesucht.
Sammy
Warum?
Theo
Weißt du doch.
Sammy
Du bist es also wirklich gewesen.
Theo
Was?
Sammy
Stell dich nicht blöd. Du hast gesagt, du hast mich gesucht.
Theo
Habe ich ja auch, schon seit Jahren, jetzt. Mindestens eine Million Nachrichten haste von mir gekriegt. Nur Zurückschreiben ist nicht so dein Ding, oder? Was soll das überhaupt? Das ist doch scheiße, mich so zu ignorieren. Nen alten Freund. Nach allem, was wir durch haben, zusammen. Was soll das überhaupt?
Sammy
Theo –
Theo
Im Ernst! Was soll das?
Sammy
Was willst du von mir, Theo?
Theo
Dass du mir verdammt nochmal sagst, was das soll!
Sammy
Ich hab nicht gewusst, was du wolltest. Mit deinen ganzen Nachrichten. Ich weiß immer noch nicht, was du willst. Ich hab doch keine Verpflichtung, auf deine Nachrichten zu antworten, wenn ich nicht mal weiß, was du willst.
Theo
Mann, ich wollte halt reden! Wir haben früher doch mal reden können. War immer entspannt mit dir. Weil du nicht so hysterisch bist. Ich hab mich erinnern müssen. An früher. Wenn du damals nicht von der Schule runter wärst, dann – wir hätten doch zusammen wieder klar kommen können. Als Gruppe.
Sammy
Wir beide waren nie eine „Gruppe“! Die Gruppe, das waren du und ich und Philipp und Rico.
Theo
Wenn Rico damals nicht in unseren Jahrgang gekommen wäre –
Sammy
Dann was?
Theo
Weiß auch nicht. Vielleicht hätten wir uns ja trotzdem kennengelernt. Vielleicht hätte aus uns was werden können.
Sammy
Und genau das ist der Grund.
Theo
Wofür?
Sammy
Dass ich nie auf deine Nachrichten geantwortet habe. Deine ganzen Mails an mich – deine Nostalgie, dein Wunschdenken, das ist doch alles irgendwie geschmacklos. Ich war mit Rico zusammen, du bist mit Melina zusammen –
Theo
Woher weißt du denn, dass ich noch mit Melina zusammen bin?
Sammy
Lenk nicht ab. Sowas ist kein Benehmen, Theo. Mich mit so manipulativen Tricks hierher zu locken, nur weil du –
Theo
Wie, hierher locken?
Sammy
Du hast es doch geschickt!
Theo
Was?
Sammy
Das Video!
Theo
Welches Video?
Sammy
Du – das glaub ich dir jetzt nicht.
Theos Handy klingelt. Er holt es aus seiner Tasche.
Theo (zu Sammy)
Warte mal. Ich will noch wissen, wovon du redest. (ins Telefon) Warte mal eben, Melli.
Sammy
Lass mich durch.
Theo (zu Sammy)
Du sagst jetzt erstmal, worum es geht. Und zwar Klartext.
Sammy
Das macht keinen Sinn hier. Die Idee war von Anfang an bescheuert.
Theo(zu Sammy)
Welche Idee? (ins Telefon) Boah, Melli! Sendepause!
Sammy
Mach's gut, Theo. Du hast eh nicht, was ich brauche. Hast du noch nie gehabt.
Theo
Mann, jetzt sprich endlich aus, worum es hier geht! Sprich's aus!
Sammy AB Saal
Theo (ins Telefon)
Melli, der Moment ist jetzt echt scheiße. (ruft Sammy hinterher) Wir reden gleich aber noch! […] (ins Telefon) Sammy. […] Natürlich weißt du das. Sammy. Samia. Die, die ein Jahr früher von der Schule runter ist. […] Das sind keine fremden Weiber! Das ist ein stinknormales Klassentreffen und ja, Überraschung, da sind auch Frauen da. Kein Grund, so rumzuzicken. […] Ich flirte nicht mit anderen Weibern und jetzt tu verfickte Scheiße nicht so, als hättest du plötzlich vergessen, wie man ein Kind ins Bett bringt! […] Ey, ich bring die Kleine ständig ins Bett! Mehr als du […] Da hab ich keinen Bock drauf, Melli. Jetzt nicht. Heute Abend hab ich ausnahmsweise echt mal Wichtigeres zu tun.
Theo legt auf, steckt das Handy weg. Will Richtung Saal.
Philipp AUF Saal.
Philipp
Hi, Theo.
Theo
Ja, hi.
Theo will Richtung Saal.
Philipp
Wusstest du, dass gleich noch Open Mike ist?
Theo
Was für ein Mike?
Philipp
Kennst du das nicht? Mike steht für Mikrofon. Open Mike heißt: Da steht ein Mikrofon und jeder kann da ran. Singen und so. Und ich hab mir was überlegt. Ich will eine Rede halten.
Theo
Boah, Alter!
Philipp
Findest du das gut?
Theo
Wir reden später.
AB Saal. Philipp schaut ihm kurz etwas verständnislos hinterher, dann räuspert er sich.
1 – PHILIPP
Philipp
Liebe Ex-Klassenkameraden –
Mann, wie fängt man sowas an …
Liebe ehemalige Mitschülerinnen und Mitschüler – sehr geehrte Damen und Herren, sollte ich vielleicht besser sagen, so gut kennen wir uns ja nun auch wieder nicht – kleiner Scherz. Kleiner Scherz, das ist gut. Damit hat wahrscheinlich auch jeder gerechnet, als ich hier eben nach vorne zum Rednerpult gewackelt bin, oder? Philipp wieder. Steht da so klein und schmächtig und biedert sich mit einem blöden Witz nach dem anderen an, und dann lachen alle. Und ist ja egal, ob man mit Philipp oder über Philipp lacht, weil: Hauptsache, alle lachen. Und das denkt ja sogar Philipp selber, oder? Kann ihm ja eigentlich auch ganz recht sein. Wenn jeder über ihn lacht, guckt wenigstens keiner mehr schräg von der Seite.
Ihr liegt daneben, Leute. So richtig schön daneben. Denn manche Dinge ändern sich eben doch, zumindest für manche von uns, und ich hab mich noch nicht hier auf dem Lande hinter meinem Gartenzaun verkrochen. Keine blöden Witze von mir. Stattdessen mal ein anderes Thema, ich hab es ja schon erwähnt: Die schrägen Blicke von der Seite. Und die haben verschiedene Gründe.
„Boah, ich hab's ja immer gewusst! Klein-Philipp ist ne Schwuchtel!“ – Ja, herzlichen Glückwunsch, hundert Punkte, und guck dir den hübschen Kerl an meiner Seite mal an, der versprüht den ganzen Abend schon einen Charme, dagegen verblasst jeder Hundewelpe, den könnt ihr ja alle nur lieben, und weil der Valle gerne geliebt wird, spricht der auch schon den ganzen Abend mit allen außer mir.
Nee. Nee, das ist scheiße so. Das muss ich anders strukturieren. Fokus finden, Philipp. Fokus halten. Erinner dich, warum du hier bist. Priorität sind nicht die Homoblicke. Priorität sind die Ricoblicke. Also, nochmal.
Also, keine blöden Witze, das anderes Thema: Die schrägen Blicke von der Seite. Da ist ja Philipp. Philipp aus Ricos Gespann. Dass der sich überhaupt noch hierher traut, nach allem, was passiert ist. Weiß schließlich jeder, was damals in Ricos Gruppe abging, und dafür muss man sich eigentlich sein ganzes Leben lang schämen. Vielleicht denken auch ein paar, dass ich diese Scham vergessen habe. Dass ich dran erinnert werden muss, wem ich da eigentlich hinterher gerannt bin. Dass ich eigentlich bestraft gehöre. Denkt das jemand?
Wenn ja, dann kann ich euch versichern: Ich bin bestraft genug. Zehn verdammte Jahre lang gemobbt, bespuckt und verarscht werden, das war schon Strafe im Voraus. Und dann kam Rico, und das hat mir eine Pause von all dem verschafft. Denn Rico hat auf mich aufgepasst. Und wenn ihr jetzt mal ganz tief in euch reinhorcht, Mitschülerinnen und Mitschüler, Damen und Herren: Hättet ihr die Gelegenheit denn nicht ergriffen? Die Gelegenheit, mal nicht von allen um euch herum scheiße behandelt zu werden? Die Gelegenheit, mal nicht der schmächtige Typ zu sein, über den im besten Falle alle lachen, anstatt ihn zu bepöbeln, und der deshalb zu so ner grotesken Witzfigur mutiert ist?
Ich sage euch, die Gelegenheit hättet ihr ergriffen. Und ich sag euch auch: Es ist sogar noch schlimmer. Selbst als die gut integrierten, beliebten und hohlbirnigen Heteros, die ihr wart, hättet ihr die Gelegenheit ergriffen, die kommt nämlich nur einmal. Im Grunde fanden wir Rico alle geil. Der Unterschied zwischen uns ist: Mich hat er gewollt. Euch nicht. Und das nagt immer noch an euch, macht euch da nichts vor.