Outdoorcamp - Sany MacSchuler - E-Book

Outdoorcamp E-Book

MacSchuler Sany

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Beschreibung

Sechs junge Menschen, vier Mädchen und zwei Jungen, allesamt sehr gut miteinander befreundet, fallen einer hinterhältigen Intrige des Gemeinderats von Drachenfeld zum Opfer. Der Grund war, dass eines der Mädchen in letzter Zeit aus der Rolle gefallen war. Deshalb beschlossen die Gemeinderatsbrüder kurzerhand, dass sie etwas dagegen tun müssen. Sie wollten Viktoria, eines der vier Mädchen, wieder in ihre Schranken weisen und ihr dabei ordentlich den Kopf waschen. Wie es der Zufall will, half ihnen auch noch ein etwas hinterlistiger Polizeioberst einer Spezialeinheit, den Plan in die Tat umzusetzen. Der Gemeinderat machte nicht einmal Halt vor der katholischen Kirche, denn es gab seit kurzem Auseinandersetzungen mit der Diözese, weil man ihnen ihren ach so geliebten Pfarrer Jakobus von heute auf morgen abgezogen hatte. Auch hier gab es also Grund, sich zu rächen. Noch ahnen die Gemeinderatsmitglieder und der Polizeioberst nicht, was sie durch ihre irrwitzige Idee alles auslösen.

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Seitenzahl: 600

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Zu diesem Buch:

Sechs junge Menschen, vier Mädchen und zwei Jungen, allesamt sehr gut miteinander befreundet, fallen einer hinterhältigen Intrige des Gemeinderats von Drachenfeld zum Opfer. Der Grund war, dass eines der Mädchen in letzter Zeit aus der Rolle gefallen war. Deshalb beschlossen die Gemeinderatsbrüder kurzerhand, dass sie etwas dagegen tun müssen. Sie wollten Viktoria, eines der vier Mädchen, wieder in ihre Schranken weisen und ihr dabei ordentlich den Kopf waschen. Wie es der Zufall will, half ihnen auch noch ein etwas hinterlistiger Polizeioberst einer Spezialeinheit, den Plan in die Tat umzusetzen. Der Gemeinderat machte nicht einmal Halt vor der katholischen Kirche, denn es gab seit kurzem Auseinandersetzungen mit der Diözese, weil man ihnen ihren ach so geliebten Pfarrer Jakobus von heute auf morgen abgezogen hatte. Auch hier gab es also Grund, sich zu rächen. Noch ahnen die Gemeinderatsmitglieder und der Polizeioberst nicht, was sie durch ihre irrwitzige Idee alles auslösen.

Autorenbeschreibung:

Wer steckt hinter dem Künstlername Sany MacSchuler?

Die Autorin verrät ihren Lesern nur soviel: Sie ist 1967 am wunderschönen Bodensee geboren. Mutter zweier erwachsenen Kinder. Noch heute lebt sie zusammen mit ihrer Familie und ihren Tieren in der Nähe des Bodensees.

„Glück ist, wenn der Versand

tanzt,

das Herz atmet und die Augen

lieben“

Autor unbekannt

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 1

Der Frühling legte sein schönstes Gewand über ein kleines idyllisches Örtchen. Überall in den Gärten vor den Häusern konnte man schon die ersten Frühlingsblüher erblicken. Schneeglöckchen, Narzissen, Krokusse, Tulpen und Hyazinthen waren zu sehen, die sich zum Teil schon einen Weg aus der Erde bahnten, um ihre Blütenköpfe der Sonne entgegen zu strecken. In den Wäldern und auch am Waldrand sah man ganze Teppiche von Buschwindröschen und Schlüsselblumen. Selbst die Haselsträucher, die am Waldrand oder am Feldweg standen, trieben ihre Knospen schon aus. An den Birken leuchtete schon von Weitem das frische Grün ihrer Blätter.

Noch lag die kleine Ortschaft in einem Dornröschenschlaf. Das sollte sich aber schon bald ändern, sobald die Sonne die kalten und nassen Tage vertrieben hatte. Die Touristen und Wallfahrer würden schon bald, wie die Bienen in einem Bienenstock, über das Dörfchen Drachenfeld herfallen. Die urtypische ländliche Gegend mit ihrer Viehwirtschaft, Forst und Ackerbau sah, von oben aus der Luft betrachtet, mit ihrer bizarren Hügellandschaft, den Wäldern, Wiesen, Bächen und Äckern, wie ein feuerspuckender Drache aus. Deshalb hieß das Örtchen auch Drachenfeld. Aber nicht nur die sonderbar von der Natur geformte Landschaft, in der Drachenfeld wie das Auge des Drachens lag, war eigenartig, dies galt auch für seine Bewohner, vor allem jetzt, nachdem vor ein paar Jahren Drachenfeld zu einem Wallfahrtsort ernannt worden war. Irgendein Dahergelaufener hatte gemeint, oben in der Waldquelle, die zum Hof von Bauer Lorenz gehörte, sei ihm die Mutter Gottes erschienen, als er nach einer Wanderung aus der Quelle getrunken habe. Als dies über die Presse bekannt geworden war, gab es plötzlich noch mehr Leute, die dies ebenfalls behaupteten. Dadurch wurde ein langer Streit um die Waldquelle entfacht, die auf dem Grund und Boden von Bauer Lorenz lag. Jeder versuchte, auf die Quelle Anspruch zu erheben. Die Kirche, das Landwirtschafts- und Forstamt, sogar Firmen von Mineralbrunnen, die das Wasser vermarkten wollten, erhoben Rechte auf diese natürliche Quelle. Alle behaupteten, sie seien die rechtmäßigen Besitzer dieses Quellwassers, und so wurde ein langer Streit um diese Quelle ausgelöst, den meist ein Gericht schlichten musste. Noch schwieriger wurde es, nachdem ein neuer Gottesdiener nach der Heiligsprechung der Quelle in das Örtchen versetzt worden war. Der alte Pfarrer, der sonst am Sonntag Morgen mehr als vierzig Jahre in Drachenfeld von der Kanzel gepredigt hatte, war einfach von der Diözese in eine andere Gemeinde versetzt worden. Die Gemeindemitglieder trauern ihm noch bis heute nach. Er hatte sich immer sehr gut um die Kinder seiner Schäfchen aus dem Dörfchen gekümmert, und war auch ein Mitglied des Stammtisches aus dem Goldenen Drachen. So manchen Unfug und einige Ideen, die am Stammtisch ausgeheckt worden waren, hatte er in die Tat umgesetzt.

Der Stammtisch in Drachenfeld im Goldenen Drachen war etwas ganz Besonderes. Obwohl das Örtchen ein eigenes kleines Rathaus mit einem Saal für Gemeinderatssitzungen besaß, wurden die Sitzungen des Gemeinderats größtenteils am Stammtisch bei einem Bier und einer zünftigen Brotzeit abgehalten, da die meisten Stammtischbrüder auch Gemeinderatsmitglieder waren. Die Einheimischen wussten das und so konnten sie jeden Abend am Stammtisch ihr Anliegen vorbringen, ohne dass sie warten mussten, bis eine Versammlung einberufen wurde.

Aber Drachenfeld hatte noch eine andere Kuriosität. Nachdem die Ortschaft zu einem Wallfahrtsort ernannt worden war, hatten die Stammtischbrüder beziehungsweise der Gemeinderat beschlossen, dass das Fünfhundert-Seelendorf keine fremden Zuwanderer dulden würde. Anträge von Menschen, die gerne nach Drachenfeld ziehen wollten und nach Baugrund fragten, wurden kurzerhand mit dem Kommentar „Kein Bauland ausgewiesen.“ abgelehnt. Dies wurde so entschieden, obwohl es durchaus erschlossene Bauplätze gab. Lediglich eine Ausnahmeklausel für Zuwanderung gab es. Diese besagte, dass eine Person durch Einheirat in der Gemeinde Drachenfeld aufgenommen werden konnte. Für Paare, die in wilder Ehe lebten, galt das auch. Die Bedingung dafür war: Einer der beiden Partner musste ein Einheimischer sein. Alles andere, was die Zuwanderung betraf, wurde konsequent abgelehnt, es sei denn, man hatte super gute Argumente und die bestanden aus einer horrenden Summe an Geld, was sich kaum jemand leisten konnte. Aber auch das musste man zuvor beim „Stammtisch“ vorbringen. Der Stammtisch bestand jetzt leider nur noch aus zwölf Männern, die aus unterschiedlichen Berufsgruppen kamen. Vom Großbauer bis zum Staranwalt war alles vertreten. In früheren Zeiten waren es ursprünglich noch dreizehn Stammtischmitglieder, denn der alte, geschätzte Hochwürden Jakobus gehörte damals auch zu ihnen. Der neue Pfarrer Theo Busenwunder wurde von den Stammtischgesprächen ausgeschlossen, obwohl man ihn hin und wieder am Stammtisch sitzen sah. Keiner mochte ihn besonders. Der Hauptgrund hierfür war, dass man den alten Pfarrer Jakobus, der über vierzig Jahre in der Gemeinde seinen Dienst getan hatte, von heute auf morgen versetzte und ihnen diesen stinkenden, hochnäsigen Pfaffen vor die Nase gepflanzt hatte. Und sie ließen ihn auch merken, dass er in Drachenfeld nicht sonderlich willkommen war. Obwohl sich Bürgermeister August Pfützenreiter wöchentlich mit einem Schreiben bei der Diözese beschwerte, man solle diesen Scharlatan und Hetzer aus Drachenfeld abziehen und den rechtmäßigen Hochwürden Jakobus wieder an seinen Platz zurückschicken, blieb das Bistum eisern, obwohl ihm seine Gemeinde in den Ohren lag, die ihren alten Pfarrer wieder haben wollten. Jedes Mal, wenn ein Antwortschreiben ins Rathaus flatterte, hieß es, Hochwürden Jakobus sei nicht der richtige Mann für einen Wallfahrtsort. Und jedes Mal nach einem solchen Antwortschreiben, schäumte Bürgermeister August Pfützenreiter vor Wut. Einmal setzte er sich voller Ärger hinter das Steuer seines Mercedes und düste zur Diözese. Er drang damals gewaltsam in die Räumlichkeiten ein und packte den Bischof unfreundlich am Kragen, um ihm die Leviten zu lesen. Dies hatte zur Folge, dass sein Stammtischbruder und Gemeinderatsmitglied, Staranwalt Lutz Möller, ihn aus dieser misslichen Lage, in die er sich nunmehr manövriert hatte, herausboxen musste.

Aber dadurch kam Pfarrer Jakobus auch nicht wieder nach Drachenfeld zurück. Eher zog sich die göttliche Schlinge um das Örtchen noch enger zu. Seit Jakobus nicht mehr im Ort war, lungerte die Dorfjugend nur noch herum. Pfarrer Jakobus hatte sich liebevoll und aufopfernd um die Jugendlichen und Kinder gekümmert, sei es mit Nachhilfe bei den Hausaufgaben oder indem er den Kleinen Rollschuh-Laufen an regnerischen Tagen in der Kirche erlaubt hatte. An jedem letzten Freitag im Monat fand sogar eine Disco in der Kirche statt. Dort spielte Jakobus selbst den Discjockey und legte die heißesten Songs und Rhythmen auf, selbst die ältere Generation wurde davon angezogen. Es wurde ein Tisch aufgestellt, worauf jeder, der etwas zur Party mitgebracht hatte. Ess- und Trinkbares abstellen konnte. Als Dank erhielt der Hochwürden von seinen jungen Schäfchen meist handwerkliche Hilfe bei Renovierungsarbeiten an der Kirche, oder Unterstützung, wenn er sonst etwas benötigte. Der Gemeinderat hatte schnell begriffen, dass die Jugendlichen Jakobus gerne halfen. Das Geben und Nehmen bekam dadurch einen Sinn für ihr zukünftiges Leben. Außerdem kamen die Halbwüchsigen nicht auf die dumme Idee, in die fünfzehn Kilometer weit entfernte Großstadt zu fahren, um dort herumzulungern. Das alles wurde durch das Auftauchen von Ordensbruder Theo Busenwunder zunichte gemacht. Die Jugendlichen lümmelten am Dorfbrunnen herum, einige waren gereizt, sodass es des Öfteren zu Schlägereien kam, weil sie nicht wussten, was sie mit ihrer freien Zeit nach Schulschluss und am Wochenende anfangen sollten. Zu Zeiten von Jakobus hatte es dies alles nicht gegeben. Er wusste genau, wie er die Heranwachsenden beschäftigen konnte. Er zog sogar die ältesten der Jugendlichen zu einem Geheimprojekt heran. Es ging um den Entwurf eines Flaschenetikettes, das sie gestalten sollten. Dass die Auftraggeber seine Stammtischbrüder waren, verheimlichte er ihnen. Dies war seine letzte Amtshandlung für das Örtchen. Schon als junger Geistlicher war er hier sehr freundlich aufgenommen worden, und nach dieser langen Zeit, sah er Drachenfeld natürlich auch als seine Heimat an.

Es war kurz vor halb fünf, als ein alter klappriger, total verrosteter Kleinbus, der auch schon bessere Zeiten gesehen hatte, knatternd vor dem Dorfbrunnen von Drachenfeld hielt. Darin saßen fast alle Kinder und Jugendlichen vom Dorf, die aus der knapp fünfzehn Kilometer entfernten Großstadt aus der Schule kamen. In Drachenfeld gab es zwar eine Grundschule, die der Lehrer Martin Schröder leitete, aber ab der fünften Klasse musste der Nachwuchs zum Unterricht in die nächste größere Stadt fahren. Auch die Anschaffung dieses Kleinbusses war eine Idee von Pfarrer Jakobus, damit die Kinder auch im Winter einen sicheren und warmen Schulweg hatten. Er rief des Öfteren in den Sonntagsgottesdiensten in seiner Predigt zu einer Spende für diesen Kleinbus zum Transport seiner heranwachsenden Gemeindeschäfchen auf. Als eine akzeptable Summe zusammengekommen war, ging er los, um ein geeignetes Objekt für seinen Plan „Sicherer Schulweg“ zu finden. Als er damals mit dem alten, aber fahrbereiten Bus im Örtchen ankam, war die Freude der Halbwüchsigen riesengroß. In liebevoller Kleinarbeit, zusammen mit den älteren Jugendlichen des Ortes, restaurierte er den Bus.

Nachdem Jakobus nicht mehr da war, legte nun auch keiner mehr Hand an das immer wieder reparaturbedürftige Gefährt, um zu gewährleisten, dass es einigermaßen zuverlässig lief. Der Dorfarzt Alois Bellenbaum, ebenfalls Stammtischbruder, hatte sich bereit erklärt, den Fahrdienst der Jugendlichen zu übernehmen. Jetzt stand er auf dem Dorfplatz vor dem Brunnen und kratze sich nachdenklich am Kopf. Während die Jugendlichen ausstiegen, blickte er auf die Motorhaube, unter der hervor es kräftig qualmte. Gott sei Dank war es Wochenende, aber er musste sich schleunigst etwas einfallen lassen, damit die „Karre“ am Montag wieder fahrbereit war. Er war Arzt, aber kein Mechaniker. Alois wurde aus seinen Gedanken gerissen, als ihm Sepp auf die Schulter klopfte. „Der hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Ein Jammer, dass Jakobus nicht mehr da ist. Der hätte gewusst, was zu tun wäre.“, meinte Sepp, der Wirt aus dem Goldenen Drachen. Alois nickte. „Ich glaube, ich werde Georg heute Abend einmal darauf ansprechen. Vielleicht weiß er ja einen Rat. Er als Großbauer sollte sich doch mit so was auskennen.“ Ein lautes Gegacker und Gekichere riss die beiden Männer aus ihrem Gespräch. Vier Mädels stiegen gerade fröhlich aus dem Bus aus. Alle vier waren eng befreundet und gingen auch in dieselbe Klasse des Gymnasiums. Nach den Sommerferien würden sie gemeinsam in die letzte Klasse Einzug halten. Viktoria und Julia wurden beide im Februar kurz hinter einander achtzehn Jahre. Lilly würde in den nächsten Tagen achtzehn, und natürlich war ihr Gesprächsthema nur noch die Fete zum Achtzehnten. Joan war die jüngste unter den vier Mädchen. Sie würde erst mitten im Sommer ihren Achtzehnten feiern. Aber auch sie plante schon heimlich eine tolle, aufregende Party auf dem Hof ihres Vaters. Joan war gerade dabei, das Schloss ihres Fahrrades aufzuschließen. Sie war die Einzige, die nicht im Dorf, sondern gut einen Kilometer außerhalb des Dorfes zusammen mit ihren Eltern auf einem großen Bauernhof wohnte, der ihrem Vater Georg Lorenz gehörte. An sonnigen Tagen wie heute freute sie sich, nach dem langen Sitzen in der Schule, sich noch etwas sportlich zu betätigen und mit dem Fahrrad nach Hause fahren. Nur wenn das Wetter nass, kalt, windig, also „beschissen“ war, wurde sie von Alois direkt vor ihrer Haustür abgeholt und auch nach der Schule dort wieder abgesetzt. Umso mehr freute sie sich jetzt, nach dem langen Schmuddelwetter darauf, sich und ihren Drahtesel wieder zu bewegen. „Joan, würdest du deinem Vater bitte ausrichten, dass er unbedingt heute Abend zum Stammtisch kommen soll.“, rief Alois ihr zu, als sie sich von ihren drei Freundinnen verabschiedete, bevor sie sich auf ihren Schenkeltreter setzte, winkte sie Alois und Sepp fröhlich zu. „Mache ich, Alois.“, und fuhr lachend im Zickzack davon. Die beiden Männer blickten ihr schmunzelnd hinterher. Joan war eine absolute Frohnatur und steckte im Allgemeinen jeden mit ihrer Lache an. „Also wenn ich nicht wüsste, dass du mit Mutter glücklich verheiratet wärst und ein paar Jahre jünger, Papa, dann könnte man glatt glauben ….....“, sprach Lilly ihren Vater Sepp an. Der fiel darauf zusammen mit Alois in ein lautes Gelächter. „Mein Gott, Lilly, darf man nicht einmal mehr als alter Mann, wie du mich gerade bezeichnet hast, einem weiblichen Wesen nachschauen? Ich weiß, Appetit darf man sich holen und gegessen wird zu Hause, wenn man ein glücklich verheirateter Mann ist.“, meinte Sepp, der Gastwirt, zu seiner Tochter. Lilly kicherte. „Aber nicht, wenn sie deine Tochter sein könnte und außerdem auch noch die beste Freundin deiner Tochter ist.“, belehrte sie ihren Vater. Um endlich das Thema zu wechseln fragte Sepp: „Wie war es in der Schule?“. Lilly verzog das Gesicht zu einer frechen Fratze und rollte dabei mit den Augen. „Wie immer, blöde, nervig und langweilig.“, antwortete sie ihrem Vater, der daraufhin nur nickte. „Gut, dann wird es dich bestimmt freuen, gleich die fünf Gästezimmer herzurichten. Morgen früh reisen die ersten Wallfahrer an.“ Lilly wollte schon protestieren, doch ihr Vater hob die Hand, um den Protest, der gleich einsetzen würde, sofort zu unterbinden. Mürrisch zog sie ab und verschwand durch die Gaststättentür des Goldenen Drachens.

Lange nach Sonnenuntergang und nach getaner Arbeit wurde es im Goldenen Drachen lebhaft. Nach und nach öffnete sich die Tür und altbekannte Gesichter traten ein. Zuerst erschien Bankier Hugo Klein, in Begleitung von Bürgermeister August Pfützenreiter und Staranwalt Lutz Möller. Sie begrüßten Sepp von Weitem, der schon am Einschenken ihrer Getränke war, da er sie draußen vor dem Fenster hatte stehen sehen. So waren die Durstlöscher schon fast bereit und an ihrem Platz, als sie sich an den Stammtisch setzten. „Guten Abend, Sepp.“, wurde er begrüßt, und Sepp grüßte zurück: „Hugo, August, Lutz.“, und setzte sich zu ihnen an den Stammtisch. Keine paar Minuten später, trat Lehrer Martin Schröder durch die Tür und wurde von den Stammtischbrüdern mit einem freundlichen „Hallo“ begrüßt. Sepp stand auf, schlug Martin eine Hand zur Begrüßung auf die Schulter und verschwand hinter dem Tresen. Mit lautem Gelächter traten Anton Hühnerbein, Bruno Roth und Benno Trinkaus ein. Sie lachten über irgendeinen Witz, den Bruno gerade eben zum Besten gegeben hatte. Auch diese drei wurden mit einem lauten „Hallo“ von der Stammtischrunde begrüßt. Nacheinander betraten auch Walter Ferrari, der Apotheker, Konrad Lochstampfer und Alois Bellenbaum, Arzt und Busfahrer, die Gaststätte. Soeben erkundigte sich Bürgermeister Pfützenreiter, ob jemand etwas von Georg gehört hätte, als auch schon die Kneipentür geöffnet wurde und Georg Lorenz, Joans Vater, hereinschlenderte. Dieser wurde ebenfalls wie alle anderen mit einem lautstarken „Hallo“ begrüßt. Alois zog Georg auf einen leeren Stuhl neben sich, und noch bevor Georg sein Getränk vor sich stehen hatte, fiel auch Alois schon mit der Tür ins Haus. „Du hast doch Ahnung von Motoren? Der Schulbus hat heute Abend unter der Motorhaube heraus gequalmt als ob er eine Dampflok wäre. Könntest du dir den morgen früh einmal ansehen? Ob man den noch retten kann?“, wandte sich Alois mit fragender Miene an Georg. Sepp stellte vor Georg sein Getränk ab, und dieser bedankte sich mit einem Kopfnicken. Dann wandte er sich wieder an Alois. „Erzähl mal Genaueres über diese Dampflok.“, dabei zwinkerte er mit einem Auge in die Runde, die daraufhin auflachte. Alois schilderte Georg genau, was geschehen war. Er beschrieb, dass, kaum nachdem er die Stadt verlassen hatte, die Temperaturanzeige des Kühlwassers in die Höhe geschnellt war. Georg lachte schallend auf und klatschte Alois auf die Schulter. „Hast du jemals schon mal bei der Karre das Kühlwasser aufgefüllt?“, fragte Georg amüsiert. Ein lautes Gejohle brach am Stammtisch aus, als Alois die Frage kopfschüttelnd verneinte. Scherzhaft meinte August: „Wenn man bei dir das Bier nicht nachfüllen würde, würdest du auch dampfen wie eine alte Dampflok.“, und abermals grölten die Männer am Stammtisch auf. „Also, ich würde sagen, wir sollten den alten Schulbus einmal in eine Werkstatt bringen und ihn generalüberholen lassen, da Jakobus nicht mehr bei uns ist und sich nicht mehr darum kümmern kann.“, warf Walter in einem ernsten Ton in die Runde seiner Stammtischkollegen, die ihm alle daraufhin kopfnickend zustimmten. Hugo, der Bankier, räusperte sich. „Meint ihr nicht, wir sollten das alte Ding auf dem Schrottplatz entsorgen und ihn durch ein neueres Modell ersetzen? Ich meine, unsere Mission Mondschein würde das locker verkraften.“ Auch hierfür bekam Hugo von jedem Einzelnen am Tisch seine Zustimmung. „Apropos Mission. Ist die bestellte Ware gekommen?“, erkundigte sich Georg neugierig bei Bruno, dem Dorfflaschnermeister. „Ja, die ist gestern angeliefert worden, und ich würde sie morgen Abend mitbringen.“ Georg nickte zufrieden, hatte aber noch eine weitere Frage. „Wie sieht es mit den Etiketten aus?“, hakte er bei seinen Stammtischbrüdern nach. „Alle gedruckt.“, antwortete Martin, der Lehrer, auf Georgs Frage, der damit zufrieden war. Also stand ab morgen Abend der Mission Mondschein nichts mehr im Wege. „Und deine Ferienwohnungen, schon gebucht?“, machte sich Sepp, der Wirt, neugierig bei Georg kundig. „Ja, aber erst übernächste Woche. So bekommt keiner von unserer einwöchigen Mission Mondschein was mit.“, teilte Georg der Runde mit, in der er jetzt nur zufriedene Gesichter erblickte. Die Männer am Stammtisch schenkten den Jugendlichen, die im hinteren Teil des Goldenen Drachens an einem Tisch Karten spielten, keine Beachtung. Erst als die Tür aufflog und vier junge Mädchen mit einem lauten „Hallo.“ und Pfiffen begrüßt wurden, sahen sie zu den Halbwüchsigen hinüber. Staranwalt Lutz Möller fiel im wahrsten Sinne die Klappe herunter, als er seine Tochter Viktoria aufgedonnert wahrnahm. Sie sah aus, als würde sie sich jeden Moment zu einem Freier ins Bett legen. Leuchtend rote Fingernägel, knallrote Lippen, das Make-up zu dick aufgetragen, sodass man zum Entfernen wahrscheinlich Hammer und Meißel benötigen würde. Auch seine Kumpels am Stammtisch schluckten und blickten verwirrt zu Lutz, der seine Tochter ebenfalls benommen ansah. Einer der älteren Jungs zog Viktoria auf seinen Schoß, während die anderen drei Mädels, Joan, Lilly und Julia, sich artig auf freie Stühle neben die anderen Burschen setzten. „Sag mal, Lutz, ist das nicht deine Tochter Viktoria, die da bei dem Kerl auf dem Schoß sitzt?“, fragte Anton schockiert, ohne seinen Blick von dem Tisch der Halbwüchsigen zuwenden. Lutz seufzte leise auf. „Ich weiß nicht, wo das noch hinführen soll. Seit ihre Mutter Leonie verstorben ist, habe ich keinen Zugang mehr zu ihr. Der Einzige, der ihr ins Gewissen reden konnte, war unser Pfarrer Jakobus. Aber auch den haben wir nun nicht mehr. Und jetzt ist sie achtzehn und lässt sich sowieso nichts mehr von mir sagen. Ich hoffe nur, dass sie ihr Abi einigermaßen passabel fertig macht. Doch zur Zeit macht mir auch das große Sorgen, weil sie überall mit dem da herumhängt.“. Lutz zeigte dabei mit einer bedeutsamen Kopfbewegung zum Tisch der Halbwüchsigen hinüber. Seine Stammtischbrüder blickten ihn mitleidig an. Jeder konnte sich noch an den Flugzeugabsturz erinnern, bei dem Leonie ums Leben gekommen war. Sie war damals auf dem Weg nach Los Angeles, zur Premiere eines ihrer neuesten Filme. Nur kam sie dort nie an. Das Flugzeug stürzte ins Meer und wurde bis heute, zehn Jahre danach, immer noch nicht gefunden. Viele Prominente saßen seinerzeit ebenfalls in diesem Flieger.

Bürgermeister Pfützenreiter runzelte die Stirn und dachte darüber nach, was er heute mit der täglichen Post auf seinem Schreibtisch vorgefunden hatte. Was hatte da gleich nochmal auf diesem Flyer gestanden, den er, nachdem er ihn gelesen hatte, sofort in den Papierkorb geworfen hatte? Es ging um ein vierwöchiges Outdoorcamp. Leider wusste er nicht mehr, zu welchem Termin es stattfinden sollte. Ebenfalls hatte er etwas von einer Altersangabe gelesen. War die Zahl, die auf dem Flyer stand, eine sechzehn oder eine achtzehn gewesen? Auch daran konnte er sich nicht mehr genau erinnern. Er wusste nur noch, dass es ein jährliches Projekt der Polizei war und schon zum fünfzehnten Mal in Folge statt fand. Er musste unbedingt, bevor er von hier aus nach Hause ging, nochmal im Rathaus vorbeischauen. Es wäre doch gelacht, wenn man Lutz nicht helfen könnte, seiner Tochter einmal gehörig den Kopf zu waschen, sofern der Termin passte. Da er wusste, dass Viktoria bestimmt nicht alleine gehen würde, würde er dafür sorgen, dass die drei anderen Mädels mit von der Partie wären. Doch zuerst musste er den Zettel aus dem Papierkorb fischen und hoffen, dass Charlotte, seine Putzfrau, den Eimer noch nicht geleert hatte. Denn in Sachen Reinlichkeit war sie meist ziemlich schnell. Er wollte gerade Lutz nach seiner Meinung fragen, aber er kam nicht mehr dazu, denn just in dem Moment, als er den Mund öffnete, kam der neue Pfarrer, Theo Busenwunder, herein. Stocksteif blieb er im Raum stehen und schielte zu dem Tisch der Jugendlichen. Viktoria saß noch immer auf dem Schoß des jungen Mannes. Einen Arm hatte er lässig um ihre Schulter gelegt, die andere Hand war unter Viktorias knappem Minirock verschwunden. „Hochwürden, kommen Sie, setzten Sie sich zu uns.“, sprach Sepp den Geistlichen an, obwohl jeder der Stammtischkollegen wusste, wie sehr Sepp ihn mochte: nämlich gar nicht. Kopfschüttelnd wandte er seinen Blick von den jungen Leuten ab, dabei blickte er Lutz mit finsterer Miene an. Der Pfarrer grüßte in die Männerrunde, und die Stammtischbrüder grüßten verhalten zurück, als dieser sich auf einen freien Stuhl niederließ, der es ihm ermöglichte, die Jugendlichen weiter im Blickfeld zuhaben. Sepp, dem nicht entgangen war, wo der Blick des Pfarrers hinging, brachte dem Kirchenangestellten ein Glas Rotwein. Er zog seinen Stuhl so geschickt an den Tisch heran, dass dem Pastor die Sicht auf die Jugendlichen versperrt wurde. Sogleich verwickelte der Gastwirt ihn in ein belangloses Gespräch.

Seit der Pfarrer in die Gaststube getreten war, hatte sich die Stimmung der Stammtischmitglieder schlagartig geändert. Aus ungezwungenem, fröhlichem Lachen und lebhafter Unterhaltung wurde plötzlich ein unbetontes, leises Gespräch, und ein Lachen kam nur noch gelegentlich auf. Der Priester versuchte immer wieder, Lutz darauf aufmerksam zumachen, dass er es als Vater von Viktoria nicht dulden dürfe, dass sie wie eine Dirne herumlief. „Ach, wissen Sie, Hochwürden, Viktoria ist alt genug, um zu wissen, was sie darf und was nicht. Lutz hat keinen Einfluss mehr auf die junge Dame. Sie ist achtzehn, also volljährig.“, versuchte Sepp, die angespannte Situation zwischen dem Geistlichen und Lutz zu entschärfen. Doch so richtig wollte dies nicht klappen. Als Georg aufstand, erhoben sich auch Lutz und Konrad. Sepp gab seiner Tochter ein Zeichen, und schon verabschiedeten sich die Mädchen von den Jungen. Lilly ging nach oben in ihr Zimmer, und Viktoria, Julia und Joan gingen mit ihren Vätern nach Hause. Nachdem die Männer samt ihren Töchtern gegangen waren, versuchte der Priester erneut, an der Erziehung der Mädchen zu nörgeln. Bürgermeister Pfützenreiter wurde es zu bunt, darum sagte er laut am Tisch: „Hochwürden, hören Sie auf, hier herumzustänkern, sonst wird Sie Sepp hochkantig hinauswerfen.“ Das war dann doch zu viel für den Ordensmann. Er stand auf, ließ ein paar Münzen auf den Tisch fallen und verabschiedete sich wortkarg.

Er war noch nicht richtig zur Tür hinausgetreten, da hörte man auch schon die Stammtischglocke läuten. August hatte die nächste Runde eingeläutet, die auf seine Kosten ging, und umgehend grölten und lachten die Männer im Gastraum darüber. Die Stimmung war wieder feuchtfröhlich und locker wie zuvor, bevor der Pfaffe hereingekommen war. August erzählte den noch anwesenden Stammtischbrüdern von dem Flyer und hatte dabei ein freches breites Grinsen im Gesicht, als er mit seiner Ausführung zu Ende war. Sepp lachte schallend auf und meinte: „Ein verdammt guter Plan, wenn es klappt, was ich allerdings bezweifle, wenn die Mädchen davon Wind bekommen.“ Hugo warf in den Raum: „Warum sollen sie davon sofort erfahren? Es reicht doch kurz vor der Abfahrt.“, gluckste er, und Sepp verdrehte die Augen. Walter meinte dabei: „Dann sollten wir uns einen gut funktionierenden Schlachtplan ausdenken. Gute Nacht, meine Herren.“. Er stand auf und zahlte bei Sepp seine Zeche. „Bis morgen Abend.“, verabschiedete er sich dann endgültig von seinen Stammtischbrüdern. Während August, Martin, Alois, Benno, Hugo, Bruno und Anton sich eine heftige Diskussion darüber lieferten, was man für einen Plan aushecken könnte. Sepp, der hinter dem Tresen die letzten Gläser abtrocknete, meinte nur: „So, Jungs, auch ich will ins Bett. Es ist spät geworden, und solange August nicht genau weiß, was auf dem Informationsblatt steht, brauchen wir uns auch nicht gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Wir werden morgen Nacht noch genügend Zeit haben, darüber nachzudenken.“ Nachdem alle bezahlt hatten und gegangen waren, schloss er den Goldenen Drachen und begab sich ebenfalls zu Bett. Mit einem breiten höhnischen Grinsen auf dem Gesicht schlief er schließlich ein. Ihm würde bestimmt etwas einfallen, damit sie alle Lutz helfen konnten.

Am nächsten Abend stand die Mission Mondschein an, die über eine Woche während des Vollmondes statt fand. Die Idee der Mission Mondschein war am Stammtisch entstanden, wie so viele andere kuriose Ideen aus dem Dorf. Eigentlich war auch dieser kuriose Geistesblitz auf dem Mist von Hochwürden Jakobus gewachsen, von ihm eigentlich nur als Scherz gedacht. Doch als man erfahren hatte, dass der Ort Drachenfeld ab jetzt eine heiliggesprochene Quelle besaß und Jakobus von der Diözese schnellstens abgezogen worden war, setzten die Stammtischbrüder diese Idee sozusagen als Racheakt um. Der Anwalt Lutz musste im Vorfeld alles abklären, worauf die Männer achten mussten, um nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Deshalb riet ihnen auch Lutz, dass man den Goldenen Drachen zum Schein umbauen sollte, um Fremdenzimmer zu haben. Ebenso kam dann auch der Plan auf, der das Zuwandern in die Gemeinde betraf, und Georgs Hof bekam ebenfalls drei weitere Ferienwohnungen zu seiner schon bestehenden Wohnung hinzu. Außerdem wurde ein Hofladen in der einen Hälfte der Scheune eingerichtet, in dem er seine eigenen Erzeugnisse den Touristen und Pilgern anbot. Auf der gegenüberliegenden Seite war eine kleine Besenwirtschaft, die einmal im Monat für eine Woche geöffnet wurde. In diesem besagten Hoflanden fand man auch die kleinen unscheinbaren Flaschen mit dem Aufdruck, „Wohltuendes Quellwasser der Waldquelle Drachenfeld, abgefüllt bei Mondschein“. Diese Flaschen wurden ihm nur so aus den Händen gerissen. Deshalb musste die komplette Mannschaft des Stammtisches immer, wenn Vollmond war, bei Nacht aus der Quelle das heißbegehrte Wasser holen und in Georgs Brennerei in die dafür vorgesehenen Flaschen abfüllen. Jeder schuftete in dieser Woche immer bis zum Umfallen. Den Erlös nach Abzug aller Kosten verwaltete Hugo auf einem Konto mit dem Namen Mondschein in seiner Bank. Von dem so erwirtschafteten Geld wurde alles Mögliche für das Dorf angeschafft: von Kunstgegenständen über Vereinstrikots und auch so manches völlig Unbrauchbares. Natürlich wurden auch Feste damit finanziert. Nur die Kirche erhielt keinen einzigen Cent, auch nicht als Spende. Denn offen gesagt, wanderte das Geld vom Verkauf des Mondschein Wassers in eine separate Kasse, die nicht geführt wurde. Sozusagen handelte es sich hier um Schwarzgeld. Das alles hatte sich Lutz einfallen lassen. Die Diözese und auch so mancher Getränkekonzern waren nicht ganz so begeistert davon, was da in Drachenfeld mit dem Quellwasser vor sich ging. Aber ihnen waren die Hände gegenüber dem Fünfhundert-Einwohnerörtchens gebunden, da die Bürger - das heißt, der Gemeinderat - sich allem, was an Einwänden vorgebracht wurde, widersetzte. Alles, was sie meinten, gegen Drachenfeld unternehmen zu können, war von Lutz niet- und nagelfest abgesichert worden, sodass sie sich die Zähne daran ausbissen. Gleichermaßen galt dies auch für alles, was Georgs Grundstücke betraf.

Bei einem letzten Rechtsstreit meinte Lutz zu den Richtern, dass Georg den Pilgern jederzeit das Begehen der Wege untersagen könnte. Somit könnte er auch die Pilgerprozessionen, die über seinen Hof führten, ebenfalls verhindern. Die Diözese solle froh sein, dass Bauer Lorenz es duldete, dass täglich über hunderte von Wallfahrern über sein Gelände pilgerten. Die vorgetragene Argumentation leuchtete dem Richter natürlich ein. Denn ein Großbauer, der von landwirtschaftlichen Erzeugnissen lebt, hatte anderes zu tun, als auf seinem Anwesen den Pilgern Rede und Antwort zu stehen. Mit diesem Satz hatte er damals seine Argumentation vor Gericht beendet.

Kurz nachdem die Dämmerung hereingebrochen war, standen einige Männer im Hof von Bauer Lorenz. Von Weitem konnten sie schon ein Knattern hören, das immer näherkam. Keine zwei Minuten später stand der Traktor vor der Brennerei auf Georgs Hof. Der fast volle Mond stand schon leuchtend am Himmel. Die Luft war frisch, und ein leichter Windzug ließ die Männer, die gerade auf Georgs Hof neu hinzugekommen waren, beim Aussteigen aus ihren PKWs leicht frösteln. Aus dem Traktor, an dem ein zehntausend-Liter-Fass angehängt war, stiegen Georg und Bürgermeister Pfützenreiter fröhlich lachend aus. Sie begrüßten per Handschlag die wartenden Männer, die schon das große Scheunentor aufgeschoben hatten, sobald sie die Motorengeräusche von Georgs Traktor hörten. Gekonnt setzte Georg den Traktor mit seinem riesigen Wasserfass rückwärts durch das geöffnete Tor, das zwei Mann, nämlich Bruno und Anton, schnell hinter ihnen wieder zuschoben.

Nachdem das Tor geschlossen war, wusste jeder der Stammtischbrüder, was er zu tun hatte: Zwei Männer verbanden den Auslauf des Wasserfasses mit der Abfüllanlage. Weitere vier Mann zogen die Flaschen aus der speziellen Flaschenreinigungs-Maschine und setzen die sauberen fast noch heißen Flaschen in einen Behälter der Abfüllanlage. Ein weiterer Mann befüllte die Maschine mit den passenden Verschlüssen für die Flaschen. Martin öffnete den Karton mit den druckfertigen Etiketten, während die Männer eifrig damit beschäftigt waren, die Abfüllanlage zu bestücken und alles vorbereiteten. Mechthild, Georgs Frau, betrat zusammen mit ihrer Tochter Joan und deren Freundin Lilly, der Tochter von Sepp, mit einer zünftigen Brotzeit für die Männer die Brennerei. „Mein Gott, irgendwann werdet ihr alle noch einmal im Gefängnis landen.“, meinte sie wie an allen Abenden, wenn die Mission Mondschein stattfand. Lilly und Joan kicherten immer, wenn Mechthild ihren altbekannten Spruch vom Stapel ließ. Und auch Hugos abgedroschener Spruch fiel wieder an diesem Abend. „Solange wir Lutz auf unserer Seite haben, Mechthild, wird uns nichts geschehen. Es ist immer gut einen Anwalt als Freund zu haben besser als einen zum Feind.“

Während sich die Männer über die Brotzeit hermachten, die aus frischem Holzofenbrot und diversen hofeigenen Spezialitäten, wie Leberwurst, Käse, Schwarz- und Schinkenwurst bestand, fühlte August Lutz auf den Zahn. „Sag mal, Lutz, ist das was Ernstes zwischen deiner Tochter Viktoria und diesem Typen? Sehr begeistert sahst du gestern Abend nicht gerade aus.“ Lutz zuckte mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht so recht, wo das mit Viktoria noch hinführen soll.“, gab er leise, deprimiert von sich. August lachte laut auf. „Was hältst du davon, wenn wir deine Tochter für ein paar Wochen in die Wildnis schicken, damit sie wieder zur Vernunft kommt?“, fragte er amüsiert nach. Ein lautes Gelächter brach am Tisch aus und Bruno schlug ihm kameradschaftlich auf den Rücken. „Am besten wird es sein, wenn wir Felix und Florian dann gleich mitschicken, stimmt´s, Anton?“ Anton nickte kichernd. „Ja, den beiden würde das auch guttun, dann würden sie nicht immer nur chillen wollen, statt zu arbeiten.“, bestätigte Anton Brunos Worte. Abermals wurde es laut vor Lachen am Tisch. Lutz legte seine Stirn in Falten. „Wie kommst du denn auf so eine absurde Idee, August? Wobei ich sofort ja sagen würde, nur damit sie diesen Typen nicht mehr trifft.“, bemerkte Lutz, der Anwalt, nachdem das Gejohle am Tisch wieder verstummt war. Bürgermeister Pfützenreiter griff grinsend in die Jackentasche seines Mantels und legte Lutz einen Flyer vor. Er war froh darüber, dass er gestern Abend nach dem Wirtshausbesuch noch einmal ins Rathaus in sein Büro gegangen war und den noch vollen Papierkorb vorgefunden hatte, in dem der Flyer lag, den er am Morgen hineingeworfen hatte. Denn seine Sekretärin hatte einen Putzfimmel und war auf Zack, was das Leeren von Mülleimern betraf. Lutz griff nach dem Zettel und drehte diesen ein paar Mal in seinen Händen, bevor er zu lesen begann. Zügig legte sich ein Schmunzeln über sein Gesicht. „Polizei, dein Freund und Helfer. Hört sich gut an, was hier steht. Aber ich denke, dass sie das nicht tun wird. Zumindest nicht alleine.“, entgegnete Lutz seinem Freund und reichte den Handzettel weiter an Bruno, der auflachte. „Dann müssen wir halt die komplette Jugend zu dem Camp anmelden.“, meinte er amüsiert schmunzelnd. „Was meinst du, Martin, könnte man hieraus keinen Gemeindewettkampf machen?“, fragte Bruno und reichte den Flyer weiter an Martin, den Lehrer. „Geht nicht.“, sprach Martin kopfschüttelnd, nachdem er das Schriftstück überflogen hatte. „Wieso nicht?“, hakte August Pfützenreiter nach. „Weil hier eine Mindestaltersgrenze vorgeschrieben ist. Nämlich achtzehn Jahre.“, verkündete Martin Schröder der Herrenrunde. „Hmmm....“, machte Walter, der Apotheker, und kratzte sich am Hinterkopf. „Die Sache hat noch einen Haken. Wenn wir wirklich Viktoria in die Wildnis schicken wollten, könnten nur Julia und Lilly sie begleiten, weil die beiden bis dahin schon achtzehn sind, und Joan müsste dann zu Hause bleiben, denn zudem Zeitpunkt, zu dem das Camp stattfindet, ist sie leider immer noch siebzehn.“, erklärte Walter seinen Stammtischbrüdern. Georg lachte auf. „Wie ich August und Sepp kenne, wird denen bestimmt noch etwas einfallen. So langsam sollten wir uns an die Arbeit machen.“, bemerkte der Landwirt, der sich nun erhob und an der Abfüllanlage zu schaffen machte. So arbeiteten die Männer über eine Woche lang, Nacht für Nacht während des Vollmondes und befüllten die Fläschchen. Nach diesen anstrengenden, mühsamen und fast schlaflosen Nächten hatten sie einen guten Vorrat an Mondwasser, der bis zum nächsten Vollmond ausreichen würde. Diesmal konnten sie sich noch ausgelassen, fröhlich und lachend darüber unterhalten, denn sie und die drei Frauen waren alleine auf Georgs Hof. Bei der nächsten Vollmond-Abfüllwoche würde das wahrscheinlich nicht mehr so sein, weil die vier Ferienwohnungen von Georg vermietet waren. Er achtete zwar immer darauf, genau in den Vollmondwochen, zu denen die Mission Mondschein lief, nicht neu zu vermieten, aber nicht immer gelang es ihm, dass keine Mieter in den Wohnungen mehr anwesend waren. Um nicht aufzufliegen, musste man, wenn es so war, leise und vorsichtig sein, um Neugierige, die etwas ausplappern könnten, nicht anzuziehen.

Es war jetzt Anfang Mai, und die Sonne, die hoch am wolkenlosen blauen Himmel stand, lockte Pilger, Touristen und Familien, die Urlaub machten, in das schöne Örtchen Drachenfeld. Vor einigen Tagen war das Wetter noch so zickig, wie man es dem April immer nachsagte. Schlicht gesagt, es war, nass und kalt. Am meisten hatten sich die Stammtischbrüder, oder noch besser der Gemeinderat, von Drachenfeld gefreut, dass die Heilige-Prozession, die durch die Ortschaft hinaus zu Georgs Gehöft und dann in den Wald hinein hinauf zur heiligen Quelle führte, von der Diözese kurzfristig abgesagt worden war. Der Wetterdienst hatte für diesen Tag in der Region um Drachenfeld und Umgebung eine Unwetterwarnung, mit Starkregen und heftigen Orkanböen, herausgegeben. Wenn es nach dem Gemeinderat ginge, würden sie für jede Prozession, die in Drachenfeld unter diesem Pfarrer abgehalten wurde, für Unwetter beten. Doch jetzt lachte die Sonne am wolkenlosen Himmel wieder und die Temperaturen waren schon fast sommerlich.

Die Sonne funkelte mit den letzten Strahlen über die Dächer von Drachenfeld, bevor sie ganz hinter dem Wald verschwand. Der Goldene Drachen war heute, am Samstagabend, bis auf den letzten Platz mit Pilgern und Hausgästen übervoll. Noch immer drängten sich die Wallfahrer in das Wirtshaus und hofften, noch einen leeren Platz zu erhaschen. Nicht einmal vor dem Stammtisch machten sie halt. Auch dieser wurde ohne zu fragen in Beschlag genommen. Sepp, Lilly und seine Frau Alma sowie zwei Bedienungen, eine davon war Joan, hatten alle Hände voll zu tun. Da die Dorfjugend nichts mit sich anzufangen wusste, lungerte sie wie jeden Abend bei schönem Wetter, am Dorfbrunnen herum. Lutz, der den Kopf dem Fenster zugewandt hatte und sorgenvoll hinausblickte, seufzte leise vor sich hin. Da draußen am Dorfbrunnen stand seine Tochter Viktoria, aufgedonnert mit Minirock und hochhackigen Schuhen mit Pfennigabsätzen. Zu seinem größten Leidwesen machte seine Tochter gleich mit zwei Typen herum, die er nicht kannte. „Sag mal, August, wann ist bei diesem Outdoorcamp Anmeldeschluss?“, nuschelte er leise, ohne den Blick vom Fenster zu nehmen. August grinste amüsiert bei Lutz‘ Worten, weil er eigentlich nur so aus Jux und Tollerei den Flyer am Stammtisch gezeigt hatte. Schien es Lutz doch ernst gemeint zu haben? „Dir ist es also ernst mit dem Camp für Viktoria?“ Aber als August ebenfalls zum Fenster hinaussah, blieb ihm fast schon die Spucke weg, als er Lutz Tochter da draußen aufgetakelt wie eine Bordsteinschwalbe herum stehen sah. Bürgermeister Pfützenreiter schluckte mehrere Male trocken hintereinander. „Ich werde mich am Montag sofort schlau machen.“, flüsterte er leise seinem Stammtischbruder zu. Lutz wandte sich vom Fenster ab und nickte August zu. Sepp, der das Gespräch der beiden belauscht hatte, als er ein Getränk für Georg, der gerade dazugekommen war, brachte, sagte beiläufig in die Runde: „Da müssen wir uns aber einen verdammt guten Plan ausdenken, damit das funktioniert.“, und verzog sich hinter den Tresen, weil eine neue Bestellung vorlag. Erst weit nach Mitternacht ließ sich Sepp müde und erschöpft vom Abend, mit einem Glas Bier in der Hand, bei seinen Stammtischbrüdern nieder. „Was für ein Tag.“, stöhnte er leise auf. „So einen Andrang wie heute hatten wir schon lange nicht mehr.“ Georg, der erst gegen dreiundzwanzig Uhr zu der Stammtischrunde dazugestoßen war, weil er noch ein Feld fertig sähen musste, bemerkte am Rande. „Was hast du vorhin, als ich gekommen bin, zu dem Camp angemerkt?“, hakte er beim Wirt nach. „Mir ist da neulich von ein paar Pilgern was zu Ohren gekommen, die sich hitzig über Kirchenkunstraub unterhielten. Angeblich muss es auch schon hier in der Gegend so etwas gegeben haben. Vielleicht hätten wir ja da eine Möglichkeit, die Mädchen.......“, doch Sepp wurde von Lutz verärgert unterbrochen, der eifrig mit der Hand abwinkte. „Nein, Sepp, schlag dir das mal ganz schnell aus dem Kopf.“. Doch in dem Moment kam August eine irrwitzige, gefährliche und durchgeknallte Idee. Man könnte es auch als einen verbrecherischen und kriminellen Einfall bezeichnen, den er aber noch für ein paar Tage unter Verschluss halten musste. Vielleicht hatte er eine Möglichkeit gefunden, auch Joan, obwohl sie dann erst siebzehn war, zu dieser Challenge zu schicken. Damit die Sache nicht aufflog, mussten Felix und Florian ebenfalls mit von der Partie sein. Denn er erinnerte sich, dass Bruno und Anton ihre Söhne auch am liebsten da draußen in der Wildnis sehen würden. In dieser Nacht ging Bürgermeister August Pfützenreiter mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht zu Bett. Am Montag musste er unbedingt als erstes mit dem obersten Leiter des Camps sprechen. Vielleicht ließe sich ja das Oberhaupt der Polizei davon überzeugen, dass es besser wäre, die Jugendlichen ins Camp aufzunehmen, anstatt sie dann irgendwann einmal kriminell von der Straße zu pflücken.

Am darauffolgenden Montagmorgen gegen neun Uhr betrat ein gutgelaunter und ausgeschlafener Bürgermeister Pfützenreiter sein Rathaus. Er wies seine Sekretärin Charlotte an, ihm sein allmorgendliches Frühstück zubringen, dass aus einem schwarzen Kaffee und einer Wurstsemmel bestand. Anschließend bat er darum, dass seine Sekretärin ihm keine Telefonate durchstellen sollte. Denn zunächst müsse er selbst ein dringendes Gespräch führen. Er setzte sich beschwingt an seinen Schreibtisch, kramte den Flyer aus seiner Aktentasche und wählte die darauf angegebene Telefonnummer. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis er endlich durchkam. Zu seinem Entsetzen meldete sich jedoch nur eine Mailbox mit der Bitte, man solle Namen, Telefonnummer und sein Anliegen hinterlassen. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als die geforderten Daten und den Grund seines Anrufes auf das Band zusprechen. Frustriert legte er auf, seine gute Laune von zuvor war dahin. Gerade als seine Sekretärin sein Frühstück brachte, läutete sein Amtsapparat. Er nahm ab und am anderen Ende der Leitung meldete sich ein Polizeioberst Karl Bräuninger. Da Pfützenreiters Sekretärin noch immer im Raum stand, scheuchte er sie mit einer winkenden Handbewegung aus seinem Büro. Weil sie weiterhin stehen blieb und nicht auf ihn reagiert, sagte er: „Husch, husch, hinaus mit Ihnen, ich habe zu telefonieren.“ Bürgermeister Pfützenreiter entschuldigte sich bei Oberst Bräuninger, aber es sei Montagmorgen und seine Sekretärin sei montags nie die Schnellste. Am anderen Ende der Leitung wurde laut aufgelacht. „Mir scheint, Sie sind ein Spaßvogel, Herr Bürgermeister.“, sprach der Polizeioberst in den Apparat. Nach einem sehr langen, ungemein interessanten Gespräch und einer Einladung zum Abendessen am nächsten Tag verabschiedeten sich die beiden Herren voneinander. Bürgermeister Pfützenreiter lächelte wieder beglückt und sehr geheimnisvoll vor sich hin. Am Abend beim gemeinsamen Stammtischumtrunk erwähnte er nur, dass er am morgigen Abend zum Essen nach Hirschegg fahren würde und deshalb nicht anwesend sein könnte. Seine Stammtischbrüder nahmen es mit Nicken zur Kenntnis, aber keiner der Männer schöpfte Verdacht, als der Name Hirschegg fiel. Liebend gerne nahm er die einstündige Autofahrt auf sich, wenn es darum ging, Lutz, seinem Stammtischbruder, zu helfen.

Am darauffolgenden späten Nachmittag stieg Bürgermeister Pfützenreiter in seinen Mercedes und machte sich auf den Weg nach Hirschegg. Als Pfützenreiter das Restaurant Zum Adler, das für seine Spezialitäten bekannt war, betrat, sah er auch schon einen Mann, der auf die Beschreibung passte, die ihm Polizeioberst Bräuninger von sich gegeben hatte. „Halten Sie einfach Ausschau nach jemandem, der aussieht wie ein Wikinger.“, hatte er amüsiert am Tag zuvor, bevor sie sich am Telefon verabschiedeten, gesagt. Polizeioberst Karl Bräuninger sah wirklich wie die Klischeefassung eines waschechten Wikingers aus. Groß, breit gebaut mit grauem Ziegenbart und drei Millimeter kurzem, grauen Igelhaar. Grinsend erhob sich der Oberst, als er einen kleinen stämmigen Mann erblickte, der sich suchend im Lokal umsah. Der Polizist machte auf sich aufmerksam, indem er auf den suchenden Mann zuging und ihm die Hand zur Begrüßung reichte. „Sie müssen Bürgermeister Pfützenreiter sein. Ich bin Polizeioberst Karl Bräuninger.“, stellte er sich förmlich vor. August schlug in die kräftige Hand ein, die ihm Bräuninger entgegenstreckte. „Ja genau, der bin ich. Freut mich, Sie persönlich kennenzulernen.“, sagte er mit einem charmanten Lächeln. „Auch mich freut es. Kommen Sie, ich habe uns einen Tisch etwas abseits reservieren lassen, damit wir alles in Ruhe besprechen können.“ Nachdem sie die Getränke gewählt hatten, bedienten sie sich an dem reichlich mit Spezialitäten gefüllten Buffet und genossen das Lamm, die Salate und den Fisch. Während des Essens tauschten sie sich über Themen wie Drachenfeld und das Outdoorcamp aus. Jeder hörte dem anderen aufmerksam zu. Bei einem anschließenden Kaffee brachte August sein Anliegen vor und seine Idee, wie auch die siebzehnjährige Joan am Camp teilnehmen könnte. Der Oberst legte den Kopf in den Nacken und lachte schallend auf. Daraufhin drehten sich ein paar Leute von den Nachbartischen zu ihnen um. „Also, Herr Bürgermeister, ich muss schon sagen, Sie sind doch ein Spaßvogel. Aber ich glaube, ein Teil Ihrer Idee, zumindest was die Teenies betrifft, ist umsetzbar. Was allerdings die Siebzehnjährige angeht, das muss ich mir noch einmal gründlich durch den Kopf gehen lassen.“, sagte Polizeioberst Bräuninger. „Glauben Sie mir, Joan ist nicht so wie Viktoria. Sie ist eher eine Frohnatur, sehr sittsam und arbeitet hart auf dem großen landwirtschaftlichen Anwesen ihrer Eltern. Sie ist sportlich veranlagt und sehr wissbegierig. Während andere am Abend am Dorfbrunnen herumlungern, bedient sie im Goldenen Drachen oder zieht sich zurück in ihr Zimmer und lernt fürs Abi. Ich will jetzt nicht angeben, aber sie ist Klassenbeste, wobei sie das nicht gerne hört.“, erzählte der Bürgermeister. Polizeioberst Bräuninger nickte verständnisvoll. „Wissen Sie was, Herr Pfützenreiter, geben Sie mir ein paar Tage Bedenkzeit. Vielleicht fällt mir auch noch etwas ein, wie wir die jungen Leute, ohne dass sie das Gesetz überschreiten, in das Camp verdonnern können.“ Er hob sein Glas und prostete August schmunzelnd zu. „Herr Bräuninger, Sie gefallen mir.“, meinte Pfützenreiter breit grinsend. Der Abend war lange, aber er verlief fast nach den Plänen von August Pfützenreiter. Gegen vierundzwanzig Uhr verabschiedeten sich die beiden Männer voneinander, die in der Zwischenzeit zum Du übergegangen waren und über so manche Schandtat aus ihrer Jugend gelacht hatten. August lachte noch immer hin und wieder, als er gegen ein Uhr endlich vor seiner Haustür in Drachenfeld ankam.

Drei Tage nach dem gemeinsamen Abendessen mit Polizeioberst Bräuninger erhielt Bürgermeister August Pfützenreiter einen Anruf von einem Handy, dessen Nummer ihm unbekannt war. Zögerlich griff er zum Apparat. Als er sich meldete, hörte er auch schon: „Guten Morgen, August. Wie schmeckt dein Frühstück? Kaffee schwarz mit Wurstsemmel.“ Bürgermeister Pfützenreiter stockte für einen kurzen Moment der Atem. Woher wusste Karl, was er jeden Morgen zum Frühstück aß? „Guten Morgen, Karl, wie geht es dir?“, versuchte er, seine Verwir ­rung zu überspielen. „Danke gut, ich glaube, den Grund meines Anrufs kennst du. Hast du Zeit?“, fragte Polizeioberst Bräuninger amüsiert am Telefon. „Ja, habe ich, aber zuerst würde es mich doch interessieren, woher du weißt, was ich jeden Morgen im Büro frühstücke? Hast du heimlich Kameras oder Wanzen in meinem Büro versteckt?“, fragte er und Karl lachte auf. Während Bräuninger ins Telefon sprach, öffnete er Augusts Bürotür. „Ganz einfach, deine Sekretärin meinte, dass es dein tägliches Frühstück sei, als ich sie fragte, ob das für mich sei.“ August bog sich vor Lachen, als er Karl in der Tür stehen sah. Prompt trug er seiner Sekretärin Charlotte auf, genau dasselbe noch einmal zu bringen. „Wie ich sehe, bist du gut nach Hause gekommen.“, sagte Karl amüsiert. Daraufhin verdrehte August die Augen. „Oh ja, ich musste mehrere Male kurz anhalten, weil ich einen Lachanfall bekam. Schön, dich so schnell wieder zu sehen Karl.“, empfing ihn August freudestrahlend. Sie warteten ab, bis das zweite Frühstück für Karl aufgetragen wurde, bevor sie sich gemütlich auf einer Couch in Augusts Büro nieder ließen. Voller Nervosität und mit zitternden Händen griff August zu seiner Kaffeetasse. Während er Karl dabei zusah, wie dieser genüsslich in seine Wurstsemmel biss und darauf herumkaute, als hätte er alle Zeit der Welt. „Hmm......, lecker, so was Einfaches habe ich schon lange nicht mehr zum Frühstück gehabt.“, meinte Karl schwärmerisch, schmatzend, nur um August noch eine Weile auf die Folter zu spannen. Er hatte bemerkt, wie nervös August plötzlich geworden war und nutzte die Situation schamlos aus. Dabei grinste er ihn frech an und nippte genüsslich an seiner Tasse. Karl lachte auf, als er sah, wie unter Anspannung beinahe die Tasse aus Augusts Händen hüpfte. „Oh, man, Karl, spann mich nicht noch länger auf die Folter, bevor ich mich hier noch ganz zum Deppen mache.“, stieß August aufgeregt hervor. Karl grinste noch breiter, nahm erneut einen Schluck Kaffee, um den Rest des Brötchens hinunterzuspülen. „Kannst du mir ein Zimmer besorgen? Ich würde gerne eine Pilgerwanderung machen.“, sagte er daraufhin amüsiert und August seufzte laut auf. „Das wird leider nicht gehen. Ich denke, dass alle Zimmer belegt sein werden. Aber Du könntest bei mir unterkommen.“ Karl nickte zufrieden. „Als allererstes benötige ich Lebensläufe und Angaben zu den Hobbys der Jugendlichen.“ August atmete hörbar auf und nickte. „Auch von der Kleinen, die Dir so am Herzen liegt.“ Jetzt riss der Bürgermeister die Augen weit auf und seine Kinnlade hing ihm herunter. „Du meinst......“ Karl nickte erneut. „Wenn sie wirklich so ein Naturmädchen ist, wie du sie mir beschrieben hast, dann sollten wir sie mitnehmen. Die Lebensläufe sollten bis morgen Abend fertig sein, sodass ich sie mitnehmen kann. Damit die Sache klappt und die Mädchen ins Camp kommen, solltest du mir jetzt gut zuhören und deine Stammtischbrüder alsbald davon in Kenntnis setzen. Wenn es möglich ist, würde ich mir gern ein Bild von deinen Leuten machen und diese ein klein wenig kennenlernen. Aber sie sollten nicht wissen, wer ich bin.“ August war im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos. Er konnte nur noch nicken. Geschwind erklärte Karl seine Idee, und August war sofort begeistert, denn so kamen zumindest die Jugendlichen nicht mit dem Gesetz in Konflikt und zudem war es auch noch peinlich genug für die Kirchenoberhäupter der Diözese. August schwang sich ans Telefon und rief für den Abend eine Sondersitzung des Gemeinderates zusammen. Dieses Treffen würde aber diesmal nicht im Goldenen Drachen, sondern tatsächlich im Rathaus, im dafür vorgesehenen Sitzungssaal, stattfinden. Sepp hatte laut aufgestöhnt, als August ihm am Telefon mitteilte, dass für neunzehn Uhr eine kurzfristige Konferenz stattfinden solle. Ausgerechnet um diese Uhrzeit, wenn die Kneipe proppenvoll war. Aber er willigte trotzdem ein zu kommen. Georg wurde von Pfützenreiter angewiesen, von seiner Frau Mechthild eine zünftige Brotzeit richten zulassen und diese mit ins Rathaus zu bringen.

Zur angegebenen Zeit, trafen sich die Mitglieder des Gemeinderats im kleinen Sitzungsraum des Rathauses. Die Brotzeit und die Getränke, die Bürgermeister Pfützenreiter geordert hatte, standen bereits auf dem Tisch. Nur der Bürgermeister glänzte noch durch Abwesenheit. Doch er ließ nicht lange auf sich warten. Laut lachend trat er durch die Tür. Ihm folgte ein weiterer Mann. Pfützenreiter begrüßte seine Gemeinderatsmitglieder und stellte der Versammlung den fremden Mann vor, den er mitgebracht hatte. „Leute, das hier ist ein weitläufiger Verwandter von mir. Karl Bräuninger, der eventuell eine Schlüsselrolle in unserer geheimen Mission Outdoorcamp für die Mädels spielen wird. Karl, das ist Lutz Möller, der Vater von Viktoria. Daneben haben wir Martin Schröder und Alois Bellenbaum. Georg Lorenz ist der Vater von Joan. Als nächstes wäre da Hugo Klein sowie Anton Hühnerbein, der alte Herr von unserem Florian. Darauf folgt Bruno Roth, sein Stammhalter ist der Felix. Als dann sind da noch Benno Trinkaus, Walter Ferrari, Konrad Lochstampfer, der Vater von Julia. Und der letzte in der Runde ist unser Sepp Finkeisen, der Papa von Lilly.“, stellte der Bürgermeister die Anwesenden vor. Karl Bräuninger reichte jedem einzelnen Mann die Hand zur Begrüßung. Im Anschluss setzte er sich neben Bürgermeister Pfützenreiter, der sofort das Wort ergriff. „Ich möchte euch heute Abend mitteilen, dass wir eine Zusage für das Outdoorcamp haben.“ Alle klopften begeistert mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte, um Applaus zu spenden. „Ich habe mir lange den Kopf darüber zermartert, ob gewisse Jungs dieses Lager nicht auch nötig hätten. Deshalb bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass wir nicht nur die vier Mädels, sondern auch noch zwei Jungs ins Camp schicken, damit die Sache nicht gleich auffällt.“, sprach er und blickte dabei zu Anton und Bruno, die zustimmend nickten. „Als allererstes benötige ich von euch einen korrekten Lebenslauf und ein Lichtbild eurer Sprösslinge. Alles muss bis spätestens morgen Abend, achtzehn Uhr, hier auf dem Tisch liegen.“, richtete er sich an die Familienoberhäupter. Lutz runzelte die Stirn und klopfte wie immer, wenn er nachdachte, mit dem Kugelschreiber mehrmals auf dem Tisch herum. „Hmm....., also das mit den Lebensläufen und Passbildern wird das leichteste sein.“ Seine Stammtischkollegen stimmten alle Lutz, dem Anwalt, zu. „Aber..............“, bemerkte Lutz. Da August in lauter fragende Gesichter blickte, ließ er die Katze aus dem Sack. „Ich glaube, ich werde jetzt erst einmal das Wort an Karl richten.“, sagte der Bürgermeister und bat Karl, seinen Plan zu erklären. „Ich habe mich vor ein paar Tagen mit eurem Bürgermeister und Stammtischbruder nach langer Zeit wieder einmal getroffen. Dabei erwähnte er die Probleme von Drachenfeld mit der Kirche und auch, dass man von heute auf morgen euren geliebten Hochwürden Jakobus ausgewechselt hat. Außerdem erzählte er mir von einem Problem eines jungen Mädchens aus der Gemeinde.“ Alle anwesenden Männer nickten. „Als ich davon hörte, fiel mir ein Streich aus meiner eigenen Jungend wieder ein, den ich damals alleine durchgeführt habe. Aber das, was mir vorschwebt, wäre ausbaufähig. Vor allem würde keiner der Jugendlichen mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Denn es würde sich ja nur um einen Streich der meuternden Halbwüchsigen gegenüber der katholischen Kirche handeln.“, sagte er grinsend. „Und wie soll der aussehen?“, erkundigte sich Lutz, dem die Neugierde ins Gesicht geschrieben stand. „Ganz ohne eure Mithilfe wird es leider aber nicht gehen.“ Die Mitglieder des Gemeinderats nickten und August hielt sich jetzt schon den Bauch vor Lachen, das er unterdrücken musste. „Der Streich würde am besten bei einer Prozession funktionieren, sodass viel Verwirrung gestiftet werden kann.“, meinte Karl Bräuninger und grinste frech über das ganze Gesicht. „Hört sich gut an, Verwirrung ist immer gut.“, warf Sepp in die Runde, die ihm durch Klopfen auf den Tisch zustimmten. Nachdem wieder etwas Ruhe in den Raum eingekehrt war, sprach Karl weiter: „Sie sind doch Herr Finkeisen, der Wirt vom Goldenen Drachen und der Vater von Lilly? Wenn ich es mir richtig gemerkt habe.“ Sepp nickte. „Ja, das bin ich.“, erwiderte er lächelnd. „Gut, Sie haben die ehrenvolle Aufgabe, sich in den nächsten Tagen um ein Gespräch mit dem Pfaffen zu bemühen.“ Alles lachte auf am Tisch, weil genau er der Mann war, der Pastor Theo Busenwunder so überschwänglich liebte. Er hasste ihn bis aufs Blut. Lieber würde er ihm jedes Mal Salz in seine Suppe schütten als nur ein Wort mit dem Pfarrer zu wechseln. „Also, Herr Finkeisen, Sie werden dem Hochwürden berichten, dass Sie während der Prozession kostenlos Wasser an die Pilger und Wallfahrer zusammen mit der Gemeindejugend verteilen. Glauben Sie mir, das wird er sehr erfreut annehmen, denn für das Wochenende sind sehr hohe Temperaturen vorausgesagt worden. Zu ihrem Team gehört die komplette Dorfjugend, die sich unter die Pilger mit Wasserbechern mischen wird. Du, lieber August, wirst dafür sorgen, dass alle Jugendlichen und Kinder ab zwölf Jahren anwesend sind und ins Team gehören. Wie du das zu Stande bringst, ist dein Problem.“ Alle lachten laut auf, und es folgte eine weitere Runde Tischklopfen. „So, und jetzt benötigen wir noch jemanden, der sehr flink auf seinen Beinen ist?“ Alle zeigten fast schon gleichzeitig auf Martin Schröder. „Martin ist der richtige Mann dafür. Er ist Lehrer und unterrichtet auch Sport.“, gab August amüsiert von sich. „Herr Schröder, Sie werden die ehren­volle Aufgabe haben, das Ding durchzuführen.“ Martin Schröder tippte mit dem Finger an seine Stirn. „Einen Teufel werde ich tun. Letztendlich fällt dann alles auf mich zurück. Nein. Danke.“, protestierte der Lehrer. „Na, na, Martin, seit wann stehst du auf der Kirchenseite? Warst nicht du es, der den Kindern gesagt hat, sie sollen alle vom Religionsunterricht fernbleiben?“, grölte Walter, und der Rest des Gemeinderates stimmte mit ein. „Woher weißt du das schon wieder?“, wollte Martin neugierig wissen. Walter schlug ihm kameradschaftlich auf den Rücken. „Nicht nur ich weiß es, das ganze Dorf hat Kenntnis davon, weil es meine Enkelin überall herum erzählt hat.“ Martin schüttelte mit dem Kopf und brummelte etwas vor sich hin. So in etwa wie: schöne Freunde, die ich da habe. „Also, was ist meine Aufgabe, Herr Bräuninger?“, fragte er laut seufzend nach. Die Männer klopften und johlten wie wild, als er sich mit dieser Frage an Karl wandte. August hatte alle Hände voll zu tun, um seinem Gemeinderat Einhalt zugeben, damit Karl weiterreden konnte. „Sie, Herr Schröder, werden den Knopf der Glocken drücken. Ich habe heute ein sehr interessantes und langes Gespräch mit Eurem Hochwürden gehabt. Er hat mir alles voller Freude gezeigt und dabei vor allem auch den Schalter für die Glocken.“, erzählte Karl schelmisch grinsend, als er in die Gesichter blickte, die ihn mit weit aufgerissenen Augen sowie mit geöffneten Mündern anstarrten. „Sobald der Priester circa hundert Meter von der Kirche weg ist, werden Sie den Glockenknopf drücken. Das Glockengeläut hört erst wieder auf, wenn die Taste erneut betätigt wird.“ Jetzt waren die Männer des Gemeinderates nicht mehr zu halten. Sie lachten alle schallend laut auf und der eine oder andere musste sich sogar mit dem Taschentuch die Lachtränen entfernen. „Nachdem Sie den Knopf gedrückt haben, laufen Sie, so schnell wie Sie können, den Glockenturm hinunter und verschwinden durch die Menschenmenge in den Goldenen Drachen. Hier wird dann ein kaltes Bier zur Belohnung auf Sie warten.“ Martin kicherte und stimmte dem Vorhaben zu. „So, und jetzt wird natürlich ein Tumult ausgebrochen sein. Die Restlichen hier am Tisch möchte ich bitten, wenn das Gebimmel einsetzt, mit den Fingern auf die Jugendlichen und Kinder zu zeigen. Das werden auch weitere Leute tun, die ich höchstpersönlich dafür anheuern werde, die natürlich alles Pilger sind. Bevor dann alle festgehalten werden, möchte ich, dass auch Ihr euch,“ - Karl Bräuninger zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger rundum auf jeden einzelnen, der noch keine Ehrenaufgabe erhalten hatte - „heimlich in den Goldenen Drachen verdrückt und den Rest den Pilgern überlasst. Sie werden sagen, dass sie genau gesehen haben, dass es die vier Mädchen und die zwei Jungs waren, also unsere ausgewählten Camp-Anwärter, die aus der Kirche gerannt kamen.“ Erneut johlte die Gruppe auf und schlug donnernd mit den Händen auf den Tisch. „So, und jetzt kommt unser Anwalt ins Spiel. Er wird aus dem Goldenen Drachen herbeigerufen. Er wird auch prompt kommen, weil seine Tochter Viktoria mit von der Partie gewesen sein soll. Nach und nach trudeln auch die Väter der anderen Beschuldigten aus dem Goldenen Drachen vor der Kirche ein. Sie als Anwalt müssen nun alle Überzeugungskraft aufbringen, über die Sie verfügen und den Bischof um ein Gespräch unter vier Augen bitten. In dieser Unterhaltung machen Sie ihm klar, wenn er die jungen Leute für diesen Streich anzeigen würde, müsste er höchstwahrscheinlich mit noch schlimmeren Sabotagen, die vielleicht auch krimineller Art sein könnten, der heranwachsenden Gemeindeschäfchen rechnen und das wolle die Kirche doch bestimmt nicht zulassen. Deshalb schlagen Sie ihm vor, die Hauptbeschuldigten als Buße für das, was sie sich heute geleistet haben, in ein vierwöchiges Erziehungscamp in der Natur zu schicken.“ Mit den Worten: „Prost und Mahlzeit“, schloss er seine Ausführungen, griff nach einer Scheibe Schwarzwurst und einem Humpen Bier. Karl Bräuninger speiste schon genüsslich, während der Gemeinderat noch immer schallend lachte. „Sagen Sie mal, Karl, Sie haben sich das alles alleine ausgedacht?“. Karl nickte und korrigierte, „Nicht ausgedacht, sondern als junger Kerl ausgeführt.“, sagte er amüsiert und lachte dabei Lutz an. „Darf ich Ihnen eine allerletzte Frage stellen, Karl?“ Karl nickte. „Wieso nicht?“, sagte er und schon hörte man Lutz fragen: „Was war die Strafe damals?“ Karl lachte auf. „Zum Teil, das, was ich heute bin.“, antwortete er, wich aber irgendwie aus. „Und was sind Sie?“, hakte Lutz nach, denn es ließ ihm keine Ruhe. „Bewährungshelfer.“, sagte Karl breit grinsend und schob sich einen weiteren Happen in den Mund.

Nachdem die außerordentliche Gemeinderatssitzung feucht fröhlich zu Ende gegangen war, machte Polizeioberst Karl Bräuninger sich selbst noch ein Bild vom nächtlichen Herumlungern der Jugendlichen. Am Dorfbrunnen erkannte er sofort Lutz‘ Tochter. Sie war wie immer aufgetakelt, so wie Lutz sie zuvor beschrieben hatte und hing an den Lippen eines Kerls, der fast schon ihr Vater sein konnte. Auch Julia erkannte er, die laut Konrads Angabe Viktoria nachahmte. Nur war sie nicht ganz so schräg gekleidet. Von Lilly und Joan war nichts zu sehen. Wahrscheinlich waren die beiden mit der Bewirtung im Goldenen Drachen beschäftigt. Er zog sich seinen Pilgerhut, den er extra für diese Reise hierher nach Drachenfeld gekauft hatte, tiefer ins Gesicht und ging an den Jugendlichen vorbei. Die frische Nachtluft tat ihm gut und nüchterte ihn etwas aus. Ab jetzt brauchte er einen klaren Kopf. Karl überlegte, welchen seiner Leute seiner Einheit, die nicht am Outdoorcamp teilnahmen, er am nächsten Sonntag hierher nach Drachenfeld schicken konnte. Nach einem langen Spaziergang und noch längerem Nachgrübeln ging er zurück ins Haus des Bürgermeisters, wo er für diese Nacht untergebracht war, bevor er am nächsten Tag wieder zurück nach Hirschegg fahren würde.

Kapitel 2

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