Ostseewind und Sanddornküsse - Susanne Lieder - E-Book

Ostseewind und Sanddornküsse E-Book

Susanne Lieder

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Beschreibung

Harriet Bohnekamp, fast fünfzig, liebenswert und ausgesprochen tollpatschig, führt ein geordnetes, todlangweiliges Leben. Demnächst soll sie die kleine Bremer Bankfiliale übernehmen, in der sie seit zwanzig Jahren arbeitet. Eine Familie zu gründen, hat sie verpasst, und an die große Liebe glaubt sie schon lange nicht mehr. Der überraschende Heiratsantrag von einem alten Schulfreund reißt Harriet aus ihrem Tiefschlaf. Ihre Flucht auf den Darß führt sie wiederum direkt in die Arme von Jakob und zu einer himmlischen Liebesnacht am Strand. Harriet wollte einen Neuanfang - jetzt hat sie zwei Männer zum Verlieben. So prickelnd hatte sie sich das alles gar nicht vorgestellt...

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Das Buch

Harriet Bohnekamp, fast fünfzig, ist eine liebenswerte Person: ein wenig schusselig und ausgesprochen tollpatschig. Sie führt ein geordnetes, sicheres und todlangweiliges Leben. Demnächst soll sie die kleine Bremer Bankfiliale übernehmen, in der sie seit zwanzig Jahren arbeitet. Erst jetzt wird ihr bewusst, dass sie im Grunde eine Art Tiefschlaf hinter sich hat, sowohl beruflich als auch privat. Den Zeitpunkt, zu heiraten und eine Familie zu gründen, hat sie verpasst, auch weil es nie einen ernstzunehmenden Kandidaten gegeben hat. Und an die große, wahre, romantische Liebe glaubt sie schon lange nicht mehr.

Es muss sich definitiv etwas ändern! Nach einem irgendwie ganz schön peinlichen Klassentreffen steht Harriets Entscheidung fest: Sie braucht Urlaub. Abstand. Kurz entschlossen fährt sie auf den Darß, wo sie glaubt, endlich Entspannung und sich selbst zu finden. Doch weit gefehlt: Ihr Leben wird so aufregend wie schon lange nicht mehr, und auf einmal merkt sie, dass viel mehr in ihr steckt, als sie die ganzen letzten Jahre dachte.

Die Autorin

Susanne Lieder wurde 1963 in Ostwestfalen geboren. Sie ist verheiratet und hat drei erwachsene Söhne. Inzwischen lebt sie mit ihrem Mann auf einem kleinen Resthof in der Nähe von Bremen. Wenn sie könnte, würde sie sofort auf den Darß ziehen.

SUSANNE LIEDER

Ostseewind

und

Sanddornküsse

Roman

Ullstein

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In diesem Buch befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

ISBN 978-3-8437-0984-2

Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2015 Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © Eunice Harris/getty images (Möwe); © Fred Froese/getty images (Strand); © FinePic®, München (Himmel); © Roland Schneider/plainpicture (Haus)

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E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

1.

MIT GROSSEN, FAST ENERGISCHEN SCHRITTEN marschierte Harriet Bohnekamp den Bremer Osterdeich entlang.

Vor wenigen Minuten hatte es angefangen zu nieseln, und sie hatte weder einen Schirm noch eine Kapuze oder sonst irgendetwas, das sie sich auf den Kopf stülpen konnte.

Der Nieselregen würde ihr krauses Haar innerhalb kürzester Zeit in einen Korkenzieherhaselnusshain verwandeln.

Harriet stopfte die Hände in die Jackentaschen und kniff die Augen zusammen.

Sie hatte mehr aus einer Laune heraus beschlossen, zu Fuß zu gehen. Jetzt wünschte sie, sie hätte doch das Auto genommen. Ein Hund hatte etwas auf dem Gehweg hinterlassen, und sie machte einen Ausfallschritt nach links, um nicht hineinzutreten.

Dabei rutschte sie seitlich weg und blieb kurz ein bisschen atemlos stehen.

Ein schneller Blick auf ihr Handy.

Himmel, schon so spät. Vermutlich war heute der erste Tag seit fast zwanzig Jahren, an dem sie zu spät zur Arbeit kommen würde.

Harriet verdrehte die Augen.

Und wenn schon.

Eigentlich war sie ein Ausbund an Pünktlichkeit, und zuverlässig war sie obendrein. Ihre Kollegen schätzten sie, hoffentlich nicht nur wegen ihrer Tugenden.

Sie legte noch einen Schritt zu. Jetzt sah es wahrscheinlich so aus, als würde sie walken und hätte nur ihre Stöcke vergessen.

Egal.

Mit weit ausladendem Schritt stapfte sie in Richtung Wall und überquerte die Straße. Sie wäre zu gern stehen geblieben, um ein wenig zu Atem zu kommen, aber dazu blieb jetzt keine Zeit.

Als sie die Bankfiliale sah, in der sie seit zwanzig Jahren arbeitete, holte sie tief Luft.

Ein erneuter Blick auf ihr Handy. Gut, das waren gerade mal vier Minuten. Daraus würde niemand einen Staatsakt machen.

Ihre Kollegin Sylvia Wagner, im siebten Monat und damit unübersehbar schwanger, hielt ihr die Tür auf.

»Morgen, Harriet. Siehst gut aus.« Sie zeigte auf Harriets Korkenzieherlockenkopf.

Harriet verzog das Gesicht. »Oh, wärmsten Dank auch, Sylvia. Ich kann mir gut vorstellen, wie ich gerade aussehe.«

»Wie ich bereits sagte: Gut.«

Harriet seufzte leise. »Tut mir leid, ich bin ein bisschen spät dran heute. Mein Rad hatte einen Platten, und ich … sollte mehr Sport machen.«

Sylvia Wagner lachte. »Ja, ich auch.« Sie zeigte auf ihren runden Bauch. »Aber erst mal bringen wir das hier zu Ende.«

Harriet musste ebenfalls lachen. »Wie lange dauert es noch?«

»Zu lange, Harriet, viel zu lange. Von mir aus könnte es gleich heute losgehen.«

Etwas verstohlen betrachtete Harriet ihre schwangere Kollegin. Oft hatte sie darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn sie selbst Mutter geworden wäre, ein Kind in ihrem Bauch getragen und großgezogen hätte.

Aber wie, ohne den passenden Vater dazu?

Den Zeitpunkt zu heiraten hatte sie irgendwie verpasst, vor allem, weil es nie einen ernstzunehmenden Kandidaten gegeben hatte.

Und jetzt, mit neunundvierzig, musste sie sich darüber weiß Gott keinen Kopf mehr machen. Wer in dem Alter sein Leben noch nicht unter Dach und Fach hatte, der konnte eigentlich gleich einpacken oder wenigstens so vernünftig sein und sich eingestehen, dass er einem Phantom nachjagte.

Der Zug war abgefahren, wie man so schön sagte. Harriet befand sich auf direktem Weg in die Menopause, ihre Wechseljahre standen vor der Tür, hatten bereits auf den Klingelknopf gedrückt, nur hatte Harriet sich noch nicht getraut, aufzumachen und den ungebetenen Besuch ins Haus zu lassen. Gut, vielleicht hatte sie noch ein paar Jahre Zeit, wer wusste schon, wann genau die berüchtigten Hormonumstellungen ihr das Leben zur Hölle machen würden.

Andererseits, wer konnte schon mit Bestimmtheit sagen, ob die Wechseljahre ein Höllentrip würden? Vielleicht war Harriet eine der Frauen, die irgendwann morgens erwachten und feststellten, dass sie sich nun in der zweiten Lebenshälfte befanden. Meine Güte, mit fünfzig fing das Leben doch erst an. Sagten nicht viele Menschen, dass die Zeit nach dem fünfzigsten Lebensjahr die schönste ihres Lebens gewesen war?

Harriet ging ins Bad, um sich die Hände zu waschen.

Dabei warf sie einen Blick in den Spiegel und schluckte.

Wirklich überrascht war sie nicht. Natürlich sah sie aus wie Medusa. Nur dass sich bei ihr die Schlangen um den Kopf bewegten, Harriets Lockenkranz rührte sich keinen Millimeter.

»Gott noch mal, wie dämlich ich wieder aussehe.«

Sie überlegte kurz, ob ihre Kollegin nur nett hatte sein wollen oder ob sie womöglich wirklich eine Verfechterin und Liebhaberin der Naturkrause war.

Vielleicht sollte Harriet sie bei Gelegenheit danach fragen.

Friederike Steding, die neue Auszubildende, saß am Tisch, vor sich eine Mappe, aus der unzählige beschriftete Zettel hervorlugten.

»Hallo, Friederike. Alles gut bei Ihnen?«

Die junge Frau stöhnte auf. »Fragen Sie lieber nicht.«

Harriet zeigte auf die lose Zettelwirtschaft vor Friederike.

»Was tun Sie da?«

»Berufsschule«, erwiderte die Auszubildende nur.

»Aha.« Harriet nickte. Mehr musste sie nicht wissen.

Sie hatte keine Hemmungen zuzugeben, dass auch sie die Berufsschule gehasst hatte.

Sie ging zum Schalterraum und tippte ihrem Kollegen Rainer Mensching auf die Schulter. »Morgen, Rainer. Alles in Ordnung?«

Er wirbelte herum. »Da bist du ja. Na, zu spät gekommen? Wäre das erste Mal, soweit ich mich erinnern kann. Macht ja nix. Ja, alles in bester Ordnung. Und selbst?«

Sie hatte seinen Redeschwall einigermaßen geduldig abgewartet. Sie kannte ihren Kollegen inzwischen so gut, dass sie ihn niemals unterbrach, weil er dann die Angewohnheit hatte, den Faden zu verlieren, und von neuem ansetzte, um seinen Monolog zu wiederholen.

»Bei mir auch, danke. Hab ich die Unterlagen von Meierdierks schon auf dem Tisch?«

»Was dachtest du denn?«

Harriet schenkte ihm ein reizendes Lächeln und wandte sich ab. Sie wusste, dass sie einen ganzen Tag am Schreibtisch vor sich hatte, Kreditverträge unterschreiben und Verhandlungen mit Großkunden erledigen musste. Das war ihr Job seit mehr als zehn Jahren. Sie saß in der Kreditabteilung dieser Bank, etwas, das sie eigentlich nie hatte tun wollen.

Sie war mehr oder weniger hineingerutscht, hatte sich im Laufe der Jahre aber gefügt und versucht, wenigstens etwas Spaß daran zu entwickeln, größeren Firmen gewisse Kreditrahmen einzuräumen und mit nervösen, sehr häufig auch entsprechend gereizten Menschen stundenlang zu telefonieren.

Es war ein Job, nichts weiter.

Manche Menschen standen mitten in der Nacht auf, um anderen frische Brötchen zu backen, wieder andere standen Tag für Tag vor einer Schar Halbwüchsiger und versuchten, ihnen Wissen mit auf den Weg zu geben.

Und noch andere standen sich die Beine in den Bauch, um ihre Mitmenschen zu frisieren, die Füße zu massieren, die Fingernägel zu feilen oder ihr Gesicht mit einer Algenmaske zu bestreichen.

Harriet saß sich ihren ursprünglich einmal ziemlich wohlgeformten Hintern platt, um mit schlechtgelaunten Managern oder denen, die sich dafür hielten, darüber zu diskutieren, warum ihr Kreditrahmen seit langem ausgeschöpft war. Manchmal musste sie sich gar beschimpfen lassen, auch das war schon vorgekommen. Und immer hatte sie die Contenance bewahrt und gute Manieren bewiesen.

Dabei hätte sie liebend gern einige Tiernamen durchs Telefon gebrüllt oder den Hörer einfach auf die Gabel gepfeffert. Aber sie beschränkte sich stets auf ein nachsichtiges Lächeln, streckte ihrem unsichtbaren Telefonpartner den Mittelfinger entgegen und atmete in ihren Bauch.

Ommm …

Meistens half das sogar.

Harriet machte pünktlich Feierabend, gönnte sich Tacos auf die Hand, wobei ihr die Hälfte aus der Aluverpackung flutschte und auf der Straße landete.

Halbwegs gesättigt, kam sie nach Hause.

Ihre buntgescheckte Katze Klementine erwartete sie bereits an der Haustür und schmiegte sich an ihre Beine.

»Na, meine Dicke?« Harriet beugte sich herunter, um sie hinter den Ohren zu kraulen, so wie Klementine es liebte.

»Hattest du einen schönen Tag, Klementinchen?«

Die Katze trollte sich und lief in Richtung Küche. Sie blieb vor dem Schrank mit den Thunfisch-in-Gelee-Dosen sitzen und warf Harriet einen vielsagenden Blick zu.

»Ja, der Dosenöffner ist wieder da.« Harriet nahm eine der Dosen und gab einen Teil des Inhalts in den Fressnapf.

Immerhin hatte Klementine so viel Anstand, abzuwarten und sich nicht gleich auf ihr Fressen zu stürzen. Stattdessen demonstrierte sie Langeweile und betrachtete Harriet mit zusammengekniffenen Augen.

»Mahlzeit«, sagte Harriet, und das war das Stichwort.

Heißhungrig stürzte sich die Katze auf ihr Fressen und schmatzte ungeniert.

Harriet nahm sich ein Glas Weißwein und setzte sich damit an ihren Laptop.

Seit gut zwei Wochen chattete sie mit einer sehr sympathischen Frau. Johanna und sie hatten sich eher zufällig im Netz kennengelernt, und seitdem chatteten sie Abend für Abend ausgesprochen interessant und anregend.

Sie schaltete das Gerät ein und wartete, bis das bekannte Brummen ertönte. Dann loggte sie sich ein.

Johanna war offenbar bereits online.

Harriet schrieb: Ein weiterer langweiliger Tag geht zu Ende.

Endlich Feierabend. Und wie war Dein Tag?

Es dauerte keine Minute, da kam Johannas Antwort:

Schön, dass Du da bist. Mein Tag war auch nicht unbedingt ein einziges Highlight.

Harriet schmunzelte, als sie das las.

So ist das Leben. Ich arbeite, um zu leben, nicht umgekehrt.

Johanna schrieb: Genauso sehe ich das auch.

Wie sieht Dein Wochenende aus?, wollte Harriet wissen.

Johannas Antwort: Wenn ich das wüsste. Wahrscheinlich werde ich die Beine hochlegen, die Fernbedienung auf meinem Knie, die Keksdose in Reichweite, und mir einen Liebesfilm ansehen.

Ein Liebesfilm, soso, schrieb Harriet zurück. Du bist also eine Romantikerin. Glaub mir, man will uns nur vorgaukeln, dass es noch echte, romantische Liebe gibt, die ein Leben lang hält. Ich persönlich glaube nicht an so einen Unsinn.

Du findest also Liebe, die ein Leben lang hält, unsinnig?

Nein, das meinte ich nicht. Ich glaube nur nicht daran. Du etwa?

Johanna antwortete: Ich schon! Unbedingt! Und das lasse ich mir auch nicht nehmen.

Ich wäre die Letzte, die Dir das nehmen würde, schrieb Harriet zurück und setzte einen Smiley hinzu.

Sie nippte an ihrem Wein und kraulte Klementines Kopf, die sich gerade herangeschlichen hatte und auf ihren Schoß gesprungen war.

Sie schrieben ganze zwei Stunden lang, erst über Hollywood-Klassiker, dann über aktuelle Kinofilme und schließlich landeten sie bei thailändischen Kochrezepten.

Todmüde fiel Harriet ins Bett, ihre Katze hatte sich in ihre Kniekehle geschmiegt.

Sie träumte von einem riesigen Haus, einer Art Villa, mit unzähligen Zimmern. Die Tür zu jedem einzelnen Zimmer war fest verschlossen, und Harriet fand sich davor wieder, grübelnd, ob sie einfach hineingehen sollte. Bei zwei, drei Türen tat sie es, öffnete sie vorsichtig und spähte hinein.

Die Zimmer waren geräumig, mit dunkelroten schweren Samtvorhängen vor den Fenstern. Warum nur hatte man die Fenster verhängt?

Man hätte doch wunderbar nach draußen blicken können.

Statt die Vorhänge beiseitezuschieben, war sie wieder aus dem Raum gegangen und hatte das Haus schließlich mit wehmütigem Herzen verlassen.

Sie schreckte aus dem Tiefschlaf hoch, als ihr Handy klingelte. Mit einer Hand angelte sie danach, erwischte die Nachttischlampe und riss sie vom Nachtschrank.

»Himmelherrgott noch mal!«, fluchte sie.

Klementine war ebenfalls wach und blickte sie träge und einigermaßen schockiert an.

»Ich kann nichts dafür«, murmelte Harriet.

Endlich hatte sie ihr Handy gefunden und blickte aufs Display.

Susanne ruft an.

Susanne war Harriets beste Freundin, sie kannten sich seit über zwanzig Jahren.

Seit drei Monaten war Susanne jetzt beruflich in Wellington/Neuseeland. Sie war Cellistin in einem großen Orchester und würde noch einige Wochen auf der anderen Seite der Erde bleiben.

Harriet meldete sich schlaftrunken.

»Hallo, Susanne, wie geht’s dir?«

»Prima. Entschuldige, dass ich dich aus dem Bett klingele.« Im Hintergrund lief ein Radio oder Fernseher.

Harriet gähnte herzhaft und kraulte mit der freien Hand Klementine, die offenbar überlegte, sich aus dem ungemütlich gewordenen Bett zu verziehen.

»Ich hab jemanden kennengelernt.«

Harriet blinzelte verdattert. »Sag das noch mal.«

»Ich hab da jemanden kennengelernt.«

»Und wer ist dieser ›jemand‹?«

»Ein total sympathischer Mann. Ende vierzig, gut aussehend, himmelblaue Augen, graue Schläfen …«

»George Clooney?«

»Der ist älter.«

»Wer? Georgie?«

»Ich bin ganz durcheinander, Jette, deshalb musste ich dich einfach anrufen. Bist du sauer?«

»Sauer? Nein. Nur müde.« Harriet gähnte erneut.

»Du siehst mich zerknirscht.«

»Leider nicht.«

Einen Moment blieb es still in der Leitung.

»Wie? Leider nicht?«

Harriet musste lachen. »Ich sehe dich leider nicht, meinte ich damit. Du bist am anderen Ende der Welt, Susanne.«

»Er ist Neuseeländer, Jette.«

Jetzt schwieg Harriet ein wenig verblüfft.

Schließlich sagte sie: »Bild dir bloß nicht ein, dass du einfach dableiben kannst. Denk nicht mal drüber nach.«

»Und wenn er mein Traummann ist?«

Harriet verkniff sich ein Grinsen, auch wenn ihre Freundin das nicht gesehen hätte. »Dein Traummann? Der Wievielte wäre das?«

Jetzt musste Susanne lachen. »Ja, du hast ja recht. Trotzdem. Er gefällt mir, Jette. Er gefällt mir sogar sehr. Und er ist irgendwie …«

»Anders?«

»Anders, ja.« Susanne lachte wieder.

Das wäre auch nicht der erste Kerl, der anders wäre, dachte Harriet und unterdrückte ein Seufzen.

Susanne war seit Jahren auf der Suche nach dem einzig wahren Mann, ihrer großen Liebe, ihrem Traumprinzen, was auch immer. Sie war genau wie Harriet unverheiratet und kinderlos. Nur, dass Susanne es immer gestört und belastet hatte, Singlefrau zu sein. Im Gegensatz zu Harriet.

»Seid ihr schon miteinander ausgegangen?«

»Nein, noch nicht. Aber wir waren miteinander im Bett.«

Harriet blinzelte verdattert. »Nicht dein Ernst!«

»Doch. Und er ist der beste Liebhaber, den ich je hatte.«

»Auch das noch.«

»Ja, auch das noch.«

»Und sonst?«, fragte Harriet.

»Und sonst ist es wunderbar hier. Du müsstest hier sein, Jette, es ist großartig. Warum kommst du nicht einfach und besuchst mich für ein paar Tage?«

»Weil ich Flugangst habe?«, gab Harriet trocken zurück.

Bei ihrer Neigung zu Missgeschicken und Unfällen wäre ein Flugzeugabsturz das Wahrscheinlichste.

»Und ich bin keine besonders gute Schwimmerin, wie du weißt. Ich käme gerade mal bis zum Mittelmeer.«

Susanne kicherte. »Ach, es ist jammerschade, Jette. Wie gerne würde ich dir hier alles zeigen.«

Damit sie ihre Katze weiterkraulen konnte und weil sie das Handy nicht unters Kinn klemmen wollte, hatte Harriet mit dem linken Fuß ihren kleinen Notizblock herangezogen, der immer auf ihrem Nachtschrank lag. Den dazugehörigen Bleistift versuchte sie, mit dem großen Zeh zu angeln.

Einige Male rutschte er weg, dann aber klappte es. Sie fing an, kleine Männchen zu zeichnen.

Schließlich wurde aus einem unbestimmten Kringel ein Tier. Aber was für eins?

Harriet musterte es eingehend und musste lachen.

»Was ist so lustig?«, wollte ihre Freundin wissen.

»Ich hab ein Tier gemalt, und ich hab keine Ahnung, was für eins.«

»Ich weiß, ich wiederhole mich, aber ich finde, du solltest mehr aus deinem Talent machen, Jette. Du zeichnest so wunderbar.«

»Ach, das sind doch nur Kritzeleien.«

Susanne stieß einen empörten Ton aus. »Siehst du, genau das meinte ich! Du weißt gar nicht, wie talentiert du bist.«

Harriet gähnte und presste dabei die Zähne aufeinander.

Klementine hatte sich lang ausgestreckt, den Kopf auf den Vorderpfoten.

»Ich war gestern wieder im Botanischen Garten«, erzählte Susanne gerade. »Und als wir zurückfuhren, hatten wir eine riesige Schafherde vor uns. Wir waren zum Grillen bei einer Kollegin eingeladen, und die Viecher haben dafür gesorgt, dass wir fast eine Stunde zu spät dran waren.«

Harriet hörte zu und zeichnete dabei.

Aus ihrem kugelrunden Tiergeschöpf war inzwischen ein Schaf geworden. Ja, es war eindeutig ein Schaf.

Sie verpasste ihm ein lustiges Karohemd und eine Latzhose, was dem Tier ausgesprochen gut stand, wie sie fand.

Sie lachte leise. »Willst du wissen, was ich gerade gezeichnet habe?«

»Unbedingt!«

»Erst war’s ein Kringel, aber jetzt ist ein Schaf daraus geworden. Wahrscheinlich, weil du eben von der Schafherde erzählt hast.«

Sie überlegte, ob sie gleich aufstehen und dem niedlichen Wollknäuel etwas Farbe verpassen sollte. Sie hatte erst kürzlich neue Pastellstifte gekauft.

»Soll ich dir sein Konterfei faxen?«

»Ich bestehe darauf. So, und nun bestehe ich auch darauf, dass du dich wieder hinlegst und schläfst, Jette. Tut mir wirklich leid, aber ich musste dir einfach erzählen, dass ich mich …« Sie schien zu stutzen. »Ja, was eigentlich? Ob ich mich verliebt habe, Jette?«

»Verliebt? In deinem Alter?« Harriet blinzelte erschrocken. »Entschuldige, in unserem Alter.«

Susanne fand das urkomisch, sie lachte lauthals. »Meine Güte, warum denn nicht? Man kann sich auch noch mit siebzig verlieben.«

»Man schon, ich garantiert nicht.« Wenn Harriet ehrlich zu sich selbst war, dann musste sie sich eingestehen, dass sie erst ein einziges Mal ernsthaft verliebt gewesen war. Und dieses eine Mal lag eine Ewigkeit zurück. Sie überlegte, wie alt sie damals gewesen war? Dreiundzwanzig, vierundzwanzig?

»Ich schon.« Susanne wünschte eine gute restliche Nacht und legte auf.

Und Harriet betrachtete nachdenklich ihr Schaf. »Du wirst Gunnar heißen.« Genau wie der Mann, in den sie damals verliebt gewesen war.

2.

DIE EINLADUNG ZUM KLASSENTREFFEN hatte sie schon beinahe wieder vergessen.

Meine Güte, warum hatte sie die Karte nicht einfach verbrannt? Oder gleich weggeworfen?

Stattdessen prangte sie am Küchenschrank wie eine Art Mahnmal.

Und das seit nunmehr vier Wochen. Mittlerweile hatte Harriet sich daran gewöhnt, dass sie dort hing.

Sie hatte in einem Anflug von geistiger Verwirrung zugesagt.

Sie hatte in der Mail sogar geschrieben, dass »sie sich freue, alle mal wiederzusehen«.

Dabei freute sie sich kein bisschen.

Gott, ging es noch heuchlerischer?

Sie donnerte die Küchenschranktür zu, als ob er die Einladung angezettelt hatte.

Klementine, die auf dem Küchenstuhl lag und sich putzte, fuhr zusammen und sah sie empört an.

Klementine konnte sogar arrogant gucken.

Harriet seufzte herzzerreißend und überlegte zähneknirschend, was sie am Abend anziehen sollte.

Etwas Todschickes vielleicht? Das kleine Schwarze?

Oder um ihrer eigentlichen Abscheu Ausdruck zu verleihen, zerrissene Jeans und Schlabbershirt?

Ja, Lust hatte sie genau dazu, doch sie wusste, dass sie es ja doch nicht fertigbringen würde.

Sie lief nach oben ins Bad, duschte und cremte sich ausgiebig ein. Danach stand sie ewig vor dem Kleiderschrank und zog ein Kleidungsstück nach dem nächsten heraus.

Nagelneue weiße Jeans, ein knielanger, enger Rock, ein luftiges Sommerkleid mit einem gebauschten Rock und sogar ein Kostüm einer deutschen Designerin, das sie sich in einem Anflug von Geldverschwendung gekauft hatte.

Sie ließ sich aufs Bett fallen und streckte beide Beine weit von sich. Dabei betrachtete sie ihre unlackierten Fußnägel.

Sie musste an Miriam denken, eine Bekannte, die sich für ihre beste Freundin hielt. Miriam würde niemals mit unlackierten Fußnägeln aus dem Haus gehen, nicht einmal im Winter.

Die beiden hatten sich vor knapp zwei Jahren auf der Geburtstagsparty eines gemeinsamen Bekannten kennengelernt.

Miriam hatte Harriet auf die Kette angesprochen, die sie getragen hatte, und so waren sie ins Gespräch gekommen. Wobei Miriam eindeutig diejenige gewesen war, die das Gespräch in Gang gehalten hatte. Harriet wäre nie auf den Gedanken gekommen, sich nach der Party bei Miriam zu melden. Doch das Schicksal war manchmal unbarmherzig; nur wenige Tage später waren die beiden sich im Viertel über den Weg gelaufen. Seitdem klebte Miriam mit einer besonderen Art von Anhänglich- und Beharrlichkeit an Harriet, und Harriet wiederum war schlicht nicht der Mensch, der jemandem mit der Holzhammermethode deutlich machte, dass er ihr auf die Nerven ging.

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