Orthorektisches Ernährungsverhalten - Friederike Barthels - E-Book

Orthorektisches Ernährungsverhalten E-Book

Friederike Barthels

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Beschreibung

Wenn der Wunsch nach gesunder Ernährung so groß ist, dass die tägliche Beschäftigung mit dem eigenen Essverhalten zum Lebensinhalt wird, spricht man von orthorektischem Ernährungsverhalten oder auch Orthorexia nervosa. Ob es sich dabei um eine weitere Variante der bisher bekannten Essstörungen handelt, wird seit einigen Jahren vermehrt diskutiert. Der vorliegende Band bietet einen umfangreichen und wissenschaftlich fundierten Einblick zum Thema Orthorexie. Zunächst wird gesundes Essverhalten aus ernährungsphysiologischer und psychologischer Sicht von orthorektischem Ernährungsverhalten abgegrenzt. Die ausführliche Darstellung von Symptomen und Konsequenzen, auch anhand zahlreicher Fallbeispiele, vermittelt einen guten Eindruck von den unterschiedlichen Erscheinungsformen der Orthorexie. Um Fachkräften die Einordnung der Symptome zu erleichtern, werden darüber hinaus sowohl Diagnoseinstrumente als auch mögliche Diagnosekriterien besprochen. Auch der aktuelle Forschungsstand zur Prävalenz in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und zu denkbaren Einflussfaktoren (z. B. restriktives Essverhalten und Diäten, Diagnose einer anderen Essstörung, sportliche Aktivität) wird ausführlich vorgestellt. Die mögliche Einordnung in die gängigen Klassifikationssysteme psychischer Störungen wird ebenso diskutiert wie die Frage, inwiefern die Orthorexie ein eigenständiges Störungsbild darstellt. Ein vorläufiges Ätiologiemodell erläutert potenzielle Entstehungsmechanismen orthorektischen Ernährungsverhaltens. Behandlungsindikationen und Vorschläge für eine multimodale therapeutische Behandlung runden den Band ab.

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Friederike Barthels

Reinhard Pietrowsky

Orthorektisches Ernährungsverhalten

Forschung und Praxis

Dr. Friederike Barthels, geb. 1986. 2005–2010 Studium der Psychologie in Düsseldorf. 2010–2023 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Klinische Psychologie des Instituts für Experimentelle Psychologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. 2014 Promotion. Forschungsschwerpunkte: Orthorektisches Ernährungsverhalten und psychische Grundbedürfnisse.

Prof. Dr. Reinhard Pietrowsky, geb. 1957. 1978–1985 Studium der Psychologie in Tübingen, danach wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Tübingen, Ulm, Bamberg und Lübeck. 1990 Promotion an der Universität Tübingen. 1996 Habilitation an der Universität Bamberg. 1990–1993 Psychotherapieausbildung am Stuttgarter Zentrum für Verhaltenstherapie. 1999 Approbation als Psychologischer Psychotherapeut. Seit 1997 Professor für Klinische Psychologie an der Universität Düsseldorf. Leiter der Psychotherapeutischen Institutsambulanz der Universität Düsseldorf und des weiterbildenden Studiums „Psychologische Psychotherapie“. Forschungsschwerpunkte: Ess- und Schlafstörungen.

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www.hogrefe.de

Umschlagabbildung: © iStock.com by Getty Images / Prostock-Studio

Satz: Franziska Stolz, Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

Format: EPUB

1. Auflage 2024

© 2024 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-3182-6; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-3182-7)

ISBN 978-3-8017-3182-3

https://doi.org/10.1026/03182-000

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1  Einführung

1.1  Gesunde Ernährung – Was ist das überhaupt?

1.1.1  Definitionen gesunder Ernährung

1.1.2  Brain Food, Super Food und Nahrungsergänzungsmittel

1.1.3  Abschließende Betrachtung

1.2  „Normales“ Ernährungsverhalten aus psychologischer Sicht

2  Definition und Begriffsbestimmung

2.1  Charakteristische Merkmale und Symptome

2.2  Die vielen Gesichter der Orthorexie

2.3  Konsequenzen und Folgeerscheinungen

2.4  Geschichtlicher Abriss des Störungskonzepts

2.4.1  Die Orthorexie nach Bratman

2.4.2  Die weitere Entwicklung des Orthorexie-Konzeptes

3  Fallbeispiele

3.1  Fallbeispiele von Bratman

3.2  Fallbeispiele aus der wissenschaftlichen Literatur

3.3  Fallbeispiele aus einer eigenen Studie

3.3.1  Frau A. – Angst vor ungesundem Übergewicht

3.3.2  Frau B. – Orthorexie als Bewältigung einer Essstörung

3.3.3  Herr C. – Nur Fleisch, kein Gemüse

3.3.4  Abschließende Betrachtung

4  Diagnostik

4.1  Diagnostische Instrumente

4.1.1  Orthorexia Self-Test von Bratman

4.1.2  ORTO-15-Familie

4.1.3  Orthorexia Screen

4.1.4  Eating Habits Questionnaire (EHQ)

4.1.5  Düsseldorfer Orthorexie Skala (DOS)

4.1.6  Teruel Orthorexia Scale (TOS)

4.1.7  Barcelona Orthorexia Scale (BOS)

4.1.8  Orthorexia Nervosa Inventory (ONI)

4.1.9  Abschließende Betrachtung

4.2  Diagnosekriterien

4.2.1  Vorschlag von Bratman und Knight

4.2.2  Vorschlag von Barthels

4.2.3  Vorschlag von Moroze et al.

4.2.4  Vorschlag von Dunn und Bratman

4.2.5  Vorschlag von Setnick

4.2.6  Vorschlag der Orthorexia Nervosa Task Force

4.2.7  Kritik an einer potenziellen Orthorexie-Diagnose

4.2.8  Abschließende Betrachtung

5  Epidemiologie

5.1  Prävalenzraten

5.1.1  Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung

5.1.2  Prävalenz bei Studierenden

5.1.3  Prävalenz bei Ernährungsexpertinnen und -experten

5.1.4  Prävalenz bei Sportlerinnen und Sportlern

5.1.5  Prävalenz bei bestimmten Ernährungsweisen

5.1.6  Geschlechterunterschiede

5.1.7  Alterseffekte

5.1.8  Gewicht

5.1.9  Psychische Störungen

5.1.10  Abschließende Betrachtung

5.2  Klinische Relevanz

6  Korrelate und Einflussfaktoren

6.1  Soziodemografische Aspekte

6.2  Vegetarische und vegane Ernährung

6.3  Diäten zur Gewichtsreduktion und restriktives Essverhalten

6.4  Allergien und Unverträglichkeiten

6.5  Clean Eating, intuitives Essverhalten und Healthy Orthorexia

6.6  Sportliche Aktivität und gesundheitsrelevante Verhaltensweisen

6.7  Psychische und körperliche Gesundheit

6.8  Autismus, Persönlichkeitsmerkmale und andere Eigenschaften

6.9  Ableitung potenzieller Risikofaktoren

6.10  Abschließende Betrachtung

7  Überlegungen zur nosologischen Einordnung

7.1  Orthorexie und Essstörungen

7.1.1  Empirische Befunde

7.1.2  Orthorexie als Einstieg – Orthorexie als Ausstieg

7.1.3  Orthorexie und ARFID

7.1.4  Ist die Orthorexie eine Essstörung?

7.2  Orthorexie, Zwangsstörungen und zwanghafte Persönlichkeit

7.2.1  Empirische Befunde

7.2.2  Ist die Orthorexie eine Zwangsstörung?

7.3  Orthorexie und Störungen des körperlichen Erlebens

7.3.1  Empirische Befunde

7.3.2  Ist die Orthorexie eine Störung des körperlichen Erlebens?

7.4  Abschließende Betrachtung

7.5  Orthorexie als eigenständiges Störungsbild?

7.5.1  Empirische Befunde

7.5.2  Abschließende Betrachtung

8  Vorläufiges Störungsmodell und Ätiologie

8.1  Motive für gesunde Ernährung

8.2  Der Übergang von gesunder Ernährung zur Orthorexie

9  Indikation zur Behandlung

10  Vorschläge für die multimodale therapeutische Behandlung

10.1  Wissensvermittlung

10.1.1  Ernährungsberatung

10.1.2  Psychoedukation und Motivierung

10.2  Bearbeitung dysfunktionaler Kognitionen/überwertiger Ideen und Konflikte

10.2.1  Konkretes Vorgehen für kognitive Veränderungen

10.2.2  Bearbeitung möglicher intrapsychischer Konflikte

10.3  Umsetzung eines gesunden, nicht orthorektischen Essverhaltens

10.3.1  Veränderung des Essverhaltens

10.3.2  Abbau rigider Ernährungsregeln und Aufbau flexiblen Essverhaltens

10.3.3  Unangemessene Ernährungsaufforderungen ablehnen

10.4  Verbesserung sozialer Kontakte

10.5  Einbinden von Angehörigen

10.6  Abschließende Betrachtung

11  Schlusswort

Danksagung

Literaturverzeichnis

Sachregister

|9|Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

das Thema „Orthorexie“ gewinnt in der breiten Öffentlichkeit zunehmend an Bekanntheit, während es in Fachkreisen eher zurückhaltend rezipiert wird oder gar nicht bekannt ist. Kaum eine Illustrierte, in der nicht schon über „Orthorexie“ berichtet worden wäre. Aber was kann die Fachwelt dazu sagen? Und, kann gesunde Ernährung denn überhaupt ein Problem oder gar eine Störung sein?

Das vorliegende Buch stellt die erste umfassende deutschsprachige Publikation zu diesem Thema dar und versucht, das orthorektische Ernährungsverhalten oder vielleicht sogar das Störungsbild der Orthorexie, sachlich und unter Berücksichtigung empirischer Befunde (die leider nicht immer einheitlich sind) zu beleuchten. Es ist das Ergebnis einer 15-jährigen Forschungsarbeit unserer Arbeitsgruppe an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Begonnen hat es damit, dass ich einen Anruf einer Journalistin erhielt, die mich zum Thema „Orthorexie“ interviewen wollte. Das muss im Jahr 2006 gewesen sein. Mir war der Begriff bis dahin nicht geläufig und ich bat meinen damaligen Mitarbeiter, Dr. Christoph Usbeck, der damals schon ein ausgewiesener Experte für Essstörungen war, an meiner Stelle das Interview zu übernehmen. Das hat er gern getan, obwohl er bis dato mit dem Begriff „Orthorexie“ ebenfalls nichts anzufangen wusste. Aber er hat sich fleißig und gewissenhaft informiert, das Interview geführt und mir dann über Orthorexie berichtet. Und was er berichtete, war so spannend, dass ich mich näher mit diesem Phänomen beschäftigen wollte. Er hatte damals schon auf die schwierige Abgrenzung der Orthorexie zur Anorexie hingewiesen, was erst später durch empirische Forschung substantiiert werden konnte. Das war die Geburtsstunde unserer Forschung zur Orthorexie.

Wir begannen bald darauf, im Jahr 2007, mit der Entwicklung eines Fragebogens zur Messung der Orthorexie, aus dem dann später die Düsseldorfer Orthorexie Skala hervorging. Hierbei hat sich besonders Frau Anja Kanzler, jetzt eine der Leitenden Psychologinnen unseres weiterbildenden Studiengangs und der Ausbildungsambulanz, hervorgetan, die eine erste sehr gründliche und umfangreiche Evaluation dieses Fragebogens im Rahmen ihrer Diplomarbeit vorgenommen hat. Einen wirklich bedeutenden Schub hat unsere Beschäftigung mit der Orthorexie dadurch erfahren, dass Friederike Barthels zu unserer Arbeitsgruppe gestoßen ist |10|und dieses Thema federführend für ihre Promotion und darüber hinaus sorgfältig und mit viel Herzblut betreut hat. Ihre herausragende Expertise im Bereich der Orthorexie kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass sie 2016 in die international besetzte Orthorexia Nervosa Task Force berufen wurde und seitdem an vorderster Front der Erforschung dieses Phänomens steht.

Mit diesem Buch dokumentieren wir den aktuellen Forschungsstand zum Thema „Orthorexie“. Der mag manchmal ernüchternd, manchmal verwirrend, manchmal überraschend, aber immer spannend sein – wie Forschung eben ist. Nach einer kurzen Einführung zu der Frage, was gesunde Ernährung überhaupt ist, werden wir das Phänomen der Orthorexie und des orthorektischen Ernährungsverhaltens beschreiben und anhand von Fallbespielen vorstellen, um dann über die Diagnostik und Epidemiologie dieses Phänomens zu berichten. Ein großer und zentraler Teil des Buches beschäftigt sich mit der Frage, welche Korrelate und Einflussfaktoren mit orthorektischem Ernährungsverhalten assoziiert sind und wie die Orthorexie, falls sie denn überhaupt als ein eigenes Störungsbild angesehen werden kann, in den Kanon der psychischen Störungen eingeordnet werden kann. Wir stellen ein ätiologisches Störungsmodell vor und schließen mit Vorschlägen für die Behandlung des orthorektischen Ernährungsverhaltens, einem Bereich, zu dem es bislang so gut wie keine Empfehlungen gibt. Und damit hoffen wir, allen Interessierten aus der Psychologie, Medizin und den Ernährungswissenschaften, die sich fachlich mit diesem Thema auseinandersetzen, ein interessantes, aufschluss- und hilfreiches Werk vorgelegt zu haben.

Gedankt sei an dieser Stelle nochmals Dr. Christoph Usbeck, der den initialen Zündfunken für dieses Buch legte, Anja Kanzler für ihre wertvolle Hilfe bei der Entwicklung der ersten Version der Düsseldorfer Orthorexie Skala, Dr. Friederike Barthels für die hervorragende Mitarbeit an diesem Buch und ihre engagierte Beschäftigung mit dem Thema „Orthorexie“, Luca Hertrampf , Annika Niepold und Juliette Wernicke für ihre Mithilfe am Literaturverzeichnis, Frau Susanne Weidinger vom Hogrefe Verlag für ihr Interesse an diesem Buch und die stets hilfreiche und freundliche Zusammenarbeit und zuletzt natürlich meiner Frau Ulrike für ihre Geduld und Nachsicht mit mir, wenn ich am Wochenende wieder Stunden am Schreibtisch verbracht habe.

Düsseldorf, im Juli 2023

Reinhard Pietrowsky

|11|1  Einführung

Reinhard Pietrowsky

Das vorliegende Buch thematisiert orthorektisches Essverhalten, auch Orthorexie genannt. Orthorektisches Essverhalten beschreibt eine an subjektiven Kriterien orientierte gesunde Ernährungsweise, die sich an individuellen Ernährungsregeln orientiert. Eine gesunde Ernährung ist grundsätzlich natürlich gut und empfehlenswert, beim orthorektischen Essverhalten sind die betroffenen Personen jedoch so stark auf eine gesunde Ernährung fokussiert, dass es zu einseitiger Ernährung oder gar Mangelernährung kommen kann und psychosoziale Probleme auftreten können. Der Übergang von gesunder Ernährung zu orthorektischem Essverhalten ist fließend, sodass zuerst beschrieben werden soll, was gesunde Ernährung eigentlich ausmacht, um dann leichter eine problematische oder ungesunde Ernährung davon abgrenzen zu können.

1.1  Gesunde Ernährung – Was ist das überhaupt?

Auf den ersten Blick erscheint es einfach, gesunde Ernährung zu definieren. Eine gesunde Ernährung ist eine solche, die möglichen ernährungsbedingten Krankheiten vorbeugt, ausgewogen und vielseitig ist sowie eine optimale Versorgung des Körpers mit wichtigen Nahrungsbestandteilen gewährt. Dies ist auch grundsätzlich richtig, jedoch divergieren häufig die Auffassungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse in Bezug auf eine ausgewogene, vielseitige und gesund erhaltende Ernährung. Das hat verschiedene Ursachen, so etwa veränderte wissenschaftliche Erkenntnisse über gesunde bzw. ungesunde Lebensmittel, vor allem aber auch wechselnde Ernährungsformen im Lauf der Zeit und kulturelle Unterschiede im Ernährungsverhalten. Im Folgenden wollen wir uns daher näher anschauen, wie gesunde Ernährung definiert werden kann.

|12|1.1.1  Definitionen gesunder Ernährung

Die in Deutschland wichtigste und allgemeinste Definition gesunder Ernährung stammt von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Diese Definition, zusammengefasst in den „10 Regeln der DGE“, gilt generell für den mitteleuropäischen Kulturkreis. Die 10 Regeln gesunder Ernährung der DGE beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen (DGE, 2017).

Die 10 Regeln gesunder Ernährung der DGE

Lebensmittelvielfalt genießen: Nutzen Sie die Lebensmittelvielfalt und essen Sie abwechslungsreich. Wählen Sie überwiegend pflanzliche Lebensmittel.

Gemüse und Obst – Nimm „5 am Tag“: Genießen Sie mindestens 3 Portionen Gemüse und 2 Portionen Obst am Tag. Zur bunten Auswahl gehören auch Hülsenfrüchte wie Linsen, Kichererbsen und Bohnen sowie (ungesalzene) Nüsse.

Vollkorn wählen: Bei Getreideprodukten wie Brot, Nudeln, Reis und Mehl ist die Vollkornvariante die beste Wahl für Ihre Gesundheit.

Mit tierischen Lebensmitteln die Auswahl ergänzen: Essen Sie Milch und Milchprodukte wie Joghurt und Käse täglich, Fisch ein- bis zweimal pro Woche. Wenn Sie Fleisch essen, dann nicht mehr als 300 bis 600 g pro Woche.

Gesundheitsfördernde Fette nutzen: Bevorzugen Sie pflanzliche Öle wie beispielsweise Rapsöl und daraus hergestellte Streichfette. Vermeiden Sie versteckte Fette. Fett steckt oft „unsichtbar“ in verarbeiteten Lebensmitteln wie Wurst, Gebäck, Süßwaren, Fast-Food und Fertigprodukten.

Zucker und Salz einsparen: Mit Zucker gesüßte Lebensmittel und Getränke sind nicht empfehlenswert. Vermeiden Sie diese möglichst und setzen Sie Zucker sparsam ein. Sparen Sie Salz und reduzieren Sie den Anteil salzreicher Lebensmittel. Würzen Sie kreativ mit Kräutern und Gewürzen.

Am besten Wasser trinken: Trinken Sie rund 1,5 Liter jeden Tag. Am besten Wasser oder andere kalorienfreie Getränke wie ungesüßten Tee. Zuckergesüßte und alkoholische Getränke sind nicht empfehlenswert.

Schonend zubereiten: Garen Sie Lebensmittel so lange wie nötig und so kurz wie möglich, mit wenig Wasser und wenig Fett. Vermeiden Sie beim Braten, Grillen, Backen und Frittieren das Verbrennen von Lebensmitteln.

Achtsam essen und genießen: Gönnen Sie sich eine Pause für Ihre Mahlzeiten und lassen Sie sich Zeit beim Essen.

Auf das Gewicht achten und in Bewegung bleiben: Vollwertige Ernährung und körperliche Aktivität gehören zusammen. Dabei ist nicht nur regelmäßiger Sport hilfreich, sondern auch ein aktiver Alltag, in dem Sie z. B. öfter zu Fuß gehen oder Fahrrad fahren.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V., Bonn. Stand 2017.

|13|Auffallend an diesen Regeln der DGE ist, dass sie keine Empfehlungen enthalten, bestimmte Nahrungsmittel ganz zu vermeiden. Dies verweist darauf, dass eine gesunde Ernährung durch Vielseitigkeit und Ausgewogenheit gekennzeichnet ist und es keine „verbotenen“ Nahrungsmittel gibt. Denn Nahrungsmittel sind nicht per se gesund oder ungesund, es ist stets eine Frage der Menge der konsumierten Nahrungsmittel, die darüber entscheidet, ob sie gesund oder ungesund wirken können. Somit kann nur die Gesamtheit der über einen (längeren) Zeitraum konsumierten Nahrungsmittel gesund oder ungesund sein. Bei den 10 Regeln der DGE ist ebenfalls auffallend, dass die letzten drei Regeln sich nicht auf Nahrungsmittel, sondern auf die Nahrungszubereitung bzw. den Akt der Nahrungsaufnahme und Bewegung beziehen. Somit wird indiziert, dass gesunde Ernährung mehr ist als nur die Auswahl der Nahrungsmittel. Sie ist eingebettet in weitere, mit der Ernährung verbundene Verhaltensweisen.

Im Einzelnen besagen die wissenschaftlich fundierten Empfehlungen der DGE für gesunde Ernährung, dass die Nahrung möglichst vielseitig sein soll, d. h., eine vielseitige und abwechslungsreiche Ernährung ist per se bereits gesund, weil damit der Mangel bestimmter essenzieller Nahrungsbestandteile (z. B. Mineralien, Vitamine) und ein einseitiges Überangebot bestimmter Makrobestandteile (Kohlenhydrate, Fette, Proteine) verhindert wird. Eine vielseitige Ernährung erfordert daher in den allermeisten Fällen (außer es liegen spezifische medizinische Krankheitsfaktoren vor) auch keine zusätzliche Aufnahme von Vitaminen oder anderen Nahrungsergänzungsmitteln (Bundesinstitut für Risikobewertung, 2012). Diese vielseitige Ernährung sollte vor allem aus Obst und Gemüse bestehen, weil diese viele Vitamine und Mineralien enthalten, die als Schutz dienen vor freien Radikalen, die Krebserkrankungen begünstigen können (Pietrowsky, 2019). Allerdings ist diese Annahme umstritten und konnte wissenschaftlich bislang nicht eindeutig belegt werden. Gemüse und vor allem Hülsenfrüchte enthalten viele Ballaststoffe, die für die Darmflora und damit auch zum Schutz vor Darmkrebs wichtig sind und zudem einen hohen Sättigungsgrad bei geringer Kaloriendichte aufweisen (Deutsches Ärzteblatt, 2017). Um den Vitamingehalt des Gemüses möglichst gut zu erhalten, sollte dieses so schonend wie möglich zubereitet werden.

Kohlenhydrate, etwa in Form von Reis, Kartoffeln oder Nudeln werden empfohlen, jedoch sollten diese nach Möglichkeit aus Vollkornprodukten stammen. Vollkornprodukte enthalten neben Kohlenhydraten (überwiegend in Form von Stärke) als Energielieferanten auch noch einen höheren Anteil an Mineralien und Vitaminen, was zum einen die Energiedichte dieser Nahrungsmittel senkt und zum anderen zu einer zusätzlichen Zufuhr eben dieser essenziellen Nahrungsbestandteile führt. Wie die Aufnahme von Kohlenhydraten können auch tierische Produkte Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung sein. Diese liefern ebenfalls notwendige Vitamine und Mineralien (z. B. Kalzium in Milchprodukten und Eisen in Fleisch); jedoch sollte der Verzehr von Fleisch und Fleischprodukten reduziert sein, da Fleisch und Fleischprodukte einen hohen Anteil an tierischen Fetten auf|14|weisen, die zu erhöhten Cholesterinspiegeln und damit zur Atherosklerose und letztlich zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen können (Pietrowsky, 2019). Es wird ausdrücklich nicht auf den Verzicht von sogenanntem „rotem“ Fleisch verwiesen, da eine stärkere Gesundheitsgefährdung durch rotes Fleisch im Gegensatz zu „weißem“ Fleisch wissenschaftlich nicht belegt ist, wenngleich dieses Thema sehr umstritten ist (Johnston et al., 2019; Smollich, 2019). Da Fette vom Körper für die Bildung vieler körpereigener Stoffe benötigt werden, sind sie unverzichtbar für eine gesunde Ernährung. Die Fettzufuhr sollte jedoch überwiegend durch pflanzliche Fette (Öle) erfolgen, die einen höheren Anteil ungesättigter Fettsäuren enthalten, welche ein geringeres Risiko für die Entwicklung einer Atherosklerose haben (Pietrowsky, 2019).

Die Zufuhr von Zucker sollte reduziert werden, weil Zucker (vor allem Industriezucker) einen reinen Energielieferanten ohne zusätzlichen ernährungsbezogenen Nutzen darstellt. In großen Mengen konsumiert kann er daher zu Übergewicht und langfristig zu Diabetes mellitus Typ 2 oder dem Metabolischen Syndrom führen, welches mit massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen verbunden ist. Zucker wird häufig auch nicht nur in reiner Form aufgenommen, sondern findet sich in vielen Nahrungsmitteln, wie z. B. Süßwaren, Fertiggerichten und gesüßten Getränken. Die Aufnahme von Kochsalz ist für den Körper essenziell; die Salzzufuhr ist aber in westlichen Ländern oft deutlich zu hoch, weil viele Nahrungsmittel, vor allem Fertiggerichte und Wurst, einen hohen Salzgehalt aufweisen. Eine zu hohe Salzzufuhr kann die Entstehung von Bluthochdruck begünstigen, allerdings ist dies vor allem bei den Menschen von Relevanz, die eine hohe Salzsensitivität aufweisen, die oft genetisch bedingt ist (Sanders, 2009).

Zu einer gesunden Ernährung gehört ebenfalls die ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit, am besten in Form von Wasser. Hier kursieren in der Gesellschaft oft falsche Vorstellungen über zu hohe Mengen an Flüssigkeit, die täglich aufgenommen werden soll. Die Aufnahme von etwa 1,5 Liter Wasser pro Tag kann bei gesunden Menschen als ausreichend angesehen werden. Ein erhöhter Flüssigkeitsbedarf besteht selbstverständlich, wenn viel geschwitzt wird, etwa an heißen Tagen oder durch körperliche Tätigkeit. Ein Mangel an Wasser macht sich durch ein Durstgefühl bemerkbar, sodass bei gesunden Menschen nicht prophylaktisch ständig Flüssigkeit zugeführt werden muss. Dies gilt jedoch nicht für ältere Menschen, bei denen häufig eine Störung des Durstgefühls vorliegt. Leitungswasser ist zu empfehlen, weil es wie Mineralwasser auch über ausreichend Mineralien verfügt sowie streng und regelmäßig auf Verunreinigungen kontrolliert wird.

Da die Ausbildung eines Sättigungsgefühls schon mit Beginn der Nahrungsaufnahme einsetzt, sollte langsam und achtsam gegessen werden. Somit ist das Sättigungsgefühl oft schon erreicht, wenn geringere Nahrungsmengen verzehrt werden, und es kann ein Überessen vermieden werden (Pietrowsky, 2022). Langsames und achtsames Essen fördert darüber hinaus den sensorischen Genuss der Nah|15|rung und trägt damit auch dazu bei, insgesamt kleinere Nahrungsmengen zu verzehren (Ohkuma et al., 2015).

Übergewicht ist letztlich Folge einer positiven Energiebilanz, also wenn mehr Kalorien zugeführt als verbrannt werden. Zur Vermeidung von Übergewicht ist es daher nicht nur angeraten, durch eine entsprechende Ernährung die Energiezufuhr zu reduzieren, sondern auch durch körperliche Aktivität die Energieverbrennung zu fördern. Im Sinne einer gesunden Ernährung begünstigt körperliche Betätigung neben der Erhöhung des Stoffwechsels auch die Reduktion freier Fettsäuren im Blut, was wiederum vor Atherosklerose schützt. Auch erhöht körperliche Aktivität die Insulinsensitivität, was Diabetes mellitus Typ 2 und dem Metabolischen Syndrom vorbeugen kann (Pietrowsky, 2019). Mit anderen Worten: Durch körperliche Betätigung können bestimmte ungünstige Effekte der Ernährung abgepuffert werden. Zulängliche und regelmäßige körperliche Bewegung „erlaubt“ damit auch, weniger streng und rigide auf die Ernährung zu achten.

Fazit

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass eine gesunde Ernährung dadurch gekennzeichnet ist, dass sie ausgewogen und vielseitig ist, einen hohen Anteil an Gemüse und Obst und ggf. einen geringen Anteil an Fleisch enthält, keine Nahrungsmittel grundsätzlich vermieden werden und der Konsum von Zucker, Fett und Salz reduziert ist. Kohlenhydrate sollen vorrangig in Form von Vollkornprodukten zu sich genommen werden, und die Zubereitung von Nahrungsmitteln sollte möglichst schonend erfolgen. Generell trägt auch der Verzicht auf Fertigprodukte wegen der in ihnen oft enthaltenen hohen Mengen von Zucker, Fett oder Salz zu einer gesunden Ernährung bei. Eine gesunde Ernährung kann ebenso durch vegetarische oder vegane Kost erreicht werden; in diesen Fällen sollten gegebenenfalls Vitamine (z. B. B12) und Mineralien in Form von Nahrungsergänzungsmitteln zusätzlich aufgenommen werden.

Die genannten Ernährungsempfehlungen beziehen sich auf den deutschsprachigen Raum. In anderen Ländern und Kulturen herrschen zum Teil andere Empfehlungen für gesunde Ernährung, was auf die Relativität der Ernährungsempfehlungen bzw. deren Abhängigkeit von den in unterschiedlichen Kulturen vorherrschenden Ernährungsgewohnheiten hinweist. Beispielsweise enthalten die Ernährungsempfehlungen in den USA wie die der DGE den Verzehr von Früchten, Variation bei der Aufnahme von Gemüse und Proteinen, Getreide zur Hälfte als Vollwertgetreide zu konsumieren und fettarme oder fettfreie Molkereiprodukte oder entsprechende sojabasierte Produkte zu sich zu nehmen. Ferner sollte der Konsum von Lebensmitteln und Getränken mit hohem Zuckeranteil, gesättigten Fettsäuren, Natrium und Alkohol reduziert sein (Food and Agriculture Organization of the United Nations [FAO], 2020). Im Nachbarland Kanada wird hingegen darauf hingewiesen, dass gesunde Ernährung mehr ist als nur die Nahrungsmittel, |16|die verzehrt werden. Gesunde Ernährung umfasse auch, wo, wann, warum und wie gegessen würde. Im Einzelnen beinhalten die kanadischen Ernährungsempfehlungen etwa, dass man sich beim Essen Zeit nehmen sollte, dass man darauf achten sollte, wann man hungrig und wann man satt ist, dass man öfter selbst kochen solle und planen sollte, was man isst. Auch können kulturelle Ernährungstraditionen Teil einer gesunden Ernährung sein. Zu gesunder Ernährung gehöre auch, dass man mit anderen esse. Darüber hinaus enthalten die kanadischen Empfehlungen die bereits bekannten, auf die Nahrungsmittel selbst bezogenen Empfehlungen, abwechslungsreich zu essen, eher pflanzliche als tierische Proteine zu konsumieren, auf gesättigte Fette zu verzichten, den Konsum verarbeiteter Lebensmittel zu reduzieren, ungesüßte Getränke zu trinken etc. (FAO, 2019a).

Die in den deutschen, US-amerikanischen und kanadischen Empfehlungen zu gesunder Ernährung enthaltenen Ratschläge finden sich in nahezu allen Ernährungsempfehlungen der Länder, in denen solche vorliegen. Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche kulturspezifische Besonderheiten in den Ernährungsempfehlungen einiger Länder wie etwa in Japan, wo ein gesunder Essrhythmus empfohlen wird und die Nahrungsaufnahme immer zu bestimmten festgelegten Zeiten erfolgen soll. Ebenso sehen sie vor, dass die Mahlzeiten ausgewogen aus Grundnahrungsmitteln, Hauptspeise und Beilagen bestehen sollten und dass die tägliche Nahrungsaufnahme protokolliert werden soll (FAO, 2010). In Indien gibt es spezielle Empfehlungen für die Ernährung von Schwangeren, Stillenden, Säuglingen, Kleinkindern und Senioren, ebenso wie die Empfehlung, nur saubere Nahrungsmittel (zur Vermeidung von Infektionen) zu konsumieren (FAO, 2011). In Mexiko wird empfohlen, beim Frühstück, Mittag- und Abendessen Obst und Gemüse, Getreide und tierische Produkte zu verzehren (FAO, 2015a). Im Iran (FAO, 2015b) wird empfohlen, Molkereiprodukte täglich zu konsumieren, und dass Fleisch (bevorzugt Hühnchen und Fisch) Bestandteil der Ernährung sein sollte. Für die als besonders gesund angesehene mediterrane Kost beinhalten die Empfehlungen in Griechenland die Vermeidung von rotem und verarbeitetem Fleisch, den häufigen Verzehr von Fisch (insbesondere kleinen, fetthaltigen Fischen) sowie Meeresfrüchten und von Olivenöl als hauptsächlichem Fett (FAO, 2014). Die Ernährungsempfehlungen von Italien, ebenfalls ein Land mit traditioneller mediterraner Küche, beinhalten hingegen keine so spezifischen Empfehlungen für einzelne Lebensmittel wie die von Griechenland, doch es wird vor Diäten und Nahrungsergänzungsmitteln gewarnt (FAO, 2019b).

Wie zu sehen ist, setzen die länderspezifischen Ernährungsempfehlungen unterschiedliche Schwerpunkte, geben zum Teil wenig spezifische Empfehlungen für bestimmte Nahrungsmittel (z. B. Italien) oder betonen die Art und Weise der Nahrungsaufnahme (z. B. Kanada oder Japan). Obwohl eine unüberschaubare Anzahl wissenschaftlicher Publikation zum Thema „gesunde Ernährung“ vorliegt, lassen sich daraus nur wenige widerspruchsfreie Empfehlungen ableiten. Da erscheint es nicht verwunderlich, wenn es für die meisten Konsumenten extrem schwer ist, |17|sich objektiv zu informieren, was eine gesunde Ernährung ausmacht. Somit kann festgehalten werden, dass Empfehlungen für gesunde Ernährung kulturabhängig sind und es schwer ist, von „gesunder Ernährung“ im Allgemeinen zu sprechen. Der kleinste gemeinsame Nenner gesunder Ernährung ist sicherlich eine vielfältige und ausgewogene Ernährung mit einem hohen Anteil an Gemüse und Vollkornprodukten und reduziertem Zucker- und Fettkonsum.

Es ist unbestritten, dass gegenwärtig ein sehr deutlich ausgeprägtes Bewusstsein und großes Interesse für gesunde Ernährung in großen Teilen der Bevölkerung besteht. Hierfür kommen unter anderem folgende drei Gründe in Betracht:

Zahlreiche Lebensmittelskandale in den letzten Jahrzehnten mit zum Teil extrem gesundheitsgefährdenden oder ekelerregenden Praktiken der industriellen Herstellung von Lebensmitteln haben zu Recht eine erhöhte Sensibilität für Nahrungsmittel und für gesunde Ernährung geschaffen.

Die starke mediale Propagierung eines gesunden Ernährungsstils als Indikator der Selbstidentität und der Selbstoptimierung, was letztlich wohl zu immer weiteren neuen und noch spezifischeren Diäten und Ernährungsregeln führen kann.

Die immense und dauerhafte Verbreitung von (wissenschaftlichen) Ernährungsempfehlungen, die häufig nach kurzer Zeit widerlegt sind und somit die Volatilität und das Fehlen von Verlässlichkeit in diesem Bereich aufzeigen. Dies kann dazu führen, dass die Menschen immer weniger den (angeblich) wissenschaftlich erprobten Ernährungsempfehlungen vertrauen und ihre eigenen Ernährungsregeln aufstellen.

Aufgrund dieser Faktoren ist es möglich, dass aus dem verständlichen Interesse an gesunder Ernährung eine Verunsicherung und Desorientierung darüber entsteht, wie gesunde Ernährung dann im Einzelfall konkret umgesetzt werden kann. Diese Verunsicherung kann dazu beitragen, dass selektiv bestimmte Ernährungsregeln ausgewählt oder verschärft werden, was die Grundlage für die Entwicklung einer Orthorexie darstellen kann.

1.1.2  Brain Food, Super Food und Nahrungsergänzungsmittel

Bestimmten Nahrungsmitteln bzw. Nahrungsbestandteilen wird eine besondere und spezifische Funktion für die körperliche oder geistige Gesundheit zugeschrieben. Dabei spricht man von „Brain Food“ oder „Super Food“. Die Einnahme dieser Stoffe erfolgt dann üblicherweise nicht im Rahmen einer bestimmten Diät, sondern selektiv und zusätzlich. Diese Nahrungsbestandteile können in natürlicher Form mit natürlichen Nahrungsmitteln (z. B. Obst, Nüsse) aufgenommen werden, häufig werden sie aber auch synthetisiert in Form von Vitaminen oder Mineralien als Nahrungsergänzungsmittel zusätzlich zugeführt (O’Connor et al., 2022). |18|Studien aus den USA zeigen, dass 52 % der erwachsenen Bevölkerung mindestens ein Nahrungsergänzungsmittel einnehmen (O’Connor et al., 2022).

Brain Food. Unter „Brain Food“ versteht man Nährstoffe, Vitamine und Spurenelemente, die spezifische Wirkungen auf das Gehirn und damit auf seine Leistung, etwa für das Lernen, das Gedächtnis oder die Aufmerksamkeit haben sollen („essen Sie sich schlau“). Es ist unbestritten, dass bestimmte Nahrungsbestandteile wie z. B. Vitamin B9 (Folsäure), Vitamin B12, Vitamin D und Zink eine förderliche Wirkung auf das Gehirn haben, vor allem im Hinblick auf die Gehirnentwicklung und -funktion bei Kindern und älteren Personen (z. B. Bourre, 2006). Allerdings sind die darüber hinaus noch angenommenen Effekte auf spezifische kognitive Leistungsverbesserungen im Vergleich zu der Wirkung anderer Einflüsse auf die Funktion des Gehirns relativ gering. Der aufgrund der Notwendigkeit für die Gehirnfunktion gezogene Schluss, diese Nahrungsbestandteile zusätzlich zu einer ausgewogenen Kost bei gesunden Erwachsenen separat als Nahrungsergänzungsmittel zuzuführen, ist hingegen problematisch, weil dies zu einseitiger Ernährung oder gesundheitlichen Schäden führen kann (O’Connor et al., 2022). Zudem hat sich gezeigt, dass eine Steigerung kognitiver Leistungen durch bestimmte Nahrungsbestandteile nur dann nachzuweisen war, wenn zuvor eine Unterversorgung hinsichtlich dieser Nahrungsbestandteile vorgelegen hatte (Avgerinos, Spyrou, Bougioukas & Kapogiannis, 2018; Protzko, 2017).

Super Food. Der Begriff „Super Food“ wird seit einigen Jahren auch vermehrt gebraucht und meint solche Nahrungsmittel, die einen sehr hohen Gehalt an Vitaminen, Mineralstoffen oder bestimmten Pflanzenstoffen aufweisen. Damit bezeichnete man ursprünglich nicht in Mitteleuropa heimische Pflanzen oder Pflanzenextrakte, zunehmend aber auch heimisches Obst, Gemüse oder daraus gewonnene Produkte (Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, 2022). Typisches Super Food sind Chiasamen, Gojibeeren, Meerrettichbaum, Acai-Beeren, Heidelbeeren, Brokkoli, Grünkohl, Algen, Ingwer, Kurkuma oder Ginseng; letztlich alles Pflanzen, die traditionell der Ernährung dienen. Vor allem exotisches Super Food soll aufgrund der enthaltenen Vitamine, Mineralien und Antioxidantien besonders gesundheitsfördernd sein. Diese sind jedoch auch in anderen (heimischen) Pflanzen enthalten und Super Food weist keinen gesundheitlichen Mehrwert gegenüber heimischem Obst und Gemüse sowie heimischen Beeren auf (Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs, 2020). Die Bezeichnung „Super Food“ entspricht, ähnlich wie die Bezeichnung „Brain Food“, eher Marketingabsichten und dem Zeitgeist der Gegenwart, als ernährungsphysiologisch begründet zu sein, da diese Nahrungsmittel im Rahmen einer ausgewogenen und traditionellen Ernährung teilweise ohnehin konsumiert werden.

Nahrungsergänzungsmittel. Nahrungsergänzungsmittel sind Substanzen, in der Regel Vitamine, Aminosäuren oder Spurenelemente, die als Pulver, Tabletten oder |19|in flüssiger Form zu sich genommen werden, um ein tatsächliches oder vermeintliches Defizit dieser Stoffe durch die gewöhnliche Ernährung auszugleichen. In bestimmten Fällen ist die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln medizinisch und physiologisch sinnvoll oder gar lebensnotwendig, wie etwa die Einnahme von Vitamin B9 (Folsäure) in der Schwangerschaft oder die Einnahme von Vitamin B12 bei veganer Ernährung. Aktuelle Studien und Metaanalysen zeigen allerdings, dass der gesundheitliche Nutzen von Nahrungsergänzungsmitteln bei gesunden Menschen sehr gering bis gar nicht vorhanden ist, wohingegen es ein erhöhtes Risiko für verschiedene schwerwiegende Erkrankungen bei Überdosierung dieser Nahrungsergänzungsmittel gibt (O’Connor et al., 2022). Der enorme Konsum von Nahrungsergänzungsmitteln in der westlichen Welt legt nahe, dass weitaus mehr Menschen diese regelmäßig zu sich nehmen, als sie es aus medizinischen Gründen tun müssten (O’Connor et al., 2022). Die zwiespältige Rolle der Nahrungsergänzungsmittel – einerseits als ernährungsphysiologisch notwendiges Surrogat und andererseits als unnötiges und teilweise gesundheitsschädliches Supplement – spiegelt sich auch in der Haltung zu Nahrungsergänzungsmitteln bei ernährungsbewussten Menschen wider. Hier finden sich einerseits Personen, die bewusst Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen, um tatsächliche oder vermeintliche Defizite in ihrer Ernährung auszugleichen, und andererseits Personen, die explizit darauf verzichten, weil solche Präparate keine natürliche (und damit gesunde) Ernährung darstellen.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass „Brain Food“, „Super Food“ und entsprechende Mittel zur Nahrungsergänzung keine besonderen und notwendigen Nahrungsbestandteile im Rahmen einer gesunden und ausgewogenen Ernährung bei gesunden Personen darstellen. Problematisch ist vielmehr, dass diese Substanzen suggerieren, dass sie für eine gesunde Ernährung notwendig seien, was der Ausbildung eines orthorektischen Ernährungsverhaltens und dem erhöhten Konsum dieser Substanzen Vorschub leisten kann. Und schließlich verhindert diese kognitive Fixierung auf die vermeintlich gesundheitsfördernde Wirkung isolierter Nahrungsbestandteile, die Ernährung in ihrer Gesamtheit und physiologischen Bedingtheit zu sehen, als ein normales physiologisch gesteuertes oder „intuitives“ Essen.

1.1.3  Abschließende Betrachtung

Gesunde Ernährung ist durch eine vielseitige, ausgewogene Ernährung mit einem hohen Anteil an Vollkornprodukten und Gemüse sowie einem geringen Anteil an tierischem Fett, Zucker und Salz gekennzeichnet. Bei gesunden Menschen tragen spezifische Ernährungsformen oder Diäten nicht zusätzlich zu einer gesunden Ernährung bei, abgesehen von einer eventuellen Gewichtsreduktion, wie sie auch |20|durch ausgewogene Ernährung bzw. klassische Formen der Reduktionsdiät erreicht werden kann. Die Aufnahme spezifischer Nahrungsmittel (Brain Food, Super Food) hat ebenfalls keinen zusätzlichen gesundheitlichen Nutzen und ist eher einer Überbewertung der Ernährung im Sinne einer Selbstoptimierung und Identitätsbildung geschuldet. Nahrungsergänzungsmittel können in bestimmten Fällen medizinisch und ernährungsphysiologisch sinnvoll und notwendig sein.

1.2  „Normales“ Ernährungsverhalten aus psychologischer Sicht

Wie wir gesehen haben, entspricht eine ausgewogene und vielfältige, also eine „normale“ und nicht spezifische Form der Ernährung für gesunde Menschen einer physiologisch gesunden Ernährungsweise. Neben diätetischen Faktoren wird das Ernährungsverhalten aber auch stark durch psychologische Faktoren bestimmt. Was entspricht dann einem aus psychologischer Sicht gesunden Ernährungsverhalten?

Psychologische Faktoren können über motivational-emotionale Mechanismen (z. B. Appetenz der Nahrung, Belohnungswert der Nahrung), kognitive Mechanismen (z. B. kognitive Kontrolle der Nahrungsaufnahme, kognitive Fixierung auf Essen) und psychosoziale Faktoren (z. B. veränderte Ernährung beim Essen in Gesellschaft, sozialer Status der Ernährungsweise, Selbstwerterhöhung durch Ernährungsverhalten) auf das Ernährungsverhalten Einfluss nehmen. Grob gesagt, ist ein psychologisch normales Ernährungsverhalten somit eines, welches sich am Anreizwert der Nahrung in Interaktion mit dem Hungerzustand orientiert, das durch eine geringe kognitive Kontrolle der Nahrungsaufnahme gekennzeichnet ist und das nur in nachgeordneter und sozial allgemein akzeptierter Weise der Erfüllung psychosozialer Bedürfnisse dient. Im Folgenden werden wir näher auf diese Punkte eingehen, werden aber auch sehen, dass in vielen Fällen der Übergang zwischen psychologisch normalem und psychologisch auffälligem Essverhalten fließend sowie kulturellen Strömungen unterworfen ist.

Motivational-emotionale Mechanismen. Hinsichtlich motivational-emotionaler Mechanismen zeichnet sich normales Essverhalten dadurch aus, dass im hungrigen Zustand, in dem Nahrungsmittel eine höhere Appetenz haben, mehr gegessen wird als im gesättigten oder teilgesättigten Zustand. Insofern hat die Nahrungsaufnahme im hungrigen Zustand auch einen höheren Belohnungswert als im gesättigten Zustand, was sich physiologisch in einer Ausschüttung von Dopamin und einer Aktivierung des Belohnungssystems, insbesondere des Nucleus accumbens, zeigt (Simon & Friederich, 2022). Hunger geht einher mit einer bedürfnisspezifischen Aktivierung positiv-valenter Aspekte nahrungsspezifischer neuronaler Strukturen, dem Verlangen (Wanting) nach Nahrung. Wird diese erhalten, kommt es zur Wahr|21|nehmung des hedonistischen Aspekts der Nahrungsaufnahme (Liking), die durch opioide Projektionen in frontalen Hirnregionen moduliert wird (Simon & Friederich, 2022). Auf Verhaltensebene entspricht das motivationale Wanting somit der Belohnungserwartung, dem Craving nach einem Nahrungsmittel, und das emotional-affektive Liking der erhaltenen Belohnung, also wie sehr das Nahrungsmittel gemocht wird. Ist das Liking größer als das Wanting, kommt es zu einer weiteren Aktivierung des dopaminergen Belohnungssystems (Simon & Friederich, 2022), wodurch ein belohnungsabhängiges Lernen gefördert wird und sich damit der Belohnungswert der Nahrung erhöht. Unter Sättigung geht die Aktivierung nahrungsspezifischer neuronaler Strukturen und des damit verbundenen Belohnungssystems zurück und kann in eine negativ-valente Bewertung umschlagen, d. h., Nahrungsmittel werden als aversiv empfunden (Pietrowsky, 2022). Ein Beispiel für ein nicht physiologisch gesteuertes Ernährungsverhalten unter Außerkraftsetzung motivationaler Mechanismen wäre etwa die Binge-Eating-Störung, bei der Nahrung in großen Mengen verzehrt wird, obwohl kein Hungergefühl (mehr) besteht (größeres Liking als Wanting). Zu den motivational-emotionalen Faktoren gehört auch, dass sich die Auswahl der Nahrungsmittel an individuellen Geschmacksvorlieben orientiert. Die geschmackliche Appetenz der Nahrung, die in gewissem Maße biografisch erworben ist, bestimmt, welche Nahrungsmittel konsumiert werden. Abweichend wäre hingegen ein Ernährungsverhalten, welches trotz eines biologischen Bedürfnisses nach bestimmten Nahrungsmitteln oder Nahrungsbestandteilen dieses Bedürfnis (Wanting) ignoriert und etwa aufgrund individueller Ernährungsregeln nur bestimmte Nahrungsmittel zulässt. Das gilt selbstverständlich nicht, wenn diese Ernährungsregeln medizinisch begründet sind oder zur notwendigen Gewichtsreduktion angewendet werden.